Kitabı oku: «Seewölfe Paket 20», sayfa 2

Yazı tipi:

2.

Joanna, eine der erfahrensten und hartgesottensten Hafenhuren von Havanna, lernte Caligula am Abend des 17. April in der Kaschemme „Malagena“ kennen. Sie zeigte nicht nur ein rein geschäftliches, sondern auch ein persönliches Interesse an diesem wilden, kraftstrotzenden Kerl, der ihr von Anfang an gut gefiel. An einem Ecktisch kam sie mit ihm ins Gespräch, und er grinste sie zwischen zwei tüchtigen Schlucken Rotwein herausfordernd an.

Blond gefärbt waren Joannas prachtvolle Locken, die ihr bis auf die Schultern fielen. Von Natur aus war sie dunkelhaarig. Ihre Wiege hatte im nördlichen Spanien gestanden. Sie hatte ein hübsches Gesicht mit einem verlockenden Kirschmund. Die herben Züge, die sich im Laufe harter und arbeitsreicher Jahre hinzugesellt hatten, überdeckte sie durch üppiges Pudern und grelle Schminke. Sie träumte davon, sich irgendwann zur Ruhe zu setzen oder vielleicht ein eigenes Hurenhaus zu eröffnen, in dem sie nur noch die „Mutter“ war, die die Geschicke ihrer Mädchen bestimmte. Aber irgendwie hatte sie den Eindruck, daß alles doch nur ein Wunsch bleiben würde. Die Realität sah anders aus.

Sie erwiderte Caligulas Grinsen mit einem honigsüßen Lächeln, dann fragte sie ihn nach seinem Namen. Er nannte ihn ihr, und auch sie sagte ihm, wie sie hieß.

„Wir beide könnten zusammen was auf die Beine stellen“, sagte er und lachte laut. Er griff nach ihr und zog sie zu sich heran. „Ich habe schon viele Gefechte überlebt, mein Täubchen.“

„So siehst du auch aus“, sagte sie und griff nach dem Becher, den er ihr füllte. „Ich glaube, du bist mein Fall. Bist du ein Galgenstrick oder ein ordentlicher Kerl?“

„Was geht dich das an? Frag nicht danach.“

„Du hast recht. Ein Fischer bist du bestimmt nicht. Das ist mir recht.“

„Warum?“

„Ich mag keine Fischer. Sie stinken nach Fisch.“

Caligula lachte dröhnend, und sie stimmte mit ein. Er zerrte sie auf seinen Schoß, und sie ließ es sich gefallen, daß er ihr eine Hand auf den Schenkel legte und kräftig zudrückte.

„Ihr Schwarzen sollt ja ganz besondere Qualitäten haben“, sagte sie.

„Willst du damit sagen, daß du noch nie mit einem schwarzen Mann ins Bett gegangen bist?“ fragte er zweifelnd.

„Es wird dich wundern, aber es stimmt“, erwiderte sie.

„Dann wird es Zeit“, sagte er mit heiserer Stimme.

Wenig später verschwanden sie in einem Hinterzimmer der Kaschemme. Caligula war viel zu fasziniert von Joannas Reizen und dem, was ihm bevorstand, um die beiden Männer zu bemerken, die ihn schon die ganze Zeit über beobachtet hatten.

Sie saßen an einem Tisch, der halb durch eine Säule des Kellergewölbes, in dem die Kneipe eingerichtet war, verdeckt wurde – Jörgen Brunn und Jussuf. Sie hatten sich ein Bier gegönnt. Für Jussuf war es eine Ausnahme, weil er sonst keinen Alkohol trank. Aber Allah, so meinte er, würde in diesem Fall schon mal ein Auge zudrücken oder woanders hinschauen.

Wie immer waren sie auch an diesem Abend unterwegs, um Informationen über Schiffe zu sammeln, die Havanna anliefen oder bereits zum Auslaufen bereit mit neuer Ladung im Hafen lagen. Jede Galeone konnte eine Beute für den Bund der Korsaren bedeuten, und die entsprechenden Nachrichten wurden durch Jussufs Brieftauben zur Schlangen-Insel übermittelt.

Dieses Informations-System funktionierte reibungslos und hatte sich bewährt – in beiden Richtungen. Auch der Seewolf und die Kameraden auf der Schlangen-Insel konnten auf diesem Weg Botschaften nach Havanna schicken, wo Arne von Manteuffel mit unerwartetem Erfolg sein Handelshaus eingerichtet hatte.

„Mann“, sagte Jörgen gedämpft. „Er ist es wirklich. Ich habe mich nicht getäuscht.“

„Caligula also“, murmelte Jussuf. „Der Unterführer der Black Queen. Gleichzeitig ihr Geliebter. Du hast mir ja alles erzählt.“

„Ja. Hör zu. Es kann nichts Gutes bedeuten, daß ausgerechnet der hier auftaucht.“

„Das hängt wahrscheinlich mit dem Kreolen zusammen, mit Cariba“, sagte Jussuf. „Cariba sollte Don Juan über die Schlangen-Insel unterrichten. Du meine Güte, sollte Caligula etwa das gleiche vorhaben?“

„Ich muß sofort Arne Bescheid sagen“, sagte Jörgen, der in höchstem Maß alarmiert und besorgt war. „Bleib du bitte hier und paß weiter auf ihn auf.“

Jussuf lächelte verhalten. „Er dürfte wohl ein Weilchen beschäftigt sein, dieser Caligula. Das heißt, daß ich mir die Zeit mit einem weiteren Bierchen vertreiben muß. Ob Allah mich dafür strafen wird?“

„Hör bloß mit deinem Allah auf.“

„Versündige dich nicht“, sagte Jussuf. Er war todernst. In solchen Dingen verstand er keinen Spaß. „Es könnte sonst sein, daß dich der Blitz trifft, ehe du Arne erreichst.“

„In Ordnung. Bis später also. Wir treffen uns in der Faktorei, ja?“

„Einverstanden“, erwiderte Jussuf.

Jörgen verließ die Kaschemme und schritt mit gezügelter Hast zur Faktorei. Immer wieder blickte er sich unauffällig nach allen Seiten um. Hatte Caligula Begleiter? Kerle aus der Mannschaft der Black Queen? Nein, es zeigte sich kein anderes Gesicht, das ihm von der Begegnung mit der „Caribian Queen“ her bekannt erschien. Vielleicht war Caligula wirklich allein.

Etwas später hockte Jörgen Arne im Kontor gegenüber und berichtete ihm, was Jussuf und er gesehen hatten.

„Verdammt“, sagte Arne. „Das ist ganz schlecht für uns. So ein Mist aber auch.“ Er war genauso alarmiert wie Jörgen – einmal wegen der Gefahr, von Caligula unter Umständen „enttarnt“ zu werden, falls man sich in Havanna über den Weg lief. „Und zum anderen, weil wir vermuten müssen, daß Caligula das gleiche Ziel verfolgt wie Cariba“, sagte er.

„Den Spaniern zu verraten, wo die Schlangen-Insel liegt“, sagte Jörgen. „Wir müssen etwas dagegen unternehmen.“

Sie waren durch eine Brieftaubennachricht von der Schlangen-Insel bereits darüber informiert, wie das Unternehmen Don Juan de Alcazars mit der Kriegskaravelle „Pax et Justitia“ sowie seine erste Begegnung mit Hasard verlaufen waren. Die Karavelle war im Gefecht mit der „Isabella“ gesunken, Don Juan war einer der wenigen Überlebenden gewesen. Auf Lobos Cay, einem winzigen Eiland, hatte er sich mit Hasard ein Duell geliefert, aber dann waren sie beide von Piraten überrumpelt worden. Sie hatten sich befreit und waren geflohen, und inzwischen befanden sich die Arwenacks wieder vollzählig auf der Schlangen-Insel. Don Juan war verletzt und noch nicht nach Havanna zurückgekehrt.

Don Juan hatte sein Ziel, Hasard gefangenzunehmen, also nicht erreicht. Und über die genaue Lage der Schlangen-Insel tappte er auch noch im dunkeln. Dabei würde es vorläufig bleiben, denn Cariba war mit der „Pax et Justitia“ auf Tiefe gegangen, ohne die Position der Insel Don Juan mitgeteilt zu haben.

Noch war also Don Juan nicht wieder in Havanna eingetroffen, vermutlich wegen seiner Verletzungen, wie Arne annahm. Dennoch waren sich Arne und Jörgen darüber im klaren, daß sie wegen Caligula etwas unternehmen mußten. Sie grübelten gemeinsam darüber nach, was zu tun sei.

Ihre Sorge wurde nicht geringer, als Jussuf nach Mitternacht von der Beschattung Caligulas in die Faktorei zurückkehrte.

„Mit der blonden Joanna war er schnell fertig“, berichtete er. „Inzwischen hat er einen Streifzug durch sämtliche Pinten unternommen und kräftig gezecht. Den Rest der Nacht verbringt er in dem Hurenhaus am Rande des Hafens. Keine Sorge, ich bin da sicher. Aber er hat sich überall, in jeder Kneipe, nach Cariba erkundigt.“

„Und?“ Arne blickte Jussuf mit besorgter Miene an. „Was hat er dabei herausgekriegt?“

„Er hat erfahren, daß Cariba zuerst eingekerkert und später gefesselt an Bord der ‚Pax et Justitia‘ gebracht worden ist, die mit Kurs Ost Havanna verlassen hat.“

„Hat er sich auch nach Don Juan erkundigt?“ wollte Jörgen wissen.

„Ja, und ein Kerl hat ihm mitgeteilt, daß sich eben dieser Don Juan mit an Bord der Karavelle befände, jener Spanier also, von dem man gehört habe, daß er auf der Jagd nach englischen Piraten sei.“

„Das ist alles?“ fragte Arne.

„Natürlich“, entgegnete Jussuf. „Mehr weiß man hier ja nicht. Caligula scheint über das Gehörte sehr zufrieden zu sein. Er hat die Informanten auch großzügig mit klingender Münze belohnt.“

„Und was hat er vor?“ fragte Jörgen.

Jussuf hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Nach dem, was ich so alles vernommen habe, hat er die Absicht, so lange in Havanna zu bleiben, bis die Kriegskaravelle zurückgekehrt ist. Denn er will über den Erfolg oder Mißerfolg der Mission Bescheid wissen.“

„Daß sie nie zurückkehren wird, wissen zur Zeit nur wir“, sagte Arne. „Das bedeutet, daß sich Caligula so lange hier herumtreiben wird, bis ihn seine Informanten von der Rückkehr Don Juans und damit vom Fehlschlagen des Unternehmens in Kenntnis setzen.“

„Und daraus folgert wiederum, daß das ganze Theater von vorn beginnen wird“, sagte Jörgen.

„Richtig“, pflichtete Arne ihm bei. „Jetzt wird also Caligula Kontakt zu Don Juan aufnehmen, und zwar mit aller Wahrscheinlichkeit geschickter als Cariba und möglicherweise über Mittelsmänner, um nicht ebenfalls Caribas Schicksal zu erleiden. Er wird Don Juan verraten, wo der Hebel angesetzt werden muß – bei der Schlangen-Insel.“

„Eins ist mir inzwischen ganz klargeworden“, sagte Jussuf. „Sowohl Caribas als auch Caligulas Auftauchen in Havanna beweisen eindeutig, daß es sich um eine Racheaktion handelt. Seitens dieser Piratenhorde ist man offenbar entschlossen, den Bund der Korsaren den Spaniern zum Fraß vorzuwerfen. Der Teufel soll sie zerspringen lassen, in tausend Stücke! Diese elenden Hunde!“

„Die Dons sollen die blutige Arbeit verrichten“, sagte Arne. „Dahinter scheint mir die Handschrift der Black Queen zu stecken.“

„Mit anderen Worten, sie ist bei dem Duell mit ‚El Tiburon‘ nicht getötet worden?“ fragte Jörgen überrascht.

„Ich bin nicht sicher“, erwiderte Arne. „Aber bei mir regt sich allmählich der Verdacht, daß das Satansweib überlebt hat. Der Plan, sich der Spanier zur Vernichtung des Bundes zu bedienen, deutet auf die raffinierte und ränkevolle Queen hin.“

„Wenn dem so ist, wo steckt sie dann?“ fragte Jussuf.

„Darüber können wir nur Vermutungen anstellen“, erwiderte Arne. „Und die bringen uns nicht weiter. Eins steht fest: Wenn wir jetzt Caligula über die Klinge springen lassen, um den Kontakt mit Don Juan zu verhindern, erreichen wir damit so gut wie gar nichts. Nur einen Zeitaufschub schinden wir heraus. Aber die Queen spinnt weiterhin ihre unheilvollen Fäden – vorausgesetzt, sie lebt tatsächlich noch.“

„Mir schwant Unheilvolles“, sagte Jussuf.

„Jussuf“, sagte Arne. „Hol eine deiner Brieftauben. Wir lassen sie noch heute nacht auf, Hasard muß unbedingt erfahren, was hier los ist.“ Er öffnete ein Pult und holte Papier, ein Tintenfäßchen und einen Federkiel zum Vorschein, um die Botschaft in deutscher Sprache abzufassen.

Jussuf eilte hinaus zu den Taubenschlägen auf dem Hinterhof. Lächelnd öffnete er einen von ihnen – er war immer froh, wenn seine Lieblinge sich bewähren konnten.

„Izmir, mein starker Täuberich“, sagte er. „Du scheinst mir der richtige zu sein. Deine hübsche Kiymet war schon lange von dir getrennt.“

Nur kurze Zeit später flatterte Izmir mit der zusammengerollten Nachricht unter der mittleren Schwanzfeder in den Nachthimmel hoch. Arne, Jörgen und Jussuf blickten ihm vom Hof aus nach, bis sie ihn nicht mehr sehen konnten. Die Dunkelheit schluckte Izmir. Lautlos glitt er über Havanna, den Hafen und die Reede hinweg, flog aus der Bucht auf die offene See hinaus und wandte sich mit seinem unbeirrbaren Instinkt nach Osten.

Im Kontor der Faktorei fand noch eine kurze Besprechung statt.

„Du hast auch weiterhin die Aufgabe, Caligula zu beobachten“, sagte Arne zu Jussuf. „Wir müssen über jeden seiner Schritte unterrichtet sein.“

„Also beziehe ich am Morgen vor dem Liebesnest des ungetreuen Queen-Liebhabers meine Lauerstellung?“

Arne und Jörgen mußten unwillkürlich grinsen.

„Ja“, erwiderte Arne. „Vielleicht gelingt es dir auch, herauszubekommen, was mit der Queen geschehen ist. Ob sie noch am Leben ist, und wo sich die Bande mit ihrem Zweidecker versteckt hat. Ich vermute, das könnte um Kuba herum sein. Das Auftauchen von Cariba und Caligula deutet jedenfalls darauf hin.“

„Mein verehrter Herr und Gebieter“, sagte Jussuf und deutete eine Verbeugung an, „ich werde diesen Auftrag zu deiner vollen Zufriedenheit ausführen. Verlaß dich ganz auf mich.“

Arne wußte, daß er das konnte. Kein anderer Mann als Jussuf war besser für diese Aufgabe geeignet.

3.

Früh am nächsten Morgen nahm Jussuf eine „Verwandlung“ an sich vor. Er scheute keine Mühe, war hart zu sich selbst und opferte, was ihm lieb und teuer war, denn schließlich war es der Zweck der Sache, der die Mittel heiligte. Mit anderen Worten: Er rasierte sich seinen schönen, gehegten und gepflegten Sichelschnauzbart ab.

Eine Weile betrachtete er sein nunmehr glattes Gesicht im Spiegel, fuhr sich mit der Hand über die Wangen und die Oberlippe und schnitt eine traurige Miene. Er war drauf und dran, ein paar Tränen zu vergießen, rief sich aber die Dringlichkeit und Wichtigkeit seines Unternehmens ins Gedächtnis und setzte seine Arbeit fort.

Wenig später kleidete ein dichter grauer Vollbart sein Gesicht neu. Mit viel Sorgfalt befestigte und kämmte er ihn, wechselte seine Kleidung und zeigte sich dann seinen beiden Freunden.

„Sehr gut“, sagte Arne lobend. „Der Bart wirkt völlig echt.“

„Wenn ich nicht wüßte, daß du es bist, würde ich dich nicht wiedererkennen“, sagte Jörgen Bruhn. Er meinte es ernst. Tatsächlich war Jussuf ein Talent auf dem Gebiet des Verkleidens. Mit orientalischem Geschick vermochte er sich binnen kürzester Zeit so zu verändern, daß er auch aufmerksame Beobachter täuschte.

Darauf kam es ihm an. Er nahm seine Aufgabe sehr genau und wollte sich um keinen Preis verraten.

Er verstellte sogar seine Stimme und sprach heiser und schwer verständlich wie ein alter Mann.

„Auf geht’s“, sagte er. „Mal sehen, ob Caligula um diese Zeit schon auf den Beinen ist.“

Arne und Jörgen grinsten, als Jussuf die Faktorei verließ. Sie sahen ihm durch ein Fenster nach und waren sich einig: überzeugender hätte er die Rolle des „alten Bartes“ nicht spielen können.

„Er ist wirklich ein Unikum“, sagte Arne. „Ich habe noch nie einen Mann kennengelernt, der gleichzeitig so intelligent, gerissen und listig ist wie er.“

Sie wußten, was sie – ganz abgesehen von den Tauben – an Jussuf hatten. Er beobachtete scharf, nichts konnte seinen Augen und Ohren entgehen. Er hatte Informanten in der ganzen Stadt, darunter auch Gassenjungen, die genau wußten, daß er sich nicht lumpen ließ, wenn er etwas erfahren wollte. Schon oft hatte er Silberlinge springen lassen und sicherte sich dadurch einerseits das „Vorkaufsrecht“ einer Information, andererseits das absolute Stillschweigen seiner „Leute“.

Ja – er war ein ganz ausgekochtes Schlitzohr, allerdings mit dem positiven Attribut der unbedingten Treue zu Arne von Manteuffel. Arne hatte ihn von dem Riff abgeborgen, dafür war er ihm ewig dankbar.

Jussuf schlurfte am Kai entlang, betrat die Gassen des Hafenviertels, hörte sich hier und da um, erfuhr aber nichts Konkretes über Caligula. Er suchte die Kaschemme „Malagena“ und einige andere Kneipen auf, aber auch dort war nichts herauszubringen. Um diese Stunde waren kaum Zecher anzutreffen, mit denen man sich unterhalten konnte. Die Schankwirte waren mürrisch und verbiestert, und die „Damen des horizontalen Gewerbes“ schliefen. Joanna beispielsweise, mit der Caligula sich am Vorabend vergnügt hatte, lag wie tot auf ihrem Lager ausgestreckt.

Jussuf sah sie durch ein Bleiglasfenster an der Rückseite der Kaschemme, als er auch hier eine Routineuntersuchung vornahm. Joanna war völlig nackt, das Bettuch war ihr bis unter die Hüften heruntergerutscht. Jussuf schluckte unwillkürlich. Er war alles andere als ein Kostverächter, und der Anblick ihres Körpers erregte ihn. Aber andererseits war er auch kein Gaffer und Voyeur. Er wandte sich ab und setzte seinen Weg fort.

Er beschloß, daß ein direkter Vorstoß zu dem Hurenhaus am Rand des Hafens die geeignete Taktik war. Dort konnte er sich höchstens an verschlossenen Türen die Nase stoßen oder riskieren, hinausgeworfen zu werden. Auf diesen Versuch ließ er es ankommen.

Das Bordell war ganz aus grauen Steinen errichtet und außen nicht verputzt. Die Fenster und Fensterläden waren rot und blau gestrichen; die Besitzerin schien dies für einen besonders gelungenen Einfall gehalten zu haben. Über Geschmack ließ sich streiten – auf jeden Fall lockten die bunten Farben Kundschaft an.

Jussuf trachtete danach, irgendwo eine Tür zu öffnen und einfach ins Innere vorzudringen. Wenn man ihn entdeckte, würde er einfach behaupten, er habe sich „verlaufen“. Man würde ihn für einen Bettler, schlimmstenfalls für einen Dieb halten. Auch das nahm er auf sich.

Aber das Haus war fest verrammelt, nirgendwo schien es einen Durchschlupf zu geben. Die Läden waren auch verschlossen, und es regte sich nirgends etwas.

Wie es seine Rolle verlangte, brummelte Jussuf etwas Unverständliches in seinen Bart und betrat den Hinterhof, der durch eine hohe Steinmauer umschlossen wurde. Die schmiedeeiserne Pforte ließ sich öffnen. Sie knarrte auch nicht in ihren Angeln.

So wurde das Mädchen, das am Brunnen stand und sich wusch, erst auf ihn aufmerksam, als er ziemlich dicht hinter ihr stand und sich räusperte. Mit einem kleinen Entsetzenslaut fuhr sie zu ihm herum und bedeckte ihre bloßen Brüste mit einem Handtuch.

Merkwürdig ist das, dachte Jussuf, sie verkaufen sich an Seeleute und haben doch so etwas wie ein Schamgefühl bewahrt. Seltsam, wirklich seltsam.

„Keine Angst“, sagte er gedämpft. „Ich will nicht betteln und auch nicht klauen. Ich bin nur neugierig. José ist mein Name, und einen schönen guten Morgen wünsche ich.“

Sie schien zu überlegen, ob sie ihn zum Teufel jagen oder über ihn lachen sollte. Dann schüttelte sie lächelnd den Kopf und sagte: „Guten Morgen. Ich bin Maria del Mar. So werde ich von allen hier genannt. Wir beiden scheinen die einzigen zu sein, die um diese Zeit schon auf sind, José.“

„Ja, das Gefühl habe ich auch.“ Er musterte sie. Sie war sehr jung und sehr hübsch. Plötzlich tat sie ihm leid. Hätte sie nicht seine Tochter sein können? Ja, fast.

„Kommst du aus der Stadt?“

„Ja.“

„Ich habe dich dort noch nie gesehen“, sagte sie. „Aber ich gehe ja auch nicht oft in die Stadt. Wir haben hier alles, war wir brauchen, und Madam Luana ist sehr gut zu uns.“

„Madam Luana – ist das die Besitzerin?“

„Ja. Du weißt also, daß dies kein Kloster ist?“ Sie kicherte.

„Sicher weiß ich das“, erwiderte er. „Ich arbeite als Kammerdiener in der Residenz des Gouverneurs und komme auch selten raus. Von früh bis spät scheucht mich Don Antonio durch den Palast. Ich habe nichts zu lachen.“

„Das glaube ich. Dieser Don Antonio soll ein fetter Widerling sein. Oh, habe ich was Falsches gesagt?“

„Nein, keineswegs. Ich kann ihn ja selbst nicht leiden.“

„Und was suchst du nun hier, José?“

„Ach, ich wollte nur mal schauen, was sich hier so abspielt“, erwiderte er in gespielter Verlegenheit. „Nein, nicht das, was du denkst. Ich habe gehört, daß hier ein großer Schwarzer namens Caligula abgestiegen sein soll. Den wollte ich mir mal ansehen. Der soll ein gefährlicher, gefürchteter Pirat sein.“

Maria del Mar hob die Hand gegen den Mund und stieß ein verhaltenes „Oh“ aus. „Der? Ist das wirklich wahr? Santa Madre de Dios, ein Glück, daß ich mich nicht mit ihm einlassen mußte. Ich habe gestern abend nur gehört, wie er herumgetönt hat, was für ein Kerl er doch sei. Daß er aber ein Pirat ist, habe ich nicht geahnt.“

„Was hat er denn so von sich gegeben?“

„Willst du das unbedingt wissen?“

Jussuf seufzte und griff in die Hosentasche. Er förderte eine Perle zutage und drückte sie dem überraschten Mädchen in die Hand. „Ich will offen zu dir sein. Als alter und langgedienter Lakai von Don Antonio genieße ich so etwas wie eine Vertrauensstellung. Er will wissen, wer sich in Havanna herumtreibt. Als er vernommen hat, daß dieser Caligula hier sein soll, hat er mir den Auftrag gegeben, mich ein bißchen zu informieren, ob es stimmt.“

„Aber dafür hat er doch seine Polizisten.“

„Die können aber nicht so unauffällig auftreten wie ich.“

„Du bist also ein Spion?“ fragte sie.

Ein bißchen naiv war sie trotz ihres Metiers, das mußte Jussuf feststellen. Deshalb antwortete er: „Ja. Ich bin ein Geheimagent des Gouverneurs. Das mußt du aber für dich behalten. Weißt du, daß die Perle eine Menge wert ist?“

„Ja. Ich habe doch gar nichts dafür geleistet. Willst du mit auf meine Kammer kommen?“

Wieder seufzte er. „Liebend gern, aber mein Auftrag geht vor. Was ich von dir verlange, ist, daß du mir Caligula zeigst, damit ich mich von seiner – nun, äh – Echtheit überzeugen kann.“

Maria del Mar nickte. Sie fand die Sache spannend und abenteuerlich. „Einverstanden, das läßt sich arrangieren. Du mußt aber ganz leise sein. Wenn Madam Luana rauskriegt, daß ich dich heimlich reingelassen habe, ist der Teufel los.“

Caligula lag – völlig entkleidet – in den Armen zweier ebenfalls hüllenloser „Damen“. Die eine war rothaarig, die andere hatte schwarze Locken. Soviel sah Jussuf, als er durch den Türspalt einen raschen Blick in den Raum im oberen Stockwerk des Hauses warf. Dann tippte Maria del Mar ihn mit dem Finger an, denn ein paar Türen weiter waren Geräusche zu vernehmen.

Maria del Mar zog die Tür zu, schob Jussuf vor sich her und dirigierte ihn in das Nebenzimmer. Hier verweilten sie und atmeten ein paarmal tief durch. Sie setzte sich auf die Bettkante, kleidete sich ganz an und sagte: „Dies ist mein Zimmer. Du kannst dir mein Angebot noch überlegen.“

Draußen, auf dem Flur, waren trippelnde Schritte zu vernehmen. Zwei Damen schienen wach zu sein und stiegen die Treppe hinunter, um sich auf dem Hof am Brunnen zu waschen. Maria del Mar nickte Jussuf beruhigend zu.

„Die bereiten uns keine Schwierigkeiten“, raunte sie. „Madam Luana liegt noch in den Federn, das ist die Hauptsache. Also?“

„Es ist Caligula, kein Zweifel.“

„Wirst du es dem Gouverneur melden?“

„Ja, sofort.“

„Und er wird Caligula gefangennehmen?“

„Das weiß ich nicht“, entgegnete Jussuf. „Das muß der Gouverneur entscheiden. Vielleicht wartet er auch ab, wie der Kerl sich weiter verhält. Eine direkte Anklage oder Anzeige gegen ihn liegt nämlich nicht vor, soviel ich weiß.“

„Aha.“ Sie deutete einladend auf das Bett. „Hast du nicht noch eine Minute Zeit?“

„Ach, lassen wir das lieber.“ Die Situation war ihm jetzt wirklich peinlich. „Ich – es ist ja noch viel zu früh und so.“

„Ich begreife schon, mein Alterchen“, sagte sie verständnisvoll. „Die Liebe ist nichts mehr für dich. Schade. Ich finde dich nämlich sehr nett.“

„Ich dich auch. Aber kannst du mir nicht erzählen, was Caligula gestern abend alles gesagt hat?“

„Heute nacht, meinst du. Na ja, er war wohl völlig betrunken. Madam verkauft ja auch einen sehr guten und starken Wein. Wie ich schon sagte, hat er herumgetönt und mächtig aufgeschnitten unten, im Salon, wo die anderen Mädchen ihn auch mit Essen bewirtet haben.“

„Das muß ihn eine Menge Geld kosten.“

„Madam hat gleich gesehen, daß er eine Geldkatze bei sich hat. Und in den Taschen hat er Perlen.“

„Ich verstehe“, sagte Jussuf. „Er kann sich was leisten.“

„Und dauernd hat er gerufen, daß er ein toller Hecht sei und das tollste Weib auf Erden besitze.“

„So?“

„Eine Königin“, fuhr Maria del Mar fort. „Soviel habe ich gehört, während ich hier oben mit einem Kunden – beschäftigt war. Dann hat Madam gefragt, ob es die Königin nicht störe, daß ihr Gemahl sich anderweitig vergnüge, und die Mädchen haben gelacht.“

„Und er?“

„Er hat behauptet, daß er erstens nicht mit ihr verheiratet sei, und daß sie zweitens zur Zeit nicht in der Lage sei, mit ihm in die Koje zu steigen.“ Sie kicherte und schüttelte den Kopf. „So was. Das würde aber wieder anders werden, meinte er. Bald würde er mit ihr, der schwarzen Königin, über die ganze Karibik herrschen, aber erst wolle er die englischen Piraten ans Messer liefern, die überall ihr Unwesen treiben. Ehrlich, ich habe nicht geahnt, daß er selbst ein Pirat ist.“

„Hat er noch mehr über seine Königin gesagt?“

„Daß er wieder zu ihr zurückkehrt, habe ich vernommen. Wenn er hier fertig ist.“

„Was will er denn in Havanna?“

„Mit den englischen Piraten aufräumen“, erwiderte sie. „Das hat er doch selbst gesagt.“

„Ja, richtig.“

„Was sind denn das für Piraten?“

„Ich weiß es selbst nicht“, log Jussuf. „Aber auch das werde ich herausfinden, verlaß dich drauf.“ Jetzt hatte er die Bestätigung: Die Black Queen lebte noch. Aber er mußte mehr erfahren. „Und wo hält sich die Königin auf?“ fragte er.

„Das weiß ich nicht.“ Maria del Mar benetzte ihre Lippen mit der Zungenspitze. Plötzlich hob sie die Hand. „Halt, Augenblick. Madam fragte ihn noch, wo denn das Königinnen-Liebesnest sei, sehr zum Vergnügen der Mädchen übrigens. Da brüllte Caligula, ob sie schon mal etwas von den Islas de Mangles gehört habe. Da gebe es nämlich eine wunderschöne Insel mit einer hübschen, versteckten Bucht, wo der Zweidecker ankere.“

„Nicht zu fassen“, sagte Jussuf. „Einfach toll. Diese Islas de Mangles liegen doch südlich von Kuba, nicht wahr?“

„Da fragst du mich jetzt wirklich zuviel.“

„Schon gut. Aber erzähle mir alles, was du sonst noch gehört hast.“

Das tat Maria del Mar. Jussuf verließ kurze Zeit später das Hurenhaus – mit entsagungsvoller Miene. Er mußte auf das verzichten, was sie ihm angeboten hatte. Aber es war auch besser so. Allah drückte in diesem Punkt bestimmt kein Auge zu, und ein gläubiger Muselman ließ sich mit keiner Dirne ein.

Aus einiger Entfernung behielt Jussuf das Bordell auch weiterhin im Auge. Seine Geduld wurde auf die Probe gestellt, aber nach Ablauf von ungefähr zwei Stunden erschien Caligula dann doch.

Er wankte ein wenig, schien aber höchst vergnügt und guter Dinge zu sein. Sein Weg führte ihn zurück in den Hafen, und er steuerte direkt die Kaschemme „Malagena“ an. Joanna war ihm wieder eingefallen, er wollte ihr unbedingt guten Tag sagen. Außerdem hatte er Durst – großen Durst.

Den Verfolger bemerkte Caligula nicht. Jussuf, der „alte Vollbart“, schritt ebenfalls auf die Kneipe zu, als der Kerl an ihm vorbei war. Er hatte sich in einer Hofeinfahrt verborgen. Jetzt zeigte er sich offen und betrat das Gewölbe der Kaschemme. Er tat so, als sehe er Caligula überhaupt nicht und trat an die Theke.

Caligula hatte bereits Gesellschaft. Zwei Zecher und eine dunkelhaarige, glutäugige Hure hatten sich an seinem Tisch niedergelassen.

Er füllte ihre Becher aus einem großen Krug und rief: „Wo ist Joanna? Ich will sie begrüßen!“

„Sie erscheint gleich“, erwiderte der Schankwirt. „Durch dein Gebrüll wird sie bestimmt wach.“

„Ich hätte gern ein Glas Wasser“, sagte Jussuf.

Der Wirt wandte den Kopf und sah ihn drohend an. „Wasser? Womöglich auch noch umsonst, wie?“

„Nein. Ich bezahle es.“

„Wasser gibt’s draußen, am Brunnen“, brummte der Mann. „Hier schenke ich nur Bier, Wein, Rum und aus Wein gebrannten Schnaps aus.“

„Dann bitte ein kleines Bier“, sagte Jussuf. Seine Stimme wurde aber fast ganz durch Caligulas Gebrüll übertönt. Caligula schien auf Wolken zu schweben. Er umarmte die Hure und rief: „Es lebe Havanna! Die Welt ist schön! Hoch die Becher, heute saufen wir uns die Hucke voll!“

„Hör dir den an“, sagte der Wirt zu Jussuf. „Der spinnt vielleicht. Aber mir soll’s recht sein. Zahlen kann er ja. Solange er keinen Ärger macht, bediene ich ihn.“

„Und die anderen saufen auch auf seine Kosten“, sagte Jussuf. Er trank nur die Hälfte von seinem Bier, schob dem Wirt eine Münze zu und ging. Er hatte genug gesehen und gehört. Der Wirt blickte ihm ziemlich verwundert nach, steckte die Münze weg und unterzog den Tresen einer symbolischen Reinigung. Dann eilte er zu Caligulas Tisch. Der Bierkrug war leer und mußte wieder gefüllt werden.

Jussuf kehrte zur Faktorei zurück und berichtete Arne und Jörgen, was er beobachtet und vernommen hatte – vor allem sein „Abenteuer“ in dem Hurenhaus, wobei er nicht versäumte, Maria del Mar ausführlich zu beschreiben.

„Du Ärmster“, sagte Jörgen. „Und so ein großzügiges Angebot hast du abgelehnt?“

„Mein Auftrag ist wichtiger“, erwiderte Jussuf mit Würde. „Und man muß Prioritäten zu setzen wissen. Außerdem verbietet der Prophet den Umgang mit solchen Frauenzimmern.“

„Schon gut“, sagte Arne. „Caligula hat also voll aufgedreht und den großen Mann gespielt, nicht wahr?“

„Ja. Die Weiber haben vor Vergnügen gekreischt“, hob Jussuf noch einmal hervor. „Das meiste, was er von sich gegeben hat, haben sie nicht für bare Münze gehalten. Aber sie haben ihn immer wieder animiert, noch mehr zu erzählen, vor allem Madam Luana. Er hat sich als großer Kapitän ausgegeben und verraten, wo sich sein Schiff zur Zeit befindet.“

„In einer Bucht der Islas de Mangles“, wiederholte Arne. Er hatte bereits eine Karte zur Hand genommen und die Position der Inselgruppe südlich von Kuba festgestellt. „Mein lieber Jussuf, dieser Hinweis ist für uns Gold wert. Nicht nur für uns, sondern auch für unsere Freunde von der Schlangen-Insel.“

Jussuf grinste breit und zufrieden. „Wir schicken also wieder einen meiner Lieblinge auf die Reise?“

„Ja. Aber erst, wenn es wieder dunkel ist.“

„Ich verstehe nicht, wie Caligula so unvernünftig sein kann“, sagte Jörgen. „Er muß doch damit rechnen, daß irgend jemand gegen ihn verwendet, was er ausplaudert. Vielleicht hat Madam Luana längst begriffen, daß mit der ‚Königin‘ die Black Queen gemeint ist. Sie könnte das an den Gouverneur weitergeben.“

„Das glaube ich nicht“, sagte Arne. „Aber Caligulas Ausrutschen könnte folgende Gründe haben. Mitte Dezember wurde die Queen ja von El Tiburon angeschossen. Seitdem mußte sich Caligula um sie und auch um den Zweidecker kümmern. Das hat an ihm gezehrt. Jetzt ist er in der großen Hafenstadt Havanna und kann das genießen, was er seit Monaten entbehrt hat. Versteht ihr?“