Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 311»

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Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-708-2

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Arwenack, der Schimpanse, stieß ein warnendes Keckern aus.

Batuti wirbelte herum. Nur einen winzigen Moment hatte er nicht aufgepaßt und seinen Blick auf die Ostsee hinauswandern lassen.

Der Bärtige flitzte von seinem Lotsenplatz weg, als säße ihm der Teufel selbst im Nacken. Nicht einmal Pete Ballie, der das Ruder mit seinen Riesenfäusten hielt, konnte schnell genug reagieren. In wilder Flucht hastete der Finne auf die Verschanzung an Steuerbord zu.

„Der geht über Bord!“ brüllte Pete Ballie.

Der schwarze Herkules aus Gambia, der im selben Moment losschnellte, knurrte nur. Die letzte Distanz von zwei Schritten überbrückte er mit einem Sprung, wie von einer Bogensehne abgefedert.

Der Bärtige, schon halb auf dem Schanzkleid, schrie auf.

Batuti erwischte ihn an den Fußgelenken und riß ihn unbarmherzig herunter. Hart schlug der Finne auf die Planken. Sofort war Batuti über ihm, drückte ihm die Oberarme mit den Knien vom Körper weg und versetzte ihm zwei Ohrfeigen, deren Klatschen bis zum Vordeck der „Isabella IX.“ zu hören war.

„Ganz ruhig, du Bastard“, sagte Batuti drohend und rollte wild mit den Augen. „Sofort wieder an die Arbeit, oder du kriegst richtige Prügel!“

Das Gesicht des Finnen war schmerzverzerrt. Krampfhaft nickte er. Als sein Bezwinger von ihm zurückwich, begab er sich eilends wieder auf seinen Platz neben dem Ruderhaus. Nur weil er dort gebraucht wurde, hatte Batuti darauf verzichtet, ihn ins Traumland zu befördern.

Sie hatten dazugelernt.

Und weder Philip Hasard Killigrew noch die übrigen Männer an Bord der „Isabella“ empfanden es so, daß sie sich einen Zacken aus der Krone brachen. Nein, für sie war es keine Schande, eine vorgefaßte Meinung zu ändern. Denn neue Erfahrungen hatte es mehr als genug gegeben, seit sie durch das Baltische Meer segelten.

Da war niemand mehr in der Crew des Seewolfs, der die Ostsee noch einen Spucknapf nannte. Vergessen war das abfällige Grinsen, mit dem sie seinerzeit die königliche Geheimorder quittierten, die Hasard bei Skagen erbrochen hatte. Eine Vergnügungsreise war daraus nicht geworden, ganz gewiß nicht.

Nun, an diesem Nachmittag des 12. März 1593, atmeten die Männer an Bord des schlanken englischen Dreimasters auf. Wahre Felsbrocken der Erleichterung rumpelten ihnen vom Herzen. Denn hinter ihnen lagen Tage mörderischer Schinderei.

Das mühsame Lavieren durch das Labyrinth der Schären und Klippen vor der südwestlichen Küste Finnlands hatte alle gegenteiligen Meinungen endgültig beseitigt: Diese dreimal verdammte Ostsee war kein läppischer Suppenkübel. Jedem ahnungslosen Prahler, der das in Englands Hafenschenken jemals noch behaupten sollte, konnten die Seewölfe etwas anderes erzählen.

Besagte Geheimorder, Handelsbeziehungen mit den baltischen Ländern anzuknüpfen, war mit verteufelten Hindernissen verbunden. Das hatte die Crew des Seewolfs zu spüren gekriegt. Knüppeldick.

Wenn sie den Kerl auf dem Achterdeck nur ansahen, konnte ihnen nachträglich die Galle hochsteigen. Ein bißchen von seiner Wildheit hatte er verloren, dieser bärtige Finne. Bis vor weniger als zehn Stunden war er noch versessen darauf gewesen, die „Isabella IX.“ auseinanderzunehmen. Mit einer ganzen Armada von Fischerbooten war er aufgekreuzt.

Aber die Seewölfe hatten ihm und seiner Meute den Hosenboden strammgezogen, und entsprechend klein und häßlich sah er jetzt aus – wozu auch beitragen mochte, daß Hasard zwei besondere Aufpasser neben ihm auf das Achterdeck gestellt hatte.

Batuti, der schwarze Riese aus Gambia, war für einen weltfremden Inselfinnen schon ein furchterregender Anblick. Und Arwenack, der Schimpanse, sorgte mit Zähnefletschen und wüsten Drohgebärden immer von neuem dafür, daß dem Bärtigen ein Schauer über den Rücken lief.

Auf diese Art und Weise hatte er brav und folgsam den Lotsen gespielt, seit die Seewölfe seiner Finnenmeute am Morgen dieses Tages die Kähne unter den Hintern weggeschossen hatten.

Mit aufgetuchten Segeln und sorgsam vertäut lag die „Isabella“ nun an der Pier im Hafen von Abo, jenem bedeutenden Handelszentrum an der Südwestküste Finnlands. Ein feuchtkalter Wind wehte vom Bottnischen Meerbusen her in die Mündung des Aurajoki, der, durch zahlreiche größere Inseln und Schären geschützt, ideale Voraussetzungen für den Aufstieg der Hafenstadt Abo bot.

Bleigraue Wolken hingen tief über dem Mastenwald mit seiner Vielfalt von Geräuschen. Kein Traumklima für sonnenverwöhnte englische Seelords, die die Karibik und andere paradiesische Winkel dieser Erde kennengelernt hatten. Trotzdem war ihre Stimmung weit vom Nullpunkt entfernt. Der Landgang, der nun in Aussicht stand, ließ das langwierige Herumgurken im Inselgewirr und die sonstigen Tücken der Ostsee rasch in Vergessenheit geraten.

Der Seewolf wandte sich von der Heckbalustrade ab. An Land, vor Kontorhäusern und Lagerschuppen, scharten sich die ersten Gaffer zusammen. Finnische Wortfetzen wehten herüber, aber auch andere Sprachen waren zu hören, wie die unverkennbar kehligen Laute aus den östlichen Ländern des Baltikums.

Deutliches Staunen war zu vernehmen, denn allein ein englisches Schiff war schon ein ungewohnter Anblick in diesen Breiten. Einen Dreimaster von so schlanker Bauweise wie die „Isabella IX.“ hatte jedoch noch niemand gesehen. Dieses Meisterwerk der Schiffbaukunst, auf der Werft des alten Ramsgate in Plymouth entstanden, war seiner Zeit weit voraus und verdiente es, bewundert zu werden.

„Keine Spanier“, stellte Ben Brighton fest, Erster Offizier und Stellvertreter des Seewolfs. Er folgte Hasard, der auf den unfreiwilligen Lotsen zutrat.

Hasard lächelte. Ben spielte auf Wisby an. Dort, auf Gotland, waren sie mit dem räuberischen Kapitän Juan de Gravina aneinandergeraten. Doch hier in Abo ging es nicht um das Gold der Ostsee, um den Bernstein, der manchen Menschen wertvoll genug war, daß sie sich deswegen gegenseitig umbrachten.

Der bärtige Zwangslotse knetete seine Finger, trat von einem Bein auf das andere und mühte sich, seinen Nebenmann nicht anzusehen.

Batuti grinste bis zu den Ohren, wobei sein perlweißes Gebiß auf eindrucksvolle Weise sichtbar wurde. Und noch einmal rollte er wild mit den Augen, so, wie er den Finnen fortwährend in Schach gehalten hatte. Arwenack hüpfte um die Männer herum, ließ ein durchdringendes Keckern hören und stieß drohend die langen Arme hoch.

„Es ist gut“, sagte Hasard und lachte. „Ihr habt eure Sache bestens erledigt. Schick mir Stenmark herauf, Batuti.“

„Nicht noch kleines Denkzettel für Finnen-Lump?“ entgegnete der Riese aus Gambia enttäuscht.

Der Bärtige, der zwar die Worte nicht verstand, aber dennoch begriff, wich erschrocken einen Schritt zurück.

„Nein, Schluß jetzt“, sagte der Seewolf energisch.

Batuti zog die breiten Schultern hoch und ließ sie wieder sinken. Deutlich war dem Bärtigen die Erleichterung anzumerken, als seine beiden fremdländisch-furchterregenden Aufpasser endlich abzogen. Er starrte auf die Planken, denn er wollte die beiden Engländer nicht ansehen. Sie warteten auf den Schweden, soviel wußte er. Stenmark beherrschte als einziger an Bord die finnische Sprache.

„Ich muß mich wundern“, sagte Ben Brighton gedehnt. „Ehrlich gesagt, ich wäre nicht erstaunt gewesen, wenn er uns doch noch auf eins der Unterwasserriffe hätte aufbrummen lassen.“

„Ich denke, er ist froh, seine Haut retten zu können“, entgegnete Hasard. „Jedenfalls hätten wir ohne ihn mindestens drei oder vier Tage gebraucht, um Abo zu erreichen. Aber wahrscheinlich lag es auch an der guten Bewachung, daß er so prächtig gespurt hat.“

Ben Brighton lächelte versonnen.

Schritte näherten sich. Stenmark enterte behende über den Niedergang zum Achterdeck auf und meldete sich zur Stelle.

„Sag ihm, daß ich mit seinen Lotsendiensten zufrieden bin“, erklärte Hasard. „Ich habe Grund, ihn für einiges zu entschädigen. Von den Ängsten, die er wegen Batuti und Arwenack ausgestanden hat, wollen wir nicht reden. Aber er hat seine Schaluppe und eine Menge weiterer Fahrzeuge verloren. Und ganz unschuldig waren wir nicht an der Entwicklung der Dinge. Verklare ihm noch einmal, daß wir den Runenstein nicht absichtlich umgestürzt haben. Um die Sache zu einem guten Ende zu bringen“, Hasard zog ein Leinensäckchen aus der Tasche, das mit Silbertalern gefüllt war, „soll er dies als Entschädigung erhalten.“

„Aye, Sir“, sagte Stenmark, der große Augen bekommen hatte. Achselzukkend nahm er das Geldsäckchen, reichte es dem Finnen und begann, die Worte des Seewolfs zu übersetzen.

„Fairneß ist ja ganz schön“, murmelte Ben Brighton, „aber meinst du nicht, daß dies ein bißchen zuviel des Guten ist?“

„Nein“, widersprach Hasard, „vergiß nicht, daß der Runenstein für die Finnen ein Heiligtum war. Und wenn wir zehnmal beteuern, daß wir das Ding für eine Felsnase gehalten haben und sie als Poller für unsere Trosse benutzten – sie werden uns das in hundert Jahren nicht glauben.“

Stenmark war mit seiner Übersetzung fertig, und der Finne nuschelte etwas in seinen Bart. Weiter vermied er es, die Engländer anzusehen.

„Was sagt er?“ fragte Hasard.

„Ob er jetzt abhauen kann“, erwiderte Stenmark mit hochgezogenen Schultern, als müsse er sich für die Schroffheit des Finnen entschuldigen.

„Kann er“, sagte Hasard kurz entschlossen.

Stenmark übersetzte, und der bärtige Finne verwandelte sich in einen geölten Blitz. Während er schon losrannte, stopfte er das Geldsäckchen unter seinen Gurt. Mit langen Sätzen hastete er über Quarterdeck und Kuhl und dann die Stelling hinunter. Augenblicke später war er im Menschengewirr an Land verschwunden.

„Glaubst du, der ist dankbar?“ knurrte Ben Brighton. „Der lacht sich eins ins Fäustchen über deine Gutmütigkeit. Wenn du mich fragst, ein Tritt in den Hintern wäre der bessere Lohn für ihn gewesen.“

„Mag sein, daß du recht hast. Aber es geht mir auch darum, daß wir hier keinen unnötigen Ärger kriegen. Schließlich wollen wir freundschaftliche Handelsbeziehungen anknüpfen. Deshalb müssen wir als Engländer einen guten Eindruck hinterlassen, nicht zuletzt wegen der künftigen englischen Handelsfahrer. Die wollen auch gern gesehen sein, wenn sie die Ostsee anlaufen.“

„Das sehe ich ein. Aber ich sage dir, dieser bärtige Strolch ist ein ganz ausgekochtes Schlitzohr. Dein guter Wille ist bei ihm garantiert an der falschen Adresse.“

Eine halbe Stunde später war der bärtige Halunke aus der einsamen finnischen Inselwelt so gut wie in Vergessenheit geraten. An Bord der „Isabella IX.“ standen wichtigere Dinge zur Debatte. Jene Dinge nämlich, die die Männer beschäftigten, seit der Hafen von Abo in Sichtweite aufgetaucht war.

Ihre Gedanken bewegten sich auf einem schon genau festgelegten Kurs. Und der führte über die Stelling hinunter zur Pier, von dort aus weiter in die winkligen Hafengassen und in die gastlichen Häuser, die es dort zuhauf gab. Von letzteren hatten die Männer der „Isabella“-Crew eine ziemlich genaue Vorstellung. Denn zumindest in dieser Hinsicht konnte sich ein finnischer Hafen kaum von allen anderen Häfen der Erdkugel unterscheiden.

Der Seewolf spürte diese freudige Stimmung, die von seinen Männern Besitz ergriffen hatte. Er hatte sie auf der Kuhl versammelt, und da war jenes Leuchten in ihren Augen. Einige tuschelten miteinander und bemühten sich, nur nicht zu laut zu sein. Andere warteten schweigend und gespannt auf die Entscheidung des Kapitäns.

Hasard blickte in die Runde und empfand leises Bedauern. Wie seine Entscheidung auch ausfiel, für einen Teil der Crew würde es eine Enttäuschung sein. Nach der Schinderei der vergangenen Tage hatten sie sich die Abwechslung an Land redlich verdient.

Da gab es nur wenige Männer an Bord, die nicht darauf fieberten, sich in das brodelnde Leben der Hafenstadt zu stürzen – wie der Kutscher etwa, ein ruhiger und in sich gekehrter Mann, dem das wilde Vergnügen nicht viel bedeutete. Ähnlich verhielt es sich mit Ben Brighton. Durch seine unerschütterliche Besonnenheit hatte er die Seewölfe in manch heikler Situation davor bewahrt, den klaren Blick zu verlieren. Die Verantwortung als Hasards Stellvertreter stand für Ben an erster Stelle aller Überlegungen – was aber nicht bedeutete, daß er ein Kind von Traurigkeit war, wenn es wirklich einmal einen Grund zum Feiern gab.

Jene drei, die sich stolz grinsend im Vordergrund aufgebaut hatten, stachen ins Auge, und so hatten sie das auch beabsichtigt.

„Sehe ich richtig?“ sagte der Seewolf, der sich an der Schmuckbalustrade des Quarterdecks aufgebaut hatte. Er heftete seinen Blick auf Edwin Carberry, den bulligen Profos, der sein Rammkinn schon wieder herausfordernd in den Wind reckte.

„Wie meinst du das, Sir?“ Carberry verschränkte die Arme vor dem mächtigen Brustkasten und tat, als gäbe es den leuchtend weißen Verband nicht, der seinen Kopf wie ein Turban zierte. Er deutete auf Luke Morgan und Old Donegal Daniel O’Flynn, die neben ihm standen. „Sind wir etwa gemeint?“

„Da du dich schon angesprochen fühlst, Mister Carberry“, entgegnete Hasard betont energisch, „gibt es über diese Frage wohl keinen Zweifel mehr.“

Ben Brighton wandte sich ab, legte die Hände auf den Rücken und maß das Quarterdeck mit langsamen Schritten, um sein Lächeln zu verbergen.

Der Kutscher, Koch und gleichzeitig Feldscher an Bord der „Isabella“, drängte sich in den Vordergrund und zeigte anklagend auf die drei Männer.

„Sir, ich weise ausdrücklich darauf hin, daß Mister Carberry, Mister O’Flynn und Mister Morgan gegen meine Anordnung verstoßen. Alle drei haben Order, die Krankenkammer nicht zu verlassen.“

„Sei nicht so pingelig, Knochenflikker“, knurrte Luke Morgan, dessen linke Schulter dick verbunden war.

„Sehen wir etwa krank aus, was, wie?“ grollte Ed Carberry.

„Ich am allerwenigsten“, erklärte Old O’Flynn und reckte die Brust heraus. Nachdem Ferris Tucker ihm ein neues Holzbein angefertigt hatte, waren da nur noch der verstauchte linke Fußknöchel und die Platzwunde am Hinterkopf – Lächerlichkeiten, die man nach seiner Meinung längst vergessen konnte.

„Was soll das denn heißen?“ fauchte Luke Morgan ihn an. „Wird für dich etwa ein Extrasüppchen gekocht, Donegal?“

„Nun bleib mal auf den Planken, Kleiner“, sagte der alte O’Flynn bissig. „Dir haben die Finnen einen Pfeil durch die Schulter gejagt, und Edwin haben sie einen zu tiefen Scheitel gezogen. Ist das was anderes als meine kleinen Kratzer oder nicht?“

Carberry wandte sich ihm mit scheinbarer Freundlichkeit zu.

„Jetzt paß mal gut auf, Großvater. Wenn du meinst, daß du hier aus der Reihe tanzen mußt, dann ramme ich dich unangespitzt zwischen deine Planken. Klar?“

Old O’Flynns verwittertes Gesicht lief dunkelrot an. Er holte tief Luft.

Die übrigen Männer hatten ihre liebe Last, ihr Glucksen und Kichern zu unterdrücken. Und der alte Mann schluckte seinen Zorn herunter, als die Stimme des Seewolfs dazwischenfuhr.

„Schluß der Debatte! Ich erwarte, daß klare Anweisungen respektiert werden. Die Anordnungen des Kutschers sind in diesem Fall Gesetz. Ein für allemal!“

„Richtig!“ schrie Old O’Flynn triumphierend. „Dagegen kann auch ein Profos nicht anstinken! Sonst sollte man ihm mal die Haut in Streifen von seinem Affenarsch ziehen!“

Die Männer konnten nicht mehr an sich halten. Brüllendes Gelächter entlud sich wie Donner und ließ die Decks der „Isabella“ erbeben.

Ed Carberry wirbelte herum, stemmte die Fäuste in die Hüften und brüllte gegen die Meute an.

„Ihr lausigen Schnattertanten! Wollt ihr wohl die Schnäbel halten, ihr schräggebraßten Waldameisen! Wartet nur ab, bis ich wieder an Deck bin! Dann kriegt ihr Dampf von mir, bis euch das Wasser im Hintern kocht! Darauf könnt ihr einen zwitschern, ihr …“

„Affenärsche!“ überschrie ihn die Crew.

Hasard mußte sich mit aller Gewalt zwingen, nicht in den Übermut der Männer einzustimmen. Unten auf der Pier wandten die Leute erstaunt die Köpfe. Der Krach auf der englischen Galeone hörte sich furchterregend an. Daß dort auf dem ranken Dreimaster nicht die Fetzen flogen, daß es sich nicht um Meuterei oder zumindest handgreifliche Auseinandersetzungen handelte – das wurde den meisten Unbeteiligten erst klar, nachdem sie geraume Weile den Atem angehalten hatten.

Der Seewolf ließ seine Männer gewähren. Denn Ausgelassenheit war an Bord der „Isabella“ noch nie in Disziplinlosigkeit ausgeartet. Zwistigkeiten oder Spannungen gab es in dieser Mannschaft nicht.

Nicht umsonst waren Philip Hasard Killigrew und seine Crew auf den Weltmeeren schon zu Lebzeiten zur Legende geworden. Häufig genug waren sie mitten in die Hölle gesegelt, hatten dem Verderben furchtlos lachend ins blanke Auge gesehen und jeglichen Verdruß dank jenes Gemeinschaftsgefühls überwunden, das sie wie Pech und Schwefel zusammenhalten ließ.

Die rauhen Worte, die sie sich gelegentlich an den Kopf warfen, klangen nur für einen Außenstehenden erschreckend. Für die Männer unter dem Kommando des Seewolfs waren es Freundschaftsbezeigungen, die nur sie selbst verstanden. Niemand sonst.

Hasard sorgte schließlich mit einer Handbewegung für Ruhe, nachdem die größten Wogen der Heiterkeit verebbt waren.

„Noch einmal zu unseren Kranken“, sagte er mit verhaltenem Lächeln. „Wenn ich recht sehe, Old Donegal, ist dein linker verstauchter Knöchel noch bandagiert. Im übrigen ist dein Kopfverband genauso ansehnlich wie der unseres Profos’. Wenn ich mich nicht irre, verbirgt sich darunter eine Platzwunde, die noch nicht verheilt ist.“

„Aye, aye, Sir“, erwiderte Old O’Flynn zähneknirschend.

„Was dich betrifft, Luke“, fuhr der Seewolf fort, „hat der Kutscher wohl sehr richtig entschieden, daß du den linken Arm vorläufig nicht bewegen darfst. Dein Schulterdurchschuß war nämlich nicht von schlechten Eltern.“

Luke, der kleine, drahtige, dunkelblonde Engländer, senkte den Kopf.

„Und über deinen Streifschuß, Ed, brauche ich wohl keine Worte zu verlieren.“

„Ein Kratzer, Sir“, entgegnete der Profos mit gedämpfter Stimme, was bei ihm eine Seltenheit war. „Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf: Wir haben die Nase voll davon, dauernd zu faulenzen. Das hält doch kein Rübenschwein aus.“

„Meine Rede“, fügte Luke Morgan eilfertig hinzu. „Man kennt seinen Körper doch selbst am besten und weiß, wann man wieder einsatzfähig ist. Kein schönes Gefühl, wenn man dann in die Koje verbannt wird.“

Hasard nickte scheinbar verständnisvoll. Ed Carberry und Luke Morgan waren es vor allem, in deren Augen schon ein Anflug von Hoffnung zu leuchten begann. Die beiden gierten am meisten nach dem ersehnten Landgang. Hasard hatte das sehr schnell begriffen, und im nächsten Moment mußten sie feststellen, daß sie bei ihm trotz allem auf Granit bissen.

„Damit es keine Zweifel mehr gibt, Gentlemen“, sagte er hart, „die Anweisungen des Kutschers bleiben unverändert, und seinen weiteren Orders ist strikte Folge zu leisten. Ihr könnt euch eine halbe Stunde an Deck die Füße vertreten. Dann geht es wieder ab in die Koje. Das ist ein Befehl!“

„Himmel, Arsch und Kabelgarn“, knurrte Ed Carberry, „das ist doch zum …“ Er ließ den Rest unausgesprochen, als er den Blick des Seewolfs spürte.

„Wie soll man da gesund werden!“ maulte Luke Morgan. „In dieser verdammten miefigen Kammer wird man doch erst recht rammdösig.“

Nur Old Donegal Daniel O’Flynn hatte begriffen, daß es zu diesem Zeitpunkt besser war, das Maul zu halten.

Carberry und Morgan erfuhren es einen Atemzug später. Die Stimme des Seewolfs war plötzlich wie ein Peitschenhieb.

„Ich wiederhole meinen Befehl nicht. Höre ich noch ein Widerwort, lasse ich euch in der Krankenkammer einschließen. Ab jetzt! Ich warte nicht länger.“

Luke Morgans Augen wurden groß und rund. Nur Old O’Flynns Miene blieb unbewegt, während Ed Carberrys Rammkinn fast bis auf den Brustkasten sackte.

„Aye, aye, Sir“, ächzte er dann, „wir fangen an mit dem Füßevertreten.“

Diesmal lachte keiner, als die drei nach einer Kehrtwendung über die Decksplanken in Richtung Back schlurften. Jeder der Männer wußte, wie bitter es war, sich wieder halbwegs auf dem Damm zu fühlen und trotzdem nicht so zu dürfen, wie man zu können glaubte. Aber jeder einzelne in der Crew war sich auch darüber im klaren, daß der Seewolf nicht anders entscheiden konnte. Den drei Verwundeten ihren Willen zu lassen wäre unverantwortlich gewesen.

Für Hasard war es jetzt an der Zeit, die mit Spannung erwartete Entscheidung zu treffen. Daß es an Bord auch während der Liegezeit im Hafen genug Arbeit gab, war jedem klar. Für die besagte Spannung sorgte nur die Frage, wer zur ersten Gruppe gehörte, die Landurlaub erhielt.

„Smoky!“

„Sir?“ Der Decksälteste trat vor. Smoky war ein breitschultrig gebauter Mann, dessen mächtige Fäuste davon zeugten, wie gut er in der Lage war, notfalls seinen Rang zu verteidigen.

„Folgende Männer gehen unter deiner Führung an Land: Batuti, Mac Pellew, Dan O’Flynn, Piet Straaten, Jan Ranse, Nils Larsen, Bob Grey, Gary Andrews, Jack Finnegan, Paddy Rogers, Blacky, Jeff Bowie und Bill.“

Die, deren Namen gefallen waren, stimmten Jubelgebrüll an. Die anderen zogen lange Gesichter. Abermals sorgte der Seewolf mit einer energischen Handbewegung für Ruhe.

„Smoky, du bist mir dafür verantwortlich, daß es keinen Krawall gibt. Ihr werdet in kein Fettnäpfchen treten und jedem Streit aus dem Weg gehen. Wir sind hier nicht in Plymouth. Ist das klar?“

„Aye, aye, Sir“, entgegnete Smoky grinsend, „wir werden frommer als die frommsten Klosterbrüder sein. Wer sich nicht daran hält, kriegt von mir persönlich eins auf die Nuß.“

„Das will ich hoffen.“ Hasard zwang sich, ernst zu bleiben. „Gibt es trotzdem Ärger, wird der Landgang auch für den Rest der Crew gesperrt. Ich denke, jeder weiß, was das heißt.“

Er brauchte es nicht näher zu erklären. Freundliche Warnungen, die nun unter der Crew ausgetauscht wurden, rückten die Dinge von selbst ins Lot.

In der allgemeinen Wuhling, die jetzt entstand, schoben sich Philip und Hasard ins Blickfeld ihres Vaters. Die beiden Söhne des Seewolfs sahen enttäuscht aus. Auf Philips Schulter thronte Sir John, der karmesinrote Arara-Papagei, der sich eifrig das Gefieder putzte.

„Hast du uns vergessen, Dad?“ fragte Hasard junior etwas erbittert.

Äußerlich ähnelten sich die beiden Jungen wie ein Ei dem anderen. Schlank und schwarzhaarig, hatten sie den unverwechselbar gleichen Gesichtsschnitt wie der Seewolf. In ihren Bewegungen waren sie geschmeidig wie Katzen. Schon jetzt, in ihren jugendlichen Jahren, ließen sie erkennen, daß sie als erwachsene Männer einmal alle überragenden Eigenschaften und Fähigkeiten ihres Vaters haben würden.

Daß sie in diesem Augenblick aussahen, als könnten sie kein Wässerchen trüben, beeindruckte den Seewolf nicht. Die gesamte Crew wußte, welche verteufelte Portion Temperament und Starrsinn die beiden im Nacken hatten. Welche Scherereien sie ihrem Vater und seinen Männern schon bereitet hatten – nun, daran mochten sie nicht unbedingt erinnert werden. Und schließlich fühlten sie sich auch nicht mehr als kleine Kinder, denn bei den Aufgaben, die sie an Bord zu erledigen hatten, standen sie ihren Mann.

So manches Mal hatte man die beiden Junioren aus verzwickten Situationen herauspauken müssen. Immer dann nämlich, wenn sie sich wieder einmal einen unerlaubten Alleingang geleistet hatten. Indes mußte Hasard ihnen zugute halten, daß sie mittlerweile gewitzt genug waren, um sich auch schon einmal allein zu helfen.

„Was habt ihr auf dem Herzen?“ fragte Hasard und spielte den Ahnungslosen.

„Dad“, entgegnete Philip junior drängend, „sollen wir etwa die ganze Zeit über an Bord bleiben?“

„Habe ich eure Namen aufgerufen?“

„Das nicht, aber …“

„Wollt ihr zur Crew gehören?“

„Natürlich, Dad“, antworteten die beiden wie aus einem Mund.

„Gut. Dann gelten für euch auch die gleichen Rechte und Pflichten, stimmt’s?“ Hasard begann zu lächeln.

Seine Söhne spürten, daß er es nicht ganz ernst meinte, daß es nur ein symbolischer erhobener Zeigefinger war.

„Dad, bitte!“ bettelte Hasard junior. „In diesem Fall ist es doch etwas ganz anderes.“

„Wir haben von der Welt noch nicht soviel gesehen wie alle anderen an Bord“, fügte Philip hinzu. „Und wann haben wir schon mal wieder Gelegenheit, einen finnischen Hafen kennenzulernen?“

„Also gut“, sagte der Seewolf und nickte, nachdem er scheinbar eine Weile nachgedacht hatte. „Euer Landgang ist genehmigt. Aber bei Dunkelwerden seid ihr wieder an Bord, verstanden?“

„Aye, aye, Sir!“ schrien die beiden begeistert.

Sir John, von dem plötzlichen Freudenausbruch überrascht, flatterte zeternd davon und kreiste unschlüssig durch das Gewirr des Takelwerks. Dann entschied er sich für den sicheren Platz auf dem Großmars. Von dort aus beäugte er mißtrauisch das Geschehen an Deck.

Die Männer unter Smokys Führung, die sich auf ihr bevorstehendes Vergnügen freuten, hatten es jetzt mächtig eilig, sich für den Landgang umzuziehen.

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