Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 399»

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Impressum

© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-807-2

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Burt Frederick

Kampf im Dunkel

In der Nacht vom 19. auf den 20. Juli 1594 muß Capitán Don Garcia Cubera, Führer eines Verbandes von sechs Kriegsgaleonen und vier Kriegskaravellen, begreifen, daß der Seezug gegen die Schlangen-Insel nicht so verläuft, wie es der dicke Gouverneur darzustellen beliebte. Ein völlig unbekannter Gegner hat aus dem Dunkel heraus zweimal zugeschlagen – und als erstes Opfer hatte er sich ausgerechnet das Flaggschiff „San José“ ausgesucht. Sollte das eine Warnung sein? Capitán Cubera weiß es nicht. Er weiß nur, daß hier etwas nicht stimmen kann, denn nur ihm und dem Gouverneur ist das Ziel dieses Kriegsmarsches bekannt, das im Osten bei den Caicos-Inseln liegt …

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Der Nachhall des Geschützdonners war über der See verklungen, und die Dunkelheit der Nacht verbündete sich mit dem unheimlichen Angreifer. So sehr sich die Ausgucks auf den Schiffen des spanischen Kampfverbandes auch bemühten, sie konnten in der Finsternis nicht einmal eine schattenhafte Bewegung erkennen.

Dennoch war Capitán Don Garcia Cubera überzeugt, daß es sich auch beim zweiten Angriff um ebenjenen unsichtbar gebliebenen Gegner handelte, der die Ruderanlage der „San José“ zerschossen hatte. Cubera hatte nicht zweimal hinhören müssen, um den Klang der Geschütze einstufen zu können. In beiden Fällen hatte es sich um kleinere Stücke gehandelt – Drehbassen und Vierpfünder bestenfalls.

Capitán Cubera und seine Offiziere standen über die Heckbalustrade gebeugt und starrten in die Dunkelheit hinaus. Was, um Himmels willen, war achteraus geschehen? Auch die Schiffszimmerleute verharrten wie versteinert. Auf der Heckgalerie des Flaggschiffs hatten sie behelfsmäßig Laternen angebracht, um die beschädigte Ruderanlage zu untersuchen.

Die Vermutung lag auf der Hand, und doch wollte es niemand so recht glauben: Sollte dieser unbekannte Höllenhund einen zweiten Angriff von achtern gefahren und sich diesmal das letzte Schiff des Verbandes ausgesucht haben?

Cubera wandte sich um, als er Schritte hörte, die sich hastig vom Achterdeck entfernten.

Im schützenden Kreis seiner fünf Lakaien watschelte Don Antonio de Quintanilla auf den Steuerbordniedergang zu. Einer der Lakaien eilte voraus, um dem Dicken von der Kuhl aus Hilfestellung zu geben. Cubera verzog das Gesicht zu einem verächtlichen Lächeln. Was er mit dem erlauchten Don Antonio in den Vergangenen Tagen erlebt hatte, war alles andere als erfreulich. Und jetzt zeigte sich der Feiste wieder einmal von einer Seite, die einem geradlinigen Mann wie Capitán Cubera ein Gefühl der Übelkeit bescherte.

Doch Cubera hatte keine Zeit, sich in diesem Augenblick schon wieder mit de Quintanilla zu befassen. Dessen Anwesenheit an Bord des Flaggschiffs war ihm sowieso ein Dorn im Auge. Er hatte dem blasierten Kerl bereits kräftig den Marsch geblasen.

Unmittelbar nach dem Angriff auf die „San José“ hatte Capitán Cubera erhöhte Gefechtsbereitschaft angeordnet. Überall auf den Decks standen die Geschützmannschaften und Seesoldaten wie auf dem Sprung. Offenbar war die Order allerdings nicht rechtzeitig bis zur Schlußposition des Verbandes durchgedrungen. Denn weder Cubera noch seine Offiziere hatten den vertrauten Klang eigener Geschütze vernehmen können. Und das wiederum bedeutete, daß der unbekannte Angreifer mit dem Teufel im Bunde stehen mußte.

Etliche der Männer auf den Decks hatten sich denn auch insgeheim bekreuzigt. Es war schon eine beträchtliche Nervenbelastung, in die Dunkelheit starren zu müssen und nicht zu wissen, wann und aus welcher Richtung der unbekannte Gegner erneut zuschlagen würde. Keiner der insgesamt zweitausend Männer dieses Kampfverbandes scheute davor zurück, einem Feind ins Auge zu blicken. Davon war Cubera überzeugt. Wenn er auch selbst nicht an Teufel und Höllenspuk glaubte, so konnte er den Männern doch nachempfinden, daß ihnen verdammt unwohl in ihrer Haut war.

Von den achteraus liegenden Galeonen ertönten Rufe. Die Anspannung, die die Besatzungen der Schiffe bis eben noch erfaßt hatte, löste sich. Eine Jolle von der Kriegskaravelle „Gaviota“ war unterwegs zum Flaggschiff. Da die „Gaviota“ die Schlußposition des Verbandes einnahm, erfuhren die Crews der übrigen Schiffe nun bereits durch Zuruf von den Rudergasten der Jolle, was sich ereignet hatte.

Auch Capitán Cubera und seine Offiziere hörten es, noch bevor die Jolle das Heck der „San José“ kreuzte und an der Leeseite längsseits ging. Cubera verzichtete dennoch nicht darauf, den Ersten Offizier der Karavelle über die Jakobsleiter aufentern zu lassen, damit er ihm einen ausführlichen Bericht erstattete.

Dann, als der Erste der „Gaviota“ mit knappen Worten das Geschehen meldete, hatte Cubera die Bestätigung dessen, was ihm ohnehin schon geschwant hatte. Der Angriff auf die Karavelle hatte sich fast haargenau nach dem gleichen Muster wie im Fall der „San José“ abgespielt. Auch bei der „Gaviota“ war die Ruderanlage erheblich beschädigt.

„Was sagen Ihre Schiffszimmerleute?“ fragte Cubera knapp.

„Nach ersten Feststellungen dürfte der Schaden mit Bordmitteln zu beheben sein, Señor Capitán“, erwiderte der Erste Offizier der Karavelle. „Allerdings wird eine Reparatur nur bei Tageslicht möglich sein. Die ‚Gaviota‘ hat ein Ersatzruder an Bord.“

Capitán Cubera nickte gedankenverloren.

„Danke“, sagte er nach einem Moment. „Begeben Sie sich wieder auf Ihren Posten. Und teilen Sie den Kommandanten der übrigen Schiffe mit, daß die erhöhte Gefechtsbereitschaft uneingeschränkt bestehenbleibt.“

Der Offizier salutierte, vollführte eine Kehrtwendung und verschwand aus dem Lichtkreis der Hecklaterne. Wenig später war sein knappes Kommando zu hören, als er die Achterducht der Jolle eingenommen hatte. In zunehmend rascherem Rhythmus tauchten die Riemenblätter ins kabbelige Wasser.

Cubera blickte der kleinen Laterne der Jolle nach. Der Lichtpunkt bewegte sich schwankend, doch wie von einem unsichtbaren Tau gezogen nach achteraus durch die Dunkelheit. Die hellen Kreise der Schiffslaternen veranschaulichten den unzureichenden und fast lächerlich wirkenden menschlichen Versuch, die Dunkelheit der Nacht zu durchdringen. Abermals erklangen Stimmen, als der Erste Offizier der Karavelle den Wiederholungsbefehl des Verbandsführers weitergab und die entsprechenden Bestätigungen von den Decks erhielt.

„Señor Rodrigo“, wandte sich Capitán Cubera mit metallisch klingender Stimme an einen der Männer auf der Heckgalerie. „Wie sieht es aus da unten?“ Cubera hatte sich nie für zu erhaben gehalten, selbst mit den Decksleuten und sonstigen Crewmitgliedern in der ihnen vertrauten einfachen Sprache zu reden. Auch das war ein Punkt, der dazu beitrug, daß er als Vorgesetzter uneingeschränkten Respekt genoß. Niemand nannte ihn hinter seinem Rücken einen eingebildeten Laffen. Niemand spie verächtlich aus, wenn von ihm in seiner Abwesenheit gesprochen wurde.

„Nicht besonders gut, Señor Capitán“, antwortete Rodrigo, einer der Schiffszimmerleute. „Wir werden nicht drum herumkommen, ein paar neue Heckplanken einzuziehen. Bei Nacht ist das, mit Verlaub, unmöglich.“

„Danke“, sagte Cubera knapp, „Einsatz beenden, Señor Rodrigo.“

„Jawohl, Señor Capitán!“

Cubera wandte sich seinen Offizieren zu. Im Schein der Hecklaterne schimmerte sein graues Haar wie Silber. Die harten Furchen in seinem Gesicht verrieten, daß er über die Lage mehr als besorgt war. Cubera war ein Mann, der sich an den Realitäten orientierte. Mutmaßungen und Wahrscheinlichkeitsberechnungen hatten für ihn nur dann einen Sinn, wenn sie Bestandteil taktischer Überlegungen waren.

Und die Realität sah in diesem Fall so aus, daß sich die Dinge für den Kampfverband des Gouverneurs möglicherweise über Nacht zum Schlechten gewendet hatten. Über Nacht – im wahrsten Sinne des Wortes.

„Ich brauche Ihnen die Lage nicht noch einmal vor Augen zu halten, Señores“, sagte der Capitán. „Ich denke, wir wissen alle, woran wir sind. Alle Ausguckposten müssen besetzt bleiben. Die geringste Nachlässigkeit muß scharf bestraft werden.“

Die Offiziere nickten zustimmend. Erstens mußte man damit rechnen, daß der unbekannte Gegner noch einmal angriff. Zweitens war das Risiko für den Verband beträchtlich. Mit zwei Schiffen, deren Ruderanlagen beschädigt waren, blieb jedoch keine andere Wahl: Der Verband mußte weiter vor Treibanker liegen. Damit jedoch bot man sich einem etwaigen Gegner wie auf einem Präsentierteller an.

Der Erste Offizier der „San José“ räusperte sich.

„Was die Ausgucks betrifft, Señor Capitán“, sagte er gedehnt, „so bin ich der Meinung, daß die Kommandanten ihr besonderes Augenmerk auf einen bedauerlichen Umstand richten sollten. Diesen Umstand nämlich hat der unbekannte Gegner gleich zweimal ausgenutzt, was beweist, daß er sein Geschäft verteufelt gut versteht. Deshalb …“

„Zur Sache“, drängte Cubera. Der Erste hatte bisweilen einen Hang zur Langatmigkeit. Doch alles in allem war er ein absolut zuverlässiger Offizier, für seinen Rang an Bord der „San José“ in jeder Beziehung kompetent.

„Sehr wohl, Señor Capitán“, sagte der Erste steif. „Was ich bemerken möchte, ist: Die Ausgucks halten es leider kaum für nötig, ihre Aufmerksamkeit nach achteraus zu richten. Was dabei herauskommen kann, haben wir im Fall der beiden Angriffe soeben erlebt.“

Der Zweite Offizier meldete sich zu Wort, als er sah, daß Cubera offenbar noch nicht darauf eingehen wollte, sondern sich lediglich nachdenklich das Kinn mit dem Zeigefinger der linken Hand rieb.

„Naturgemäß verläßt sich jeder Ausguck auf seinen Hintermann, was nicht ganz unberechtigt ist. Ich meine, man sollte keinen Vorwurf daraus konstruieren.“

„Das ist auch nicht meine Absicht“, entgegnete der Erste. „Ich versuche nur, eine Erklärung dafür zu finden, daß dieser seltsame Angreifer in beiden Fällen unbemerkt auftauchen und auch wieder verschwinden konnte. Im Fall der ‚Gaviota‘ hatte der Ausguck nämlich keinen Hintermann, auf den er sich verlassen konnte.“

„Während für die ‚San José‘ das Gegenteil zutrifft“, ereiferte sich der Zweite. Er deutete auf die zweite Galeone, die sich hinter ihnen unter ihrem Laternenschein lediglich als Schattenriß abzeichnete. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Ausguck da drüben an Bord geschlafen hat.“

Capitán Cubera hob abwehrend die Handflächen.

„Señores“, sagte er beschwichtigend, „halten wir uns nicht länger mit ungefangenen Fischen auf. Alles Wenn und Aber ändert nichts daran, daß wir es mit einem raffinierten Gegner zu tun haben, der seine Vorteile zu nutzen weiß. Und der wichtigste Vorteil liegt nun einmal in der Dunkelheit. Wenn Sie die Sichtweite in Ihre Überlegungen einbeziehen, können Sie den Ausgucks nichts vorwerfen.“

„Und wie wollen wir uns dann gegen einen neuen Angriff schützen?“ erwiderte der Erste Offizier.

Cubera straffte sich.

„Ihre Diskussion, Señores, hat mir zumindest darüber Klarheit verschafft. Die Ausgucks allein reichen zur Sicherheit des Verbandes nicht aus. Folglich lassen wir von jedem Schiff eine Jolle aussetzen, die mit bewaffneten Seesoldaten bemannt wird. Aufgabe dieser Jollen ist, rings um den Verband Aufklärung zu fahren und uns gegebenenfalls abzuschirmen.“

Die beiden Offiziere wechselten einen Blick. Was ihr Capitán angeordnet hatte, klang so logisch und selbstverständlich, daß sie sich wie Einfaltspinsel fühlen mußten, zumal sie nicht selbst zu dieser Erkenntnis gelangt waren. Andererseits wußten sie jedoch, daß Cubera von ihnen niemals verlangte, seine Gedankengänge in jeder nur möglichen Situation nachzuvollziehen. Was seine Erfahrung als Seeoffizier betraf, war er ihnen um Jahre voraus, Jahre, in denen er an Seegefechten teilgenommen hatte, die schon jetzt fester Bestandteil der Kriegslehre waren.

Doch Capitán Cubera war nicht der Mann, der seine Untergebenen aufgrund dieser Tatsache etwa Überheblichkeit spüren ließ. Nein, sie wußten, daß ihm vielmehr daran gelegen war, seine Erfahrungen weiterzugeben und seine Männer von seinem reichen Erfahrungsschatz profitieren zu lassen.

Auf Cuberas Handzeichen hin preite der Zweite Offizier die hinter ihnen liegende Kriegsgaleone an und gab die Order bezüglich der auszusetzenden Jollen weiter. Gleich darauf ertönten die Rufe an Bord der übrigen Schiffe des Verbandes, und Minuten später wurden auf der „San José“ und der zweiten Kriegsgaleone bereits die Beiboote abgefiert.

Gemeinsam mit den beiden Offizieren begab sich Capitán Cubera auf das Hauptdeck des Flaggschiffs und überzeugte sich von ausreichender Bemannung und Bewaffnung der Jolle. Cubera inspizierte anschließend die Geschützdecks und hörte mit unbewegter Miene die Meldungen der Stückmeister.

Mit den geöffneten Stückpforten und den ausgerannten Culverinen glich die „San José“ zwar einer schwimmenden Festung, doch jeder halbwegs gerissene Gegner würde die Manövrierunfähigkeit der Galeone zu seinem Vorteil zu nutzen wissen. Die Feuerkraft der großen Geschütze bedeutete also im entscheidenden Fall herzlich wenig. Da mußte man sich schon eher auf die Drehbassen und auf die Musketen der Seesoldaten verlassen.

Bevor er auf das Achterdeck zurückkehrte, ließ sich Cubera auch von den Schiffszimmerleuten Bericht erstatten. Sie würden noch in der Nacht mit den Vorbereitungen für die Reparaturarbeiten des nächsten Tages beginnen. Dazu gehörte vor allem, schon jetzt das Ersatzruder aus dem Stauraum auf die Kuhl zu hieven. Desgleichen sollten Ersatzplanken und Werkzeuge bereitgelegt werden.

Alles Menschenmögliche war getan, um weitere Zwischenfälle zu verhindern. Mit dieser Gewißheit zog sich Capitán Cubera an die Heckbalustrade zurück und blickte auf die nachtdunkle See an Backbord hinaus.

Irgendwo dort draußen lauerte der Feind, dessen Motive Cubera unergründlich waren. Zumindest konnte sich jetzt niemand mehr an den Verband heranpirschen, ohne rechtzeitig gesichtet zu werden. Doch die Situation war insgesamt geradezu aberwitzig. Der Kampfverband war wie ein lahmgelegter Goliath, den ein vorwitziger David durch zwei lächerliche Kratzer zu Fall gebracht hatte.

Was hatte es mit diesem rätselhaften Zweimaster auf sich, den er wohl doch richtigerweise als eine Art Fühlungshalter eingestuft hatte? Immer wieder hatte sich Cubera diese Frage gestellt, seit er bei der Überprüfung jenes Zweimasters mehrere Männer verloren hatte.

Trotz aller blutigen Zwischenfälle wußte er noch immer nicht, mit was für einem Gegner er es zu tun hatte. Denn wer konnte letztlich einen Beweggrund dafür haben, sich mit einem stattlichen spanischen Kampfverband von nicht weniger als sechs Kriegsgaleonen und vier Kriegskaravellen anzulegen? Auf Anhieb wußte Cubera darauf nur die eine Antwort:

Dieser Engländer namens Killigrew und seine Komplicen, denen es in Kürze an den Kragen gehen sollte.

Doch bei dieser Überlegung gab es eine kleine Ungereimtheit: Woher sollte Killigrew in seinem Schlupfwinkel wissen, daß der Verband aus Havanna gegen ihn in Marsch gesetzt worden war? Nein, er konnte das auf keinen Fall wissen, völlig ausgeschlossen.

Es wollte Cubera nicht in den Kopf, daß es die zweimastige Schaluppe gewesen sein sollte, die aus dem Dunkel heraus ihre beiden Angriffe gefahren und die Ruderanlagen der „San José“ und der „Gaviota“ zerschossen hatte. Wenn es sich aber tatsächlich so verhalten hatte, dann waren die Gründe dafür mehr als schleierhaft. Warum, in aller Welt, sollte so ein Zwerg zehn schwerarmierte Kriegsschiffe angreifen, von denen schon jedes einzelne ihm haushoch überlegen war?

Sollte diese verrückte Vermutung dennoch zutreffen, konnte es sich bei der Besatzung des Zweimasters nur um Wahnsinnige oder um Lebensmüde handeln.

Don Garcia Cubera stand vor einem Rätsel. Was sich in dieser ersten Stunde des 20. Juli 1594 ereignet hatte, war in seiner Laufbahn als Seeoffizier ohne Beispiel. Er hatte selbst die tollkühnsten Angriffe geleitet und auch die waghalsigsten Angriffe von Gegnern erlebt. Doch er konnte in seinem Erinnerungsschatz soviel herumkramen, wie er wollte, es ließ sich nichts darin finden, was mit dem soeben Erlebten zu vergleichen war.

Cubera wußte jedoch, daß er über allem Herumrätseln die Fakten auf keinen Fall vergessen durfte. Dabei stand an erster Stelle die Tatsache, daß sein Flaggschiff und die „Gaviota“ manövrierunfähig und somit äußerst verwundbar waren.

Ein anderer Gedanke durchzuckte ihn: Was, wenn es den Schiffszimmerleuten wider Erwarten doch nicht gelang, die Ruderschäden zu beheben? Beide Schiffe würden dann zur Werft in Havanna zurückkehren müssen. Mußte das aber zwangsläufig bedeuten, daß das Unternehmen gegen den Seewolf mit nur acht Schiffen fortgesetzt wurde?

Schwere Entscheidungen standen in jedem Fall bevor.

Capitán Cuberas Ruhe auf dem Achterdeck wurde so unvermittelt gestört, daß er versucht war, einen Fluch auszustoßen.

Einer der Lakaien des Gouverneurs erschien mit vernehmlich schweren Schritten auf dem Steuerbordniedergang. Die mit prachtvollen Stickereien besetzte Montur des Mannes funkelte im schwachen Laternenlicht. Als er das Achterdeck erreichte, wandte er sich um und streckte hilfreich beide Hände aus.

Rosige Wurstfinger reckten sich von unten hoch und griffen zu. Der Lakai stemmte sich gegen die Planken und zog mit aller Kraft. Es war anzunehmen, daß ihn seine Kollegen am unteren Ende des Niedergangs unterstützten, indem sie das Lebendgewicht ihres Dienstherrn aufwärts stemmten.

Prustend und schnaufend erschien Don Antonio de Quintanilla in voller Leibesfülle im Blickfeld des Verbandsführers. Daß die eigenen Beine diesen Koloß noch zu tragen vermochten, war schon ein Wunder. Cubera verzog ärgerlich die Mundwinkel und konnte nicht umhin, sich den Dicken vorzustellen, wie er in ein paar Jahren in einer Sänfte durch die Gegend getragen wurde – wenn er sich nicht vorher überfraß und nach einem allzu üppigen Mahl den letzten Schnaufer tat.

Doch einen solchen Tod hatten ihm seine Feinde bislang vergeblich an den Hals gewünscht. Daran, daß es einige gab, die ihm ein möglichst baldiges Herzversagen gönnten, zweifelte Cubera nicht. Er hatte von Anfang an geahnt, zu welcher hinterlistigen Sorte dieses schwabbelnde Schwergewicht gehörte. Das verdeutlichten allein schon die stets flinken und dabei verschlagenen Augen, die hinter wulstigen Tränensäcken fast verschwanden.

Schon auf mehrere Schritte Entfernung wehte Cubera der betäubende Duft des Puders entgegen, mit dem de Quintanilla seine Perücke und das prunkvolle Wams einzustäuben pflegte. Sein Doppelkinn wogte bei jedem Schritt auf und ab. Drei Lakaien waren es diesmal, die seinen Begleitschutz bildeten.

Capitán Cubera stieß sich von der Heckbalustrade ab, trat einen Schritt vor und baute sich breitbeinig auf, indem er die Fäuste in die Hüften stemmte. Bei aller äußerlichen Lächerlichkeit, die von dem Koloß ausging, vergaß Cubera doch eines nicht: De Quintanilla verfügte auf Kuba nach wie vor über uneingeschränkte Macht. Zwar berührten seine Kompetenzen keineswegs die Admiralität, der Cubera unterstand, doch jeder halbwegs intelligente Mensch vermochte sich vorzustellen, auf welchen verschlungenen Wegen ein Mann vom Schlage dieses Gouverneurs seine Machtinteressen durchzusetzen verstand.

All das änderte aber nichts an Cuberas festem Vorsatz, sich von de Quintanilla nicht länger wie ein dienstbeflissener Lakai behandeln zu lassen.

Don Antonios Gesicht war schweißnaß und dunkelrot. Er keuchte, während er heranwatschelte und schließlich vor dem Capitán stehenblieb. Sein tonnenförmiger Bauch hob und senkte sich bei jedem Atemzug.

„Ich bin nicht bereit, diesen Saustall eine Minute länger zu ertragen“, sagte Don Antonio mit einer Stimme, die vor Ärger fast schrill klang. Er holte tief Luft, bevor er weiterredete. „Ich verlange, daß Abhilfe geschaffen wird. Sofort! Auf der Stelle! Haben Sie mich verstanden, Cubera?“

„Nein“, erwiderte der Capitán kalt.

Don Antonio sperrte den Mund auf, und er sah dabei aus wie ein fetter alter Karpfen, dem man das Wasser aus dem Teich abgelassen hat.

„Wie war das?“ ächzte er und blinzelte dabei.

„Ich sagte, daß ich nicht verstanden habe, von was Sie reden, Gouverneur.“ Capitán Cubera lächelte kaum merklich. „Wenn Sie die Güte haben, sich deutlicher auszudrücken, können wir Ihr kleines Problem sicherlich lösen.“

„Kleines Problem?“ rief de Quintanilla erbost. „Eine Riesenschweinerei ist das! Kein Mensch scheint es hier an Bord nötig zu haben, für Ordnung zu sorgen. Nennen Sie das etwa Disziplin? Ich verlange, daß in der Kapitänskammer sofort die zersplitterten Bleiglasfenster ersetzt werden. Niemand kann mir zumuten, daß ich in einem Raum wohne und schlafe, in dem es so fürchterlich zieht. Auch die vielen Glassplitter liegen noch herum. Die müssen ebenfalls sofort weggeräumt werden.“

Cubera glaubte, nicht richtig zu hören. Wie würde sich dieser Fettsack erst in einem richtigen Gefecht verhalten? Da würde er wahrscheinlich verlangen, daß man ihm die zum Salon umgebaute Kapitänskammer mit Watte polsterte, damit seine zarten Öhrchen den Geschützdonner nur gedämpft ertragen mußten.

„Haben Sie sonst noch Wünsche?“ fragte der Capitán eisig.

Don Antonio blinzelte abermals.

„Was fällt Ihnen ein?“ keifte er. „Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?“

Cubera konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

„Ich wäre sicherlich überfordert, wenn ich das versuchen wollte. Nun zu Ihrem Anliegen bezüglich der Fenster und der Glassplitter: Sie werden sich noch eine Weile gedulden müssen. Es gibt nämlich Arbeiten, die zur Sicherheit des Schiffes absoluten Vorrang haben. Sofort bei Tageslicht soll die Reparatur der Ruderanlage beginnen. Dazu werden jetzt die Vorbereitungen getroffen. Ich kann keinen einzigen Mann erübrigen.“ Letzteres entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, aber Cubera dachte nicht daran, auf die Nörgeleien des Fettsacks einzugehen.

Don Antonios Doppelkinn sackte weg, und er starrte den Capitán an – entgeistert, mit offenem Mund. Sein Atem roch süßlich, nach den kandierten Früchten, die er zum Zeitvertreib in sich hineinzustopfen pflegte.

„Das – das ist – Befehlsver…“, setzte Don Antonio schwer atmend an.

„Kein Wort mehr“, unterbrach ihn Cubera schneidend. „Über die Frage, welche Entscheidungsbefugnisse ich als Kapitän dieses Schiffes und als Verbandsführer habe, haben wir uns bereits ausführlich unterhalten. Wenn Ihnen die Zugluft so überaus unangenehm ist, dann siedeln Sie in die freie Kammer über, in der Sie Ihr Baljen-Bad genommen haben. Sie haben fünf Lakaien, genügend Hilfskräfte also, die Ihnen das neue Quartier herrichten können.“

Die Livrierten verzogen das Gesicht.

„Das kann nicht Ihr Ernst sein“, sagte Don Antonio, und seine Stimmlage war unvermittelt in Ratlosigkeit und Verzweiflung umgeschlagen. „Sie wollen mir doch nicht etwa zumuten …“

„Es ist keine Zumutung“, fiel ihm Cubera erneut ins Wort. „Die Sicherheitsbelange des Schiffes haben absoluten Vorrang. Wir befinden uns augenblicklich in erhöhter Gefechtsbereitschaft. Jederzeit ist ein erneuter Angriff des noch unbekannten Gegners möglich.“

Don Antonios Gesichtsfarbe wechselte vom Zornesrot in plötzliches Kreideweiß. Über die Sorge um seine Behaglichkeit hatte er allem Anschein nach an die Gefahr aus dem Dunkel überhaupt nicht mehr gedacht.

„Ja, äh – vielleicht haben Sie recht“, sagte er verwirrt. „Die Badekammer läßt sich sicherlich schnell herrichten.“

Capitán Cubera grinste, als der Gouverneur in aller Eile davonwatschelte und unter Deck verschwand. Natürlich hatte de Quintanilla begriffen, daß er in seinem Baljen-Gelaß sicherer war, da es nicht an einer Außenbordwand lag wie die Kapitänskammer.

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