Kitabı oku: «Seewölfe Paket 9», sayfa 30
8.
Der Nebel verschwand, als hätten Geisterhände ihn weggeschoben. Nur noch vereinzelt trieben Schwaden über die See, die von der durchbrechenden Sonne weggescheucht wurden.
Man konnte noch nicht ganz bis zum Horizont blicken, aber bald würde auch das möglich sein.
Von dem spanischen Schiff war weit und breit nichts zu entdecken. Ebenso war der größte Teil des Seetangs verschwunden. Nur ein paar winzige Inseln lagen noch still im Wasser.
Hasard hatte den Spanier zu sich aufs Achterkastell gebeten, und Domingo hatte fasziniert die Ruderanlage bewundert und immer wieder den Kopf geschüttelt. Eine derartig geniale und doch so einfache Konstruktion hatte er noch nie in seinem Leben gesehen.
Jetzt beschäftigte ihn wieder das verschwundene Schiff.
„Ich verstehe das nicht“, sagte er. „Keins der beiden Schiffe bewegte sich. Oder wenn doch, dann nur in einer gemeinsamen Richtung.“
„Es scheint hier gegenläufige Strömungen und starke Abdriften zu geben“, sagte Hasard. „Ich habe keine andere Erklärung. Ihr Schiff muß schon verschwunden sein, als wir die zweite Fahrt unternahmen.“
„Ja, es ist mit der Tanginsel zusammen weitergedriftet. Wissen Sie ungefähr, wo wir uns befinden, Senor Capitan? Ich habe seit langer Zeit völlig die Orientierung verloren.“
„Wir müssen unseren Standort ebenfalls erst neu berechnen, seit wir in die Kalme geraten sind. Später werde ich es Ihnen ungefähr sagen können.“
Wieder fuhr ein Windstoß über Deck, und in den Gesichtern der Seewölfe standen Erleichterung und Freude geschrieben.
Hasard suchte mit dem Spektiv die See ab und gab dem Spanier das zweite.
„Gesunken ist es nicht, es war noch sehr stabil“, sagte der Seewolf, „aber bis hinter den Horizont kann es unmöglich getrieben sein, das geht mir einfach nicht in den Sinn.“
„Es ist ein verhextes Schiff, Senor“, begann der Spanier. „Es wird rastlos über die Meere treiben und jeden erschrecken, der es sieht.“
„So abergläubisch?“ fragte Hasard spöttisch.
„Seit ich gesehen habe, was da passierte – ja! Ich werde mein Leben lang nie die beiden Gesichter vergessen, diese unheimlichen toten Schwimmer. Ich habe verzweifelt nach einer Erklärung gesucht und sie nicht gefunden. Niemand wird sie finden, aber ich bin sicher, jeder, der einmal an Bord geht, wird sie sehen.“
Hasard wußte, daß der Mann kein Phantast war, obwohl er ihn erst wenige Stunden kannte. Dieser Domingo war kein Spinner, das stand für ihn fest, aber dennoch suchte der Seewolf hartnäckig nach einer glaubwürdigen Erklärung, weil die Geschichte allen Naturgesetzen Hohn sprach.
Er fand jedoch auch keine Erklärung und mußte sich mit der Erzählung des Spaniers zufriedengeben. Vielleicht gab es doch nicht immer für alles eine einleuchtende und plausible Erklärung.
Er sah, wie sich die schlaffen Segel langsam mit Wind füllten, und blickte auf die breite Gestalt Carberrys, der sich ebenfalls immer wieder argwöhnisch nach dem spanischen Schiff umsah. Er hörte, daß die Männer an Deck tuschelten, die Köpfe zusammensteckten und nach allen Himmelsrichtungen mit den Fingern deuteten.
Jeder schien es an einer anderen Stelle zu vermuten, doch sah es keiner von ihnen.
Als Dan auf dem Achterdeck erschien und der Rudergänger Pete Ballie seine breiten Pranken um das Ruder legte, versuchen sie, gemeinsam mit Ben Brighton, den Standort festzustellen.
„Vorerst bleiben wir auf Südwestkurs, Pete, aber erst, sobald das Ruderblatt Druck kriegt.“
„Aye, Sir. Südwest liegt fast an, wir bewegen uns schon.“
Der erste Wind blies jetzt ganz zaghaft in die Segel und begann sie leicht zu bauschen. Daraufhin kriegte auch das Ruder etwas Druck und Pete konnte auf Südwest gehen und anliegen.
Die „Isabella“ bewegte sich weiter dem nördlichen Wendekreis entgegen, zuerst nur langsam und zögernd, dann blies der Wind kräftiger und schob den Rahsegler durch die Fluten.
Hasard hatte darauf verzichtet, nach dem spanischen Schiff zu suchen. Das hätte tage- oder wochenlang dauern können, und ob sie es dann fanden, blieb immer noch fraglich.
Damit war allerdings auch das Rätsel um die beiden angeblichen Schwimmer nicht gelöst, aber auch darauf verzichtete Hasard. Er fand sich damit ab, jedenfalls nach außen hin.
Am späten Abend briste es noch mehr auf, und aus der dunkelblauen See wuchsen kleine Berge und Täler, durch die die „Isabella“ sanft hindurchglitt.
In der Nacht, der Wind schob sie platt vor sich her, schätzte der Seewolf die Geschwindigkeit des Schiffes auf neun Knoten, und als Smoky mit der Logleine nachmaß, stimmte es haargenau.
Zwei Tage segelte die „Isabella“ platt vorm Wind und lief ihrem Ziel entgegen, als Stenmark aus dem Ausguck rief: „Kleine Tanginsel, zwei Strich Backbord voraus!“
„Hoffentlich geht der Affenzirkus nicht wieder von vorn los“, sagte Ben Brighton. „Von Tanginseln und Kalmen bin ich reichlich bedient.“
Dan, der wieder an den Karten rechnete, richtete sich auf und spähte zu dem winzigen Stück Tang hinüber.
„Auf der Insel steht etwas“, sagte er, „so genau läßt sich das nicht erkennen. Ein Gebüsch vielleicht, oder eine abgestorbene Palme.“
„Seit wann wachsen die denn auf Tanginseln?“ fragte Ben.
„Ich kann es noch nicht genau sehen. Aber wir liegen ja fast auf dem gleichen Kurs.“
„Die Tanginseln interessieren mich nicht“, sagte der Seewolf. „Wir bleiben auf unserem Kurs, Pete.“
„Aye, aye, Sir.“ Pete nickte nur.
Aber dann blieben sie doch nicht auf demselben Kurs, denn etwas später sah Dan den Gegenstand besser und deutlicher.
„Scheint ein kaputtes Boot zu sein“, meinte er.
Noch etwas später sah es auch der Seewolf durchs Spektiv.
„Ein längst verrottetes Boot, teilweise vom Tang überwuchert und in die Algen eingesunken“, sagte er nachdenklich. „Gut, wir ändern den Kurs und laufen das Ding an.“
Der Spanier räusperte sich.
„Wir haben vor Jahren hier fast ein Dutzend treibende Beiboote in den Inseln gesehen. Manche waren uralt, einige ließen sich noch verwenden, so gut waren sie erhalten. Sie trieben irgendwann einmal in den Tang und konnten sich nicht mehr befreien. Die Boote befanden sich fast immer im Zentrum der kleinen Inseln und waren zugewuchert. Bei manchen hatte sich der Tang im Lauf der Zeit durch die Planken gebohrt und sich im Boot ausgebreitet.“
Der Kurs wurde geändert. Auf einen Wink von Hasard ließ der Profos die Segel ins Gei hängen, bis sich die Fahrt der Galeone merklich verringerte.
„Ganz hart am Tang vorbeilaufen, Pete“, sagte der Seewolf.
Die Tangschicht ragte etwas mehr als einen Yard aus dem Wasser. Ihre fast schwarzen Ränder waren naß und in lebhafter Bewegung. Weiter zur Mitte hin, wo der Tang sich auftürmte, war er steinhart und knochentrocken. Und genau darin lag das Boot, oder das was davon noch übrig war.
Die Insel maß etwa dreißig Yards im Durchmesser, vielleicht war es auch etwas weniger.
Pete ließ den Segler so weit abfallen, daß er hart an der Insel vorbeischrammen würde.
Auf der Backbordseite standen die Seewölfe am Schanzkleid. Einige hatten sich die Wanten ausgesucht, um aus der Höhe einen besseren Blick auf das Boot werfen zu können.
Als sie auf gleicher Höhe mit der Insel waren, begann der nasse Tang am Schiff zu schlurren, als wollte er sich festsaugen.
Carberry und Ferris Tucker zuckten zusammen, als hätte sie gleichzeitig ein giftiges Schlangenpaar gebissen. Niemand sprach ein Wort, sie sahen nur mit starren Augen auf das knapp fünfzehn Yards entfernte Boot.
Zunächst sah es wie ein riesiger aufgeschichteter Reisighaufen aus. In bizarren Formen hatte sich der Tang um die Beplankung geschlungen und war dann getrocknet. Überall stand er um das Boot herum wie feine Äste, um gnädig das zuzudekken, was sich in dem Boot befand.
Auf den längst eingebrochenen Duchten lagen vier Männer kreuz und quer durcheinander. Sie waren schon seit Ewigkeiten tot, verhungert oder verdurstet, und von den vier Männern sah man nur noch die Skelette und daran ein paar undefinierbare Fetzen Stoff, die die Sonne restlos gebleicht hatte.
Der Spanier, der das grauenhafte Bild vom Achterkastell aus sah, bekreuzigte sich und faltete die Hände. Er murmelte unhörbar vor sich hin. Jedenfalls verstand niemand, was er sagte.
Im Geäst der abgestorbenen Braunalgen, halb von dem Tang bedeckt, lag noch ein weiteres Skelett. Der Totenschädel war der Sonne zugewandt, die Knochen lagen verstreut herum.
Das Boot war teilweise auseinandergefallen, die Duchten waren zerbrochen und die Beplankung hatte sich unter der Hitze zu bizarren, knochenähnlichen Gebilden verformt.
Ob noch mehr Leichen in dem Tang steckten, ließ sich nicht erkennen, aber den Männern genügte dieser Anblick restlos.
Auch das waren einmal Seeleute gewesen, genau wie sie, dachte jeder schaudernd, und es konnte auch ihnen einmal passieren, was hier geschehen war. Eine unbeschreibliche Tragödie mußte sich da abgespielt haben.
Dann war die „Isabella“ an der Tanginsel vorbei, die jetzt in lebhafte Bewegung geriet und achteraus blieb.
Die meisten blickten den Spanier an, und jeder stellte sich wohl insgeheim die Frage, ob es die Männer von der „Preciosa“ waren, die in diese tödliche Falle aus Tang geraten waren.
Als Hasard den Spanier daraufhin ansprach, schüttelte der den Kopf und zuckte mit den Schultern.
„Gott allein weiß es“, sagte er erschüttert. „Aber es ist nicht auszuschließen. Das wird sich wohl auch nicht mehr feststellen lassen. Ich wünsche nicht, daß sie es waren, denn diese dort haben einen furchtbaren Tod gehabt und sind unter entwürdigenden Umständen gestorben.“
Lange noch blieb Domingo stehen und blickte auf die immer kleiner werdende Insel, die jetzt von weitem wieder so aussah, als wachse in ihrer Mitte lediglich ein dürrer Busch.
Auf der Kuhl wurde der Anblick ebenfalls diskutiert, und man bedauerte die armen Kerle.
„Und ich sage euch, das waren die Männer von dem Geisterschiff“, behauptete O’Flynn hartnäckig.
„Wie willst du das denn so genau wissen?“ fragte der alte Segelmacher Will Thorne.
„Das habe ich im Gefühl, Will. Außerdem paßt das alles zusammen. Die sind wie die Irren losgepullt, und eines Nachts saßen sie in diesem Teufelszeug fest. Vielleicht sind die anderen entkommen und irgendwo an Land gegangen, denn der Don sprach ja davon, daß sie alle Boote abgefiert hätten.“
„Möglich ist das schon“, räumte Thorne ein. „Aber es war ein verdammt erschütternder Anblick, und so möchte ich auf meine alten Tage bestimmt nicht enden.“
„Ich bin immer heilfroh, wenn wir dieses unheimliche Meer heil durchsegelt haben. Bisher sind wir noch nie durchgefahren, ohne daß etwas passierte.“
„Ja, da hast du allerdings recht.“
Die beiden Bordältesten klönten und palaverten weiter. Die beiden Jüngsten dagegen, Hasard und Philip, hatten sich nach achtern verzogen und „gruselten“ sich, wie der Moses Bill behauptete. Er hätte sie noch nie so bleich gesehen, sagte er.
Nach einer weiteren Stunde war die unheimliche Insel endlich am Horizont verschwunden, und die „Isabella“ jagte jetzt unter vollen Segeln dahin.
Noch vor ein paar Stunden, so überlegte Hasard, hatten sie in einer Kalme gelegen, und das Meer hatte ausgesehen wie flüssiges Silber, ohne jede Bewegung. Jetzt sah es nach einem handfesten Sturm aus, denn am Horizont braute sich etwas zusammen. Hasard war darauf gefaßt, denn das Sargassomeer war launisch und unberechenbar, und alle Vorhersagen brachten nichts ein. Man wußte nie genau, wie man in dieser geheimnisvollen See dran war.
„Spätestens heute nacht wird uns der Wind ganz gehörig um die Ohren pfeifen, Ben“, sagte er. „Ed soll alle Vorsichtsmaßnahmen treffen, na ja, du weißt ja Bescheid.“
„Ja, wir kriegen einen handfesten Sturm, und wenn der losheult, haben wir noch immer kein Land in der Nähe. Es wird noch zwei Tage dauern, bis wir die Caicos erreichen, vorausgesetzt, daß wir uns nicht geirrt haben.“
Er verließ das Achterkastell und ging zum Profos.
„Klar kriegen wir eins auf die Mütze, und wie“, versicherte Carberry. „Das gibt ein nettes Tänzchen. Ich lasse nachher Strecktaue spannen und alles absichern.“
Aus der anfangs sanften Dünung wurden lange Wellentäler. Die „Isabella“ hob ihren Bug hoch aus dem Wasser und tauchte tief ein, bis die ersten Wasserschleier über Deck stoben und wie ein riesiger Vorhang alles zudeckten.
Dann ging sie auf den anderen Bug, als der Wind die Richtung änderte. An Deck konnte man nur noch vorsichtig gehen. Immer wieder rollten dunkle Wellen gegen das Schiff und schienen an der Bordwand zu explodieren.
Nach Einbruch der Dämmerung wurde der Himmel schwarz, etwas später ging ein tropischer Regen nieder, dem ein gewaltiges Gewitter folgte. Blitze zuckten über den gesamten nachtschwarzen Himmel. Sie rissen die Schwärze auf und beleuchteten das Schiff, das sich jetzt mühsam seinen Weg durch hohe Wellen bahnte.
Das Deck wurde immer wieder überflutet. Mehr als einmal stand das Wasser yardhoch in der Kuhl und lief nur langsam durch die Speigatten wieder ab.
Nur noch zwei Sturmsegel standen jetzt, und unter denen jagte der Rahsegler wie der Teufel durch das Wasser. In den Pardunen und Wanten heulte und toste es, als wäre der Meergott persönlich an Bord erschienen und hätte die Führung des Schiffes übernommen.
Der Sturm hielt weitere zwei Tage lang an und pfiff immer noch mit der gleichen Stärke.
9.
„Land voraus!“
Der Ruf aus dem Großmars löste Freude aus.
Ganz schwach voraus war in der gewaltigen Dünung ein feiner Strich zu erkennen, der immer wieder verschwand, aber genauso beharrlich auch immer wieder auftauchte und dabei langsam größer wurde.
Nach Hasards Berechnungen handelte es sich zweifelsfrei um eine der Caicos-Inseln, aber welche es war, konnte der Seewolf nicht genau sagen.
Die „Isabella“ hielt darauf zu in der Hoffnung, eine geschützte Bucht zu finden, in der man den Sturm abwarten konnte, denn der hatte den Männern in den letzten Tagen eine Menge abverlangt.
In Küstennähe war das Wasser immer noch aufgewühlt, und die Wellen gingen haushoch. Die Nordküste der Insel bot keinen Schutz. Dort gab es nur vom Wind gebeugte Palmen und einen anscheinend unbewohnten endlos langen Sandstreifen. Gleich dahinter begann dunkelgrünes Dickicht.
„Wir runden die Insel“, sagte Hasard. „Auf der anderen Seite finden wir Schutz, dort ist es ruhiger.“
Die Westseite der Insel bot die erste Möglichkeit, denn dort standen die Palmen dichtgedrängt, und eine vorspringende Landzunge kündete von einer Bucht.
Der Seewolf hielt darauf zu. Er hatte jetzt selbst das, Ruder übernommen und segelte die „Isabella“ um die Landzunge.
Erst als sie halb herum waren, sahen sie das Schiff. Arg zerrupft mit zwei gebrochenen Masten und beschädigter Bordwand lag es in der Bucht dicht vor Land vor Anker.
Es war eine kleine spanische Galeone, die hier vermutlich vor dem Tosen des Sturms Unterschlupf gesucht hatte.
„Na, das ist aber eine Überraschung“, sagte Carberry grimmig. „Liegt da ein kleiner lausiger Don, nicht viel größer als die ‚Golden Hind‘ und sieht aus, als wäre er schon gerupft worden. Der wird aber die Klüsen aufreißen, wenn er uns sieht.“
Auch Ferris Tucker musterte das Schiff fachmännisch.
„Der hat einen schlimmeren Sturm abgeritten als wir“, sagte er. „Einen Mast hat er noch, alles liegt an Deck herum, und das Schanzkleid hat die See auf der einen Seite auch eingedrückt.“
Jetzt erst wurde die „Isabella“ bemerkt. Der Spanier glaubte sich in dem Unwetter in absoluter Sicherheit und hatte ganz sicher nicht mit einem anderen Schiff gerechnet.
„Spanische Flagge heißen?“ fragte Carberry.
Hasard winkte ab. „Keine Flagge zeigen, er soll von uns denken, was er will. Vermutlich hält er uns der Bauweise nach ohnehin für einen Spanier.“
Er zeigte mit der Hand zum Land hinüber, wo eine Handvoll Leute stand und dem Schiff mißtrauisch entgegensah.
„Wir ankern dort vorn, Ed, außerhalb der Reichweite seiner Geschütze, aber so, daß wir ihn jederzeit beharken können, falls er feindliche Absichten zeigt.“
„Nennst du das etwa Geschütze, Sir?“ fragte Ed. „Er hat auf jeder Seite nur drei, und das sind bestenfalls Pusterohre, mit denen er Erbsen verschießt. Aber: aye, aye, Sir.“
Die letzten beiden Segel wurden weggenommen, und gleich darauf klatschte der Anker ins Wasser und faßte Grund.
Auf dem Spanier standen etwa zwölf Mann unbeweglich wie die Ölgötzen und blickten herüber. Auch die Handvoll Männer am Strand schien erstarrt zu sein. Keiner bewegte sich.
Hasard sah, daß ein Spektiv auf sie gerichtet wurde, und ein Mann, vermutlich der Kapitän, auf dem schräg geneigten Achterdeck stolperte und der Länge nach hinfiel.
Domingo war ebenfalls an Deck erschienen, und war über seinen Landsmann hocherfreut, auch wenn der noch so mitgenommen und zerrupft aussah. Aber das war ein Schiff, daß ihn nach der letzten Höllenfahrt ganz sicher in die Heimat mitnahm.
„Der Bursche, der da eben auf die Schnauze fiel“, sagte Brighton, „sieht so aus, als sei ihm der Schreck in die Knochen gefahren. Ich sah, wie er Halt suchte, aber keinen fand. Und dann flog er der Länge nach an Deck.“
„Vielleicht hat er unseren Namen gelesen und kennt uns“, meinte Dan.
In die starren Figuren kehrte Leben zurück. Männer rannten durcheinander. Zuerst schoben die Kerle am Ufer ihr Boot ins Wasser, sprangen hinein und pullten ihrem halben Wrack entgegen.
Dann wurde auf dem Achterdeck des Spaniers die Flagge eingeholt und an seiner Stelle ein weißer Lappen gehißt.
„Der gibt aber schnell auf“, staunte Bob Grey. „Klarer Fall, daß der uns kennt. Was ist denn jetzt los?“
Verwundert sahen die Seewölfe, wie das Boot an der Bordwand anlegte, die Kerle ausstiegen und die Mannschaft wechselte. Diesmal ging zuerst der Mann hinein, der eben noch auf den Planken des Achterkastells ausgerutscht war. Ihm folgten drei weitere, die sich in die Riemen legten und lospullten, als wäre der Teufel persönlich hinter ihnen her.
Der Spanier blickte verwundert auf seine Landsleute, die jetzt Kurs auf die „Isabella“ hielten. Dann wieder ging sein Blick ungläubig zu den Ruderern und dem Mann, der aufrecht im Boot stand und ein weißes Leinenhemd in der Hand hielt, mit dem er aufgeregt wedelte.
„Das ist ja eine Übergabe, eine Unterwerfung“, sagte er.
„So sieht es aus“, erwiderte Hasard lächelnd.
„Kennen Sie das Schiff, Senor Capitan?“
„Nie gesehen, aber vielleicht kennen die uns.“
Domingo blickte zu dem Seewolf auf, sah in dessen eisblaue Augen und schüttelte den Kopf. Es war ihm peinlich, daß seine Landsleute so schnell die Flagge strichen und sich ergaben. Welchen Grund mochte das haben?
Am Schanzkleid lehnten die Seewölfe und grinsten dem Boot entgegen.
Der schwitzende Mann mit dem Hemd in der Hand hatte kugelrunde Augen, die ihm vor Angst fast aus dem Schädel quollen. Er klemmte sich das weiße Hemd unter den Arm, legte die Hände an den Mund und schrie aus voller Lunge:
„Nicht schießen, Senores! Nicht schießen. Ich übergebe mein Schiff freiwillig, ohne Blutvergießen! Sie verstehen mich, Senores?“
„Wer soll denn auf dich Rübenschwein schießen?“ rief Carberry grinsend zurück. „Da gibt es doch nichts mehr zu zerstören.“
„Darf ich an Bord, Senor?“ schrie der Kerl laut. „Ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig!“
„Entern Sie auf!“ rief Hasard. „Aber Ihre drei Männer bleiben im Boot sitzen, klar?“
„Völlig klar, Senor.“
Gleich darauf enterte ein total verstörter und entnervter Mann an Bord, der sich vor dem Seewolf immer wieder linkisch verneigte und einen Namen stammelte, den kein Mensch verstand. Er war jedenfalls der Kapitän des Zwergseglers, soviel stand fest.
„El Lobo del Mar“, hauchte der rotgesichtige schwitzende Mann zutiefst erschüttert. „Es tut mir leid, Senor, daß ich Ihnen die Bucht streitig machen mußte, aber der Sturm zwang mich leider dazu. Hätte ich nur geahnt, daß Sie den Platz beanspruchen, wäre ich draußen auf See geblieben.“
Hasard klopfte dem Spanier auf den Rücken, damit er endlich mit seinen endlosen Verbeugungen aufhörte.
„Oh, Senor, ich erkannte Sie gleich, als ich die herrlichste aller Galeonen sah. Gott verzeihe mir meine Frechheit, daß ich einfach liegenblieb, aber mein Schiff ist beschädigt. Oh, Senor, verzeihen Sie tausendmal, Sie kennen mich nicht, wie sollten Sie auch. Es war damals vor Panama, und später bin ich einmal vor Ihnen ausgekniffen, und dann sah ich Sie mit diesem herrlichen Schiff. Ich weiß, daß Sie gnadenlos alle Spanier versenken, aber lassen Sie diesmal Gnade vor Recht ergehen, und …“
„Nun mal langsam, Freundchen“, sagte Hasard ungeduldig. Er verstand kaum noch ein Wort, so schnell sprach der andere.
„Wir haben gar nicht die Absicht, Ihr armseliges Wrack zu versenken. Was sollen wir damit? Und ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie an einem Wehrlosen vergriffen, im Gegenteil. Wir suchten diese Bucht nur auf in der Hoffnung, hier auf einen Spanier zu treffen.“
„Ich ahnte es, Senor, Sir, Lobo del Mar. Sie jagen Spanier.“
Die Seewölfe grinsten über beide Ohren, als sie dieses Nervenbündel von einem Kapitän sahen. Der schien nicht nur eine Heidenangst vor ihnen zu haben, der zitterte wie Espenlaub und kroch vor Angst fast in die Planken.
Erst als Hasard ihn anpfiff, hörte er ungläubig zu.
„Gar nichts wollen wir von Ihnen, Mann“, sagte er. „Sie können uns einen Gefallen erweisen.“
„Jeden, Senor, jeden, auf der Stelle.“
Hasard schob Domingo vor und nannte seinen Namen.
„Dieser Mann ist Spanier und schiffbrüchig. Wir nahmen ihn an Bord, aber die Geschichte wird er Ihnen selbst erzählen. Ich denke, daß Sie ihn an Bord nehmen werden, denn wir wollen bald weiter, sobald sich der Sturm gelegt hat oder etwas nachläßt.“
Die beiden Männer begrüßten sich, dann wandte sich der Kapitän wieder dem Seewolf zu und ergriff dessen Hand.
„Es wird mir eine Ehre sein, Ihnen einen Gefallen erweisen zu dürfen“, versicherte er. „Darf ich meinen Landsmann gleich mitnehmen, Senor?“
„Bitte, dem steht nichts im Wege.“
„Dann schlage ich vor, wir gehen gleich.“
Der hat es aber eilig, dachte der Seewolf, dem dampft ja regelrecht der Hosenboden. Er konnte gar nicht schnell genug verschwinden, so verängstigt war er.
„Da ist noch etwas“, sagte Hasard. „Können Sie Ihr Schiff allein aufriggen, oder brauchen Sie Hilfe? Ich werde Ihnen gern meinen Schiffszimmermann hinüberschicken und ein paar Leute, die ihm helfen.“
„Vielen herzlichen Dank, Senor, aber wir sind schon dabei und auch gleich fertig. Es wird nicht mehr lange dauern. Wirklich nicht nötig, nochmals vielen Dank.“
Er ergriff den verblüfften Spanier an der Hand und wollte das Schiff verlassen. Wenn er diese Burschen sah, die für ihn so etwas wie eine unglaubliche Legende waren, dann wurde ihm immer heißer.
Er stand ungeduldig daneben, als Domingo sich verabschiedete und immer wieder seinen Dank beteuerte.
Hasard wehrte lachend ab.
„Das war wirklich keine große Strapaze für uns“, sagte er. „Ich freue mich, daß es so gut geklappt hat.“
Domingo ließ es sich nicht nehmen, jedem einzelnen der Seewölfe die Hand zu drücken, während der spanische Kapitän danebenstand und ungeduldig wartete. Das belustigte Grinsen in den Gesichtern der Männer nahm er gar nicht wahr. Er wollte nur noch fort, und das so schnell wie möglich, denn dieser Seewolf war ihm nicht geheuer, zumal er ihm auch noch angeboten hatte, sein Schiff zu reparieren. Dann fuhr er lieber gleich mit gebrochenen Masten aufs Meer hinaus, als sich hier weiter in des Teufels Küche aufzuhalten.
Unter unzähligen Verbeugungen und der laufenden Betonung, daß ihm noch nie in seinem erbärmlichen Leben eine größere Ehre zuteil geworden sei, zog er sich ins Boot zurück, winkte von dort noch einmal und riß einem der Seeleute den Riemen aus der Hand.
„Mann, legen die aber einen Zahn vor“, staunte Tucker. „Der hat uns wohl für die Höllenfürsten persönlich gehalten. So ein Angstbündel habe ich noch nie gesehen.“
Die Seewölfe lachten, als das Boot fortpullte.
„Nicht mal seinen Kahn wollte er sich reparieren lassen“, sagte Dan fassungslos. „Dem qualmen die Stiefel.“
Sie verfolgten das Boot noch, bis es drüben anlegte und die Spanier noch einmal winkten. Sie schienen sich in dieser Bucht nicht mehr sonderlich wohl zu fühlen.
Aber dann begann drüben eine Hektik, wie es keiner der Seewölfe von den Dons gewohnt war. Da wurde geklopft, gehämmert und genagelt, mit einem Eifer und einem Krach, der mühelos das Tosen des Sturmes übertönte.
Auch als die Dämmerung einsetzte, schufteten die Spanier verbissen, um ihr Schiffchen aufzuriggen.
Hasard ließ vier Wachen für die Nacht aufziehen und die Ankertrosse ständig überprüfen, denn der Sturm riß und zerrte an der „Isabella“ mit aller Kraft, obwohl sie in dieser langgezogenen Bucht relativ sicher lag.
Gegen Mitternacht bemerkte Dan O’Flynn, wie der Spanier langsam davontrieb und wandte sich an Big Old Shane, der mit ihm die Wache teilte.
„Dem ist die Trosse gebrochen, glaube ich. Wir sollten sie warnen, sonst rennt er aufs Land.“
Der graubärtige Schmied lachte leise.
„Die Trosse gebrochen?“ wiederholte er. „Der verzupft sich vor lauter Angst, dessen bin ich ganz sicher.“
„Bei dem Sauwetter?“
„Was ist schon das bißchen Sauwetter gegen uns? Den Sturm fürchtet er nicht, aber die Anwesenheit der ‚Isabella‘ liegt ihm wie ein Bleiklumpen im Magen.“
„Tatsächlich“, sagte Dan, „die Kerle setzen Segel. Die müssen wahnsinnig sein.“
Das kleine Schiff nahm Fahrt auf, richtete den Bug nach Süden, um so weit wie möglich von der „Isabella“ wegzubleiben und verzog sich dann still und heimlich aus der Bucht.
„Wirklich ein Verrückter“, sagte Dan. „Dabei hat ihm keiner auch nur das geringste getan.“
„Das wirst du diesem lausigen Don nie in seinen Schädel hämmern können, Junge. Der hat den einen Mast nur halb aufgeriggt und seine Segel sind die Angst, die ihn treiben. Den hält hier nichts mehr auf der Welt, der wünscht sich nur noch ganz weit fort.“
Etwas später war der Spanier verschwunden.
Eine Überraschung ganz anderer Art brachte der nächste Morgen.
Daß sich der Don nächtlicherweise verholt hatte, löste bei den Seewölfen Heiterkeitsstürme aus, aber sehr lange konnten sie sich mit ihrem Gelächter nicht aufhalten, denn erst jetzt begann der Sturm zu wachsen und über die Insel zu pfeifen.
Die See in der Bucht wurde aufgewühlt und schien zu kochen.
Hasard spähte zum Land hinüber. Der Himmel war bedeckt, und in der Luft lag ein eigentümliches Brausen und Heulen, als stünde der Weltuntergang kurz bevor.
„Das sieht nach einem ausgewachsenen Orkan aus“, sagte er. „Das wird so schlimm wie im Chinesischen Meer damals. Seht mal, wie sich auf der anderen Seite die Palmen biegen. Wir müssen Leinen ausbringen, der Anker hält uns nicht. Noch können wir gefahrlos mit dem Boot an Land und die Leinen an den Palmen befestigen. Los, an die Arbeit, Männer! Wir beginnen noch vor dem Frühstück, wir haben keine Zeit mehr.“
An einer verlängerten Wurfleine wurden die ersten Tampen befestigt und ins abgefierte Beiboot gelegt. Vier Mann, Carberry, Shane, Tucker und Batuti sollten das Boot segeln und pullen und die Leinen an den Palmen befestigen.
Die vier Männer saßen kaum im Boot, als ganz in ihrer Nähe eine riesengroße Blase aus dem Wasser stieg. Als Tucker genauer hinsah, fiel das merkwürdige Gebilde in sich zusammen und versank.
„Was, zum Teufel, war das denn?“ fragte er entsetzt.
„Kümmere dich jetzt nicht darum“, sagte Carberry, „das war Sand, den der Sturm aufgewirbelt hat.“
„Wenn das Sand war, freß ich sämtliche Rahen.“
Sie mußten schon schreien, um verstanden zu werden, denn jetzt steigerte sich der Lärm der himmlischen Mächte zu einem infernalischen Brausen. Knallharter Wind fegte durch die Bucht, der durch das Dickicht und die Palmen kaum gemildert wurde. Der Sturm fiel mit voller Stärke von der Nordseite der Insel ein und gab Töne von sich, die ihnen Schauer über den Rücken jagten.
Das kleine Segel war straff gespannt und trieb das Boot durch die Bucht. Sie brauchten nicht zu pullen.
Ein Schlag an dem Boot ließ sie zusammenfahren. Ein langes, dickes Etwas schnellte aus dem Wasser und zuckte wieder zurück.
Was es war, ließ sich nicht erkennen.
„Raus jetzt!“ schrie Shane in voller Lautstärke, als sie auf den Strand liefen. „Beeilt euch, sonst können wir hierbleiben.“
Mit vereinten Kräften wurden die Trossen um die Palmen gelegt und vertäut. Auf der „Isabella“ wurde die Lose durchgeholt. Die Trossen wurden an den Pollern belegt.
„Zurück!“ schrie Carberry, als die Wellen in der Bucht immer höher wurden. Selbst seine Donnerstimme ging in dem infernalischen Brausen hoffnungslos unter.
Das Boot legte sich hart zur Seite, und im selben Augenblick flog das kleine Segel mit einem peitschenden Knall auseinander.
Sofort schlug es quer, aber die vier Männer griffen schon zu den Riemen und legten sich ins Zeug.
Dann glaubten sie ihren Augen nicht zu trauen, als das Wasser der Bucht neben dem Boot wieder blubberte, ein riesengroßer schleimiger Schädel erschien und ein kaltes Auge sie ausdruckslos, anglotzte.
Shane ließ vor Schreck das Ruder los, griff aber instinktiv gleich wieder zu.
Das monströse Gebilde wuchs atemberaubend schnell aus der See. Lange Tentakel hoben sich aus dem Wasser, tasteten haltsuchend durch die Luft und legten sich auf die Ducht. Zwei weitere Arme suchten ebenfalls nach Halt.
Kalmare! Es waren die zehnarmigen Riesenbiester, wie es sie auf der Schlangen-Insel zur Genüge gab.
Sie griffen niemals Boote an, aber das war eine besondere Situation. Die See war durch den orkanartigen Sturm aufgewühlt worden, und harte Grundseen hatten die Riesenkraken aus ihren Höhlen vertrieben.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.