Kitabı oku: «Seewölfe Paket 9», sayfa 3

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„Bist du noch ganz dicht?“ sagte eine Stimme von oben.

Irgendwie kam Eric diese Stimme bekannt vor. Er hielt sich an den Dalben fest, verengte die Augen und blickte noch einmal nach oben.

Diesmal glaubte er Luke Morgan über sich zu erkennen, den kleinen dunkelblonden Mann aus der Seewolf-Crew.

„Luke, bist du’s?“ fragte er vorsichtig.

„Sicher. Bist du blind, oder hast du Schlick auf den Augen? Mann, was ist denn mit dir passiert?“

Eric hatte das Faß rechts neben sich erspäht. Er hob einen Fuß aus dem Wasser, verpaßte dem verfluchten Ding einen Tritt und antwortete: „Nichts ist passiert. Wie ist es, hilfst du mir hier jetzt ’raus oder nicht?“

„Das wollte ich ja tun“, sagte Luke.

Eric unternahm eine neue Turnübung, streckte die Hand nach Lukes Rechter aus und hievte sich auf die Pier. In der Endphase dieses Manövers sah es beinah so aus, als müsse Luke die Balance verlieren und zu dem Glatzkopf ins Hafenwasser stürzen, aber dann ging erstaunlicherweise doch alles gut. Eric Winlow richtete sich neben Luke auf und stieß einen grunzenden Laut der Erleichterung aus.

Triefend naß stand er da in der rauhen irischen Septemberluft. Einem anderen an seiner Stelle wäre es sicher eisig kalt geworden.

Nicht so Eric: Er kochte sozusagen vor Wut über das erlittene Mißgeschick. Sein Schädel schien zu glühen, jedenfalls hatte er dieses Gefühl.

Luke sah an der Miene des glatzköpfigen Kochs, wie es in dessen Innerem arbeitete. Eine Weile standen sie so da. Luke beobachtete Eric von der Seite, der Sturmwind zerzauste Lukes Haare und pfiff über Erics Glatze hinweg, als wolle er sie glattpolieren wie einen Brocken Marmor.

Schließlich sagte Luke: „Tief Luft holen, Eric. Ist ja noch mal gut gegangen. Nimm’s nicht so schwer. Kann doch jedem mal passieren. Schlimmer wär’s gewesen, wenn du abgesoffen wärst.“

„Tja. Was hätte ich dann wohl gemacht?“ brummelte Eric.

„Gutes Fischfutter hättest du abgegeben.“

„He?“

„Vielleicht hätten sich Aale durch deine Leiche gefressen“, meinte Luke unbekümmert. „Hier in der Nähe mündet ein Fluß in die Bucht, und ich hab mir sagen lassen, die Aale wimmeln auch im Hafen von Westport ’rum und …“

„Hör auf“, sagte Eric. Seine Stirn furchte sich drohend. „Hör bloß auf, mir kommt’s gleich hoch.“

„Wieso bist du eigentlich in den Teich gefallen?“ erkundigte sich Luke. „Willst du das nicht endlich mal erzählen?“

„Wie, das hast du nicht mitgekriegt?“

„Nein, habe ich nicht.“

„Und die anderen?“

„Die auch nicht. Merkst du nicht, daß es immer noch regnet? Daß Nebelschleier über der Bucht und der Stadt hängen?“

Eric schaute sich um. „Richtig. Mann, ich mit meinem Kater habe das gar nicht bemerkt. Ist das eine Milchsuppe heute früh! Man kann weiter spucken als gucken …“

„Fein hast du das gesagt, und es reimt sich sogar“ erwiderte Luke Morgan.

Eric musterte sein Gegenüber argwöhnisch. „Willst du mich auf den Arm nehmen?“

„Nein, will ich nicht. Ich will wissen, wie dir das passiert ist. Bist du ausgerutscht?“

Eric überlegte. Die Angelegenheit war ihm peinlich, aber keiner schien gesehen zu haben, wie das Faß von der Kneipe ins Hafenbecken rollte. Also konnte er ruhig ein wenig flunkern.

„Das war so“, erklärte er. „Ich hatte mich zum Pennen in irgendeinen Keller verkrochen, aber dann wurde es hell. Ich wachte auf und kriegte einen Mordsschreck. Um bis zum Wecken rechtzeitig an Bord der ‚Vengeur‘ zu sein, lief ich los, geriet wohl zu nah ans Wasser und wurde von einer Bö vom Kai gerissen. Dann …“

„Dann hörten wir alle jemanden fluchen, und ich rannte los, um nachzusehen, was los ist“, sagte Luke.

„Sehr richtig“, ertönte eine Stimme hinter seinem Rücken. „Und wenn du noch lange ’rumstehst und mit Winlow herumpalaverst wie ein Waschweib, statt uns bei der Arbeit zu helfen, Morgan, du Rübenschwein, ziehe ich dir deine Hammelbeine lang und die Haut in Streifen von deinem verdammten Affenarsch, kapiert?“

„Aye, Sir“, sagte Luke.

Er brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, wer da hinter ihnen auf der Pier erschienen war, um nach dem Rechten zu sehen. Nur einer verfügte über eine so blumige Ausdrucksweise und einen so wunderbaren Wortschatz – Edwin Carberry, der Profos der „Isabella“.

4.

Obwohl Eric Winlow nicht zu seiner Crew gehörte, ließ Carberry auch ihn nicht ungeschoren.

„Winlow!“ brüllte er. Brüllen war bei ihm gleichbedeutend mit ganz normalem Sprechen. „Winlow, konntest du dir keinen besseren Augenblick aussuchen, um in die stinkende Brühe hier zu fallen? Bist du total besoffen?“

„Nicht mehr“, entgegnete der Glatzkopf.

Carberry blickte angestrengt durch die Dunstschleier ins Hafenwasser und sah das Heringsfaß auf den Wellen schaukeln. „Ausgerutscht und ’reingekippt, was, wie? Und was ist das da?“

„Was denn?“ fragte Luke scheinheilig.

„Das da – das ist ja ein Faß“, polterte der Profos.

„Was für ein Faß?“ erkundigte sich Eric, der seine ganze schöne Geschichte schon in die Brüche gehen sah.

Luke, der längst begriffen hatte, was das Faß mit Eric zu tun hatte, leistete dem Glatzkopf Schützenhilfe: „Also, es ist so verdammt neblig hier, ich kann einfach kein Faß erkennen.“

„Ich auch nicht“, fügte Jean Ribaults Koch sofort hinzu.

Carberry wandte sich ab. „Ihr könnt mir kreuzweise den Buckel ’runterrutschen“, sagte er. „Und jetzt folgt mir gefälligst, oder es gibt Ärger, und zwar mächtigen.“

Sie marschierten in Kiellinie hinter ihm her, und Eric grinste Luke zu. „Fast hätte ich’s vergessen“, meinte er. „Vielen Dank für die Hilfe.“

„Gern geschehen“, erwiderte Luke Morgan. „Aber warum hast du dir so fürchterlich einen hinter die Binde gegossen, daß du jetzt noch halb blau bist?“

„Ach, das liegt alles nur an den Weibern“, klagte Eric. Er war gerade richtig in Fahrt und erzählte Luke freimütig, was sich an dem Tisch der Kneipe, an dem er gesessen hatte, abgespielt hatte.

„Sieh mich doch mal an“, sagte Luke. „Was soll ich denn erst sagen? Mich läßt vorläufig auch die allerletzte Hafenhure abblitzen. Aber ich mache mir einfach nichts daraus.

Nein, schön sah er nicht aus, das hatte Eric ja schon vom Hafenbekken aus deutlich zum Ausdruck gebracht. Lukes Gesicht war von Brandnarben verwüstet, denn bei dem Angriff der Brander auf die spanischen Schiffe vor Calais hatte er eins der Höllenschiffe gesteuert und war am schwersten verletzt worden.

Eric dachte darüber nach und befand, daß das Leben eigentlich doch noch seine schönen Seiten hatte, besonders nach einem morgendlichen Bad in der Clew Bay. Fast heiter erreichte er mit Carberry und Luke Morgan die Pier, an der die „Isabella VIII.“ und die „Vengeur“ fest vertäut lagen, und verfolgte halb belustigt, halb überrascht, wie die Kameraden Fässer und Kisten an Bord der Schiffe mannten.

Fast schlafwandlerisch sicher bewegten sich die Männer über die Gangways auf die schwankende Galeone und Karacke, und ein sehr dikker, sehr unsympathischer Mensch stand etwas abseits und taxierte die harten Kerle mit seinem Blick.

Der Seewolf, Jean Ribault und Karl von Hutten hielten sich in der Nähe des dicken Kerls auf. Sie schienen ziemlich vergnügt über irgend etwas mit ihm zu reden.

„Was geht hier denn vor?“ sagte Eric Winlow. „Was sind das für Fässer und Kisten?“ Von Fässern hatte er genug, aber seine Neugier war doch geweckt, wenn der Anblick des Dicken ihm auch Unbehagen bereitete.

Carberry war stehengeblieben. Er drehte sich zu Eric um und stemmte die Fäuste in die Seiten. „Noch mehr Fragen, Kombüsenhengst?“

„Ja. Wer ist der Fettwanst, und wieso glotzt er unsere Leute so dämlich an?“

Carberry tat einen Schritt, dann stand er ganz dicht vor Eric. Luke hatte sich unterdessen den anderen zugewandt und berichtete ihnen, daß er Eric aus dem Hafenbecken gezogen hätte, wobei er das Faß natürlich verschwieg. Die Seewölfe und die Männer der „Vengeur“ grinsten und blickten zu Carberry und Winlow, die sich wie feindselige Stiere gegenüberstanden.

Über ihren Köpfen flatterte Sir John, der karmesinrote Aracanga, im Sturmwind. Es war wirklich ein ergötzliches Bild.

Carberry blieb ganz ruhig. „Der Fettwanst ist Sir Richard Bingham, der sogenannte Stadtgouverneur in diesem elenden Nest. Hasard und Jean haben eine Flasche edlen irischen Whiskey mit ihm ausgesoffen, und dabei sind sie zum Schein auf einen miesen Kuhhandel eingegangen, den er ihnen vorgeschlagen hat. Dafür läßt der Hundesohn jetzt Proviant und Trinkwasser in rauhen Mengen springen, und außer dem Wasser auch noch ein paar andere Fässer, die ein Kombüsenhengst und Heringsbändiger wie du ganz besonders schätzen sollte.“

„Ach“, sagte Eric. Sonst fehlten ihm die Worte.

„Und jetzt schieb ab, Mister Winlow, und bereite deinen Männern ein ordentliches Frühstück, wie es sich für einen Kesselschwenker gehört. Ich weiß, ich habe dir eigentlich keine Befehle zu erteilen, Mister Winlow, aber ich rate dir trotzdem, so schnell wie möglich zum Dienst anzutreten, sonst rauht es im Schapp.“

Eric wußte, daß es gefährlich wurde, wenn Carberry jemand mit „Mister“ und mit seinem Nachnamen anredete, und er legte keinen Wert darauf, sich mit dem Profos der „Isabella“ zu streiten. Er hatte ohnehin ein schlechtes Gewissen – wegen der Sache mit dem Heringsfaß und seinem viel zu spätem Aufkreuzen.

Schleunigst setzte er sich wieder in Marsch. Er nahm Roger Lutz, diesem Weiberheld, ein dickbäuchiges Faß ab, schleppte es mühelos über die Pier, balancierte es vom Laufsteg an Bord der „Vengeur“ und transportierte es in die Kombüse, von der es auch in die Vorratsräume der Zweimast-Karacke hinunterging.

Er bugsierte das Faß in einen Vorratsraum und begegnete Jan Ranse und Piet Straaten, den beiden Holländern, die auch mit zugepackt hatten und gerade zwei Kisten auf die Planken stellten. Eric setzte sein Faß ab. Er brauchte nur daran zu schnuppern, um zu wissen, was darin schwappte: echter irischer Whiskey – W-h-i-s-k-e-y. Plötzlich war seine Abneigung gegen Fässer dahin, und er dachte daran, daß man nach einer durchzechten Nacht wieder mit dem anfangen sollte, mit dem man aufgehört hatte.

„Es ist auch Bier da“, meldete Jan Ranse, der Steuermann der „Vengeur“.

„Und Wein“, ergänzte Piet Straaten, der Rudergänger. „Außerdem haben wir Schinken, Dauerwurst, Speckseiten, Fässer mit Mehl, Zucker und Salz, Eier, Brot, Frischgemüse, Weinkraut, Gänse, Hühner und Kaninchen.“

„Tot?“ fragte Eric.

„Wer soll tot sein?“ stieß Jan Ranse verdutzt aus.

„Die Gänse, Hühner und Kaninchen natürlich“, sagte der Glatzkopf. „Wer denn sonst?“

Die Holländer deuteten schweigend auf ein paar fix und fertig ausgenommene und gerupfte Tiere, die an einem der Deckenbalken aufgehängt worden waren. Piet und Jan grinsten, weil Eric sich darüber ärgerte, daß er die Biester nicht gleich entdeckt hatte. Dann grinste auch Eric, denn er vernahm aus dem Nebenraum deutliches Gegacker.

„Tolle Vorräte“, sagte er. „Und auf der ‚Isabella‘ stopfen sie die Vorratskammern mit dem gleichen Zeug voll?“

„Darauf kannst du Gift nehmen, Eric“, sagte Roger Lutz, der soeben mit einem dicken Packen auf der Schulter den Raum betreten hatte.

„So“, meinte Winlow, indem er sich umdrehte. „Aber ich nehme lieber einen anständigen Whiskey zur Brust, wenn du’s wissen willst. Und jetzt heize ich die Kombüsenfeuer an und bereite euch Kakerlaken ein Frühstück, von dem ihr schon lange träumt.“ Er sah, wie Lutz, der Franzose, unter der Last schnaufte, und fügte hinzu: „Du scheinst es ja besonders nötig zu haben, dich zu stärken, Roger. Ist ja auch klar, bei dem Energieverlust von heute nacht.“

Eric hatte die Lacher auf seiner Seite.

Natürlich war etwas faul mit Luis de Bobadilla. Kapitän Pedro de Mendoza litt keineswegs unter Einbildungen. Aber noch lag de Mendoza in seiner Koje und holte nach, was er seit vier Tagen versäumt und eigentlich seit den Vorfällen vor Calais schon nicht mehr richtig getan hatte: Er schlief ein paar Stunden fest durch.

De Bobadilla indessen war schon wieder auf den Beinen, ausgeruht, ziemlich munter und guter Dinge. Er war froh darüber, daß de Mendoza bisher keine Gelegenheit gefunden hatte, ihn genauer zu befragen. Aber er hatte auch keinerlei Zweifel, daß der Kapitän in Kürze entweder in seiner Kammer auftauchen oder ihn zu sich rufen würde, um ihm auf den Zahn zu fühlen und kräftig auf die Finger zu klopfen. Denn wenn erst genaue Recherchen angestellt wurden, konnte er, de Bobadilla, nicht mehr geheimhalten, was er in den vergangenen Wochen immer wieder getan hatte.

Kräftig in die Kriegskasse des Biskaya-Geschwaders hatte er gelangt. Mit dem Proviantmeister Alvarez – nicht mit dem Koch Francisco Sampedro – hatte er ein Abkommen getroffen. Sie betrieben einen schwunghaften Handel mit Gütern, auf die sie beide eigentlich keinen Anspruch hatten. De Bobadilla schleppte Piaster und Reales zu Alvarez, Alvarez händigte ihm dafür Proviant aus, den er heimlich beiseite schaffte. Sie brauchten immer nur einen Zeitpunkt abzuwarten, in dem der Koch sie nicht beobachten konnte, denn der war ein aufrichtiger, ehrlicher Bursche, der alles für seine Kameraden tat und schmutzige Geschäfte haßte.

De Bobadilla grinste.

Sampedro, du Narr, dachte er. Wie konnte ein Mann so idiotisch sein und außer an seinen eigenen Vorteil auch noch an die Interessen der anderen denken! Man sah ja, wohin das führte – nach und nach würden alle krepieren, denn es gab keine Hoffnung auf Hilfe, auf Proviant, Trinkwasser, Medikamente – das alles war ein bloßer Traum.

Selber essen macht fett, das war das Gebot der Stunde!

Luis de Bobadilla war zur Zeit damit beschäftigt, in sein Wams und seine Kürbishosen Goldmünzen einzunähen. Er versah diese Arbeit mit großer Sorgfalt und zwang sich zur Ruhe. Noch hatte er Zeit. Frühestens nach Ablauf von zwei Glasen würde man de Mendoza wecken, soviel hatte er in Erfahrung gebracht.

Dann aber würde er längst fertig sein mit seinen Vorbereitungen, um von Bord der „Gran Grin“ zu gehen. Er hatte die seiner Meinung nach sehr gesunde Absicht, dieses Totenschiff zu verlassen. Wann genau er „von der Fahne“ ging, wußte er noch nicht. Es hing in erster. Linie davon ab, ob der Kapitän ihm mit seinen unbequemen Fragen zu Leibe rükken würde oder nicht.

Vielleicht wurde de Mendoza wieder abgelenkt, vielleicht legte er in den frühen Morgenstunden auch größeren Wert darauf, das Land zu erkunden, vor dem sie lagen, als seinen Zahlmeister zur Rede zu stellen.

De Bobadilla seufzte tief.

Hoffen wir’s, dachte er.

Für sein Vorhaben wäre es sehr vorteilhaft, wenn der Kapitän zunächst einen Spähtrupp an Land schickte und erforschte, in welcher Gegend Irlands man sich befand. Das machte vieles leichter, de Bobadilla konnte dann mit ziemlich sicherer Orientierung von Bord gehen und seinen Weg über Land sicher wählen.

Mit den Goldmünzen, die er mitgehen ließ, würde er sich den Weg zurück nach Spanien nach und nach freikaufen. Die Iren waren arme Hunde, wie er schon bei der Besprechung in der Kapitänskammer bemerkt hatte, für Geld und Gold taten sie sicherlich alles. Dafür begingen sie auch einen Mord und anderes mehr.

De Bobadilla vertraute auf die Macht seines unrechtmäßig zusammengerafften Reichtums – auf sonst nichts.

Als er mit dem Einnähen der Goldmünzen fertig war, stahl er sich aus seiner Kammer und schlich durch das Schiff. Er mied das Oberdeck, wo der erste Offizier de la Torre und der Bootsmann Vallone bei seinem Erscheinen sicherlich argwöhnisch geworden wären.

Ihr Mißtrauen ihm gegenüber wuchs. Auch deswegen mußte er schleunigst zusehen, seinen Plan in die Tat umzusetzen.

De Bobadilla mied aber auch das Mannschaftslogis, in dem die Kranken stöhnten und keuchten. Angewidert verzog er den Mund, preßte sich ein weißes Taschentuch vors Gesicht und sah zu, daß er weiterkam. Der Hauch des Todes ging von diesem elenden Logis aus, der Raum war eine Brutstätte der Seuchen, man hätte ihn in Brand stecken sollen.

De Bobadilla pirschte sich zur Kombüse – zum Stelldichein mit dem Proviantmeister. Seit den letzten zwei Wochen handhabten sie es so, jeden Tag, entweder abends oder morgens, und das Ganze hatte sich prächtig eingespielt.

Immer, wenn der Koch Sampedro Freiwache hatte, päppelte Alvarez den Zahlmeister durch – gegen klingende Münze, versteht sich. Dies war die „hervorragende körperliche Kondition“ des Luis de Bobadilla, das Geheimnis seines gesunden, rosigen Aussehens.

Wenn Sampedro Freiwache hatte, löste Alvarez ihn ab und wog – seit Beginn der Bordrationierung – die Rationen für den nächsten Tag ab. Alvarez deponierte sie in der Kombüse und schloß dann ab. In den letzten Tagen waren die Zuteilungen für Offiziere und Mannschaft immer sparsamer geworden, und abends gab es seit Tagen sowieso nur noch Wassersuppe.

De Bobadilla traf im achteren Bereich des Vordecks-Mittelganges auf Alvarez. Fast schrak er zusammen, als er die Nähe des Proviantmeisters spürte. Er glaubte, Alvarez in der Dunkelheit des Ganges grinsen zu sehen.

Die Stimme des Mannes klang denn auch tatsächlich ein wenig spöttisch. „Angst, mein lieber Luis? Das liegt am schlechten Gewissen, glaub es mir.“

„Das mußt du gerade sagen!“

„Vergiß nicht, daß du mich zu diesem krummen Handel angestiftet hast – ohne dich wäre ich auf so was nie verfallen.“

„Still“, zischte de Bobadilla. „Schweig doch. Wie leicht könnte man dich hören! Hast du die Ware mitgebracht?“

„Natürlich“, raunte Alvarez. „Sag bloß, du hast daran gezweifelt. Auf mich ist Verlaß, das weißt du doch. Alvarez läßt keinen im Stich.“

„Schon gut. Was hast du also mitgebracht?“

„Eine halbe Speckseite, zwei Salchichas, Würste, und Schiffszwieback, der noch nicht von den Würmern angegriffen ist. Ich kann dir sagen, es ist gar nicht so einfach, noch etwas aufzutreiben, das von diesem Ungeziefer unberührt geblieben ist und …“

„Hör auf“, zischte der Zahlmeister ihm zu. „Ich kann das nicht hören, mir dreht sich der Magen um.“

„Empfindlich? Na, da staune ich aber“, sagte Alvarez höhnisch.

„Dir wird das Lachen auch noch vergehen. Ich habe es satt und die Nase gestrichen woll von diesem gräßlichen Leben.“

„Du hättest an Land bleiben sollen, Luis“, murmelte der Proviantmeister. „Du bist für das harte Leben auf See nicht geschaffen. Entbehrungen, immer wieder Entbehrungen – und Krankheiten, damit muß man sich abfinden. Sei froh, daß sie dir bei Calais keine Kugel in den Bauch geschossen haben.“

„Hör jetzt endlich auf“, raunte de Bobadilla. „Hast du nichts zu trinken besorgen können?“

„Schon. Eine kleine Flasche Rioja, von den allerletzten Beständen. Ein Juwel ist dieses Fläschchen, das sage ich dir.“

„Gib schon her!“

„Hast du das Geld mitgebracht?“

„Das ist doch selbstverständlich. Zehn Reales, wie üblich …“

Alvarez schüttelte den Kopf. De Bobadilla konnte es jetzt, da sich seine Augen besser auf die Dunkelheit eingestellt hatten, deutlich wahrnehmen.

„Tut mir leid“, wisperte der korrupte Proviantmeister. „Aber diesmal mußt du schon drauflegen – wegen des Weins. Den gebe ich sonst nicht her.“

„Müssen wir jetzt feilschen?“

„Ja, das müssen wir. Ich verlange zwei Piaster für alles, was ich hier im Segeltuchsack mitgebracht habe.“

De Bobadilla wollte aufbrausen. Zwei Piaster – das waren sechzehn Reales! Ein glatter Wucherpreis, wenn man bedachte, daß allein sechs Reales für den Wein bestimmt waren. Schon wollte er ablehnen, da besann er sich darauf, daß Alvarez ihn ja auch an den Kaptän verraten konnte. Gewiß, Alvarez konnte seine Hände dabei nicht in Unschuld waschen, denn de Bobadilla würde sich nicht zurückhalten und ihn seinerseits belasten. Aber letztlich würde Alvarez geringer bestraft werden und besser dastehen als der Zahlmeister, denn ein Mann wie de Mendoza würde das, was de Bobadilla getan hatte, schlimmer bewerten. De Bobadilla war für ihn bislang der Vertrauensmann gewesen, der mehr als alle anderen an Bord seine Integrität zu wahren hatte.

Nein, de Bobadilla durfte Alvarez nicht verärgern. Geiz war nicht angebracht, nicht jetzt.

So leise wie möglich entgegnete de Bobadilla auf die Forderung des Proviantmeisters: „Ich biete dir zwölf Reales, das sind anderthalb Piaster.“

„Zu wenig.“

„Dreizehn.“

„Fünfzehn“, raunte Alvarez.

Sie einigten sich auf vierzehn Reales. De Babadilla zahlte, Alvarez händigte ihm die Ware im Segeltuchsack aus.

De Bobadilla wollte zu dem Verbindungsgang zurückschleichen, der ihn durch die Frachträume zum Achterschiff zurückführte, aber Alvarez hielt ihn plötzlich am Arm fest.

„Stehenbleiben“, flüsterte er dem Zahlmeister ins Ohr. „Da war was. Ein Geräusch. Es wäre schlecht, wenn einer der Narren aus dem Logis dich mit dem Sack vorbeischleichen sehen würde. Wir steigen beide nach oben. Ich haue mich auf der Back aufs Ohr, das ist mir lieber, als hier unten zu schlafen.“

„Und ich?“

„Du kannst mir ja Gesellschaft leisten, wenn du willst“, erwiderte Alvarez, ein rauher, zynischer Bursche, grinsend.

„Ich will in meine Kammer zurück“, raunte de Bobadilla. „Aber de la Torre und Vallone entdecken mich, wenn ich über die Kuhl schleiche. Bis zur Back können sie vom Achterdeck aus wohl nicht sehen, aber ich habe keine Lust, in Sturm und Regen draußen auf Deck zu bleiben. Ich hole mir ja den feuchten Tod.“

„Was für ein Weichling du doch bist“, zischte Alvarez.

De Bobadilla blickte sich um und überlegte, ob er nicht doch den Rückzug durchs Schiff antreten sollte. Aber die Sache war ihm nicht geheuer. Er entschloß sich, den unbequemeren Weg zu wählen, und nickte Alvarez zu.

Dieser flüsterte: „Du kannst oben ja den Wachwechsel abwarten und dich bei der Gelegenheit zurück in deine Kammer stehlen.“

Luis de Bobadilla hielt dies für einen annehmbaren Vorschlag. Also schloß er sich Alvarez an, der den Niedergang hochschlich, das Schott öffnete und vorsichtig ins Freie spähte.

Vom Morgengrauen war noch nicht viel zu bemerken. Ein dichter Vorhang aus Nebel, Gischt und Regen lag über dem Schiff. Der Regen hatte nachgelassen, es nieselte nur noch, aber dieses sprühfeine Wasser trug mit zu den schlechten Sichtverhältnissen bei.

Alvarez bedeute seinem „Handelspartner“ durch eine Geste, daß die Luft rein war. Sie pirschten sich an Deck, schlossen das Schott, stiegen über den Steuerbordniedergang zur Back hinauf und duckten sich hinter die Schmuckbalustrade, die den Querabschluß zur Kuhl bildete.

De la Torre und Vallone konnten sie vom Achterdeck aus – wo sie sich bereits seit einiger Zeit aufhielten – garantiert nicht sehen.

Alvarez’ Lager auf dem Vorkastell bestand aus einem zeltartigen Verschlag, den er aus gewachstem Segeltuch neben der Segellast aufgebaut hatte. De Bobadilla konnte nicht begreifen, wie man dort richtig schlafen konnte, gewisse Phänomene aus der Seefahrt und dem Bordleben würden ihm nie begreiflich werden.

Alvarez grinste breit. „Also, ich krieche jetzt in meine Koje“, sagte er. „Bis zum Wecken sind’s noch zwei Glasen, das will ich wahrnehmen. Ich habe zwar eigentlich Wache, aber meine Arbeit in der Kombüse habe ich erledigt, und ich sehe nicht ein, wieso ich tatenlos ’rumhängen soll. Gute Nacht, Amigo.“

„Guten Morgen“, murmelte de Bobadilla. Es war kalt, der Sturmwind zerrte an seiner Gestalt, und der Nieselregen machte sich bereits unangenehm auf seiner Perücke bemerkbar.

Das Ganze ging ihm gründlich gegen den Strich, und er wollte bereits Anstalten treffen, ins Vordeck zurückzukehren, um doch den gewohnten Weg durchs Schiff zu wählen, da entdeckte er eine Gestalt auf der Kuhl.

So tief wie möglich duckte sich de Bobadilla hinter die Balustrade. Er spähte zwischen zwei Taljen hindurch und erkannte Vega de la Torre, der über das schaukelnde Deck auf das Vorkastell zumarschierte.

De Bobadilla wies Alvarez durch eine Gebärde auf seine Entdeckung hin. Alvarez preßte einen Fluch hervor, schob sich neben den Zahlmeister und raunte ihm zu: „Los, ’runter mit dir auf die Galionsplattform. Ich halte den Ersten schon auf. Weiß der Teufel, wieso der ausgerechnet jetzt hier aufkreuzt. Wegen mir kann er nicht mißtrauisch werden, ich hab ja sowieso Wache.“