Kitabı oku: «Seewölfe Paket 17», sayfa 21
6.
Die Augen der Zwillinge leuchteten vor Begeisterung.
Hasard sah sie an, erinnerte sich lächelnd an die Standpauke, die er ihnen noch immer nicht erteilt hatte, und beschloß, endgültig darauf zu verzichten. Gegenüber einem de Coria galt nicht das, was er vorgehabt hatte, ihnen über Fairneß zu erzählen.
Arne klopfte seinem Vetter lediglich auf die Schulter. Was er sagen wollte, war damit gesagt.
„Alle Achtung“, sagte Hasso von Manteuffel, der am Fenster stand und sich nun umdrehte. „Dein Verhalten war hart und kompromißlos, Hasard. Aber es war absolut gerechtfertigt. Ich denke, wir alle, die gesamte Familie, stehen dahinter.“
„Daran gibt es nichts zu deuteln“, fügte Arne hinzu, „dieser de Coria beschmutzt unseren guten Namen.“
Der Seewolf bedankte sich mit einem Lächeln.
„Ich fürchte allerdings, daß es noch nicht ausgestanden ist. Die Schwierigkeiten fangen erst an. Aber ich werde diese Suppe allein auslöffeln. Ich möchte nicht, daß ihr noch weiter hineingezogen werdet.“ Nils Larsen übersetzte in der gewohnten zügigen Art.
Hasso von Manteuffel wehrte ab.
„Nein, wir lassen dich mit dieser bösen Angelegenheit nicht allein. Egal, wie die Folgen aussehen. Denn Komplikationen wird es mit Sicherheit geben. De Coria hat sich ja als Gesandter seines Königs vorgestellt. Schlimmstenfalls könnte es sogar diplomatische Verwicklungen mit Spanien geben.“
„Abwarten“, entgegnete der Seewolf gelassen, „erstens ist Spanien weit von uns entfernt. Zweitens handelt es sich um eine reine Privatsache. Mit de Corias Funktion als Gesandter hat das überhaupt nichts zu tun.“
„Vielleicht ist er gar kein Gesandter“, sagte Arne.
„Ebendrum.“ Hasard nickte. „Ich traue diesem Lumpenhund zu, daß er seinen Status nur vorgegeben hat. Wenn es so ist, konnte er seinem Betrug dadurch mehr Gewicht verleihen. Im übrigen bin ich als Sohn des Godefroy von Manteuffel schamlos beleidigt worden. Deshalb bin ich bereit, für alle Folgen dieser Auseinandersetzung die Verantwortung zu tragen – auch vor einem Gericht.“
„Dazu wird es niemals kommen“, sagte Arne im Brustton der Überzeugung.
„Man muß mit allem rechnen“, wandte Hasso von Manteuffel ein, indem er den Kopf wiegte.
„Wie auch immer“, sagte Hasard, „objektive Richter können nichts anderes tun, als de Coria wegen betrügerischer Absichten und Fälschung eines Dokuments des Landes zu verweisen.“
„Wenn man ihn nicht gleich in den Kerker wirft“, sagte Arne.
„Im Grunde ist es unvorstellbar“, sagte Hasard, „man muß sich das einmal vor Augen halten: Diese sogenannte Urkunde ist 1592, also vor einem Jahr, abgefaßt worden – unter Vorspiegelung eines noch lebenden Godefroy von Manteuffel, der aber schon um 1556 als Malteserritter in die Hände des Uluch Ali gefallen und nachweislich 1580 von Salvador de Coria ermordet worden ist. Außerdem sind die Spielschulden reine Phantasieprodukte. Wie sollte ein Galeerensklave jemals Gelegenheit haben, zehntausend Goldtaler im Spiel zu verjubeln?“
„Von einem Toten ganz zu schweigen“, fügte Arne voller Bitterkeit hinzu.
„Der Tatbestand ist eindeutig“, sagte Hasso von Manteuffel, „hier sollte auf infamste Weise Geld erpreßt werden. Oder dieser spanische Betrüger wollte sich an unserem Familienbesitz bereichern. Ich würde nur gern erfahren, woher de Coria zum Beispiel sein Wissen über das Gut Alt-Quetzin hat.“
Der Seewolf winkte lächelnd ab.
„Das ist leicht zu beantworten. Wahrscheinlich hat er Agenten hier in der Gegend herumschnüffeln lassen. Und das sicherlich schon zu einem Zeitpunkt, als er seinen Betrug noch geplant hat.“
„Ja, so wird es gewesen sein. Das leuchtet ein.“ Hasso von Manteuffel nickte nachdenklich. „Und woher stammt die Unterschrift Godefroys?“
„Wahrscheinlich existiert ein altes Schriftstück mit der Unterschrift meines Vaters“, entgegnete Hasard nach kurzem Überlegen, „ich denke an dieses Abkommen, das die sauberen drei Brüder de Coria damals von ihm verlangt hatten. Er wurde praktisch gezwungen, fünf Jahre als Ritter im Malteserorden zu dienen. Das sollte so etwas wie eine Bewährungsprobe sein. Erst danach wären sie bereit gewesen, Godefroy als Gatten ihrer Schwester Graciela zu akzeptieren.“
„Eine Unverschämtheit“, sagte Arne knurrend, „als ob unsere Familie nicht standesgemäß wäre! Schurken und Betrüger haben wir jedoch nicht in unseren Reihen.“
Hasard sah ihn an.
„Du solltest diese Cliquen kennenlernen, zu denen Leute vom Schlage der de Corias gehören. Da gelten Maßstäbe, die unsereins sich kaum ausmalen kann. Was aber meinen Vater betrifft, so könnte ich mir vorstellen, daß er damals den Spieß umgedreht hat, indem er nämlich selbst dieses Schriftstück aufsetzen ließ, in dem bekundet wurde, daß die Brüder de Coria mit seiner und ihrer Schwester Heirat einverstanden seien, sofern der zukünftige Schwager fünf Jahre als Malteserritter gedient habe.“
„Und was hätte das geändert?“ fragte Arne.
„Nur so viel, daß mein Vater vielleicht versuchte, die de Corias mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Notariell beglaubigt, hätte das Schriftstück dann von beiden Seiten unterzeichnet werden müssen. Und dann war es kein Problem mehr, die Unterschrift des Godefroy von Manteuffel auf einem anderen Dokument zu fälschen, indem man sie abkupferte. Für einen geschickten Fälscher ist das kein Problem. Und das Geld, das für solche Dienste verlangt wird, können die de Corias mit Leichtigkeit aufbringen.“
Hasso von Manteuffel räusperte sich.
„Das ist alles stichhaltig und lückenlos. Ich denke, wir brauchen uns nicht länger die Köpfe heißzureden …“
Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihn. Hasso von Manteuffel antwortete mit einem vernehmlichen „Herein“, und ein Bediensteter des Hauses erschien.
„Ein spanischer Kapitän, ein Señor de Frias, wünscht den Kapitän Killigrew zu sprechen.“
„Du liebe Güte!“ rief Arne und verdrehte die Augen. „Jetzt geht das Theater von vorne los.“
Hasard schickte sich an, den Raum zu verlassen, um das unvermeidliche Gespräch draußen im Korridor zu führen.
„Halt, hiergeblieben!“ sagte Hasso von Manteuffel energisch. „Ich habe das bereits betont: Wir lassen dich mit dieser Geschichte nicht allein.“
„Also gut“, sagte der Seewolf ergeben, „aber …“
„Kein Aber.“ Hasso von Manteuffel wandte sich dem Diener zu. „Ich lasse den Kapitän bitten.“
Der Spanier stelzte herein, gefolgt von dem dicklichen Dolmetscher, der zweimal hintereinander heftig nieste.
„Wie ich höre, bin ich von Ihrem Diener bereits vorgestellt worden“, sagte de Frias mit herablassender Arroganz. „Weiter habe ich vernommen, daß hier Spanisch gesprochen wird. Ich bin also nicht unbedingt auf die Dienste meines Dolmetschers angewiesen.“
„Nein, das sind Sie nicht“, entgegnete der Seewolf. Er mußte sich bemühen, beherrscht zu bleiben. Dieser Mann paßte zu de Coria. Diese Sorte von Mensch hatte Hasard zur Genüge kennengelernt. Sie hielten Spanien für den Nabel der Welt und betrachteten alle anderen Nationen als Ungeziefer. Es hätte schon ein Wunder geschehen müssen, wenn hier ein anständiger, geradliniger Kerl von der „Santissima Madre“ erschienen wäre.
„Ich habe nicht vor, viele Worte zu verlieren“, sagte de Frias schnarrend. „Ich habe von Señor Rodriguez de Coria, dem Gesandten seiner Allerkatholischsten Majestät Philipp II., den Auftrag, Ihnen, Kapitän Killigrew, die Forderung zum Duell zu übermitteln. Señor de Coria ist von Ihnen zutiefst in seiner Ehre gekränkt worden und verlangt Genugtuung.“
Der Seewolf konnte sich eines Lächelns nicht erwehren.
„Welche Waffen?“ fragte er spöttisch.
„Degen“, antwortete de Frias schroff.
Hasards Lächeln wurde eisig.
„Ich glaube, der alte Herr sollte sich das sehr genau überlegen.“
„Señor de Coria ist imstande, seine Entscheidungen auch ohne Ihre Ratschläge zu treffen.“ Das Gesicht des spanischen Kapitäns war starr geworden.
„Teilen Sie ihm trotzdem mit, daß ich nichts davon halte, mich mit einem schwächeren Mann zu duellieren. Im übrigen mag Ihr verehrter Señor de Coria davon gehört haben, daß ich mich bereits einmal mit seinem Bruder Salvador duelliert habe. Auch damals waren Degen gewählt worden. Und mir war es eine Freude, Salvador de Coria mit dem Degen entkleiden zu dürfen, bis er in seiner ganzen Erbärmlichkeit nackt vor mir stand.“
„Ich bin nicht hier, um mir solche Geschichten anzuhören“, entgegnete de Frias fauchend. „Ich warte lediglich auf Ihre Entscheidung, Kapitän Killigrew.“
„Aber natürlich. Wenn die Geschichte zu Ende ist.“ Der Seewolf grinste herausfordernd. „Damals habe ich es aus unangebrachter Ritterlichkeit versäumt, Salvador de Coria zu töten. Hätte ich es getan, wäre mein Vater, der Malteserritter Godefroy von Manteuffel, nicht ermordet worden. Dieses Mal werde ich einen solchen Fehler nicht begehen. Falls der erlauchte Gesandte des spanischen Königs ein ebenso schlechter Degenkämpfer wie sein Bruder ist, sollte er mit seiner gekränkten Ehre lieber aus Kolberg verschwinden. Denn diese Ehre taugt sowieso nichts.“
„Ihre Entscheidung!“ drängte Kapitän de Frias wütend. Er hatte begonnen, ungeduldig von einem Bein auf das andere zu treten. „Sie nehmen die Forderung also an?“
„Mit einem letzten Ratschlag“, sagte Hasard übertrieben gedehnt. „Falls Señor de Coria nicht aus Kolberg verschwinden möchte, empfehle ich ihm dringend, seine Dinge zu ordnen und seinen letzten Willen niederzuschreiben. Vor allem aber sollte er einen Priester zu sich rufen und ihm die Unzahl seiner Sünden beichten, wobei Betrug sicher keine unwesentliche Rolle gespielt hat. Möglich, daß ihm dennoch Absolution erteilt wird.“
Kapitän de Frias wurde bleich vor Wut. Sein Gesicht verzerrte sich.
„Señor Killigrew!“ rief er schneidend. „Ich bin nicht gewillt, Ihre Unverschämtheiten länger anzuhören! Als Sekundant des Gesandten Seiner Allerkatholischsten Majestät bin ich auch beleidigt worden. Deshalb verlange ich von Ihnen ebenfalls Genugtuung.“
Der Seewolf blies amüsiert die Luft durch die Nase.
„Immer der Reihe nach“, sagte er trocken, „erst Rodriguez de Coria, dann Sie, Kapitän de Frias.“
„Das wird noch zu klären sein“, zischte de Frias.
„Oh, vielleicht fühlen sich noch mehr Señores beleidigt?“ entgegnete Hasard spöttisch. „Aber bitte sehr“, er deutete eine Verbeugung an, „bis heute abend nehme ich gern noch Duell-Forderungen an. Dann muß aber Schluß sein. Ich habe nämlich keine Lust, mich endlos lange mit gekränkten Señores herumzuschlagen, die dauernd von Ehre schwafeln, obwohl sie diesen Begriff längst zum Popanz degradiert haben.“
De Frias wippte auf den Zehenspitzen, blaß und zornbebend. Es sah aus, als habe er die Absicht, jeden Augenblick nach dem Degen zu greifen.
„Bis heute abend erwarte ich die Mitteilungen hier im Hause von Manteuffel“, fuhr Hasard fort, „man braucht mir nur zu sagen, wann und wo und unter welchen Bedingungen die Duelle stattfinden sollen. Ich stehe zur Verfügung. Unser Gespräch ist damit beendet.“ Abermals grinste der Seewolf und deutete eine Verbeugung an.
Sekundenlang starrte ihn de Frias an, voller Wut, die Lippen zusammengepreßt. Doch statt einer Entgegnung wirbelte er abrupt herum und rauschte hinaus. Der kleine Dolmetscher Esteban Romero beeilte sich, seinem Kapitän zu folgen.
„Mann, o Mann!“ rief Nils Larsen begeistert. „Das war die richtige Sprache für diesen Wundersohn. Eigentlich hättest du ihm noch einen Tritt in den Hintern verpassen sollen.“
„Was nicht ist, kann noch werden“, entgegnete der Seewolf und lachte. Er schloß die Tür des Wohnzimmers.
„Willst du wirklich mit allen Spaniern kämpfen, Dad?“ fragte Hasard junior besorgt.
„Nicht mit allen, Junge. Es werden nur die Offiziere sein, die sich gemeinsam mit Señor de Coria gekränkt fühlen. Die spanischen Decksleute sind in solchen Dingen wesentlich normaler. Die werden einen Teufel tun und für die hirnrissigen Belange ihrer Oberen die Knochen hinhalten.“
„Wäre es nicht besser“, sagte Philip junior, „wenn wir die spanische Galeone gleich zu Klump schießen?“
„Das möchtest du wohl, was?“ entgegnete Nils Larsen grinsend. „In einem fremden Hafen veranstaltet man keinen Feuerzauber, wenn man nicht angegriffen wird. Ihr müßt noch eine Menge lernen, ihr lieben Kleinen.“
„Richtig“, sagte Hasard und nickte, „vor allem, die eigene Zunge im Zaum zu halten.“
Die Zwillinge wechselten einen Blick, grinsten verstohlen und schwiegen.
„Eins muß jedenfalls gesagt werden“, meldete sich Arne zu Wort. „Ich werde dir zur Seite stehen, Hasard. Ich bin genauso wie du bereit, Duelle anzunehmen. Schließlich sind alle von Manteuffels beleidigt worden. Wir haben doch vorhin schon darüber gesprochen. Es geht nicht an, daß du allein deine Haut zu Markte trägst.“
Der Seewolf schüttelte energisch den Kopf.
„Für die Duelle bin ich allein zuständig. Davon gehe ich nicht ab.“
Arne wollte etwas erwidern. Aber da war jener harte Glanz in den Augen Hasards. Arne kannte diesen Ausdruck, und er wußte, daß er seinen Vetter niemals von der getroffenen Entscheidung abbringen konnte.
Hasso von Manteuffel lud seinen Neffen, dessen Söhne und Nils Larsen ein, gemeinsam mit Arne zu Gast in seinem Haus zu sein. Hasard nahm an, obwohl es ihn drängte, auf die „Isabella“ zurückzukehren. Aber er brachte es nicht fertig, die Einladung des weißhaarigen Mannes abzuschlagen, der so uneingeschränkt auf seiner Seite stand.
Während der Nachmittagsstunden zeigte Hasso von Manteuffel seinen Gästen die Kontore des Handelshauses, die privaten Räume und auch die großen Speicher, in denen Waren aus aller Herren Länder gestapelt waren. Die Zwillinge fragten dem alten Mann Löcher in den Bauch, und Nils Larsen hatte mehr denn je zu tun, mit seinen Übersetzungen Schritt zu halten.
Am frühen Abend gab es ein handfestes Essen, das allen hervorragend mundete. Wenig später war es mit Ruhe und Entspannung wieder vorbei, denn Esteban Romero erschien als Bote von der spanischen Galeone.
„Ich habe die endgültigen Duell-Forderungen zu überbringen“, sagte er mit vibrierender Stimme. Seine Finger zitterten, als er in seine Ledermappe griff und ein Blatt Papier hervorzog. Er zögerte und senkte den Blick. Deutlich war ihm anzusehen, wie sehr er sich in der Höhle des Löwen fühlte, alleingelassen von denen, die ihn geschickt hatten.
„Lassen Sie schon sehen“, sagte Hasard, stand auf und nahm ihm das Papier aus der Hand.
Romero nieste schallend und schneuzte sich umständlich.
„Es handelt sich um eine Liste sämtlicher Duell-Forderungen“, sagte er schließlich. „Ich bin beauftragt worden, zu fragen, ob Sie diese Forderungen annehmen, Kapitän Killigrew.“
„Natürlich“, antwortete Hasard, „es ist fristgerecht, wie ich verlangt habe.“
„Dann darf ich mit Ihrer Zustimmung zurückkehren?“
„Eine Frage noch.“ Der Seewolf grinste. „Sie scheinen ein vernünftiger Mann zu sein, Señor Romero. Oder hat es einen anderen Grund, daß Ihr Name nicht auf der Liste steht?“
Der Dolmetscher errötete.
„Ich – ich bin nicht – der Mann für Ehrenhändel“, stammelte er ausweichend. Dann eilte er hinaus.
„Laß hören!“ rief Arne voller Spannung. „Wie viele sind es?“
„Sechs.“
„Was, mehr nicht?“ Hasards Vetter spielte Enttäuschung.
Hasso von Manteuffel schüttelte fassungslos den Kopf.
„Es ist aberwitzig genug, daß wegen eines einzigen Betrügers eine ganze Schar von Männern bereit ist, das Leben zu riskieren.“
„So ist Spanien“, sagte Hasard lächelnd. Er hob das Papier und las die Namen vor. „Außer de Coria und de Frias handelt es sich um die Offiziere Juan Franco López, Mauricio Serrano, Fernando de Vergara und Aurelio Calderón.“
„Sieht fast so aus“, sagte Nils Larsen grinsend, „als müsse die ‚Santissima Madre‘ nach diesen Duellen mit einem leeren Achterdeck nach Spanien zurücksegeln.“
7.
Die Abenddämmerung senkte sich über den Hafen von Kolberg. Es hatte zu regnen aufgehört, und die Luft war so klar und rein, daß die Männer an Bord der „Isabella“ begriffen, welche Vorzüge auch das Ostseeklima zu bieten hatte.
Die Arwenacks hielten es nicht mehr unter Deck aus, nachdem sie sich stundenlang vor dem Wolkenbruch verkrochen hatten. Von dem Steinpflaster am Kai stieg feiner Dunst auf, auch über der Wasserfläche im Hafenbecken lagen neblige Schwaden. Die Temperatur war erstaunlich mild. Der Frühling, der eigentlich schon begonnen hatte, rief sich selbst in Erinnerung.
Schritte von klirrenden Schnallenschuhen wurden laut.
„Wir kriegen Besuch!“ rief Luke Morgan, der am Schanzkleid lehnte. Und mit einem breiten Grinsen fügte er hinzu: „Vornehmen Besuch, mit Verlaub gesagt.“
Die Männer beendeten ihre Gespräche, schlenderten hinüber und betrachteten, was da heranspazierte.
Sie waren zu dritt. Der erste gehörte zur noblen spanischen Art, prächtig gekleidet mit besticktem Wams und federgeschmücktem Hut. Die beiden anderen waren Decksleute, bewaffnet mit Entermessern und einschüssigen Pistolen. Am Fuß der Stelling blieben sie stehen. Der Elegante zog seinen Hut und blickte zu den rauhen Kerls auf, die ihn grinsend beäugten.
Der Spanier war schlank und mittelgroß, trug die übliche Lockenperücke und hatte eine ausnahmsweise gesunde Gesichtsfarbe.
„Ich bin Doktor Alfonso de Armijo“, rief er, „und wünsche Kapitän Killigrew zu sprechen!“
Die Männer lachten verstohlen glucksend hinter der hohlen Hand. Edwin Carberry trat auf die Pforte im Schanzkleid zu, zog einen nicht vorhandenen Hut von seinem stoppelhaarigen Schädel und verneigte sich mit erstaunlicher Eleganz.
„Ihr Wunsch ist uns Befehl“, antwortete er in schönstem Spanisch, „in meiner Eigenschaft als Profos erlaube ich Ihnen, sich an Bord zu begeben.“
Doktor Alfonso de Armijo zögerte und räusperte sich unschlüssig. Das Empfangskomitee, das ihn so respektlos musterte, verursachte bei ihm Unbehagen. Doch er gab sich einen inneren Stoß und schritt mit gezierten Bewegungen die Stelling hinauf. Auf sein Handzeichen warteten die beiden Decksleute unten.
Die Arwenacks bildeten eine Gasse für den eleganten Besucher, hielten sich aber mit vorlauten Bemerkungen zurück. Ed Carberry hatte bereits die Zwillinge geschickt, damit sie ihren Vater riefen. Gemeinsam mit Ben Brighton verließ der Seewolf die Kapitänskammer. Abermals stellte sich der Spanier vor.
„Sagen Sie, was Sie vorzubringen haben“, entgegnete Hasard kühl.
„Es handelt sich darum“, sagte de Armijo, „daß Señor de Coria wünscht, das Duell gegen ihn solle als letztes stattfinden. Sonst bleibt die auf der Liste angegebene Reihenfolge bestehen. Kapitän de Frias wird also Ihr erster Gegner sein, Kapitän Killigrew.“
Hasard glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen.
„Sie schämen sich nicht, mit einem solchen Ansinnen hier zu erscheinen?“ sagte er fassungslos.
Alfonso de Armijo zog pikiert die linke Augenbraue hoch.
„Ich verbitte mir diesen Ton“, entgegnete er näselnd, „Señor de Coria ist der Ranghöchste an Bord der ‚Santissima Madre‘. Ihm steht es folglich zu, die Reihenfolge der Duelle zu bestimmen.“
„Völlig klar“, sagte Hasard höhnisch, „der ehrenwerte Señor baut darauf, daß seine fünf Vorkämpfer die Sache für ihn erledigen. Aber daraus wird nichts. Wer sich als erster beleidigt gefühlt hat, muß auch als erster kämpfen. Oder er muß sich gefallen lassen, daß man ihn einen Feigling nennt. Richten Sie das Ihrem ranghöchsten Señor aus.“
Doktor Alfonso de Armijo atmete hörbar auf.
„Señor Killigrew, ich weise Sie darauf hin, daß ich zum Sekundanten aller sechs Duell-Forderer ernannt worden bin. Ich bin über die Duell-Regularien sehr gut im Bilde. Sie irren sich, was die Reihenfolge betrifft. Nach dem geltenden Recht steht es dem zuerst Beleidigten zu, über die Modalitäten des Zweikampfes zu bestimmen. Es ist ungehörig, in diesem Zusammenhang von Feigheit zu reden. Für die fünf anderen Kämpfer ist es eine Ehre, für den Gesandten Seiner Allerkatholischsten Majestät eintreten zu dürfen.“
Hasard empfand das gleiche ungläubige Staunen, wie er es aus den Gesichtern seiner Männer ablas. Er dachte nicht mehr daran, sich zurückzuhalten.
„Hören Sie auf mit Ihrem ständigen Gefasel von der Ehre!“ fuhr er den Spanier an. „Nichts als Spiegelfechtereien sind das! Entweder hat de Coria den Mumm, als erster für seine gekränkte Ehre zu kämpfen, oder er läßt es bleiben. Die fünf anderen Narren können mir den Buckel herunterrutschen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“
De Armijo lief rot an.
„Señor Killigrew! Ich habe nicht nötig, mich auf diese vulgäre Art und Weise beschimpfen zu lassen. Ich weise Sie darauf hin …“
„… daß Sie sich ebenfalls in Ihrer Ehre gekränkt fühlen?“ unterbrach ihn der Seewolf wütend. „Verdammt noch mal, diese Borniertheit erreicht einen Punkt, an dem jedem normalen Menschen der Kragen platzen muß. Deshalb meine deutliche Sprache, verehrter Doktor! Was Sie vorhaben, ist schon kein Ehrenhandel mehr, sondern ein mieser Kuhhandel. Ich denke nicht daran, mich hier für dumm verkaufen zu lassen. Ich verlange, daß de Coria als erster gegen mich antritt. Teilen Sie ihm das mit. In spätestens einer halben Stunde erwarte ich die Antwort – ohne Wenn und Aber.“
„Ich habe verstanden“, sagte de Armijo gepreßt. Zu einem weiteren Kommentar ließ er sich nicht hinreißen. Er wandte sich ab, stolzierte eilig über die Planken des Hauptdecks und die Stelling hinunter.
Den Männern an Bord der „Isabella“ blieb nicht viel Zeit, ihrer Empörung Luft zu verschaffen.
Denn schon nach knapp zehn Minuten kehrte Doktor Alfonso de Armijo im Eilschritt zurück.
„Nun?“ fragte der Seewolf. „Hat sich der Gesandte zu einer Entscheidung durchringen können?“
De Armijo überhörte den spöttischen Unterton.
„Folgendermaßen“, erwiderte er schnarrend, „mein Mandant ist bereit, auf das Duell zu verzichten, wenn Sie, Kapitän Killigrew, sich in aller Form bei ihm entschuldigen.“
Hasard verschlug es die Sprache. Sekundenlang brachte er kein Wort hervor. Er brauchte seine ganze Beherrschung, um den Spanier nicht am Kragen zu packen und mit einem Tritt in den Hintern von Bord zu befördern.
„Hören Sie, de Armijo“, sagte er und zwang sich, so ruhig zu bleiben, wie er nur konnte. „Ich für meinen Teil habe nicht nötig, mich bei einem Betrüger zu entschuldigen. Ich bestehe auf dem Duell. Andernfalls werde ich Mittel und Wege finden, mir de Coria vor die Klinge zu holen.“
Alfonso de Armijo sperrte den Mund auf. Seine Augen weiteten sich, und sein Adamsapfel bewegte sich vor Entsetzen ruckartig auf und ab.
„Señor Killigrew!“ schrie er. „Sind Sie von Sinnen? Wie können Sie wagen, so von dem Gesandten Seiner Allerkatholischsten Majestät zu sprechen! Eine Unverschämtheit ist das, geradezu unglaublich! Señor de Coria wird sich das nicht bieten lassen. Er wird …“
„Halten Sie den Mund!“ schnitt ihm Hasard das Wort ab. „Dieser Mistkerl namens de Coria ist leider Gottes mein Onkel. Stolz bin ich darauf ganz und gar nicht. Aber ich nehme mir aus dieser unerwünschten Verwandtschaft das Recht, Dreck auch Dreck nennen zu dürfen. In ganz besonderem Maße gilt das für den Dreckskerl Rodriguez de Coria – einen Betrüger, Urkundenfälscher, Kindesräuber und nun auch stinkenden Feigling.“
Alfonso de Armijo schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Seine Rechte fuhr zum Degen, einer prunkvoll ziselierten Paradewaffe, die zweifellos niemals ihrer eigentlichen Bestimmung gedient hatte.
Der Seewolf hatte seinen Säbel frei, als der Spanier eben erst den Degengriff umklammerte. De Armijos Augen drohten aus den Höhlen zu quellen, als er die funkelnde Klinge vor seiner Nase sah.
„Bleiben Sie bei Ihrem Metier, Doktor“, sagte Hasard gefährlich leise. „In diesem Geschäft werden Sie niemals etwas ausrichten. Verschwinden Sie, und seien Sie froh, daß Ihre Haut heil bleibt. Jemanden, der die Waffe gegen mich zu erheben versucht, lasse ich sonst nicht so ungeschoren. Sie verdanken es der Tatsache, daß Sie kein ebenbürtiger Gegner sind.“
Alfonso de Armijo wurde kreidebleich. Die Schnelligkeit, mit der dieser hünenhafte englische Teufel blankgezogen hatte, war ihm wie ein Schock in die Knochen gefahren. Seinem verschrobenen Ehrenkodex nach wäre er gezwungen gewesen, jetzt ebenfalls Genugtuung zu fordern. Doch er begriff plötzlich, daß es fast an Selbstmord grenzte, gegen diesen Mann anzutreten.
Und da wurde selbst für Alfonso de Armijo klar, was der wirkliche Grund für Rodriguez de Coria war, seinen Namen an das Ende der Liste zu setzen.
Der Seewolf schob seinen Säbel zurück in die Scheide. Das harte metallische Geräusch ließ den Schiffsarzt der „Santissima Madre“ zusammenzucken.
Edwin Carberry trat grinsend aus den Reihen der Männer vor. Er spuckte in die Hände und schlug mit der riesigen rechten Faust in die ebenso riesige offene Handfläche der Linken. Hinter ihm baute sich Batuti auf. Der riesenhafte Gambianeger entblößte die perlweißen Zähne, und wie ein freundliches Lächeln sah dies wahrhaftig nicht aus.
Auch Plymmie erschien mit gefletschtem Fang und heiserem Knurren. Von hoch oben, aus den Großmastwanten, ließ sich Arwenack mit wütendem Keckern vernehmen. Und Sir John, der auf dem Großmars thronte, trug auf seine Weise zum Ende der „Unterredung“ bei.
„Affenarsch!“ tönte die grelle Stimme des Papageis. „Dreckiges Rübenschwein! Klar bei Brassen!“
Alfonso de Armijo verstand Sir Johns Freundlichkeiten in englischer Sprache nicht. Doch die übrigen Drohungen, denen er sich gegenübersah, reichten aus, um ihn in panischer Flucht von Bord zu scheuchen.
Das brüllende Gelächter der Arwenacks verfolgte ihn noch, als er schon außer Sichtweite in der Dunkelheit verschwunden war.
„Doppelte Wachen“, wandte sich Hasard an Ben Brighton, nachdem sich die Männer beruhigt hatten. „Und kein Landgang.“
„Mit Vergnügen haben die Männer zur Zeit sowieso nichts im Sinn“, entgegnete der Erste Offizier, „jedem hier an Bord steckt noch der Mord an der Freiin von Lankwitz in den Knochen.“
Der Seewolf nickte düster. Dies war ein weiterer Grund, dem Hundesohn de Coria die Pest an den Hals zu wünschen. Eigentlich war es dem Zeitpunkt angemessen, um Arnes Verlobte zu trauern und einige Tage in Ruhe und Abgeschiedenheit zu verbringen. An de Coria lag es, daß man nicht einmal zur Besinnung gelangte.
Auf den Verdruß, den es hier in Kolberg gab, hätten Hasard und seine Männer wahrhaft verzichten können.
Gemeinsam mit Nils Larsen holte Hasard seinen Vetter von der „Wappen von Kolberg“ ab, und sie begaben sich hinüber zum Kontorhaus, um Hasso von Manteuffel über den neuesten Stand der Dinge zu unterrichten.
Im Wohnzimmer des Kontorhauses brannte warmes, anheimelndes Licht. Für den Seewolf gab es eine Überraschung, die ihn zunächst vom eigentlichen Grund seines abendlichen Besuchs ablenkte.
Zwei junge Männer erhoben sich, beide schlank und groß und blondhaarig wie Arne. Hasso von Manteuffel stellte sie vor, wobei der Stolz in seinem Gesicht nicht zu übersehen war.
„Jesko und Gode, meine beiden jüngeren Söhne. Sie wissen inzwischen, in welchem verwandtschaftlichen Verhältnis wir zueinander stehen. Beide sind vor einer Stunde aus Alt-Quetzin eingetroffen. Ich hatte sie rufen lassen.“
Die beiden jungen Männer begrüßten erst Hasard und dann Arne mit jener ungezwungenen Freundlichkeit und Herzlichkeit, die den von Manteuffels eigen war. Der Seewolf spürte keinen Anlaß, sich wie ein Fremder zu fühlen. Jesko und Gode waren prächtige Kerle wie Arne. Hasard war dem Schöpfer dankbar, durch seinen Vater eigentlich zu dieser Familie zu gehören, auch wenn er ein Killigrew bleiben würde.
Hasso von Manteuffel ließ einen würzig duftenden Glühwein servieren.
„Das Richtige für dieses ungemütliche Aprilwetter“, sagte er und forderte die Männer auf, ihre Gläser zu erheben. „Wir wollen dabei aber nicht vergessen, mit welcher traurigen Nachricht Arne zurückgekehrt ist. Ebensowenig wollen wir vergessen, welche widersinnigen Umstände unser aller Zusammensein trüben.“
Für Minuten herrschte Schweigen. Auf ein Nicken seines weißhaarigen Onkels berichtete Hasard schließlich über die unglaublichen Mitteilungen des spanischen Schiffsarztes. Hasso von Manteuffel und auch seine beiden jüngeren Söhne schüttelten fassungslos den Kopf, als sie es hörten.
„Wie ich die de Corias kenne“, fuhr Hasard fort, „wird dieser Affenzirkus noch ewig andauern. Rodriguez de Coria wird immer neue Gründe finden, um sich zu drücken. Und er wird zuguterletzt doch noch versuchen, sich mit irgendwelchen Tricks und Winkelzügen zehntausend Goldtaler zu erschwindeln. Deshalb meine folgende Frage: Besteht die Möglichkeit, daß die Stadt Kolberg de Coria offiziell zur ‚persona non grata‘ erklärt?“
„Eine hervorragende Idee!“ rief Arne begeistert. „Ich glaube auch, daß die Probleme damit am besten gelöst werden. Hasard hat recht. Dieses Hick-Hack mit de Coria würde sonst noch endlos weitergehen. Als unerwünschte Person könnte man ihn zwingen, mit seinem Schiff den Hafen zu verlassen.“
Hasso von Manteuffel dachte nur einen Moment nach.
„Ich denke, das ist eine praktikable Lösung“, sagte er dann, „ich bin Mitglied des Stadtrates und werde um eine Zusammenkunft noch an diesem Abend bitten.“
Ein Bote wurde sofort losgeschickt, um die übrigen Ratsherren zu benachrichtigen.
Gemeinsam begaben sich die Männer eine halbe Stunde später ins Rathaus von Kolberg, wo sich die Stadtväter im Sitzungssaal trafen. Hasard, Nils, Arne und seine beiden Brüder nahmen auf den Zuhörerbänken Platz. Nils übersetzte im Flüsterton, was gesprochen wurde.
Hasso von Manteuffel schilderte ausführlich, was sich im Zusammenhang mit Rodriguez de Coria zugetragen hatte. Dann formulierte er seinen Antrag, den Spanier zur „persona non grata“ zu erklären.
Als Begründung führte er an, de Coria sei erwiesenermaßen als Betrüger aufgetreten und habe damit sein Gastrecht in den Mauern Kolbergs verwirkt. Dem Antrag des Familienoberhaupts der von Manteuffels folgte eine nur kurze Debatte. Gegenstimmen gab es nicht, lediglich über die Frage, wie man vorgehen wolle, wurde diskutiert. Schließlich einigte man sich darauf, daß Hasso von Manteuffel selbst den Spaniern die Aufforderung überbringen solle, die Stadt zu verlassen.








