Kitabı oku: «Seewölfe Paket 9»
Impressum
© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-498-2
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Inhalt
Nr. 161
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Nr. 162
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Nr. 163
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Nr. 164
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Nr. 165
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Nr. 166
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Nr. 167
Kapitel 1.
Kapitel 2.
Kapitel 3.
Kapitel 4.
Kapitel 5.
Kapitel 6.
Kapitel 7.
Kapitel 8.
Nr. 168
Kapitel 1.
Kapitel 2.
Kapitel 3.
Kapitel 4.
Kapitel 5.
Kapitel 6.
Kapitel 7.
Kapitel 8.
Nr. 169
Kapitel 1.
Kapitel 2.
Kapitel 3.
Kapitel 4.
Kapitel 5.
Kapitel 6.
Kapitel 7.
Kapitel 8.
Kapitel 9.
Kapitel 10.
Nr. 170
Kapitel 1.
Kapitel 2.
Kapitel 3.
Kapitel 4.
Kapitel 5.
Kapitel 6.
Kapitel 7.
Kapitel 8.
Nr. 171
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Nr. 172
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Nr. 173
Kapitel 1.
Kapitel 2.
Kapitel 3.
Kapitel 4.
Kapitel 5.
Kapitel 6.
Kapitel 7.
Kapitel 8.
Kapitel 9.
Nr. 174
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Nr. 175
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Nr. 176
Kapitel 1.
Kapitel 2.
Kapitel 3.
Kapitel 4.
Kapitel 5.
Kapitel 6.
Kapitel 7.
Kapitel 8.
Kapitel 9.
Kapitel 10.
Nr. 177
Kapitel 1.
Kapitel 2.
Kapitel 3.
Kapitel 4.
Kapitel 5.
Kapitel 6.
Kapitel 7.
Kapitel 8.
Kapitel 9.
Kapitel 10.
Nr. 178
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Nr. 179
Kapital 1
Kapital 2
Kapital 3
Kapital 4
Kapital 5
Kapital 6
Kapital 7
Kapital 8
Kapital 9
Nr. 180
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
1.
Als der Sturm loswütete, klammerten sich die Kranken an Bord des Viermasters „Gran Grin“ am hölzernen Rand ihrer Kojen fest und kämpften darum, nicht von ihren schmutzigen Lagern gerissen zu werden. Es waren ausgemergelte, totenbleiche Gestalten ohne jegliche Hoffnung in den fiebrigen Augen.
Sie stöhnten und schrien. Sie schrien nach ihren Müttern und Vätern, nach ihren Frauen und Kindern und nach der Heimat, die im Süden auf sie wartete, und sie schämten sich dessen nicht, denn Schnitter Tods Schreckensgestalt hatte neben ihren erbärmlichen Lagern bereits Posten bezogen.
Im Süden, jenseits der Hölle und allen Leidens, lag die iberische Halbinsel, die sie so siegessicher verlassen hatten. Dort sprachen ihre Familien, nach denen sie flehten und um deren Hilfe sie stammelnd baten, vielleicht in diesem Augenblick vom großen Triumph der Armada, denn sie konnten ja nicht wissen, was sich tatsächlich ereignet hatte.
Juan Flores trug einen Kübel mit wäßriger, dampfender Suppe zum Mannschaftslogis im Vordeck der „Gran Grin“, aber er setzte diesen Behälter ab und bekreuzigte sich, ehe er hinter dem Koch Francisco Sampedro, der einen ähnlichen Kupferkessel schleppte, den düsteren, übelriechenden Raum betrat.
Juan Flores stand im schwankenden Schiffsgang. Die Suppe drohte über den Rand des Kübels zu schwappen, aber Juan achtete nicht darauf, und es war ihm völlig egal, ob Tropfen der heißen Flüssigkeit seine nackten Füße trafen.
Er bekreuzigte sich und murmelte: „Santa Maria, Madre de Dios, heilige Mutter Gottes im Himmel, steh uns bei.“
Schwindlig drohte ihm zu werden, aber er fing sich mit verbissener Miene, hievte seinen Kübel wieder hoch und stolperte ins Logis.
Der Kapitän Pedro de Mendoza hatte Juan an diesem Spätnachmittag zum Kombüsendienst einteilen lassen, was in erster Linie bedeutete, die Kranken zu versorgen, und Juan Flores hatte sich fest vorgenommen, seine Arbeit wie ein Mann zu verstehen, trotz aller Widrigkeiten, nicht wie der linkische Moses, den er mit seinen achtzehn Jahren als der Jüngste an Bord eigentlich immer noch darstellte.
Die Geschehnisse hatten vieles verändert in Juan Flores, der all das Erlebte immer noch bildhaft vor Augen hatte, der wußte, daß es sich unauslöschlich in sein Gedächtnis geprägt hatte.
Er wollte ein Mann sein, ein harter Mann, der durch seine Verwegenheit der Hölle entging.
Wenn nur nicht diese Schwächegefühle gewesen wären! Juan fühlte, wie seine Kniegelenke weich wurden, er strauchelte fast und drohte auf den schwankenden Planken im Logis auszugleiten.
Kalter Schweiß brach ihm aus. Die Tropfen bildeten Rinnsale, die über seinen Hals auf seinen Nacken und auf seine Brust flossen, und ihm war kalt, unglaublich kalt.
Juan biß die Zähne zusammen. Er hielt die Balance, setzte den Kübel wieder ab und sah zu dem Koch Francisco Sampedro, der bei dem Feldscher angelangt war.
Der Feldscher der „Gran Grin“ kniete neben dem Lager eines abgemagerten Kranken. Er hatte die grobe Decke der Koje zurückgeschlagen, betrachtete den Brustverband des Mannes und runzelte dabei die Stirn. Das Blut der Wunde hatte den Verband durchtränkt, und – wie Juan Flores durch das Schreien und Stöhnen der anderen und durch das Sturmbrausen hindurch zu vernehmen glaubte – der Kranke röchelte, als müsse er jeden Augenblick den Sprung über die düstere Schwelle antreten.
Juan spürte ein Würgen in der Kehle, Übelkeit, die in ihm aufstieg, aber das war nicht das Schlimmste. Eine frostige Welle durchlief seinen Körper, und es wirbelte vor seinen Augen. Seine Knie drohten nachzugeben, er mußte sich an einem Balken festhalten, um nicht doch umzukippen.
Die Kranken wälzten sich in ihren Kojen, einige hielten Näpfe und Mucks zu Juan hin ausgestreckt. Juan sah Sampedros auffordernden Blick. Der Koch hatte sich zu ihm umgewandt und winkte ihm jetzt zu. Juan wollte beginnen, mit einer Schöpfkelle Wassersuppe in die Näpfe der Kranken zu füllen – auch bei Sturm wurden Mahlzeiten ausgeteilt, sofern man von „Mahlzeiten“ an Bord dieses Unglücksschiffes überhaupt noch sprechen konnte.
Aber Juan stutzte. Der Mann mit dem Brustverband – er hatte ihn erkannt.
„Miguel“, hauchte er entsetzt.
Miguel – ein junger Mann, der aus derselben Gegend wie er, Juan, stammte. Sie hatten während der Überfahrt von Spanien nach England Freundschaft geschlossen. Sie hatten Seite an Seite gearbeitet und gekämpft, und dann war Miguel von einem Eisensplitter getroffen und unter Deck gebracht worden. Tagelang war es Juan wie allen anderen Gesunden verboten gewesen, in das Lazarett hinunterzusteigen. Die Decksleute und Seesoldaten hatten in anderen Räumen des Viermasters ihre Lager aufgeschlagen oder an Oberdeck übernachtet. Erst jetzt kehrte Juan Flores hierher zurück – und fast hätte er den Freund nicht wiedererkannt. Der Blutverlust und das Fieber hatten Miguel geschwächt, aber es war noch mehr hinzugekommen: Skorbut, die Mangelkrankheit, die das Siechtum beschleunigte. Miguels Gesicht hatte sich fast völlig verwandelt, es war eine Fratze des Todes geworden.
„Miguel!“ schrie Juan.
Francisco Sampedro sprang auf. Der Feldscher begann zu fluchen. Sampedro eilte zu Juan hinüber, er hatte begriffen. Er war dagegen gewesen, daß der Junge diesen Dienst versah, aber Befehl war Befehl, und schon der geringste Einwand konnte als Versuch zur Meuterei ausgelegt werden.
Die Deckenbalken des Logis’ wölbten sich Juan entgegen. Die „Gran Grin“, schwer beschädigt, in der aufgewühlten See kaum noch zu manövrieren, krängte von Backbord nach Steuerbord, weil sie unter den verzweifelten Bemühungen des Rudergängers überstag ging und auf den anderen Bug drehte – ein Krachen dröhnte durch das Schiff. Juan fiel, rutschte ein Stück auf dem abschüssig werdenden Deck und prallte gegen einen Kojenpfosten.
Die Kübel stürzten um, die heiße Wassersuppe ergoß sich auf die Planken. Die Kranken schrien nicht mehr, sie heulten gegen das Sturmtosen an und ließen ihrer Verzweiflung freien Lauf. Der Verlust der Nahrung trieb sie an den Rand des Wahnsinns. Fluchend lief der Feldscher zu einem wild gestikulierenden Mann hinüber und versuchte, ihn zu besänftigen, während Sampedro, der Koch, sich voll Mitleid über Juan Flores beugte.
„Mir ist schlecht“, keuchte Juan. „Aber das geht gleich vorbei.“
„Du hast ja Fieber“, stellte der Koch entsetzt fest.
„Ich habe kein Fieber …“
„Ich werde dir etwas zu trinken geben, das hilft dir. Ich habe nur noch ein paar Tropfen davon, aber sie stärken deinen inneren Widerstand, glaub es mir“, sagte Sampedro.
Widerstand? Männliche Kühnheit nach einer Schlacht wie dieser, die die Armada zerrieben, fast ganz vernichtet hatte? Plötzlich erschien es Juan absurd, noch länger den Hartgesottenen zu markieren. Es hatte ja doch alles keinen Zweck mehr.
Die Gefechte – eine Reihe von furchtbaren, erniedrigenden Kämpfen, eine Niederlage nach der anderen. Das Ende der glorreichen, „unüberwindlichen“ Armada, der Untergang einer Idee …
Juans Vertrauen in die Macht seines Landes war mit jedem Schiff, das unter dem Beschuß der Engländer zerfetzt worden war, stärker erschüttert worden. Die Brander, ein Meer von Flammen, Panik – und dann die Flucht, dieser schier endlos erscheinende Weg durch die Nordsee nach Norden hinauf, um Schottland herum, an den Hebriden vorbei, an Irlands Westküste entlang – aber Spanien, Bilbao, das geliebte Baskenland lagen immer noch in unerreichbarer Ferne.
Blessuren. Skorbut. Darmerkrankungen wie Typhus und Diarrhöe. Kein ausreichender Proviant mehr an Bord, und in den Fässern unter Deck faulte das Trinkwasser dahin.
Jetzt, im Sturm, wuchs die Verzweiflung ins Grenzenlose.
„Ich will sterben“, flüsterte Juan Flores. „Es ist das Beste, wenn wir alle sterben.“
Der Feldscher konnte die jammernden Kranken nicht beruhigen, er brüllte sie jetzt an, um sie einzuschüchtern. Die ‚Gran Grin“ hob ihren Bug auf einem heranrollenden Brecher, wieder geriet das Logis in wilde Bewegung. Die Kupferkessel kollerten nach achtern und krachten gegen die Wand.
Miguel fiel aus seiner Koje. Seine ausgemergelte Gestalt rutschte über die Planken. Juan hatte es gesehen, er richtete sich auf, streckte die Arme aus und fing den Freund auf. Er hielt Miguel fest und redete auf ihn ein, aber dann erstarrte er, denn er hatte festgestellt, daß er einen Toten in den Armen hielt.
Mit einem Aufschrei ließ Juan ihn los. Er sprang auf und verließ torkelnd das Logis, fand durch den finsteren Gang den Weg zum Niedergang, stolperte die Stufen hoch, stürzte durchs Schott auf die Kuhl und ans Schanzkleid.
Der Sturmwind heulte, ein neuer Brecher ergoß sich rauschend und gischtend über das Schiff. Juan Flores wehrte sich nicht dagegen, daß die Naturgewalt ihn packte, um ihn außenbords zu heben.
Aber Hände, so stark wie Eisenklammern, hielten den 18jährigen plötzlich an den Schultern fest. Francisco Sampedro war Juan nachgeeilt und verhinderte es, daß der junge Mann seinem Leben selbst ein Ende bereitete. Er ließ Juan nicht mehr los, auch nicht, als der sich vornüberbeugte und spuckend und würgend der See opferte. Er zerrte ihn schließlich vom Schanzkleid fort, in die Kombüse, wo er ihm einen bitteren Trank aus einer kleinen Flasche einflößte.
„Eins unserer letzten Medikamente“, sagte Sampedro. „Es ist nicht mehr viel, aber es wird dir helfen, dein Fieber zu überstehen – und deine Verzweiflung.“
Juan hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. Ein trockenes Schluchzen schüttelte seinen Körper. Plötzlich aber riß er sich von Sampedro los, sprang auf und wollte wieder auf die Kuhl hinaus.
Sampedro war schneller als er. In dem schwankenden Raum verstellte er ihm den Weg und rammte ihm die Faust unters Kinn. Juan prallte zurück, fiel auf den Rücken und blieb vor dem erloschenen Holzkohlenfeuer liegen, über dem ein mächtiger Kupferkessel an einer dicken Eisenkette hin- und herschwang.
„Du wirst wieder auf die Beine kommen!“ brüllte Sampedro ihn an. „Du bist es deiner Familie schuldig, die zu Hause auf dich wartet! Du wirst keine Dummheiten mehr anstellen – das ist ein Befehl!“
Juan Flores richtete sich halb auf und schüttelte seine Benommenheit ein wenig ab. Er fühlte sich trotzdem noch elend, spürte Tränen in seinen Augen brennen, aber der Drang zur Selbstvernichtung war vorbei.
„Ein Befehl“, antwortete er. „Si, Senor. Ich werde wieder gesund. Ich werde zu Hause allen erzählen, daß Miguel ein Held war, auf den jeder Baske stolz sein muß …“
Der schwere Sturm aus Südwest fegte an der irischen Westküste entlang. Der Wind orgelte und pfiff durch die Clew Bay, die sich südöstlich von Achill Head, dem westlichsten Küstenzipfel vom Mayo-County, erstreckte. Er leckte zornig über die dreimastige Galeone, die zweimastige Karacke und die kleineren Einmaster weg, die geschützt und gut vertäut im Hafen von Westport lagen. Er rüttelte an der Tür und an den Fenstern der Häuser, als verlange er, eingelassen zu werden, aber niemand war so töricht, auch nur einen Schritt ins Freie zu tun – einschließlich des beleibten Mannes, der im größten Gebäude von Westport hinter einem abgewetzten Eichenholzpult saß und seine beiden Besucher abschätzend musterte.
Einer dieser Besucher war sehr groß, breitschultrig und schwarzhaarig. Das Auffallende in seinem Gesicht waren die eisblauen Augen, die Verwegenheit und Intelligenz ausdrückten, und die Narbe, die von der Stirn aus über seine eine Gesichtshälfte verlief.
Der andere Mann war von schlanker, geschmeidiger Gestalt, dunkelhaarig und dunkeläugig, und dem Akzent nach, mit dem er englisch sprach, weder ein waschechter Engländer noch ein Schotte noch ein Ire.
„Philip Hasard Killigrew“, wiederholte der dicke Mann hinter dem Pult den Namen des schwarzhaarigen Riesen. Er heftete seinen Blick auf den anderen. „Und wie ist Ihr Name?“
„Jean Ribault“, erwiderte der Franzose mit dem Anflug eines Lächelns. „Um gleich auf weitere mögliche Fragen einzugehen, werter, Sir Richard Bingham – die Karacke, die Sie dort draußen sicher vertäut liegen sehen, heißt ‚Le Vengeur‘, und ich bin mit Karl von Hutten zusammen ihr Eigner. Ich habe wie Mister Killigrew ein paar Mann als Deckswache an Bord zurückgelassen, der Rest der Crew hat die offenbar einzige Kneipe dieses idyllischen Städtchens aufgesucht, während wir Ihnen unsere Ehrerbietung erweisen, indem wir Sie sogleich besuchen – Sie, den Gouverneur von Westport.“
Hasard konnte sich ein Grinsen kaum verkneifen. Jean war für seine salbungsvollen Reden bekannt. Keiner außer ihm konnte jemandem so großartig Honig um den Bart schmieren und ihn gleichzeitig auf den Arm nehmen.
Daß Bingham nicht zu dem Schlag Menschen gehörte, mit denen man spontan Freundschaft schließen konnte, hatten Hasard und Jean auf den ersten Blick festgestellt.
Bingham kratzte sich am Kopf. „‚Le Vengeur‘, Ribault, von Hutten – mit diesen Namen kann ich nicht viel anfangen. Ich höre sie zum erstenmal, um ehrlich zu sein.“
„Ehrlichkeit ist eine Tugend“, erwiderte Jean, wobei er den dicken Mann für alles andere als eine aufrichtige Natur hielt.
„Etwas anderes ist es bei Ihnen, mein lieber Killigrew“, sagte Bingham. „Sie, Ihre Crew und die ‚Isabella VIII.‘ – mir ist da so allerlei zu Ohren gekommen. Man hat Sie doch den Seewolf getauft, nicht wahr?“
„Das ist richtig“, entgegnete Hasard.
„Im englischen Mutterland sollen Sie wie ein Volksheld gefeiert werden.“
„Das würde ich nun nicht unbedingt behaupten“, erwiderte der Seewolf. Er dachte dabei besonders an die Versuche des sehr ehrenwerten Sir John Doughty, ihn aus dem Weg zu räumen.
„Wie dem auch sei, es scheint so einiges im Gange zu sein, das mit den jüngsten Seegefechten im Kanal zu tun hat“, meinte Bingham. „Genaue Berichte darüber haben mich leider noch nicht erreicht, aber ich sehe die spanischen Schiffe, die hier vorbeisegeln, und ich kann mir meinen Reim darauf bilden, lieber Freund.“ Er begann, sich die Hände zu reiben. „Aber nun heraus mit der Sprache, womit kann ich Ihnen beiden behilflich sein, nachdem Sie in unserem gastlichen Hafen Schutz vor dem Sturm gesucht haben?“
Hasard griff in die Innentasche seiner Jacke, zog den Kaperbrief daraus hervor und überreichte ihn dem übergewichtigen Mann, der ihm von Sekunde zu Sekunde unsympathischer wurde.
Richard Bingham nahm das Schreiben in Empfang und überflog die Zeilen mit seinem Blick. Sie lösten Hochachtung in ihm aus, er hob die Augenbrauen. Das königliche Siegel schließlich verlangte ihm seine ganze Ehrfurcht ab, er erhob sich, und es hätte nicht viel gefehlt, dann hätte er dem Seewolf gegenüber auch noch Haltung angenommen. Langsam wiederholte er einen der wichtigsten Sätze aus dem Dokument: „… und jeder englische Untertan ist gehalten, Sir Philip Hasard Killigrew und dessen Besatzung jede erdenkliche Hilfe und Unterstützung zu gewähren.“
Er sah Hasard an. „Meine Loyalität gegenüber der Krone kennt keine Grenzen, Sir. Alles, was in meinen Kräften steht, werde ich für Sie tun. Absolute Pflichttreue, das ist auch die Devise von Sir William Fitzwilliam, dem Lord Deputy von Irland, meinem höchsten Vorgesetzten, dem ich direkt verantwortlich bin. Noch einmal, meine lieben Freunde, ich heiße Sie in meiner Eigenschaft als Gouverneur von Westport herzlichst in unserer Stadt willkommen.“ Er fügte noch einige Floskeln hinzu, die seine Hilfsbereitschaft unterstreichen sollten, aber nur Jean Ribault hörte ihm lächelnd zu.
Hasard blickte durch Bingham hindurch und dachte dabei an den Namen, den dieser soeben erwähnt hatte.
Fitzwilliam! Dieser sehr ehrenwerte, hochwohlgeborene Lord Deputy hatte eine ganz besondere Art, mit den Leuten umzuspringen, das betraf sowohl die Iren als auch die Spanier. Die Iren hatten wenig zu lachen unter Fitzwilliam, und ein spanischer Soldat auf irischem Boden, selbst ein Gefangener, war in Fitzwilliams’ Augen ein zu großes Risiko, in jeder Hinsicht. Daher war jeder „Don“ auf jeden Fall aus dem Weg zu räumen.
Wenn Bingham nun wirklich Fitzwilliams treu ergebener Diener war, so mußte er es auch strikt mit dessen Grundsätzen halten und als ihr „Vollzieher“ auftreten.
Hasard taxierte den dicken Bingham noch einmal mit seinem Blick. Ja, das schien er wirklich zu sein: ein korrupter Beamter der königlichenglischen Besatzer, der aus den Iren herauspreßte, was es herauszupressen gab – und der dabei selbstverständlich in die eigene Tasche wirtschaftete. So was gab’s nicht nur in Spanien und Portugal und in den Kolonien West- und Ostindiens, so was existierte traurigerweise eben auch daheim, im biederen England.
Natürlich konnte man Bingham auch knapper und treffender als fetten Widerling bezeichnen. Ausgerechnet ein solcher Typ mußte ihnen hier, in Westport, wo sie zufällig und aus purer Notwendigkeit eingelaufen waren, begegnen!
Sir Richard Bingham hatte seinen vor Eigenlob triefenden Vortrag beendet und sah die Freunde nun erwartungsvoll an. Jean Ribault räusperte sich verhalten. Er überließ es Hasard, die Unterredung weiterzuführen.
„Wir brauchen Proviant und Trinkwasser“, erklärte der Seewolf ohne Umschweife. „Sie werden sicherlich einiges von Ihren Vorräten erübrigen können, Sir, und wir werden es auf unsere Schiffe mannen lassen, sobald der Sturm etwas nachläßt.“
Bingham legte den Kopf etwas schief. „Noch heute nacht?“
„Vielleicht auch erst morgen früh“, erwiderte Hasard.
„Wenn der Sturm nachläßt“, fügte Jean noch einmal lächelnd hinzu, für den Fall, daß Bingham besonders schwer von Begriff war.
Bingham befeuchtete die Lippen mit der Zungenspitze und las noch einmal in dem von Elisabeth I. ausgefertigten Kaperbrief. Dann rollte er ihn zusammen und reichte ihn Hasard zurück. Hasard versenkte das kostbare Stück Büttenpapier wieder in der Innentasche seiner Jacke.
„Mein lieber Sir Hasard“, begann Bingham.
„Oh, den ‚Sir‘ können Sie ruhig weglassen“, sagte der Seewolf. „Nennen Sie mich auch weiterhin Mister Killigrew.“
„Aber Sie sind doch von Ihrer Majestät zum Ritter geschlagen worden, oder?“
„Geht das aus dem Kaperbrief hervor?“
„Das nicht, aber – aber auch Drake erhielt einen solchen Kaperbrief und wurde gleichzeitig durch den Ritterschlag geadelt“, entgegnete Bingham, der unter dem forschenden Blick des Seewolfs irgendwie unruhig wurde. „Daraus schloß ich nun, daß …“
„… daß auch unserem Seewolf diese Ehre zuteil geworden ist“, vollendete Jean Ribault, immer noch freundlich lächelnd, den Satz. „Und das hat auch seine Richtigkeit. Nur wollte Mister Killigrew durch seine Worte zum Ausdruck bringen, daß man sich unter Freunden auch mit einer gewissen Vertraulichkeit begegnen kann.“
Binghams Blick huschte zu Jean hinüber. Sofort ging er auf dessen Äußerung ein. „Ja, natürlich. Ich kann das nur begrüßen. Wir verstehen uns, Gentlemen, und das macht manches sehr viel einfacher, nicht wahr?“
„Ja“, sagte Hasard gedehnt. „Wir sind sozusagen unter uns.“ Er wollte jetzt wirklich wissen, auf was dieser schmierige Stadtgouverneur hinauswollte. „Reden Sie nur frei von der Leber weg, mein Freund.“
Der ehrenwerte Bingham begann sich wieder die Hände zu reiben. Ein Grinsen stahl sich in seine Züge. „Also, warum soll ich um den heißen Brei herumreden? Ich will Ihnen ein Geschäft vorschlagen, und ich schätze, Sie werden gern darauf eingehen. Eine Hand wäscht die andere, wie man sagt, und wir werden alle drei unseren Gewinn daraus schlagen.“
„So“, meinte Hasard. „Hat das ‚Geschäft‘ etwa mit den spanischen Schiffen zu tun, die Sie hier vorbeiziehen sehen?“
Bingham blickte höchst verwundert drein. „Ja. Wie haben Sie das so schnell ’rausgekriegt?“