Kitabı oku: «Seewölfe Paket 14», sayfa 31
7.
Der einsame blonde Mann auf dem treibenden Floß erwachte. Hunger und Durst plagten ihn, aber seine Erschöpfung war vorbei. Der Schlaf hatte ihm Erholung und Kraft geschenkt, und beides brauchte er jetzt auch bitter nötig.
Er hatte die ganze Nacht hindurch geschlafen, getrieben von einem leichten Wind und einer nur zaghaft rollenden Dünung. Heute war der zehnte Juni. Der neue Tag war angebrochen. Im Osten stand der Ball der Sonne und schob sich langsam höher.
Rogers Hand fuhr über die Bartstoppeln, die sein Kinn bedeckten, und dann kehrte die schmerzliche Erinnerung wieder zurück. Er war der letzte Mann, der einzige Überlebende. Alle anderen waren tot, die See hatte sie mittlerweile verschlungen.
Vorsichtig, damit das Floß nicht umschlug, richtete er sich auf, balancierte es etwas aus und reckte die Glieder, die total verkrampft waren.
Durst! Das Durstgefühl wurde übermächtig, und es überlagerte vorerst auch den Hunger. Er nahm das kleine Fäßchen, schüttelte es und stellte fest, daß es knapp halbvoll war. Dieses bißchen Wasser mußte er sich sehr gut einteilen, denn es konnte für lange Zeit das letzte sein.
Er setzte sich wieder und trank nur einen winzigen Schluck, nicht genug, um seinen brennenden Durst zu löschen, aber so viel, daß das schlimme Gefühl sich ertragen ließ.
Hunger! Da sah es mager aus, sehr mager, und er wünschte sich jetzt einen von Archibald Cribbs lausigen und knochenharten Schiffszwiebacks.
Nun gut, dachte er grimmig, sollte der Magen knurren wie ein gereizter Hund. Das ließ sich schon für eine Weile ertragen. Das größere Übel war der Durst, und auch der würde bald sein ständiger Begleiter werden.
Dann sah Roger sich nach allen Seiten um, aber wohin er auch blickte, er sah nur eine unregelmäßig silbrig schimmernde Fläche, die sich von Horizont zu Horizont zog, endlos, ohne Ende, bis Wasser und Himmel sich glitzernd berührten.
Er war allein, einsam, der einsamste Mensch der Welt, der auf einem armseligen Floß hockte und das beste aus seiner Situation machen mußte, wenn er überleben wollte. Wenigstens ist es warm, dachte er bescheiden, nicht so wie vor Jahren in der Nordsee, als er und sein älterer Bruder einmal schiffbrüchig wurden und tagelang hungernd und frierend auf ein paar Balken saßen. Aber damals hatten sie das Überleben gelernt, und er hatte begriffen, wie man sich verhalten mußte.
Vor allem keine Panik, sagte er sich. Ruhig die Lage überdenken, nichts übereilen, gut überlegen.
„Du mußt in einer solchen Situation Blei im Arsch haben“, hatte sein älterer Bruder damals zu ihm gesagt. Dieser Bruder hatte sein ganzes Leben lang Blei im Arsch gehabt, wie er sich entsann. Er verfiel nie in Panik, er blieb immer ruhig und gelassen, war ein bißchen schwerfällig und kam nur langsam auf Touren.
Daran erinnerte sich Roger jetzt, und ein kleines Lächeln zog über sein Gesicht. Ja, das war schon verdammt lange her. Weiß der Teufel, wo sich dieser Kerl jetzt herumtrieb und wo er gerade steckte.
Er wandte sich jetzt praktischen Dingen zu. Er hatte Segeltuch, eine Spiere und Tauwerk, und als gelernter Takelmeister konnte er damit im Schlaf umgehen. Er hatte ganze Schiffe aufgeriggt, und hier brauchte er nur an eine lausige Spiere einen Fetzen Tuch zu hängen, den ganzen Kram festbinden, das Paddel als Ruder benutzen, und fertig war der Kahn!
Er fackelte nicht lange und ging gleich an die Arbeit, schnell entschlossen, wie es seine Art war.
Die Spiere rammte er zwischen die Bohlen des Floßes, das ihm dank des Geizes vom alten Archibald geblieben war, und mit dem scharfgeschliffenen Dolch, der Archibald in eine bessere Welt befördert hatte, schnitt er sich ein passendes Stück Segelleinwand zurecht, genau gesagt, einen größeren Lappen, den die Spiere gerade noch trug. Da gab es kein Unter- und kein Oberliek, es war ein Fetzen, der ein bißchen Wind auffangen sollte, und der ihn etwas schneller durch die See brachte.
Die Spiere verband er mit dem Tauwerk, lächerliche provisorische Stage und „Wanten“, und die verknotete er an den Bohlen, bis sie auch festerem Druck standhielten.
Als das geschafft war, die Sonne war schon ein beträchtliches Stück höher gestiegen und brannte heiß herab, schielte er verlangend nach dem Fäßchen mit Trinkwasser.
Es ist ungenießbar, giftig und voller grüner Fäden, redete er sich ein, solange, bis er fast selbst daran glaubte. Also konnte er es auch nicht trinken, und so wandte er den Blick wieder ab.
Er mußte hier weg von dieser lausigen Piratenküste, denn irgendwo dort vorn war Land, aber da konnte er nicht hin, das war zu riskant. Die Piraten konnten ihn zwar nicht ausplündern, aber sie begnügten sich auch damit, die ungläubigen Christenhunde einfach totzuschlagen.
Zum Schluß befestigte er den Riemen, damit er als Steuer diente und andererseits nicht über Bord fallen konnte.
Der Wind fing sich in dem Notsegel, und das Floß schob sich langsam durchs Wasser. Er segelte mehr schlecht als recht, aber er kam immerhin schneller voran und trieb nicht auf der Stelle.
Bei dem bißchen Wind aus Norden versuchte Roger, auch ein wenig Höhe zu gewinnen, nur weg von der Küste, die da hinter der Kimm lag. Er mußte versuchen, Sizilien zu erreichen. Oder Malta, da konnte ihm im Schutz der christlichen Küsten, nicht viel passieren, und da würde er auch irgendwie wieder Anschluß finden.
Unmerklich gewann er Höhe und richtete seinen Kurs nach der Sonne aus, die jetzt wie ein glutender Ball am Himmel stand und fast senkrecht auf ihn herabbrannte. Eins der kleinen Segeltuchstücke tauchte er ins Wasser und legte es sich zur Kühlung auf den Kopf.
Dann kreuzte er die Beine, bewegte ein bißchen das Ruder und versuchte, weiter Höhe zu gewinnen.
Am Nachmittag setzte ihm der Durst wieder zu, und er schielte nach dem Fäßchen, wobei er sich wieder einzureden versuchte, das Zeug sei giftig und absolut ungenießbar. Aber da war eine innere Stimme, und die fragte ihn ganz sachlich, warum er das giftige Zeug denn mitschleppe, genausogut könne er sich doch von dem Ballast befreien und das verdammte Faß über Bord werfen.
Schließlich nahm er es doch in beide Hände und schüttelte es wieder. Das leise Gluckern war Musik für seine Ohren, und er wollte sich eigentlich mit dem Geräusch und dem Bewußtsein, daß er ja Wasser habe, zufrieden geben.
Bis zum späten Nachmittag zögerte er das Verlangen hinaus. Dann trank er einen kleinen Schluck. Gerade als er das Faß absetzen wollte, zuckte er zusammen, und es entglitt fast seinen Fingern, denn direkt neben dem Floß sprang ein Fisch aus dem Wasser, sauste ein Stück wie segelnd durch die Luft und tauchte dann wieder ein.
Dieser silbrig schimmernde Leib des handlangen Fisches erinnerte ihn wieder an seinen Hunger, und er starrte lange und nachdenklich in die blaue Tiefe und dachte darüber nach, wie er einen Fisch wohl mit der Hand fangen könne, vorausgesetzt, er sah wieder mal einen.
Er hatte keinen Köder und erst recht keinen Haken, und so gab er dieses Vorhaben auch bald wieder auf und sann nicht weiter darüber nach.
Als sich die Sonne dem westlichen Horizont zuneigte, glaubte er, ein gutes Stück gesegelt zu haben, doch er war sich seiner Sache nicht sicher. Er kannte die Meeresströmungen nicht, die hier herrschten.
Dann kam der Abend, und als die Sonne am fernen Horizont verschwand, wurde es merklich kühler.
Auch das verdroß ihn nicht. Die Kühle war besser als die sengende Hitze, die einen ausdörrte, und bei der es ihn ständig nach Wasser dürstete. Es wurde dunkel, der Mond ging auf und grinste auf ihn nieder, und Roger fühlte sich wie mutterseelenallein auf der Welt.
Wohin er auch blickte, es gab kein anderes Schiff, kein Boot, kein Land, nichts als diese endlos glitzernde Fläche, über die beständig ein leichter Wind aus Norden blies. Nicht einmal die so zahlreichen Piraten ließen sich blicken, obwohl er nach denen kein Verlangen hatte.
Irgendwann schlief er dann ein, nachdem er sich mit einer dünnen Leine wieder festgelascht hatte. Mit einem steifen Stück Segeltuch deckte er sich zu und träumte wirres Zeug von einem Mann, der ganz allein auf der Welt war. Und diese Welt bestand nur aus einem riesigen Ozean und einem ganz kleinen Stückchen Land, einer winzigen Insel. Diese Insel mußte er finden und ansteuern, aber es war ein so hoffnungsloses Unterfangen, das Stück Land zu finden, daß er nicht die geringste Aussicht darauf hatte. Also mußte er bis in alle Ewigkeiten weitersegeln, ein Ahasver der Meere, der ruhelos über endlose Wasserflächen zog, getrieben von der Hoffnung auf das winzige Eiland und doch wissend, daß er es nie erreichte.
Der elfte Juni brach an, und Roger wurde durch ein eigenartiges Geräusch geweckt, das er sich nicht erklären konnte. Da war ein merkwürdiges Klatschen, und er spürte, wie etwas ekelhaft Feuchtes in sein Gesicht schlug. Gleich darauf war das Klatschen weg. Er richtete sich verblüfft auf und blickte sich um.
Die Sonne linste gelblichrot an der Kimm hervor, und ihre Strahlen fielen schräg in sein Gesicht. Er war immer noch allein. Der Nordwind blies ganz leicht, und es hatte den Anschein, als würde sich auf der Welt nie wieder etwas ändern. Es gab nur Wasser, Wind und Sonne.
Er schrak heftig zusammen, als er das Geräusch erneut hörte. Diesmal war es direkt hinter seinem Rücken, und er drehte sich schnell herum.
Ungläubig starrte er ein spannenlanges Fischlein an, das auf den Bohlen zappelte und seinen Weg zurück ins Meer suchte. Knapp einen Fuß war das Kerlchen lang und ganz silbrig.
Roger packte blitzschnell zu und hielt ihn in der zusammengepreßten Faust eisern fest.
„Du hast nicht gefragt, ob es gestattet ist, an Bord zu kommen“, sagte er erfreut. „Aber dich hat Allah geschickt, oder du bist einfach deines Lebens überdrüssig.“
Er merkte nicht, daß er laut sprach, er hörte nur seinen Magen wild knurren, und der knurrte so entsetzlich, daß er den spannenlangen Burschen noch einmal betrachtete und ihn als ein Geschenk des Himmels pries.
Schnell und geschickt erschlug er ihn und schlitzte ihm den Bauch auf. Er kannte diese Sorte Fisch nicht, er hatte sie noch nie in seinem Leben gesehen, aber giftig sah der Bursche nicht aus. Er ähnelte in etwa einem zu groß geratenen Nordseehering.
Die Leber, ein daumennagelgroßes Stück, aß er gleich auf. Dann kostete er von dem Fleisch. Nun ja, ein Geschmack nach irgend etwas ließ sich nicht feststellen, er war es auch nicht gewöhnt, rohen Fisch zu essen, obwohl er es schon probiert hatte. Aber dieser Fisch, der da an Bord gesprungen war, der half auch in rohem Zustand mit, sein Leben zu verlängern, und wenn es nur um ein oder zwei Tage war.
Er schuppte ihn ab, schnitt ihn in kleine Stücke und aß sie. Und er stellte fest, daß es besser schmeckte als Cribbs verdammter Zwieback.
Lange konnte er das Fischlein bei dieser Hitze allerdings nicht aufbewahren, sonst kriegte er blaßgraue Kiemen und verpestete die Luft, statt seinen Magen zu füllen. Hungrig wie ein Wolf aß er ein Stückchen nach dem anderen, bis nur noch ein kläglicher Rest übrig war.
Wenn es so weitergeht, dachte er, dann, mein lieber Roger, hast du eine ehrliche Chance zum Überleben. Und wenn er keinen morgendlichen Besuch mehr kriegte, dann, zum Teufel, würde er es auch irgendwie schaffen. Er hatte in seinem Leben schon so manches geschafft, an dem andere verzweifelt waren.
Wenn ihn in dieser endlosen Wasserwüste wirklich einmal der Mut zu verlassen drohte, dann dachte er an die Worte seines älteren Bruders und an das berühmte Blei.
Langsam schob sich das Floß weiter durch das Wasser. Roger kauerte auf den Bohlen und hoffte auf ein Wunder. Hoffen konnte er ja, obwohl er sich lieber auf sich selbst verließ, aber ein Mensch ohne Hoffnung war nur noch ein halber Mensch.
An diesem elften Juni segelte die Sambuke unter Ben Brightons Kommando auf nordwestlichem Kurs, um ebenfalls Höhe zu gewinnen.
Ben Brighton wollte durch die Straße von Sizilien segeln, denn von der nordafrikanischen Piratenküste war die ganze Crew bedient. Außerdem unkte Old O’Flynn ständig, daß es nicht mehr lange dauern würde, bis sie Piraten in die Hände fielen, und ihm reiche es völlig, einem Hund wie Uluch Ali begegnet zu sein.
Der Wind wehte nur mäßig, und über das Deck der Sambuke trieb ein leichter Geruch nach Essen. Der alte Segelmacher Will Thorne hatte die Stelle des Kutschers übernommen, der sich bei der Ferris-Tucker-Gruppe an Bord befand. Will Thorne verstand es meisterhaft, das Essen für acht hungrige Mäuler zuzubereiten, und so umlagerten Sam Roskill und Bob Grey schon wieder den winzigen Herd, in dem Holzkohlenfeuer brannte.
Pete Ballie hatte das Ruder der Sambuke übernommen, nachdem sie von West- auf Nordwestkurs gegangen waren, und er segelte das leichte Ding mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie seinerzeit die „Isabella“.
„Da schwimmt was“, sagte Smoky zu Ben. Er setzte den Kieker ab, mit dem er die See abgesucht hatte, und deutete voraus.
„Wo denn?“ fragte Ben.
„Genau voraus. Sieht nach einem toten Delphin aus, oder ’ner alten vergammelten Kiste.“
Ben Brighton sah den ehemaligen Decksältesten von der Seite an und grinste unwillkürlich.
„Das ist aber ein Vergleich, Mann. Ein toter Delphin oder ’ne alte vergammelte Kiste ist doch wohl ein kleiner Unterschied.“
„Beide sehen so ähnlich aus“, behauptete Smoky, „Vielleicht kannst du den Unterschied feststellen.“
Bei dem „da schwimmt was“, hatten sich die meisten schon umgedreht und starrten voraus. Doch mit bloßem Auge war da nur ein winziger kaum wahrnehmbarer Fleck im Wasser zu erkennen, der mal zwischen der Dünung auftauchte und dann wieder verschwand.
Ben Brighton nahm den Kieker, sah lange hindurch, setzte ihn wieder ab und zuckte mit den Schultern.
„Abwarten“, sagte er dann auf Smokys fragenden Blick. „Ich kann es auch nicht erkennen, aber es liegt auf unserem Kurs, und früher oder später holen wir es ein.“
Gleichmütig steckte er den Kieker wieder in die Halterung, obwohl Smoky schon die Neugier plagte und er gar zu gern wissen wollte, ob das nun ein toter Delphin oder ’ne vergammelte Kiste war die da trieb.
Aber Bens stoische Ruhe übertrug sich nicht auf ihn, und nach einer Weile griff er ganz zappelig erneut nach dem Kieker und blickte lange hindurch.
„Verdammt, das ist ja ein seltsames Ding“, murmelte er. „Nicht Fisch und nicht Fleisch, so’n Halbding.“
Darunter konnte sich nun überhaupt keiner etwas vorstellen, denn noch niemand hatte ein „Halbding“ in der See treiben sehen, und so war der rätselhafte Gegenstand Wasser auf die Mühlen des alten O’Flynn.
Für ihn war das Ding kurz und bündig ein Wassermann oder eine Wassermannschule, die sich da tummelte, um die Seefahrer zu erschrekken.
„Ein Floß ist das“, murmelte Ben. „Und auf dem Floß befindet sich eine Gestalt. Der Kerl pennt offenbar, denn er rührt sich nicht.“
„Oder er ist tot“, sagte Smoky.
Nach einer Weile war das seltsame Gefährt deutlich zu erkennen. Es war ein kleines Floß mit einem Hilfssegel, und es trieb mehr recht als schlecht durchs Wasser.
Will Thorne ließ sein Essen stehen, die anderen stürzten ans Schanzkleid und betrachteten das Floß, dem sie sich näherten.
Ein Schiffbrüchiger offenbar, der da trieb, ein armer Hund, dem der Kahn vermutlich abgesoffen oder von Piraten aufgebracht worden war.
„Nehmt das Großsegel weg!“ sagte Ben gelassen. „Da braucht jemand dringend unsere Hilfe.“
Jetzt erst fuhr der Mann auf dem Floß hoch, und sein Aufspringen verriet heilloses Erschrecken. Er zögerte, schien ins Wasser springen und flüchten zu wollen, sah dann aber ein, daß er auf diese Art nicht entkam. Dann bückte er sich und griff nach einem Dolch, den er angriffsbereit in der Faust hielt.
Old O’Flynn zeigte auf den abwehrbereiten Mann.
„Der hält uns für Schnapphähne und Piraten“, sagte er. „Der Bursche scheint üble Erfahrungen hinter sich zu haben.“
Ben Brighton griff wieder zum Kieker, um den Mann besser erkennen zu können. Dabei benahm sich der sonst so ruhige und gelassene Ben recht seltsam. Eine ganze Weile blickte er durch das Spektiv, dann setzte er es wieder ab, rieb sich die Augen, schüttelte verwundert den Kopf und linste erneut durch den Kieker.
Die anderen sahen ihn an, dann blickten sie sich vielsagend gegenseitig an und schüttelten ebenfalls die Köpfe. Das Spiel wiederholte sich ein paarmal. Durch den Kieker blicken, absetzen, Kopfschütteln, wieder stieren.
„Nehmt alle Segel weg!“ murmelte Ben heiser. Sein Gesicht, anfangs etwas blaß, hatte sich hektisch gerötet. Er achtete nicht einmal darauf, ob sein Befehl auch gleich ausgeführt wurde. Er rannte plötzlich los, den Kieker unter dem Arm, und verließ wortlos das Achterdeck. Im Sturmschritt raste er zum Bug. Von dort aus stierte er minutenlang auf das Floß.
Old O’Flynn kratzte sich den Schädel.
„Versteht ihr das?“ fragte er. „Mit dem stimmt doch was nicht. Was ist denn in ihn gefahren, zum Teufel?“
Die anderen verstanden es auch nicht, und so blickten sie gebannt auf ihren Kapitän, der sich immer seltsamer benahm.
Jetzt setzte er den Kieker ab, hüpfte von einem Bein auf das andere und führte ein Tänzchen auf, daß die Männer auf dem Achterdeck mit offenen Mäulern dastanden und nicht so recht wußten, was sie von Ben halten sollten.
Old O’Flynn schluckte krampfhaft.
„Er tanzt den spanischen Nationaltanz“, murmelte er betroffen. „Oder eine Wespe hat ihn gestochen.“
„Das ist italienischer Tarantella“, behauptete Smoky ernsthaft. „So fängt das immer an. Das ist wie bei einem Sonnenstich. Verdammt, jetzt hat’s ihn aber ernsthaft erwischt.“
Fassungslos, die Mäuler weit aufgesperrt, sahen sie, wie Ben jetzt zu winken begann. Den Kieker legte er aufs Deck, dann riß er beide Arme hoch und stimmte ein wüstes Gebrüll an.
„Jetzt fehlt der Kutscher“, sagte Al Conroy verblüfft. „Der könnte ihm vielleicht helfen. Scheint verdammt ernst zu sein. Man meint ja gerade, er hätte jahrelang keinen Menschen mehr gesehen.“
„Näher ran!“ brüllte Ben. „Noch näher ran, verdammt!“
Pete Ballie zuckte zusammen, dann legte er Ruder. Die Sambuke gehorchte nur schwerfällig, weil sie kaum noch Fahrt lief.
„Jetzt fängt der andere Kerl auf dem Floß auch an zu spinnen“, stellte O’Flynn fest. „Alle beide hat es erwischt. O Lord, der wird uns doch nicht entern wollen.“
Der Kerl auf dem Floß stand auf seiner wackeligen Unterlage, brüllte, riß ebenfalls die Arme hoch, und ging fast über Bord, als das Floß leicht zur Seite kippte. Dann steckte er sich einen scharfgeschliffenen Krummdolch zwischen die Zähne, blickte noch einmal wild auf die Sambuke und sprang mit einem gewaltigen Hechtsprung ins Wasser. Währenddessen rannte Ben wie ein heulender Derwisch zur Bordwand, fassungslos und entgeistert von den anderen angestarrt.
Old O’Flynn grapschte nach einem Belegnagel. Man konnte ja nie wissen. Vielleicht war der Kerl verrückt und wollte wirklich entern. Deshalb ging er vorsichtig aufs Vorschiff, zum vorsorglichen Rübenklopfen, wie er das nannte, und darin war der Alte nicht gerade zimperlich.
Aber soweit kam es nicht. Donegal ließ den Belegnagel wieder sinken, denn jetzt enterte der triefendnasse Kerl an Bord, und das war nicht nur Salzwasser, das da troff. Old O’Flynn hätte jeden Betrag verwettet, daß bei dem Blonden auch ein paar Tränchen mit dabei waren. Und Ben Brighton sah auch so komisch aus, als wolle er gleich Rotz und Wasser heulen.
O’Flynn stand wie erstarrt daneben, als Ben den tropfnassen Kerl heftig an seine breite Brust drückte, und der Blonde ihn umarmte, als wäre er gerade am Ersaufen, wobei er doch ziemlich sicher auf den Planken stand.
„Roger!“ brüllte Ben.
„Ben!“ schrie der Blonde. „Ja, da soll uns doch gleich alle der Teufel holen.“
„Aha, man kennt sich“, sagte O’Flynn verdattert. „Die Welt ist ja auch so klein, daß man nur irgendwo langzusegeln braucht, und schon trifft man ein paar Saufkumpane, und sei es am Nordpol, wo die behelmten Polaraffen hausen.“
„Bruder!“ brüllte Ben.
Bruder? dachte Old O’Flynn verdattert. Bruder? Na, das konnte ja heiter werden. Wer weiß was für ein Bruder das war! Und überhaupt – war Ben jetzt so fromm geworden, daß er jeden Dahergelaufenen oder besser: Dahergeschwommenen einfach Bruder nannte. Das war ja nun wirklich die Höhe, dachte der Alte, der überhaupt nichts begriff. Und ob er an Bord kommen dürfe, hatte dieser blonde blauäugige Triefling auch nicht gefragt. Schwamm einfach daher, sprang an Bord und haute wie selbstverständlich seinen verdammten Krummdolch in die Planken.
Während der Alte angestrengt nachdachte, hatte sich bereits die gesamte Crew um die beiden Männer versammelt. Den meisten schwante schon etwas, denn da gab es eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Ben und diesem Roger, wie Ben ihn genannt hatte. Nur bei Old O’Flynn, da zündete noch gar nichts, da war noch nicht mal das Zündkraut vorhanden, von der glimmenden Lunte ganz zu schweigen.
Jetzt erst ließen die beiden Männer voneinander ab. Sie streckten die Arme und hielten sich gegenseitig auf Distanz, um sich besser betrachten zu können. Dann schüttelten sie gerührt die Köpfe.
„Mein Bruder Roger“, stammelte Ben. „Es ist wie ein Wunder, ein unglaublicher Zufall.“
Sprachlos stand die Crew da, mit Gesichtern, aus denen Staunen und Unglauben sprach, und es dauerte eine ganze Weile, bis sie alles begriffen. Dann aber wurde der Neuankömmling herzlich willkommen geheißen, und sie brachten ihm Wasser und etwas zu essen.
Ben Brighton schüttelte immer noch den Kopf. Er konnte es so wenig fassen wie Roger Brighton, der letzte Mann der „Arethusa“. Lange Jahre hatten sie sich nicht gesehen, und jetzt hatte das Schicksal sie auf eine wundersame Art und Weise zusammengeführt.
Auch Old O’Flynn fand endlich die Sprache wieder. Den Belegnagel zum „vorsorglichen Rübenklopfen“ hielt er beschämt auf dem Rücken.
„Dein Bruder“, sagte er fassungslos. „Und der gurkt hier einfach so auf einem Floß durchs Mittelmeer. Bist du etwa damit von England losgesegelt?“ fragte er den athletisch gebauten Blonden.
Roger lachte laut, dann wurde er wieder ernst.
„Nein, natürlich nicht. Ich war an Bord der ‚Arethusa‘, und ich bin der einzige, der den Kampf gegen eine Piratenbande überlebt hat. Wir wurden vor zwei Tagen von drei Feluken angegriffen. Weil unser Kapitän immer Friedfertigkeit predigte, hatten die Kerle leichtes Spiel mit uns. Sie murksten einen nach dem anderen ab, plünderten die Karavelle und versenkten sie anschließend. Bis auf mich haben alle den Tod gefunden“, setzte er leise hinzu.
Die Männer schwiegen erschüttert.
Dann fragte Ben: „Drei Feluken?“
„Ja, ein geiergesichtiger Kerl befehligte sie, ein blutrünstiger Hund mit einem grausamen Zug um den Mund.“
Er beschrieb Muley Salah sehr genau, denn die Visage würde er sein Lebtag nicht mehr vergessen, und er sah auch noch das höhnische Grinsen des Anführers, als der sein Messer auf Cribbs schleuderte.
Will Thorne gab Roger die nächste Muck Wasser, aber Roger Brighton trank nur langsam und in kleinen Schlucken. Dann gab er die Muck dankbar wieder zurück.
Old O’Flynns Gesicht hatte sich bei der Schilderung Rogers merklich verfinstert.
„Verdammt noch mal“, sagte er, „die Beschreibung paßt genau auf den Kerl, dem ich was auf seinen Hohlkopf gegeben habe. Das könnte er sein, kein Zweifel.“
Der Alte wurde immer fuchtiger und aufgeregter.
„Die drei Feluken sind hinter uns her“, behauptete er. „Die haben es auf die Schatztruhen abgesehen, die wir aus der ‚San Marco‘ geholt haben, da halte ich jede Wette.“
„Dann steckt auch Uluch Ali dahinter“, sagte Ben sehr bestimmt. „Da gibt es einen ganz klaren Zusammenhang. Der alte Knochen wollte dich doch aushorchen, Donegal.“
„Ja, er hat nur nichts erfahren. Ich habe ihm eine Menge Unsinn erzählt, und deshalb ließ er mich ja auch mit der Peitsche traktieren.“
„Wohin sind die Feluken gesegelt, Roger?“ fragte Ben seinen Bruder.
„Nach dem Überfall gingen sie auf Nordwestkurs. Vorher hatten sie eine Art Suchformation gebildet, das heißt, sie liefen in langgezogener Dwarslinie und suchten offenbar die See ab. Es ist gut möglich, daß sie euch suchen.“
„Uns“, verbesserte Ben mit einem schnellen Grinsen, „denn du gehörst von nun an zu uns, Roger.“
„Danke“, sagte Roger einfach.
„Dann ist uns ja einiges klar. Aber zuerst solltest du dich gründlich satt essen, Junge. Nach dem Essen packst du dich in meine Koje und ruhst dich ordentlich aus. Du hast eine verdammte Fahrt hinter dir.“
Roger winkte sofort ab.
„Ich bin ausgeruht“, sagte er. „Ich habe zwei Tage lang auf diesem lausigen Kasten gehockt und konnte mehr schlafen, als mir lieb war. Wenn es hier wirklich Ruß gibt, dann bin ich sofort dabei, und ich werde mit reinklotzen, darauf könnt ihr euch alle verlassen, denn die Halunken haben noch eine Rechnung bei mir offen, die beglichen werden muß.“
Ja, er war ein Mann nach ihrem Herzen, dachten alle. Ein harter Knochen, dieser Roger Brighton. Jung, sehnig und kraftvoll mit klaren blauen Augen und einem ehrlichen Gesicht. Ein Kerl nach ihrem Geschmack, ein Mann, der prächtig in die Mannschaft paßte.
Die beiden Brüder hieben sich noch einmal gegenseitig kraftvoll auf die Schultern. Dann stellte Ben seinem Bruder die einzelnen Arwenacks vor, und jeder gab ihm kräftig die Hand.
„Von den meisten habe ich die Namen schon gehört“, sagte Roger. „Das hat sich überall rumgesprochen. Ich bin richtig froh, daß ich mich dazuzählen darf. Ich danke euch allen.“
Er sah, wie der verwitterte Old O’Flynn über beide Ohren grinste. Mit dem Belegnagel kratzte er über seine grauen Bartstoppeln.
„Jetzt haben wir ja bald so eine Art Familienbetrieb“, sagte er lachend. „Drei Killigrews, zwei O’Flynns, und zwei Brightons. Habt ihr anderen nicht auch noch ein paar Brüder, die auf einem Floß irgendwo durch die Welt gurken?“
Dabei dachte er an sich selbst zurück. Auch ihn hatten die Arwenacks damals aus dem Meer gefischt, und an Bord war der Teufel los gewesen. Jetzt wiederholte sich das in ähnlicher Form. Wenn das kein Wunder ist, dachte der alte O’Flynn.
„Das mit dem Reinklotzen“, sagte Ben und nahm den Faden wieder auf, „das ist so eine Sache. Was sollen wir gegen drei Feluken ausrichten? Wir sind jetzt neun Mann. Und wie viele mögen auf den Feluken sein?“
„Auf jeder etwa fünfzehn oder sechzehn Halsabschneider“, sagte Roger. „Also etwa fünfundvierzig Kerle.“
„Eine fünffache Übermacht“, stellte Ben sehr ruhig und sachlich fest. „Wir sind weder Feiglinge noch Hosenscheißer, aber die Kerle schlachten uns doch ab. Da ist Vorsicht besser angebracht als falscher Heldenmut, denn was können wir schon ausrichten? Gar nichts. Wir würden zumindest einen Teil unserer Leute verlieren, und dieses Risiko möchte ich wirklich nicht eingehen. Ich werde dir mal erzählen, was sich in der Zwischenzeit so alles getan hat, Roger.“
Dann informierten sie ihn, kurz aber genau, und sie begannen damit, als sie nilaufwärts segelten, damit Roger ein ungefähres Bild erhielt. Danach wußte er auch, warum es jetzt drei Gruppen Seewölfe gab, die eine unter Hasards Kommando, die andere unter Ferris Tucker und die dritte, die Ben selbst befehligte. Damit war dem blonden Roger alles klar, und jetzt verstand er auch, warum sie nicht gerade versessen darauf waren, mit den Feluken zusammenzustoßen. Denn wenn sie sich mit denen anlegten, dann war das kein Heldenmut, sondern reiner Wahnsinn oder Selbstmord.
„Wir könnten wieder nach Süden hin ablaufen, zur Küste“, schlug der alte O’Flynn vor. „Damit gehen wir den Halunken aus dem Weg, wenn sie West- oder Nordwestkurs segeln.“
„Zur Küste?“ fragte Bob Grey. „Von der lausigen Piratenküste habe ich erst recht die Schnauze voll, da will ich schon gar nicht hin. Wie denkt ihr anderen darüber?“
Pete Ballie wollte nicht dahin, Al Conroy verzichtete auch darauf, Smoky und Sam Roskill schüttelten ablehnend die Köpfe, und selbst Will Thorne hatte keine Lust, sich da unten noch einmal blicken zu lassen.
Ben Brighton hörte schweigend zu.
„Dann gehen wir auf Westkurs“, sagte er.
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