Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 213»

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Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-549-1

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Die plötzliche Helligkeit traf ihn wie ein Schlag.

Es war, als hätte ihn die dichte grüne Wand des Dschungels ausgespien – eher aus einer Laune heraus wie einen Fremdkörper, mit dem die Natur nichts anzufangen wußte.

Joaquin Cavaqués kniff die Augen zusammen. Seine salzverkrustete Gesichtshaut brannte wie Feuer. Er taumelte auf die weite weiße Fläche des Strandes, spürte den frischen Hauch der Meeresluft und empfand ein berauschendes Freiheitsgefühl, nachdem er schon geglaubt hatte, der Dschungel würde ihn für immer und ewig umklammert halten.

Ja, er war ein Gefangener dieser grünen Fieberhölle gewesen. Während er jetzt mit unsicheren Schritten dem kristallklaren Wasser der Lagune zustrebte, betrachtete er es nicht als sein eigenes Verdienst, dieses Ziel erreicht zu haben. Es mußte eine Fügung des Schicksals sein, eine höhere Macht zeigte sich ihm gegenüber gnädig, davon war er überzeugt.

Die Glut der Sonne ließ feurige Kreise vor seinen gemarterten Augen tanzen. Er spürte nicht, wie seine Kräfte schwanden, und bemerkte nicht einmal mehr, daß seine abgemagerten Beine unter der Last seines Körpers wegknickten. Er sank in sich zusammen und hatte das Bewußtsein verloren, noch bevor er auf den leuchtendweißen Sand schlug.

Das seichte Uferwasser umspülte die langen schwarzen Haare des Mannes, der ein Spanier war und doch nicht aussah wie jemand, der der abendländischen Kultur entstammte.

Er lag auf der Seite, und seine Lippen, strichdünn zwischen verfilztem Bartgestrüpp verborgen, waren halb geöffnet. Nur flach ging sein Atem, unnatürliche Blässe entstellte sein eingefallenes Gesicht. Seine jetzt geschlossenen Augen lagen tief in den Höhlen, von dunklen Rändern umgeben.

Der Körper des Mannes, vor Jahren noch hochgewachsen und breitschultrig, sah wie ausgemergelt aus. Lederartig und fahl spannte sich die Haut über hervorstehenden Schulter- und Rippenknochen. Bekleidet war er nur mit den Resten einer Hose, die mehr einem Lendenschurz glich und über der Hüfte mit einem Strick aus geflochteten Lianen zusammengehalten wurde.

Einen fast lächerlich wirkenden Kontrast bildeten dazu die Stulpenstiefel, verwittert und rissig. Er hatte sich dieses seemännische Schuhwerk aber trotz aller widrigen Umstände bewahrt, bildete es doch einen wirkungsvollen Schutz gegen Schlangen und anderes giftiges Kriechgetier, mit dem man in diesen tropischen Breiten rechnen mußte.

Ein nur mäßiger auflandiger Wind strich über die leicht gekräuselte Wasserfläche der Lagune. Die Sonne brannte erbarmungslos vom wolkenlosen Blau des Himmels und ließ die Luft über dem weißen Sandstrand in flirrenden Schwaden aufsteigen.

Erst nach geraumer Zeit, als sein Bewußtsein zurückkehrte, spürte Joaquin Cavaqués die Gluthitze, die der Boden unter seinem Körper ausstrahlte. Er fühlte die Nässe, die sein schulterlanges Haar benetzt hatte. Während er blinzelnd die Augen aufschlug, rollte er sich instinktiv in das seichte Wasser, das ihm sofortige Abkühlung verschaffte. Jetzt erst öffnete er weit die Augen, blieb auf dem Rücken liegen und starrte zum Himmel auf. Die Sonne mit ungehindertem Blick zu sehen, war in diesem Moment das schönste Geschenk seines Lebens. Noch vor wenigen Stunden hatte er befürchtet, dem endlos scheinenden Dach jahrhundertealter Baumkronen niemals mehr entrinnen zu können.

Abermals begannen feurige Ringe vor seinen Augen zu tanzen. Er wälzte sich weiter in das Wasser, bis nur noch sein Gesicht herausschaute und er eben noch zu atmen vermochte. Das kristallklare Naß hatte zwar annähernd Körpertemperatur, war damit jedoch immer noch kühler als die Luft und der heiße Sand.

Erst als die Glut der Sonnenstrahlen seine Gesichtshaut unerträglich brennen ließ, rappelte er sich mühsam auf. Schwankend und triefendnaß gelang es ihm, auf den Beinen zu bleiben. Er wandte sich schwerfällig landeinwärts. Das rissige Leder seiner Stulpenstiefel hatte sich rasch mit Wasser vollgesogen und ließ jeden Schritt zur Qual werden. Trotzdem war immer noch eiserne Willenskraft in ihm, die ihn vorantrieb. Er hatte gelernt, die lebensbedrohenden Gefahren der Natur niemals zu unterschätzen. Und er kannte dieses Gefühl unendlicher Trägheit, dieses Verlangen, einfach liegenzubleiben, keinen Muskel mehr zu regen, zu schlafen.

Bis zum elendiglichen Verdursten war es dann nur noch ein kleiner Schritt.

So sehr es ihm auch widerstrebte, er mußte noch einmal zurück in die grüne Hölle, in der es Pflanzen gab, die ihn am Leben erhalten würden – Wurzeln, aber auch Blätter, dermaßen prall vollgesogen mit Feuchtigkeit, daß sich ein Mensch angesichts solcher Naturkraft klein und hilflos fühlen mochte.

Während er dem Palmendickicht entgegenwankte, dachte Joaquin Cavaqués an die Zeit vor fünf Jahren zurück. Damals, als sie hier von der Galeone „Felicidad“ an Land gesetzt worden waren, hatten sie sich für stolz und unbezwingbar gehalten. Geradezu versessen waren sie darauf gewesen, jenen besonderen Auftrag auszuführen, den ihnen der König von Spanien erteilt hatte.

Nichts von all dem war geblieben.

Das menschenfeindliche Land hatte sie besiegt.

Von dreißig kampferprobten Männern war Joaquin Cavaqués der einzige, der sein Erinnerungsvermögen und seine Willenskraft bewahrt hatte. Dies schrieb er aber nicht etwa besonderer charakterlicher Anlagen zu. Wie seine Gefährten hatte er die grausamsten kriegerischen Auseinandersetzungen zur See erlebt und überlebt. Doch der Kampf gegen die unerbittliche Macht einer mörderischen Natur war etwas, das sie zuvor alle noch nicht gekannt hatten.

Jene anderen, die zurückgeblieben waren, hatten sich in ihr Schicksal ergeben und sich den Umständen angepaßt, die es ihnen erlaubten, wie Tiere zu vegetieren.

Nur er, Joaquin Cavaqués, hatte sich darauf besonnen, daß dies das fünfte Jahr war. Und in diesem Jahr, im Monat nach dem Monsunregen, sollte wiederum eine spanische Galeone die Kokkilai-Lagune anlaufen.

Er hatte Zeit, darauf zu warten.

Im Schatten der Palmen würde er dasitzen, sobald er seinen Hunger und seinen Durst gestillt hatte. Er entschloß sich schon jetzt, die verbleibende Zeit bis zur Ankunft der Galeone zu nutzen:

Er würde für die armen Seelen seiner Kameraden beten. Denn das war das einzige, was er noch für sie tun konnte.

Sie hatten es nicht anders gewollt. Andererseits stand aber für Cavaqués fest, daß sie allesamt wirr im Kopf waren. Der Zwiespalt in seinem Denken, der ihn während des langen Marsches durch den Dschungel bewegt hatte, bahnte sich erneut an. War man nicht verpflichtet, ihnen zu helfen? Denn so besehen, waren sie eigentlich nicht verantwortlich für ihren Entschluß, zu bleiben.

Doch er war sich darüber im klaren, daß er eine Entscheidung jenen überlassen mußte, die ihn hier aufsammeln würden wie ein Stück Treibholz.

„Ich bin erschüttert“, sagte Philip Hasard Killigrew, und das war keineswegs übertrieben. „Ich bin erschüttert, weil ich bis heute nicht gewußt habe, daß meine Söhne Tierquäler sind!“ Er schlug mit der Faust auf den Tisch der Kapitänskammer, daß zwei Schritte entfernt im Schapp das Geschirr klirrte.

Die Zwillinge zuckten zusammen. Doch wenn der Seewolf geglaubt hatte, daß sie schuldbewußt den Kopf senken würden, dann hatte er sich getäuscht. Vielmehr hielten sie seinem Blick stand, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Steckte Starrsinn dahinter? Oder Stolz, der natürlich völlig fehl am Platze war? Oder bildeten sie sich etwa allen Ernstes ein, daß sie im Recht waren?

Möglicherweise verhielt es sich aber auch so, daß sich diese beiden kleinen Halunken insgeheim eins grinsten und nicht die Bohne an Respekt hatten.

Zugegeben, manchmal wurde er nicht schlau aus ihnen. Einfach weil ihm die Zeit fehlte, sich ständig mit ihnen zu beschäftigen. In diesem Fall aber war eine erzieherische Maßnahme mehr als angebracht. Was sie sich geleistet hatten, konnte er beim besten Willen nicht dulden. Nicht als Vater und nicht als Kapitän der „Isabella VIII.“. Konnte er sich seinen Söhnen gegenüber nicht durchsetzen, würde auch der Respekt der Crew abzubröckeln beginnen. Denn die anderen an Bord der Galeone hatten keine Ahnung davon, was es hieß, Vater zu sein, und in welche Gewissenskonflikte man dabei bisweilen gestürzt wurde.

Denn trotz all ihrer Dreistigkeiten – Hasard mußte sich ein Grinsen verkneifen – war er letzten Endes ja auch stolz auf sie.

In Ordnung, die Lage an Bord ließ es zu, daß er sie gehörig ins Gebet nahm. Die „Isabella“ lief unter Vollzeug vor einem handigen Nordost, mit Kurs auf Ceylon. Für die Crew bedeutete das Zeit zum Luftholen. Ben Brighton, erster Offizier und Stellvertreter des Seewolfs, führte das Kommando an Deck.

Philip junior räusperte sich unterdrückt und wechselte einen verstohlenen Blick mit seinem Zwillingsbruder Hasard. Durch das momentane Schweigen ihres Vaters wurde ihnen offenkundig unbehaglich zumute.

Äußerlich ähnelten sich die beiden wie ein Ei dem anderen. Schlank von Statur und schwarzhaarig, hatten sie den unverwechselbar gleichen Gesichtsschnitt wie der Seewolf. Geschmeidig wie Katzen waren sie in ihren Bewegungen, und schon jetzt, mit ihren zehn Lebensjahren, standen sie bei den kleinen Arbeiten, die sie an Bord zu verrichten hatten, ihren Mann.

„Also dann“, erklärte er energisch, „bevor ich anfange, mir die erforderlichen Maßnahmen zu überlegen, erwarte ich eure Stellungnahme. Und keine Ausflüchte, verstanden?“

Wie zur Unterstreichung seiner Worte ertönte ein wütendes Krächzen vom Schapp her, wo das Corpus delicti hockte – dick aufgeplustert und sichtlich beleidigt.

Sir John, der karmesinrote Arara-Papagei, war noch immer damit beschäftigt, die letzten Wassertropfen aus seinem Gefieder zu schütteln.

„Natürlich tut er jetzt so, als ob es ihm besonders schlecht ergangen wäre“, sagte Philip junior und deutete vorwurfsvoll auf den roten Vogel, den jeder einzelne Mann an Bord der „Isabella“ in sein Herz geschlossen hatte.

„Dabei haben wir ihm vorher alles erklärt“, fügte Hasard junior hinzu, „er wußte genau Bescheid, wie es laufen würde. Wenn er nicht gewollt hätte, hätte er ja nicht mitzuspielen brauchen.“

Der Seewolf glaubte, nicht richtig zu hören. Zornig preßte er die Lippen aufeinander. Er hatte das vage Gefühl, daß ihm jeden Moment die Hutschnur reißen würde. Und dann, verdammt noch mal, würde ihn nichts mehr davon zurückhalten, den beiden kleinen Strolchen gehörig den Hintern zu versohlen.

„Dies ist meine letzte Warnung“, sagte er und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wenn ihr mich für dumm verkaufen wollt, werde ich ungemütlich: Wie, bitte sehr, kann irgend jemand einem Papagei etwas erklären?“

Im Hintergrund wiegte sich Sir John aufgeregt von einem Bein auf das andere. Aus dem Klang des Gespräches folgerte er, daß es um ihn ging und es möglicherweise gleich hoch hergehen würde.

„Aber Dad“, entgegnete Hasard mit leisem Vorwurf, „du hast doch nun schon bestimmt einiges von uns darüber gehört, wie man mit Zirkustieren umgeht. Ich meine, wie man mit ihnen etwas einübt und so weiter. Wenn man sich mit einem Tier richtig gut versteht, dann kann man ihm etwas beibringen.“

„Ja, das stimmt“, bekräftigte Philip junior eifrig, „und wir kennen Sir John ja nun schon eine ganze Weile, stimmt’s?“

Der Seewolf atmete tief durch. Er hatte schon befürchtet, daß sie auf diese unselige Vergangenheit zurückgreifen würden, um ihr ungehöriges Verhalten zu rechtfertigen. Und in dieser Vergangenheit wollte er lieber nicht herumrühren.

„Also gut“, sagte er ergeben, „nehmen wir an, Sir John wäre als Zirkustier geeignet. Trotzdem will ich jetzt auf der Stelle hören, was euch veranlaßt hat, den armen Kerl zu mißhandeln. Für die gesamte Crew und auch für mich ist und bleibt das nämlich nichts anderes als Tierquälerei, meine Herren Söhne. Schreibt euch das hinter die Ohren. So, und jetzt heraus damit!“

Die Zwillinge verständigten sich abermals mit einem knappen Blick. Dann übernahm Philip junior die Wortführung.

„Es war so, Dad – also, äh …“

„Sehr aufschlußreich“, knurrte Hasard, „ich kann mir bereits ein gutes Bild machen. Und das sieht so aus, daß euer Gewissen so schlecht ist wie ein Stück Frischfleisch nach dreißig Tagen unter der Äquatorsonne.“

Hasard junior versetzte seinem Bruder einen Stoß in die Seite.

„Es ist nicht so leicht zu erklären“, sagte Philip, „deshalb …“

„Kann ich mir vorstellen. Übeltäter haben es immer schwer, eine Erklärung zu finden.“

„Dad, wenn du mich dauernd unterbrichst …“

„In Ordnung, ich bin ab sofort ganz Ohr.“ Der Seewolf lehnte sich zurück.

„Wir hatten uns folgendes überlegt“, begann Philip junior, und er gab sich dabei nicht nur die Miene, sondern auch den Tonfall eines Erwachsenen, der zu einer wissenschaftlichen Abhandlung ansetzt. „Sir John ist ein ganz normaler Vogel, der dank seiner Flügel und seiner Muskelkraft fliegen kann. Wir Menschen können das nicht. Alles, was wir können, beschränkt sich auf kleine Apparate, die so eine Art Mittelding zwischen Mensch und Vogel sind. Aber diese Apparate brauchen den Wind, um sich in die Luft zu erheben. Du verstehst, was ich meine?“

Der Seewolf schüttelte den Kopf.

„Nur die Hälfte. Wenn du etwas weniger geschraubt daherreden würdest, mein Sohn, wäre es einfacher.“

„Philip redet von Drachen“, erklärte Hasard junior, „jedes Kind an Land spielt mit den Dingern, wenn die Herbstwinde wehen.“

„Richtig“, sagte Philip junior, „wir wissen, daß es ziemlich schwierig ist, so einen Drachen in die Luft zu kriegen. Meistens hapert es daran, daß die Dinger zu schwerfällig sind, und daß der Wind nicht stetig aus der selben Richtung weht. Deshalb – also, als wir Sir John beim Fliegen beobachtet haben, ist uns eingefallen, ob man nicht eine neue Drachen-Konstruktion erfinden könnte. Eine mit Flügeln, verstehst du? Nicht mehr diese eckigen Dinger, die mit Papier bespannt werden.“

„Soweit leuchtet mir das ein“, antwortete der Seewolf. „Wenn ich versuche, mich in eure Gedanken zu versetzen, dann hätte ich an eurer Stelle jetzt angefangen, so einen Flügeldrachen zu basteln.“

„Das wollten wir ja auch“, sagte Hasard junior, „das hatten wir auch vor. Aber zuerst …“

„Laß mich weitererzählen“, unterbrach ihn sein Bruder. „Es war so, daß wir uns Sir John erstmal genau angesehen haben, wie seine Flügel gebaut sind und so weiter. Dann hatten wir die Idee, ihn zu dressieren. Und es funktionierte! Er hat wirklich schnell begriffen, was wir wollten. Schon nach ein paar Tagen hat er auf Kommando die Flügel ausgestreckt und still gehalten.“

Als hätte er die Worte verstanden, stieß der Papagei einen Krächzlaut aus und spreizte die Schwingen waagerecht nach beiden Seiten. So verharrte er regungslos, wie ein Standbild seiner selbst.

„Himmel noch mal“, sagte der Seewolf entgeistert, „der alte Sir John scheint auch noch Gefallen daran zu finden.“

„Das ist es ja!“ rief Philip junior begeistert. „Er hat sich überhaupt nicht gesträubt und war richtig gelehrig. Es hat ihm von Anfang an mächtigen Spaß bereitet.“

„Bis er begriffen hat, was ihm blühte. Und das war dann nichts anderes mehr als Tierquälerei. Da könnt ihr sagen, was ihr wollt.“

„Auch das ist nicht wahr, Dad. Wir haben es ein paarmal mit ihm geübt, und er hatte nichts dagegen.“

„Merkwürdig, daß keiner etwas von diesen – hm – Übungen gesehen hat.“

„Nun ja, also …“ Philip unterdrückte ein verlegenes Lächeln. „Wir haben ein bißchen Wert darauf gelegt, daß wir keine Zeugen hatten. Man will sich ja nicht blamieren, wenn eine Sache beim ersten Mal schiefgeht.“

„Verständlich, Gentlemen“, sagte der Seewolf mit mühsam erzwungener Geduld. „So eine Blamage kann unangenehme Folgen haben. Weiter!“

„Ja, als wir dann sicher waren, daß Sir John wußte, was er zu tun hatte, da haben wir es eben ausprobiert. Wir haben ihm die Schnur an die Füße gebunden und ihn von der Heckgalerie aus aufsteigen lassen. Dad, es funktionierte genauso, wie wir es uns vorgestellt hatten. Sir John war ein richtiger Drachen! Besser als alles, was wir damals in England, bei Doc Freemont, kennengelernt haben.“

„Sehr interessant“, sagte der Seewolf grimmig. „Den Rest haben die meisten an Bord miterlebt. Sir John wurde abgetrieben und sauste ins Wasser. Da wäre er dann um ein Haar abgesoffen.“

„Das war doch seine eigene Schuld!“ ereiferte sich Hasard junior. „Wenn er auf die Bö reagiert hätte, wäre ihm das nicht passiert.“

Der Seewolf hieb abermals mit der Faust auf den Tisch.

„Aber ihr hattet ihn als Drachen abgerichtet, verdammt noch mal. Wenn ihr wirklich so schlau gewesen wäret, wie ihr tut, dann hättet ihr ihm auch beibringen müssen, wie er sich bei einer plötzlichen Bö zu verhalten hat.“

„Wir haben ihn ja noch rechtzeitig wieder rausgezogen“, murmelte Philip junior kleinlaut.

„Wie auch immer“, sagte der Seewolf und stand mit einem energischen Ruck auf. „Das ändert alles nichts daran, daß meine beiden Söhne um ein Haar den Bord-Papagei ersäuft hätten. Eure Strafe lautet: eine Woche Kombüsendienst, und während dieser Woche werdet ihr euch nicht an Deck blicken lassen. Ich werde dem Profos Anweisung geben, peinlichst darauf zu achten.“

„Das tut er auch ohne Anweisung“, nuschelte Hasard junior, „das ist doch ein gefundenes Fressen für den alten Af …“ Er verschluckte sich fast an dem Wort.

„Affenärsche! Affenärsche!“ kreischte Sir John triumphierend und begann wie wild mit den Flügeln zu schlagen.

„Raus jetzt!“ befahl der Seewolf und wies mit ausgestrecktem Arm zum Schott. „Auf der Stelle! Und dieses Wort will ich auch nicht mehr von euch hören, verstanden?“

Die Zwillinge verkniffen sich den Hinweis, daß es ja Sir John gewesen war, der das Wort gleich zweimal ausgesprochen hatte. In der augenblicklichen Situation war es aber nicht angebracht, Philip Hasard Killigrew noch mehr zu reizen. Ein falsches Wort hätte genügt, und er war imstande, den Kombüsendienst auf zwei Wochen zu verlängern. In dieser Hinsicht kannten die Jungen ihren Vater sehr gut. Also zogen sie es vor, sich schleunigst und ohne einen Ton des Protests aus der Kapitänskammer zu verziehen.

Und ohne Umwege begaben sie sich zur Kombüse, wo der Kutscher vor dampfenden Kesseln schwitzte. Immerhin bestand ja die Möglichkeit, daß der Seewolf ihnen folgte und die sofortige Ausführung seiner Straforder kontrollierte. Nein, im Moment war mit ihm wirklich nicht gut Kirschen essen.

Der Seewolf stand eine Weile gedankenverloren da.

Ein Rest des Gauklerbluts schien noch immer in ihnen zu pulsieren. Damals, als er sie nach langen Irrungen in Nordafrika wiedergefunden hatte, war es ein fast unglaublicher Zufall gewesen. Der junge O’Flynn hatte die beiden Kinder in einer Tingel-Tangel-Gruppe von sogenannten Artisten entdeckt, und durch seinen Scharfblick war ihm sofort die ungeheure Ähnlichkeit mit dem Seewolf aufgefallen. Für Hasard lag das alles schon so weit zurück, als sei es in einem anderen, früheren Leben passiert, das längst mit einem dunklen Mantel des Vergessens zugedeckt war.

Doch bisweilen ließ sich die Erinnerung nicht unterdrücken. Gewiß, die beiden Jungen hatten sich zu salzgewässerten kleinen Seewölfen entwickelt. Und Hasard bereute auch nicht, daß er sie mit an Bord genommen hatte, statt ihnen ein sittsames Leben an Land zu ermöglichen. Nein, in diesem Entschluß hätte ihn auch Gwendolyn, seine verstorbene Frau und Mutter der Zwillinge, bestärkt. Oft und lange genug hatte er darüber nachgedacht, um seiner selbst absolut sicher zu sein.

Aber dann passierten solche Dinge wie mit dem Papagei.

Vielleicht hätte man es als eine Bagatelle abtun können. Aber das war allein schon aus Gründen der Borddisziplin nicht möglich. Im übrigen zeigte es auch, daß immer noch Reste dieser Gaukler-Mentalität in den Jungen schlummerten. Natürlich war es andererseits löblich, daß sie über solche Dinge nachdachten, die im weitesten Sinne mit dem größten Traum des Menschen zusammenhingen – nämlich das Fliegen zu lernen.

Dem stand jedoch eindeutig der Tatbestand der Tierquälerei gegenüber. Hasard mußte bei diesem Gedanken lächeln. Vielleicht war die Strafe zu hart. Doch es ging auch darum, der Crew zu beweisen, daß seine Söhne nicht als verwöhnte kleine Snobs heranwuchsen, die sich jede Dreistigkeit ungestraft herausnehmen konnten. Eine Mutter, die Tag für Tag, von morgens bis abends, mit ihren Kindern zusammen war, hatte es gewiß leichter, sie in die rechten Bahnen zu lenken und bessere Entscheidungen über Strafe oder Nichtbestrafung zu treffen.

In der Beziehung hatte sich Hasard nie Illusionen hingegeben. Die Mutter konnte und wollte er ihnen nicht ersetzen. Hätte er das versucht, wäre eine absonderliche Figur aus ihm geworden. Kinder brauchten einen Vater nicht weniger notwendig. Und wenn eine Mutter es allein schaffte, weshalb sollte es nicht auch einem Vater gelingen, Erziehungsprobleme ohne die moralische Stütze ehelicher Zweisamkeit zu meistern?

Schluß damit, sagte er sich und gab sich einen Ruck. Die Zeiten, ins Grübeln zu verfallen, waren lange vorbei. Auch ein halb ertrunkener Papagei sollte daran nichts ändern.

Er ging hinüber zum Schapp und ließ Sir John auf seinen Unterarm hüpfen.

„Miese Kakerlake!“ schnarrte der Papagei fröhlich, und wenn er denken konnte, dann hielt er es wahrscheinlich für ein Kompliment.

Hasard mußte grinsen. Die Einflüsse des Profos waren allgegenwärtig. Niemand an Bord der „Isabella“ konnte sich seinem Repertoire an Sprüchen entziehen, und die leicht Beeinflußbaren schienen mit Vorliebe die unflätigsten Ausdrücke zu übernehmen. Ein Papagei wie Sir John bildete da seltsamerweise keine Ausnahme.

Hasard stieg hinaus an Deck, und die drückende Tropenhitze empfing ihn wie mit einem Hammerschlag.

Sir John stieß sich ab, und mit einem langgezogenen Schrei flog er zur Großmastrah hinauf, wo er sich in Triumphpose niederließ.

Die Männer auf der Kuhl konnten sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Unter Anleitung von Will Thorne, dem Segelmacher, waren sechs Mann damit beschäftigt, beschädigtes Tuch zu flicken. Sie hatten sich um die Kuhlgräting niedergelassen, wo die zu mächtigen Bäuchen geblähten Segel ihnen einigermaßen Schatten spendeten. Die anderen waren damit beschäftigt, die Nagelbänke zu klarieren. Und jene, die sich auf Freiwache befanden, hatten sich auf dem Vorkastell niedergelassen, wo ihnen noch am ehesten ein bißchen Luftzug um die Nasen wehte.

Vor dem Niedergang zum Achterkastell blieb der Seewolf stehen.

„Profos!“ rief er mit metallener Stimme und legte die Hände in die schmalen Hüften. Mit seinen breiten Schultern und seiner Körpergröße von mehr als sechs Fuß war er eine beeindruckende Erscheinung. Sein schwarzes Haar bildete einen ungewöhnlichen Kontrast zu den klaren, eisblauen Augen. Zu seinen Stulpenstiefeln und den enganliegenden Hosen trug er lediglich ein helles Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln, das über seinem imposanten Brustkasten weit offenstand.

„Sir?“ ertönte Edwin Carberrys Reibeisenorgan. Er mußte sich bükken, als er im offenen Kombüsenschott auftauchte. Dann stapfte er quer über die Kuhl auf den Seewolf zu. Der Profos der „Isabella“ war ein Bulle von Kerl, an dem das zernarbte Gesicht und das mächtige Rammkinn besonders augenfällige Merkmale bildeten.

Vor dem Seewolf verharrte er und reckte den kantigen Unterkiefer vor.

„Der Fall ist geklärt, Mister Carberry“, sagte Hasard, „wegen Tierquälerei sind Philip und Hasard Killigrew zu einer Woche Kombüsendienst verurteilt, außerdem während dieser Woche kein Aufenthalt an Deck. Ich will, daß du das verdammt genau überwachst, Mister Carberry.“

„Aye, aye, Sir“, erwiderte der Profos grollend, „habe mir schon so was gedacht, als die beiden kleinen Halunken wie ein geölter Blitz in der Kombüse verschwanden. Aber sie wollten es sich beim besten Willen nicht aus der Nase ziehen lassen, wie du ihnen die Leviten gelesen hast, Sir.“

Hasard grinste.

„Ich denke, sie haben es begriffen. Vorerst brauchen wir wohl nicht zu befürchten, daß sie auch noch Arwenack das Fliegen beibringen.“

Die Männer an Deck brachen in schallendes Gelächter aus, und auch Ed Carberry stimmte mit seinem dröhnenden Organ ein.

Arwenack, der Schimpanse, lugte mit neugierigen Augen aus dem Großmars. Das war einer seiner Lieblingsplätze, den er wie gewohnt mit Bill, dem Moses der „Isabella“ teilte. Als das Gelächter verebbte, stieß Arwenack ein helles Keckern aus, als habe er verstanden, daß von ihm die Rede gewesen war.

Die Galeone lief nach wie vor gute Fahrt. Der Nordost blies unverändert handig und stetig, und auf Kurs Südsüdwest segelnd, schob die „Isabella“ einen dicken weißen Bart als Bugwelle vor sich her. Der Gesang, den der Wind in Wanten und Pardunen hervorrief, vereinte sich mit dem Knarren von laufendem und stehendem Gut zu jener gewohnten Geräuschkulisse, die gutes Wetter bedeutete und von jedem Seemann geschätzt wurde.

Hasard stieg über den Niedergang zum Achterkastell hinauf.

Noch bevor er die letzten Stufen hinter sich brachte, zerschnitt ein heller Ruf die gleichförmigen Geräusche.

„Deck!“ schrie Bill, wobei er sich weit über die Segeltuchverkleidung des Großmarses beugte. „Land in Sicht! Steuerbord voraus!“

Die Männer auf der Kuhl sprangen auf und liefen zum Schanzkleid. Aber noch war von dort mit bloßem Auge nichts weiter zu erkennen als ein schwacher Streifen über der Kimm, der ebensogut aus Dunst bestehen konnte.

Hasard schnappte sich seinen Kieker und spähte in die von Bill angegebene Richtung. Die brillante Optik lieferte ein gestochen scharfes Bild. Und es handelte sich keineswegs nur um einen Dunststreifen. Bill hatte bewiesen, daß er hervorragende Augen besaß.

Diese Küstenlinie schien aus dichtem tropischem Grün zu bestehen. Soviel war schon jetzt klar.

Der Seewolf ließ das Spektiv sinken.

„Was meinst du, Ben?“

Der erste Offizier der „Isabella“ setzte gleichfalls sein Spektiv ab. Ben Brighton war ein untersetzter und breitschultriger Mann mit dunkelblondem Haar. Auch äußerlich strahlte er jene Ruhe aus, die seinem Charakter entsprach.

„Ceylon“, sagte Ben, „daran gibt es für mich keinen Zweifel. Auf unserem Kartenmaterial sind jedenfalls keine vorgelagerten Inseln eingezeichnet.“

Hasard nickte.

„Die Nordostküste soll ziemlich dünn besiedelt sein, meist sogar menschenleer. Ich denke, wir werden eine geeignete Stelle finden, um unsere Trinkwasservorräte zu ergänzen.“

„Frischfleisch wäre auch nicht zu verachten“, fügte Ben Brighton hinzu. Er sah den Seewolf mit einem forschenden Seitenblick an. „Rechnest du mit Portugiesen oder Spaniern?“

„Ausschließen kann man das nicht.“ Hasard zuckte mit den Schultern. „Andererseits sollen sie bis in die nordöstlichen Breiten der Insel noch nicht vorgedrungen sein. Aber ich bin auch in der Beziehung nicht sicher. Was wir gehört haben, ist sicherlich nicht der neueste Stand. Und da Philipp II. sich offiziell auch als König von Ceylon titulieren läßt, könnte ich mir vorstellen, daß er der Insel besonderes Interesse widmet. Wir müssen also auf Überraschungen gefaßt sein.“

Ben Brighton nickte bedächtig. Vorerst bestand kein Anlaß, den Kurs zu ändern, denn sie waren noch ausreichend weit von der legendenumwobenen Insel entfernt. Weit genug, um einer etwaigen Konfrontation mit den Dons rechtzeitig auszuweichen.

Die meisten Seefahrer kannten jene aufregenden Geschichten, die über Ceylon erzählt wurden. Danach konnte man sich diese Insel als das wahre Paradies auf Erden vorstellen. Denn „Ceylon“, dieses von muslimischen Händlern geprägte Wort, bedeutete nichts anderes als „Insel der Freude“. Jeder Seemann verfügte über genügend Phantasie, um für sich selbst auszumalen, welche Art von Freuden damit gemeint sein konnten.

Nun hatten aber Händler meist andere Interessen als ein Decksmann, dessen einzige Verantwortung sich darauf bezog, Orders der Schiffsführung zu befolgen. Möglicherweise waren eben jene Händler vor allem deshalb außer sich vor Freude gewesen, weil sie bei ihren ersten Landungen auf Ceylon insbesondere ein kaufmännisches Paradies entdeckten. Da gab es schillernde Berichte über den Reichtum dieser Insel. Es hieß, in der Luft läge ein ständiger Duft von Gewürzen, hauptsächlich von Zimt. Welche immense Bedeutung das hatte, vermochten naturgemäß besonders die Kaufleute zu ermessen.

Denn in diesen Jahren, in denen Europäer die ersten wichtigen Handelsrouten nach Südostasien erschlossen, konnte man zunächst nur ahnen, welche unvorstellbaren Ausmaße der Gewürzhandel später einmal annehmen sollte. Fest stand aber schon jetzt, daß die fernöstlichen Gewürze nie gekannte Möglichkeiten bieten würden – besonders in Europa, wo man jahrhundertelang nichts Vergleichbares gehabt hatte, um Lebensmittel schmackhafter zuzubereiten.

Aber auch Rubine, Saphire und kostbare Perlen sollte es auf Ceylon im Überfluß geben. Marco Polo hatte in einem seiner Reiseberichte behauptet, auf Ceylon einen Rubin gesehen zu haben, der die Größe eines Handtellers und die Stärke eines Menschenarms gehabt hätte. Es hieß aber auch, daß Seefahrer die „Insel des Glücks“ seit mehr als eintausendfünfhundert Jahren kannten. Von der Stadt Galle, im äußersten Südwesten gelegen, sagte man, daß dies das biblische „Tarschisch“ sein müsse, wo Salomos Schiffe Gold und Silber, Elfenbein, Affen und Pfauen gefunden hätten.

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.