Kitabı oku: «Franzosenkind», sayfa 3
Das Grauen des Krieges
Nach der Niederlage in Großbritannien verlangte der Bündnispartner Italien im Februar 1941 Hilfe im Kampf gegen überlegene britische Truppen in Nordafrika. Das Deutsche Afrikakorps sollte im Auftrag Hitlers einen Sieg der Briten verhindern, um ihrer Invasion in Italien und der Eröffnung einer neuen Front in Südeuropa zuvorzukommen. Um eine italienische Niederlage abzuwenden und den Russlandfeldzug strategisch vorzubereiten, begannen am 6. April die Angriffe deutscher Truppen auf Griechenland und Jugoslawien. Keine zwei Wochen später kapitulierten die jugoslawischen, dann die griechischen Truppen und auf der Akropolis wehte am 27. April die Fahne mit dem Hakenkreuz. Bis Mitte Mai 1941 befand sich das griechische Festland in deutscher Hand. Nur auf Kreta hatten sich britische Truppen zurückgezogen und rechneten nicht mit einem Angriff der Deutschen aus der Luft. Am 20. Mai 1941 begann eines der größten Luftlandeunternehmen des Zweiten Weltkrieges, in dessen Verlauf bis zum 1. Juni die Insel blutig und unter dramatischen Verlusten auf allen Seiten von den Deutschen erobert wurde.
Hitler hielt am 22. Juni 1941 den Zeitpunkt für gekommen, mit drei deutschen Heeresgruppen in einem geplanten Blitzkrieg „das Abendland gegen den Bolschewismus“ zu verteidigen. Die deutschen Soldaten wurden Stunden zuvor in einer von den Offizieren vorgelesenen Proklamation auf den Angriff eingeschworen, der der „Sicherung Europas und damit Rettung aller“ dienen sollte. In Hetzartikeln und entstellenden Bildern wurden die Russen als „jüdisch-bolschewistische Untermenschen“ dargestellt und der Hass des Volkes geschürt. Der rasante Vormarsch der deutschen Wehrmacht überraschte die Rote Armee und schaltete die sowjetische Luftwaffe großteils noch am Boden aus. Bereits im Spätsommer 1941 besetzten die Deutschen das Baltikum und die Ukraine und marschierten auf Leningrad zu. Ihr Weg war getränkt mit dem Blut ermordeter Juden, kommunistischer Funktionäre, Partisanen und anderer Zivilisten. Die in Gefangenschaft geratenen sowjetischen Soldaten starben in improvisierten Lagern einen qualvollen Hungertod oder wurden willkürlich erschossen.
Es sollte nach dem Willen der NS-Heeresleitung die entscheidende Schlacht des Russlandfeldzuges werden und stellte schließlich die erste entscheidende russische Gegenwehr dar: Am 2. Oktober 1941 rückten die deutschen Truppen auf Moskau vor, in dem Glauben, die Stadt und diesen Krieg gewinnen zu können. Doch der Verteidigungswille der Moskauer Bevölkerung und der Roten Armee waren stärker sowie der dem schlammigen Boden trotzende sowjetische Panzer T-34 moderner.
Temperaturen um minus 40 Grad Celsius lähmten die Kampfbereitschaft der Wehrmachtssoldaten in den Wintermonaten. Nicht nur fehlende Munition, sondern auch Hunger und Kälte untergruben die Moral in den deutschen Reihen. Während der Angriff auf Moskau Anfang Dezember für gescheitert erklärt werden musste, kämpften die Einwohner Leningrads weiter verbissen um ihr Überleben. Im Winter 1941 ahnten sie noch nicht, dass die Belagerung ihrer Stadt neunhundert Tage dauern würde.
In Übersbach hörte niemand die Schüsse der Maschinengewehre, das Einschlagen der Granaten, das Rollen der Panzer, die Schreie Verwundeter und Gequälter. Der Schrecken des Krieges schlich lautlos in die Stuben der Bauernhäuser und versteckte sich hinter den Buchstaben der Briefe, die dem Tod eines geliebten Menschen einen Sinn geben sollten. Als Maria die Zeilen überbracht wurden, war Antoine mit Karl Sommer auf dem Feld. Abends in der Küche redete niemand, der Tod lag zwischen den Tellern. Er hatte ein junges Ehepaar für immer getrennt und eine Mutter mit ihrem Kind allein zurückgelassen. Leopold Passath gebührte die sinnlose Ehre, als einer der ersten Männer im Dorf am 6. August 1941 auf den Schlachtfeldern Russlands gefallen zu sein.
Karl Sommer, sein Schwiegervater, ließ nicht erkennen, ob er ihm in diesen Stunden verzieh, seine Tochter genommen zu haben. Für den Bauern veränderte sich nichts. Maria wohnte seit der Geburt ihres Sohnes Franz gegenüber von ihren Eltern in einer kleinen Stube mit Küche. Leopold durfte sie erst als Soldat heiraten und war nur im Heimaturlaub auf den Hof gekommen.
Antoine sah die Trauer in Marias Augen, die den seinen auswichen, sobald sie sich begegneten. Mühsam begann er die fremde Sprache zu lernen, um sie verstehen zu können. Seine Kenntnisse reichten noch nicht aus für die zornigen Worte Marias, mit denen sie ihrer Mutter von einer Begegnung mit dem Kreisbauernführer Karl H. berichtete, zu dem ihr Vater sie geschickt hatte. Sie hatte sich früh zu ihm auf den Weg gemacht:
„Guten Morgen!“, hatte sie Karl H. beim Eintreten in die Stube gegrüßt. „Wie heißt das?“, gefährlich laut dröhnte ihr seine Stimme entgegen.
Auf ihr erneutes, zögerliches „Guten Morgen“ hatte sie der Schlag auf ihre Wange zusammen mit den Worten getroffen: „Heil Hitler heißt das!“
Von den Nazis des Ortes wurde Karl Sommer argwöhnisch beobachtet. Ihre Späher versteckten sich hinter den Mauern seines Hofes, sobald das Vieh geschlachtet wurde. Karl Sommer besaß einen Schlachtschussapparat und war fähig, die Tiere nach dem Töten zu zerlegen. Jedes Quieken eines Schweines wurde belauscht, die Tiere immer wieder gezählt und die Mengen an Kartoffeln und Getreide abgewogen. Unter Androhung harter Strafen sollte verhindert werden, dass der Bauer ein Tier „schwarz“, für seine Familie, schlachtete. Alle Abgaben der Bauern wurden über Lebensmittelkarten an die Zivilbevölkerung, Wehrmachtssoldaten und – in weitaus geringerem Maße – an die Zwangsarbeiter verteilt. Seit Kriegsbeginn gab es Brot, Fleisch, Fett, Käse, Milch, Zucker, Marmelade und Eier nur in festgelegten Einheiten.
Die Sommers wurden aber nicht nur kontrolliert, sondern auch belauscht. Juliana öffnete eines Abends überraschend die Fensterläden, um frische Luft in die Stube zu lassen, und hörte, wie jemand kurz aufschrie und in die Dunkelheit entschwand. Die Nazis vermuteten, dass Karl Sommer Feindsender hörte, konnten es ihm aber nicht nachweisen. Dafür bemühten sie sich, bei seinen älteren Töchtern eine Anstellung zu verhindern.
Es gelang ihnen bei Maria nicht, weil sich ihre Cousine Theresia Höllerl für sie einsetzte. Sie hatte in eine vermögende Familie in Fürstenfeld eingeheiratet, die dort ein großes Geschäft besaß. Ihr hatte es Maria zu verdanken, dass sie bald nach dem Tod Leopolds in der Tabakfabrik „Austria Tabak AG“ arbeiten durfte.
1784 war die „Österreichische Tabakregie“ unter Joseph II. als Monopol gegründet worden. Lange Zeit wurden die Tabakblätter nur von Hand vorbereitet, der Körper der Zigarre aus den Einlageblättern geformt, mit einem Deckblatt umwickelt und in Papier oder kleine Holzkisten verpackt. Ab 1877 übernahmen Maschinen die Arbeit der Hände, die nur noch für besonders edle Zigarren gebraucht wurden. Gleichzeitig entdeckte das aufstrebende Bürgertum der Gründerzeit die Lässigkeit der Zigarette, die in Massen produziert wurde. Immer mehr Menschen kamen nach Fürstenfeld in die Fabrik, prägten die wirtschaftliche und soziale Struktur der Stadt. Vor allem Frauen aus den Dörfern konnten sich vom regelmäßigen Lohn ein selbständiges Leben aufbauen, auch wenn in der Gesellschaft jener Zeit der Besitz und die Herkunft für das Ansehen wichtiger waren.
Es gab in der Fabrik jedoch auch schlecht verdienende Arbeiter, deren Armut mit der Zeit immer offensichtlicher wurde. Außerdem nahmen die Seuchen und Infektionskrankheiten in der Stadt zu, so dass die Tabakregie eine Krankenversicherung und Invalidenbezüge einführte, Fabrikärzte einstellte, die Altersversorgung reformierte und früher als andere Unternehmen bereits 1908 einen bezahlten Urlaub gewährte. Mit der Gründung einer eigenen Feuerwehr, einer Musikkapelle und von Sportvereinen beeinflusste sie darüber hinaus das gesellschaftliche Leben der Stadt.
Luftaufnahme von Fürstenfeld, in der Bildmitte die Tabakfabrik von Südosten aus gesehen, ca. 1930
Von der Generaldirektion in Wien wurden die Fabriken in Österreich und den Ländern der Habsburgermonarchie koordiniert, bis der Erste Weltkrieg 1918 die Gebiete neu verteilte. Erst 1938, mit dem Anschluss Österreichs, belebte der nunmehrige alleinige Aktionär, das Deutsche Reich, nach der Umwandlung der Fabrik in die „Austria Tabak AG“, die Produktion neu.
Für Maria bedeutete es einen Glücksfall, dort arbeiten zu dürfen. Sie konnte unabhängig vom dominanten Vater ihr eigenes Geld verdienen und mit dem Fahrrad oder zu Fuß die fünf Kilometer zwischen Übersbach und Fürstenfeld zurücklegen. Franz blieb in der Obhut der Großmutter auf dem Hof. Sein Onkel Hans war nur ein Jahr älter als er und ein guter Spielgefährte.
Trotz der Weisung Hitlers vom 16. Dezember 1941, die Stellungen durch „fanatischen Widerstand“ zu halten, begann mit dem Gegenangriff der Roten Armee der Rückzug der deutschen Truppen. In erbitterten Kämpfen rangen sie um jeden Meter, zogen sich zurück, stürmten vorwärts, eroberten Terrain, verloren es wieder. Während die Rote Armee, unterstützt von der sowjetischen Bevölkerung, gegen den Feind anrannte, schwanden die Kräfte und der Nachschub auf deutscher Seite. Im Deutschen Reich wurden die Menschen in dem Glauben gelassen, die „Bolschewisten“ seien fast besiegt.
Im Januar 1942 trafen sich führende Funktionäre in Berlin, um in der „Wannsee-Konferenz“ den systematischen Mord an Millionen Juden in Europa zu planen und zu organisieren. Die Ausgrenzung und Deportationen von Juden gehörten bereits zum Alltagsleben im Deutschen Reich, doch das Ausmaß dessen, was in Berlin geheim festgelegt wurde, sprengte die menschliche Vorstellungskraft.
Die Alliierten versuchten mit völkerrechtlich bedenklichen Flächenbombardements Angst und Schrecken unter den Deutschen und Österreichern zu verbreiten. Im Frühjahr 1942 ließ Winston Churchill in Lübeck, Rostock und Köln vor allem Wohngebiete angreifen, um den Verteidigungswillen der deutschen Bevölkerung zu erschüttern, und schürte damit doch nur deren Hass.
Das steirische Graz war erstmalig im April 1941 unter Beschuss geraten, als königlich-jugoslawische Flugzeuge den Nachschub für den Krieg in Jugoslawien im Visier hatten. Danach blieb es zunächst ruhig in der Luft, weil die „Ostmark“ außerhalb der Reichweite britischer Flugzeuge lag.
Das Leben in Übersbach wurde nur erschüttert, wenn die Familien Nachricht vom Tod eines Angehörigen erhielten. Antoine und Maria gingen ihrer Arbeit nach und begegneten sich abends bei der gemeinsamen Mahlzeit. Für die jüngeren Geschwister Marias war Antoine längst ein Familienmitglied geworden, das sie umso mehr liebten, nachdem die ersten Pakete aus Frankreich eingetroffen waren. Gemäß der Genfer Konvention war es den Gefangenen gestattet, über das Internationale Komitee des Roten Kreuzes Pakete aus der Heimat zugestellt zu bekommen. Sie wurden als „Liebesgaben“ bezeichnet, begrenzt in der Stückzahl und ihrem Gewicht. Der Inhalt wurde von den Nazis kontrolliert, aber die Lebensmittel, Seife, manchmal Unterwäsche oder Socken sowie ein paar Zeilen von der Familie in Frankreich, kamen vollständig bei Antoine an.
Dieses Foto seiner Familie auf La Feltière schickte Großmutter Ménan ihrem Sohn nach Übersbach in die Kriegsgefangenschaft.
Als Frau Ménan von ihrem Sohn auf einer Postkarte erfuhr, dass die Bäuerin ihm ein Beet in ihrem Gemüsegarten überlassen hatte, schickte sie ihm die Samen verschiedener Gemüsesorten. Juliana hatte an Antoines Blicken und seinen geschickt helfenden Händen seine Liebe zur Gartenarbeit erkannt. Wie sehr wunderte sie sich, als rote, runde Früchte reiften. Paradeiser, auch Tomaten genannt, waren in den Vierzigerjahren kein gewöhnliches Gemüse. Antoine gelang es, mit dem von ihm angebauten Gemüse die Sommers zum Staunen zu bringen und abends seine Kameraden im Schlafsaal des Gasthauses zu versorgen. Weder Juliana noch die Bewacher der französischen Kriegsgefangenen sahen darin einen Verstoß gegen die Vorschriften des Oberkommandos der Wehrmacht, weil Antoine dazu beitrug, die Arbeitskraft der Kriegsgefangenen zu erhalten.
Umso schwieriger war es für Maria und Antoine, zueinanderzufinden. Ihre Begegnungen, ihre Blicke, ihre Worte konnten umgehend der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) in Fürstenfeld zugetragen und von ihr geahndet werden. Maria zögerte lange, ihrem Gefühl für Antoine nachzugeben. Zu erbittert hatte sie um ihre Liebe zu Leopold gegen ihren sturen Vater kämpfen müssen. Während der Sommer 1942 über die Felder davonzog, spürte sie, dass sie schwanger geworden war. Schreckliche Vorwürfe musste sie sich von ihren Eltern anhören, dennoch stellten sie sich schützend an ihre Seite. Juliana und Karl wussten um den Vater des Kindes. Die missbilligenden Blicke einiger Dorfbewohner und Arbeiterinnen in der Tabakfabrik musste Maria allein ertragen.
Währenddessen kämpften im über 2500 Kilometer entfernten Stalingrad die Wehrmachtstruppen zunächst darum, den Widerstand der Einwohner zu brechen, und dann um ihr eigenes Überleben. Unnachgiebig opferte Hitler das Leben von 150.000 eingekesselten deutschen Soldaten und war dafür verantwortlich, dass 91.000 weitere in eine jahrelange, entsetzliche sowjetische Kriegsgefangenschaft gingen. Die wenigsten von ihnen sollten ihre Familien wiedersehen.
Auch wenn der gleichgeschaltete Großdeutsche Rundfunk nicht das ganze Ausmaß der Niederlage in Stalingrad deutlich werden ließ, erschütterte diese Nachricht nachhaltig das Vertrauen in den Endsieg. Joseph Goebbels Aufruf zum „Totalen Krieg“ am 18. Februar 1943 konnte die aufkommenden Zweifel nicht auslöschen und die Wende im Krieg nicht mehr aufhalten.
Die Rückseite des Fotos von Seite 40, deutlich zu sehen ist der Vermerk: „Geprüft – STALAG XVIII“
Die französischen Kriegsgefangenen in ihrer spärlich bemessenen Freizeit, Antoine Ménan stehend, 3. von rechts.
In Afrika wehrte sich die deutsche Heeresgruppe gemeinsam mit den italienischen Truppen hartnäckig in einem Wechselspiel aus strategischen Erfolgen und Rückzügen gegen eine Übermacht von britischen und amerikanischen Soldaten und Panzern. Die Kapitulation im Mai 1943 war nach kräftezehrenden Kämpfen eine Folge der ungewohnten klimatischen Bedingungen unter der Sonne Afrikas, gekoppelt mit einem immer wieder versiegenden Nachschub an Ausrüstung und Nahrungsmitteln aus den Versorgungsbasen. Damit wurde der Weg frei für die Alliierten und ihre Landung in Sizilien. Das italienische Volk setzte nicht nur Benito Mussolini ab, sondern erklärte gleichzeitig dem Deutschen Reich den Krieg. Großbritannien und die USA beschlossen, die Standorte der Rüstungsproduktion und die deutsche Bevölkerung aus der Luft anzugreifen. Der Glaube an das nationalsozialistische Regime sollte ausgehöhlt werden, indem die United States Air Force tagsüber flog und die britischen Flächenbombardements nachts stattfanden.
Um sich rechtzeitig in Sicherheit bringen zu können, saßen die Menschen vor den Rundfunkgeräten und achteten auf die Luftlagemeldungen und Verdunkelungsbefehle. Sobald die Sirenen aufheulten, griffen sie die Koffer, die sie bereits für den Notfall gepackt hatten, und rannten in die Keller und Katakomben, die von den Nationalsozialisten als Schutzräume ausgewiesen worden waren. Ängstlich lauschten sie auf das Herannahen der Bomber, die Einschläge ihrer todbringenden Fracht und hofften, dass sie und ihre Wohnungen unversehrt blieben.
Die Menschen in Übersbach feierten trotz dieser Meldungen das Osterfest traditionell, denn der Krieg schien weit weg zu sein. Nur Maria Sommer war am Ostersonntag, den 25. April 1943, nicht zu sehen, denn sie hatte sich in ihre Stube zurückgezogen und gebar einen Sohn, dem sie den Namen Eduard gab. Maria Siegl, die Hebamme des Ortes, kümmerte sich schon zum zweiten Mal um das Baby der Ältesten der Sommers. Wie der Vater des ersten Sohnes konnte sich auch der Vater des zweiten Sohnes nicht offiziell zu Frau und Kind bekennen. Leopold war es bei Franz verwehrt geblieben, weil Karl Sommer einer Hochzeit nicht zugestimmt hatte. Von Antoine und Maria durfte niemand erfahren.
Maria wusste, dass die Hebamme verschwiegen und vertrauenswürdig war. Die „Sieglin“, eine starke und erfahrene Frau von fünfzig Jahren, kannte jeder im Dorf. Wenn sie nicht half, Kinder auf die Welt zu bringen, schneiderte sie Kleidung für die Leute, hatte einen Sohn ohne den Vater großgezogen, weil sie sich von ihrem Mann trennte, und lebte ein eigenwilliges Leben.
Für die Geburtsurkunde Eduards gab sie beim Pfarrer an, dass der Vater nicht bekannt sei. Außerdem beschlossen die zwei Frauen, dass die Hebamme Eduard in ihre Obhut übernehmen würde, damit Maria wieder in der Tabakfabrik arbeiten konnte. Es war wichtig, schnell in den Alltag zurückkehren zu können, um nicht das Gerede der Menschen im Dorf ertragen zu müssen.
Für Eduard wurde Maria Siegl die „Mammi“. Jahre später wusste kaum noch jemand ihren richtigen Namen, weil sie von allen nur noch mit dem von Eduard gewählten Kosenamen angesprochen wurde.
Einige Tage nach der Geburt Eduards stand spätabends ein Mann vor der Tür, dem Karl Sommer ansonsten nur bei der Jagd im Wald begegnete. Beim Eintreten bat er Karl Sommer, seine Tochter Maria zu holen, weil er mit beiden etwas zu besprechen hätte. Alle wussten, dass er in Fürstenfeld Verbindungen zu den Nationalsozialisten hielt. Vorsicht schien geboten.
„Morgen kommt die Gestapo zu euch. Es geht um Marias Kind.“ Karl Sommer, der kaum zu erschüttern war, musste sich setzen. Was hatte das zu bedeuten? Vor der Gestapo zitterten selbst die, die nichts zu befürchten hatten. Marias unehelich geborener Sohn war Grund genug. Niemand im Haus sprach über den Vater des Kindes. Morgen kamen Fremde, um Fragen zu stellen, die keiner beantworten wollte.
„Maria, du warst in Mallnitz im Ferienheim der Tabakregie. Du erzählst ihnen, du hast da einen Deutschen kennengelernt. Nenne ihn Erwin. Mit dem hattest du was. Gemeldet hat der sich nie wieder. Mehr sagst du nicht!“
In dieser Nacht konnte keiner ruhig schlafen. Maria sah das Auto am nächsten Tag direkt vor ihrem Fenster halten. Obwohl die Männer Zivilkleidung trugen, schien jeder im Ort zu wissen, wer bei den Sommers vorfuhr. Aus Angst warteten die Leute hinter den Fenstern, nur wenige traten aus ihren Häusern, um zu beobachten, was am oberen Rand des Dorfplatzes passieren würde. Karl Sommer hatte Antoine früh am Morgen weit auf die Felder geschickt. Er erwartete ihn erst bei Einbruch der Dunkelheit zurück.
Maria antwortete auf die Fragen der Gestapo-Leute, wie der Jagdkamerad es ihr empfohlen hatte. Immer wieder hatte sie in den letzten Stunden die Worte vor sich hingemurmelt. Blass und monoton wiederholte sie die Sätze, die die Fragen der Männer zu zerlegen drohten. Es kostete Kraft, die sie in dem Augenblick verlor, als das Auto vor dem Haus wendete und verschwand.
Nie würde sie diese Stunden vergessen können, den besorgten Blick Antoines am Abend, der ihr nicht helfen durfte, die Gespräche im Ort, die sich tagelang nur um sie und den Aufenthalt der Gestapo bei den Sommers drehten. Und über allem hing die Frage: Verrät jemand der Gestapo das Geheimnis von Maria und Antoine, ohne die beiden wirklich zusammen gesehen zu haben?
Bereits Marias Schwangerschaft hatte für Diskussionen gesorgt, die im Dorf hinter vorgehaltener Hand geführt worden waren. Jeder wusste um die Vielzahl an Vorschriften im Umgang mit den Kriegsgefangenen. Waren schon gemeinsame Mahlzeiten und Festlichkeiten unerwünscht und durften keine Lebensmittel und Kleidungsstücke für sie beschafft werden, so war ein intimer Kontakt strengstens untersagt. In keinem Fall sollte geduldet werden, dass Kinder ausländischer Zwangsarbeiter oder Kriegsgefangener mit deutschen Kindern aufwuchsen. Die Abschiebung des unehelich geborenen Kindes in eines der von Heinrich Himmler gegründeten Lebensbornheime oder noch schlimmer, seine Ermordung im Konzentrationslager, die Bestrafung der Mutter mit Zuchthaus und ein Prozess vor dem Kriegsgericht, in dem der Kriegsgefangene mit dem Tod bestraft werden konnte, das waren die schlimmsten möglichen Konsequenzen. Unausgesprochen webten die Übersbacher gemeinsam an der Decke des Schweigens.
Maria ging wieder arbeiten, Eduard blieb bei der Mammi und wurde erst am Abend von seiner Mutter abgeholt, und Antoine fuhr auf die Felder.
Eduards Mammi lieferte mit ihrer selbstbewussten Art schon häufiger Gesprächsstoff für die Leute im Ort, was sie aber nicht störte. Sie hätte aber gerne darauf verzichtet, als sich die Gestapo für sie interessierte. Ausgerechnet ihre Schwester sollte dafür sorgen. Sie meldete der Gestapo, dass eine Freundin der Mammi in Anwesenheit der Schwestern über die Nazis geschimpft hatte. Mammi und ihre Freundin bedachten nicht, dass Mammis Schwester eine überzeugte Anhängerin der Nazis war und es weitertragen würde. Denunziationen wurden durchaus von den Nazis gefördert, obgleich sie staunten, in welchem Ausmaß sie stattfanden. Die Gestapo bestellte Mammis Freundin nach Fürstenfeld. Die Tatsache, dass sie danach über diese Stunden beharrlich schwieg, erklärte genug. Auch Mammi wurde vorgeladen. Nach ihrer Rückkehr erzählte sie allen, die es wissen wollten, dass sie keine Fragen beantworten konnte. Sie hatte behauptet, sie hätte von dem Streit der Frauen durch das kochende Essen und das darunter laut knisternde Holz nichts mitbekommen. Die Schwestern sahen sich danach nur noch selten und ohne viele Worte. Für Maria Siegl gab es in diesem Fall kein Verzeihen.
Am 13. August 1943 detonierten die ersten amerikanischen Bomben in Wiener Neustadt. Sie sollte die am stärksten zerstörte Stadt der „Ostmark“ werden. Graz wurde am meisten bombardiert, gefolgt von Wien und Klagenfurt. Den englischen und amerikanischen Luftstreitkräften gelang es von neu errichteten Flughäfen in Nordafrika und Süditalien, sowohl die eigenen Heeresverbände zu unterstützen, als auch gezielt Rüstungsbetriebe in der bisher verschont gebliebenen „Ostmark“ ins Visier zu nehmen. Im Dritten Reich galt die „Wiener Neustädter Flugzeugwerke GmbH“ als größter Hersteller der Jagdflieger „Messerschmitt Bf 109“ und in den „RAX-Werken“ wurden die „A-4-Raketen“ montiert. Deshalb versuchten die Alliierten alles, um die Produktion in diesen Werken auszuschalten.
An der Ostfront zogen sich die deutschen Truppen vor der Roten Armee mit dem „Prinzip der verbrannten Erde“ zurück, ohne das Kämpfen, Töten, Quälen und Vergewaltigen aufzugeben. Zerstörte Dörfer, Brücken, Gleisanlagen und ungezählte Tote markierten die Schneise ihrer Wut.
Leningrad konnte von der Roten Armee Ende Januar 1944 aus der Umklammerung der deutschen Truppen befreit werden. Als „Heldenstadt“ in den sowjetischen Medien gefeiert, lieferte die Stadt das grausame Zeugnis einer bestialischen Kriegsführung des nationalsozialistischen Regimes, das vor nicht zurückschreckte.
Statt den verbliebenen Einheiten zu Hilfe zu kommen und für Nachschub an Soldaten und Material zu sorgen, musste die deutsche Heeresleitung einige Wehrmachtsverbände nach Italien zum Kampf gegen den ehemaligen Verbündeten und die Alliierten verlegen. Der Vormarsch der Roten Armee war nicht mehr zu stoppen, so wie Hitler in seinem Wahn nicht gestoppt werden konnte, weitere Soldaten sinnlos zu opfern.
Anfang des Jahres 1944 startete sein Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Reichsmarschall Hermann Göring, in einer groß angelegten Aktion aus der Luft mehrere Angriffswellen auf London und weitere englische Städte, die im Mai 1944 in einem Desaster für die Deutschen endeten und ihre Luftflotte nachhaltig schwächten. Die Alliierten hatten zu diesem Zeitpunkt bereits die Luftherrschaft über das Deutsche Reich erlangt.
Das konnten auch die Menschen in der Steiermark bestätigen. Immer häufiger dröhnten über ihren Köpfen amerikanische Bomberverbände auf ihrem todbringenden Flug Richtung Wien, Wiener Neustadt und Graz. Sie zerstörten nicht nur Rüstungsanlagen, sondern auch Ölraffinerien, Bahnanlagen, Flugplätze und Wohngebäude. Weitere Koordinaten ihrer Abwürfe lagen über Innsbruck, Linz, Klagenfurt, Salzburg, Villach, Steyr und anderen Städten. Geprägt von der nationalsozialistischen Propaganda, in dem blinden Glauben an den Endsieg, mobilisierten die deutschen Abwehrverbände Material und Menschen. Flak und Jagdflieger versuchten die Reihen der alliierten Luftstaffeln zu lichten, ohne die Luftüberlegenheit der Amerikaner und Engländer ernsthaft zu gefährden.
Dann kam der Juni 1944. Von den deutschen Stimmen des „feindlichen“ Senders, der British Broadcasting Corporation (BBC), hörte Karl Sommer im Radio die Nachricht von der Landung der alliierten Streitkräfte in der Normandie. Hitler erwartete nicht zuletzt aufgrund eines groß angelegten Täuschungsmanövers der Alliierten, der „Operation Fortitude“, einen Angriff an der schmalsten Stelle des Ärmelkanals, bei Pas-de-Calais. Daneben trug die insgesamt schlechte Nachrichtenlage der Wehrmacht dazu bei, dass am Tag der Invasion, dem 6. Juni, die Abwehrmaßnahmen auf deutscher Seite chaotisch verliefen.
Zwischenzeitlich hatte die französische Résistance viele Funkverbindungen und Transportwege zerstört, was Absprachen unter den Offizieren und das Vorwärtskommen der deutschen Wehrmacht verzögerte. Trotzdem gelang es den deutschen Truppen, die alliierten Verbände bis Ende Juli am Durchbrechen der Front zu hindern. Am 25. August 1944 wurde den französischen Widerstandsgruppen und den alliierten Soldaten in Paris ein triumphaler Empfang bereitet. Es war der Vernunft des von Hitler ernannten deutschen Stadtkommandanten, General Dietrich von Choltitz, zu verdanken, dass er sich dem Befehl seines Führers widersetzte, Paris „nur als Trümmerfeld in die Hand des Feindes“ fallen zu lassen.
Einige Tage vor der Niederlage der deutschen Divisionen in Frankreich explodierte in Ostpreußen im Führerhauptquartier „Wolfsschanze“ eine Bombe. Hitler überlebte am 20. Juli 1944 leicht verletzt das von einer Gruppe ranghoher Generäle, Offiziere und Verwaltungsbeamter geplante Attentat. Die Männer einte der Wille, der Diktatur und den Verbrechen ein Ende zu setzen. Der Führer rächte sich, indem er alle Beteiligten qualvoll erhängen oder erschießen ließ, und berief ihm verpflichtete Generäle und Offiziere in den Führungsstab. Nur drei Tage später wurde ihm von der Befreiung des Konzentrationslagers Majdanek und der polnischen Stadt Lublin durch sowjetische Truppen berichtet.
Um der Roten Armee zuvorzukommen, entschied die nationalpolnische Heimatarmee, Warschau aus eigener Kraft von den deutschen Besatzern zu befreien. Sie rechneten nicht mit der Brutalität der SS- und Polizei-Einheiten, die zahllose Massaker an Zivilisten verübten. Da Stalin nur wenig an einem unabhängigen, selbstbewussten Polen gelegen war, verweigerte die Rote Armee auf seinen Befehl hin den Aufständischen ihre Hilfe und verhinderte das Eingreifen der britischen Luftstreitkräfte, die nur Hilfsgüter über der Stadt abwerfen konnten. Bis Anfang Oktober 1944 vollendeten die deutschen Besatzer ihr zerstörerisches Werk in Warschau, während Soldaten der Roten Armee in Rumänien, Bulgarien und Ungarn einmarschierten. Für die Wehrmacht das Zeichen, sich aus Griechenland zurückzuziehen; für die Finnen, das Bündnis mit dem Deutschen Reich aufzukündigen und einen Waffenstillstand mit der Sowjetunion und Großbritannien abzuschließen.
Mit dem „Aufruf zum Volkssturm“ im September 1944 wurde der Versuch unternommen, den Alliierten die letzten, bisher nicht waffenfähigen Männer im Alter zwischen sechzehn und sechzig Jahren entgegenzustellen. Auch der einundfünfzigjährige Karl Sommer sollte den „Heimatboden“ verteidigen und für den „deutschen Endsieg“ kämpfen. Juliana atmete auf, dass ihre Kinder zu Hause bleiben durften. Schnell wurde deutlich, dass Himmlers Waffen-SS nicht davor zurückschreckte, jeden, der sich diesem Dienst verweigerte, standgerichtlich zu erhängen oder zu erschießen. So zog der Bauer nicht mehr über die Felder, sondern hob gemeinsam mit viel zu jungen und viel zu alten Frauen und Männern mit der Schaufel und den Händen tiefe Gräben an Straßen und in Wäldern aus. Gräben, die wie Narben die Landschaft durchzogen, sichtbar und sinnlos.
Antoine übernahm zuverlässig die Arbeit auf dem Hof. Es blieb Karl Sommer seit Monaten verborgen, dass der junge Franzose jede Gelegenheit nutzte, das Pferdefuhrwerk in Richtung Köglberg zu lenken. Der schmale Weg zu den Feldern unterhalb der Anhöhe führte am Kellerstöckl von Maria Siegl vorbei, die tagsüber den jüngsten Enkel Karl Sommers betreute. Sie tat alles, damit Antoine seinen Sohn Eduard sehen und auf den Arm nehmen konnte. Ihr Haus lag abseits vom Hauptweg des Dorfes, verdeckt durch Sträucher und Bäume. Während die Pferde die Blätter und das Gras am Feldrand fraßen, kontrollierte sie den Weg und warnte Antoine rechtzeitig, sobald sich ein Fremder näherte. Im Winter sahen sich Vater und Sohn nur auf dem Hof und in der Küche.
Bei einem der Überflüge der amerikanischen Luftwaffe Richtung Wien und Graz im Dezember 1944 fielen erstmals Bomben auf Fürstenfeld, deren Einschläge den Boden in Übersbach erzittern ließen. Geschockt suchten die Bewohner Verstecke für sich und die wichtigsten Gegenstände, die sie vor den Feinden schützen wollten.
Einige Wochen später ging Karl Sommer zur Mühle, die vor Übersbach von einem Verwandten betrieben wurde. In seinem Rucksack trug er einen Schlachtschussapparat, mit dem die Männer zwei Schweine schlachten wollten, eines davon ohne Genehmigung durch die Nazis. Karl wusste, dass der Krieg nicht mehr lange dauern konnte, aber er sorgte sich, dass die Vorräte nicht ausreichen könnten. Doch mit den Nazis wollte er sie nicht mehr teilen.
Auf seinem Hof hätte ihm Antoine helfen können, aber der junge Franzose saß bereits im Gasthof bei den anderen Kriegsgefangenen und sollte auch nichts Illegales tun. Es war unter Strafe verboten, Tiere „schwarz“ zu schlachten. Deshalb mussten die beiden Männer sehr vorsichtig arbeiten, und erst spät in der Nacht kehrte Karl Sommer müde, mit einem schwer gefüllten Rucksack und einigen Schnäpsen im Blut, nach Übersbach zurück. Schwarz und still wölbte sich der Himmel über ihm, als aus der Dunkelheit eine Gestalt auf ihn zutrat.
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