Kitabı oku: «Seewölfe Paket 23», sayfa 12

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Die acht Dons soffen immer noch. Wenn eine Flasche leer war, feuerten sie sie unter lautem Gelächter gegen die Felswände oder warfen sie die Schlucht hinunter, die dreihundert Yards steil in die Tiefe führte.

„Vorwärts“, sagte Hasard.

Mit ein paar Sätzen sprangen sie in die Mulde, die Entermesser in den Fäusten.

Die Dons rissen fassungslos die Mäuler auf und starrten sie an, als seien sie soeben vom Himmel gefallen.

„Buschräuber“, lallte der Capitán, „Buschräuber mitten in den Bergen.“ Er konnte es nicht fassen und stierte immer noch.

Na ja, dachte Hasard, ein bißchen nach Buschräubern mochten sie ja aussehen mit den Bartstoppeln im Gesicht und der tiefbraunen Hautfarbe, dazu noch die Entermesser in den Fäusten.

„Die Silberkisten sind beschlagnahmt“, erklärte er kühl. „Oder haben die ehrenwerten Señores etwas dagegen? Wenn ja, dann müssen Sie schon etwas dafür tun, wie es sich für die Wächter eines so wertvollen Transportes gehört.“

Die Spanier glotzten immer noch verblüfft und fassungslos. Der Capitán stierte Hasard perplex an.

„Das Silber wollt ihr?“ schrie er dann.

„Genau das“, erklärte Hasard kalt.

„Hier habt ihr euer Silber, ihr Buschräuber!“

Der Capitán sprang auf und riß seinen Degen hervor. Die sieben Soldaten folgten seinem Beispiel. Zischend fuhr der Degen durch die Luft.

Hasard sprang zurück, um die Kerle aus der Mulde zu locken. Sie stürmten auch sofort brüllend hinterher.

Da langte Carberry schon zu. Ein wilder Hieb fegte einen Don von den Beinen, der sich zweimal überschlug und mit lautem Geschrei in dem tiefen Abgrund verschwand.

Inzwischen hatte Hasard den Capitán so weit vor sich her getrieben, daß er auch dicht vor dem Abgrund stand. Der Kerl fuchtelte wild mit dem Degen und stach immer wieder zu. Aber er kämpfte gegen einen Schatten, der immer wieder auswich.

Dann stürmte der Schatten vor. Im schwachen Mondlicht blitzte einmal der Stahl auf. Der Capitán fiel zurück und verschwand in dem finsteren Abgrund.

Die anderen räumten inzwischen ebenfalls auf. Ribault hatte seinen Gegner erledigt, von Hutten trieb einen anderen Don mit blanken Fäusten in die Finsternis, und dem nächsten fuhr Dans Messer ins Herz. Mel Ferrow, Gary Andrews und Matt Davies kämpften noch, aber dieser Kampf war schon bald entschieden.

Neben der Mulde lagen drei tote Spanier, die fünf anderen hatte die unergründliche Finsternis der Schlucht geschluckt.

„Werft sie in die Schlucht.“

Die Toten wurden in die Schlucht geworfen. Es dauerte lange, bis man das Aufschlagen ihrer Körper hörte. Dreihundert Yards ging es hier in die Tiefe.

„Was tun wir mit dem Silber?“ fragte Dan, „das sind immerhin vierzehn Kisten. Wollen wir die etwa nach Potosi schleppen, oder lassen wir sie hier zurück bis zu unserer Rückkehr?“

„Weder das eine noch das andere. Es geht mir nicht um das Silber“, sagte Hasard. „Es geht mir nur darum, daß die Dons sich nicht daran bereichern, um noch mächtiger zu werden. Für dieses Silber sind vielleicht eine Menge Indios gestorben. Werft den ganzen Krempel mitsamt den Kisten hinterher. Dort mag es bis zum Jüngsten Tag liegen bleiben. Es wird nie wieder einer nach oben holen.“

„Klar, was sollen wir auch damit“, sagte Ed. „Aber da sind noch die sieben Mulis.“

„Die nehmen wir selbstverständlich mit und auch alles das, was sie noch bei sich haben.“

„Hopp auf“, sagte der Profos, „hinunter mit den Särgen.“

Die erste Silberkiste wurde hochgehoben und in die Schlucht geworfen.

Als sie aufprallte, gab es einen berstenden Knall, ein Splittern und Krachen. Die Kiste flog auseinander und verstreute ihren kostbaren Inhalt nach allen Seiten.

Die nächsten Kisten folgten, krachend, zerberstend, laut polternd, als würden ganze Bergzüge einstürzen. Das Echo warf die Geräusche tausendfältig zurück.

Dann war die letzte Kiste an der Reihe. Ein unvorstellbares Vermögen donnerte in die Schlucht und ergoß sich über die toten Spanier.

Die Männer kehrten zurück und nickten den anderen zu. Die sieben Maultiere hatten sie mitgebracht.

„Ich glaube, wir können jetzt doch noch die Weihnachtsgeschichte hören“, sagte Hasard. „Jetzt herrscht hier wieder Ruhe.“

„Und vergiß des heiligen Vaters Öl nicht, Bruder“, sagte Ed. „Du hast es schließlich versprochen.“

„Ich werde daran denken.“

In dieser Nacht saßen sie noch lange beisammen, tranken den würzigen heißen Wein und genossen des heiligen Vaters Öl, das der Pater großzügig spendierte.

Am Morgen brachen sie kurz nach Tagesanbruch auf und warfen einen Blick in die Schlucht. Dort funkelte und gleißte es. Geprägtes und ungeprägtes Silber war nach allen Richtungen verstreut. Es bedeckte die Körper der Männer, die da unten lagen und vermutlich ewig dort unten liegen würden.

Am 27. Dezember war ihr Zielort erreicht. Da stand die Truppe vor Potosi und kampierte in einem verlassenen Stollen auf der Südseite des Cerro Rico.

Die Stadt war von hier aus noch nicht einzusehen, aber sie hatten den Berg erreicht, in dem Blut und Tränen flossen und das Wimmern und Stöhnen der Sklaven zum Alltag gehörte …

ENDE


1.

Potosi, 28. Dezember 1594.

An die dreizehntausend Fuß hoch liegt die Stadt, an deren Südrand der „Cerro Rico“ aufragt, der reiche Berg, der Silberberg, der „Sumack Orcko“, wie ihn die Inkas genannt hatten. Über den Dächern der Stadt erhebt er sich wie ein Kegel – noch einmal an die über zweitausend Fuß hoch.

Die Sage berichtet, daß die Inkas den „Sumack Orcko“ unberührt gelassen hätten. Eine Stimme aus dem Berg soll ihnen befohlen haben, seinen Reichtum nicht anzurühren, das Silber sei für andere Besitzer bestimmt.

Die Sage berichtet viel – so von dem Indio aus Porco, südwestlich von Potosi, der bereits zur Zeit der Spanier in eine Höhle des Berges gekrochen wäre, um sich dort vor der Kälte der Nacht zu schützen. Die Hitze seiner Fackel, die er in den Felsen gesteckt hatte, um Licht und Wärme zu haben, hätte das Silber im Fels zum Schmelzen gebracht. Und Tage später hätte dieser Indio seinem spanischen Patrón in Porco von seinem erstaunlichen Fund berichtet.

Eine andere Sage wiederum erzählt, im Jahre 1545 hätte ein indianischer Hirte ein Lama am Hang des Berges verfolgt und sich beim Aufsteigen an dem niedrigen Gestrüpp festgehalten. Das aber wäre aus dem Erdreich gerissen worden, und an den Wurzeln hätten helle Kügelchen gehaftet – Silber!

Ob nun der Indio aus Porco oder der Hirte – beide zu den Ärmsten der Armen zählend – die Entdecker waren, spielte keine Rolle mehr. Das Geheimnis sickerte durch, und die Geier waren zur Stelle, menschliche Geier, in diesem Falle jene, die diesen Teil der Neuen Welt für sich beanspruchten und ausbeuteten oder – um im Bilde zu bleiben – bis auf die Knochen abnagten.

Später sagte man vom Cerro Rico, er sei der Berg mit den dreißigtausend Löchern. Man hätte aber auch sagen können, er sei der Berg Tausender an Hunger, Durst oder Erschöpfung krepierter Indios – so sie nicht von zusammenbrechenden Stollen verschüttet oder von ihren Aufsehern wegen „Faulheit“ erschlagen wurden. Die Geschichte berichtet, die Zahl dieser Toten sei mit Sicherheit fünfstellig.

Die Geschichte berichtet auch, Philipps II. Vater – Karl V. – hätte die 1546 gegründete Stadt Potosi bereits 1547 zur „Villa Imperial“, zur kaiserlichen Stadt, erhoben. Kein Wunder, denn vom Zeitpunkt der Gründung an begann aus dem Berg das Silber zu fließen – natürlich nach Spanien, falls nicht Schnapphähne zupackten und den Silberstrom ein bißchen unterbrachen.

Und die Stadt florierte. Sie mästete sich – es blieb ja genug Silber in der Stadt an klebrigen Fingern hängen. Innerhalb kürzester Zeit entstand am Fuß des mörderischen Berges eine Stadt, in der Pomp, Prunk und Verschwendung beispiellos waren. Kirchen, Klöster, Paläste und Villen wurden gebaut, Wasser wurde meilenweit herangeleitet, man badete in Thermalquellen, und die Chronik berichtet, sogar das Nachtgeschirr der Spanier sei aus Silber getrieben gewesen.

Die Stadt fühlte sich sicher. Die Küste im Westen war über dreihundert Meilen entfernt. Wer von dort nach Potosi aufbrechen wollte, mußte sich darüber klar sein, auf was er sich einließ. Vielleicht nahm er Maultiere mit, um sich weite Strecken tragen zu lassen. Er brauchte sie auf jeden Fall, um nicht selbst sein Gepäck, Proviant und Ausrüstung schleppen zu müssen. Er würde schwindelerregende Pässe und Gletscher übersteigen, sich über schmale Felspfade bewegen oder in eiskalte Schluchten hinunterklettern. Er mußte reißende Bergbäche durchqueren oder sich über schaukelnde Hängebrücken tasten.

Er würde in den menschenfeindlichen Höhen frieren und zugleich von der Sonne erbarmungslos verbrannt werden, wenn er nicht Kopf, Gesicht und Hände schützte. Er würde die Sonne tagsüber verfluchen und in den eisigen Nächten herbeiwünschen. Und er würde, je höher er stieg, einen unsichtbaren Feind haben, die berüchtigte Soroche, die Höhenkrankheit, die ihn mit Kopfschmerzen, Übelkeit, fliegendem Puls und Atemnot quälen würde.

Nein, für Buschklepper und Galgenvögel war Potosi kein Ziel. Sie wollten es bequemer haben und ihre Fußsohlen schonen. Potosi lag für sie auf einem anderen Stern. Wer nach dorthin aufbrach, mußte verrückt sein, ganz abgesehen davon, daß man ja auch zurückkehren wollte – mit Beute beladen. Nein, das war alles viel zu mühsam, zu gefahrvoll und zu unsicher.

Kein Provinzgouverneur, kein Bürgermeister, kein Polizeipräfekt, kein Bürger von Potosi rechnete jemals damit, jemand könne so wahnwitzig sein und über die „Villa Imperial“ herfallen.

Und doch war es so.

Elf verwegene Männer hatten nach einem mörderischen Marsch die Stadt erreicht und waren entschlossen, hier die Kuh fliegen zu lassen.

Anfang Oktober waren die Arwenacks und die Le Vengeurs von der Schlangen-Insel in der östlichen Karibik aufgebrochen, und jetzt, Ende Dezember, hatten von den einundfünfzig Teilnehmern an diesem einzigartigen Unternehmen elf Männer das Ziel erreicht, ein ausgesuchter Trupp unter Führung Philip Hasard Killigrews.

Es waren Jean Ribault, Karl von Hutten, Pater David, Pater Aloysius, Dan O’Flynn, Edwin Carberry, Matt Davies, Gary Andrews, Stenmark und Mel Ferrow. Fred Finley war nicht dabei – er lag mit gebrochenem Fußknöchel bei einer Indiofamilie am Westrand der Puna.

Die Nacht vom 27. auf den 28. Dezember hatten die Männer in einem verlassenen Stollen auf der Südseite des Silberberges verbracht und dort biwakiert. Es war ein feiner Platz: er lag geschützt und bot Wärme. Sie hatten gewissermaßen ein Dach über dem Kopf – ein Silberdach.

Ein bißchen verrückt war das schon, wenn man das so betrachtete und das Spinnen anfing. Carberry zum Beispiel hatte gesagt, so ein teures Dach hätte er noch nie über dem Kopf gehabt, und wenn er das seinen Enkeln erzählte, würden die ihn auslachen oder glattweg erklären, der Opa Edwin sei ein ganz fürchterlicher Aufschneider.

In dieser Nacht nun hatte er davon geträumt, ganz in Silber gebettet zu sein. Gegen Morgen hatte ihn der Traum in ein Bad entführt, dem er versilbert entstiegen war.

Matt Davies konnte das nicht wissen, als er dem Profos den Ellbogen in die Rippen stieß, weil der so entsetzlich schnaufte und röchelte.

Matt Davies wiederum war aufgewacht – als erster übrigens –, weil ihn nicht Carberrys Schnaufen und Röcheln beunruhigt hatten, sondern weil etwas anderes an seine Ohren gedrungen war – Geräusche, die er nicht zu deuten wußte. Sie kamen nicht von draußen, sondern aus dem Berg: ein dumpfes Schlagen oder Pochen, eine Art Scharren, auch ein Knistern und Rumpeln. Unheimlich war das anzuhören. Und darum hatte er den Profos geweckt, der neben ihm lag.

Carberry grunzte, dann fuhr er hoch und stierte Matt Davies aus verdwarsten Augen an.

„Horch mal“, sagte Matt Davies.

„Wie?“ Carberry war noch nicht ganz da. Eben hatte er ja noch in Silber gebadet.

„Hörst du nichts?“ fragte Matt Davies.

Carberry wurde unwirsch. „Was soll ich denn hören?“

„Die Geräusche.“

„Was für Geräusche?“

„Aus dem Berg, Mann! Bist du taub oder was?“ knurrte Matt Davies.

Nun hätte sich normalerweise der Profos bei einer Frage nach der Schärfe seines Gehörs ganz erheblich aufgepumpt und dem Frager alles mögliche angedroht, denn nur Idioten können daran zweifeln, ob ein Profos schwerhörig sei – ein Profos, der dazu verpflichtet ist, die Kakerlaken an Bord husten zu hören.

Nichts da.

Der Profos wendete etwas den massigen Schädel – und lauschte. Und er vernahm das Scharren und Rumpeln, das Schlagen und Pochen, das Knistern und auch ein Knacken. Und er zog diesen massigen Schädel etwas unbehaglich ein, während er ihn wieder zu Matt Davies drehte und sich gleichzeitig rechts am Hals kratzte.

„Klingt nicht gut“, sagte er. „Klingt ganz so, als lebe dieser Berg aus Silber …“

Er hatte noch etwas anfügen wollen, aber da war ein neues Geräusch in ihrer unmittelbaren Nähe. Sie starrten beide ruckartig dorthin – links von ihrem Schlafplatz. Dort rieselte etwas aus den Ritzen zwischen den Stollenwänden, die mit Brettern verschalt waren, mit sehr grauen und zum Teil schon recht morschen Brettern. Schutt war das, was da in den Stollengang rieselte und unten auf dem Boden ein kleines Hügelchen bildete. Es glitzerte ein bißchen zwischen diesem Schutt.

Dann hörte das Rieseln auf – die Geräusche aus dem Berg blieben. Sie blickten sich beide stumm an – zwei Männer, die den größten Teil ihres Lebens auf See verbracht und dem Teufel samt seiner Großmutter alle Ohren abgesegelt hatten. Den Schwanz auch, wenn der Teufel einen hatte, was man aber nicht so genau wußte.

Aber hier?

„Das ist vielleicht ein Scheißberg“, sagte Carberry. „Stell dir mal vor, der ganze Mistkram bricht zusammen, und wir sitzen da mitten drin – mit tausend Schiffsladungen Silber im Genick. Und was meinst du, wie schwer Silber ist?“

Matt Davies wurde unruhig, wobei ihn die Frage nach dem Gewicht von Silber nicht so sehr bedrückte wie der Gedanke, wann „der ganze Mistkram“ denn zusammenbrechen würde.

„Wir sollten Hasard wecken“, sagte er hastig. „Hier sind wir unseres Lebens nicht mehr sicher.“

Hasard war längst wach und hatte dem ersprießlichen Dialog seiner beiden Kerle interessiert gelauscht. Sieh an, dachte er, in Gefechten sind sie unerschütterlich und auch dann, wenn ihnen das Wasser bis zu den Nasenlöchern steht und die Ratten bereits von Bord verschwunden sind, aber vor dem Berg haben sie einen unheimlichen Respekt. Man mochte fast glauben, mehr Respekt als vor Stürmen, Seebeben, Flutwellen und Riesenkraken.

Ein vierter Mann war auch bereits wach – Pater Aloysius, der scharfgesichtige Kerl aus dem Land Tirol, der sie mit nahezu traumwandlerischer Sicherheit aus dem Tacna-Tal über Berge und Pässe nach Potosi geführt hatte. Er war ein Mann aus den Bergen – und man konnte Berge auf ihn bauen.

Er grinste durch das Halbdunkel des Stollens zu Carberry und Matt Davies hinüber, nachdem er sich aufgerichtet hatte, und sagte belustigt: „Die Indios haben mit ihrer Arbeit angefangen – drüben, auf der anderen Seite des Berges. Und das hört ihr jetzt. Hier bricht nichts ein – eher drüben. Außerdem sind wir hier nicht tief im Berg, sondern mehr oder weniger an seinem Rand. Wenn was zusammenkracht, sind wir Manns genug, uns nach draußen zu schaufeln.“

„Aha“, sagte Carberry. „Und was da zwischen den Brettern rausrieselt, ist harmlos, wie?“

„Irgendwann nicht mehr“, erwiderte Pater Aloysius gelassen, „aber da sind wir nicht mehr hier. Jeder Berg arbeitet oder anders ausgedrückt, er verändert sich, weil vieles auf ihn einwirkt, zum Beispiel von außen Schnee, Regen, Wind, Hitze und Kälte. Kein Stein, und mag er noch so hart sein, hält das auf die Dauer aus. Sogar die Wurzeln von Pflanzen können einen Stein sprengen – nicht von heute auf morgen, aber im Laufe von Jahren. Wenn sich an der Oberfläche etwas verändert, muß zwangsläufig auch im Inneren des Steins eine Wandlung stattfinden. In diesem Berg kommt hinzu, daß ihn die Menschen anbohren und Stollen hineintreiben. Sie durchlöchern ihn. Da fragt sich, wie lange er das hinnimmt, dieser Berg. Und wenn er sich wehrt, dann werden es die geschundenen Indios sein, die von ihm erschlagen werden.“ Die Stimme von Pater Aloysius wurde grimmig: „Und hoffentlich erschlägt der Berg dann auch ein paar Aufseher.“

Das also war Pater Aloysius, und er nahm nie ein Blatt vor den Mund, dieser streitbare Gottesmann aus einem Land, wo auch die Berge in den Himmel ragten, Mahnmale für die Winzigkeit der Menschen, die sich dennoch anmaßten, sie erobern und ausbeuten zu können.

So begann also dieser 28. Dezember, ein klarer, kalter Tag in diesen Höhen, in denen die Luft so dünn war, daß man mit dem Atmen Mühe hatte. Aber sie hatten bei ihrem Aufstieg in diese Regionen Pausen eingelegt, verordnet von Pater Aloysius. Und so hatten sie sich allmählich an die dünnere Luft gewöhnt. Ihre Gesichter waren tiefbraun und bärtig geworden.

Hasards Augen hatten jetzt die Farbe von bläulichem Gletschereis.

Er nickte nur, als Stenmark den Stollen betrat und meldete, im südlichen Bereich des Cerro Rico sei „kein Schwanz“ zu sehen. Er meinte das wörtlich, denn auf diese Seite des Berges verirrte sich nicht einmal ein Hund. Was sollte er hier! Die Abfälle in der Stadt waren so reichlich, daß er sich eine Wampe anfressen konnte. Den Hunden in der Stadt ging es besser als den Indios im Berg.

Stenmark war die Morgenwache gegangen. Seine Meldung bestätigte, was Pater Aloysius bereits am Vortag gesagt hatte, als sie in den verlassenen Stollen eingedrungen waren. So merkwürdig das klingen mochte: hier auf der Südseite des Silberberges waren sie absolut sicher.

Hier hatte man zwar anfangs vor vierzig oder fünfzig Jahren Stollen in den Berg getrieben und oberflächlich Silber abgebaut, aber dann war man auf die Nordseite umgewechselt, wo sich die Stadt ausgebreitet hatte. Von dort war es bequemer, das abgebaute Silber in die Stadt zur Münze zu bringen.

Eine erste Erkundung des Stollens hatte ergeben, daß noch ein paar Nebenstollen angelegt worden waren, ziemlich verzweigt, so daß die Männer tatsächlich ein ideales Standquartier gefunden hatten. Denn diese Nebenstollen waren ideale Verstecke. Wer hier eindrang, konnte blitzschnell und lautlos überrumpelt werden. Im übrigen hatten sie in einem dieser Nebenstollen ihre Maultiere untergebracht, jetzt fünfzehn an der Zahl, von denen sieben in ihre Hände gefallen waren, als sie in der Weihnachtsnacht den Silbertransport überfallen hatten.

Stenmark wurde von Mel Ferrow, dem Haifischkämpfer, abgelöst. Auch tagsüber verzichtete Hasard nicht auf einen Wachposten am Eingang zum Stollen. Vorsicht war immer geboten. Sie war ein Gesetz, das hier genauso seine Gültigkeit hatte wie auf See.

Die Männer versorgten die Maultiere, dann frühstückten sie – äußerlich gelassen, aber innerlich gespannt. Es gab noch keinen Plan, wie sie vorgehen wollten, und der Seewolf hatte – was das betraf – bisher geschwiegen.

Aber ihm entging keineswegs, daß die Kerle eine gewisse Nervosität zeigten. Matt Davies zum Beispiel putzte unentwegt seine Eisenhakenprothese, obwohl die wie stets geradezu silbern schimmerte. Bei Matt war das immer ein Zeichen, daß ihn das Fell juckte.

Und der Klotz von Profos zerrte an seinem dunkelblonden Rauschebart, der sein Rammkinn um etliches verlängerte. Jean Ribault saß auf einer Kiste, schien aber Hummeln im Hintern zu haben.

Ein verstecktes Lächeln kerbte sich in Hasards Mundwinkel. Er sagte: „Wenn ihr gefuttert habt, könnt ihr euch wieder aufs Ohr hauen, Leute.“

„Was? Wie?“ Carberry ließ die Hand sinken und starrte Hasard ungläubig an. „Ich hab’ aber die ganze Nacht durchgepennt, Sir. Ich bin so ausgeruht, daß ich mindestens drei Tage lang am Ruder stehen könnte.“

„Ich auch“, erklärte Matt Davies.

Die Männer nickten, und Jean Ribault sagte: „Raus mit der Sprache, Mister Killigrew, Sir! Du hast doch noch was auf der Pfanne, wie ich dich kenne, und ich kenne dich jetzt seit genau sechzehn Jahren.“

„Mit Unterbrechungen, mein Freund“, korrigierte Hasard, „aber sonst stimmt es. Was das andere betrifft, muß ich dich enttäuschen. Ich habe nichts auf der Pfanne. Ihr braucht wirklich ein bißchen Ruhe. Bis auf unseren guten Pater Aloysius seid ihr nämlich alle ziemlich angeschlagen …“

„Du wohl nicht, wie?“ schnappte Jean Ribault.

„Oh, ich bin noch ganz gut beieinander“, sagte Hasard gelassen, „jedenfalls so gut, daß ich mit Pater Aloysius einen kleinen Spaziergang nach Potosi unternehmen kann, um ein wenig herumzuschnüffeln und dann darüber nachzudenken, was ich auf die Pfanne zaubere, von der du sprachst.“

„Und wir sollen hier inzwischen pennen!“ sagte Jean Ribault erbittert.

„So ist es, mein Guter“, sagte Hasard sanft, „denn ich halte nichts davon, daß wir mit alle Mann hoch durch die Stadt ziehen und vermutlich dabei so auffallen wie buntkarierte Rübenschweine.“ Er blickte zu Carberry hinüber, der schnell wegschaute. Ihm war das immer furchtbar peinlich, wenn sein Kapitän gewisse Ausdrücke benutzte, die aus dem Provos-Vokabularium stammten und dazu dienten, den Arwenacks den Marsch zu blasen. Hasard lächelte und fügte hinzu: „Zwei Mann genügen zur Erkundung. Pater Aloysius kennt die Stadt und fällt als Dominikaner nicht weiter auf. Und ich bin dabei, weil ich meine, daß ich als euer Kapitän dazu ein Recht habe. Oder ist jemand anderer Ansicht?“

Gott bewahre! Sie schüttelten alle energisch die Köpfe. Und Jean Ribault sagte hastig: „So hatte ich das nicht gemeint, Sir. Ich meinte nur, daß wir alle voller Tatendrang sind und …“

Hasard winkte ab. „Weiß ich, weiß ich, vor allem wenn ich sehe, wie du auf deiner Kiste rumrutschst. Aber ihr werdet euren Tatendrang schon noch einsetzen können, verlaßt euch drauf! Und dann werdet ihr froh sein, ein paar Stunden Ruhe gehabt zu haben. Wenn wir hier loslegen, möchte ich keine Müdemänner sehen, die nicht mehr reagieren können, weil sie bereits im Stehen schlafen. Ist das klar?“

Das war klar, nur der Profos brummelte: „Könntest du nicht doch erwägen, mich mitzunehmen, Sir? Ich meine, damit du jemanden hast, der aufpaßt, daß dir keiner ins Kreuz springt oder so. Vielleicht haben die Dons hier einen Steckbrief von dir, nicht?“

„Genau!“ sagte Dan O’Flynn.

Hasard seufzte. „Ich trage einen Bart, Leute. Ihr braucht euch nur selbst im Spiegel zu betrachten und werdet euch kaum wiedererkennen. Für die Dons bin ich ein bärtiger Fremder an der Seite eines Gottesmannes, nicht mehr und nicht weniger. Es bleibt dabei: wir ziehen zu zweit los. Schon drei sind zuviel.“

„Wenn das nur gutgeht“, murmelte der Profos.

„Keine Sorge, Bruder Edwin“, sagte Pater Aloysius. „Der Herr wacht über euren Kapitän und mich und paßt auf, daß uns nichts geschieht.“

„Schon, schon“, sagte der Profos, „aber vielleicht schaut der Herr mal woanders hin, weil er dort mehr aufpassen muß. Er muß überhaupt eine Menge Augen haben, der Herr da oben. Und wenn nun das Auge, mit dem er auf Potosi schaut, müde ist? Hast du das bedacht, Bruder?“

„Es ist nicht müde, Bruder Edwin.“

Carberry grinste schlitzohrig. „Er geht Wache, Tag und Nacht, Woche um Woche, Monat um Monat, Jahr um Jahr. Ob er sich nicht mal ablösen läßt?“

Pater Aloysius schüttelte den Kopf. „Du mußt glauben, Bruder Edwin. Ließ der Herr dich fallen, als du am Seil über dem Abgrund hingst?“

„Da hat mein Diegolein mich gehalten“, sagte Carberry.

„Und wer befahl deinem Diegolein, sich gegen das Seil zu stemmen?“

Carberry kratzte sich hinter dem rechten Ohr und brummte: „Weißt du, Bruder, du hast eine ganz verdammte Art, mich auf himmlische Pfade zu locken. Da werde ich immer mißtrauisch. Wie war das denn, als mich mein lieber Diego an den Tacna zerrte und mit einem hinterfotzigen Stoß ins Wasser beförderte, he? Hat der Herr da nicht aufgepaßt?“

„Nahmst du Schaden, Bruder Edwin? Nein, du wurdest gebadet, und deine Seele wurde geläutert, auch wenn du voller Zorn warst. Du mußt diese Zeichen des Herrn verstehen. Es sind Zeichen! Der Herr ist auch in einem Maulesel, der stark genug war, dich einer Reinigung im Wasser zu unterziehen, aber auch stark genug, dich vor dem tödlichen Sturz in die Tiefe zu bewahren. Der Herr straft, und der Herr vergibt und beschützt. Du mußt mehr Vertrauen haben – und glauben.“

Carberry kratzte sich wieder hinter dem Ohr, jetzt dem linken.

„Mal sehen“, murmelte er ein bißchen unglücklich.

Die Männer grinsten in sich hinein.

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