Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 391»
Impressum
© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-799-0
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Burt Frederick
Sturm über den Bahamas
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
1.
Der ablandige Wind verursachte ein stetes Rauschen in den Palmwipfeln, nur vereinzelt durchbrochen von den schrillen Stimmen tropischer Urwaldvögel. Die Morgensonne schien an diesem 16. Juni des Jahres 1594 blasser als gewohnt – gerade so, als hätte sie sich hinter einem Flor von Trübsal verborgen, um sich der Stimmung jener Männer in der Bucht von Great Abaco anzupassen.
Mehr als fünfzig waren es. Stumm und regungslos verharrten sie am Strand. Ihre Kehlen waren wie zugeschnürt.
Breit und schnurgerade verlief die Hecksee des stolzen Dreimasters, als wollte ihnen der Rudergänger ein letztes Mal beweisen, wie überragend er sein Handwerk verstand. Ja, die ganze Mannschaft des Schiffes schien Verachtung ausdrücken zu wollen, obwohl die Entfernung schon so groß war, daß man Gesichter nicht mehr erkennen konnte.
Die „Isabella“ segelte auf ostwärtigem Kurs in den Atlantik hinaus. Ein Schwarm von Seevögeln umkreiste die geblähten Segel. Die Kimm im Osten sah verwaschen aus.
Don Juan de Alcazar vermochte den Blick nicht von der schlanken Galeone zu wenden. Noch immer war er nicht imstande, seine Gedanken in geordnete Bahnen zu lenken. Zu tiefgreifend war das Geschehen der letzten Stunden gewesen. Und allzu heftig hatte es an den Fundamenten seiner festgefügten Meinung gerüttelt.
Was für ein Mensch war dieser Philip Hasard Killigrew?
Einer, den man erbarmungslos bis ans Ende der Welt jagen mußte, um ihn zur Strecke zu bringen?
Eins stand jedenfalls fest: Killigrew war nicht der mordlüsterne und beutegierige Pirat, als den man ihn bei Hofe in Madrid beschrieben hatte. Waren das Verhalten und die Wesenszüge des Engländers für Don Juan anfangs noch irritierend gewesen, so schälten sich dessen Charaktermerkmale nun immer deutlicher heraus.
Das Geschehen hier, in der Bucht von Great Abaco, hatte an Eindeutigkeit nichts mangeln lassen.
„Aus und vorbei“, durchbrach eine knarrende Stimme die Stille. „Da stehen wir nun wie die armseligsten Wichte. Und wem haben wir das zu verdanken? Wem?“ Churrucas Worte klangen fordernd, um Bestätigung heischend.
Don Juan wandte seinen Blick von der See. Die Segel der „Isabella“ waren verschwunden, außer Sichtweite. Langsam drehte er sich um.
Capitán Churruca starrte ihn an.
Don Juans Augen wurden schmal. Das Verhalten dieses aufgeblasenen Wichtigtuers von einem Kapitän verblüffte ihn über alle Maßen. Churrucas Empörung war genauso echt wie sein flammender Blick. Unglaublich. Don Juan konnte nicht begreifen, womit dieser Mann sich selbst rechtfertigte.
Dabei reizte das Äußere Churrucas zum Lachen, und es veranschaulichte, welche gerechte Strafe dem Kapitän der „Golondrina“ zuteil geworden war. Seine ehedem hochvornehme Kleidung war verschmutzt, zerrissen und durchnäßt. Vor dem Zwangsaufenthalt im stinkenden Laderaum der Frachtgaleone hatte ihn der Profos des Seewolfs als lebende Galionsfigur unter den Bugspriet gebunden. All das hatte aber offenbar nicht ausgereicht, um Churruca auf den Boden der Vernunft zurückzubringen.
Neben dem Kapitän der „Golondrina“ standen der Erste und der Zweite Offizier, und sie sahen nicht minder zerrupft aus. Ihre Mienen waren eine einzige Anklage gegen Don Juan de Alcazar. Sie dachten und empfanden wie ihr sauberer Kapitän. Don Juan bereute nicht, den Zweiten für seine Unverschämtheiten mit einem Fausthieb zu Boden geschickt zu haben.
Aber es war noch nicht ausgestanden. Noch lange nicht. Das spürte der hochgewachsene Mann in diesem Augenblick.
„Hüten Sie Ihre Zunge, Churruca“, sagte er leise, aber doch so, daß es jeder der Männer verstehen konnte.
Der Kapitän hob das Kinn ruckartig ein Stück höher.
„Sie wagen es?“ sagte er zischend. „Sie erdreisten sich allen Ernstes, mir gegenüber den wilden Mann zu markieren? Sie? Ein angeblicher Ehrenmann, der sich durch nichts anderes auszeichnet als durch Feigheit vor dem Feind?“
Die beiden Offiziere lachten höhnisch und meckernd. Bei den übrigen Männern war indessen keine Reaktion festzustellen. Aus den Augenwinkeln heraus sah Don Juan jedoch, daß sein Bootsmann, Ramón Vigil, eine drohende Haltung einnahm. Mit einer beschwichtigenden Handbewegung bedeutete er ihm, sich zurückzuhalten.
„Unter anderen Umständen, Churruca“, sagte Don Juan ruhig, „würde ich Sie für diese Bemerkung fordern.“
Churruca lachte nun ebenfalls. Sein Oberkörper hob und senkte sich dabei wie hüpfend.
„Etwas Besseres fällt Ihnen nicht ein, wie? Aber Sie können damit nichts vertuschen, de Alcazar. Sie haben vor diesem verdammten englischen Piraten-Bastard gekuscht und Ihre besten Trümpfe aus der Hand gegeben – die fünf Geiseln nämlich. Ich wäre auf den lausigen Kuhhandel niemals eingegangen. Bei mir hätte die Piratenbrut ihr blaues Wunder erlebt. Weil ich nämlich als erstes den Bootssteurer liquidiert hätte. Vor den Augen der Engländer. Dann wären diese Dreckskerle klein und häßlich geworden, das kann ich Ihnen versichern.“
Ohne daß er es wollte, lief das unfaßbare Geschehen noch einmal vor Don Juans geistigem Auge ab. Gemeinsam mit Ramón Vigil und den anderen hatte er nach dem Untergang der Zweimast-Schaluppe auf Great Abaco Zuflucht gefunden. Dann hatten sie unvermittelt die beiden Galeonen beobachtet, wie sie auf die Bucht zusegelten und dort vor Anker gingen. Die „Isabella“ und die „Golondrina“, letztere mit stärk beschädigtem Ruder.
Zunächst war der Ablauf der Dinge für Don Juan mehr als rätselhaft gewesen. Später aber waren ihm alle Zusammenhänge klargeworden. Killigrew hatte die Indianer von der „Golondrina“ auf die „Isabella“ umladen lassen und war im Begriff gewesen, die ersten Spanier aus der Mannschaft der Handelsgaleone an Land zu bringen.
Don Juan und seine Gefährten waren kurzerhand aus ihrem Versteck hervorgeschnellt und hatten eine fünfköpfige Bootsbesatzung von der „Isabella“ gefangengenommen. Dann jedoch, als er die Herausgabe von Kapitän Killigrew und die Übereignung der „Golondrina“ im Gegenzug gegen die fünf Geiseln gefordert hatte, war die volle Wahrheit ans Tageslicht gelangt.
Killigrew hatte zu jenem Zeitpunkt noch Capitán Churruca, den Ersten Offizier, Rolando de Simon, sowie weitere zwanzig Mann von der Handelsgaleone in seiner Gewalt gehabt. Ohne lange zu fackeln, hatte der Engländer gedroht, Churruca an der Großrah aufzuhängen. Und er hatte geschildert, welche Greuel den Indianern vom Stamm der Mixteken angetan worden waren.
Carlos Antibes, der Zweite Offizier, war unverschämt geworden, anstatt die drängenden Fragen Don Juans zu beantworten. Ihm war der Kragen geplatzt, und er hatte Antibes kurzerhand zu Boden geschlagen. Dann, als der riesenhafte Pater von der „Isabella“ erschienen war und einen flammenden Appell an ihn gerichtet hatte, war es die einzig denkbare Entscheidung gewesen, die fünf Geiseln freizugeben. Killigrew hatte Churruca und die anderen Spanier an Land gebracht, die „Golondrina“ versenkt und gleich darauf Segel gesetzt.
Don Juan zwang sich, wenigstens äußerlich die Ruhe zu bewahren. Churruca würde ihn nicht dazu bringen, die Fassung zu verlieren.
„Nachträglich sollte es mir vielleicht leid tun, keine der Geiseln liquidiert zu haben“, sagte er trocken. „Denn dann hätten Sie an der Rah gezappelt, verehrter Capitán.“
Churruca überhörte den Spott. Geringschätzig verzog er das Gesicht.
„Na und?“ sagte er, indem er die Augenbrauen hochzog und sein Gegenüber herablassend ansah. „Selbstverständlich wäre ich bereit gewesen, mein Leben für die Mannschaft zu opfern. Für einen Mann von Rang ist das eine unumgängliche Ehrenpflicht. Vergessen Sie eines nicht, Señor de Alcazar: Wir repräsentieren die große spanische Nation. Bei allem, was wir tun, müssen wir uns das immer vor Augen halten.“ Churruca wandte sich zu seinen Offizieren um. „Habe ich recht, Señores?“
„Aber ja“, sagte Carlos Antibes, der Zweite. Er blickte Don Juan mit einem herausfordernden Grinsen an. „Ein Mann muß eben auch in schwierigsten Situationen einen klaren Kopf bewahren und das Vernünftige tun – statt blindwütig draufloszuschlagen.“
Don Juan juckte es in den Fingern, den dreisten Kerl ein zweites Mal in die Waagerechte zu befördern. Aber es war sinnlos. Leute dieses Schlages ließen sich weder durch Worte noch durch handfeste Taten belehren.
Auch der Erste Offizier, Rolando de Simon, hielt es für angebracht, seinen bissigen Kommentar abzugeben.
„Natürlich wäre jeder von uns bereit gewesen, das höhere Interesse an erste Stelle zu setzen. Als Spanier von nobler Herkunft sollte man wissen, daß man sich in dieser Beziehung auf einen Landsmann verlassen kann.“
Capitán Churruca blickte in die Runde, um sich von der Wirkung der markigen Worte zu überzeugen. Aber die Gesichter der Crew waren nach wie vor ausdruckslos. Da gab es keinen, der für den scheinbar so tapferen und aufrechten Kapitän der „Golondrina“ in Begeisterung ausgebrochen wäre.
Don Juan konnte nur den Kopf schütteln. Die Borniertheit dieses Mannes verschlug ihm glatt die Sprache.
Churruca war nichts weiter als ein Sprücheklopfer und Maulheld. Einer, der zu engstirnig, zu dumm und zu aufgeblasen war, um überhaupt zu erfassen, was die Ermordung des Bootssteurers ausgelöst hätte. Ein grauenhaftes Massaker hätte begonnen.
Denn nur zu Recht hätten die Engländer auf einen Geiselmord mit unnachgiebiger Härte reagiert.
Aber da waren vor allem die Worte Killigrews und des Paters gewesen, die Don Juan entscheidend beeinflußt hatten. Nie zuvor hatte er von derart menschenverachtendem Verhalten gehört, wie es seine Landsleute gegenüber den Mixteken an den Tag gelegt hatten. Gewiß, es gab auch in Madrid Gerüchte darüber, wie grausam die Eroberer in der Neuen Welt mit den Ureinwohnern umgingen.
Doch Don Juan hatte diese Gerüchte nie für bare Münze genommen. Wo Politik betrieben wird, so hatte er sich gesagt, werden Wortgefechte eben manchmal mit unlauteren Mitteln geführt. Da war es dann leicht, dem politischen Gegner Dinge vorzuwerfen, die sich nicht so leicht nachprüfen ließen.
Und nun war es ausgerechnet Philip Hasard Killigrew gewesen, der ihm die Augen geöffnet hatte. Der Mann, den er jagen sollte, hatte ihm auf schockierende Weise Klarheit verschafft.
Was man den Mixteken angetan hatte, war zweifellos kein Einzelfall. Abgesehen davon, daß die Indianer kaum in der Lage waren, sich gegen die waffenstarrenden spanischen Truppen zur Wehr zu setzen, war es eine unvorstellbare Greueltat, Frauen, Kinder und alte Leute niederzumetzeln. Eben dies war aber mit dem Stamm der Mixteken geschehen. Und die wenigen Überlebenden hatte man in den Laderaum der „Golondrina“ gestopft, um sie bei Hofe in Madrid wie exotische Tiere zur Schau zu stellen.
Ekel und Abscheu befielen Don Juan de Alcazar bei dieser Vorstellung.
Capitán Churruca und seine Offiziere repräsentierten wahrhaftig die spanische Nation. Ja, das Geschehen auf der „Golondrina“ war beispielhaft für alles das, was sich in der Neuen Welt abgespielt haben mußte, seit die ersten Conquistadores ihren Fuß auf den Boden dieses Erdteils gesetzt hatten.
Nachträglich festigte sich Don Juans Überzeugung, daß er richtig gehandelt hatte, als er die fünf Geiseln von der „Isabella“ freiließ.
Was ihm Killigrew über das Verhalten der Spanier in der Neuen Welt gesagt hatte, konnte Don Juan nicht mehr mit einer Handbewegung abtun. Sollte es wirklich wahr sein, was dieser Engländer behauptete; der so völlig anders war als der blutrünstige Pirat, den man ihm beschrieben hatte?
Wenn Killigrew in vollem Umfang recht hatte, so überlegte Don Juan, dann trafen die gehässigen Beschreibungen, mit denen man ihn bedacht hatte, eher umgekehrt auf die Spanier zu, die in der Neuen Welt ihr viehisches Verhalten an den Tag legten.
Aber tief in seinem Inneren gab es noch immer eine nicht ganz verstummte Stimme, die sich gegen die offenkundigen Tatsachen sträubte. Fast wie ein Rest von Hoffnung war es, mit der er sich daran klammerte, daß die Greuelberichte nicht der Wahrheit entsprächen.
Aber hier, im Fall von Churruca und seinen Offizieren, wurde er unmittelbar mit dem Zynismus und der arroganten Dummheit seiner Landsleute konfrontiert.
Don Juan schüttelte die bohrenden Gedanken ab. Ein eisiges Lächeln umspielte seine Mundwinkel, als er den Capitán aus schmalen Augen fixierte.
„Angesichts einer solchen aufrechten Gesinnung müßte man wahrscheinlich vor Ehrfurcht ergriffen sein“, sagte er spöttisch. „Tut mir leid, Señor Churruca, wenn ich für Ihr Gebaren nicht den nötigen Respekt aufbringe. Wie dem auch sei – Sie täten gut daran, sich schon einmal zu überlegen, wie Sie die Vorkommnisse auf der ‚Golondrina‘ rechtfertigen wollen. Sollte es uns jemals gelingen, diese Insel unbeschadet zu verlassen und Kuba zu erreichen, werde ich dafür sorgen, daß eine peinlich genaue Untersuchung eingeleitet wird.“
Churruca lief krebsrot an.
„Was für Vorkommnisse?“ rief er fauchend. „Was für eine Untersuchung? Von was reden Sie?“
Don Juan glaubte ihm fast, daß er es nicht begriff. In seiner Borniertheit kam Churruca offenbar nicht einmal auf die Idee, daß die Mißhandlung der Mixteken etwas Ungerechtes gewesen war.
„Sie sind also der Meinung, daß es rechtmäßig war, was Sie den Indianern angetan haben?“
„Angetan?“ brüllte Churruca. „Ich habe sie so behandelt, wie es ihnen zusteht. Mit diesem Pack kann man nicht anders umspringen. Außerdem hatte ich meine Order.“
„An Bord der ‚Golondrina‘ hatten Sie die Befehlsgewalt“, widersprach de Alcazar. „Sie hätten es in der Hand gehabt, die Gefangenen wenigstens menschenwürdig zu behandeln. Aber anscheinend betrachten Sie die Mixteken nicht als Menschen.“
„Haargenau!“ schrie Churruca. „Endlich haben Sie es mal erfaßt. Kümmern Sie sich gefälligst nicht um Sachen, von denen Sie nichts verstehen.“
„Nun gut“, erwiderte Don Juan ruhig, „ich muß sagen, daß der Engländer richtig gehandelt hat, als er Sie in den stinkenden Laderaum sperrte. Und ebenso gerechtfertigt war es, Sie unter den Bugspriet zu binden.“
Churrucas Gesichtsfarbe wechselte vom ungesunden Rot in ein kalkiges Weiß. Minutenlang starrte er seinen hochgewachsenen Landsmann wutentbrannt an. Dann ruckte er herum.
Seine Stimme klang beinahe schrill, als er die Mannschaft der „Golondrina“ anfuhr: „Nehmt ihn fest, diesen Verräter! Ich werde dafür sorgen, daß er sich vor höherer Stelle zu verantworten hat. Festnehmen, sage ich! Ihn und seinen verdammten Haufen!“
Die Haltung der beiden Offiziere spannte sich an.
Doch bei den Mannschaften war keine Reaktion festzustellen.
Don Juan legte die Rechte auf den Knauf seiner Pistole. Ramón Vigil und die anderen duckten sich verteidigungsbereit. Immerhin verfügten sie über einige Pistolen und Messer.
Churrucas Oberkörper zitterte vor Zorn. Er ballte die Hände zu Fäusten.
„Habt ihr nicht gehört?“ schrie er. „Ihr verdammten Mistkerle, wollt ihr wohl gehorchen? Ihr seid in der Mehrzahl. Nehmt ihnen die Waffen weg und fesselt sie!“
Wieder gab es nichts als Stille. Die Männer von der „Golondrina“ waren wie eine schweigende Wand.
Unvermittelt trat einer von ihnen vor, ein stämmiger Mann, in dessen Gesichtszügen Offenheit und Ehrlichkeit zu lesen waren. Er blickte Don Juan an.
„Mein Name ist Felipe Torres, Señor de Alcazar. Ich war Bootsmann an Bord der …“
Churruca schnitt ihm keifend das Wort ab.
„Schweig, du Hundesohn! Seit wann bist du diesem Feigling und Verräter Rechenschaft schuldig? Dein Capitán bin immer noch ich, verstanden?“
Torres verschränkte die Arme vor der Brust. Wie auf ein geheimes Kommando schoben sich die Männer hinter ihm näher heran und bildeten einen Halbkreis, dessen Drohung unmißverständlich war.
Churrucas Unterlippe sank nach unten. Den Mund offen, starrte er seine Crew entgeistert an.
„Hören Sie gut zu, Churruca“, sagte Torres verächtlich. „Hier auf der Insel haben Sie uns nichts mehr zu befehlen. Außerdem haben wir wohl Besseres zu tun, als uns gegenseitig auf die Füße zu treten. Ansonsten sind die Männer und ich uns einig: Was Señor de Alcazar getan hat, muß man anerkennen. Er hat ein Blutbad vermieden. Das kann man ihm nicht hoch genug anrechnen.“
Die Mehrzahl der Decksleute nickte beipflichtend.
Churruca holte tief Luft und pumpte sich regelrecht auf, um dann von neuem loszuzetern.
„Seid ihr verrückt geworden, ihr elenden Strolche? Ihr untersteht immer noch meinem Befehl. Basta! Und wenn ihr dreckigen Bastarde das nicht kapiert …“
„Nein“, unterbrach ihn der Bootsmann kalt, „wir lassen uns von Ihnen nicht schikanieren, Churruca. Sie können von mir aus tun und lassen, was Sie wollen. Aber die Männer und ich werden jetzt die Insel erkunden. Wir haben nämlich nicht vor, die Hände in den Schoß zu legen. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit. Zum Beispiel könnten wir ein Floß bauen. Holz ist ja genug vorhanden. Aber ich bin sicher, daß wir Sie nicht mitnehmen werden, Capitán. Und Ihre Offiziere bestimmt auch nicht.“
Churruca atmete heftig ein und aus. Es hatte den Anschein, als würde er jede Sekunde auseinanderfliegen – wie ein zu prall gefüllter Wasserschlauch.
Carlos Antibes, der Zweite, sprang in die Bresche.
„Das ist Meuterei!“ brüllte er. „Dafür werdet ihr hängen!“
Felipe Torres verzog das Gesicht zu einer geringschätzigen Grimasse. Er spie aus.
„Sparen Sie sich Ihr dämliches Gequatsche, Antibes. Seien Sie froh, wenn wir Ihnen nicht das Fell über die Ohren ziehen.“
Der Zweite Offizier erstarrte. Er holte Luft, und brachte doch keinen Ton hervor.
„Torres, seien Sie vernünftig“, sagte der Erste schneidend. „Noch haben Sie die Chance, sich eines Besseren zu besinnen. Beugen Sie sich dem Kommando von Capitán Churruca. Sicher wird er Ihnen das später anrechnen, und die Strafe wird entsprechend geringer ausfallen.“
Churruca knurrte zustimmend und ließ sich zu einem gnädigen Nicken herab.
Einige der Männer, die sich hinter dem Bootsmann zusammengeschart hatten, begannen zu lachen.
Don Juan und seine Gefährten verfolgten das Geschehen mit wachsender Spannung. Wie groß würde die Zahl jener Decksleute sein, die sich von Churruca und seinen Offizieren beeindrucken ließen?
Felipe Torres wandte sich zu den Männern um.
„Ihr habt das Gefasel gehört“, sagte er. „Ich will keinem von euch etwas vorschreiben. Wer glaubt, daß er dem Capitán in den Hintern kriechen muß, der soll es jetzt tun. Aber wer einen Funken Verstand im Schädel hat, der sollte wissen, daß wir zu unserer Rettung etwas unternehmen müssen.“
„Meuterer!“ schrie Churruca. „Wer hier meutert, hat mit keiner Gnade zu rechnen.“
Torres wirbelte herum. Seine Bewegung ließ den Capitán zusammenzucken.
„Es reicht jetzt, Churruca“, knurrte der Bootsmann. „Halten Sie das Maul, oder Sie kriegen eins auf Ihre aufgeblasene Rübe.“
Churrucas Wangenmuskeln begannen zu flattern. In seinen Mundwinkeln zuckte es unkontrolliert. Hilfesuchend stierte er seine Offiziere an. Antibes und de Simon standen geduckt und abwehrbereit. Doch sie wagten nicht mehr, gegen die Männer noch den Mund aufzureißen. Sie hatten begriffen, wer hier den stärkeren Part spielte.
„Also los!“ rief Torres. „Wir gehen nach Norden und sehen uns auf der Insel um.“ Ohne ein weiteres Wort marschierte er los. Im Vorbeigehen nickte er Don Juan de Alcazar und den anderen zu.
Die Mehrzahl der Decksleute schloß sich dem Bootsmann spontan an. Vierunddreißig, einschließlich Torres, waren es schließlich, die sich in langer Formation vom Strand entfernten.
„Alle Achtung“, murmelte Ramón Vigil, „die haben wenigstens so was wie Rückgrat.“
Don Juan nickte und betrachtete jene, die zurückgeblieben waren.
Sechs Mann. Der Wortführer, ein gedrungener Mann mit unstet flackernden Augen, verneigte sich vor Churruca und den Offizieren.
„Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Capitán, wir haben mit den Meuterern nichts im Sinn. Selbstverständlich hätten wir uns nie gegen Ihre Befehle aufgelehnt. Jetzt, nach dem uns Torres nicht mehr bedroht, kann ich das ja ohne Gefahr sagen.“
Die anderen nickten in unterwürfiger Zustimmung und senkten die Köpfe.
Don Juan empfand Abscheu beim Anblick dieser Speichellecker. Ramón Vigil und seinen übrigen Gefährten erging es nicht anders.
„Gut, gut“, sagte Churruca gnädig. „Dann besorgt mir erst einmal etwas zu essen. Die ganze Angelegenheit hat doch sehr an den Kräften gezehrt.“
„Jawohl, Capitán“, antwortete der Gedrungene hastig dienernd, „sofort, Capitán.“
Die sechs Duckmäuser rannten los und überschlugen sich fast dabei. In fieberhafter Hast liefen sie auf die Palmen zu. Kokosnüsse waren das einzige Nahrungsmittel, das man sich auf der Insel ohne größere Mühe verschaffen konnte.
Don Juan gab seinen Männern einen Wink. Angewidert wandten sie sich ab. Unbehelligt verließen sie den Strand der Bucht und wandten sich in südliche Richtung – dorthin, wo sie ihr leckes Beiboot versteckt hatten.
Ein ungutes Gefühl blieb trotz allem. Denn jetzt gab es zwei feindliche Lager auf der Insel – Churruca und seine Handlanger auf der einen und Don Juan und seine Gruppe auf der anderen Seite. Die dritte Gruppe unter Felipe Torres konnte man zumindest als neutral bezeichnen. Die Decksleute von der „Golondrina“ waren friedlich und vor allem gewillt, etwas zu ihrer Rettung zu unternehmen.
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