Kitabı oku: «Seewölfe Paket 17», sayfa 12
9.
Gesprochen wurde auf der „Isabella“ immer nur noch das Nötigste, denn an der traurigen Stimmung hatte sich nichts geändert.
Die Seewölfe ließen die Köpfe hängen, bis auf den alten O’Flynn, der „mal wieder was an der Kimm sah“, wie er sich ausdrückte.
„Ein Gary Andrews ersäuft nicht in so einem Ententeich wie der Ostsee“, sagte er zum Profos, der geknickt und mit gesenktem Schädel auf dem Quarterdeck stand.
Für das Hafenstädtchen, das sie gerade anliefen, hatte er keinen Blick übrig.
„Ich wünschte, du hättest recht“, sagte Ed niedergeschlagen. „Aber diesmal trügt dich wohl dein Zweites Gesicht. Wir alle wollen es einfach nicht wahrhaben, daß Gary ertrunken ist.“
„Ich spür das“, sagte Donegal eindringlich. „Für so was hab ich einfach ein Gefühl.“
„Dann hätten wir ihn längst gefunden.“
„Man findet nicht immer das, was man sucht. Mitunter gibt es widrige Umstände“, deutete der Alte geheimnisvoll an.
„Du tust so, als wüßtest du es ganz genau“, sagte Stenmark, der sich zu den beiden Männern gesellte.
Old O’Flynn schüttelte nachdrücklich den Kopf.
„Ich habe doch gesagt, daß ich es nicht genau weiß, ich spüre das eben, es liegt mir im Blut. Gary ist irgendwo, der lebt und ist ganz munter.“
Donegal, das alte Rauhbein, hatte schon oft bewiesen, daß er über eine Art sechsten Sinn verfügte. Das konnte niemand an Bord abstreiten. Er übertrieb dabei manchmal nur ein wenig, und das rief dann meist die Skeptiker auf den Plan.
„Dein Wort in Gottes Ohr“, sagte der Profos. „Wenn das stimmt, dann werde ich dir wieder mal eine Menge abbitten müssen.“
„Das versprichst du jedesmal“, erwiderte Donegal trocken.
Der Profos enterte vom Quarterdeck zum Achterdeck auf und schaute den Seewolf an, dessen Gesicht so ganz anders aussah als sonst. Er schien auch mit seinen Gedanken weit weg zu sein, und so mußte der Profos seine Frage noch einmal wiederholen.
„Wo legen wir an, Sir?“
„An der freien Pier an Backbord.“
„Dann lasse ich jetzt Segel wegnehmen?“ sagte Ed fragend. Er fragte in letzter Zeit überhaupt wegen jeder Kleinigkeit nach.
„Ja“, erwiderte Hasard knapp.
Carberry gab mit ruhiger Stimme seine Anordnungen. Ebenso schweigend gingen die Arwenacks daran, den Großteil der Segel aufzutuchen.
Old O’Flynn wiederholte seine Ansicht diesmal bei dem rothaarigen Schiffszimmermann Ferris Tucker, der sehr unglücklich dreinblickte.
Aber auch Ferris war ziemlich skeptisch.
„Das ist doch bloßes Wunschdenken von dir, Donegal“, sagte er etwas nachsichtig.
„Ist dir denn nichts aufgefallen?“ fragte der Alte.
„Was sollte mir denn aufgefallen sein?“
„Wenn man nach einer Wasserleiche sucht“, sagte Donegal leise, „und sie dann nicht findet, was tut man dann?“
Darauf wußte Ferris allerdings keine Antwort, und so zuckte er nur mit den Schultern.
„Man schießt mit Kanonen über das Wasser, um dem Toten Auftrieb zu geben“, erläuterte der Alte fast flüsternd. „Durch den Donner treibt die Leiche auf. Das hält man schon seit Ewigkeiten so, und genauso tun es auch die Chinesen.“
„Wir haben es aber nicht getan“, sagte Ferris.
„Eben, eben“, ereiferte sich der Alte, „wir haben es nicht getan, und zwar aus gutem Grund. Ganz tief in seinem Innern glaubt nämlich keiner daran, daß Gary ertrunken ist. Es will nur niemand zugeben, aber ich weiß es besser. Und weil es insgeheim doch alle glauben, haben wir auch die Kanonen nicht abgefeuert.“
„Weck nur keine falschen Hoffnungen. Das sind doch bloße Hirngespinste und Wunschträume, Donegal. Manchmal übertreibst du wirklich ein bißchen.“
„Ich weiß, ich weiß“, sagte der Alte gleichmütig, „ich bin ja immer der Spinner an Bord, über den man heimlich lacht und den keiner für voll nimmt. Aber ich sage nur: Ihr alle werdet euch noch verdammt wundern.“
Damit ließ er Ferris nachdenklich stehen und kehrte auf das Achterdeck zurück. Tucker sah ihm lange nach, dann schüttelte er unmerklich den Kopf.
Der Hafen war jetzt klar zu erkennen. Auch Menschen unterschied man schon, die an der Pier standen und den beiden heransegelnden Schiffen entgegenblickten. Auf der „Wappen von Kolberg“ wurden jetzt ebenfalls die Segel ins Gei gehängt, und beide Galeonen trieben langsam auf den Hafen zu. Je zwei Segel standen noch an den Rahen.
Dan O’Flynn griff zum Spektiv und blickte hindurch. Das war reine Gewohnheitssache, und auch diesmal streifte sein Blick durch die Optik die Leute an der Pier und die Boote im Hafen.
Ganz flüchtig zog die Optik auch an dem Reiter mit den vier Pferden vorbei, und Dan wollte das Spektiv gerade an Ben Brighton weitergeben.
„Was ist?“ fragte Ben, als die Hand wieder zurückzuckte.
Dan O’Flynn gab keine Antwort. Erneut nahm er das Spektiv hoch und sah auf die Pier. Der Reiter wanderte in die Optik, aber er hatte sein Gesicht leicht zur Seite gedreht und blickte in diesem Augenblick zu den Schuppen hin.
Dan sah seine schmuddelige Jacke, darüber einen Schlapphut. Aber die Gestalt erschien ihm doch vertraut, wenn sie durch die Kleidung auch fast unkenntlich wirkte.
Da drehte der Mann auf dem Pferd sein Gesicht wieder und blickte genau zur „Isabella“ herüber.
„Verdammt!“ rief Dan O’Flynn verdattert. Er setzte den Kieker ab, rieb sich die Augen und hatte ihn gleich darauf wieder am rechten Auge.
„Was ist denn?“ fragte Ben erneut, und wieder erhielt er zu seiner Verwunderung keine Antwort.
Dan O’Flynn schluckte hart. Das Gesicht des Mannes! Verdammt, dachte er schluckend, das gibt es doch gar nicht. Ihm klappte glatt der Unterkiefer weg vor Verblüffung.
„Ich werd verrückt!“ schrie er. „Ich seh Geister!“
Dann schien Dan O’Flynn tatsächlich verrückt zu werden, jedenfalls benahm er sich so, als sei er jetzt durchgedreht.
Er warf dem verdutzten Ben Brighton den Kieker zu, riß die Arme hoch und vollführte zum Erstaunen aller eine Art Wildentanz auf.
Er schlug Hasard auf die Schulter, riß dem schweigend dastehenden Ben wieder den Kieker aus der Hand, linste hindurch und ließ das Ding einfach auf die Planken fallen.
„Ein Sonnenstich kann es nicht sein“, sagte Big Old Shane. „Vielleicht hat ihn was anderes gestochen.“
Auch der Seewolf blickte Dan an, als sei der von allen guten Geistern verlassen.
Dan setzte ein paarmal zum Sprechen an, brachte aber vor wilder Freude, Verblüffung und Staunen keinen Ton heraus. Dafür vollführte er wieder seinen verrückten Tanz.
„Gary!“ brüllte er dann. „Gary steht auf der Pier! Seht euch den Kerl mit den vier Pferden an! Das ist Gary Andrews!“
Ein paar der Seewölfe blickten erst peinlich berührt auf Dan, dann schluckten sie kräftig, und gleich darauf ging auf dem Achterdeck fast eine Prügelei um den Kieker los.
Hasard vergaß für Augenblicke das Schiff, riß den Kieker hoch und merkte, daß seine Hände zitterten. Die anderen standen ungeduldig und erwartungsvoll daneben.
Als er zur Pier hinübersah, da traf auch den Seewolf fast der Schlag, denn jetzt winkte der Reiter wie ein Wilder, riß die Arme hoch und begann zu brüllen.
„Gary!“ brüllte Hasard wild. „Es ist Gary, Leute!“
Was dann geschah, ließ den ganzen Hafen zittern. Auf der „Isabella“ war von einer Sekunde zur anderen der Teufel los.
Die Kerle hüpften auf dem Deck herum, brüllten so laut: „Arwenack!“, daß die Hafengebäude zitterten und einige Leute verstört aus den Häusern liefen, um nachzusehen, was da passiert sei.
Die meisten wollten es immer noch nicht glauben, rannten aufs Achterdeck, starrten hinüber und brüllten dann los.
„Gary ist wieder da!“ schrie Luke Morgan. „Den bringt wirklich nichts um! Der hat es geschafft!“
Gegenseitig hauten sie sich auf die Schultern, daß es nur so krachte. Ein Alptraum war von ihnen gewichen, und nun ging es keinem schnell genug, bis sie endlich anlegen konnten.
Matt Davies und Blacky, die die ganze Zeit mit verbiesterten und traurigen Gesichtern herumgelaufen waren, horchten ungläubig auf und rannten ebenfalls nach achtern.
„Stimmt das wirklich?“ fragte Blacky aufgeregt und mit knallrotem Schädel.
„Er ist es wirklich“, sagte Hasard lachend. „Es ist unser Gary, er hat es wirklich geschafft.“
„Kein Gespenst?“ vergewisserte sich Blacky noch einmal.
„Schau selbst durch den Kieker.“
Das tat Blacky auch, doch kaum hatte er einen Blick auf Gary Andrews erhascht, da riß ihm Matt Davies das Spektiv weg, blickte zum Land und riß jubelnd die Arme hoch.
So schnell war an Bord der „Isabella“ noch nie die Stimmung umgeschlagen. Erst zu Tode betrübt, jetzt himmelhoch jauchzend.
Aber es wurde noch verrückter, denn nun begann Blacky plötzlich zu spinnen und hatte es furchtbar eilig. Er hatte es so eilig, daß er in seiner Aufregung sogar vergaß, sich vorschriftsmäßig abzumelden.
Alle, die auf dem Achterdeck standen, waren vor Verblüffung starr, als Blakky mit einem lauten Freudengeheul einfach Anlauf nahm und mit einem wilden Satz über Bord hechtete. Im Wasser schlug er auf wie eine riesige Kanonenkugel und begann sofort wie ein Irrer zu paddeln.
Hasard starrte ihm nach, Old O’Flynn kratzte sich vor Verblüffung das Kinn und blickte ungläubig ins Wasser, wo Blacky mit wilden Schwimmbewegüngen zur Pier schwamm, im Wasser die Arme hochriß und vor Freude fast ersoff, weil er dauernd winkte und brüllte.
„Jetzt hat’s bei dem restlos ausgehakt“, meinte Carberry grinsend. „Der ist total verrückt geworden.“
„Laß ihn“, sagte Hasard lachend. „Ich kann es ihm wirklich nicht verübeln, er glaubt, er hat etwas gutzumachen.“
„Das glaube ich nämlich auch, Sir“, sagte der Hakenmann Matt Davies und nickte dem Seewolf grinsend zu.
Noch bevor ihn jemand daran hindern konnte, nahm er ebenfalls Anlauf und hechtete über Bord.
Big Old Shane schlug kopfschüttelnd die Hände vor das Gesicht.
„Die sind wirklich übergeschnappt“, murmelte er. „In ein paar Minuten legen wir doch sowieso an.“
„Die beiden haben wirklich gute Gründe“, sagte Hasard.
Er war jetzt wie ausgewechselt. Die Traurigkeit war aus seinen Zügen verschwunden, sein Rücken war nicht mehr gebeugt, er konnte endlich wieder lachen, und den anderen erging es ebenso. In den Gesichtern stand eine überschwengliche Fröhlichkeit.
Smoky trat nervös von einem Bein auf das andere und blickte mal ins Wasser, mal zur Pier hinüber. Dort rannte Gary aufgeregt hin und her, im Bach paddelte Blacky, der schon fast die Pier erreicht hatte, und ihm folgte Matt, der der langsam driftenden „Isabella“ ebenfalls vorausschwamm.
„Wage es ja nicht, jetzt auch noch über Bord zu gehen, du Quakfrosch“, sagte der Profos freundlich. „Wenn wir alle außenbords springen, wer macht dann das Schiff fest, was, wie?“
„Aber …“, sagte Smoky.
„Hier gibt’s kein Aber!“ blaffte ihn der Profos an. „Du bleibst an Bord, verstanden?“
Smoky grinste. „Verstanden“, sagte er und blieb an Bord.
Inzwischen hatte Blacky die Pier erreicht und zog sich an einer Eisenleiter hoch. Triefnaß enterte er auf, stürmte los und sauste in seinem Eifer prompt über einen der Hafenpolier. Er überschlug sich und war schon wieder auf den Beinen.
Dann begrüßten sich die beiden, hauten sich auf die Schultern und brüllten sich vor Freude an. Auf die anderen Leute nahmen sie keine Rücksicht. Wie zwei Irre tanzten sie über die Pier und lachten.
Auch Matt Davies enterte jetzt tropfnaß auf und wetzte los. Gleich darauf lagen sie sich zu dritt in den Armen.
Der sauertöpfische Mac Pellew grinste ebenfalls, und wenn er sein trauriges Gesicht zu einem Lachen verzog, dann sah er meist noch trauriger und melancholischer aus.
„Statt da rumzuschwimmen“, meinte er, „sollte man für den armen Kerl lieber was kochen, damit er was zwischen die Zähne kriegt. Muß ja halb verhungert sein, der Junge. He, was meinst du dazu, Kutscher?“
Der Kutscher nickte strahlend.
„Klar, damit er nicht gleich aus den Stiefeln kippt. Er kriegt natürlich was ganz Besonderes zur Feier des Tages. Was können wir ihm denn zubereiten?“
„Er ißt gern Pfannkuchen mit Sirup“, sagte Mac überlegend. „Jedenfalls sind wir ihm noch eine große Portion schuldig, weil es die am Tag nach seinem Verschwinden ja gab.“
„Dann hauen wir ihm welche in die Pfanne“, sagte der Kutscher.
Sie nickten sich beide zu und verschwanden gemeinsam in der großen Kombüse, um Pfannkuchen zu bakken.
„Wir backen ihm einen ganzen Laderaum voll“, sagte Mac.
„Und dazu kriegt er ein ganzes Faß Sirup.“
„Hopp auf, ihr Lahmärsche!“ motzte der Profos unterdessen an Deck herum. „Warum dauert das Anlegen denn ausgerechnet heute so lange?“
„Weil wir noch nicht an der Pier sind!“ rief Smoky zurück. „Schließlich können wir den Kahn ja nicht schieben.“
Alle fieberten dem Augenblick des Anlegens entgegen. Sie standen klar bei Leinen und schimpften verhalten, weil das Schiff ihrer Meinung nach zu langsam an die Pier lief.
Die „Wappen von Kolberg“ war noch hinter ihnen und hatte ihre Fahrt absichtlich verzögert. Auch Arne von Manteuffel war nicht entgangen, was da passiert war und daß der Totgeglaubte und Ertrunkene wieder fröhlich durch die Gegend ritt, als wäre nichts gewesen.
Deshalb ließ er den Seewölfen den Vortritt beim Anlegen und freute sich mit ihnen, die ganz aus dem Häuschen waren und sich so benahmen, wie er sie noch nie erlebt hatte.
„Unter den Burschen ist der Zusammenhalt einmalig“, sagte er zu Hein Ropers. „Da geht jeder für jeden durch die Hölle, ohne erst lange zu fragen. Auf die Kerle kann man stolz sein.“
Hein nickte versonnen. Ein ähnlicher Geist herrschte unter Arne von Manteuffel bereits auf der „Wappen von Kolberg“. Nur war er noch nicht so ausgeprägt wie bei den Seewölfen.
„Das werden sie heute feiern“, meinte er, „und wir haben allen Grund, kräftig mitzuhalten.“
Das war der Augenblick, in dem die „Isabella“ anlegte.
Niemanden hielt es mehr an Bord, obwohl es vernünftiger gewesen wäre, wenn Gary über die Stelling marschiert wäre. Aber von Vernunft war in diesem Augenblick keine Rede mehr.
Sie rannten Gary fast über den Haufen und schrien sich dabei die Kehlen heiser vor lauter Freude.
Inzwischen hatten sich eine Menge Zuschauer eingefunden, und nun, als das Gebrüll noch lauter wurde und die Kerle einen seltsam gekleideten Mann feierten und hochleben ließen, als sei der der liebe Gott persönlich, da kriegten es einige doch mit der Angst.
Aus den umliegenden Häusern strömten neugierige Leute heraus und starrten auf die seltsame Prozession. Einige andere schlugen die Fensterläden zu in der Meinung, eine Piratenhorde hätte den Hafen überfallen und säbele alles nieder.
So sah es von weitem auch tatsächlich aus. Da balgte sich eine ganze Horde auf der Pier, stob auseinander, lief wieder zusammen und schrie und heulte zum Gotterbarmen.
Gary Andrews befand sich plötzlich in der Waagrechten, als viele Hände ihn hochhoben und in die Luft warfen.
„Wir tragen dich aufs Schiff!“ brüllte Smoky. „Du kannst ja allein gar nicht mehr laufen!“
„Ich kann noch laufen“, protestierte Gary schwach.
Aber seine Worte gingen im Hurragebrüll der Arwenacks unter, und so fingen sie ihn auf und trugen ihn an Bord, wo sie ihn auf der Kuhl vorsichtig auf die Beine stellten.
Plymmie begann wie rasend zu kläffen. Arwenack flitzte von einer Ecke zur anderen, hockte sich vor Gary hin und schnitt Grimassen, als wolle er ihn aufheitern.
Angesteckt von dem wilden Gebrüll, sauste auch Sir John von der Großrah herunter und strich flatternd über das Deck. Dabei verhunzte er die menschliche Sprache wieder in allen Tonarten und ließ lästerliche Flüche vom Stapel, die er vom Profos gelernt hatte.
„Jetzt erdrückt ihn doch nicht!“ rief Ben Brighton. „Laßt ihn doch erst einmal verschnaufen!“
Jeff Bowie hatte Gary inzwischen den Schlapphut vom Kopf gerissen, ihn sich selbst auf den Kopf gesetzt und tanzte vor Freude wie ein Irrer herum.
Hasard schob sich mit energischen Handbewegungen durch das Gewühl seiner Männer. Er wirkte direkt ausgelassen. Kein Wunder, sie hatten ja auch einen Totgeglaubten wieder zurück, einen Mann, von dem sie angenommen hatten, daß er ertrunken wäre. Da war die Wiedersehensfreude ganz verständlich.
Und dann stand er vor dem hellblonden, hageren Gary Andrews, dessen schmales Gesicht von den zurückliegenden Strapazen gezeichnet war. Aber zäh und verbissen hatte er sich bis hierher nach Rügenwalde durchgeschlagen – noch dazu mit vier Pferden. Wo er die nur herhatte, dieser Kanonensohn!
„Gary“, sagte Hasard leise und verstummte wieder, weil er nicht weitersprechen konnte. Irgend etwas würgte ihm die Kehle zu.
Gary Andrews richtete sich etwas auf.
„Melde mich zurück an Bord, Sir“, sagte er heiser.
Und dann sackte er zusammen. Hasard konnte ihn gerade noch auffangen. Es war wohl doch alles ein bißchen viel für Gary gewesen.
Und darum trug der Kapitän seinen Fockmastgasten selber in den Krankenraum unter der Back …

Roy Palmer
Meuchelmord
1.
Mit finsterem Blick musterte Erich von Saxingen von seinem Eckplatz in der Schenke aus die fünf anderen Gäste, die sich an diesem Nachmittag an den klobigen Eichenholztischen niedergelassen hatten.
Man schrieb den 4. April 1593, und es schien ein völlig ereignisloser Tag zu bleiben, der seinen Abschluß in grenzenloser Langeweile fand, hier, im Hafen Rügenwaldermünde, wie drüben in der Stadt Rügenwalde, die auf der anderen Seite der Wipper lag. Die Männer wechselten nur wenige Worte, keiner lachte. Der Wirt sah ihnen mit unbewegter Miene zu, er stand hinter seiner Theke und hatte die Ellenbogen auf der Kante der blankgewetzten Platte aufgestützt. Die einsilbig geführte Unterhaltung schlief ein und wich wieder einem anhaltenden Schweigen, das nur durch das Gluckern unterbrochen wurde, mit dem die Bierkrüge gefüllt wurden.
Auch von Saxingen stellte fest, daß sein Humpen leer war. So griff er nach der Kruke und schenkte nach, trank und wischte sich den Schaum mit dem Handrücken vom Mund. Er war schon leicht angetrunken, seine Augen waren gerötet. Doch die Zecherei bereitete ihm weitaus weniger Spaß als daheim auf dem Gut der von Saxingens in Estland. Es mangelte an der nötigen Stimmung, daran vermochte auch Bruno von Kreye nichts zu ändern, der soeben wieder die Gaststube betrat.
Erich von Saxingen leerte seinen Humpen, setzte ihn hart auf dem Tisch ab und füllte für Bruno von Kreye und für sich nach. Von Kreye ließ sich bei ihm nieder, ergriff den Humpen und trank mit konzentrierter Miene.
Dann sagte er: »Mit den Pferden ist alles in Ordnung. Ich habe ihnen eben nochmal zu saufen gegeben und ihre Futtersäcke neu gefüllt.«
»Gut«, sagte von Saxingen, aber seine Miene blieb mürrisch. »Zum Teufel, wir sind wohl dazu verdammt, noch Tage in diesem elenden Nest auszuhalten. So ein Mist. Hier ist nichts los, es scheint nicht einmal ein paar hübsche Weiber zu geben.«
Bruno von Kreye warf rasch einen Blick zu den anderen Anwesenden. Die hatten sich behäbig zu ihnen umgewandt und musterten sie scheinbar gleichgültig und ohne erkennbare Gemütsbewegungen. Doch von Kreye wußte, daß man sich vor ihnen in acht nehmen mußte.
»Sprich nicht so laut«, sagte er deshalb gedämpft zu seinem Freund. »Vergiß nicht, daß wir nicht auffallen wollen.«
»Diesen blöden Ochsen würde ich am liebsten was in die Fresse hauen«, murmelte von Saxingen und gab dadurch wieder einmal zu verstehen, daß er weder über die Ausdrucksweise noch über die Erziehung noch über die Haltung verfügte, die man von einem Adligen eigentlich erwartete. Er leistete sich die Allüren eines Junkers, wie es im übrigen auch sein Bruder Hugo tat, der seit einiger Zeit verschollen war und nach dem er suchte.
Auch von Kreye war da nicht anders. Und die anderen Großgrundbesitzer, die hoch oben zwischen Estland und Ingermanland nicht weit von der Narwa-Bucht entfernt ansässig waren und zu den Freunden der von Saxingens gehörten – die von Rammsteins, die von Berlepschs, Wolfraths und wie sie alle hießen! Keiner von ihnen erwies sich als rühmliche Ausnahme. Sie waren fast alle mies und verdorben und hatten nichts anderes zu tun, als der Jagd zu frönen, sich Saufgelagen und der Völlerei hinzugeben, ihr Gesinde zu kujonieren und den Frauen nachzusteigen.
Die beiden Männer hatten ihre Güter für einige Zeit im Stich gelassen, weil sie einen selbstgesetzten Auftrag durchzuführen hatten. Oder anders ausgedrückt: Es war eine Schandtat, die sie planten. Von Saxingen wußte mit Sicherheit, daß sein älterer Bruder verschwunden war, weil Arne von Manteuffel ihn verschleppt hatte.
In Reval hatten Arne und die Männer der »Wappen von Kolberg« am Pranger gestanden, doch es war ihnen geglückt, sich zu befreien, und zwar genau zu dem Zeitpunkt, als auch Hugo von Saxingen und der polnische Generalkapitän Witold Woyda anwesend gewesen waren. Erich von Saxingen und Bruno von Kreye hatten ebenfalls in Reval geweilt, waren aber zu spät erschienen, um für den Junker Hugo noch irgend etwas tun zu können. Er war bereits verschwunden gewesen.
Erich von Saxingen und Bruno von Kreye waren auf der Reise nach Reval Hugo von Saxingens Begleiter gewesen. Gleich am Morgen nach der Entführung der Freiin Gisela von Lankwitz durch die Männer der »Isabella IX.« – sie hatten sie während eines Gelages einfach von dem Gut der von Saxingens weggeholt, und zwar nach einer harten Schlägerei – waren sie aufgebrochen, um bei dem polnischen Generalkapitän Woyda, der sich ihres Wissens in Reval aufhielt, Alarm zu schlagen.
Da Hugo nicht wieder aufgetaucht war, hatten sich die beiden Junker nach Rügenwalde gewandt. Sie wußten, daß die Freiin von Lankwitz aus dieser Stadt stammte, und sie waren sicher, daß Arne von Manteuffel den Hafen so schnell wie möglich anlaufen würde, um seiner Verlobten die Möglichkeit zu geben, ihre besorgten Eltern wiederzusehen.
Daß die Seewölfe und Arne von Manteuffels Mannschaft unterdessen auch Witold Woyda in Hapsal gefangengenommen hatten, war Erich und Bruno allerdings nicht bekannt. Sie waren nach Hugos Entführung sogleich aufgebrochen und nach Pommern geritten. Tage hatten sie gebraucht, doch jetzt waren sie hier und wollten nicht mehr von der Stelle weichen, bis Philip Hasard Killigrew und Arne von Manteuffel auftauchten. Zumindest aber wollten sie versuchen, etwas über das Schicksal Hugos zu erfahren.
»Übrigens«, sagte Bruno von Kreye, nachdem er seinen Humpen geleert und einen genüßlichen Laut von sich gegeben hatte. »Wenn wir schon dazu verdammt sind, ein paar Nächte hier zu verbringen, sollten wir uns wenigstens um ein ordentliches Quartier ohne Wanzen und Läuse kümmern. Ich meine, ich halte es nicht für richtig, daß wir uns aufs Geratewohl irgendeine Herberge aussuchen. Wir sollten wählerisch sein.«
»Genau das.« Erich von Saxingen trank noch den letzten Rest Bier aus, der in der Kruke war, dann knallte er ein paar Münzen auf den Tisch und erhob sich mit einem Ruck. Grußlos verließ er die Schenke. Bruno von Kreye folgte ihm. Die anderen Gäste sahen sich untereinander an, und als die Tür hinter den beiden Junkern ins Schloß gefallen war, schüttelten sie die Köpfe.
Der Wirt sah rasch nach, ob die Bezahlung auch stimmte, doch in diesem Punkt hatten sich die beiden nicht lumpen lassen. Von Saxingen hatte reichlich Silberlinge auf den Tisch gezählt, es sprang sogar noch ein tüchtiges Trinkgeld dabei heraus. Das genügte dem Wirt, er räumte die Kruke und die Humpen ab, unterzog den Tisch einer symbolischen Reinigung und begab sich hinter die Theke zurück.
Die beiden Junker hatten inzwischen noch einmal nach ihren Pferden gesehen und schlenderten zu der nächsten Herberge, die sie einer gründlichen Inspektion unterziehen wollten. Hierbei fiel ihr Blick jedoch auf die Wipper, und sie gewahrten zu ihrem Erstaunen einen Mann mit vier Pferden, der von dem Fährmann ans diesseitige Ufer übergesetzt wurde. Sie blieben stehen und beobachteten ihn.
»Was will ein einzelner Kerl mit vier Gäulen?« fragte von Kreye. »Das ist doch wohl mehr als merkwürdig.«
»Vielleicht führt er sie zur Tränke«, sagte von Saxingen.
»Nein. Er hätte sie nur am Fluß zu tränken brauchen, dazu braucht er doch keine Fähre.«
Von Saxingen grinste. »Dann führt er sie wohl zum Schlachthof. Oder sie sollen auf irgendein Schiff.«
»Es liegt kein größeres Schiff im Hafen«, sagte von Kreye mit einem neuerlichen, diesmal argwöhnischen Blick zu der Fähre.
Die Fähre legte an, der Mann schwang sich in den Sattel eines Pferdes, ritt von Bord und führte die drei anderen Tiere mit sich fort. Er erreichte die Hafenpier, hielt an und begann, auf die See hinauszusehen, als erwarte er ein Schiff.
Von Saxingen lachte hämisch. »Der Bursche gefällt mir, der hat Humor. Wenn er glaubt, da kommt ein Schiff, hat er sich wohl getäuscht. Es wird ja gleich dunkel, da tut sich nichts mehr. Und wir haben uns ja auch schon die Augen nach einer Galeone aus dem Kopf geglotzt, nicht wahr?«
»Vielleicht weiß er mehr als wir«, gab von Kreye zu bedenken. »Vielleicht gehört er sogar zu ihnen.«
»Zu wem?« Das viele Bier zeigte nun doch einige Wirkung, mit von Saxingens Begriffsvermögen war es nicht mehr weit her.
»Zu den englischen Hurensöhnen und ihrem Teufelskapitän«, erwiderte Bruno von Kreye. »Oder aber zu der von Manteuffel-Bande.«
»Warum ist er dann hier und nicht auf seinem Schiff?« fragte von Saxingen. Ungeniert gab er einen heftigen Rülpser von sich.
»Ihn selbst können wir das nicht fragen«, erwiderte Bruno von Kreye. »Laß uns zu dem Fährmann gehen, vielleicht weiß der uns was zu erzählen.«
»Meinetwegen«, brummte von Saxingen. »Aber so kommen wir doch nicht weiter, das sag ich dir gleich.«
Ohne von dem Mann mit den vier Pferden bemerkt zu werden, gingen sie zur Wipper hinunter und traten zu dem Fährmann, der sich gerade anschickte, sich am Heck seines Fahrzeugs niederzulassen und ein Schläfchen zu halten.
»Auf ein Wort, Mann«, sagte Bruno von Kreye. »Ich hätte gern eine Auskunft von dir.«
»Das Übersetzen kostet einen halben Pfennig«, sagte der Fährmann. Ohne Hast schritt er auf die beiden Männer zu und musterte sie. Von weitem betrachtet, erweckten sie wegen ihrer teuren Kleidung den Eindruck hochwohlgeborener Persönlichkeiten, vor denen man sich zu verneigen hatte. Doch aus der Nähe stellte sich die Lage anders dar. Der Fährmann sah einen ferkelgesichtigen jungen Kerl und einen etwas älteren Mann mit vierschrötigem, unfreundlichem Gesicht vor sich. Seine Menschenkenntnis und Erfahrung sagten ihm, daß sie nichts Gutes im Schilde führen konnten. Vorsicht war geboten.
»Wir wollen nicht rüber«, sagte Erich von Saxingen unwirsch. »Wir wollen was anderes. Wer ist der Kerl mit den Pferden?«
»Der seltsame Mann, der eben den Fluß überquert hat«, fügte Bruno von Kreye hinzu, als müsse er noch etwas präzisieren. »Wer mag das sein?«
»Tja«, sagte der Fährmann. »Wer mag das wohl sein?«
Von Kreye zeigte ihm eine Silbermünze. Der Mann betrachtete sie interessiert, wurde aber erst richtig auskunftsbereit, als sie in seiner Hand verschwand.
»Ich habe seine Sprache nicht verstanden«, sagte er. »Aber eins habe ich doch mitgekriegt – er ist ein Engländer. Er scheint, wenn ich seine Gesten richtig deute, auf der Pier auf zwei Schiffe zu warten.«
Die beiden Junker tauschten einen Blick. Was von Kreye bereits vermutet hatte, schien sich zu bestätigen – der Mann mit den vier Pferden gehörte zur Crew der Seewölfe. Sie kannten ihn nicht, denn er war in der Bucht von Narwa nicht mit an Land gegangen und hatte das Gut der von Saxingens nicht aufgesucht.
Sie wußten also nicht, daß er Gary Andrews hieß, daß er mitten in der Nacht von Bord der »Isabella« gestürzt und in der See verschwunden war. Nach einem haarsträubenden Abenteuer, das ihn um ein Haar das Leben gekostet hätte, und nach einem beschwerlichen Ritt hatte er es nun endlich geschafft, Rügenwalde zu erreichen.
All dies war den beiden unbekannt. Sie wußten nur das eine – daß sie sich von jetzt an noch vorsichtiger verhalten mußten.
Sie schärften dem Fährmann ein, daß er kein Wort von dem, was sie gesprochen hatten, verlauten lassen dürfe, dann verschwanden sie in dem fahlen Dämmerlicht, das sich über Rügenwalde und seinen Hafen gesenkt hatte.
Nicht weit von der Pier entfernt, auf der Gary Andrews stand und wartete, wählten sie ihren Beobachtungsposten hinter einer Jolle aus, die kieloben neben einem Geräteschuppen lag und offensichtlich frisch gepönt und kalfatert werden sollte. Hier gingen sie in Deckung. Erich von Saxingen war inzwischen wieder stocknüchtern.
Im letzten verblassenden Büchsenlicht erspähten sie wenig später die beiden Schiffe, die sich dem Hafen näherten.
»Mich laust der Affe«, sagte Bruno von Kreye. »Der eine Kahn ist doch tatsächlich die Galeone dieses Killigrew.«
»Ich hole die Waffen«, zischte Erich von Saxingen. Mit diesen Worten war er auch schon in der Dunkelheit verschwunden.
Mit gemischten Gefühlen verfolgte Bruno von Kreye, wie die beiden Segler in den Hafen einliefen. Deutlich genug waren immer noch die hohen Masten, die langen Rahruten und die flachen Aufbauten der »Isabella« zu erkennen, aber auch die Umrisse des zweiten Schiffes. Es handelte sich um eine etwas kleinere Dreimast-Galeone. Von Kreye glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er auf dem Achterdeck die Gestalten zweier Menschen entdeckte, die ihm sehr wohl bekannt waren. Unwillkürlich hielt er den Atem an.
Erich von Saxingen kehrte zu ihm zurück und kauerte sich neben ihn. Er hatte die Musketen mitgebracht, die sie an den Sätteln ihrer Pferde befestigt hatten.
»Die Pferde habe ich auch vom Hof der Schenke geholt«, raunte er seinem Begleiter zu. »Ich habe sie drüben, in der Nähe der Hafenmeisterei, angebunden.«
»Gut«, sagte von Kreye gedämpft. »Sieh mal, wer da auf dem Achterdeck der kleineren Galeone steht.«








