Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 45»

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Impressum

© 1976/2013 Pabel-Moewig Verlag GmbH,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-362-6

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Es war ein Bild des Jammers.

Sie hatten die „War Song“ zusammengeschossen, daß die ehedem stolze Kriegskaravelle nur noch wie ein lahmer Hund dahinschleichen konnte.

Für Bootsmann Sullivan war das trotzdem kein Grund, in Wut auszubrechen. Denn die hatte er bereits an Sir John Killigrew ausgelassen, dem schlitzohrigen alten Halunken, der sich die Karavelle mit einem faulen Trick unter den Nagel gerissen hatte. Sullivan zwang sich, nicht mehr daran zu denken, denn sonst hätte er sich pausenlos selbst in den Hintern treten müssen.

Und verdammt, im Moment war sowieso keine Zeit, sich mit ‚Wenn‘ und ‚Aber‘ herumzuplagen.

Die fünfzehn Männer von der Stammcrew der „War Song“ schufteten, was das Zeug hielt. Der achtere Mast hatte Notsegel. Gleich durch den ersten Schuß von der „Isabella“ war die Gaffelrute aus ihren Halterungen gerissen worden und mitsamt Segel und Takelage an Deck gekracht. Und ehe sie Zeit zum Luftholen gekriegt hatten, war das Ruder der Karavelle zerschmettert worden. Anschließend hatten sie ihr den Rest gegeben. Aber diese Teufelskerle waren so schlau gewesen, die „War Song“ nicht zu versenken, auch wenn der alte Killigrew sich das Schiff unter Vorspiegelung falscher Tatsachen angeeignet hatte. Denn immerhin war und blieb die Karavelle ein Kriegsfahrzeug Ihrer Majestät, der Königin von England. Das hatten sie respektiert, die Himmelhunde.

Sullivan grinste, während er seine Befehle vom Deck des Achterkastells brüllte. Als ihm klar geworden war, daß der ehrenwerte Sir John alles andere vorhatte, als einen Beuteschatz sicherzustellen, der der Königin gehörte, hatte er dem alten Halunken ein Ding verpaßt, von dem dieser sich bis jetzt noch nicht wieder erholt hatte.

Und danach hatten sich die Männer von der „Isabella V.“ und der Schaluppe von ihrer anständigsten Seite gezeigt, hatten der „War Song“ ein Notruder gezimmert, die Lecks mit Bordmitteln ausgebessert und die Segel notdürftig geflickt.

Noch in derselben Nacht hatten sie Kurs auf Plymouth genommen. Träge wie ein fetter Lastkahn auf dem London-Fluß waren sie dahingekrochen.

Doch jetzt nicht mal mehr das.

Ein starker Nordost vereitelte alle Bemühungen. Seit Stunden kreuzte die Karavelle praktisch auf der Stelle. Drei Schritte vor, zwei zurück, wäre noch geprahlt gewesen. Mit dem Notruder war kein Staat zu machen, und die geflickten Segel bewirkten den Rest der Hilflosigkeit.

Allein sechs Mann waren pausenlos an den Pumpen im Einsatz. Ausbessern ist nicht Reparieren. Zwar lagen die Lecks allesamt oberhalb der Wasserlinie, doch bei jedem Überkrängen des Schiffes suppte es wie wild herein. Die Männer an den Pumpen waren voll beschäftigt. Kein Gedanke, daß sie dem Segelmacher auch nur zeitweilig zur Hand gehen konnten.

Die Hände geballt, starrte Sullivan auf die tief dahinjagenden Wolkenberge. Es war witzlos, sich weiter mit diesem elenden Nordost herumzuschlagen. Reine Kraftverschwendung.

Sullivan, der stämmige Haudegen mit den messerscharfen blauen Augen und dem vom Wind zerzausten blonden Haar, gab auf. Er kannte seine eigenen Grenzen.

Hol’s der Teufel, mit einer voll einsatzfähigen „War Song“ wäre er selbst bei diesem Nordost sämtlichen Meerjungfrauen quer über den Hintern gesegelt!

Aber er war vernünftig genug, zu wissen, wann es keinen Zweck mehr hatte, die Männer durch die Gegend zu scheuchen.

Mit Donnerstimme gab er Befehl, einen Treibanker auszuwerfen. Vier Männer hasteten zum Spill. Der Anker klatschte in einen heranrollenden Wellenberg. Kurz darauf stabilisierte sich die Karavelle.

Sullivan stieß ein zufriedenes Brummen aus. Jetzt hieß es abwarten, bis der Wind günstiger stand. Und sobald der Segelmacher die Notsegel durch neues, vollständiges Tuch ersetzt hatte, konnte die „War Song“ wieder zeigen, daß sie alles andere als ein lahmer Kasten war.

Es war eine höllische Art des Erwachens. Mit dem Bewußtsein setzte der Schmerz ein. Gerade so, als hieben tausend spanische Minensklaven mit ihren Hämmern drauflos, um seinen Schädel von innen her zu sprengen. Als seine Sinne allmählich klarer wurden, begriff Sir John, daß sein Kopf kein Bergwerk war. Sein Erinnerungsvermögen kehrte schlagartig zurück.

Ohnmächtige Wut packte ihn.

Gerade rechtzeitig besann er sich, diese Wut nicht hinauszubrüllen, obwohl es ihn reizte, die Trottel, die mit ratlosen Mienen auf ihn hinunter blickten, gehörig zusammenzustauchen. Aber da drang fremdes Gebrüll in sein Bewußtsein, kurze, präzise Kommandos von einem, der sein Handwerk verstand. Für Sir John wirkte es wie ein Signal. Dank der ihm eigenen füchsischen Gerissenheit erkannte er das Gebot des Augenblicks: Er durfte nicht lautstark auf sich hinweisen. Denn wie es aussah, hatte der Hurensohn von einem Bootsmann im Moment andere Sorgen, als sich um seinen Widersacher zu kümmern, den er auf die Planken geschickt hatte.

Sir John schüttelte den Kopf, um die Benommenheit loszuwerden. Sein Verstand funktionierte voll. Aber der hämmernde Schmerz wollte nicht weichen. Er blickte nach beiden Seiten und stellte fest, daß er auf dem Deck der Kuhl hockte, mit dem Rücken an den Großmast gelehnt. Sein Gesicht war dem Vorschiff zugewandt. Also war er zumindest durch den Mast vor Blicken von achtern geschützt.

Gut so.

Er hob den Kopf und musterte seine Männer. Einige duckten sich unwillkürlich, als sie die Eiseskälte seiner Augen spürten.

„Was gafft ihr so dämlich!“ rief er halblaut und fauchend. „Ist es so verdammt komisch, den General-Kapitän von Cornwall mit dem Hintern auf den Decksplanken zu sehen?“

Sie zogen die Köpfe noch ein Stück tiefer zwischen die Schultern und starrten auf eben jene Planken hinunter, als gäbe es dort etwas umwerfend Neues zu sichten.

Sir John unterdrückte sein Verlangen, sich aufzurappeln, um wieder als ganzer Kerl vor diesen Bastarden zu stehen, die es ohne sein Kommando nicht fertiggebracht hatten, die Karavelle unter Kontrolle zu behalten. Er mußte noch ein Weilchen ausharren, denn es hing jetzt alles davon ab, das Überraschungsmoment zu nutzen. Offenkundig hatte die Stammcrew der „War Song“ alle Hände voll zu tun. Es war also durchaus anzunehmen, daß ein Überrumpelungsversuch klappen würde. Dazu brauchte man nicht einmal die gesamte Crew auszuschalten.

„Seid ihr vollzählig?“ erkundigte sich Sir John leise, aber dennoch mit der unnachgiebigen Schärfe des Vorgesetzten.

„Jawohl, vollzählig, Sir John“, antwortete einer der Männer in der vordersten Reihe. „Wir haben sieben Verwundete, aber alle sind versorgt und einsatzfähig.“

Sir John Killigrew nickte gnädig. Zweiundzwanzig Mann. Rein zahlenmäßig waren sie der Stammcrew damit sowieso überlegen. Und immerhin – wenn man diesen zweiundzwanzig Bastarden nur die harte Faust zeigte und ihnen klipp und klar sagte, welche Richtung sie einzuschlagen hatten, dann parierten sie, dann konnte man sich auf sie verlassen. Letzten Endes stand und fiel alles mit den Fähigkeiten desjenigen, der die Befehle erteilte, Untergebene waren nichts weiter als Werkzeuge, die man nur richtig anpacken mußte. Sir Johns diesbezügliche Meinung wurde durch unerschütterliche Selbstüberzeugung gestützt. Daran änderten auch die Niederlagen nichts, die er gerade wegen dieser Meinung in der letzten Zeit hatte einstecken müssen. Für solche Erkenntnis war unter seiner Schädeldecke kein Platz.

„Wo steckt der Bootsmann, dieser Hurensohn?“ fragte er.

„Auf dem Achterdeck, Sir.“

„Wer ist bei ihm?“

„Nur der Rudergänger, Sir.“

„Und die anderen Strolche?“

„Ein Teil ist unter Deck an den Pumpen. Die meisten anderen helfen beim Segelflicken.“

„Gut, gut. Hört jetzt genau zu. Ich will, daß ihr euch den Bootsmann greift. Nur ihn. Keinen anderen. Und zwar muß das so plötzlich passieren, daß für seine Leute keine Zeit zum Nachdenken bleibt. Wenn die Kerle kapieren, was los ist, muß schon alles erledigt sein. Klar?“

„Jawohl, Sir.“ Die Männer nickten ergeben und diensteifrig.

„Auf mein Zeichen marschiert ihr los. Blitzschnell. Ihr greift euch, was ihr ’rumliegen seht. Belegnägel, Spaken, irgendwas. Und dann zeigt ihr dem Hurensohn auf dem Achterdeck, was es heißt, sich mit John Killigrew anzulegen!“

Sullivan hatte die Killigrew-Mannschaft zwar ständig im Blickfeld gehabt, aber er war zu angespannt gewesen, um ein wachsames Auge auf sie zu werfen.

Diese Erkenntnis traf ihn mit der Wucht eines Säbelhiebs.

Denn wie auf ein geheimes Kommando stürmten sie plötzlich los. Zweiundzwanzig Mann, die mit der Blindwütigkeit angestachelter Stiere in Richtung Achterdeck rasten. Auf dem kurzen Weg dorthin schnappten sie sich, was sie an Hiebwaffen finden konnten.

Sullivan schaffte es nicht mehr, seinen eigenen Männern einen Befehl zuzubrüllen. Er wich zurück, spürte die Oberkante der Heckbalustrade im Gesäß, und es war ein beruhigendes Gefühl.

Der Rudergänger starrte der heraufstürmenden Meute mit hochgezogenen Schultern entgegen. Seine Fäuste krampften sich wie haltsuchend um das Ruder. Aber ohne ein entsprechendes Kommando des Bootsmanns wagte er nicht, seinen Platz zu verlassen.

Die Killigrew-Männer stießen verfrühtes Triumphgeschrei aus. In breiter Front walzten sie heran, mit Belegnägeln, Spaken und teilweise mit Messern bewaffnet. Den Rudergänger beachteten sie nicht. Er hatte das Gefühl, die nebensächlichste Erscheinung der Welt zu sein.

Sullivan wußte, daß er gegen die Übermacht keine Chance hatte. Aber, zum Teufel, er war nicht der Waschlappen, der sich widerstandslos das Fell über die Ohren ziehen ließ. Wenn die Halunken das glaubten, dann hatten sie sich den Falschen ausgesucht.

Ohne auch nur ein Augenzwinkern lang zu zögern, riß Sullivan seine schwere Radschloßpistole aus dem ledernen Hüftgurt. Die kunstvoll gravierte Waffe war ein Beutestück, von einem deutschen Büchsenmacher in Nürnberg angefertigt.

Der Anblick des großkalibrigen Rohrs brachte die Meute für einen Moment ins Stocken. Das triumphierende Geschrei brach ab. Doch sie überwanden ihre Verwirrung überraschend schnell. Einer von ihnen, ein schwarzbärtiger Hüne, stieß sein Entermesser schräg in die Luft und gab damit das Zeichen, den Angriff fortzusetzten.

Nur noch vier Schritte trennten sie von dem Bootsmann.

Sullivan zielte auf den schwarzbärtigen Hünen und drückte ab. Das Rad schnurrte, mit klickendem Hahn schlug der Flint auf und sprühte Funken. Krachend entlud sich die schwere Waffe. Ein grellroter Feuerstrahl zuckte den Angreifern entgegen, gefolgt von einer mächtigen Wolke von Pulverdampf.

Entsetzensschreie gellten. Als sich der Pulverdampf senkte, sah Sullivan, daß dem Hünen das Gesicht fehlte. Und der Halunke hinter ihm schrie wie am Spieß. Die aufgepilzte Bleikugel hatte ihm einen blutigen Scheitel gezogen. Das Geschoß hatte folglich den Schädel des Hünen glatt durchschlagen.

Eigentlich war der Mann schon tot. Dennoch stand er noch erschreckend lange kerzengerade – wie ein unerschütterlicher Baum im Wind. Dann löste sich das Messer aus seinen Fingern. Klirrend fiel es auf die Planken. Es war wie ein Signal für die anderen. Während der Hüne vornüberkippte, stürmten sie weiter voran, und diesmal klang ihr Gebrüll wutentbrannt und rachelüstern. Der mit dem blutigen Scheitel blieb zurück, immer noch schreiend.

Sullivan packte die fast armlange Pistole am vorderen Ende des Laufes. Das Griffstück war mit einem schweren Messingknauf versehen. Eine Faust-feuerwaffe, wie sie für den Nahkampf nicht besser geeignet sein konnte.

Im Halbkreis drangen sie auf ihn ein. Belegnägel und Spaken wurden geschwungen. Sullivan versuchte, auszuweichen, so gut es ging. Er teilte mörderische Hiebe mit der Pistole aus. Einem der Kerle zerschmetterte der Messingknauf die Schädeldecke, einem anderen brach er den Schulterknochen.

Doch damit war die Widerstandskraft des stämmigen Bootsmanns am Ende. Er schaffte es nicht mehr, den Schlägen auszuweichen, die auf ihn niederprasselten. Denn zu wildentschlossen kreisten sie ihn jetzt ein. Es war unmöglich, noch die Pistole hochzureißen und weitere Hiebe auszuteilen. Gleich zwei, drei Männer hängten sich an seinen rechten Arm und rissen ihn nach unten.

Verzweifelt versuchte er, die Schläge der anderen mit dem linken Unterarm abzuwehren. Ein Spakenhieb vereitelte diesen Versuch. Sullivan hörte sich selbst aufschreien. Er hatte das Gefühl, daß sein Unterarm zerschmettert war. Glühende Schmerzen stachen bis in seine Brust.

Ehe er weiter reagieren konnte, krachte ein Belegnagel auf seinen Kopf. Für Sullivan war es wie eine Explosion, die alles auslöschte. Von zusätzlichen Fausthieben der triumphierenden Killigrew-Männer getroffen, sackte er in sich zusammen.

Er sah nicht mehr, wie sich ein mordlüstern verzerrtes Narbengesicht über ihn beugte, und er sah auch nicht den scharfen Stahl des Messers, das sich seiner Kehle näherte.

Sir John eilte behende auf das Deck des Achterkastells, noch bevor sich die Männer der Stammcrew von ihrem Schreck erholt hatten.

Er blieb an der vorderen Balustrade stehen, so daß sie ihn vom Deck der Kuhl und vom Vorkastell deutlich sehen konnten. Mit hoch erhobenem Arm gebot er Einhalt. Seine Stentorstimme hallte über das Schiff.

„Halt! Ohne meinen ausdrücklichen Befehl wird auf dieser Karavelle niemand getötet!“ Sir John Killigrew straffte seine Haltung, und er war überzeugt, einen nachhaltigen Eindruck bei der Stammcrew hervorzurufen. Nicht unbegründet, denn er war von bulliger Statur, groß und rothaarig, mit eisklaren hellblauen Augen, was alles in allem ein imposantes äußeres Erscheinungsbild ergab.

Ohne es sehen zu können, spürten die Männer von der Crew der „War Song“, welche Gefahr ihrem Bootsmann drohte. Sie hielten den Atem an und blickten wie gebannt zum Achterkastell hinauf. Keiner von ihnen wagte es, sich zu rühren.

Das Narbengesicht ruckte herum. Die übrigen Männer wichen beiseite und gaben für Sir John den Blick auf die Szenerie frei. Der Rudergänger harrte mit deprimierter Miene an seinem Platz aus. Der Mann, dem Sullivans Bleikugel eine Furche in die Schädeldecke gerissen hatte, hockte leise wimmernd auf den Planken.

Mit der freien Hand zeigte der Narbige anklagend auf die Toten – den Hünen, dem das Gesicht fehlte, und den anderen, dem der Messingknauf der Radschloßpistole die Schädeldecke zertrümmert hatte.

„Sir, der Drecksack hat zwei von uns abgemurkst! Dafür muß er ...“

Killigrew unterbrach ihn mit einer ausladenden Handbewegung.

„Werft die Toten über Bord, Männer! Der Bootsmann hat sich seiner Haut gewehrt. Es war ein offener, ehrlicher Kampf. Jetzt ist dieser Kampf vorbei. Wir haben keinen Grund, den Mann abzustechen wie eine hilflose fette Sau.“

Der Narbige wagte nicht, zu protestieren.

Achselzuckend richtete er sich auf und verstaute das Messer in seinem Gürtel. Dann packte er mit zu, als drei Männer herbeieilten. Mit kräftigem Schwung warfen sie die beiden Toten über Bord. Den klatschenden Aufschlägen der leblosen Körper folgte eine bedrückende Stille.

Sir John nutzte den Moment, um seine Ansprache fortzusetzen.

„Herhören, Männer!“ Er wandte sich halb in Richtung Bug. „Ich meine vor allem euch, von der Crew der ‚War Song‘. Euer Bootsmann hat sich ein bißchen vergaloppiert. Aber ich nehme ihm das nicht weiter krumm. Er konnte die Dinge nicht überblikken und die wahren Hintergründe nicht erkennen. Für mich ist es deshalb verständlich, daß er den Bastarden von der ‚Isabella‘ auf den Leim gegangen ist. Ich werde später darüber befinden, ob und wie er dafür zur Verantwortung gezogen werden soll. Im Augenblick zählt nur eins: das zu tun, was zu tun im Sinne Ihrer Majestät das Richtige ist. Deshalb übernehme ich ab sofort wieder das Kommando über dieses Kriegsschiff. Wenn einer von euch etwas dagegen einzuwenden hat, dann soll er sich jetzt zu Wort melden.“

Sir John blickte auffordernd in die Runde. Die Männer auf dem Vordeck und auf dem Deck der Kuhl wechselten halblaute Worte. Aber schon an ihren Gesichtern las Killigrew ab, daß seine Rede nicht die beabsichtigte Wirkung verfehlte. Was den Bootsmann betraf, hatte er sich generös gezeigt, und das war genau der Punkt, der für die Crew der „War Song“ entscheidende Bedeutung hatte.

Überdies fühlte sich Sir John in seiner Eigenschaft als General-Kapitän von Cornwall immer noch als Autorität, was letztlich auch für die Crew ausschlaggebend war.

Keiner der Männer hob die Hand, niemand sprang protestierend auf.

Sir John Killigrew lächelte zufrieden. Es gab ein weiteres entscheidendes Moment in seinen Überlegungen, wobei er sich jedoch hütete, darüber ein Wort zu verlieren. Dieser Bootsmann war ein brauchbarer Kerl, und mit seinen seemännischen Fähigkeiten stach er jeden einzelnen der Killigrew-Männer aus. Sir John hatte das Gefühl, daß er diesen Mann noch gut brauchen konnte. Denn für das, was er sich vorgenommen hatte, war ein erfahrener Mann mehr als Gold wert.

Der alte Killigrew konnte nicht ahnen, daß er später einmal versucht sein würde, sich wegen dieser Entscheidung selbst ein Ohr abzubeißen.

„Sperrt ihn in eine Kammer im Achterkastell“, befahl er, indem er auf den bewußtlosen Sullivan deutete. „Sobald ich Zeit dafür habe, werde ich mich um ihn kümmern.“

Während vier Männer den Bootsmann wegschleiften, gab Sir John seine ersten Befehle an die Crew. Und beruhigt nahm er zur Kenntnis, daß seinen Anordnungen prompt Folge geleistet wurde.

Er ließ ankerauf gehen, scheuchte seine eigenen Männer vom Deck des Achterkastells hinunter auf das Deck der Kuhl und brachte sie auf Trab.

Sir John ließ alle Segel setzen und forderte den Segelmacher und seine Helfer auf, ihre Arbeit schleunigst fortzusetzen. Der Rudergänger zeigte, daß er sein Handwerk verstand. Trotz des dürftigen Notruders schwang die „War Song“ in einem geradezu eleganten Bogen herum. Wellen klatschten gegen die Bordwand, und in feinen Schleiern sprühte Gischt über das Vorschiff. Die Rahen knarrten ächzend. Kurz darauf standen die Segel voll, und die Karavelle gewann Fahrt.

Bei raumem Wind segelte die „War Song“ über Backbordbug nach Westen mit Kurs auf Falmouth.

Die Männer von der Stammcrew der Karavelle wagten nicht, sich gegen den Kurswechsel aufzulehnen. Sie hatten sich damit abgefunden, daß der alte Killigrew wieder den Ton angab, und sie rechneten nicht mehr damit, daß sich daran noch etwas ändern würde. Was er mit dem neuen Kurs beabsichtigte, war für jeden an Bord der „War Song“ eindeutig:

Sir John würde in Falmouth reparieren und dann die Verfolgung der „Isabella“ wieder aufnehmen.

In den Morgenstunden des 15. Februar 1580 lief die „War Song“ in den Hafen von Falmouth ein. An Land versammelte sich rasch eine Menschenmenge, während die Karavelle mit aufgegeiten Segeln an der Pier festmachte. Zwar waren die Notsegel inzwischen durch neues Tuch ersetzt worden, aber noch immer erinnerte das jammervolle Aussehen des Schiffes frappierend an ein von Wunden entstelltes Kriegsroß, das seine letzte Schlacht mit knapper Mühe lebend überstanden hatte.

Niemand unter den Neugierigen konnte wissen, daß die „War Song“ ihren Fortbestand einzig und allein der wohlkalkulierten Rücksicht ihrer Gegner verdankte. So gab es auch niemanden, der das würdevolle Gebaren Sir John Killigrews spöttisch belächelte. Nach außen hin war er der erfahrene Kapitän, der es offenkundig geschafft hatte, seine Männer und sein Schiff in einem mörderischen Gefecht bestehen zu lassen. Den wahren Sachverhalt kannte hier in Falmouth mit Sicherheit kein Mensch.

Breitbeinig, die Fäuste in die Hüften gestimmt, baute sich Sir John auf dem Deck des Achterkastells auf, und seine Donnerstimme war bis in die nahegelegenen Hafengassen zu hören.

„Beiboot abfieren! Trossen und Taljen klarieren! Anker fünfzig Yards nach Backbord ausbringen! Los, los, bewegt euch, ihr faulen Hunde! An die Kojen braucht ihr vorläufig nicht zu denken! Wir arbeiten Tag und Nacht durch, bis dieses Schiff wieder ein Prachtstück ist!“

Die Männer quirlten durcheinander. Die Mitglieder der Stammcrew zeigten Bereitwilligkeit und gaben dort die notwendigen Handreichungen, wo Killigrews Leute nicht auf Anhieb zurechtfanden. Sir John registrierte es mit Genugtuung. Es bestärkte ihn in seinem Stolz und gab ihm das Gefühl, daß seine Autorität kein bißchen angekratzt war.

Im Handumdrehen wurde das Beiboot zu Wasser gelassen. Sechs Mann pullten den Anker, dessen Trosse mittschiffs in Höhe des Schanzkleides durch eine Talje geschoren wurde, auf das Hafenbecken hinaus. Die Trosse wurde noch einmal durch eine Talje am Roring geschoren und anschließend zurück zur Talje an Bord geführt, nachdem sie den Anker ausgeworfen hatten.

Sir John ließ die Männer mit dem Beiboot längsseits in Wartestellung gehen.

„Zweite Trosse unter den Großmars!“ befahl er.

Zwei Mann aus der Stammcrew hasteten hinauf, daß es eine Freude war, ihnen zuzusehen. Der eine war groß, strohblond, breitschultrig, mit Muskeln bepackt, der andere einen halben Kopf kleiner, drahtig und gewandt wie eine Raubkatze. Die beiden arbeiteten geschickt und waren zweifellos gut aufeinander eingespielt.

Sir John beschloß, sich jeden Mann aus der Crew der „War Song“ nach und nach einzuprägen. Es würde sich auszahlen, wenn er die Eigenarten und die besonderen Fähigkeiten jedes einzelnen kannte.

Nachdem sie die zweite Trosse durch eine Talje unmittelbar unter dem Großmars geschoren hatten, scheuchte Sir John vier Mann mit der Trosse an Land und ließ sie an einem Poller in Höhe des Großmastes belegen. Als die Trosse mehrmals durch die Taljen geschoren worden war, ließ Sir John die Steuerbordleinen losmachen. Auf sein Kommando begannen die Männer am Handläufer der Ankertrosse mit ihrer schweißtreibenden Arbeit.

Langsam löste sich die „War Song“ von der Pier. Mit lautem „Hoool weg“ und „Hau-ruck“ brachten sich die Männer am Handläufer selbst in den richtigen Arbeitsrhythmus.

Sir John ließ die Karavelle auf diese Weise etwa zehn Yards nach Backbord verholen. Die Ankertrosse wurde festgezurrt.

„Ihr seid an der Reihe!“ brüllte der alte Killigrew zu den Männern am Poller hinüber.

Willig packten sie zu. Die Trosse, die schräg zum Großmars hinaufführte, straffte sich. Kurz darauf begann das Holz des Großmastes verdächtig zu knarren. Die Männer an Deck warfen die Köpfe in den Nakken und blickten mit zusammengepreßten Lippen zum Großmars, als erwarteten sie jeden Moment, daß der Mast unter der Zugkraft der Trosse zu splittern begann. Aber das protestierende Knarren des Holzes verlor sich, je größer die Belastung wurde.

Dann krängte die „War Song“ allmählich nach Steuerbord. Sir John begab sich an die Backbordbalustrade des Achterkastells und warf einen prüfenden Blick in die Tiefe. Die Lecks befanden sich knapp oberhalb der Wasserlinie. Die Hurensöhne an den Kanonen der verdammten „Isabelle“ hatten Maßarbeit geleistet. Das mußte Sir John trotz allem anerkennen. Er wartete, bis die Karavelle soviel Schlagseite hatte, daß sich die Lecks etwas drei Fuß hoch über der Wasserlinie befanden. Dann gab er den Männern am Handläufer der Trosse das Zeichen zum Stoppen.

Killigrew nickte zufrieden und stieg hinunter auf das Deck der Kuhl. Seine eigene Crew und die der „War Song“ blickten ihm erwartungsvoll entgegen.

„Wer ist der Schiffszimmermann?“ erkundigte er sich halblaut.

„Hier, Sir.“ Ein schwarzhaariger Riese mit kantigem Schädel und mächtigem Vollbart löste sich aus den hinteren Reihen und trat vor.

Sir John war gezwungen, zu dem Mann aufzublicken.

„Name?“

„Thomas Canter, Sir. Ich fahre seit zwei Jahren als Zimmermann auf der ‚War Song‘.“

„Gut, gut. Dann können Sie jetzt beweisen, daß Sie was von Ihrem Fach verstehen, Canter. Sie übernehmen das Kommando und teilen die Leute ein. Das gilt auch für die Männer, die ich mit an Bord gebracht habe.“

Keiner aus der Killigrew-Meute wagte es, zu murren. Über das Gesicht des riesenhaften Schiffszimmermanns glitt ein Lächeln.

„Aye, aye, Sir.“

„Wieviel Zeit brauchen Sie, Canter?“ erkundigte sich Sir John forsch. „Wenn Sie es für notwendig halten, können Sie in meinem Namen Hilfskräfte an Land anheuern.“

Thomas Canter überlegte nicht lange.

„Zwanzig Stunden, Sir“, lautete seine prompte Antwort, „übermorgen haben wir alle Schäden behoben.“

„In Ordnung“, sagte der alte Killigrew und nickte, „verlassen Sie sich darauf, daß Sie Dampf unter den Hintern kriegen, wenn Sie die Zeit überschreiten, Canter.“

Der Schiffszimmermann grinste nur.

„Eine Frage noch, Sir“, sagte er nach einem Moment des Nachdenkens.

Sir John hob auffordernd das Kinn.

„Was wird aus Sullivan, unserem Bootsmann?“

„Der bleibt vorläufig, wo er ist. Unter Bewachung, wie gehabt. Seht zu, daß ihr die Reparaturarbeiten zügig erledigt. Dann können wir uns irgendwann weiter über Sullivan unterhalten.“

Thomas Canter schwieg, seine Miene blieb unbewegt. Durch nichts ließ er erkennen, daß es ihm mächtig in den Fingern juckte, dieses alte Schlitzohr auf die Planken zu legen. So, wie Sullivan es vernünftigerweise schon einmal getan hatte. Aber Canter sagte sich, daß dies nicht die passende Gelegenheit war. Wichtig war jetzt allein, daß die „War Song“ wieder auf Vordermann gebracht wurde. Und dabei betrachtete es der Schiffszimmermann fast als nebensächlich, daß Sir John den Befehl für die Reparaturen gegeben hatte.

Ablandiger Wind trieb die Nebelschaden aus der Falmouth Bay hinaus auf das offene Meer. Durch den zerfasernden Nebel zog das hellere Grau des beginnenden Tages herauf.

Falmouth lag noch in tiefem Schlaf, als die „War Song“, von einer Schaluppe begleitet, am 17. Februar 1580 wieder auslief. Thomas Canter hatte seine Zeit eingehalten, ja sogar noch um eine knappe Stunde unterschritten. Sir John Killigrew fühlte sich etwa so, wie sich ein Landsoldat fühlen mußte, der das Muskelspiel eines frischen Pferdes unter dem Gesäß spürte.

Die Segel der Karavelle standen voll, der Bug hob und senkte sich sanft im mäßigen Wellengang. Nichts erinnerte mehr an die Schäden, die das Schiff im Gefecht mit der „Isabelle“ davongetragen hatte. Die „War Song“ bot einen stolzen Anblick, wie es sich für ein Kriegsfahrzeug Ihrer Majestät, der königlichen Lissy, gehörte.

Sir John warf nur einen kurzen Blick zurück. Die Feste Arwenack, hoch über dem Hafen von Falmouth, verbarg sich hinter Dunstschleiern im morgendlichen Zwielicht. In nervöser Unrast hatte Sir John dort, in der gewohnten Umgebung seines Familiensitzes, die zwei Tage und zwei Nächte verbracht.

Unruhig war er gleich nach seiner Ankunft auf Arwenack geworden. Als er erfahren hatte, was sich in der Nacht vom 12. auf den 13. Februar vor Pen-dennis Castle abgespielt hatte, war es mit seiner inneren Ausgeglichenheit vorbei gewesen. An Land kursierten die wildesten Geschichten über jene Nacht. In den Schenken überboten sich die Leute dabei, das Geschehen in immer leuchtenderen Farben auszumalen. Zwei „Geisterschiffe“, so hieß es, hatten den geplanten Überfall der Spanier auf Pendennis Castle verhindert – eine Galeone und eine Schaluppe!

Es hatte nicht viel Scharfsinn dazugehört, die entsprechenden Schlußfolgerungen anzustellen. Für Sir John stand fest, daß es sich bei den beiden „Geisterschiffen“ nur um die „Isabella“ und die dazugehörige Schaluppe gehandelt haben konnte.

Sir Johns eigene Schaluppe segelte im Kielwasser der Karavelle. Auf dem Achterdeck des einmastigen Fahrzeugs war im Zwielicht schemenhaft die Statur des Mannes zu erkennen, der das Kommando führte: Simon Llewllyn Killigrew, 26 Jahre alt und zweitältester Sohn Sir Johns.

Simon, von seinem Vater über die Geschehnisse unterrichtet, kochte vor Wut und Eifer fast über. Wut auf Old Shane, der Simons älteren Bruder Malcolm umgebracht hatte. Und Eifer, was die Jagd auf den Beuteschatz betraf, den Hasard, der elende Bastard, im Bauch seiner „Isabella“ gehortete hatte.

Gedankenverloren blickte Sir John Killigrew über das Vorschiff weg. Seine Vermutung, daß die „Isabella“ und die sie begleitende Schaluppe versuchen würden, sich zu verstecken, war hieb- und stichfest. Immerhin wußte Sir John dank der Erzählungen über die „Geisterschiffe“, daß Ben Brighton, der Bootsmann der „Isabella“, westwärts gesegelt war, und nicht nach Osten, um die Beute in London abzuliefern. Daraus resultierte, daß Brighton vorhatte, abzuwarten, bis er Nachricht über Tod oder Leben seines Kapitäns erhielt.

Sir John hatte nicht die geringste Ahnung, ob Hasard seine Kopfverwundung überstanden, oder ob er bereits das Zeitliche gesegnet hatte. Wenn es nach dem alten Killigrew ging, konnte der Bastard krepieren. Doch dieser Gedanke war zur Zeit eher nebensächlich.

An erster Stelle aller Überlegungen stand für Sir John die logische Schlußfolgerung, daß sich Ben Brighton mit den beiden Schiffen irgendwo verstekken mußte. Und für diesen Zweck waren die unzähligen Buchten an der Nordküste Cornwalls wie geschaffen. Dort, davon war Sir John überzeugt, würde er Brighton aufspüren und den Beuteschatz vereinnahmen. Für die Mannschaft der „Isabella“ hatte Sir John bereits das Todesurteil ausgesprochen. Vor allem Old Shane und der alte O’Flynn, die beiden Abtrünnigen, hatten diese Strafe mehr als verdient.

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