Kitabı oku: «Seewölfe Paket 28», sayfa 3
4.
Nabila, eine der jüngsten Frauen aus dem Harem des Quabus bin Said, frisierte sich in ihrem Gemach, als es geschah. Draußen, auf dem Flur, ertönte mit einemmal ein erstickter Laut – ein Wimmern, gefolgt von einem Stöhnen. Dann hörte Nabila einen dumpfen Fall.
Sie eilte zur Tür und teilte den Vorhang aus Perlenschnüren mit ihren Händen. Sie sah die dunkel maskierte Gestalt, die sich gerade wieder aufrichtete, und auch den reglosen Körper des Haremswächters, der auf dem Flur Posten gestanden hatte. Mehrere Messerstiche hatten den Eunuchen gefällt. Der Mörder war wieder im Palast – und mit einem pantherhaften Satz warf er sich auf Nabila.
Nabila war vor Schreck wie erstarrt. Sie schrie erst, als der Unheimliche sie zu Boden warf und mit dem Dolch auf sie einstieß. Ein Krummdolch – eine furchtbare Waffe! Nabila kreischte wie von Sinnen und schlug und trampelte um sich. Die Lähmung hatte sich gelöst. Die Todesangst verlieh ihr übermenschliche Kräfte.
Obwohl sie schon getroffen war, gelang es ihr, den Mörder von sich zu stoßen. Sie sprang auf, taumelte auf den Flur und rannte schreiend davon. Jetzt tauchten von allen Seiten Frauen und Eunuchen auf. Sie erblickten die blutende Frau. Entsetzte Rufe und Flüche wurden laut. Die Eunuchen zückten ihre Waffen und rasten auf den Schauplatz des Geschehens zu. Einer strauchelte und fiel hin. Er spießte sich um ein Haar mit seinem eigenen Säbel auf. Ein zweiter stolperte über ihn.
Die anderen schimpften und wetterten – und sahen voll Grauen, wie der Unheimliche aus dem Gemach hervorschoß und sich erneut auf Nabila warf.
Nabila stürmte kreischend vorwärts. Der Mörder verfehlte sie um wenige Zoll, stach mit dem Messer auf sie ein und fiel der Länge nach hin. Blitzschnell war er wieder auf den Beinen. Er sah die Eunuchen, die auf ihn zuliefen, und ergriff die Flucht.
Der Maskierte sprang über den toten Eunuchen hinweg und war mit einem langen Satz im Park. Wächter hasteten vom Hauptgebäude heran. Zwei blieben stehen und richteten ihre Musketen auf den Eindringling. Sie drückten ab. Die Schüsse krachten dumpf, Pulverdampf quoll von den Mündungen hoch. Aber der Vermummte schlug gedankenschnell einen Haken – die Kugeln flogen an ihm vorbei.
Sultan Quabus bin Said und Mustafa waren aufgesprungen, als die ersten Schreie aus dem Harem ertönten. Hasard und die Zwillinge wirbelten herum und stürmten auf den Flur. Mit wenigen Schritten waren sie im Freien – und sahen den Unheimlichen, der vor seinen Verfolgern in ein Nebengebäude floh.
Der Seewolf zückte seine Pistole und jagte hinter dem Maskierten her. Im selben Augenblick tauchte die verletzte Frau aus dem Harem auf, gestützt von zwei Eunuchen. Nabila schrie wieder auf und streckte anklagend und hilfesuchend zugleich die Hände aus.
Hasard war vor den Wächtern an der Tür des Nebenbaus und stürmte ins Innere. Er mußte damit rechnen, daß der Mörder ihn angriff, aber dieses Risiko ging er ein. Der Seewolf ahnte, daß der Unheimliche einen geheimen Ausgang oder einen Zufluchtsort kannte, an dem ihn keiner mehr fassen würde. Also war Schnelligkeit Trumpf – und Hasard hatte es sich in den Kopf gesetzt, den heimtückischen Messerstecher zu stoppen.
Der Eindringling trug eine Art Kutte und eine Kapuze über dem Kopf, so daß nicht zu erkennen war, ob es sich um einen Mann oder eine Frau, einen Araber oder einen Europäer handelte. Nur eins stand fest – der Mörder konnte geradezu unerhört schnell laufen.
Bei dem Nebengebäude handelte es sich um eine Abstellkammer, die durch eine Tür mit den Stallungen verbunden war. Hasard hörte etwas poltern, konnte im Dunkel aber nichts Genaues vor sich erkennen.
Er duckte sich und lief weiter, gelangte an die Verbindungstür und verharrte kurz. Dann schlich er zu den Stallboxen, in denen Rassepferde schnaubten und mit den Hufen scharrten. Sie schienen die Nähe des Unheimlichen zu spüren, die Gefahr, die von ihm ausging.
Hasard hielt Ausschau nach dem Vermummten – er schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Hinter dem Rücken des Seewolfs waren die Stimmen der Palastwächter zu vernehmen. Sie betraten soeben den Abstellraum. Jemand stolperte über einen Kübel oder einen Eimer und fluchte fürchterlich.
Hasard pirschte weiter, an zwei Pferdeställen vorbei. Da geschah es: jäh schoß von links, aus der Deckung einer Boxwand, eine Gestalt auf ihn zu. Der Mörder! Er hatte ihm nun doch eine Falle gestellt. Wie besessen stach er mit seinem Krummdolch auf Hasard ein.
Hasard ließ sich fallen, rollte sich zur Seite ab und entging einem heftigen Stich, der tödlich hätte enden können. Hasard trat mit dem linken Fuß und traf den Angreifer in der Bauchgegend. Der Kerl stöhnte und krümmte sich. Der Seewolf schnellte wieder auf die Beine und streckte seine Pistole vor.
„Keine Bewegung!“ sagte er auf Spanisch.
Aber der Unheimliche lachte nur dumpf. Er zog den Kopf ein und rannte davon. Hasard legte auf ihn an, ließ die Waffe aber wieder sinken. Er riskierte es, eins der Pferde zu treffen.
Es gab nur noch eine Möglichkeit. Mit einem langen Satz warf sich der Seewolf auf den Maskierten. Er packte ihn an der Kutte, landete hart auf dem gepflasterten Boden und zog den Kerl zu sich heran. Doch eine ruckartige Bewegung genügte dem Mörder, und er war wieder frei. Ein reißender Laut erklang. Hasard hielt einen Fetzen der schwarzen Kutte in der rechten Hand.
Hasard rappelte sich wieder auf und stellte dem Mörder erneut nach. Aber dieser war in einer der Boxen verschwunden. Hasard lief an den Ställen entlang. Er entdeckte den Maskierten nicht. Er stoppte ab, kehrte wieder zu seinem Ausgangspunkt zurück. Vergebens. Dieses Mal war der Eindringling wirklich verschwunden.
Die Wächter waren heran. Sie blieben keuchend stehen.
„Wo ist der Hund?“ schrie einer von ihnen.
Nun trafen auch der Sultan, Mustafa und die Zwillinge ein. Hasard zeigte ihnen den Fetzen schwarzen Stoffes.
„Fast hätte ich ihn erwischt“, sagte er und berichtete in knappen Zügen, was sich zugetragen hatte. Mustafa übersetzte alles ins Arabische.
Der Sultan deutete auf die Fenster über den Pferdeboxen. „Er muß durch eins der Fenster entwischt sein.“
„Ich hätte es gesehen“, sagte der Seewolf.
„Hast du nicht am Boden gelegen?“ fragte der Sultan.
„Trotzdem hätte ich es bemerkt.“
„Wo soll er dann sein?“ fragte Mustafa.
Hasard begann wieder, bei den Boxen zu suchen. „Vielleicht hat er sich irgendwo verkrochen. Wäre er draußen, dann hätte Plymmie Laut gegeben.“
„Wer ist Plymmie?“ wollte Quabus bin Said wissen.
„Unsere Wolfshündin“, erwiderte Philip junior. „Sie hält vor dem Tor Wache. Ich schätze aber, daß sie die Schreie auch gehört hat und um den Palast streift.“
Der Sultan gab seine Befehle. Die Wächter suchten in den Ställen nach dem Mörder – ohne Erfolg. Er schien im Boden versunken zu sein.
„Er ist ein Zauberer“, sagte der Sultan. „Er ist in Abgesandter der Mächte der Finsternis.“
„Er ist ein Mensch aus Fleisch und Blut wie wir“, erwiderte der Seewolf. „Wir finden ihn noch, verlaß dich darauf. Wie geht es der Frau?“
„Sie ist schwer verletzt“, sagte der Sultan.
„Ist ein Arzt bei dir?“ fragte Hasard.
„Mein Leibarzt.“
„Warum gestattest du nicht, daß mein Bordarzt sie behandelt?“
„Das habe ich dir bereits gesagt.“
„Er könnte ihr das Leben retten“, sagte der Seewolf.
„Kapitän“, sagte der Sultan. „Willst du behaupten, daß deine Ärzte besser sind als die meinen?“
„Die Erfahrung hat es bewiesen.“
„Du bist stolz und mutig“, sagte Quabus bin Said. „Jedem anderen Ungläubigen, der es wagt, so mit mir zu reden, hätte ich längst die Zunge abschneiden lassen. Aber du gefällst mir, Kapitän Killigrew. Du hast bewiesen, daß du mein Freund bist, denn du hast wie ein Held mit diesem gemeinen Mörder gekämpft. Er hätte auch dich töten können, wie er den Eunuchen umgebracht hat.“
„Das wußte ich nicht“, sagte Hasard.
„Es ist eben geschehen. Er erstach den Eunuchen, um Nabila zu überfallen“, erklärte Quabus bin Said. „Nabila wehrte sich und lief davon. Nur deshalb ist sie noch am Leben.“ Er deutete auf die Wächter. „Diese Kerle sind alle nicht schnell genug. Du hast ihnen bewiesen, wie flink ein Mann sein kann, Kapitän. Ich danke dir dafür. Ich werde nicht vergessen, was du getan hast. Laß deinen Arzt kommen. Ich erteile ihm eine Sondergenehmigung. Vielleicht hast du recht. Ich nehme deinen Rat und deine Hilfe an.“
„Philip“, sagte Hasard zu seinem Sohn. „Du läufst sofort zum Hafen und alarmierst den Kutscher. Er soll so schnell wie möglich herkommen.“
„Kann der Junge reiten?“ fragte Mustafa.
„Ja“, antwortete Hasard.
Der Sultan nickte und klatschte in die Hände. „Sattelt zwei Pferde! Der Junge reitet mit beiden Tieren zum Hafen, damit auch der Arzt ein Pferd zur Verfügung hat!“
Die Wächter führten den Befehl aus. In der Zwischenzeit waren sämtliche Boxen abgesucht worden, aber immer noch gab es keine Spur von dem Mörder.
„Ich habe es gesagt“, murmelte der Sultan. „Er ist ein Hexer.“
„Er bedient sich eines Tricks“, sagte der Seewolf.
„Wie meinst du das?“
„Er kennt sich im Palast aus“, erwiderte Hasard. „Sehr gut sogar. Vielleicht benutzt er einen Geheimgang.“
„Es gibt keine Geheimgänge“, sagte der Sultan. Er blickte zu seinen Untertanen. „Aber vielleicht ist es einer der Wächter, der sich verkleidet und im geeigneten Moment wieder aus seiner Larve schlüpft.“
Die Wächter begannen zu jammern und die Hände zu ringen. Sie beteuerten, daß sie unschuldig wären, Sie hatten Angst, daß ihr Herr sie foltern lassen würde.
„Sei nicht zu voreilig“, sagte Hasard zu Quabus bin Said. „Laß mich die Sache untersuchen. Vielleicht habe ich Glück und stoße auf eine Spur.“
„Du glaubst nicht, daß diese Bestie fliegen kann?“ fragte der Sultan.
„Nein.“ Wieder wies Hasard den Stoffetzen vor. „Ich verlasse mich auf das, was ich sehe, höre und rieche. Laß uns nach draußen gehen. Unsere Hündin hat eine ausgezeichnete Nase. Vielleicht gelingt es ihr, die Verfolgung des Mörders aufzunehmen.“
„Jede Hilfe ist mir recht“, sagte der Sultan.
Kurz darauf preschte Philip junior mit einem zweiten Pferd im Schlepp durch das offene Palasttor. Sein Vater, sein Bruder, der Sultan und Mustafa blickten ihm nach, dann traten sie ins Freie und schritten zu Plymmie. Unruhig lief die Hündin an der Mauer auf und ab.
„Sie scheint schon etwas gewittert zu haben“, sagte der Seewolf.
Plymmie sprang an Hasard junior hoch, winselte und ließ sich mit den Vorderpfoten wieder auf den Boden sinken. Sie rannte auf und ab, senkte die Nase auf den Untergrund, blieb stehen und kläffte aufgebracht.
„Was hat das zu bedeuten?“ fragte der Sultan. „Ich habe selbst keine Hunde und kenne mich mit diesen Tieren nicht aus.“
„Sie hat eine Spur aufgenommen“, erwiderte der Seewolf. „Aber der Geruch ist nicht intensiv genug. Sie verzettelt sich.“
Plymmie suchte schnuppernd den Boden ab und wühlte Staub auf. Schließlich knurrte und kläffte sie wieder. Fragend blickte sie zu Hasard junior auf. Dann kratzte sie mit ihrer linken Vorderpfote im Sand.
„Vielleicht ist etwas unter der Erde“, sagte der Sohn des Seewolfes.
Quabus bin Said schüttelte den Kopf. „Daran glaube ich nicht.“
Hasard trat zu der Hündin und hielt ihr den Fetzen Stoff vor die Nase, den er von der Vermummung des Eindringlings losgerissen hatte. Aufgeregt bewegte Plymmie ihre Nase. Sie senkte die Schnauze auf den Untergrund, entfernte sich ein Stück von der Palastmauer, verharrte und knurrte wütend.
„Früher oder später findet sie die richtige Fährte“, erklärte Hasard junior.
„Wann wird das sein?“ wollte der Sultan wissen.
„Wir können es nur erraten“, entgegnete der Seewolf.
„Du hast recht“, sagte Quabus bin Said. „Laßt uns wieder in den Palast zurückkehren. Nehmt euren Hund mit. Vielleicht stößt er im Stall auf die richtige Spur.“
Luke Morgan und Bob Grey hielten bei der Jolle Wache. Das Boot lag wieder an einer Hafenpier vertäut. Hasard und die Zwillinge waren mit Luke und Bob zum Ufer gepullt, dann hatten sie sich auf den Weg zum Palast des Sultans begeben. Der Seewolf hatte es auf jeden Fall für richtig gehalten, zwei Mann als Posten bei der Jolle zurückzulassen.
Bob und Luke hielten die Augen nach allen Seiten offen. Ihre Pistolen und Musketen waren feuerbereit. Auch an Bord der „Santa Barbara“ waren die Männer auf der Hut. Sie rechneten fest damit, daß Moravia und seine Portugiesen früher oder später zum großen Vergeltungsschlag rüsteten.
Vorläufig aber geschah nichts. Es ging auf die Mittagsstunde zu – in Masquat fand nach wie vor der lärmende Basar statt. Doch es tauchten keine Gestalten auf, die mit finsteren, blutrünstigen Mienen zum Kai marschierten.
Auch näherten sich keine Boote der „Santa Barbara“, von denen aus wütende Kerle das Feuer auf die Arwenacks eröffneten. Alles blieb ruhig. Silvestro Moravia, so schien es, ließ erst einmal seinen größten Zorn verrauchen und erholte sich von den Folgen des Profoshammers.
„Ich schätze, die Kerle warten die Dunkelheit ab“, brummte Carberry mit einem nachdenklichen Blick zum Hafen. „Dann rücken sie an. Sie wären ja dumm, wenn sie am hellichten Tag angreifen würden.“
„Wo Hasard und die Zwillinge bloß bleiben“, sagte Ferris Tucker. „Ich finde, sie sind schon viel zu lange da oben.“
Dan O’Flynn spähte durch einen Kieker zum Palast des Sultans.
„Da tut sich was“, sagte er. „Ein Reiter nähert sich. Er führt ein zweites Pferd mit sich.“
„Da haben wir die Bescherung“, sagte der alte O’Flynn. „Sie haben Hasard und die Jungen in Ketten gelegt, und jetzt erscheint so ein Mufti und stellt uns ein Ultimatum.“
„Das glaube ich nicht“, sagte Ben Brighton.
Sehr wohl war aber auch ihm nicht zumute. In dieser Stadt gab es zu viele Dinge, die nicht geheuer erschienen. Ja, das beste wäre wohl doch gewesen, wieder in See zu gehen und weiterzusegeln.
„Es ist Philip junior“, sagte Dan.
„Na, da staune ich aber“, sagte Big Old Shane. „Welche Nachrichten bringt er uns wohl?“
Die Männer schwiegen und beobachteten Philip, der in den Hafen preschte. Einige Araber mußten dem jungen Mann ausweichen. Einer fluchte hinter dem Reiter her und schüttelte zornig die Faust.
Dann war Philip bei Luke und Bob. Er sprang aus dem Sattel und berichtete, was vorgefallen war. Luke blieb als Wächter bei den Pferden. Bob und Philip junior pullten zur „Santa Barbara“. Flink enterten sie an der Jakobsleiter auf, und Philip erzählte den Mannen von dem blutigen Zwischenfall im Palast.
„Ein Mörder?“ sagte Ben. „Das ist ja nicht zu fassen. Gibt es noch Chancen für die Frau?“
„Offenbar ja“, erwiderte Philip. „Dad will, daß der Kutscher sie untersucht. Der Sultan hat es genehmigt.“
„Kutscher!“ rief Ben. „Du hast es gehört!“
„Aye, Sir! Wir dürfen keine Zeit verlieren!“ Der Kutscher eilte in die Kombüse und holte seine Tasche mit den Wundarztgeräten. Mac und Higgy schleppten eine Kiste mit den übrigen Utensilien und den Arzneien hinter ihm her.
„Du kommst mit!“ rief der Kutscher mit einem Blick zu Mac, als er sich zum Abentern anschickte. „Ich brauche dich!“
„Ich trau’ mich nicht“, sagte Mac.
„Halt keine dummen Reden“, sagte der Kutscher ärgerlich. „Jeder Augenblick ist kostbar.“
So enterten der Kutscher, Philip junior, Bob und Mac in das Boot ab. Die Feldschergeräte wurden verstaut, und in größter Eile pullten sie zur Pier zurück. Luke half ihnen beim Ausladen. Philip und der Kutscher kletterten in den Sattel des einen Pferdes, Mac schwang sich auf den Rücken des anderen Tieres. Irgendwie kriegten sie auch die Tasche und die Kiste mit – und ab ging’s.
„Wir halten euch auf dem laufenden!“ rief Philip noch Luke und Bob zu, dann waren die Reiter zwischen den weißen Häusern von Masquat verschwunden.
Dan verfolgte wenig später ihren Weg hinauf zum Palast durch den Kieker. Er sah, wie das Tor von Wächtern geöffnet wurde. Der Kutscher, Philip und Mac ritten hindurch. Das Tor schloß sich wieder – wie von Geisterhand.
„Hoffentlich können sie die Frau retten“, sagte Ben Brighton.
„Zwei Morde, ein Mordanschlag“, sagte Ferris Tucker. „Wer könnte der Täter sein?“
„Wie sollen wir das wissen, wenn der Sultan nicht einmal selbst einen Verdacht hat?“ entgegnete Don Juan de Alcazar.
„Möglich, daß es einer der Portugiesen ist“, meinte Carberry. „Vielleicht Moravia.“
„Das glaube ich nicht“, sagte der alte O’Flynn.
Die Männer blickten ihn an.
„Was sagt denn das Orakel?“ fragte Shane.
Old O’Flynn würdigte ihn keines Blickes. „Ich sage euch, der Mörder ist ein Einheimischer. Einer, der sich aus irgendeinem Grund am Sultan rächen will.“
„Aber was, zum Teufel, haben wir eigentlich damit zu tun?“ polterte der Profos los. „Mir geht das Ganze höllisch auf den Geist, verflucht noch mal!“
„Wir sind in den Fall hineingestolpert“, sagte Ben. „Und wir können nicht so tun, als ginge es uns nichts an. Willst du die Haremsfrau vielleicht sterben lassen?“
„Natürlich nicht“, erwiderte Carberry. „Aber die Araber haben auch ihre Heilmethoden und Quacksalberkünste.“
„Ich weiß schon, was du sagen willst“, entgegnete Shane. „Hasard engagiert sich mal wieder zu sehr. Aber wenn du an seiner Stelle gewesen wärst, hättest du dich nicht anders verhalten.“
„Ja, schon gut“, brummte der Profos. „Hoffentlich gibt’s bald eine Spur von diesem Mörderhurensohn. Von mir aus können wir ihn dann gemeinsam jagen. Ein Kerl, der wehrlose Frauen umbringt, gehört meiner Ansicht nach aufgehängt, und zwar dort oben.“ Er wies zur Nock der Großrah.
Die Mannen nickten. Im stillen pflichteten sie ihrem Profos bei. Jedes Bordgericht hätte einen solchen Mörder zum Tode verurteilt.
„Besser noch wäre, den Burschen kielzuholen“, meinte Matt Davies.
„Ja, zweimal“, fügte Batuti hinzu.
Die Männer spähten zum Palast auf der Kuppe des Hügels. Wie würde sich der Fall weiterentwickeln? Keiner von ihnen vermochte es zu sagen. Es gab keine Vorausschau. Alles war vage und ungewiß.
5.
Sultan Quabus bin Said stand mit verschränkten Armen im Park und blickte zu den Männern. Mac und Philip trugen die schwere Kiste, der Kutscher schritt vor ihnen her. Der Seewolf, Hasard junior und Mustafa standen beim Sultan. Plymmie hatte sich auf die Hinterläufe gehockt und betrachtete neugierig den Kutscher.
„Du hast zwei Ärzte?“ fragte der Sultan den Seewolf. Wieder schien Argwohn in ihm aufzukeimen.
„Einen Feldscher und einen Helfer“, erwiderte Hasard.
„Ich weiß nicht, ob ich gestatten kann, daß gleich zwei Ungläubige die Gemächer betreten.“
„Es ist ein Verstoß gegen die Gesetze des Korans“, sagte Mustafa. „Aber ich glaube doch, der Prophet wird ein Auge zudrücken, Herr. Es geht um Nabilas Leben. Und die Europäer haben wirklich bessere Behandlungsmethoden als wir.“
„Ja“, sagte der Sultan leise. „Ja, das sehe ich ein.“ Er gab seinem Berater einen Wink. „Führe die Männer in das Arztgemach. Sie sollen alles tun, was in ihren Kräften steht.“
Mustafa bedeutete dem Kutscher und Mac Pellew, mit ihm zu gehen. Der Kutscher wechselte nur ein paar knappe Worte mit seinem Kapitän, dann folgte er dem hageren Araber. Ein Wächter begleitete die Männer, er schleppte mit Mac zusammen die Kiste. Philip junior gesellte sich zu seinem Vater und seinem Bruder.
„Gibt es Spuren von dem Mörder?“ fragte Philip junior.
„Bisher keine“, erwiderte der Seewolf. „Plymmie hat draußen gesucht. Inzwischen habe ich mit ihr auch den Stall abgeforscht. Nichts.“
„Wir sollten es noch einmal versuchen“, sagte Philip.
„Einverstanden“, pflichtete sein Bruder ihm bei. „Los, gehen wir.“
Die Zwillinge entfernten sich in Richtung der Stallungen und verschwanden in ihrem Inneren. Der Seewolf blieb bei Quabus bin Said. Sie konnten sich jetzt nicht mehr unterhalten. Mustafa fehlte. Der Sultan schien jedoch auch kein Bedürfnis mehr zu verspüren, zu reden.
Er stand mit abgewandtem Gesicht da. Seine Miene war verschlossen. Er konnte immer noch nicht fassen, was geschehen war. Sein Geist wollte die harten Tatsachen nicht akzeptieren.
Hasard ging zu den Zwillingen in die Stallungen. Plymmie roch am Boden und an den Mauern. Die Pferde wurden unruhig. Sie schnaubten und wieherten. Ein Hengst stieg mit den Vorderläufen auf. Philip junior hielt die Hündin etwas zurück.
„Wir schaffen es nicht, bis in die Boxen vorzudringen“, sagte Hasard junior.
„Das ist mir vorhin auch nicht ganz gelungen“, entgegnete sein Vater. „Am besten wäre, wenn die Pferde hinausgebracht würden.“
„Kann man das nicht veranlassen?“ fragte Philip junior. „Die Lösung des Rätsels ist bestimmt in einer der Pferdeboxen.“
„Ich glaube, wir müssen abwarten“, sagte der Seewolf. „Der Sultan ist vorerst nicht mehr ansprechbar.“
„Aber die Zeit begünstigt die Flucht des Mörders“, sagte Hasard junior. „Er kann Masquat verlassen. Niemand wird ihn jemals finden.“
„Du begehst einen Denkfehler“, erwiderte der Seewolf. „Der Mörder hat auch nach dem ersten Anschlag den Ort nicht verlassen. Er ist zurückgekehrt. Und er wird es wieder versuchen, in den Palast einzudringen und jemanden zu erstechen.“
„Das muß verhindert werden“, sagte Philip junior. „Wir müssen den Kerl erwischen, um jeden Preis. Können wir ihm nicht eine Falle stellen?“
„Wir werden uns einen Plan zurechtlegen“, sagte der Seewolf. Er hatte bereits einiges aufs Spiel gesetzt, als er den Unheimlichen auf eigene Faust verfolgt hatte. Und er würde noch mehr tun – um den Tod der Haremsdame Lamia und des Eunuchen aufzuklären und dem Sultan zu helfen.
Dieser Mann hatte es verdient, daß man ihn unterstützte. Nicht jeder arabische Fürst war so aufgeschlossen wie Quabus bin Said. Das hatten die Männer der „Santa Barbara“ erst im südlichen Jemen erfahren müssen, wo es erheblichen Ärger mit dem Sultan Mahmud Al-Amir und dessen Schergen gegeben hatte.
Bob Grey wäre es um ein Haar an den Kragen gegangen, erst in letzter Minute hatten die Mannen ihn, die hübsche Asha Sharam und die Zwillinge befreien können. Asha war an Bord eines Schiffes nach Portugal unterwegs. Bob Grey träumte davon, sie eines Tages wiederzusehen, denn er hatte sich unsterblich in sie verliebt.
Der Orient hatte seine Reize – und seine Schrecken. Sehr schnell konnte das Paradies zur Hölle werden. In Masquat ging ein Frauenmörder um. Alle Anzeichen deuteten darauf hin, daß er den Harem des Sultans auch weiterhin terrorisieren würde – falls er nicht entlarvt wurde.
Während Hasard und seine Söhne versuchten, durch Plymmie auf eine brauchbare Fährte des Verbrechers zu stoßen, begaben sich der Kutscher und Mac Pellew im Geleit von Mustafa und der Palastwächter in den Behandlungsraum. Hier lag der tote Eunuch aufgebahrt.
Die verletzte Nabila krümmte sich stöhnend auf einer Liege, die sich fast unmittelbar neben der Bahre befand. Ein Mann im weißen Burnus redete leise auf die Frau ein. Seine Worte klangen wie Beschwörungsformeln.
Der Kutscher wandte sich betroffen an Mustafa. „Es geht nicht, daß die Frau im selben Raum mit dem Toten liegt. Lassen Sie die Leiche wegschaffen.“
„Ohne die Genehmigung des Leibarztes geht das nicht“, erwiderte Mustafa gedämpft. Er blickte bedeutungsvoll zu dem Burnusträger.
Der Kutscher trat auf den Leibarzt zu, gefolgt von Mustafa, Mac und den Wächtern. Mac plazierte die Kiste neben dem Lager der Verletzten.
„Fragen Sie den Mann, ob er die Frau untersucht hat“, forderte der Kutscher Mustafa auf.
Quabus bin Saids Berater richtete ein paar Worte an den Leibarzt. Dieser unterbrach seinen Sermon und blickte die Männer an, als habe er ihr Eintreten nicht bemerkt.
Er antwortete unwirsch und wollte sich wieder der Frau zuwenden, aber der Kutscher griff nach seinem Arm. Daraufhin stieß der Araber etwas aus, das wie ein Fluch klang.
„Sie ist schwer krank, sagt er“, erklärte Mustafa. „Es gibt keine Hilfe mehr für sie.“
„Das bezweifle ich“, widersprach der Kutscher.
„Soll ich das übersetzen?“
„Ja.
Mustafa tat seine Pflicht. Der Leibarzt stieß wütende, zischende Laute aus und richtete drohend und anklagend zugleich seinen Finger auf die Fremden, die er als Scharlatane und Giaurs, ungläubige Hunde, bezeichnete.
„Ich übernehme hier sofort die Leitung“, sagte der Kutscher. „Und ich trage die Verantwortung für das, was geschieht. Wenn der Mann es nicht einsehen oder gestatten will, muß man eben den Sultan rufen.“
Mac begann zu schwitzen.
„O Mann, das wird kritisch“, murmelte er.
Nabila wand sich auf ihrem Lager. Sie stieß klagende Laute aus und sagte etwas, das selbst Mustafa nur schwer zu verstehen schien.
„Sie sagt, sie stirbt“, erklärte er.
„Sag ihr, daß sie nicht sterben wird“, entgegnete der Kutscher. „Ich werde sie jetzt genau untersuchen. Dazu muß ich sie vollständig entkleiden. Dann versorge ich ihre Wunden, und wenn es erforderlich ist, operiere ich sie. Ich will, daß du ihr das auseinandersetzt.“
„Ja.“ Mustafa sprach auf die Verletzte ein. Nabilas Augen richteten sich auf den Kutscher. Zunächst war sie entsetzt. Sie wimmerte. Dann aber beruhigte sie sich zusehends. Sie nickte und murmelte etwas.
„Sie will, daß du ihr hilfst“, sagte Mustafa.
„Sehr gut.“ Der Kutscher öffnete seine Tasche. Er gab Mac ein Zeichen, und Mac – der immer noch schwitzte – hob den Deckel der Arzneikiste an. „Als erstes verabreiche ich ihr ein Mittel“, fuhr der Kutscher fort. „Gegen die Schmerzen. Danach wird sie sich etwas besser fühlen.“
Mustafa dolmetschte. Nabila seufzte und nickte wieder. Der Leibarzt zischte etwas, das sehr häßlich klang, und verließ entrüstet den Raum. Mustafa konnte ein leichtes Grinsen nicht unterdrücken. Er gab den Wächtern einen knappen Befehl, und zwei von ihnen trugen den Toten hinaus.
„Jetzt haben wir schon ein bißchen mehr Luft“, sagte der Kutscher. Er gab Nabila eine Essenz zu trinken und lächelte ihr dabei beruhigend zu. Sie lächelte gequält zurück und ließ sich auf das Lager zurücksinken.
Der Kutscher sah Mustafa an. „Kein Mensch darf diesen Raum betreten.“
Mustafa schickte zwei Wächter als Türhüter nach draußen.
„Kutscher, Himmelarsch“, sagte Mac. „Es ist toll, was für ein Vertrauen wir hier genießen. Aber ich mag nicht an das denken, was uns passiert, wenn alles schiefgeht.“
Der Kutscher antwortete nicht. Vorsichtig begann, er, die Frau zu entkleiden. An einer stark blutenden Messerwunde war der Stoff angeklebt. Es kostete den Kutscher Mühe, den Fetzen zu lösen. Nabila stöhnte auf und verdrehte die Augen. Dann gab sie keinen Laut mehr von sich.
„Allah“, hauchte Mustafa. „Heißt das, daß sie …“
„Sie ist ohnmächtig“, erwiderte der Kutscher. Rasch entkleidete er die Frau ganz. Er untersuchte sie sorgfältig und gab Mac ein Zeichen. Mac hantierte mit Geräten und Tinkturen und trat neben den Kutscher. Der Kutscher säuberte die Wunden der Frau.
„Vier Blessuren“, sagte er. „Eine davon tief im Unterleib. Ich werde sie operieren.“
„Ist es ein schwieriger Eingriff?“ fragte Mustafa.
„Mittelschwer.“
„Heiliger Nepomuk, steh uns bei“, sagte Mac mit einem Gesicht, als schwebe das Schwert des Henkers bereits über ihm.
„Kampfer“, sagte der Kutscher zu Mac. „Wir fangen sofort an. Es ist gut, daß sie noch ohnmächtig ist.“
„Bei allen Wassergeistern, ich will jeden Tag beten, wenn wir das hier überstehen“, brummelte Mac und besorgte den Kampfer.
„Was ist eigentlich los mit dir?“ fragte der Kutscher leise, während er ruhig und mit sicheren Bewegungen ans Werk ging. „Haben wir nicht schon die schlimmsten Amputationen hinter uns gebracht?“
„Immer nur bei Kerlen“, flüsterte Mac. „Ich kann keine Frau leiden sehen.“
„Wir sorgen dafür, daß sie nicht leidet“, sagte der Kutscher. „Zumindest senken wir die Schmerzen auf ein erträgliches Maß.“
„Ich habe in meinem Leben noch keine Frau behandelt“, sagte Mac mit belegter Stimme.
„Dann ist es heute eben das erste Mal“, sagte der Kutscher. Aufmunternd nickte er Mustafa zu. Der Berater des Sultans war sehr blaß geworden. Er mußte sich setzen.
Dem Seewolf gelang es, sich mit dem Stallmeister des Sultans zu verständigen. Der Stallmeister war ein dicker, gutmütig wirkender Mann mit einem mächtigen Schnauzbart. Als er begriff, was die drei „Englischmänner“ mit ihrem Hund vorhatten, klatschte er in die Hände und befahl seinen Burschen, die Boxen zu räumen.
Die Pferde – über ein Dutzend – wurden auf den Palasthof geführt. Hasard und seine Söhne hatten den Stall ganz für sich. Sie waren ungestört. Plymmie senkte ihre Nase auf den Boden und begann mit ihrer Arbeit. Sie nahm sich eine Box nach der anderen vor. Zwischendurch hielt ihr der Seewolf immer wieder den Fetzen Stoff vor die Schnauze, den er ergattert hatte.
In der fünften Box wurde die Hündin fündig. Sie stieß die Schnauze ins Stroh, verharrte und knurrte verhalten. Dann begann sie heftig mit den Vorderpfoten zu scharren.
„Da ist was“, sagte Philip junior. Sein Bruder holte eine Mistgabel und stocherte damit im Stroh herum. Philip mußte Plymmie zurückhalten. Sie gebärdete sich jetzt wie verrückt.
Hasard junior legte ein Stück des Stallbodens frei, und die drei blickten auf einen quadratischen Umriß, der sich schwach von den Steinen abzeichnete. Der Seewolf beugte sich darüber und entdeckte einen Eisenring. Er griff danach und zerrte daran – und eine Luke schwang auf.
„Da hätten wir wohl die Lösung des Rätsels“, sagte Philip junior. „Es gibt also doch einen unterirdischen Gang.“ Mit aller Kraft mußte er Plymmie stoppen. Sie wäre sonst in den dunklen Schacht gesprungen, der sich gähnend unter der Luke öffnete.
„Der Mörder beweist erstaunliches Geschick“, sagte der Seewolf. „Er kann die Luke blitzschnell öffnen und in dem Schacht verschwinden. Ehe ich wieder auf den Beinen war, hat er sich verdrückt, ohne eine Spur zu hinterlassen.“
„Ich verstehe nicht, wieso der Sultan nichts von der Falltür weiß“, sagte Hasard junior.