Kitabı oku: «Seewölfe Paket 9», sayfa 8

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2.

Es waren beinahe düstere Gedanken, die den bulligen Profos auf seinem Rückzug in Richtung Heckbalustrade bewegten. Er spürte, wie sie insgeheim über ihn kicherten. Verdammt, immer dann, wenn er ihnen nicht die Hammelbeine langziehen konnte, amüsierten sie sich über ihn. Immer dann, wenn er gezwungen war, den Mund zu halten.

Und immer war es das verfluchte Federvieh, das es richtig darauf anzulegen schien, ihn herauszufordern. Oder es waren die beiden Lausebengels, die Söhne des Seewolfs, die ihm mit ihrem scheinheiligen Geplapper schon mehr als einmal heiße Ohren verschafft hatten. Aber glücklicherweise hatte es eine Weile Ruhe vor den kleinen Strolchen gegeben. Rechtzeitig vor den Kämpfen mit den Dons hatte Hasard seine Sprößlinge in die Obhut von Doc Freemont gegeben.

Mit zusammengekniffenen Augen starrte Edwin Carberry über das Hafenbecken. Die Menge, die zu seiner Linken noch immer vor Begeisterung tobte, beachtete er nicht. O ja, sobald hier an Bord wieder normale Verhältnisse herrschten, würde er ihnen allen mächtig Dampf unter dem Hintern machen. Wenn sie dann nicht spurten, diese Himmelhunde, dann würde er ihnen die Haut in Streifen von ihren …

Ed biß sich auf die Lippen und zwang sich, den Gedanken nicht zu Ende zu denken.

Plötzlich war da etwas, das ihn zu einem Blinzeln veranlaßte. Etwas, was erst jetzt in sein Bewußtsein drang. Immerhin war es verzeihlich, daß er es nicht sofort bemerkt hatte. Schließlich hatte er in seinem Leben Hunderte von Häfen gesehen, und irgendwie sahen sie alle gleich aus mit ihren Piers, ihren Speichern, ihren Werften, ihren Docks …

Mit jäh erwachtem Interesse beugte er sich vor.

Da war so ein Dock gleich nebenan, unmittelbar achteraus von der „Isabella“. Und der Kahn, den sie dort aufgeslippt hatten, sah für den Profos so wohlvertraut aus, daß er selbst im Schlaf jede Planke und jeden Fetzen Tuch hätte beschreiben können.

Hölle und Verdammnis, das war …

„Die ‚Revenge‘“, murmelte Ed Carberry entgeistert. Er blinzelte noch einmal und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. Doch es war kein Trugbild. Es war die pure, unglaubliche Wirklichkeit.

Was sich da unter dem grauen Himmel Südenglands ins Baudock verkrochen hatte, war kein geringeres Schiff als die „Revenge“. Das Flaggschiff des sehr ehrenwerten Admirals Sir Francis Drake in der Schlacht gegen die spanische Armada.

Carberrys Verblüffung wich einem belustigten Grinsen, als er sah, woran die Werftarbeiter und Crewmitglieder des stolzen Flaggschiffes eifrig arbeiteten. Es war ein neues Ruderblatt, das sie der „Revenge“ maßgerecht verpaßten.

Im Augenblick allerdings hatten die Männer ihre Hämmer und Sägen beiseitegelegt, denn der Lärm und das Gewühl am Kai waren Grund genug, ihre Aufmerksamkeit abzulenken. Vor allem der Anblick der „Isabella“ mußte den Revenge-Leuten jetzt wie ein knüppeldicker Dorn im Auge erscheinen.

Das Grinsen des Profos wurde noch breiter, als er einige der Männer aus Admiral Drakes Crew auf dem Achterkastell des Flaggschiffes erkannte. Er konnte sogar ihre Gesichter beobachten, denn die Entfernung betrug kaum mehr als einen Steinwurf. Und es waren verdammt lange Gesichter, die der Empfangstrubel zu Ehren der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ bei ihnen hervorrief.

Die offenkundige Mißstimmung unter Drakes Getreuen gab dem Profos keinerlei Rätsel auf.

Denn für die Ruderblatt-Reparatur war kein anderer als Hasard verantwortlich, der zielsicher der „Revenge“ die Ruderanlage zerschossen und den sehr ehrenwerten, aber auch sehr beutegierigen Admiral Drake damit zur Manövrierunfähigkeit verdammt hatte. Das war in der Nordsee passiert, nachdem die Schlacht gegen die Armada längst entschieden gewesen war.

Sir Francis Drake hatte sich nicht gescheut, die zum Wrack geschossene spanische Kriegsgaleone „San Mateo“ wie ein ausgehungerter Geier zu verfolgen, um sie auszuplündern und das Massaker an den längst wehrlosen Spaniern fortzusetzen.

Hasard und Jean Ribault hatten diese menschenunwürdige Verfolgungsjagd verhindert und der „San Mateo“ und ihrer zusammengeschmolzenen Besatzung die Flucht mit Kurs auf Norwegen ermöglicht – indem sie den Geier Drake am Zupakken hinderten und die hilflosen Spanier mit Wasser und Proviant versorgten. Fassungslosigkeit hatte dieser Akt der Menschlichkeit auf beiden Seiten hervorgerufen. Sowohl bei Drake, der einen seiner gefürchteten Tobsuchtsanfälle erlitt, als auch bei den Spaniern, die soviel Fairneß und Ritterlichkeit von einem Gegner zuvor nicht erlebt hatten.

Edwin Carberry winkte seine Gefährten herbei, und ausnahmsweise verwendete er dazu keinen einzigen seiner poltrigen Sprüche. Ein Fingerzeig des Profos genügte. Die Seewölfe brauchten keine Erklärungen, um zu begreifen, was sich hier, im heimatlichen Hafen Plymouth anbahnte.

Denn die wuterfüllten Blicke der Revenge-Leute sprachen Bände. Hätten diese Blicke Bleikugeln getragen, dann wären sämtliche Mitglieder der Isabella-Crew zersiebt zu Boden gesunken.

„Verdammter Mist“, knurrte Robert Parsons, erster Offizier an Bord des Flaggschiffes „Revenge“. Es storte ihn nicht im geringsten, daß diese höchst unfeine Ausdrucksweise einigen Männern aus der Crew zu Gehör gelangte, die sich in seiner Nähe auf dem Achterdeck befanden.

In dieser Angelegenheit, die den gottverdammten Killigrew und dessen Hundesöhne betraf, waren sie ohnehin eine verschworene Gemeinschaft – vom hochverehrten Admiral Drake bis zum Schiffsjungen. Denn darin, daß sie Killigrew, Ribault und Konsorten bis in den finstersten Schlund der Hölle wünschten, waren sie sich alle einig.

Wieder einmal schienen es die elenden Kerle geradezu darauf angelegt zu haben, im höchst unpassenden Moment auf der Bildfläche zu erscheinen.

Robert Parsons kniff die Lippen zusammen, daß sie einen dünnen Strich bildeten. Die feixenden Visagen dort drüben brachten seine Wut zum Kochen. Er witterte geradezu, daß diese dreimal verdammten Strolche ihnen, den tapferen Männern des ruhmreichen Admirals, wieder alles kaputtmachen würden.

Aber diesmal sollte es ihnen nicht gelingen!

Parsons dachte beinahe wehmutig an die eigene Ankunft in Plymouth Auch die „Revenge“, ihr Kapitän und die gesamte Crew waren nicht minder stürmisch gefeiert worden als diese Bastarde, die das Schwarze unter den Nägeln nicht verdienten.

Letzten Endes war für Sir Francis Drake und seine Crew ein solchermaßen triumphaler Empfang mehr als angebracht gewesen. Daß der Admiral und seine Offiziere den Kampf gegen die Armada so geschildert hatten, wie er eigentlich hätte verlaufen sollen, war nach Parsons’ Meinung durchaus legitim. Diese Stubenhokker an Land begriffen sowieso nicht, welche Bedeutung die Einzelheiten einer Seeschlacht hatten. Also mußte man ihnen die Einzelheiten so erläutern, daß sie es auch verstehen konnten.

Deshalb hatten Drake und seine Getreuen den ehrfürchtig staunenden Bürgern von Plymouth jene Geschichte aufgetischt, von der auch Robert Parsons überzeugt war, daß sie sich in dieser Weise mit Sicherheit hätte zutragen können.

Mitten im härtesten Gefecht so hatte Drake gestenreich berichtet, habe ihnen ein vorwitziger Spanier das Ruder weggeschossen. Und das just in dem Moment, als die „Revenge“ bereits mit Enterkurs auf die „San Martin“ losgegangen sei, das Flaggschiff der Armada. Natürlich hätten er, Drake, und seine Mannen zu diesem Zeitpunkt bereits wesentlich zum Sieg der englischen Flotte beigetragen. Doch ohne das Mißgeschick mit dem Ruder wäre das Schicksal der „San Martin“ besiegelt und damit die Schlacht endgültig entschieden gewesen.

Natürlich hatten auch die Bürger von Plymouth schon von, Killigrews wahnwitzigem Branderangriff vor Calais gehört. Deshalb jetzt auch dieser Zirkus bei der Ankunft der „Isabella“ und der „Le Vengeur“. Aber Admiral Drake hatte nur lächelnd abgewinkt, als der Lord Mayor die Sprache auf diesen angeblich entscheidenden Branderangriff brachte. Das sei eine zwingende Maßnahme gewesen, die von jedem anderen Kapitän der königlichen englischen Flotte mit der gleichen Schlagkraft ausgeführt worden wäre.

Schließlich, so sagte Parsons zu sich selbst, hatten sich die Bastarde unter Killigrew und Ribault ohnehin eine unglaubliche Frechheit herausgenommen, als sie den Angriff der „Revenge“ auf die „San Mateo“ verhinderten. Ein ehrenhafter englischer Seefahrer mußte sich schämen, daß es solche Disziplinlosigkeiten innerhalb der eigenen Flotte überhaupt gab.

Je länger Parsons darüber nachdachte, desto mehr gelangte er zu der Überzeugung, daß Admiral Drake völlig korrekt gehandelt hatte. Es war sogar seine Pflicht gewesen, den Vorfall in der Nordsee zu verschweigen. Denn diese Dreistigkeit, die auf Killigrews Konto ging, war ganz einfach eine Schande für die gesamte Navy.

Ja, im Grunde konnte Killigrew froh sein, wenn niemand erfuhr, was er sich geleistet hatte. Der Mistkerl mußte sogar dankbar sein, daß Admiral Drake sich so generös verhielt und die Unverschämtheit eines Emporkömmlings nicht ans Tageslicht brachte. Immerhin hatte die Sache in der Nordsee allem die Krone aufgesetzt, was Killigrew sich vorher schon geleistet hatte.

Robert Parsons’ Gedankengänge führten so weit, daß er nach einer Weile fest an das glaubte, was er sich selbst einredete.

Aber natürlich würden diese Bastarde sich selbst wieder ins beste Licht rücken. Diese Hundesöhne, die sich selbst in maßloser Übertreibung als Seewölfe bezeichneten.

Moses Bill blickte mit leuchtenden Augen zu seinem Kapitän auf, als dieser ihm einen ledernen Geldbeutel in die Hand drückte.

„Ich verlasse mich auf dich, mein Junge“, sagte Philip Hasard Killigrew ernst. „Du wirst dir ein gutes Pferd nehmen und zu Doc Freemonts Landsitz am River Tavy reiten. Du übergibst ihm diese Botschaft.“ Hasard reichte dem Schiffsjungen einen zusammengerollten und versiegelten Brief. „Darin steht, daß ich den Doctor mit meinen Söhnen hier in Plymouth erwarte. Erledige deinen Auftrag gut, Bill.“

„Ja, Sir.“ Strahlend verstaute Bill den Brief und den Lederbeutel unter seinem Hemd, das er sorgsam wieder zuknöpfte. Dann blickte er noch einmal in die Runde, voller Stolz.

Die Augen der Männer spiegelten väterliches Wohlwollen, Freundschaftlichkeit und Güte. Sie alle ersetzten ihm, dem aufgeweckten schwarzhaarigen Jungen, den Vater. Sie wußten, welcher Vertrauensbeweis es war, daß Hasard ihn damit beauftragte, die Zwillinge zurück an Bord zu holen. Die Gedanken, die die Männer der „Isabella“ in diesem Moment bewegten, gerieten ins Melancholische. Bill verkörperte für sie ein Stück eigene Vergangenheit, und wenn sie auch oftmals fluchten und wetterten und ihre Wut an ihm ausließen, so wußten sie doch nur zu gut, wie schwer er es an Bord hatte. Sie alle hatten einmal auf diese oder ähnliche Weise angefangen, ein Seefahrer zu werden. Und Bill war fest entschlossen, sich an Bord von Philip Hasard Killigrews Schiff zu bewähren. Daß er jetzt diesen Auftrag erhalten hatte, bewies ihm, daß er auf dem richtigen Weg war. Seinen Traum, auch einmal ein richtiger Seewolf zu werden, träumte er seit damals. Seit die Männer ihn auf Jamaica aufgelesen hatten. Dort hatte er seinen Vater verloren, mit dem er zusammen auf dem englischen Schiff „Sea-Eagle“ gefahren war, bevor sie beide in spanische Gefangenschaft gerieten.

Bill wandte sich mit einem entschlossenen Ruck ab, eilte mit langen Schritten über den Landgangsteg zum Kai und war kurz darauf in der Menschenmenge verschwunden, die dort noch immer ausharrte und das berühmte Schiff der nicht weniger berühmten Seewölfe bestaunte.

Die Männer an Bord der „Isabella“ blickten dem Schiffsjungen noch minutenlang schweigend nach. Mit dem Auftrag, den er auszuführen hatte, würde sich eine bedeutsame Wende im Leben ihres Kapitäns vollziehen.

Hasard hatte eine endgültige Entscheidung getroffen.

Seine Söhne, die Zwillinge Philip und Hasard, sollten jetzt für immer bei ihm an Bord bleiben. Sie, die ihre Mutter durch ein tragisches Unglück verloren hatten, hatten für sich selbst ohnehin längst entschieden, daß sie keine Landratten werden wollten. Ihr Vater erfüllte nun ihnen und sich selbst den Wunsch, der ihnen als das einzig Vernünftige erschien. An Bord der „Isabella“ sollten sie die Seefahrt von Grund auf kennenlernen, sollten sich bewähren und ihr Handwerkszeug meisterlich beherrschen lernen. Daß sie die Fähigkeit dazu hatten, wußte Hasard schon lange. Kurze Zeit nachdem er sie in Tanger wiedergefunden hatte, hatten sie auf der Galeone bereits bewiesen, welcher Tatendrang und welche Zähigkeit in ihnen schlummerten – trotz ihres noch kindlichen Alters. Für die Dauer der Schlacht gegen die Armada hatte Hasard die Zwillinge wohlweislich in Doc Freemonts sichere Obhut gegeben.

Nun, wenn sie ganze Kerle waren, würden sie es zum Kapitän bringen, wie ihr Vater.

Hasard verscheuchte die Gedanken und wandte sich zu seinen Männern um.

„Ben!“

„Sir?“ Der erste Offizier der „Isabella“ trat einen Schritt vor.

„Du wirst die Bordwache übernehmen. Zusammen mit Old O’Flynn und Will Thorne.“

„Aye, aye, Sir.“

Die Gesichter der übrigen Männer begannen zu leuchten. Dann stimmten sie ein begeistertes Gebrüll an, daß die Decksplanken zu erzittern schienen. Sie hatten gewußt, daß Hasard wieder einmal Verständnis zeigen würde. Denn auch sie wollten den Sieg feiern, für den sie selbst von den Stadtbewohnern gefeiert wurden. Für die Seewölfe war es indessen mehr die Tatsache, daß sie seit dem Monat Juli ununterbrochen im Einsatz gewesen waren. Strapazen und Entbehrungen waren Anlaß genug, jetzt endlich einmal wieder die Puppen tanzen zu lassen.

In dem Gejohle winkte Hasard den Profos zu sich heran und zog ihn beiseite.

„Hör zu, Ed. Ich erwarte von dir, daß du die Männer zur Ordnung rufst, wenn es sein muß.“

„Aye, aye, Sir“, antwortete Carberry grinsend.

„Ich will nicht, daß ihr wieder unnötiges Aufsehen erregt.“

„Aye, Sir.“

„Es ist noch nicht lange her, daß ihr Plymsons ‚Bloody Mary‘ zu Kleinholz zerlegt habt. Das soll nicht noch einmal passieren. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?“

„Aye, Sir. Wenn diese Stinte nicht spuren, ziehe ich ihnen die Haut in Streifen von ihren Affenärschen. Darauf kannst du dich verlassen.“ Der Profos sagte es mit einem treuherzigen Augenaufschlag.

Hasard mußte sich abwenden, denn er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

Die Seewölfe gerieten in Bewegung. Eile war geboten. Denn bis zum Einbruch der Dämmerung hatten sie gerade noch genug Zeit, um sich landfein zu machen. Und dann – hol’s der Teufel, dann würde es rundgehen. Allerdings würde die Einrichtung der „Bloody Mary“ besonders liebevoll und schonend behandelt werden. Das nahmen sie sich alle fest vor.

3.

Da waren etliche fremde Gesichter an diesem frühen Abend, Gesichter, die sich sonst nie hierher verirrten.

Nathaniel Plymson nutzte einen arbeitsfreien Moment, um sich nachdenklich am Hinterkopf zu kratzen. Der Ansatz seiner Perücke bewegte sich dabei rhythmisch auf und ab. Rostrot leuchtete seine käuflich erworbene Haarpracht jetzt. Er hatte beschlossen, daß diese Farbe gut zu ihm paßte.

Die Erinnerung an seine letzte Perücke, die blond gewesen war, bescherte ihm Gedanken voller Unbehagen. Dieses Unbehagen wurde noch bestärkt durch jene fremden Gesichter. Bürger aus Plymouth zwar. Aber Leute, denen normalerweise die Zeit zu schade war für eine Schenke von der Art der „Bloody Mary“. Sie hatten sich abgesondert von Plymsons Stammkundschaft, den zwielichtigen Gestalten, die sich bei ihm stets wohlfühlten.

Denn dies war nun einmal kein normaler Tag.

Der dicke Plymson spürte es mit jeder Faser seiner Nerven. Auch die Stammkunden, die sich an der Theke niedergelassen hatten, waren weniger gesprächig als sonst. Eine unbeschwerte Unterhaltung, wie sonst, wollte nicht aufkommen. Die unbekannten Gäste verharrten sowieso in fast andächtiger Stille an den Tischen im Hintergrund.

Immerhin: Die Einrichtung der „Bloody Mary“ konnte sich sehen lassen. Alles nagelneu. Das Holz von Tischen, Stühlen, Bänken, Tresen und Regalen strömte noch den gleichen frischen Geruch aus, mit dem die Zimmerleute es hereingeschleppt und zusammengenagelt hatten.

Hölle und Teufel, sagte Plymsons ahnungsvolle innere Stimme, egal, in welche Richtung man denkt, man landet immer wieder bei diesen dreimal verfluchten Kerlen!

Die Seewölfe waren der Grund, warum die Fremden hier im Schankraum auf Sensationen harrten.

Die Seewölfe waren schuld daran, daß keine rechte Stimmung entstehen wollte.

Die Seewölfe waren für die soundsovielte Erneuerung des Bloody-Mary-Inventars verantwortlich.

Und die Seewölfe hatten auch Plymsons vorige blonde Perücke in das Hafenbecken der Mill Bay befördert.

Die ganze Stadt wußte von ihrer Ankunft. Außerdem noch dieses Franzosenschiff! Die Isabella-Crew allein war für Nathaniel Plymson schon Anlaß genug, klein und häßlich zu werden. Gemeinsam mit Ribaults Leuten aber waren sie der Ausbund der Hölle. Und mit einer Wahrscheinlichkeit von neunundneunzig zu eins war damit zu rechnen, daß die rauhbeinigen Burschen an diesem Abend in der „Bloody Mary“ aufkreuzten.

Denn die Schenke, in der Nähe des Hafens, an der Ecke Millbay Road und St. Mary Street gelegen, war schon seit Jahren das Stammlokal der Männer unter Philip Hasard Killigrew. Nicht etwa, weil sie den dikken Plymson besonders ins Herz geschlossen hatten. Nein, es lag vielmehr an der anheimelnden Art von rohgezimmerter Gemütlichkeit, die diesen Schankraum prägte.

Wie an diesem Tag, dachte Nathaniel Plymson stets mit gemischten Gefühlen an die Seewölfe. Sie hatten die unangenehme Gabe, ihm bis auf den Grund seiner schwarzen Seele schauen zu können. Manchmal brachte es ihn schier zur Verzweiflung, wie sie ihn trotz aller Vorsichtsmaßnahmen bei seinen dunklen Geschäften ertappten. Wie sie ihm auf die Finger klopften, wenn er Seeleute an Pressgangs verscherbelte, oder unter dem Tresen mit Beuteware aus der unergründlichen Weite der englischen Seefahrt schacherte. Ganz zu schweigen davon, wie oft sie ihn erwischt hatten, wenn er jemandem gepanschten Wein andrehte.

Völlig zu Unrecht, so bemitleidete er sich selbst, bezeichneten ihn Killigrews Kerle als Schlitzohr und Geizkragen. Er betrachtete sich als einen angesehenen Bürger der Stadt Plymouth. Schließlich war er Geschäftsmann, Inhaber eines eigenen Unternehmens. Sein machtiger Bauch und das schwammige Dreifachkinn waren für ihn die außeren Zeichen hart erarbeiteten Wohlstands.

Wehmütig betrachtete Plymson den ausgestopften Stör, der über der Theke hing. Der mächtige Fisch hatte als einziges Einrichtungsstück alle Unbilden der Zeit überdauert. Gewiß, die Seewölfe bezahlten immer ausreichend für das, was sie zertrümmerten. Meist blieb dabei sogar noch ein Gewinn übrig. Aber es war vor allem deprimierend, daß die Burschen ihn nicht für voll nahmen, daß sie es ihm nicht abkauften, wenn er den ehrenwerten Geschäftsmann mimte.

„Nat, schenk nach“, sagte einer der Stammkunden unwirsch.

Plymson erwachte aus seinen unbehaglichen Überlegungen, nickte, griff sich die Bierkrüge und schob sie unter den Zapfhahn des schweren Eichenfasses.

Plötzlich schrak er auf, und alle Köpfe im Schankraum ruckten herum. Alle Augen richteten sich auf die Eingangstür, die im matten Schein der Öllampen nur undeutlich zu erkennen war.

Schritte. Rauhe Stimmen. Gelächter.

Der Wirt der „Bloody Mary“ wechselte einen ahnungsvollen Blick mit seinen Stammkunden.

Die Tür der Schenke flog auf und krachte gegen die Innenwand.

Edwin Carberry mußte sich beim Eintreten ducken, denn der Türrahmen war zu niedrig für ihn. Während die anderen hinter ihm hereindrängten, blieb er einen Moment stehen, breitete die Arme aus und strahlte über das ganze furchterregende Narbengesicht.

„Plymson! Du dickbäuchige Kakerlake! Wie schön, dich endlich mal wiederzusehen!“

Nathaniel Plymson erschauerte. Er spürte, wie ihm eine unsichtbare Hand über den Rücken kroch.

Die Männer der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ untermalten Carberrys Begrüßungsworte mit beifälligem Johlen. Wie ein Schwarm verteilten sie sich nach allen Seiten und konzentrierten sich zunächst darauf, die Theke zu umlagern. Längst hatten die Stammkunden Reißaus in eine geschützte Ecke des Schankraumes genommen.

Per Profos der Isabella-Crew ließ seine Riesenfaust auf die Theke krachen. Krüge und Kannen vollführten einen Satz. Nathaniel Plymson zuckte zusammen und drehte das Handtuch in seinen schwammigen Händen einer Zerreißprobe entgegen. Für einen Augenblick wurde es still.

„Herhören,“ ihr Rübenschweine!“ sagte Carberry dröhnend. „Die Order für den heutigen Abend lautet: Rücksicht und gutes Benehmen! Nichts und niemand wird zu hart angefaßt! Nichts wird umgekippt oder fallengelassen! Und nichts wird kaputtgehauen! Das gilt auch für unsere Freunde von der ‚Le Vengeur‘. In dieser Stadt sind wir immer freundlich empfangen worden, besonders in dieser netten, gemütlichen Saufbude. Also werden wir den besten Eindruck hinterlassen. Die königliche Lissy soll sich unserer nicht schämen. Ist das klar, wie, was?“

„Aye, aye, Sir!“ brüllte die Meute im Chor.

Edwin Carberry grinste breit und nickte dem dicken Schankwirt zu.

„Das war eine verdammt lange Ansprache, Nat. Meine Kehle ist davon trokken geworden. Und die Jungens wollen auch nicht zusehen. Also schwenk dich, alter Lappen!“

„Sofort, Sir, sofort“, dienerte Plymson und begann, die Krüge aus seinen Regalen zu räumen.

Stenmark und Gary Andrews sprangen mit ein und unterstützten den Wirt bei seinem plötzlichen Arbeitsanfall. Denn sie alle hatten ein Interesse daran, den ersten guten Tropfen an Land möglichst schnell zwischen die Kiemen rinnen zu lassen. Und außerdem wußten sie aus Erfahrung, daß es gut war, dem dikken Plymson ein wenig auf die Finger zu schauen. Dann geriet er nicht in Versuchung, aus Versehen die Register seiner Panschkunst zu ziehen.

Plymson arbeitete in fliegender Hast, füllte die Bierkrüge reihenweise und überließ den beiden Helfern die Whiskybecher. Hin und wieder warf er der lärmenden Schar verstohlene Blicke zu. Himmel, sie schienen alle noch ein paar Grade wilder und härter geworden zu sein, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte. Und die Crew des Franzosen Ribault war dem Wirt der „Bloody Mary“ ebenfalls noch in guter Erinnerung. So gut, daß er abermals einen Schauer über seinem fettgepolsterten Rücken spürte.

Karl von Hutten, dieser große blonde Bursche, sah noch genau so unheimlich aus wie früher. Ein Mann, der die Spanier haßte wie die Pest, und er mußte wohl Grund dazu haben, denn er war der Sohn einer indianischen Häuptlingstochter.

Pierre Puchan trug eine Perücke. Aber Nathaniel Plymson würde es niemals wagen, mit dem Franzosen über seine Erfahrungen bezüglich künstlicher Haartracht zu fachsimpeln. Weil Puchan sich über seine Glatze ärgerte, und weil er höchst grantig reagierte, wenn jemand ihn darauf ansprach.

Da war noch so ein Franzose, der einen das Fürchten lehren konnte: Grand Couteau, das „große Messer“. Ein kleiner, dunkelhaariger Bursche, der seinen Namen nach seinem vertrautesten Handwerkszeug erhalten hatte.

Jan Ranse, der Steuermann der „Le Vengeur“, war Holländer und ehemaliger Karibik-Pirat. Er trug noch immer diesen wüsten blonden Vollbart. Roger Lutz, ein weiterer Franzose, war mit seinen prachtvollen schwarzen Haaren der typische Frauenheld. Der englische Koch an Bord des Franzosenschiffes hieß Eric Winlow, sah reichlich beleibt aus, hatte eine Glatze und Fäuste wie Bratpfannen. Seine Fettleibigkeit trog. In Wahrheit verfügte er über beachtliche Muskeln, die sich lediglich unter wohlgerundeter Außenhaut verbargen.

Ebenfalls unter dem Kommando von Jean Ribault fuhren die Engländer Tom Coogan, Dave Trooper, Fred Finley, Donald Swift und Mel Ferrow. Gordon McLinn, dessen Haut stets leicht gerötet wirkte, war Schotte von Geburt und Überzeugung.

Nathaniel Plymson stellte fest, daß vier Männer der Ribault-Crew als Bordwache zurückgeblieben sein mußten: Bootsmann Nils Larsen, Rudergänger Piet Straaten, Decksmann Sven Nyborg und der Schiffsjunge Jonny. Nun, auch ohne die Bordwachen schlugen die vereinigten Crews der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ noch mit Leichtigkeit jede Kneipe in Plymouth zu Kleinholz. Mehr als das. Plymson erinnerte sich seufzend an Zeiten, in denen sogar eine kleine Handvoll von Killigrews Leuten seinen Laden in Trümmer gelegt hatte. Es brauchte nur jemand da zu sein, der die Himmelhunde herausforderte – versehentlich oder absichtlich.

Nathaniel Plymson schickte ein stummes Stoßgebet zum Himmel, letzterer möge ihn und die Seewölfe an diesem Abend von jedweder Herausforderung verschonen.

Ein Teil der Männer, mit gefüllten Krügen und Bechern versorgt, ließ sich an den freien Tischen nieder, um sich mit Würfeln die Zeit zu vertreiben oder sich ganz einfach in lautstarke Gespräche zu vertiefen. Hasards Männer genossen es, endlich einmal wieder mit den Freunden von der „Le Vengeur“ an einem Tisch zu sitzen. Schließlich hatten sie während der meisten Zeit auf See nur Sichtkontakt gehabt.

Ed Carberry, Ferris Tucker, Smoky, Batuti, Matt Davies und Gary Andrews blieben gemeinsam mit Karl von Hutten und Jan Ranse an der Theke.

„Trinken wir auf England“, sagte Karl von Hutten und hob seinen Bierkrug. „Und darauf, daß die königliche Lissy immer eine Spur gewitzter bleibt als der spanische Philipp!“

„Auf England!“ wiederholte Ed Carberry mit dröhnendem Organ.

„Das ist ein Wort!“ rief Matt Davies und stieß seinen Eisenhaken in die Luft, während er mit der linken Hand den Humpen an die Lippen führte.

Nathaniel Plymson erschauerte von neuem.

Der dunkle Gerstensaft rann den Männern wie Öl durch die Kehlen. Mit vernehmlichen wohligen Lauten setzten sie die geleerten Krüge ab. Plymson hatte noch nie begreifen können, wie sie es schafften, eine Viertel-Gallone auf einen Zug herunterzukippen.

„Nachfüllen“, befahl der Profos der „Isabella“, und Plymson beeilte sich, der Anordnung Folge zu leisten. Nun, das eine Fünfzehn-Gallonen-Faß würde an diesem Abend garantiert nicht ausreichen. Zumindest war also ein Rekord-Umsatz gewährleistet. Und Killigrews und Ribaults Leute waren nicht nur rauhe, sondern auch sehr zahlungskräftige Burschen.

Ferris Tucker sah sich betont ausgiebig in der Schenke um.

„Du machst dich, Plymson“, sagte er schließlich anerkennend. „Gute Arbeit. Du hast bestimmt den besten Zimmermann von ganz Plymouth für die neue Einrichtung beschäftigt.“

Der Schankwirt blickte verlegen auf seine Wurstfinger, die mit Bier und Schaum benetzt waren.

„Nun ja, Sir, äh … Sie haben immer gut bezahlt, wenn in meinem Geschäft etwas, äh, beschädigt wurde.“

„Beschädigt?“ fragte der riesenhafte Schiffszimmermann verblüfft. Die anderen grinsten. „Zu Klump gehauen haben wir deine Bude. Du willst doch wohl nicht behaupten, daß wir halbe Arbeit geleistet hätten?“

„Nein, Sir, natürlich nicht, Sir.“ Plymson begann zu schwitzen. Doch das lag nicht daran, daß er sich mächtig anstrengte, die Krüge schneller als gewöhnlich nachzufüllen. Er hoffte inständig, daß sie die Sprache nicht auf ein bestimmtes Thema brachten.

„Eigentlich ist er viel zu gut bedient worden“, meinte Gary Andrews. „Jedenfalls liegt mir die Sache mit Red Fox Killarney immer noch im Magen. Ich kann es noch immer nicht ganz glauben, daß unser Freund Plymson seine Fettfinger nicht in dem schmutzigen Spiel gehabt hat.“

Der Dicke duckte sich unwillkürlich. Da war es, was er befürchtet hatte. Wie, zum Teufel, sollte er beweisen, daß er die Seewölfe dem irischen Banditen nicht ans Messer geliefert hatte? Das Fatale war, daß er eben zu oft in undurchsichtigen Geschäften mitgemischt hatte. Und so eine undurchsichtige Sache war es nun einmal gewesen, die der irische Halunke in Plymouth durchzuziehen versucht hatte.

„Hätte Plymson eigentlich Entschädigung zahlen müssen an uns“, meldete sich Batuti zu Wort, wobei er seine schneeweißen Zähne zu einem breiten Grinsen entblößte.

„Tja“, sagte Edwin Carberry gedehnt, „die Meinung ist im Grunde gar nicht so verkehrt.“

„Darf man erfahren, um was es geht?“ erkundigte sich Karl von Hutten, wobei er den Schankwirt durchdringend musterte.

„Ist doch klar“, sagte Jan Ranse feixend, „wenn einer eine krumme Sache veranstaltet, ist Plymson mit im Spiel.“

Der Eigentümer der „Bloody Mary“ hielt es für angebracht, seine Ehre zu retten. Beschwörend hob er die schwitzenden Handflächen, nachdem er die vollen Krüge auf die Theke geschoben hatte.

„Ich versichere Ihnen, Gentlemen, ich hatte mit der Angelegenheit nichts …“

Weiteren Erklärungen wurde er entbunden, denn zum zweiten Male an diesem Abend flog die Eingangstür der „Bloody Mary“ krachend auf.

Die Männer an der Theke drehten sich um. An den Tischen wurden Würfelspiele und Gespräche unterbrochen.

Wer sich solchermaßen polternd in Szene setzte, hatte keinesfalls vor, fromm und andachtsvoll sein Bier zu konsumieren.

Der Anblick derer, die sich durch die offene Tür drängten, ließ den Männern der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ blitzartig klar werden, was die Stunde geschlagen hatte.

Robert Parsons war der erste, der sich mit funkelnden Augen einen Weg durch die dichten Tischreihen bahnte. Hinter ihm quollen die anderen herein. Es schien kein Ende zu nehmen. Die gesamte Crew der „Revenge“ hatte sich auf die Socken gemacht.

„Himmel, Arsch und Zwirn“, sagte Edwin Carberry, „das ist alles andere, nur kein Zufall.“ Für ihn gab es keinen Zweifel, daß Drakes Strolche sie auf dem Weg in die „Bloody Mary“ beobachtet hatten. Daß sie nur auf die Gelegenheit gewartet hatten, sich für das zu bedanken, was in der Nordsee passiert war.

Nathaniel Plymson blickte verzweifelt zu den verräucherten Dekkenbalken seiner Schenke hoch.

„Bitte nicht schon wieder!“ flehte er leise. In grausamer Deutlichkeit sah er die schöne neue Einrichtung in tausend zersplitterten Trümmerstücken vor seinem geistigen Auge.

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