Kitabı oku: «Seewölfe Paket 16», sayfa 16
6.
Olaf Sundbärg hatte immer noch nichts bemerkt. Er grölte herum und hieb dem einen Mann, der neben ihm am Tisch saß, kräftig auf die Schulter. Ja, hier gab er den Ton an, und wehe, irgend jemand hatte daran etwas auszusetzen! Wem das nicht paßte, der sollte sich eine andere Kneipe suchen. Notfalls war Olaf bereit, ihm dabei zu helfen, indem er ihn vor die Tür setzte.
„Kennt ihr Aina, die Magd des Magnusson-Bauern?“ rief er. „Ho, das ist vielleicht ein Hühnchen! Ein Hühnchen, das gerupft werden will, sage ich euch!“
„Täusch dich bloß nicht, Olaf“, sagte der Mann zu seiner Rechten. Er hieß Sune und hatte Sixtens Sohn schon auf mancher nächtlichen Sauftour begleitet. „Aina ist anständig und läßt sich nicht mit jedem ein. An der beißt du dir die Zähne aus.“
Olaf verschwieg, daß er dies bereits getan hatte, er wollte sich nicht blamieren. Er lachte laut und dröhnend, dann hieb er mit der Faust auf den Tisch. „Sie ist also noch Jungfrau?“ Wieder lachte er. „Dann wird es Zeit, daß sie an den richtigen Mann gerät. Wenn sie mir mal über den Weg läuft, dann besorge ich es ihr, darauf kannst du dich verlassen.“
Sune grinste. „Wie du meinst. Hoffentlich kriegst du es dann nicht mit Börje Magnusson zu tun.“
„Der kann mich mal!“ rief Olaf. „Er soll sich nur ’raushalten, sonst kriegt er Ärger mit mir!“
Der dritte Zecher sagte: „Diese Aina habe ich neulich im Dorf gesehen. Sie hat einen wunderhübschen runden Hintern.“
„Und solche Brüste“, fügte der vierte Mann am Tisch hinzu und deutete mit den Händen an, was er meinte.
Olaf sagte etwas Gemeines, Unflätiges, und die anderen lachten dazu.
Stenmark nahm den vollen Bierhumpen aus Hamrens Hand entgegen und drehte sich langsam um. Er verspürte den unbändigen Drang, zu Olaf zu treten und ihm den Humpen links und rechts um die Ohren zu hauen, doch wieder bezwang er sich.
Auch früher war sein Vetter schon so laut gewesen. Äußerlich ähnelten sie sich stark, doch das war auch die einzige Übereinstimmung zwischen ihnen. Brüder hätten sie sein können, so hatten die Einwohner von Kungelf seinerzeit immer wieder gesagt, aber sie hatten dabei die Verschiedenartigkeit im Wesen dieser beiden Männer vergessen.
Olaf hatte einen zynischen Mund und kalte Augen, die das Primitive in seiner Natur zum Ausdruck brachten. Stenmark hätte in den vielen Jahren auf See gleichfalls verrohen können, doch er war der geblieben, der er schon in jüngeren Jahren in seiner Heimat gewesen war: ein stiller und aufrichtiger Mann, der Niederträchtigkeit und Brutalität haßte.
Sie waren gleich alt, doch Olaf sah verlebt aus, wie Stenmark jetzt, als er näher auf ihn zutrat, registrierte. Kein Wunder dachte er, alles hinterläßt seine Spuren.
Hamren verfolgte Stenmark immer noch mit seinem Blick, als habe er einen Geist vor sich. Alles hatte er erwartet, nur das nicht – daß dieser Stenmark eines Tages nach Kungelf zurückkehrte. Die Vergangenheit wurde wieder lebendig, alte Wunden waren nicht verheilt, alles würde wieder neu aufgerollt werden.
Stenmark ging mit seinem Bier zu einem leeren Tisch, setzte sich und sah seinen Vetter an. In diesem Augenblick wurde sich Olaf der Gegenwart Stenmarks bewußt und ließ den Humpen sinken, den er gerade an den Mund heben wollte, um ihn zu leeren.
Die Gespräche verstummten, und auch an den Nebentischen richteten sich alle Blicke auf Sundbärg und Stenmark. Plötzlich lastete Totenstille über den Zechern. Einige Männer stießen sich gegenseitig an, die Atmosphäre schien vor Spannung zu knistern.
Olaf Sundbärg wurde weiß im Gesicht, und fast verschluckte er sich. Nahezu alles hätte er für möglich gehalten, nur dies nicht. Stenmark, so hatte er gelegentlich gedacht, ist bestimmt längst tot – irgendwo im Meer ersoffen oder in einem fernen Land verschollen.
Stenmark nickte ihm ruhig zu und sagte: „Es ist soweit, Olaf Sundbärg. Wir beide brechen jetzt zum Häradshöfding nach Göteborg auf und bringen die Sache von damals in Ordnung.“
Der Häradshöfding war der Richter. Er würde sich anhören müssen, was Stenmark vorzutragen hatte, und wenn die Beweise oder Zeugenaussagen ausreichend waren, mußte er das Urteil von früher revidieren.
Olaf Sundbärg hatte sich wieder gefangen. Er erhob sich von seinem Platz. Die Farbe kehrte in sein Gesicht zurück, er lief rot an, streckte den Arm aus, deutete mit dem Finger auf seinen Vetter und schrie plötzlich los: „Packt den Kerl! Haltet ihn fest! Auf was wartet ihr? Er ist ein Mörder und Frauenschänder!“
„Jawohl!“ rief nun auch der Hamren-Wirt. „Ein Verbrecher, der hingerichtet gehört! Man verhafte ihn!“
Stenmark blieb sitzen. Er hob seinen Humpen und nahm einen Schluck von dem Bier. Es war nicht zu kühl und hatte auch die richtige Menge Schaum, es schmeckte herb und würzig und löschte seinen Durst.
„Damals hast du entwischen können, Stenmark, du Hund!“ brüllte Olaf Sundbärg. „Aber die Chance kriegst du nicht wieder! Jetzt bist du hier – und du empfängst, was du verdient hast!“
Stenmark war immer noch völlig gelassen. Er stellte den Humpen zurück auf den Tisch und musterte wieder seinen Vetter, wodurch dieser noch mehr in Wut geriet.
Sune, die beiden anderen Männer an Olafs Tisch und die übrigen Zecher jedoch zögerten und waren unschlüssig. Was hatte das alles zu bedeuten? Sundbärg reagierte wild und explosiv, Stenmark jedoch schien die Ruhe in Person zu sein.
Außerdem hatte Stenmark erklärt, man würde zum Häradshöfding nach Göteborg gehen – verhielt sich so etwa ein Mann, der Angst vor einem Richterspruch hatte? Oder war dies alles nur eine gut einstudierte Täuschung, ein Bluff?
Es hatte damals auch sehr viel Gerede gegeben, obgleich alles gegen Stenmark gesprochen hatte – vor allem sein Messer, das bei der Leiche der Kerstin Nilsson gefunden worden war.
Jemand hatte Kerstin vergewaltigt und dann ermordet. Wie sich alles abgespielt hatte, wußte auch heute niemand genau, doch die seinerzeit durchgeführten Untersuchungen hatten ergeben, daß ein wilder Kampf zwischen Kerstin und ihrem Bezwinger stattgefunden haben mußte.
Jedermann wußte auch, daß zwei Männer um Kerstin Nilssons Gunst geworben hatten: Stenmark und sein Vetter Olaf Sundbärg. Der Richter und die zwölf Beigeordneten des Things – des Gerichtes – hatten damals, vor nunmehr gut achtzehn Jahren, einstimmig Stenmarks Schuld festgestellt – wegen des Messers, das als einziges Beweismittel gefunden worden war. So hatten sie Stenmark zum Tode durch Erhängen verurteilt.
Aber in der Nacht vor der Urteilsvollstreckung in Göteborg war Stenmark geflohen. Er war für immer verschwunden, keiner hatte gewußt, wo er geblieben war. Es war nach ihm gesucht worden, doch die Fahndung war schließlich erfolglos abgebrochen worden.
Viele Bewohner von Kungelf und der näheren Umgebung hatten dies als Eingeständnis von Stenmarks Schuld angesehen, andere wiederum aber nicht. Der Mordfall Kerstin Nilsson hatte viel Staub aufgewirbelt, die Diskussion darüber hatte Jahre angedauert.
Jetzt tauchte Stenmark wie ein Geist aus einer anderen Welt wieder auf und forderte, mit seinem Vetter erneut vor den Richter und den Thing zu gehen. Ungeheuerlich war das!
„Was ist los?“ schrie Olaf Sundbärg. „Habt ihr Angst vor ihm? Herrgott, was seid ihr doch für Memmen! Ich zeige euch, wie man mit Mördern umspringt!“
Er verließ seinen Platz und rückte langsam auf Stenmark zu, der immer noch völlig ruhig und reglos dasaß.
„Warte!“ schrie Sune, und dann erhoben sich auch die beiden anderen Männer von Olafs Tisch. „Wir helfen dir!“ riefen sie.
An einem der Nebentische sprang jedoch plötzlich ein Mann auf und sagte laut und aufgebracht: „Einen Augenblick! Glaubt ihr vielleicht, ihr könntet Selbstjustiz üben? Da habt ihr euch aber getäuscht! Stenmark wäre niemals freiwillig nach Kungelf zurückgekehrt, wenn nicht wenigstens ein Teil seiner Unschuld bewiesen werden könnte!“
„Das ist doch Unsinn!“ brüllte Hamren. „Bist du verrückt, Helge Arvidson, so was zu behaupten? Du hast zuviel getrunken! Scher dich hier ’raus, ich will dich nicht mehr sehen!“
„Das könnte dir so passen!“ rief Helge Arvidson höhnisch. „Du hast wohl auch Dreck am Stecken, was, Hamren?“
„Ja, so wie Olaf Sundbärg!“ schrie ein anderer Mann, der nun von seinem Stuhl hochfuhr. „Die Kerle glauben, ganz Kungelf gehöre ihnen, und sie denken, sie können hier tun, was ihnen paßt! Es wird Zeit, daß ihnen jemand das Maul stopft!“
„Werft die Drecksäcke hinaus“, sagte Olaf Sundbärg zu Sune und seinen anderen Verbündeten. „Haut ihnen die Jacke voll.“
„Ihr Hunde!“ brüllte Hamren. „Wenn ihr mich nicht leiden könnt, warum trinkt ihr dann hier euer Bier?“
„Wir zahlen ja schließlich auch dafür, und du verdienst dich an uns dumm und dämlich!“ stieß Arvidson hervor. „Hast du das noch nicht gemerkt?“
Gut, dachte Stenmark, sehr gut sogar. Er hob wieder seinen Humpen an und trank einen Schluck Bier. Die Dinge standen nicht so schlecht, wie er gedacht hatte, es gab noch Männer in Kungelf, die für ihn Partei ergriffen.
Absichtlich bewahrte Stenmark seine Ruhe, obwohl er am liebsten auch aufgesprungen wäre, um Sundbärg anzugreifen. Er wußte, daß seine Art, sich zu verhalten, den Vetter nur provozieren mußte. Und so war es auch: Olaf Sundbärg trat dicht vor ihn hin, abwechselnd rot und weiß im Gesicht vor Wut.
Kaum hatte Stenmark seinen Humpen halb abgesetzt, da hieb Sundbärg zu, und der Humpen flog bis in die Raumecke, knallte gegen die Wand und fiel scheppernd zu Boden. Er blieb heil. Das Bier strömte in einer Lache aus und lief in die Ritzen zwischen den Dielen.
Stenmark erhob sich. Olaf holte aus und rammte ihm die Faust gegen das Kinn, so daß Stenmark zurückgeworfen wurde, über seinen Stuhl stolperte und mit ihm zu Boden stürzte. Wie durch ein Wunder wurde er durch den Hieb nicht ohnmächtig, er schüttelte nur den Kopf und mußte sich beherrschen, um nicht aufzustöhnen. Der Schmerz durchflutete ihn wie eine brennende Woge, doch er hatte schon Schlimmeres einstecken müssen.
Olaf Sundbärg war über ihm und holte zu einem Tritt mit seinem rechten Fuß aus. Der Haß verzerrte sein Gesicht.
„Dich mache ich jetzt fertig, du Hurensohn“, zischte er. „Ich bringe dich um.“
Stenmark hatte an unzähligen Nahkämpfen teilgenommen und wußte sich auch ohne Waffen gegen einen Gegner zu behaupten. Die Ursache dafür, daß er sich von Sundbärg hatte niederschlagen lassen, lag nicht in einer momentanen Schwäche oder Unaufmerksamkeit begründet. Er hatte seinen Vetter bloßstellen und herausfordern wollen, und das hatte er jetzt erreicht.
Sundbärgs Fuß schnellte vor, doch Stenmark war dieses Mal auf der Hut. Er stieß den umgekippten Stuhl von sich fort, rollte sich zur Seite ab und entging dem Tritt, der seine linke Körperseite hatte treffen sollen. Er rappelte sich wieder auf und kämpfte gegen die Schmerzen und die Schwindelgefühle an.
„Schluß!“ schrie Helge Arvidson. „Das kannst du nicht tun, Olaf Sundbärg! Das ist eine Gemeinheit!“
„Kümmre dich um deine eigenen Angelegenheiten!“ rief Sundbärg ihm zu. „Was hier passiert, geht dich einen Dreck an! Wenn das nicht in deinen dicken Schädel will, brauchst du dich nicht zu wundern, wenn du was vor die Schnauze kriegst!“
Helge Arvidson und die anderen Männer, die sich spontan auf Stenmarks Seite gestellt hatten, krempelten die Ärmel hoch und schoben sich mit zornigen Mienen auf die Gruppe um Olaf Sundbärg zu.
Sune trat plötzlich vor Arvidson hin und wollte ihn zurückstoßen, doch der Mann handelte gedankenschnell. Er trat Sune gegen das Schienbein, daß dieser aufstöhnte und sich krümmte.
Dann packte er sich den nächsten Anhänger Sundbärgs und schrie: „Einen einzelnen Mann zu verprügeln – das habt ihr euch ja fein ausgedacht! Schöne Helden seid ihr! Wenn schon, dann nehmt es gefälligst auch mit uns auf!“
„Das kannst du haben!“ brüllte Sundbärg und warf sich ihm entgegen. Sune, der sich inzwischen wieder halbwegs von dem Tritt erholt hatte, wollte ihm zu Hilfe eilen, doch Stenmark packte ihn an der Schulter, riß ihn zu sich herum und hieb mit der Faust zu, daß er gleich ein paar Schritte zurücktaumelte und mit dem fluchenden Hamren-Wirt zusammenprallte.
Im Nu war die schönste Keilerei im Gange, wilder hätte sie auch in Plymouth in der „Bloody Mary“ nicht ausfallen können. Stenmark fühlte sich in seinem Element, nichts konnte ihn mehr aus der Ruhe bringen. Im Gegenteil, in diesem Tumult begann er sich erst richtig wohl zu fühlen. Er kämpfte sich bis zu Olaf Sundbärg durch, rammte diesem die Faust in den Leib und schrie ihn an: „Nochmals – begleite mich zum Richter!“
„Niemals! Verrecke, du Bastard!“
„Wenn du dich weiterhin weigerst, schleppe ich dich eigenhändig bis nach Göteborg!“ schrie Stenmark und wich einem gemeinen Schlag aus, den sein Vetter ihm unterhalb der Gürtellinie beizubringen versuchte. Er hieb zurück und traf, Sundbärg keuchte entsetzt.
In dem nun folgenden Zweikampf, der die beiden quer durch den Raum des Wirtshauses trieb, hatte Stenmark einige Punkte für sich zu verbuchen, doch Olaf Sundbärg gab trotzdem nicht auf. Immer wieder hetzte er seine Anhänger durch Rufe auf, und diese hörten nicht auf, sich mit der Arvidson-Gruppe herumzuschlagen. Die Keilerei wurde immer schlimmer, auch Hamren griff mit ein.
Zu Arvidsons Mitstreitern gehörten Männer, die mit dem großmäuligen Olaf Sundbärg ein Hühnchen zu rupfen hatten – teils wegen der Mädchen, die er dem einen oder anderen ausgespannt und dann wieder fallengelassen hatte, teils wegen seiner unlauteren Methoden, den Besitz der Sundbärgs zu vergrößern. Stenmark sollte all dies erst später erfahren, auch, daß der alte Sixten von den Machenschaften seines Sohnes wirklich nichts ahnte.
Olaf Sundbärg sprang mit den Frauen und Mädchen um, wie es ihm gerade paßte, und er hatte Grundstücke in seinen Besitz gebracht, indem er die Handelspartner kräftig übers Ohr gehauen hatte. Arvidson beispielsweise hatte ihm drei Morgen Wald gegen Handschlag verkauft, hatte aber nur eine Anzahlung erhalten und wartete seit Monaten auf den Rest der vereinbarten Summe.
Beliebt war Olaf Sundbärg also nicht, nur die Raufbolde und Tagediebe von Kungelf waren seine Freunde. Hamren hatte ebenfalls keine reine Weste, wie Stenmark richtig vermutete, er hatte schon so manche krumme Tour mit Sundbärg zusammen geritten.
Stenmark hatte seinem Vetter jetzt einige harte Hiebe verpaßt, so daß dieser ins Wanken geriet, doch Hamren gelang es, sich mit einem Satz hinter Stenmark zu bringen. Plötzlich riß er eine leere Flasche an sich, die auf der Theke stand, und ließ sie auf Stenmarks Kopf niedersausen.
Stenmark bemerkte dies, aber nicht mehr rechtzeitig genug. Er duckte sich und wich aus, doch die Flasche traf ihn – zwar nicht auf den Hinterkopf wie beabsichtigt, aber mit einiger Wucht auf die Schulter, so daß er in die Knie ging.
Olaf trat seinem Vetter mit dem Stiefel gegen die Brust. Stenmark wurde zurückgeworfen und glitt ein Stück über die Bohlen, dann fing er sich und sprang wieder auf, ehe die beiden Kerle ihn gemeinsam bewußtlos schlagen konnten.
Arvidson hatte Sune überwältigt, Sune lag mit weit von sich gestreckten Armen und Beinen auf dem Boden. Arvidson nahm sich den nächsten von Olafs Kumpanen vor, aber ein Stuhl flog durch die Luft, und eins der Beine erwischte ihn am Kopf. Mit einem Aufschrei fiel er, packte dabei aber noch den Fußknöchel seines Gegners und riß ihn mit sich zu Boden. Im nächsten Augenblick balgten sie sich wie verrückt auf den Dielen.
Hamren wurde auf die beiden aufmerksam und trachtete danach, Arvidson durch einen Tritt außer Gefecht zu setzen, doch dieser griff nach seiner Wade und brachte ihn ebenfalls aus dem Gleichgewicht. Hamren war ein schwerer Mann, es gab einen dumpfen Laut, als er auf die Dielen krachte. Wütend drosch er mit beiden Fäusten auf Arvidson ein, doch der erhielt jetzt Verstärkung.
Ein Knäuel von Leibern hatte sich im Zentrum des Schankraumes gebildet. Stenmark und Sundbärg standen etwas abseits, und Sundbärg versuchte, seinen Vetter in eine Ecke abzudrängen, was ihm jedoch nicht gelang. Stenmark konterte mit brettharten Hieben und war nicht mehr in Verlegenheit zu bringen.
Sundbärg wandte zwar einige Tricks an, aber Stenmark fiel nicht darauf herein. Er blieb souverän der Überlegene. Sundbärg bemerkte es und bekam es mit der Angst zu tun, wie seinen Zügen deutlich abzulesen war.
„Ich bringe dich schon vor den Richter!“ schrie Stenmark. „Koste es, was es wolle!“
„Du schaffst es nicht!“ brüllte Sundbärg in seiner aufkeimenden Panik.
In der Kneipe war bereits einiges zu Bruch gegangen, und die Holzerei ging weiter. Die gegnerischen Parteien droschen mit abgebrochenen Stuhlbeinen, Humpen und Fäusten aufeinander ein, ein Ende der Auseinandersetzung zeichnete sich vorerst nicht ab.
Olaf Sundbärg griff jedoch plötzlich unters Hemd und zog ein Messer aus dem Gurt hervor. Er ließ die Klinge ein paarmal durch die Luft schneiden, dicht vor Stenmarks Gesicht, dann stellte er sich mit abgespreizten Beinen hin und breitete die Arme aus, wobei er seine Waffe zum Stich bereithielt.
„Du Narr!“ stieß er hervor. „Hast du dir eingebildet, ich hätte überhaupt keine Waffe bei mir? Wie dumm du doch bist.“
„Ich weiß, wie gut du mit Messern umgehen kannst“, entgegnete Stenmark. „Das hast du ja auch bewiesen, als du Kerstin umgebracht hast.“ Er ließ sich nicht einschüchtern. Seine Augen verengten sich nur, sein Atem aber ging ruhig und regelmäßig.
7.
Stenmark war ein viel zu erfahrener Kämpfer, um sich von Olaf Sundbärgs Messerfuchtelei einschüchtern zu lassen. Und ins Bockshorn ließ er sich schon lange nicht jagen. Er selbst hatte einen Schiffshauer im Waffengurt stecken, außerdem eine Miqueletschloßpistole und ein Messer mit acht Zoll langer Klinge. Doch er hatte nicht vor, diese Waffe einzusetzen.
Er trat einen Schritt auf Sundbärg zu, und dieser wurde noch nervöser als zuvor. Plötzlich versuchte er es mit einem Ausfall. Stenmark ließ ihn auflaufen, wich dem zustoßenden Messer aber durch eine ruckartige Seitenbewegung seines Körpers aus.
Sundbärg stach ins Leere. Stenmark packte seinen Arm und drehte ihn herum. Sundbärg glaubte ein Knacken zu hören, er verspürte einen stechenden Schmerz in seinem Unterarm, schrie auf und ließ das Messer los, das im hohen Bogen durch das Wirtshaus segelte und hinter der Theke landete.
„Und jetzt zur Sache“, sagte Stenmark. Er verpaßte seinem Vetter einen Hieb in den Nacken, ließ ihn über sein Knie stolpern, sah zu, wie dieser auf den Dielen landete, warf sich jedoch nicht auf ihn, sondern wartete, bis er wieder auf den Beinen war. Dann schlug er erneut zu, verharrte wieder, gestattete seinem Vetter, sich herumzudrehen – und griff noch einmal an.
Ein Hagel vernichtender Schläge prasselte auf Olaf Sundbärg ein, Stenmark befand sich jetzt so richtig in seinem Element und ließ nicht lokker.
Das Schicksal wollte jedoch, daß Olaf Sundbärg diese Tracht Prügel, die er seit achtzehn Jahren verdient hatte, doch noch einigermaßen glimpflich überstand.
Einer der Nachbarn des Wirtshauses hatte den Tumult vernommen, der innerhalb kürzester Zeit entstanden und auf den Marktplatz von Kungelf hinausgedrungen war. Ein paar Passanten scharten sich in der Nähe des Brunnens zusammen und stellten Mutmaßungen darüber an, was bei Hamren wohl los wäre. Der Nachbar jedoch hatte nichts Eiligeres zu tun, als den Landeshauptmann zu alarmieren, der auch sofort seine Wache verließ und sich auf den Weg zum Wirtshaus begab.
Der Landeshauptmann hieß Stig Björnson. Er war ein wuchtiger Mann mit breiten Schultern und respekteinflößendem Äußeren. Seit über zwanzig Jahren versah er in Kungelf seinen Dienst, und deshalb erkannte er Stenmark auf den ersten Blick, als er die Tür der Kneipe geöffnet hatte und entschlossen ins Innere marschierte.
Die Tür flog unter Björnsons heftiger Bewegung mit einem Knall wieder zu. Er trat mitten zwischen die Streithähne und schrie: „Aufhören! Das ist ein Befehl!“
Die Männer ließen voneinander ab und blickten zu ihm hinüber. Björnson wurde im Ort und in der ganzen Umgebung geachtet, niemand hätte ernstlich gewagt, sich offen gegen ihn aufzulehnen, auch ein Olaf Sundbärg oder ein Hamren nicht. Björnson war der Polizeichef, die Garde, der Bürgermeister und der liebe Gott von Kungelf in einer Person, und was er sagte, das mußte als Gesetz hingenommen werden.
„Hauptmann Björnson!“ rief Hamren sofort. „Wie gut, daß Sie endlich erschienen sind! Dieser Kerl hier spielt verrückt!“ Er wies auf Stenmark. „Er hat ein paar Männer zum Suff verführt und sie dann überredet, mein Lokal zu demolieren!“
Stenmark ließ seinen Vetter los, den er nach wie vor in der Mangel gehabt hatte. Es hatte keinen Zweck, die Keilerei fortzusetzen, das sah er selbst ein. Arvidson und ein paar andere Männer erhoben sich mit teils verlegenen, teils immer noch wütenden Mienen von den Dielen und klopften ihre Kleidung ab. Einige rieben sich auch die Köpfe.
„Stenmark“, sagte Björnson. „Ich erkenne Sie wieder. Welcher Teufel hat Sie geritten, nach Kungelf zurückzukehren?“
„Das können Sie sich ausrechnen, Hauptmann“, erwiderte Stenmark. „Ich verlange Gerechtigkeit. Ich bin seinerzeit unschuldig verurteilt worden, denn ich habe Kerstin Nilsson nicht umgebracht. Was ich fordere, ist, daß man meinen Vetter Olaf Sundbärg vor ein Thing stellt und den Fall neu verhandelt.“
„Das ist sein gutes Recht!“ rief Arvidson.
Björnson maß ihn mit einem strengen, zurechtweisenden Blick.
„Halten Sie Ihren Mund, Helge, ich habe Sie nicht gefragt“, sagte er. „Stenmark, haben Sie diese Schlägerei angezettelt?“
Hamren wollte etwas sagen, schwieg aber.
Stenmark trat zwei Schritte auf den Hauptmann zu und antwortete: „Nein. Ich habe meinen Vetter beschuldigt und provoziert, aber angefangen hat er, das kann jeder bezeugen.“
„Lüge!“ stieß Olaf Sundbärg keuchend hervor. Er drehte sich um und sah Björnson aus roten, geschwollenen Augen an. „Wollen Sie etwa einem Mörder Glauben schenken?“
„Olaf Sundbärg, auch Sie sind von mir nicht um Ihre Darstellung gebeten worden“, sagte Björnson scharf, dann wandte er sich wieder an Stenmark. „Stenmark, ich muß Sie verhaften. Sie sind vom Gericht in Göteborg verurteilt worden, und der Schuldspruch gilt nach wie vor, das wissen Sie.“
„Ja.“
„Er verjährt nicht. Es ist meine Pflicht, Sie dem Richter zu übergeben.“
„Gewiß“, sagte Stenmark, ohne eine Miene zu verziehen. „Ich lasse mich widerstandslos festnehmen. Aber ich weise Sie darauf hin, daß ich ein neues Verfahren verlange. Hiermit klage ich meinen Vetter Olaf Sundbärg des Mordes an Kerstin Nilsson an. Wenn ich mich dem Häradshöfding stelle, muß auch Sundbärg vors Gericht.“
„Nein!“ schrie Olaf Sundbärg. „Das lasse ich mir nicht gefallen! Der Mörder muß gehängt werden, und zwar auf der Stelle! Das Urteil, das damals gesprochen worden ist, ist unwiderruflich, das haben Sie selbst gesagt, Hauptmann!“
„Jawohl“, pflichtete ihm Hamren bei. „Man darf nicht zögern, das Urteil zu vollstrecken, sonst entwischt dieser Hundesohn Stenmark ein zweites Mal.“
Stenmark war versucht, dem Wirt an die Kehle zu springen, nur mit äußerster Mühe konnte er sich beherrschen. Daß Hamren mit Sundbärg unter einer Decke steckte, hatte er schon damals geahnt, jetzt wurde es ihm zur Gewißheit. Er glaubte auch zu wissen, wie sich seinerzeit alles abgespielt hatte. Doch er schwieg, um diesen Trumpf für später aufzusparen.
Vor Gericht war er damals viel zu verstört gewesen, zu durcheinander, um die Intrige zu erkennen, in die man ihn verwickelt hatte. Jetzt aber mußte er taktisch klug vorgehen und durfte sich zu nichts verleiten lassen, das erneut gegen ihn ausgelegt werden konnte. Er mußte nur immer wieder darauf verweisen, daß er bereit sei, sich dem Gericht noch einmal zu stellen, das würde seine Wirkung haben – und auch Björnson konnte nicht anders handeln, als ihn nach Göteborg zu bringen.
Björnson begriff, daß Stenmark wirklich nicht die Absicht hatte, zu fliehen. Mehr noch, er war von Stenmarks Integrität überzeugt, vermochte sich selbst aber nicht recht zu erklären, woran das lag. Erst nach und nach überzeugte er sich davon, daß es Stenmarks Art aufzutreten war, die bei ihm Sympathien für den Mann schuf.
Stenmark trug sein Anliegen ruhig und mit Würde vor, und das beeindruckte Björnson. Es nutzte Olaf Sundbärg nichts, daß er aufbrauste, der Entschluß des Hauptmanns stand fest.
„Was ist jetzt, Hauptmann?“ fragte Hamren. „Wollen Sie den Kerl endlich aufhängen oder nicht? Ich habe ein starkes Tau, das könnten wir verwenden.“
Björnson sah ihn drohend an. „Ich verbiete Ihnen, so zu reden, Hamren. Meine Meinung ist: Ein Mann, der sich stellt, hat das Recht, noch einmal vor Gericht angehört zu werden.“
„Das ist doch wirklich die Höhe!“ begehrte Sundbärg von neuem auf. „Das lasse ich nicht zu!“
Björnson trat vor ihn hin und schien ihn mit seinem Blick durchbohren zu wollen. „Wie soll ich das verstehen? Wollen Sie sich hier gegen meine Entscheidungen auflehnen, Sundbärg?“
„Nein, das natürlich nicht.“
„Das will ich meinen. Außerdem haben Sie ja nichts zu befürchten, denn Sie sind seinerzeit von jeder Schuld freigesprochen worden. Also, Sie können ganz beruhigt sein. Oder soll ich Ihren Vater holen, damit er Sie ein wenig beruhigt?“
„Ich bin doch kein Kind“, sagte Sundbärg einlenkend. „Es tut mir leid, daß ich so erregt bin, aber wenn Sie die Hiebe eingesteckt hätten, die dieser Hund mir beigebracht hat, wären Sie auch nicht gerade die Ruhe in Person.“
„Das kommt auf die Begleitumstände an“, sagte Björnson trocken. Er sah sich aufmerksam nach allen Seiten um und studierte die Gesichter der Männer. Zwei Gruppen hatten sich gebildet, die eine scharte sich um Arvidson zusammen, die andere um Sune. Björnson kannte die Schläger und Zechbrüder von Kungelf sehr genau, und er wußte auch, daß sie unberechenbar waren, wenn sie mehr Bier zu sich genommen hatten, als sie vertragen konnten. Das galt auch für Olaf Sundbärg.
Salomonisch erklärte der Hauptmann darum: „Stenmark wird von mir in Verwahrung genommen – damit gewisse Hitzköpfe nicht dazu verleitet werden, Selbstjustiz zu üben.“
„Sehr gut“, pflichtete Arvidson ihm bei. „Dafür habe ich mich von Anfang an verwendet, und deswegen hat die ganze Keilerei auch eigentlich nur stattgefunden, Hauptmann. Ich weiß, Sie haben mich nicht nach meiner Aussage gefragt, aber ich werde Ihnen bei Gelegenheit doch noch genau auseinandersetzen, wie sich alles abgespielt hat.“
„Wir reden auch noch miteinander, Helge Arvidson“, zischte Olaf Sundbärg. „Verlaß dich drauf.“
„Sundbärg“, sagte der Landeshauptmann. „Wollen Sie allen Ernstes erreichen, daß ich eine Verwarnung gegen Sie ausspreche?“
„Nein.“
„Dann schweigen Sie endlich.“ Björnson blickte wieder zu Stenmark. „Ich bringe Sie persönlich nach Göteborg und rufe dort auch das Gericht zusammen.“
„Einverstanden. Ich danke Ihnen, Hauptmann.“
Olaf Sundbärg stöhnte vor Wut und Haß auf.
„Es ist nicht zu fassen, daß Sie einen Schwerverbrecher auch noch schützen, Hauptmann!“ stieß er aus. „Ich begreife das nicht.“
„Ich hingegen finde es merkwürdig, daß Sie so versessen darauf sind, Ihren eigenen Vetter hängen zu sehen“, sagte Björnson. Und dann ließ er Sundbärg eisig abfahren: „Ich sehe, Sie haben nicht den geringsten Familiensinn. Das ist eine Schande. Sie hätten zumindest versuchen können, mit Stenmark Frieden zu schließen.“
„Ich? Mit dem? Niemals!“
„Stenmarks Anschuldigungen sind also ungerechtfertigt, einfach aus der Luft gegriffen?“
„Ja. Was denn sonst?“ gab Sundbärg aufgebracht zurück.
„Das wird sich ja herausstellen“, sagte der Landeshauptmann. „Auf jeden Fall haben Sie, Olaf Sundbärg, sich für den Gerichtstag zur Verfügung zu halten.“
Stenmark äußerte nichts mehr. Er spürte jedoch, daß auch Björnson einiges gegen Olaf Sundbärg vorzubringen hatte. Möglich war, daß er ihm schon seit einiger Zeit wegen seiner dunklen Machenschaften auf die Schliche gekommen war, aber wahrscheinlich hatte er nicht die geringste Handhabe gegen ihn. Ein neuer Prozeß würde alles ans Licht des Tages fördern – so hoffte Stenmark.
Björnson gab ihm einen Wink, und sie verließen gemeinsam das Wirtshaus. Arvidson und dessen Freunde folgten ihnen, und sie ließen die Sundbärg-Clique in eisigem Schweigen hinter sich zurück.
Björnson schickte Helge Arvidson und die anderen Männer sogleich nach Hause. Sie nickten Stenmark noch aufmunternd zu, und der bedankte sich für die Unterstützung, dann trennten sie sich voneinander, und jeder ging seiner Wege.
Auf der Wache nahm Björnson Stenmark sämtliche Waffen ab, durchsuchte ihn sorgfältig und sagte schließlich: „Dies ist meine Pflicht, wie Sie wissen, Stenmark. Ich hoffe, Sie bereiten mir wirklich keine Scherereien. Ich nehme Ihr Eigentum nur in Verwahrung. Sollte sich herausstellen, daß Sie tatsächlich unschuldig sind, erhalten Sie die Waffen natürlich zurück.“
„Sie können sich auf mich verlassen.“
„Ich brauche Sie also nicht zu fesseln?“
„Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich nichts gegen Sie unternehme. Hätte ich fliehen wollen, dann hätte ich es bereits getan“, entgegnete Stenmark.
„Gut. Hören Sie zu. Ich könnte Sie für eine Nacht einsperren, aber ich halte es für besser, sofort nach Göteborg aufzubrechen.“
„Ich verstehe. Olaf und seine Kumpane könnten rabiat werden, meinen Sie?“
„Ich könnte es mir jedenfalls vorstellen. Direkt habe ich noch nie mit Ihrem Vetter zu tun gehabt, aber ich vermute, daß er einiges auf dem Kerbholz hat. Nur kann ich ihm nichts nachweisen.“ Björnson warf Stenmark einen nachdenklichen Blick zu. „Hölle, haben Sie sich auch wirklich richtig überlegt, was Sie tun?“
„Ich habe viele Jahre Zeit dazu gehabt, aber erst jetzt hat mich der Weg zurück in die Heimat geführt. Ich weiß, was ich riskiere, Hauptmann, aber Sie brauchen sich um mich nicht zu sorgen.“