Kitabı oku: «Seewölfe Paket 18», sayfa 28

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5.

Die Geduld der Arwenacks, die zur Besatzung der kleinen Jolle gehörten, wurde auf eine harte Probe gestellt. Ihre Blicke tasteten sich immer wieder an den bunten Fassaden des Hausbootes entlang, durch dessen Fensteröffnungen nach wie vor jenes nervtötende Singen drang.

„Wo bleiben die nur?“ fragte Dan flüsternd. „Ich komme mir vor, als säße ich mit dem nackten Hintern in einem Brennesselhaufen.“

„Mir dauert das auch entschieden zu lang“, pflichtete ihm Roger Brighton bei. „Hasard und Ed müßten längst zurück sein. Der Zeit nach müßten sie den verdammten Kahn schon zweimal von vorn bis achtern durchsucht haben.“

Der abergläubische Smoky zog es vor, zu schweigen. Dafür aber redeten seine Augen, und merkwürdigerweise wußte jeder, was ihm unausgesprochen auf der Zunge lag.

Big Old Shane, der mit seinem wilden grauen Bart aussah wie der Meeresgott Neptun, erhob sich von der achteren Ducht.

„Mir reicht es ebenfalls“, sagte er mit gedämpfter Stimme. „Smoky, du bewachst das Boot, Roger, Dan und Sten – ihr werdet jetzt mit mir diesen angepinselten Nachttopf entern! Aber leise und vorsichtig, wenn ich bitten darf!“

Erleichtert erhoben sich die drei Männer.

Doch da geschah etwas, mit dem keiner von ihnen gerechnet hatte.

Bevor sie ihre Musketen hochreißen und in Anschlag bringen konnten, blickten sie in den Lauf einer uralten Hakenbüchse. Der baumlange Neger, der damit auf sie anlegte, schien urplötzlich, wie eine Spukerscheinung, aus dem Nichts aufgetaucht zu sein.

Den Seewölfen stockte für einen Augenblick der Atem, aber nicht nur wegen des drohend auf sie gerichteten Laufes der Arkebuse. Der Schwarze selber war noch beeindruckender als seine Waffe. Sowohl sein Gesicht als auch der nackte, mit Muskeln bepackte Oberkörper waren mit seltsamen Zeichen und Symbolen bemalt. Seine Augen funkelten böse. Den Arwenacks wurde augenblicklich klar, daß er nicht hier aufgekreuzt war, um sie als Freunde zu begrüßen.

Jetzt leuchtete ihnen auch ein, warum sie seit geraumer Zeit vergeblich auf die Rückkehr Hasards und Eds gewartet hatten. Die beiden mußten ebenfalls von diesem merkwürdigen Kerl überrumpelt worden sein, was wiederum darauf schließen ließ, daß er noch Komplicen haben mußte. Er allein wäre kaum mit dem Seewolf und Edwin Carberry fertig geworden. Außerdem konnte eine Einzelperson unmöglich der Verursacher all jener geisterhaften Geräusche gewesen sein, die seit Stunden zu hören waren.

Sie sollten sich mit dieser Vermutung nicht getäuscht haben, denn das monotone Singen in der buntbemalten Hütte verstummte abrupt. Fast zur selben Zeit tauchten wie aus dem Boden gewachsen weitere schwarze, mit Symbolen bemalte Gestalten auf. Und das alles innerhalb weniger Sekunden.

Der Kerl mit der Arkebuse rollte wild mit den Augen.

„Keine Bewegung!“ befahl er jetzt in einer grauenvollen Mischung aus Spanisch und Englisch. „Ergebt euch, und legt eure Musketen langsam in das Boot zurück!“

Die fünf Männer von der „Isabella“ sahen ein, daß sie diese Aufforderung befolgen mußten. Trotzdem zögerten sie zunächst.

„Wird’s bald?“ fuhr der Neger fort. „Ich werde meinen Befehl nicht wiederholen. Gleich ist der erste von euch dran. Über Widerstand braucht ihr gar nicht erst nachzudenken, er wäre sinnlos. Wie ihr seht, bin ich nicht allein. Außerdem befinden sich der schwarzhaarige Kerl und der Hurensohn mit den vielen Narben im Gesicht in meiner Gewalt. Sicher ist euch daran gelegen, daß den Kerlen nichts passiert.“

Mit einem Kopf nicken beorderte er einen seiner Komplicen zu sich, und dieser zeigte den Arwenacks stolz die Pistole Carberrys und Hasards Doppelläufige.

„Diese Waffen dürften euch bekannt sein“, sagte der Anführer, „deshalb werdet ihr mir glauben.“

Die Seewölfe strichen zähneknirschend die Flagge. Sie legten ihre Musketen auf die Duchten und vermieden dabei jede hastige Bewegung. Dann blickten sie den hünenhaften Neger abwartend an.

Während Shane, Sten, Dan und Roger finstere Mienen aufsetzten, wirkte Smoky geradezu erleichtert. Das Auftauchen des baumlangen Negers hatte ihn sozusagen ins Reich der Wirklichkeit zurückgeholt. Wenigstens wußte er jetzt, wie er dran war. Der Schwarze konnte unmöglich ein Gespenst sein, auch wenn er mit seinem buntbemalten Körper fast so aussah. Schließlich hatte er, Smoky, noch niemals einen Geist gesehen, der eine Hakenbüchse bei sich trug und in einem so fürchterlichen Sprachgemisch redete. Von Old Donegal wußte er, daß „echte“ Geister jede Sprache perfekt beherrschten.

Smoky atmete auf, denn vor Geschöpfen aus Fleisch und Blut hatte er beileibe keine Angst, auch nicht, wenn diese mit Schußwaffen herumfuchtelten und allerlei böse Drohungen ausstießen. So wandte er sich fast erheitert an den Anführer der Schwarzen.

„Warum dieser unfreundliche Empfang? Wir sind nicht als Feinde erschienen!“

„So, ihr seid also Freunde“, sagte der muskulöse Kerl höhnisch. „Deshalb haben sich eure beiden Kumpane wohl auch heimlich an Bord meines Hausbootes geschlichen, wie? Und daß der verdammte Bursche mit dem Narbengesicht über mich hergefallen ist, während ihr euch hier draußen mit Musketen bewaffnet auf die Lauer gelegt habt – das war natürlich auch ein Beweis eurer Freundschaft?“

Smoky zwang ein joviales Grinsen in sein Gesicht.

„Dein Boot ist uns etwas merkwürdig erschienen“, sagte er. „Darum wollten wir uns davon überzeugen, ob es an Bord mit rechten Dingen – äh – ich meine, wir wollten nur nachsehen, wer sich an Bord befindet.“ Er hatte, wie schon zuvor, spanisch gesprochen, weil dem Kauderwelsch des Negers zu entnehmen war, daß er diese Sprache am besten verstand.

„Dumme Ausrede!“ stieß der Schwarze unfreundlich hervor. „Spart euch dieses Geschwätz, damit könnt ihr mir nicht imponieren!“ Er vollführte eine herrische Geste. „Los jetzt, steigt an Bord und folgt mir!“

Die Seewölfe mußten wohl oder übel gehorchen, zumal plötzlich auch in den Händen der übrigen Schwarzen Waffen jeder Art, vor allem aber vorsintflutliche Schußwaffen auftauchten. Außerdem hofften sie, in der Hütte des Hausbootes mit Hasard und Carberry zusammenzutreffen.

Diese Hoffnung sollte sich recht schnell erfüllen.

Als sie durch die Tür traten, wanderten ihre Blicke erstaunt durch den großen Raum und über seine merkwürdige Einrichtung. Dabei zogen die meisten von ihnen wegen des ungewohnten Weihrauchduftes die Nase kraus.

Dann stachen ihnen die beiden gefesselten Gestalten in die Augen, die im Halbdunkel am Boden lagen.

Hasard und Ed schienen ihr Bewußtsein wiedererlangt zu haben, denn der Profos bewegte seinen kantigen Schädel wütend hin und her und gab dabei ein undeutliches Brummen von sich.

Der Baumlange deutete auf eine Grasmatte.

„Setzt euch!“ befahl er.

Die fünf Männer aus der Jolle ließen sich mit überkreuzten Beinen auf der Matte nieder und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Rosig sah es nicht für sie aus, das gestanden sie sich ein. Ihr Kapitän und der Profos waren gefesselt und geknebelt, und sie selber hatte man entwaffnet. Auch die Pistolen und Messer hatte man ihnen aus den Gürteln gezogen, als sie das Hausboot betreten hatten. Zudem zeigten die schwarzen Gestalten, die sie mit schußbereiten Büchsen umstanden, nicht gerade liebenswürdige Gesichter.

Der Anführer dieser merkwürdigen Hausbootbewohner räusperte sich laut und vernehmlich, als wolle er damit auf seine Autorität hinweisen.

„Mein Name ist Buddy Bolden“, sagte er in seinem Sprachmischmasch. „Und die Leute, die ihr hier versammelt seht, sind mein Volk. Ich bin ihr Anführer und Hohepriester.“ Er legte eine kurze Pause ein, um die Gewichtigkeit seiner Worte zu unterstreichen.

Die Arwenacks jedoch zeigten sich kaum beeindruckt, sondern eher erstaunt. Sie waren zwar stets darauf eingestellt, mit Schnapphähnen, beutelüsternen Dons und – was diese Breitengrade betraf – auch mit angriffslustigen Indianern zusammenzutreffen, aber daß sie in dem stillen und abgelegenen Lake Pontchartrain auf ein geisterhaftes Hausboot stoßen würden, auf dem ein winziges Negervolk unter der Fuchtel eines „Anführers“ und „Hohenpriesters“ hauste – das war das letzte, womit sie gerechnet hatten. Aber wie dem auch sei, sie waren die Gefangenen dieses Buddy Bolden, und sie mußten sich seine Rede wohl oder übel anhören.

Smoky war nach wie vor ziemlich aufgekratzt. Er nutzte die kurze Atempause und deutete rasch auf die beiden gefesselten Gestalten.

„Kann man ihnen nicht die Stricke durchschneiden und sie von den blödsinnigen Knebeln befreien?“ fragte er auf spanisch. „Sie könnten dann alles, was du uns zu sagen hast, viel besser hören.“

Buddy Bolden rollte abermals mit den Augen.

„Seit wann hört man ohne Fesseln besser? Und was die Knebel betrifft, so haben diese Kerle sie ja zwischen den Zähnen und nicht in den Ohren!“

Smoky schluckte, denn die Logik der Antwort des Schwarzen war nicht von der Hand zu weisen.

Buddy Bolden warf seinen Gefangenen grimmige Blicke zu und fuhr mit seiner Rede fort: „Ich bin sehr darüber verärgert, daß ihr uns bei einer wichtigen religiösen Zeremonie gestört habt. Wir haben uns stundenlang darum bemüht, durch unsere Gebete, Gesänge und Opfer in Kontakt mit unseren Göttern zu gelangen, und als es uns beinahe gelungen war, Iemanjá, die Göttin des Meeres, gnädig zu stimmen, da seid ihr Bastarde hier aufgetaucht. Die beiden dahinten sind sogar über uns hergefallen. Ich will euch sagen, was ich von euch halte: Ihr seid verdammte Piraten und habgierige Galgenvögel! Es würde mich nicht wundern, wenn ihr mit Duvalier, dieser französischen Ratte, unter einer Decke stecken würdet. Zum Glück hat Iemanjá eure räuberischen Pläne vereitelt und euch in unsere Hände gegeben. Und was es heißt, in die Hände Buddy Boldens und seines tapferen Volkes zu fallen, das werdet ihr rasch begreifen. Was ihr getan habt, ist in unseren Augen und in den Augen der Götter ein todeswürdiges Vergehen. Ich verurteile euch deshalb alle zum ‚Alligator-Hopp‘. Mag die erhabene Iemanjá entscheiden, ob ihr am Leben bleibt oder nicht.“

Der Schwarze sah das kleine Häuflein der Seewölfe mit funkelnden Augen an. Offenbar wartete er auf die Wirkung seines Urteilsspruches.

Die Arwenacks ließen ihn nicht lange warten.

Wieder war es Smoky, der ihm in der spanischen Sprache antwortete.

„Wir sind uns zwar keines Verbrechens bewußt, Señor Bolden“, erklärte er, „aber es wäre trotzdem verdammt nett von dir, wenn du uns sagen würdest, um was für ein Gesellschaftsspiel es sich bei diesem ‚Alligator-Hopp‘ handelt. Wenn mich nicht alles täuscht, hat es was mit den verfressenen Biestern zu tun, die da draußen im Wasser lauern.“

„Du bist ein schlauer Bursche“, sagte Buddy Bolden, und fast schien es, als unterdrücke er ein Grinsen. „Der ‚Alligator-Hopp‘ hat in der Tat etwas mit den liebenswürdigen Bewohnern des Bayous zu tun. Ihr werdet nämlich einer nach dem anderen ins Wasser hüpfen, und dann überlassen wir es Iemanjá, ob ihr den munteren Tierchen schmeckt oder nicht. Meist sind sie jedoch zu dieser Tageszeit ziemlich hungrig.“

„Das muß ja echt spaßig sein“, sagte Smoky sarkastisch. „Was geschieht eigentlich, wenn unsere Hinterschinken den verwöhnten Ansprüchen der Alligatoren nicht genügen?“

„Dann schenken wir euch das Leben und jagen euch zum Teufel!“

Smoky legte die Stirn in Falten.

„Hm“, meinte er, „kannst du uns nicht gleich dorthin jagen? Der Teufel wäre mir, ehrlich gesagt, sympathischer.“

„Nichts da!“ entschied Buddy Bolden. „Das Urteil wird vollstreckt. Wir fangen gleich damit an.“

Der „Hohepriester“ gab seinen Leuten einen Wink und deutete dann auf Edwin Carberry, der zornige Grunzlaute ausstieß, weil er den verhaßten Knebel trotz eifriger Bemühungen nicht los wurde.

„Dieser Hurensohn hat mir beinahe einige Zähne ausgeschlagen“, sagte Buddy Bolden grollend. „Er ist als erster dran!“

Einige der schwarzen Gestalten stürzten sich auf den Profos der „Isabella“ und befreiten ihn von seinen Fußfesseln. Dann nahmen sie auch dem Seewolf die derben Stricke ab und dirigierten die beiden Männer mit schußbereiten Flinten nach draußen.

Big Old Shane, Smoky, Roger Brighton, Stenmark und Dan O’Flynn mußten die Hütte ebenfalls wieder verlassen. Obwohl sie sich nichts anmerken ließen, taten sie es mit reichlich gemischten Gefühlen, denn es war ihnen in den letzten Stunden nicht entgangen, daß das Brackwasser an den sumpfigen Ufern des Lake Pontchartrain von zahlreichen Alligatoren bevölkert wurde.

Hinter ihren Stirnen arbeitete es fieberhaft, aber keiner von ihnen entdeckte im Augenblick eine Schwachstelle bei den Schwarzen. Die Kerle ließen sie keine Sekunde aus den Augen und schienen fest entschlossen zu sein, sie gemäß dem Urteilsspruch ihres Anführers den Alligatoren zum Fraß vorzuwerfen. Bei Gott, sie hatten schon genug religiöse Fanatiker kennengelernt und wußten nur zu gut, zu was solche Burschen fähig waren.

Die Schwarzen sorgten dafür, daß sich ihre sieben Gefangenen nebeneinander am niedrigen Schanzkleid des Hausbootes aufstellten.

Der baumlange Buddy Bolden trat jetzt hinter Edwin Carberry und bohrte ihm den Lauf seiner Arkebuse in den Rücken.

„Löst diesem Kerl die Handfesseln!“ befahl er. „Er soll die Alligatoren wenigstens mal streicheln dürfen. Den Knebel könnt ihr auch entfernen, damit er den netten Tierchen in die Schwänze beißen kann. Auch wenn er es nicht verdient hat, soll er seine Chance haben!“

Seine Anweisungen wurden sofort ausgeführt.

Doch kaum hatte man dem bulligen Profos die schmuddeligen Tuchfetzen zwischen den Zähnen hervorgezogen, da verzog er sein narbiges Gesicht zu einer furchteinflößenden Grimasse, schob das Rammkinn vor und holte tief Luft. Ungeachtet der feuerbereiten Waffe drehte er sich langsam zu Buddy Bolden um.

„Was sagst du da, du angesengtes Rübenschwein?“ brüllte er mit Donnerstimme. „Ich soll diesen Krokodilen in die Schwänze beißen? Paß bloß auf, daß ich mein Gebiß nicht vorher an deinem rabenschwarzen Affenhintern ausprobiere, du im Suff gezeugter Enkel eines Bilgengespenstes und eines pestbeuligen Ziegenbocks! Was sind das für Manieren, sich an einem englischen Profos zu vergreifen, he? Genügt es nicht, wenn du in deiner Räuberhöhle, in der es wie in einem Freudenhaus stinkt, unschuldige junge Mädchen ermordest? Mußt du auch noch anständige Christenmenschen wie den alten Carberry und den Kapitän der ‚Isabella‘ niederknüppeln? Eins laß dir gesagt sein, Schwarzer: Wenn du dir einbildest, daß ich in diese Brühe reinhüpfe, dann hast du dich gewaltig getäuscht! Diesen Gefallen tue ich dir nicht, so wahr ich Edwin Carberry heiße! Was fällt dir aufgetakelten Schilfratte überhaupt ein, dir einen englischen Namen zuzulegen, was, wie? Du hast wohl einen Sprung in deinem buntbetupften Eierkopf? Jetzt nimm bloß deine altmodische Flinte weg! Mit der haben schon die Kinder Israel den Ägyptern die Ärsche weggeschossen!“

Ed, dessen Stimme an das Grollen eines schweren Gewitters erinnerte, schnappte nach Luft, denn das war mit Sicherheit die längste Rede, die er je gehalten hatte. Wie er so dastand, mit den mächtigen Fäusten und blitzenden Augen, glich er einem Vulkan, der ausbrechen konnte.

Buddy Bolden war völlig sprachlos. Er wich unwillkürlich zwei Schritte zurück, starrte den Profos an, als sei er ein Wesen aus einer anderen Welt, und riß dann seine vorsintflutliche Hakenbüchse hoch. Der Lauf zeigte jetzt genau auf den Kopf Carberrys. Der Augenblick, der über Leben und Tod entschied, schien gekommen zu sein …

6.

Die vier Seewölfe, die mit Musketen, Degen und Entermessern bewaffnet an Land gegangen waren, hegten nicht gerade besondere Sympathien für die unübersichtliche Sumpflandschaft.

Die Bayous steckten voller Geheimnisse und Gefahren. Der Morgenwind, der durch das Schilf- und Rohrdickicht strich, klang wie das Wispern und Raunen eines unsichtbaren Geisterheeres. Gelegentlich raschelte es, wenn sich Sumpfhühner und andere Tiere einen Weg durch das oft mannshohe Schilf bahnten, oder es war ein dumpfes Klatschen zu hören, wenn sich ein Alligator beutehungrig ins Wasser schob.

Oft konnten die Arwenacks nicht sehen, was vier oder fünf Yards von ihrem eigenen Standort entfernt vor sich ging. Der Boden war an vielen Stellen feucht und schwammig, so daß jeder Schritt ein schmatzendes Geräusch erzeugte. Fast überall roch es nach Moder und Fäulnis.

Ja, vielleicht hatte Paddy doch recht, und sie hatten tatsächlich ein überirdisches Wesen gesehen, denn was sollte schon ein Mensch aus Fleisch und Blut in dieser düsteren Moorlandschaft verloren haben?

Ferris Tucker, Nils Larsen sowie Blacky und Matt Davies hatten sich etwa zweihundert Yards von der Jolle entfernt. Still und schweigsam, aber mit wachsamen Augen arbeiteten sie sich durch das Dickicht.

Da hörten sie plötzlich ein gedämpftes Kichern.

Ferris legte Nils Larsen, der ihm am nächsten war, die Hand auf die linke Schulter. Wie auf Kommando blieben alle stehen und lauschten.

„Das ist ein Vogel“, sagte Blacky flüsternd und wollte weitergehen.

Doch Ferris hielt ihn durch eine rasche Geste zurück.

„Das sind menschliche Laute“, sagte er mit leiser Stimme. „Wie es scheint, halten sich mehrere Kerle hier auf. Vielleicht haben sie auf den komischen Kauz, den wir gesehen haben, gewartet, und er berichtet ihnen jetzt von der ‚Isabella‘ und der Jolle.“

Das Kichern verstummte, dafür war jetzt ein undeutliches Murmeln zu hören. Sekunden später vernahmen die Seewölfe ein schrilles Lachen. Sie blickten sich fragend an. Ferris schien recht zu haben, es mußte sich um mehrere Personen handeln, denn wer lachte oder redete schon mit sich selber.

Vorsichtig setzten sie ihren Weg fort und spannten die Hähne ihrer Musketen. Sie wollten kein Risiko eingehen, es reichte schon, wenn Hasard und seine Mannen – wie es schien – spurlos verschwunden waren. Aber vielleicht führten sie gerade diese merkwürdigen Geräusche auf die Spur ihrer verschollenen Kameraden.

Das Kichern, Murmeln und Lachen wurde lauter. Es vermischte sich jetzt mit einem Rascheln und Klopfen. Die Arwenacks wußten, daß sie nicht mehr weit von der Quelle der Geräusche entfernt waren.

Ferris drehte sich zu Blacky um.

„Du bleibst besser hier zurück und übernimmst unsere Rückendeckung“, sagte er im Flüsterton. „Wenn man uns in eine Falle tappen läßt, ziehst du dich zurück und alarmierst unsere Leute auf der ‚Isabella‘. Sollte nichts passieren, hörst du den bekannten Pfiff und folgst uns.“

Blacky zeigte verstanden und postierte sich sofort hinter dem knorrigen Stamm eines weidenähnlichen Baumes.

Ferris, Nils und Matt pirschten weiter voran. Doch schon nach höchstens zwanzig Schritten mündete das schwammige Gelände unvermittelt in eine kleine, grasbewachsene Lichtung, die sich inmitten des Schilfs wie eine Insel ausbreitete.

Mitten auf dieser Lichtung sahen sie die merkwürdige Gestalt, die sie schon von der Jolle aus wahrgenommen hatten. Es handelte sich um einen verwildert aussehenden Mann, der in zerlumpter Kleidung steckte und gebückt über die Lichtung lief. Von Zeit zu Zeit stoppte er abrupt seine Schritte, kicherte und hieb dabei mit einem langen Aststück auf den Boden.

Die Seewölfe sahen sich entgeistert an. Sie hatten mehrere Personen erwartet, aber dieser Mann dort war allein. Und er war ohne Zweifel der Urheber all der eigenartigen Geräusche. Sprach und lachte er etwa mit sich selber? Handelte es sich um einen Verrückten? Und was hatte sein seltsames Treiben zu bedeuten?

„Er darf uns nicht entwischen!“ stieß Ferris Tucker hervor.

Nachdem sie sich mit raschen Blicken davon überzeugt hatten, daß sich sonst niemand in der Nähe aufhielt, schwärmten sie aus und brachten ihre Musketen in Schußposition.

„Halt, bleib stehen!“ rief Ferris den Mann an. Die Läufe von drei Musketen waren drohend auf die zerlumpte Gestalt gerichtet.

Der Mann hörte auf, mit dem Knüppel auf den Boden zu schlagen, und richtete sich auf. Er zeigte sich jedoch weder erschrocken noch sonderlich beeindruckt. Im Gegenteil, er kicherte und winkte den drei Seewölfen zu, als seien sie gute Freunde, deren Ankunft er längst erwartet hatte.

Auf das Zeichen Ferris Tuckers hin gingen sie mit langsamen Schritten auf den Mann zu. Er zeigte keinerlei Anstalten zu fliehen. Sie zogen ihren Kreis immer enger und verharrten schließlich in einem Abstand von wenigen Yards.

„Bist du allein?“, fragte Ferris Tucker.

Der Mann, dessen Alter schwer zu schätzen war und der abgerissen und verwahrlost aussah, nickte eifrig.

„Es ist sonst niemand hier“, erwiderte er, sehr zum Erstaunen der Arwenacks, in einwandfreiem Englisch. Seine Augen wanderten etwas unruhig von einem zum anderen. Mehrmals blieb sein Blick auf der spitzgeschliffenen Hakenprothese haften, die Matt Davies die fehlende rechte Hand ersetzte.

„Wer bist du?“ setzte Ferris Tucker seine Befragung fort. „Und was tust du hier inmitten der Sümpfe?“

Der Fremde zuckte mit den Schultern.

„Ich heiße Hank“, antwortete er, „Hank Turpin. Ich bin Engländer, lebe hier allein im Sumpf und kümmere mich um niemanden.“

„Aha“, sagte Ferris mit grimmigem Gesichtsausdruck. „Du vertreibst dir wohl die Zeit, indem du am Ufer herumfuchtelst und ehrsamen christlichen Seeleuten Rätsel aufgibst, wie? Und die restliche Zeit hüpfst du hier wie eine Vogelscheuche im Kreis herum und klopfst mit einem Prügel den Boden weich. Kein Wunder, wenn hier alles so schwammig ist.“

Hank Turpin grinste blöde.

„Der Boden ist immer weich“, sagte er. „Das hat nichts mit meinem Klopfen zu tun.“

„Was du nicht sagst!“ entfuhr es Nils Larsen. „Warum haust du dann zu wie ein Irrer? Verprügelst du etwa das Gras?“

Der verluderte Kerl grinste noch immer.

„Nein, aber ich jage Frösche und Schlangen. Meist kriege ich sie, indem ich sie mit meinem Knüppel totschlage. Es gibt hier viele Ochsenfrösche.“

Die Seewölfe waren verblüfft.

„Und was machst du mit dem Viehzeug?“ fragte Matt Davies.

„Frösche kann man essen“, lautete die lapidare Antwort. „Bei den Franzosen sind sie ein Leckerbissen.“

Matt schüttelte sich.

„Teufel noch mal, willst du uns vor dem Backen und Banken den Appetit verderben, he?“

„Nein, will ich nicht.“ Hank Turpin kicherte. „Du brauchst ja keine Frösche zu essen, wenn du nicht willst.“

Ferris Tucker schaltete sich ein.

„Jetzt laßt mal die Frösche in Ruhe“, sagte er knurrend. „Mir brennen ganz andere Fragen unter den Nägeln. Wir haben zwar mit Leuten, die in den Bayous leben, schon einschlägige Erfahrungen gesammelt, aber ich hoffe, daß du, Mister Turpin, da eine Ausnahme bildest und meine Fragen wahrheitsgemäß beantwortest. Wenn du aber versuchen solltest, uns aufs Kreuz zu legen, wirst du feststellen, daß wir verdammt ungemütlich werden können. Und vielleicht wird dann hier ausnahmsweise mal ein Engländer von den Ochsenfröschen gefressen statt umgekehrt.“

Turpin stützte sich auf sein Aststück und ließ wiederum sein merkwürdiges Kichern hören.

„Weißt du, an wen du mich erinnerst?“ fuhr Ferris fort.

„Nein.“

„An meine Großmutter, die hat nämlich auch immer so albern gekichert, wenn ich sie als kleiner Junge gekitzelt habe.“

Jetzt steigerte sich das Kichern Hank Turpins zu dem bereits wohlbekannten schrillen Lachen. Dieser Mann konnte unmöglich alle Mucks im Schapp haben, darüber waren sich Ferris Tucker und seine Mannen längst im klaren.

„Hör schon auf!“ befahl Ferris. „Erzähle uns lieber, was es mit diesem ‚schwebenden Haus‘ auf sich hat, das nachts auf dem Lake herumspukt.“

Turpins Gesicht wurde ernst.

„Ein schwebendes Haus? Willst du mich auf den Arm nehmen, Mister? Ich habe hier noch nie ein schwebendes Haus gesehen, weder bei Tage noch bei Nacht.“

„So genau mußt du das auch nicht nehmen“, fuhr Ferris fort. „Natürlich gibt es keine Häuser, die schweben. Es hat nur so ausgesehen. Höchstwahrscheinlich war es ein Kahn, der bei Nacht und Nebel über den See gefahren ist. Die Besatzung, von der nichts zu sehen war, hat gesungen und getrommelt. Manchmal hat es sich angehört, als würde jemand jammern und klagen. Du mußt das doch schon gesehen haben, wenn du hier lebst! Oder steckst du etwa selber dahinter, he?“

Hank Turpin schüttelte den Kopf.

„Ich weiß nicht, von was du redest, Mister, wirklich nicht. Vielleicht – vielleicht habt ihr ein Geisterschiff gesehen?“

„Danke“, sagte Ferris trocken. „Diese Version kenne ich schon. Vielleicht bist auch du nur ein Geist, der Geisterfrösche totschlägt, um sie auf eine höchst irdische Weise in die Pfanne zu hauen!“

Turpins Gesicht verzog sich wieder zu einem blöden Grinsen.

„Ich bin kein Geist, Mister!“

„Was du nicht sagst!“ Ferris trat von einem Fuß auf den anderen. „Ist dir wenigstens eine Jolle aufgefallen, die sieben Männer an Bord hat? Bei ihnen kann ich dir versichern, daß es sich nicht um Geister handelt, sondern um Kameraden von uns, die seit dem Auftauchen dieses ‚Spuk-Kahns‘ spurlos verschwunden sind. Wenn du wirklich Engländer bist und einen Funken Anstandsgefühl gegenüber deinen Landsleuten hast, dann wirst du uns helfen, diese Jolle samt ihrer Besatzung zu finden!“

„Tut mir leid, Mister“, erklärte Hank Turpin. „Ich würde dir gern helfen, aber ich habe nichts gesehen. Wie gesagt, kümmere ich mich um niemanden, und meistens bin ich irgendwo in den Sümpfen unterwegs …“

„… um Frösche und Schlangen totzuschlagen“, unterbrach ihn der rothaarige Schiffszimmermann. „Na schön, Mister Turpin, du wirst uns als Gefangener zu unserem Schiff, der ‚Isabella‘, begleiten. Es könnte ja sein, daß du irgendwann einen lichten Moment hast. Vielleicht fällt dir dann doch etwas ein, was uns weiterhilft. Mister Brighton, unser Erster Offizier, versteht sich durchaus darauf, mit Leuten umzugehen, die an Gedächtnisschwund leiden.“

Der verluderte Kerl ging den Seewölfen mit einem erneuten Kichern auf den Nerv.

„Da muß ich wohl gehorchen“, sagte er. „Vielleicht kann ich eurem Koch mal zeigen, wie man die Frösche …“

„Willst du wohl das Maul halten!“ rief Matt Davies. „Mir dreht sich sonst der Magen um, verdammt!“

„Dann behalte ich es eben für mich“, sagte Turpin und setzte eine beleidigte Miene auf.

Ferris, Matt und Nils konnten nicht umhin, ihn für einen Irren zu halten. Sein Benehmen ließ zumindest darauf schließen. Trotzdem stiegen manchmal Zweifel in ihnen auf. Wußte er nun etwas über das „schwebende Haus“ und die verschwundene Jollenbesatzung oder nicht? Täuschte er am Ende seine Verrücktheit nur vor? Ben Brighton wußte sicherlich besser mit ihm umzugehen. Der würde ihn ordentlich in die Mangel nehmen. Sie wollten auf jeden Fall nicht riskieren, ihn voreilig laufenzulassen, denn schließlich wollten sie Hasard und ihre Kameraden finden, koste es, was es wolle.

Der kleine Trupp setzte sich in Richtung Ufer in Bewegung.

Blacky, der die Stimmen gehört hatte, war längst am Rand der kleinen Lichtung aufgetaucht und hatte dort Stellung bezogen. Immer wieder hatte er neugierig zu seinen Kameraden und ihrem Gefangenen hinübergeäugt. Den größten Teil dessen, was gesprochen worden war, hatte er mitgekriegt.

Hank Turpin begleitete die Seewölfe offenbar bereitwillig. Leicht nach vorn gebeugt marschierte er zwischen Ferris Tucker und Nils Larsen. Seinen Knüppel hatte ihm Nils vorsichtshalber weggenommen, ebenso das Messer, das er im Gürtel getragen hatte. Man wußte ja nicht, auf welche Gedanken dieser Irre noch verfiel. Am Ende verwechselte er sie noch mit Ochsenfröschen und zog ihnen den knorrigen Knüppel über den Schädel. Sie wollten da gar nicht erst ein Risiko eingehen.

„Paddy wird die Klüsen aufreißen, wenn er das Gespenst sieht“, sagte Blacky feixend. „Hoffentlich springt er nicht vor Schreck ins Wasser und schwimmt davon, wenn wir mit diesem Kerl am Ufer auftauchen.“

„Das tut er sicher nicht“, sagte Nils. „Wenn Paddy auch abergläubisch ist, so findet er sich doch meist erstaunlich schnell mit den Realitäten ab.“

Die Seewölfe hatten mit ihrem Gefangenen ungefähr die Hälfte des Weges zurückgelegt, da blieben sie plötzlich wie festgenagelt stehen.

Aus der Ferne dröhnte eine donnernde Stimme durch den Sumpf.

„Ich werd’ nicht mehr!“ stieß Matt Davies hervor. „Das ist doch Ed!“

Sie konnten zwar kein Wort verstehen, aber der Klang sowie der Tonfall der Stimme überzeugten sie.

„Unverkennbar Edwin Carberry“, bestätigte nun auch Ferris Tucker.

Die vier Männer atmeten erleichtert auf und verzogen die Gesichter zu einem vielsagenden Grinsen. Wenn Ed irgendwo im Sumpf Zeder und Mordio brüllte, dann konnte das ihrer Meinung nach nur Gutes bedeuten.

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