Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 182»

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Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-518-7

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Die Furcht hielt sie gepackt, und diese Furcht war wie eine unbarmherzige Faust, die ihren Griff niemals lockern würde. Sie spürte, daß sie dem Grauen nicht entrinnen konnte. Nicht heute und nicht bis ans Ende ihrer Tage. Es war in ihr und hatte von ihr Besitz ergriffen.

Weiße Wolkenberge trieben in majestätischer Formation vor dem leuchtenden Blau des Himmels. Es hieß, daß die Götter freundlich gesinnt seien, wenn sie in solchen Wolken ruhten, und daß sie wohlwollend herabschauten, sobald sich jene Wolken strahlend weiß zeigten.

Es beflügelte Moana zu einer Hoffnung, die ihrer Angst ebenbürtig wurde.

Geschickt steuerte sie das kleine Auslegerboot, dessen Segel sich im Wind blähte. Hellgrün leuchteten die Korallenbänke in den kristallklaren Fluten der Lagune. Das Boot glitt wie auf einer gläsernen Fläche dahin, die sich gütig von dem schmalen Rumpf zerschneiden ließ. Der Ausleger schien auf dieser Fläche zu schweben.

Moana kauerte vor dem Ruder und hielt es fest wie den letzten Reichtum, den ein Mensch in seinem Leben besitzt. In ihrer linken Hand lag die aus Bast geflochtene Schot, mit der sie die Segelstellung korrigieren konnte. Sie kannte das Riff. Zielsicher hielt sie auf das natürliche Tor zu, das ihr den Weg in die Freiheit öffnen würde.

Wohin?

Erneut trieb die Furcht einen eisigen Schauer über ihren braungebrannten und gertenschlanken Körper. Wohin? schrie eine Stimme in ihr. War es nicht eine endlose Weite, in die sie floh? Gab es überhaupt eine Welt außerhalb jener Welt, die sie kannte und die sie nun zurücklassen mußte? Nein, selbst die Dorfältesten hatten niemals davon berichtet. Das Meer war weit, und Kahoolawe, Moanas Heimat, war der Mittelpunkt des Meeres.

Niemals hatte ein Fremder die Insel betreten – bis auf den einen, der nun ihr König war. Aber ihn hatten die Götter geschickt, und, die Götter waren in seiner Begleitung gewesen, als er sich auf Kahoolawe niedergelassen hatte. Er war aus dem Nichts erschienen. Doch gab es ihr, Moana, das Recht, in diesem Nichts nach einem Zufluchtsort zu suchen?

Sie wußte, daß sie nicht selbst die Antwort auf diese Frage finden würde. Aber die Götter waren ihr freundlich gesinnt. Sie hatten ihr die Flucht ermöglicht, und sie begleiteten ihren Weg mit friedlichen weißen Wolken. Moana wußte dieses Zeichen zu deuten, das ihre Zuversicht wie eine schutzbedürftige kleine Flamme am Leben erhielt.

Keinem anderen Mädchen von Kahoolawe war es gelungen, seinem Schicksal zu entrinnen. Namens der Götter hatte König Charangu den Tribut gefordert, der immer dann zu leisten war, wenn der Mond seine volle Größe erreichte. Charangu erfüllte nur seine Pflicht, das hatte er stets beteuert. Und er hatte nicht einmal selbstherrlich seine Entscheidung getroffen. Er hatte die Menschen von Kahoolawe bestimmen lassen.

Dieses Mal war die Wahl auf Moana gefallen. Als das schönste aller Mädchen auf Kahoolawe war sie den Göttern geweiht worden. Gemeinsam mit der Sonne dieses Tages hatte sie untergehen sollen – untergehen im feurigen Schlund des Berges Kuolai. Dann, so hatte Charangu verkündet, durften die Menschen wieder für einen Mond in Frieden leben.

So wollten es die Gesetze, gegen die sich niemand auflehnen durfte.

Moana begriff noch immer nicht, warum ausgerechnet sie in dieser Nacht die Fesseln abgestreift hatte und aus der Opferhütte geflohen war. In einem Versteck am Strand hatte sie den Tagesanbruch abgewartet.

Vielleicht, so sagte sie sich, gefiel den Göttern zum ersten Mal die Entscheidung nicht, die von den Menschen getroffen worden war. Vielleicht war das der Grund, warum sich ihre Fesseln gelockert hatten. Und wenn es so war, dann mußten die geheimen Mächte, die sich mit freundlichen weißen Wolken zeigten, eine Bestimmung für Moana haben. Dann hatte diese Flucht einen tieferen Sinn.

Trotz der frühen Tageszeit spendeten die Sonnenstrahlen schon wohlige Wärme, die auch der frische Seewind nicht zu vertreiben vermochte. Moana sah das Tor im Riff jetzt deutlich. Das Donnern der Brandung schwoll an, je mehr sie sich dem Korallenriff näherte. Jenseits der Brandung, die Kahoolawe wie ein weißleuchtender Ring umgab, war das Meer tiefblau und ruhig.

Die Wasser außerhalb des Riffs waren für Moana und ihre Gefährtinnen stets tabu gewesen, auch wegen der Gefahren, die dort lauerten. Daß sie nun durch nichts zurückgehalten wurde, in das verbotene Meer vorzudringen, war ihr ein weiterer Beweis dafür, daß die Götter ihren Weg wohlmeinend begleiteten.

Die Wogen der Brandung erfaßten das Auslegerboot, als es in rascher Fahrt durch das Tor des Riffs glitt. Moana klammerte sich fest und überstand die tanzenden Bewegungen des Bootes unbeschadet. Dann, als die See ruhiger wurde, atmete sie auf und wagte einen Blick zurück.

Der Schreck traf sie wie ein todbringender Stich.

Deutlich zeichnete sich das große Kanu vor dem weißgoldfarbenen Strand und den Palmen ab, die sich im Wind wiegten.

Das Entsetzen verursachte in Moana einen körperlich spürbaren Schmerz. Sie fühlte ihr Herz, das gegen die Rippen zu hämmern schien und wilde, unkontrollierte Sprünge vollführte. Schweißperlen, die auch der milde Seewind nicht fortzuwischen vermochte, traten auf die braungebrannte Gesichtshaut des Mädchens. Nur unter großer Anstrengung gelang es ihr jetzt noch, das Boot auf Kurs zu halten. Das Zittern, das ihren ganzen Körper erfaßte, wurde übermächtig.

Also hatte sie zu früh frohlockt!

Ihre Flucht war nicht unbemerkt geblieben. Mit welchem Recht hatte sie erwartet, daß sie unbeobachtet in die Endlosigkeit verschwinden konnte? Hatte es den Göttern nicht vielmehr gefallen, sie von einem Trugschluß in den anderen zu stürzen? Nur um ihr zu beweisen, wie erbärmlich und unbedeutend ihr kleines Menschenleben war?

Und nun war es Charangu persönlich, der auf dem Weg war, sie zurückzuholen.

Krampfhaft versuchte Moana, sich zu beruhigen. Die Entfernung war viel zu groß. Kein gezielter Pfeil, kein geschleuderter Speer und kein Messer konnten sie erreichen. Und der Wind war ihr Freund.

Der Wind!

Was geschah, wenn er sie im Stich ließ? Neue Angst stieg wie eine aufwallende Glut in Moana empor.

Charangu war auf die Kraft des Windes nicht angewiesen. Mehr als zwanzig Männer hatte er in seinem Kanu zur Verfügung. Muskulöse Männer, deren Kräfte nicht so rasch versiegten. Ihre Paddel peitschten das Wasser, als wollten sie es dafür strafen, daß es dem Mädchen die Flucht ermöglichte.

Trotz der Entfernung konnte Moana jede Einzelheit erkennen. Ihre Augen waren jung und ungetrübt.

Charangu stand aufrecht im Heck des Königskanus. Seine blaue Kopfbedeckung leuchtete im Sonnenlicht, und der wallende Umhang schien goldene und purpurne Funken zu sprühen. Die Hände des Königs von Kahoolawe ruhten auf jenem brusthohen Stab, den er als Zeichen seiner Würde stets bei sich trug.

Und er befand sich in göttlicher Begleitung!

Guao hatte sich auf Charangus Schulter niedergelassen. Ein untrügliches Zeichen für die Gunst, die Charangu genoß. Denn Guao war der Gott, dem alle untertan sein mußten. Letztlich auch jene, die sich vielleicht aus einer Laune heraus auf Moanas Seite gestellt hatten. Sie würden alle gestraft werden für die Eigenmächtigkeit, die sie sich herausgenommen hatten.

Denn Guao, dieses greise Wesen aus einer unbekannten Welt, zeigte ein grausames und unerbittliches Gesicht.

Das sah Moana überdeutlich.

Sie war versucht, aufzugeben. Denn sie wußte jetzt, daß sie keine Chance hatte.

Von stählerner Muskelkraft getrieben, schoß das Königskanu geradezu pfeilschnell über das Wasser. Während sie es beobachtete, hatte Moana das Gefühl, daß ihr eigenes Boot immer langsamer wurde.

„Deck!“

Bills Stimme erscholl so hell und klar, daß er selbst die in hundert Faden Tiefe schlummernden Meerjungfrauen damit zu wecken vermochte.

„Deck! Wasserfahrzeug Steuerbord voraus!“

Die Männer auf der Kuhl und auf der Back wurden lebendig. Dank der warmen Morgensonne genossen sie es, ihr Frühstück unter freiem Himmel einzunehmen. Ein Vorzug, den sie während ihrer Reise durch die eisigen nördlichen Breiten allzu lange entbehrt hatten.

Arwenack, der Schimpanse, schwang sich mit einem Satz auf das Schanzkleid und hangelte mit eben jener Geschwindigkeit in den Backbordwanten auf, die man seiner und seiner Artgenossen Fähigkeiten zufolge als „affenartig“ bezeichnete. Als er den Moses im Großmars erreichte, stieß er ein helles Keckern aus.

Edwin Carberry, der bullige Profos, rappelte sich von einer Taurolle auf und stemmte seine mächtigen Pranken in die Hüften. Im Gegensatz zur übrigen Crew spähte er nicht in die Richtung, die der Moses angegeben hatte. Statt dessen warf Carberry den Kopf in den Nacken und starrte zum Großmars hoch. In der wilden Narbenlandschaft seines Gesichts lag ein Ausdruck von Fassungslosigkeit.

„He, du Stint!“ brüllte er mit Donnerstimme. „Was habe ich da eben gehört, was, wie?“

„Sir?“ tönte es zurück. Bills schwarzer Haarschopf wehte in der lauen Brise, als er sich herabbeugte.

Die Männer, die am Steuerbordschanzkleid lehnten und außer der platten Linie der Kimm noch nichts erkennen konnten, drehten sich um und mußten grinsen.

„Wiederhole das, du Hering!“ rief der Profos grollend. „Will doch mal sehen, ob ich mich verhört hab oder so was!“

„Sir“, antwortete Bill gehorsam, „ich meldete ein Wasserfahrzeug Steuerbord voraus.“

„Ein was?“ schnappte Carberry, und wie er sein Rammkinn dabei vorschob, erinnerte er an einen verdutzten Fisch, der sich plötzlich auf dem Trockenen findet.

Einige der Männer begannen verstohlen zu kichern und mußten sich abwenden.

Bill bemühte sich, nicht hinzuschauen, denn er wußte, daß es ihm dann schwerfallen würde, seine respektvolle Miene beizubehalten.

„Ein Wasserfahrzeug, Sir.“

Edwin Carberry explodierte. Der erste willkommene Anlaß an diesem Tag, daß er sich auf diese Weise die Luft verschaffen konnte, die ihm am liebsten war.

„Wo, zum Teufel, bin ich hier gelandet, was, wie? Ist das die gottverdammte alte ‚Isabella‘, oder haben sie mich in einen Debattierclub piekfeiner Affenärsche aufgenommen? Kannst du mir das mal erklären, Stint?“

„Ich verstehe nicht, Sir“, entgegnete Bill konsterniert, „ich habe doch nur …“

„Du salbaderst so geschraubt daher“, brüllte Carberry, „daß ich glauben muß, ich bin nicht mehr ich selbst! Eins schreibe dir hinter die Ohren, du grüner Hering! Solange der Profos auf diesem Schiff Carberry heißt, so lange wird hier an Bord die Sprache geredet, die jeder versteht!“ Er preßte die Lippen aufeinander, schüttelte den Kopf und äffte den Moses nach: „Wasserfahrzeug! Ein Wasserfahrzeug Steuerbord voraus! Was, in drei Teufels Namen, kann das sein, das auf dem Wasser fährt?“

Der Kutscher, der seine brütendheiße Kombüse an diesem Tag frühzeitig verlassen hatte, trat vorsichtig auf den Profos zu.

„Mit Verlaub, Mister Carberry“, sagte er in vornehmer Höflichkeit. „Du solltest dich nicht dazu hinreißen lassen, den jungen Mann wegen seiner untadeligen Ausdrucksweise zu rügen.“

Der Profos ruckte herum, schnappte nach Luft und suchte nach Worten. Dabei fixierte er den Kutscher, als handele es sich bei ihm um ein fremdartiges Wesen.

„Ja, du hast richtig gehört, Profos“, sagte der Kutscher mit ernsthaftem Nikken. „Ich persönlich halte es für sehr lobenswert, wenn junge Menschen sich einer gepflegten Sprache befleißigen. Ich selbst habe Bill dazu ermutigt und ihm mit Hilfe der an Bord vorhandenen Literatur erklärt, wie man auch in der seemännischen Umgangssprache ein gewisses Niveau erreichen kann und …“

„Schluß damit!“ schnitt ihm der Profos schnaubend das Wort ab. Er hatte seine Fassung halbwegs wiedergewonnen. „Das sieht dir ähnlich, du Kombüsenratte! Wenn du über deinen Kochtöpfen brütest, hast du nichts Besseres zu tun, als krause Gedanken zu wälzen! Und dann auch noch unsere jungen Leute verderben! Ich werde dafür sorgen, daß dieser Schwachsinn aufhört! Ich werde …“

Eine energische Stimme fuhr dazwischen.

„Profos! Ihr werdet eure Debatte später fortsetzen! Im Augenblick interessiert es mich mehr, um was für ein Wasserfahrzeug es sich handelt. Eure Sprachprobleme könnt ihr bei anderer Gelegenheit lösen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“

Der Kutscher, der unwillkürlich zwei Schritte zurückgewichen war, atmete erleichtert auf.

„Aye, aye, Sir“, sagte Edwin Carberry dumpf und nickte in Richtung Achterkastell. „Ich meine ja nur, daß ein Fahrzeug immer ein Ding ist, das Räder hat. Und wie soll ein Ding mit Rädern auf dem Wasser fahren können? Will sagen, man kann es doch nicht zulassen, daß der Kutscher den Leuten mit irgendwelchen Bücherweisheiten den Kopf verdreht. Nachher führt das noch so weit, daß wir eine spanische Kriegsgaleone auf Kollisionskurs haben, und der Ausguck meldet einen Kutschwagen!“

Brüllendes Gelächter ertönte. Die Männer wollten sich ausschütten.

Der Seewolf, der sich an Steuerbord der Schmuckbalustrade aufgebaut hatte, brachte sie mit einer Handbewegung zum Verstummen. In der Rechten hielt er das Spektiv, und er hatte das besagte Wasserfahrzeug bereits gesichtet und war deshalb nicht in Unruhe geraten. Siri-Tong, die neben ihm stand, verfolgte lächelnd den Wortwechsel der Männer.

„Profos!“ rief Philip Hasard Killigrew schneidend, und er hoffte, daß das unterdrückte Lächeln in seinen Mundwinkeln dort unten auf der Kuhl nicht zu erkennen war.

„Sir?“ Edwin Carberry straffte seine Haltung.

„Wir erledigen die Angelegenheit folgendermaßen, Profos. Sobald der Ausguck abgelöst worden ist, wirst du ihm und dem Kutscher erklären, was ein Fahrzeug ist und was nicht. Über das Ergebnis dieser Unterrichtsstunde möchte ich informiert werden. Noch Fragen?“

Edwin Carberry schluckte trocken.

„Nein, Sir. Aye, aye, Sir.“ Während er sich abwandte, kratzte er sich ausgiebig am Hinterkopf, was ein Zeichen heftigen Nachdenkens war.

Die Männer, die am Schanzkleid standen, spähten angestrengt zur Kimm, damit der Profos ihre Gesichter nicht sehen konnte.

Der Seewolf wechselte einen Blick mit Siri-Tong. Die mandelförmigen, fast schwarzen Augen der Roten Korsarin sprühten belustigte Blitze. Ihrer Gewohnheit entsprechend, waren die beiden oberen Knöpfe ihrer roten Bluse geöffnet. Das schwarze Haar floß seidig schimmernd bis auf ihre Schultern, und ihre samtene Pfirsichhaut hatte einen stärkeren Braunton angenommen, seit sie das paradiesische Klima der Südsee genossen. Siri-Tong trug blaue Schifferhosen und leichte Stulpenstiefel aus butterweichem Leder, die die atemberaubenden Formen ihres schlanken Körpers mit einem augenfälligen Akzent unterstrichen.

Hasard hatte die Ärmel seines hellen Leinenhemds bis über die Ellenbogen hochgekrempelt. Vom Ledergurt aufwärts stand das Hemd offen, und es folgte der Linie, die sein Oberkörper von den schmalen Hüften bis zu den imposanten breiten Schultern vorzeichnete. Unter der leichten Kleidung zeichneten sich die mächtigen Muskeln des mehr als sechs Fuß großen Mannes ab, der sich als Seewolf einen wohlklingenden Namen auf den Weltmeeren erworben hatte. Der handige Nordwest, der die frühe Sonnenglut milderte, fächerte in Hasards scharzem Haar. Seine klaren eisblauen Augen spiegelten die Unbestechlichkeit und Geradlinigkeit seines Wesens.

„Ausguck!“ rief er mit metallisch klingender Stimme.

„Sir?“ Bill reckte seinen schmalen Körper im Großmars. Hinter ihm turnte Arwenack keckernd von einer Seite des Mastkorbs zur anderen.

„Würdest du jetzt so freundlich sein, uns zu erklären, mit welcher Art von Wasserfahrzeug wir es zu tun haben?“

Wieder stimmten die Männer Gelächter an, und diesmal grinste auch der Profos, der sich bis zum Kombüsenschott zurückgezogen hatte. Dank Hasards diplomatischen Geschicks verteilte sich der Spott nun gleichmäßig auf beide Seiten, und auch Edwin Carberry erhielt seinen Anteil an Schadenfreude.

Denn der Kutscher wandte sich zur Seite und beschäftigte sich hingebungsvoll mit dem Aufkrempeln seiner Hemdsärmel, die ihm offenbar urplötzlich zu warm geworden waren.

Und hoch oben lief Bill puterrot an.

„Es handelt sich um ein Auslegerboot, Sir. Ein einmastiges Auslegerboot mit einem kleinen Lateinersegel.“

„In Ordnung“, sagte Hasard, „dann kümmere dich jetzt wieder um deine eigentliche Aufgabe.“

Er hatte es kaum ausgesprochen und war im Begriff, das Spektiv ans Auge zu setzen, als Bills Stimme jäh in höchsten Tönen gellte.

„Deck! Land in Sicht! Laaand in Sicht! Auslegerboot jetzt etwa fünf Kabellängen Steuerbord voraus, Kurs Südwest. Zweites Boot folgt auf demselben Kurs! Land Backbord voraus! Eine Insel, so scheint es …“

Atemlose Stille breitete sich an Bord der „Isabella VIII.“ aus. Das Knarren und Ächzen der Takelage schien an eindringlicher Lautstärke zu gewinnen. Das Stichwort „Insel“ weckte gespannte Aufmerksamkeit in den Männern, denn sie waren auf der Suche nach einer Insel. Hatte es der Zufall gewollt, daß sie früher als erwartet auf das geheimnisvolle Eiland gestoßen waren? Zunächst aber schien sich dort etwas abzuspielen.

Zwei Wasserfahrzeuge!

Das Wort begann sich bei den Männern einzuprägen. Vielleicht deshalb, weil es so absonderlich klang und weil es ein Grinsen weckte.

„Das ist eine Verfolgungsjagd!“ schrie der junge Dan O’Flynn, der immer noch die schärfsten Augen von allen hatte.

Hasard hatte es im selben Moment festgestellt. Das Spektiv lieferte ihm ein gestochen scharfes Bild. Da war ein gertenschlankes Mädchen, allein auf einem Auslegerboot. Da war ein riesiges Kanu, das von etwa zwei Dutzend Männern vorangetrieben wurde, und da war eine Insel, hinter deren Palmenhainen bizarre Felsformationen wie eine düstere Wand aufragten.

Wie die Zusammenhänge auch sein mochten, eins stand fest: Dieses Mädchen wurde von einer Übermacht bedroht, und das kleine Boot mit dem Segel war jetzt nur noch vier Kabellängen entfernt. Eine lächerlich geringe Distanz für die schlanke Dreimast-Galeone, die von dem besten englischen Schiffsbauer nach modernsten Erkenntnissen konstruiert worden war.

„Ben!“ Hasard ließ das Spektiv sinken und drehte sich um. Er hatte seine Entscheidung getroffen.

Ben Brighton, der Erste Offizier der „Isabella“, blickte ihn an.

„Segel aufgeien lassen, Ben. Wir werden uns das aus der Nähe ansehen.“

„Aye, Sir, Segel aufgeien“, wiederholte Ben Brighton und trat an die Querbalustrade. Noch lief die Galeone unter Vollzeug vor dem Wind.

Bens Befehlsstimme hallte über Deck. Die Männer gerieten in Bewegung. Arwenack flüchtete bis hinauf zum Masttopp, da ihm die plötzliche Wuhling unbehaglich war. Während die Männer die Segel aufgeiten, verlor die „Isabella“ zusehends an Fahrt.

Hasard wandte sich dem Rudergänger zu.

„Zwei Strich Steuerbord, Pete!“

„Aye, aye, Sir, zwei Strich Steuerbord“, wiederholte Pete Ballie und legte Ruder. Seine Fäuste waren so groß wie Ankerklüsen.

Nachdem die Segel aufgegeit waren, ließ der Seewolf ein Beiboot klarmachen. Mittlerweile hatten sie sich dem kleinen Auslegerboot bis auf zwei Kabellängen genähert. Und mit dem neuen Kurs hielt die Galeone jetzt in ausrauschender Fahrt auf die Nußschale zu, deren rotes Segel ein deutlicher Orientierungspunkt war.

„Sieh dir die beiden an“, sagte Siri-Tong lächelnd und deutete zum Vorkastell.

Dort waren die Zwillinge aufgetaucht, die sich bis eben nicht hatten blicken lassen. Ihre Neugier hatte sie vermutlich an Deck getrieben. Die beiden Söhne des Seewolfs ähnelten sich äußerlich wie ein Ei dem anderen. Beide waren schlank und schwarzhaarig, hatten scharfgeschnittene Gesichter wie ihr Vater. In ihren Bewegungen waren sie geschmeidig wie Katzen. Mit ihren acht Lebensjahren waren sie prachtvolle Burschen, auf die mittlerweile die gasamte „Isabella“-Crew stolz war.

Hasard mußte grinsen, als er die Gesichter der Jungen sah. Ihre Münder waren dunkelrot verschmiert. Der Kutscher hatte in den letzten Tagen mehrere Töpfe voll Zuckersirup aus frischen exotischen Früchten gekocht. Wie es aussah, war ihm das in höchster Vollendung gelungen.

Aber im Augenblick gab es andere Sorgen, als die Vorräte des Kutschers vor frivolen Fingern zu schützen.

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