Kitabı oku: «Seewölfe Paket 22», sayfa 27

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„Wir bleiben natürlich hier“, erklärte Tores hastig. „Ich meine – das war eben nur so dahergesagt.“

Luis Campos musterte ihn aus kalten, gnadenlosen Augen. „Ja. Aber wenn ihr an Bord bleibt, dann habt ihr weiter nichts zu tun, als die Schnauze zu halten und meine Befehle auszuführen. Also, ihr habt die Wahl, bitte sehr.“

„Wir bleiben“, murmelten die vier, und es war das erste Mal, daß der vierte Schiffbrüchige etwas sagte, seit er an Bord der Schaluppe war. Seine Verhaltensweise war die beste: Maul halten und Kommandos ausführen. So wollte Campos es haben. Warum auch nicht? Bisher war es immer so gewesen, und so konnte es auch bleiben, trotz allem, was vorgefallen war.

An Bord der Schaluppe war man jetzt in Sicherheit, allein das war ausschlaggebend. Vielleicht, so dachte Tores, als er sich seiner ihm von Campos zugeordneten Aufgabe zuwandte, finden wir den Zweidecker ja auch gar nicht mehr. Zu wünschen wäre es. Vielleicht haben wir ja wenigstens in diesem Punkt Glück.

Somit war der Fall vorerst ausgestanden. Tores, Alain und die beiden anderen Männer von Schaluppe zwei blieben an Bord des „Flaggschiffes“. Der Admiral segelte wieder auf dem Kurs der „Caribian Queen“ und versuchte erneut, sie zu finden.

6.

Muddi – so hieß der Mann, der sich an diesem Nachmittag des 5. Oktober im Hauptmars der „Caribian Queen“ befand und aufmerksam nach allen Seiten Ausschau hielt. Daß er da oben war, wurde von allen begrüßt, nicht nur von Siri-Tongs Crew, sondern auch von den Männern der „Isabella“ und der Mannschaft Jean Ribaults.

Sehr viel schlechter wäre es gewesen, wenn er beispielsweise die Kombüse betreut hätte. Höchstwahrscheinlich hätte dann keiner mehr auch nur einen Bissen heruntergewürgt, denn allein beim Anblick Muddis konnte einem schlecht werden. Ja, hätte man ihn zum Kombüsendienst eingeteilt, dann wäre er mit Sicherheit von den versammelten Crews per Fangleine ins Wasser getunkt oder mit dicken Tampen durchgeklopft worden, damit der Dreck abfiel.

Muddi, der eigentlich Robinson hieß oder sich so nannte, war nämlich die dreckigste Ratte, die an Bord dieses Schiffes herumlief. Er wusch sich so gut wie nie, daher rührte auch sein Beiname, der im Englischen soviel wie „Dreckiger“ bedeutet.

Er behauptet von sich, ein „waschechter“ Engländer zu sein, aber das nahm ihm keiner wirklich ab. Er war entsetzlich schmierig, kratzte sich ständig und verbreitete einen höchst unangenehmen Geruch, so daß man es in seiner Nähe kaum aushielt.

Die Haare wuchsen ihm nicht nur auf dem Schädel und am Kinn, sie sprossen ihm auch aus den Ohren und aus der Nase. Seine grauenhaften Finger waren ebenfalls von schwarzen Haaren übersät, so daß man das Gefühl hatte, eine Vogelspinne krieche auf einen zu, wenn er sich bewegte.

Aus allen diesen Gründen schlief Muddi stets allein, irgendwo an Deck. Das war auch damals, zu den Zeiten des „Roter Drache“, schon so gewesen. Weiterhin hatte die Crew der Roten Korsarin einen alten Brauch bewahrt, der von Zeit zu Zeit wie ein Ritual wiederholt wurde: Dann griff man sich diesen Dreckspatz Muddi und warf ihn unter allgemeinem Johlen und Pfeifen ins Wasser, und zwar in die See. Er durfte am Tau zappeln, und alles Fluchen und Flehen nutzte ihm nichts – er wurde gewaschen. Man zerrte ihn wieder an Deck und schrubbte ihn kräftig ab, bis er sauber war und nicht mehr stank.

Aber das hielt immer nur kurze Zeit vor. Muddi fühlte sich nur im Dreck wohl, die Körperpflege war nichts für ihn, und er hielt es mit den Leuten des Mittelalters. Seinerzeit, so hatte er vernommen, war das Waschen und Baden verboten gewesen – wegen der Wasservergeudung. Das, so fand er, war ein sehr vernünftiges Gesetz gewesen.

So stand Muddi also nun im Hauptmars und verschonte die Mannschaften vor seinen unangenehmen Düften. Mal kratzte er sich geschäftig, mal bohrte er in der Nase oder in den Ohren, aber nie vergaß er, durchs Spektiv zu blicken und die Kimm zu beobachten.

Er hatte fast immer schlechte Laune, klaute gelegentlich schon mal, soff gern und hatte es auf der Lunge. Aber die Gründe, warum Siri-Tong ihn in ihrer Crew behielt, waren eben doch mannigfach. Er war ein ausgezeichneter, erfahrener Seemann, der immer seinen Dienst versah, wie es sich gehörte. Zudem war er ein harter und mutiger Kämpfer und – trotz all seiner Fehler – ein Kerl, mit dem man durch dick und dünn gehen konnte.

Am späten Nachmittag unterbrach Muddi seine Kratz- und Bohrtätigkeit, weil er etwas entdeckte, was seine Aufmerksamkeit erregte.

„Hoppla“, brummelte er. „Da sind ja Mastspitzen. Soll der Teufel mich holen – das sieht mir ganz nach diesem Admiral aus.“ Er kniff das Auge, mit dem er durch das Rohr spähte, noch ein bißchen zusammen, dann war er sich seiner Sache sicher.

Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf und beugte sich über die Umrandung des Marses.

„Deck!“ brüllte er. „Mastspitzen achteraus! Es ist die letzte der drei verdammten Schaluppen!“

„Gut, Muddi!“ rief die Rote Korsarin. „Behalte ihn auch weiterhin im Auge!“

„Aye, Madam!“

„Also, das ist ja wohl der dickste Hund, den es je gab“, sagte Big Old Shane. „Ist der Bastard schon wieder da?“

Sie blickten mit dem Kieker nach achtern, und Jean Ribault konnte seinen Mund wieder einmal nicht halten.

„Da haben wir ihn ja, deinen liebestollen Admiral“, sagte er zu Siri-Tong. „Findest du das nicht rührend? Daß er so anhänglich ist, meine ich?“

Sie ließ das Spektiv sinken und sah ihn aus zornfunkelnden Augen an. „Fängst du schon wieder damit an?“

„Stell dir mal vor, er hätte dich bei dem Bad beobachtet, das du in dem Lagunensee der Insel von Grand Cay genommen hast“, sagte Ribault. „Ich glaube, da wäre er völlig übergeschnappt.“ Er spielte auf die List an, mit der es ihr gelungen war, die wilden Kerle der „Lady Anne“ anzulocken und zu überwältigen. Diese Begebenheit lag jetzt schon über einen Monat zurück, aber sie alle mußten immer wieder daran denken – nicht nur wegen Siri-Tongs Nacktbad.

„Mister Ribault“, sagte sie scharf. „Jetzt ist aber Schluß! Ich dulde keine Respektlosigkeiten auf meinem Schiff. Hör endlich auf, oder es gibt wirklich Ärger.“

„Aua“, sagte er. „Da bin ich wohl doch zu vorlaut gewesen. Ich bitte um Verzeihung.“

„Schon gut.“ Sie spähte wieder zu der Zweimastschaluppe, die inzwischen bereits mit dem bloßen Auge gut zu erkennen war.

„Dieser Affenarsch von Admiral!“ wetterte auf dem Hauptdeck Carberry. Er stand am Schanzkleid und sah wütend achteraus. „Hat der denn immer noch nicht die Schnauze voll?“

„Offenbar nicht“, sagte Dan O’Flynn. „Sonst hätte er kapituliert. Das sagt einem doch der logische Verstand, nicht wahr, Ed?“

„Fang du jetzt nicht mit deinen schlauen Sprüchen an.“

„Er hat einen weg“, sagte Matt Davies.

„Wer? Ich?“ Der Profos drehte sich um und fixierte ihn drohend. „Paß bloß auf, was du sagst, Mister Davies, sonst stopfe ich dir dein Maul mit ein paar Belegnägeln.“

„Ich meine den Admiral“, sagte Matt seelenruhig. „Ihm muß doch aufgegangen sein, daß sich seine Chancen, uns zu entern, noch mehr vermindert haben, seit die andere Schaluppe versenkt worden ist. Ist der lebensmüde?“

„Ein Verrückter, der gefährlich ist“, sagte der Seewolf, der bisher die Zweimastschaluppe nur schweigend, durch den Kieker betrachtet hatte. Mehr äußerte er nicht, aber auch ihm war klar, daß dieser Luis Campos, der sich selbst den Admiralsrang verliehen hatte, es tatsächlich auf Siri-Tong abgesehen hatte.

Jean Ribault, von dem ihm die Szene in der „Schildkröte“ auf Tortuga erzählt worden war, hatte verächtlich gemeint, der Admiral wäre weiter nichts als ein Weiberheld, der sich einbildete, ein großer Verführer zu sein und alle Frauenherzen zum Schmelzen zu bringen. Das mochte stimmen, aber dann gehörte er nach Hasards Meinung zu jenen Typen unter den Weiberhelden, die tückisch wurden, wenn sie eine Abfuhr erhielten – tückisch und gewalttätig.

Für sich allein waren solche Kerle schon übel genug, aber wenn sie dann auch noch einen Haufen von Schnapphähnen um sich versammelt hatten, war noch mehr Vorsicht geboten, zumal sie auch rücksichtslos genug waren, zur Erreichung ihres Zieles ihre Kumpane zu verheizen. Das zeichnete sich hier deutlich ab. Der Admiral handelte wie ein blindwütiger Fanatiker und trieb seine Kerle in den Tod.

Fragt sich nur, dachte Hasard, wieweit diese letzten Kerle mit ihrem Admiral mitziehen und bei der Stange bleiben.

„An sich müßten sie doch abgeschreckt sein“, sagte Siri-Tong. „Ich meine die Kerle. Schön, dieser Admiral hat sich in seine Idee verrannt und will sich an uns rächen, aber warum machen seine Kerle nach so vielen Verlusten noch mit?“

„Das spricht auch für sich“, erwiderte der Seewolf. „Daß sie wieder achteraus herumhängen, deutet ganz klar darauf hin, daß der Admiral sie fest im Griff hat.“

„Hast du einen Vorschlag?“ fragte sie erbittert.

„Es gibt drei Möglichkeiten“, entgegnete er. „Die erste: Wir halten es wie in der vergangenen Nacht, verlassen uns auf unsere guten Ausgucks und eröffnen das Feuer, sobald wir die Schaluppe entdecken, wenn sie zum Entern aufschließt.“

„Und die zweite? Eine List, oder?“

„Ja. Wir tun so, als hätten wir sie nicht entdeckt.“

„Und dann lassen wir sie längsseits gehen“, murmelte die Rote Korsarin.

„Wir fallen erst über sie her, wenn sie an Bord entern“, fuhr Hasard fort. „Blindwütig, wie er ist, geht der Admiral mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit in diese Falle. Eine dritte und letzte Möglichkeit wäre, ihn auf andere Weise zu täuschen.“

„Wir ändern unseren Kurs, das meinst du doch, nicht wahr?“

„Ja“, erwiderte Hasard. Die anderen hatten sich um sie versammelt und hörten aufmerksam zu, während sie sprachen. „Wir gehen sofort bei Dunkelheit etwa auf Nordkurs, wenn sie also noch nicht weit genug aufgeschlossen haben. Wir schlagen einen Bogen über Osten und setzen uns dann in ihr Kielwasser.“

Sie lächelte plötzlich hart. „Sehr gut. Dann haben wir sie vor uns und befinden uns somit in der Luvposition.“

„Aus der heraus wir zuschlagen können“, sagte Jean Ribault. „Sobald wir sie wieder sichten.“

„Das hört sich gut an“, sagte Ben Brighton. „Wie auch immer bei dieser dritten Möglichkeit – wir sitzen ihnen im Genick, und sie können sich lediglich in Richtung Südwesten absetzen, also weg von uns.“

„Ja“, sagte der Seewolf. „Auf allen anderen Kursen sollte es uns möglich sein, ihnen den Weg abzuschneiden.“

„Letzteres stimmt“, sagte die Rote Korsarin. „Aber was ist, wenn sie begreifen, daß sie uns verloren haben und jetzt nach Norden oder Süden die See absuchen?“

Hasard grinste. „Dann sind wir sie vermutlich los.“

„Und das wäre als Lösung auch nicht zu verachten“, sagte Ferris Tucker.

„Ich bin für den Kampf“, sagte Barba. „Sie müssen ihr Fett kriegen.“

„Dabei besteht aber das Risiko, daß auch wir Verluste haben“, sagte Roger Brighton.

„Na und?“ Barba lachte grollend. „Sind wir aus Zucker?“

„Sind wir nicht!“ rief Carberry. „Und ich möchte den Admiral zu gern ein bißchen hüpfen lassen.“

„Laßt uns beraten, welche der drei Möglichkeiten die beste ist“, sagte Siri-Tong.

„Ich finde, die dritte ist die beste“, sagte Ben Brighton. „Die anderen haben wir auch oft genug ausprobiert.“

Shane stimmte ihm sofort zu. „Das ist richtig. Diese dritte Sache ist mal was anderes.“

„Eine neue Variante“, sagte auch Dan O’Flynn. „Sie gefällt mir.“

Hasard grinste wieder, denn Barba rief in diesem Augenblick: „Ich will kämpfen! Ich lasse die Kuh fliegen, und der Admiral sackt ab wie ein Bleiklotz!“

„Nun laß doch die Kuh in Frieden“, sagte Jean Ribault. „Das arme Tier.“

„Zurück zur Abstimmung“, sagte die Rote Korsarin. „Werden wir uns jetzt einig?“

„Ich bin auch für Plan drei“, sagte Karl von Hutten. „Damit haben wir die größten Chancen, das idiotische Spiel endlich zum Abschluß zu bringen.“

„Außerdem läuft das Unternehmen sogar noch auf ein Schnippchen hinaus“, sagte Dan.

„Vorschlag zwei birgt Risiken“, sagte Ben. „Jemand von uns könnte beim Kampf Mann gegen Mann verletzt oder gar getötet werden. Wollen wir das?“

„Trotzdem bin ich auch für Kampf“, sagte der Profos vom Hauptdeck. „Warum zeigen wir es diesen Hunden nicht endlich gründlich? Zwei ihrer Kähne haben wir versenkt, jetzt ist der dritte dran.“

„Zurück zu Vorschlag eins“, sagte Hasard. „Der birgt, wenn ich es mir recht überlege, einige Unwägbarkeiten. Zum Beispiel diese, daß der Admiral von achtern aufsegelt und uns mit seinen Drehbassen das Ruder zerschießt.“

„Das ist wahr“, sagte Dan. „Daran habe ich auch schon gedacht.“

„Klar“, sagte Ferris, „liegt ja auf der Hand. Die Tour haben wir selbst oft genug mit Erfolg angewandt.“

„Aber wir lassen uns das Ruder nicht beschädigen“, sagte Siri-Tong. „Das wäre dann wirklich ein Hohn. Wenn wir erst manövrierunfähig sind, hat er uns beim Wickel. Dann entert er. Selbst wenn wir im Handgemenge siegen, müssen wir mit Toten und Verletzten rechnen.“

„Also Abstimmung“, sagte Hasard. „Wer ist für die erste Möglichkeit?“

Nur ein paar Männer hoben die Hände und ließen sie schnell wieder sinken. Plan eins taugte nicht viel, das sahen auch sie ein.

„Vorschlag zwei“, sagte Hasard.

Ein paar mehr Arme hoben sich, darunter auch die von Carberry und Barba, die unbedingt kämpfen wollten. Aber auch dieses Mal wurde die erforderliche Mehrheit nicht errungen.

„Plan drei“, sagte der Seewolf – und jetzt flogen die Hände hoch. Es war auch ohne genaues Abzählen klar, daß die Wahl entschieden war.

„Fein“, sagte die Rote Korsarin. „Dann laßt uns nur noch die Dunkelheit abwarten. Sobald es Nacht ist, werden wir versuchen, diesen Bastarden ein Schnippchen zu schlagen.“

Muddi hatte unterdessen die Zweimastschaluppe unablässig beobachtet. Er sah, daß sie noch nicht aufschloß. Er schaute zum Himmel auf und dachte: Nun beeil dich schon. Wird’s bald mit der Dämmerung, oder was ist los?

Lange dauerte es nicht mehr, und der Wunsch ging in Erfüllung. Aber es war noch die Frage, ob der Plan wirklich gelingen würde. Man durfte den Admiral nicht unterschätzen. Er war zornig und sann auf Rache, aber er war auch intelligent. Sehr leicht konnte er, wenn er etwas von der Kursänderung der „Caribian Queen“ bemerkte, erkennen, daß man ihn hereinlegen wollte.

7.

Rötlich färbte sich der Himmel im Westen, das Sonnenlicht ließ mehr und mehr nach. Hasard und Siri-Tong standen ganz achtern an der Heckbalustrade der „Caribian Queen“ und blickten zu dem Gegner hinüber.

„Eins steht fest“, sagte Hasard. „Unsere Freunde in der Schaluppe verhalten sich jetzt vorsichtiger.“

„Eingedenk der so weit reichenden Pfeile“, sagte sie.

Hasard überlegte, ob es Sinn hatte, noch einmal den Langbogen zum Einsatz zu bringen. Nein – Die Distanz war viel zu groß.

„Sie bleiben an der Grenze der äußersten Sichtweite“, sagte er.

„Und so hat dein Plan gute Chancen, zu gelingen“, sagte sie mit dem Anflug eines Lächelns auf den Lippen. „Du weißt ja selbst, wie plötzlich die Dunkelheit in diesen Breiten einfällt.“

Von einem Moment auf den anderen senkte sich in der Karibik der Mantel der Nacht auf die See. Die Sonne schien in die See zu stürzen und darin zu versinken wie eine gigantische Kanonenkugel, und abrupt ging das blasse, ersterbende Licht der Dämmerung in Dunkelheit über. So war es auch an diesem Abend. An Bord der „Caribian Queen“ waren inzwischen alle erforderlichen Vorkehrungen getroffen worden, damit das geplante Manöver so schnell wie möglich durchgeführt werden konnte.

Die Männer standen an den Schoten und Brassen bereit, als die Sonne an der westlichen Kimm wegsackte. Kaum war ihr oberer Rand unter der Kimm verschwunden, herrschte auch schon Dunkelheit, und die war jetzt der beste Verbündete für die Besatzung des Zweideckers. Kein Licht wurde entfacht, nicht einmal eine Öllampe oder ein winziges Talglicht.

„Zu was brauchen wir auch Licht?“ brummte der Profos. „Jeder Handgriff sitzt, auch wenn einer den anderen nicht sehen kann.“

„Das ist manchmal auch ein Vorteil“, sagte Bob Grey und grinste.

„Reiß du dein Schott nicht zu weit auf“, sagte Carberry drohend. „Sonst hast du plötzlich zwei Pfund Kabelgarn zwischen den Kiemen stecken und weißt nicht, wie du sie runterschlucken sollst.“

„Achtung!“ zischte Siri-Tong. „Anluven und auf Kurs Norden gehen! Und das laute Sprechen einstellen! Von jetzt an wird nur noch geflüstert!“

„Ich flüstere ja schon“, brummte Carberry.

Die Männer braßten die Segel an. Die „Caribian Queen“ drehte nach Norden hoch. Ein Blick zurück zeigte, daß von der Schaluppe inzwischen nichts mehr zu sehen war. Sie würde erst jetzt anfangen, aufzusegeln, und die Zeit, die sie dazu brauchte, genügte Siri-Tong, sich ungesehen auf nördlichem Kurs abzusetzen.

Gefechtsklar war die „Caribian Queen“ auch, die Rohre der ausgerannten Geschütze ragten aus den offenen Stückpforten. Kartuschen und Kugeln waren in ihnen festgerammt, in den Kupferbecken glomm mit schwachem rötlichem Schimmer die Holzkohlenglut, Sand war auf den Decks ausgestreut worden, und in der Kombüse waren die Feuer gelöscht.

Cookie, Eric Winlow, der Kutscher und Mac Pellew hockten nebeneinander im Dunkeln auf der Bank und hatten die Hände auf die Knie gelegt.

„So“, sagte Mac. „In dieser Finsternis kann kein Mensch mehr arbeiten. Und Ed soll sich nachher bloß nicht wieder aufregen.“

„Diesmal kann er’s nicht“, sagte der Kutscher. „Das Abendbrot wird spät gereicht, so ist es vereinbart. Vielleicht gar nicht. Erst wenn alles vorbei ist, gibt es wieder was.“

„Um so besser“, sagte Cookie. „Dann sparen wir wenigstens.“

„Du Geizhals“, brummte Winlow. „Dir kommt’s wohl nur darauf an, daß du selbst den Wanst voll genug kriegst.“

„Ist gar nicht wahr!“ begehrte Cookie auf.

„Ruhe!“ zischte Mac. „Wollt ihr wohl still sein? Habt ihr die Befehle nicht gehört?“

„Doch“, entgegnete der Kutscher. „Ob wir wohl an Deck gebraucht werden?“

„Jetzt nicht, erst später“, sagte Mac. „Das ist doch klar. Und sie sagen uns dann schon Bescheid.“

„Dann können wir uns also endlich ausruhen.“ Cookie atmete auf. „So ein Glück. Wir haben ja auch genug geschuftet, den ganzen Tag über.“

„Das ist normal“, sagte der Kutscher. „Es gibt immer noch einiges zu tun, bis der Laden hier völlig sauber ist. Da sind noch ein paar Pfannen zu scheuern, wenn ich mich nicht irre.“

„Er weiß doch gar nicht, daß man Pfannen auch säubern muß“, sagte Winlow und meinte Cookie. „Hölle, kein Wunder, daß sich diese Crew immer über das Essen beschwert. Aber morgen koche ich mal und haue den Kerls eine Suppe in die Näpfe, daß sie staunen werden.“

„Es ist gemein, daß ihr mich dauernd beleidigt“, sagte Cookie.

„Mach dir nichts draus“, sagte Mac und klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter. „Es wird schon besser werden. Du mußt eben noch einiges lernen.“

„Jawohl“, sagte Cookie treuherzig. Aber die Gedanken sind frei, dachte er. Ich kann euch also zum Teufel wünschen, sooft ich will, ohne daß ich deswegen wieder was an die Ohren kriege.

„Ich hoffe nur, daß wir diesen Bastard-Admiral so schnell wie möglich zu packen kriegen“, sagte Winlow. „Man muß die Augen offenhalten, damit er nicht von achtern aufsegelt und uns eine Drehbassenkugel in die Ruderanlage setzt. Wer hat denn gerade Dienst als Ausguck? Dieser Bunni etwa – dieser Lumpi, oder wie heißt er?“

Namen konnte er sich nicht merken. Er vergaß und verwechselte sie, das war seine Schwäche. Trotzdem war er geistig nicht so beschränkt, wie er vielleicht aussah. Er hatte ganz schön „was auf dem Kasten“, wie die Männer Jean Ribaults über ihn zu urteilen pflegten. Er war ein guter Kamerad und packte überall dort mit an, wo Not am Mann war. Nur in einem Punkt konnte er sehr wütend werden: wenn jemand über sein Essen meckerte. Dann wurde er rabiat, und es war nicht ratsam, in seiner Nähe zu stehen, weil er Fäuste wie Bratpfannen hatte.

„Muddi“, berichtigte der Kutscher.

„Ja, den meine ich.“

„Muddi hat gute Augen“, sagte Cookie. „Dem entgeht nichts.“

„Die Hauptsache ist, daß ihm die Augen vor lauter Dreck nicht zugekrustet sind“, sagte Mac, und seine Stimme klang so traurig wie die eines Leichenbestatters.

Aber das war wirklich nicht der Fall. Muddi war hellwach und sperrte die Augen auf. Sein Augenmerk galt jetzt insbesondere dem achteren Sektor. Aber dort tat sich nichts. Alles blieb ruhig, der Admiral und dessen Kumpane schienen mit ihrer Schaluppe verschwunden zu sein.

Nach etwa einer halben Stunde ließ die Rote Korsarin durch den Wind und auf Gegenkurs – also Richtung Süden – gehen. Nachdem das Manöver vollzogen war, segelte sie mit halbem Wind und lief wieder mehr Fahrt als zuvor.

„Wir sind jetzt etwas schneller als vorher beim Am-Wind-Kurs“, sagte Siri-Tong. „Wir brauchen nur etwa zwanzig Minuten, dann haben wir die richtige Position erreicht.“

„Vorläufig sind wir noch auf Vermutungen angewiesen“, sagte der Seewolf. „Es könnte schließlich in der Zwischenzeit auch dem Admiral eingefallen sein, seinen Kurs zu ändern.“

„Das glaube ich nicht“, murmelte Jean Ribault. „Unmöglich. Aber ich weiß schon, was du sagen willst. Glauben ist nicht wissen.“

„Genau das, und den Unsicherheitsfaktor muß man immer mit einbeziehen.“ Hasard warf einen prüfenden Blick voraus. Es war nach wie vor stockdunkel. Nur eine schmale, dünne Mondsichel, die nicht den geringsten Lichtschimmer verbreitete, stand am samtenen schwarzen Nachthimmel. Alle Voraussetzungen für ein Gelingen ihres Vorhabens waren gegeben. So gesehen, konnte eigentlich nichts mehr schiefgehen, aber Hasard und auch die anderen hüteten sich, dies laut zum Ausdruck zu bringen.

„Wir brauchen jetzt einen Spezialausguck“, sagte die Rote Korsarin. „Er sollte in den Vormars aufentern.“

„Ich melde mich freiwillig“, sagte Dan O’Flynn.

„Danke“, sagte sie.

„Die Schaluppe müßte sich jetzt direkt vor uns befinden“, sagte Hasard. „Paß also gut auf.“

„Darauf könnt ihr euch verlassen“, sagte Dan und eilte davon. Er verließ das Achterdeck, lief über das Hauptdeck, enterte in den Fockwanten der Luvseite zum Vormars auf und kletterte über die Umrandung. Von hier aus hielt er mit scharfen Augen Ausschau. Ein Spektiv konnte er zwar nicht benutzen, aber er rechnete damit, die Schaluppe trotz der Dunkelheit rechtzeitig genug zu entdecken.

„Natürlich muß uns eins klar sein“, sagte der Seewolf in gedämpftem Tonfall zu den anderen auf dem Achterdeck. „Vermutlich wird sich die Schaluppe mit ihrer größeren Schnelligkeit immer mehr von der ‚Caribian Queen‘ entfernen.“

„Das aber nur bis zu jenem ungewissen Zeitpunkt, an dem der Admiral merken muß, daß er auf diesem Kurs ein Gespenst jagt“, sagte Karl von Hutten.

„Logisch“, sagte Jean Ribault. „Er wird unsicher werden, weil unser Schiff immer noch nicht vor ihm auftaucht. Das wird ihn stutzen lassen.“

„Aber wie lange die Unsicherheit dauert, bis der Admiral den Entschluß faßt, den eigenen Kurs zu ändern, das bleibt abzuwarten“, sagte die Rote Korsarin.

„Wenn er es nicht bereits getan hat“, sagte Hasard.

„Mußt du immer unken?“ fragte sie.

„Das ist so eine Angewohnheit von mir. Seit Clifford mir in den Rücken geschossen hat, bin ich skeptischer geworden“, erwiderte er. „Aber laßt uns unseren Faden doch noch weiterspinnen.“ Er wandte sich Siri-Tong zu, konnte ihr Gesicht in der Dunkelheit aber kaum erkennen. Er blickte auch zu den anderen und fragte: „Was würdet ihr tun, wenn ihr der Admiral wärt?“

„Abhauen“, erwiderte Ferris Tucker spontan.

„Das meine ich nicht. Was würdet ihr tun, wenn ihr merken würdet, daß die ‚Caribian Queen‘ eigentlich längst vor der Schaluppe hätte auftauchen müssen?“

Ben Brighton kannte Hasards Gedankengänge. Schließlich fuhren sie seit vielen Jahren zusammen zur See, und jeder wußte vom anderen, wie er dachte und handelte. Lächelnd sagte Ben: „Der Kerl wird annehmen, daß er in der Dunkelheit an uns vorbeigesegelt ist.“

„Mit anderen Worten, daß er uns überholt hat?“ sagte Ben. „Also auf Nordnordost als Generalkurs.“

„Um den er jedoch in Schlägen aufkreuzen muß“, sagte Shane. „Vermutlich in kleinen Schlägen, um das Risiko, uns noch einmal zu verfehlen, so gering wie möglich zu halten.“

Hasard nickte und grinste. „Genau das. Guter alter Ben, Roger, Shane – ihr habt mal wieder den Nagel auf den Kopf getroffen.“

„War ja auch nicht schwer“, brummte Ben Brighton.

Hasard wandte sich Siri-Tong zu. „Jetzt bist du an der Reihe.“

„Wie?“ Fast hätte sie laut aufgelacht. „Willst du mich etwa auch examinieren?“

„Ja. Was folgerst du aus diesem Kurswechsel des Admirals, Madam?“

„Für uns? Das ist doch klar. Scharf nach Backbord und Steuerbord voraus müssen wir Ausguck halten, Herr Schulmeister.“

„Sehr richtig.“

„Dann spitz mal deine Leute an“, sagte Jean Ribault. „Ich sage meinen Kerlen Bescheid. Wenn wir alle die Augen offenhalten, kann uns der Zweimaster nach menschlichem Ermessen nicht entgehen.“

„Keine Vorhersagen treffen“, warnte Hasard ihn. „Dazu ist es noch zu früh.“

Sie gaben ihren Männern entsprechende Anweisungen – leise natürlich, damit wieder kein zu lautes, gerufenes Wort durch die Nacht wehte. Alle waren jetzt auf der Hut und hielten vom Schanzkleid der Backbord- und Steuerbordseite aus Ausschau nach der Schaluppe des Admirals. Sogar Araua und die Zwillinge beteiligten sich an diesem „Ausgucken“, wie sie es nannten, und auch der Kutscher, Mac Pellew, Eric Winlow und Cookie verließen die Kombüse, um aktiv am Geschehen teilzunehmen.

Fortan wurde kein Wort mehr gesprochen. Die Zeit verstrich. Wo war der Zweimaster? Irgendwann mußte er auftauchen, und dann würde Luis Campos, der „Admiral“, sehr überrascht sein.

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