Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 503»

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Impressum

© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-911-6

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Burt Frederick

Der Teufel ist los

Es fehlte die harte Hand – und der Mob übernahm das Regiment

Die Letzten der „San Jacinto“ hatten die Flagge gestrichen, und Old Donegal O’Flynn gewährte ihnen großzügig freien Abzug. Elf Mann waren es noch unter Julio Acosta, die sich nunmehr auf zwei Flößen nach Süden absetzten – je sechs Mann auf einem Floß. Das eine Floß steuerte Acosta, das andere Prado, aber Prado und seine fünf Kerle hatten die Nase voll von Acostas Führungskünsten, und darum kündigten sie ihm die Gefolgschaft auf. So meinte jede Gruppe, ihr eigenes Süppchen kochen zu können, denn alle zwölf Kerle waren scharf auf die Goldbarren der „Viento Este“, die von Old Donegal und seiner Crew eingesackt und versteckt worden waren. In der Nacht versuchte die Acosta-Gruppe, die „Empress“ zu überfallen. Sie erlitt tödlichen Schiffbruch. Und gleiches passierte der Prado-Gruppe in der folgenden Nacht …

Die Hauptpersonen des Romans:

Alonzo de Escobedo – wittert Morgenluft, als er aus dem Gefängnis von Havanna fliehen kann.

Corda – der füchsische Gouverneurssekretär meint, ein eigenes Süppchen kochen zu können.

Don Luis Marcelo – der Capitán der Stadtgarde wird unvermutet aus seinem Trott gerissen.

Arne von Manteuffel – schickt eine Brieftaube zum Stützpunkt des Bundes der Korsaren.

Philip Hasard Killigrew – der Seewolf geht mit drei Schiffen in See und stößt auf die „Empress“.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Es war eine sonderbare Stimmung, die die ganze Stadt erfaßt zu haben schien. Etliche Einwohner Havannas schoben es auf das Wetter, das für sie, die sie in einer Hafenstadt lebten, besondere Bedeutung hatte. Da sie ausnahmslos ziemlich abergläubisch waren, werteten sie das Aussehen des Himmels als ein eindeutiges Zeichen.

Der Himmel über Havanna wollte nicht mehr aufklaren. Diesen Anschein hatte es jedenfalls. Dabei gab es nicht das winzigste Zeichen, das auf einen bevorstehenden Sturm hingedeutet hätte. Im Gegenteil, es wehte fortwährend ein derart laues Lüftchen durch die Gassen der kubanischen Hauptstadt, daß ältere Leute über Schweißausbrüche und Herzjagen klagten.

Die Hafendirnen stellten hingegen fest, daß ihre Dienste häufiger in Anspruch genommen wurden als gewöhnlich. Die Vergnügungssucht der männlichen Schenkenbesucher steigerte sich von Tag zu Tag. Das war beileibe nicht nur auf die längere Liegezeit der Schiffe zurückzuführen, die aus den ungünstigen Winden resultierte.

Es waren keineswegs nur Seeleute, die in diesen warmen Nächten dafür sorgten, daß viel Geld den Besitzer wechselte und Rum und Wein faßweise flossen. Auch jener Teil der Bevölkerung Havannas, der bei Tageslicht seltener anzutreffen war, ging verschwenderisch mit jenen Münzen um, die meist auf nicht ganz saubere Weise erworben worden waren.

Wüste Gelage in Bodegas und Cantinas, aber auch in Gassen und Hinterhöfen, waren die Folge.

Die Nächte in Havanna gehörten dem zwielichtigen Teil der Einwohner und den Seeleuten, die zu eben jener Kategorie paßten.

Den ehrbaren Bürgern der großen Stadt bereiteten all die absonderlichen Umstände dieser letzten Junitage des Jahres 1595 Unbehagen.

Sie registrierten eine gewisse aufmüpfige Stimmung unter dem gemeinen Volk, wie sie es zu nennen pflegten. Das mochte einerseits vom Alkohol herrühren, der ja bekanntlich in ungewöhnlichen Mengen genossen wurde. Hochwohlgeborenen Señoras geschah es, daß sie aus Hauseingängen oder Torwegen mit unflätigen Bemerkungen bedacht wurden, sofern sie sich in offenen Kutschen zur Schneiderin oder zu einem Nachmittagskränzchen fahren ließen.

Nach Einbruch der Dunkelheit wagten sich die Señoras nicht mehr aus dem Haus. Und in den Gesprächsrunden der Señores wurde immer häufiger der Ruf nach einer eisernen Hand laut, die in Havanna einmal gründlich aufräumen müsse.

Zusammengefaßt hatte die Stimmung des Pöbels etwas von einer frechen bis unverschämten Aufgekratztheit.

Der Alkohol mochte vordergründig dafür verantwortlich sein, und das Wetter mochte als Ursache herangezogen werden. Den Bürgern lief dennoch mancher Schauer über den Rücken. Denn deutlicher als sonst wurde ihnen in diesen Tagen bewußt, daß sie auf einem Pulverfaß lebten.

Das Pulverfaß war besagter Pöbel.

Die Lunte glomm nur nachts.

Doch wann würde diese Lunte auch bei Tage nicht mehr erlöschen?

Das Verhängnis für Havanna nahm seinen Anfang in den späten Vormittagsstunden des 20. Juni 1595.

Auf dem weiten Platz vor der Residenz herrschte die gewohnte Geschäftigkeit. Bauern aus der Umgebung und Händler aus der Stadt hatten schon früh ihre Plätze bezogen. Auf Tischen und Bänken boten sie ihre Waren an, die sie mit Handkarren, Pferdefuhrwerken oder auch nur auf dem gebeugten Rücken herbeigeschafft hatten.

Die Fruchtbarkeit des Landes zeigte sich in dem vielfältigen Angebot an frischen Früchten und köstlichem Gemüse. Welch gute Verbindungen eine Hafenstadt wie Havanna zu den übrigen Teilen der Welt hatte, bewiesen die Kleinhändler mit einer üppigen Pracht an Waren. Da dufteten Gewürze aus der Karibik und aus dem Fernen Osten. Da ließ Seide aus China die Augen der Señoras vor Entzücken leuchten, und kräftiges Leinen von den Webstühlen Spaniens mußte den eher sachlich prüfenden Handgriffen standhalten.

Von der Haarspange bis zum eleganten Schuhwerk, von den grünen Bohnen bis zu den Passionsfrüchten und von der fangfrischen Garnele bis zum soeben geschlachteten Ochsen gab es buchstäblich alles, was das Alltagsleben in den Bürger- und Adelshäusern angenehm machte.

Wie an jedem Markttag begannen Cisca Duarte und Graciela Bonardo um zehn Uhr mit ihren Vorbereitungen. Ihr mit Segeltuch überdachter Stand war von den Gehilfen der Señora Zinguala bereits aufgebaut worden. Señora Zinguala betrieb ein Speisehaus in der Nähe des Hafens. Mit ihrer Küche versorgte sie sowohl die Angestellten der Handelshäuser, Lagereien und Schiffsausrüster als auch jene Seeleute, die vom Essen aus der Kombüse genug hatten und einmal abwechslungsreiche spanische Kost an Land genießen wollten.

Der Stand auf dem Platz vor der Residenz war gewissermaßen ein Zweigbetrieb der klugen Señora. Denn sie hatte sehr genau erkannt, daß sie in der frühen Mittagsstunde einen Bedarf decken konnte, der sich in knurrenden Mägen von Marktleuten und ihren Helfern äußerte. Da sich der Stand mit den Kochfeuern in der Nähe des Tors zur Residenz befand, zahlten aber auch Besucher des Gouverneurspalastes zu den Kunden der beiden adrett gekleideten Mädchen.

In den großen Kübeln hatten sie an diesem Tag einen scharf gewürzten Eintopf aus roten Bohnen, Zwiebeln, Pfefferschoten, Tomaten, Speck und Ochsenfleisch zubereitet. Cisca überwachte die Kochfeuer und den Inhalt der Kübel, während Graciela die Näpfe füllte, austeilte, das Geld kassierte und darauf achtete, daß die Näpfe wieder zurückgebracht wurden.

Ihre Arbeit begann, als das Gedränge auf der Plaza nachließ und die meisten Marktstände ihr Warenangebot geräumt hatten. Eine gute Stunde lang hatten Cisca und Graciela alle Hände voll zu tun, und nur nach und nach wurde der Ansturm der Kunden geringer.

Es war bereits ein Uhr, als Graciela ihre Kollegin anstieß und mit einer verstohlenen Kopfbewegung aufforderte, einmal zum Portal des Gouverneurspalastes zu blicken.

Zwei Reiter schwangen sich dort von ihren Pferden. Das Fell der großrahmigen Tiere glänzte naß, Schaumflocken fielen von den Nüstern. Die Männer trugen Gardistenuniform und waren mit Säbeln und Pistolen bewaffnet. Zwei hochgewachsene, stattliche Burschen.

„Die sind nicht aus Havanna“, flüsterte Cisca, damit es keiner von denen mitkriegte, die den Stand umlagerten und den Eintopf aus den Näpfen löffelten.

„Natürlich nicht“, entgegnete Graciela und schüttelte den Kopf über die Einfalt ihrer Kollegin. „Erstens haben wir hier nicht solche Uniformen, und zweitens wären ihre Pferde nicht so abgehetzt, wenn sie aus unserer Stadt stammten.“

Cisca nickte und biß sich auf die Unterlippe. Auch Graciela schwieg jetzt. Beide Mädchen beobachteten voller Spannung, was sich beim Portal abspielte. Unter dem wolkenverhangenen Himmel wirkten der Palast und die Parkanlagen, von denen nur ein Teil durch das Tor zu sehen war, weniger prachtvoll als sonst.

Einer der beiden fremden Reiter ging auf die Palastwache zu. Er entfaltete ein Dokument, das der Posten aufmerksam studierte. Gleich darauf war ein militärisch barscher Ruf des Postens zu hören. Die Pforte im rechten Torflügel wurde geöffnet, und zwei einfache Soldaten erschienen, die die Pferde der Fremden übernahmen.

Der Mann, der das Dokument vorgezeigt hatte, gab seinem Gefährten einen Wink und betrat dann das Gelände der Residenz. Gleich hinter der Pforte wurde er von einem Offizier in Empfang genommen, der ihn auf dem Weg zum Palast begleitete.

Der zweite Reiter sah sich bedächtig um. Im nächsten Moment verspürten Cisca und Graciela Herzklopfen, als sie sahen, wie er in ihre Richtung blickte und sich seine Miene erhellte. Lächelnd und mit federnden Schritten, als hätte er plötzlich neue Energie gewonnen, bewegte er sich auf den Küchenstand der Señora Zinguala zu.

Die beiden Mädchen gerieten in Bewegung und hatten auf einmal große Eile, die schon zurückgegebenen Näpfe zu stapeln und mit dem Abspülen anzufangen. Dabei taten sie, als sähen sie den Fremden nicht.

Minutenlang stand er vor ihrem Verkaufstresen und beobachtete sie mit amüsiertem Lächeln. Dabei kümmerte er sich nicht um die neugierigen Blicke derer, die ringsherum im Stehen aßen oder sich auf leeren Kisten oder umgedrehten Bottichen niedergelassen hatten. Schließlich nahm der fremde Gardist seinen Helm ab und legte ihn mit vernehmlichem Poltern auf den Tresen.

Cisca und Graciela, beide dunkelhaarig und mit den rechten Rundungen am richtigen Fleck, konnten nun nicht anders, sie mußten aufblicken. Daß sich dabei ihr Herzschlag noch mehr beschleunigte, konnte der Fremde leicht erkennen, denn ihre Gesichtshaut nahm ein kräftiges Rot an. Die Ursache lag auch darin, daß der Fremde ein ausgesprochen gut aussehender Bursche war – groß, breitschultrig, schwarzhaarig, mit gepflegtem Oberlippenbart und markanten Gesichtszügen.

„Wenn die Señoritas einen Augenblick Zeit hätten, sich um ihre Kunden zu kümmern“, sagte er lächelnd und veranlaßte sie, sich den Rest zu denken, indem er lediglich die Stimme anhob und nicht weitersprach.

„Oh, Verzeihung, Señor“, sagte Cisca hastig und schlug sich mit den Fingerkuppen vor den Mund.

„Was darf es denn sein, Señor?“ fragte Graciela.

Er zog die Brauen hoch, und in seine Mundwinkel kerbte sich ein Anflug von Spott.

„Ich hätte nicht gedacht, daß Sie eine große Auswahl zu bieten haben. Nun, Señoritas, dann lassen Sie einmal hören, womit Sie einem müden Reiter zu neuem Mumm in den Knochen verhelfen können.“

Einige der Leute ganz in der Nähe lachten leise. Cisca und Graciela wurden diesmal puterrot. Graciela hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt.

Doch der fremde Gardist half ihnen aus der Verlegenheit, indem er auf einen der großen Kochkübel deutete und vernehmlich sagte: „Geben Sie mir das da. Das sieht besonders gut aus.“

Die Mädchen beeilten sich, ihn zu bedienen, und sie verzichteten darauf, ihm zu erklären, daß sich in allen Kübeln das gleiche Essen befand. Wahrscheinlich hatte er es ohnehin bemerkt. Nach und nach brachten die Leute ihre Näpfe zurück, und der fremde Gardist blieb als einziger am Stand der beiden Mädchen übrig.

„Mein Kamerad und ich“, sagte er gedehnt, „sind fremd in der Stadt. Und wir sind zum ersten Male in Havanna. Da würden wir uns natürlich freuen, wenn wir für heute abend jemanden hätten, der uns ein bißchen die Stadt zeigt.“

Er sah sie eindringlich lächelnd an, und beide Mädchen schlugen verlegen den Blick nieder.

„Wir haben eine Menge Gardisten in Havanna“, sagte Cisca nach einer Weile. „Da werden Sie doch einen Gefährten finden, der …“

„Nicht doch, nicht doch!“ rief der Fremde in gespielter Empörung. „Weder mein Kamerad noch ich haben vor, diesen Abend in Männergesellschaft zu verbringen.“ Er stellte seinen Eßnapf ab, stützte seine gebräunten Fäuste auf den Tresen und beugte sich vor. „Ich will Ihre und meine Zeit nicht mit Wortgeplänkel verschwenden, Señoritas. Deshalb frage ich Sie rundheraus: Hätten Sie beide Lust, uns heute abend Gesellschaft zu leisten?“

Um ein Haar hätten Cisca und Graciela sich zugezwinkert und angefangen zu kichern. Doch sie besannen sich, daß sie sich immerhin schon im heiratsfähigen Alter befanden und nicht mehr wie alberne Gänse zu gackern hatten.

„Da müssen wir aber erst Señora Zinguala fragen“, sagte Cisca vorsichtig.

„Wenn es weiter nichts ist!“ rief der Gardist und richtete sich wieder zu seiner stattlichen Größe auf. „Selbstverständlich werden mein Kamerad und ich ordnungsgemäß bei Ihrer Dienstherrin um Erlaubnis bitten. Einverstanden?“

Die beiden Mädchen wechselten nun doch einen Blick, und dabei lasen sie gegenseitig die freudige Aufregung in ihren Augen.

„Einverstanden“, sagte Graciela rasch.

Der Gardist strahlte vor Freude.

„Von wo kommen Sie?“ fragte Cisca, um ihn nicht vorzeitig zudringlich werden zu lassen.

„Aus Santiago de Cuba“, erwiderte er. „Wir haben den Weg ohne eine längere Pause zurückgelegt. Ohne Nachtruhe, Señoritas. Wegen der wichtigen Nachricht.“

„Eine wichtige Nachricht?“ fragte Graciela. „Etwas Geheimes?“

Er zog die Schultern hoch.

„Das weiß ich nicht. Wir dürfen die Nachricht nicht an Dritte weitergeben, nur an den zuständigen Beamten in der Residenz. Aber soviel kann ich sagen“, er beugte sich vor und senkte die Stimme zum Flüsterton, „es handelt sich um eine wichtige Nachricht über den stellvertretenden Gouverneur.“

„Don Diego de Campos“, hauchte Cisca ehrfürchtig, „der Generalkapitän?“

„Genau der“, erwiderte der Gardist.

„Was hat er denn mitzuteilen?“ fragte Graciela. „Es heißt, daß er im Einsatz gegen englisches Piratengesindel sei. War er erfolgreich?“

Der Gardist hob den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust, wobei er sich das erhabene Äußere eines Mannes gab, der mehr wußte als andere.

„Ich sagte, eine Nachricht über den stellvertretenden Gouverneur, nicht von ihm.“

Die beiden Mädchen sahen ihn mit großen Augen an.

„Was bedeutet denn das?“ fragte Cisca.

Er schüttelte den Kopf.

„Vielleicht verrate ich es euch heute abend, zu späterer Stunde. Aber wahrscheinlich wird es sich sowieso sehr schnell herumsprechen.“

2.

Der Offizier führte den anderen Gardisten aus Santiago de Cuba in jenen Flügel des Palastes, in dem sich die Administrationsbüros befanden. In einem kahlen Vorraum, der lediglich mit ein paar einfachen Stühlen und einem Tisch ausgestattet war, mußte der Gardist eine Viertelstunde warten, bis die Tür zum Nebenraum geöffnet wurde.

Ein buckliger Schreiber forderte ihn mit näselnder Stimme auf, einzutreten.

Erstaunt blieb der Gardist stehen, als er das große Büro betrat. Es war prunkvoll eingerichtet, mit schweren Vorhängen aus Samt und Brokat, mit dicken Teppichen und einem blattgoldverzierten Kamin. Die Möbel hatten ebenfalls Verzierungen aus Blattgold.

Der kleine Mann, dem das alles zu gehören schien, wirkte fast verloren in der Pracht des Raumes.

Er war ein dürres Männchen mit Puderlocken und einem Gesicht, das man nicht anders als füchsisch bezeichnen konnte. Mit einer herrischen Handbewegung forderte er den reitenden Boten auf, näherzutreten.

„Sie sind Señor Corda?“ fragte der Gardist sicherheitshalber. „Sie führen die Gouverneursgeschäfte in Abwesenheit von Don Diego de Campos in Ihrer Eigenschaft als Sekretär? Sie waren auch Sekretär von Don Antonio de Quintanilla und seinem Nachfolger Alonzo de Escobedo?“

Corda trommelte mit dürren Fingern auf dem Schreibtisch.

„Wenn Sie Ihre Befragung beendet haben, sagen Sie nur Bescheid“, entgegnete er in gespielt geduldigem Ton.

Der Gardist straffte seine Haltung.

„Verzeihung, Señor Sekretär, aber mein Vorgesetzter hat mich ausdrücklich angewiesen, mich zu vergewissern, wem ich die Nachricht überbringe. Es handelt sich nämlich um eine Nachricht von größter Wichtigkeit, die nur für den rechtmäßigen Stellvertreter des Gouverneurs bestimmt ist.“

Corda runzelte die Stirn.

„Wo befindet sich de Campos, wenn er diese Nachricht nicht entgegennehmen kann?“

„Er ist im Kampf gegen den berüchtigten Seewolf gefallen“, erwiderte der Gardist. „Eben das ist die Nachricht, die ich zu überbringen habe. Señor de Campos starb im Gefecht um die Hafenfestung von Santiago de Cuba. Den Engländern gelang es, anzugreifen und unseren Reihen große Verluste zuzufügen.“

Corda ließ sich in seinem Stuhl zurücksinken. Er brachte nicht sofort eine Antwort hervor und starrte den Boten nur fassungslos an.

„De Campos gefallen“, murmelte er tonlos, als müsse er die Worte wiederholen, um ihre Bedeutung richtig zu begreifen. Ungläubig schüttelte er den Kopf. Dann schob er die Ellenbogen auf die Schreibtischplatte. Er faltete die Hände, stützte das Kinn mit beiden Daumen und senkte sinnierend den Blick.

Minutenlang stand der Gardist da, ohne auch nur beachtet zu werden.

Plötzlich hob Corda wieder den Kopf. Mit gefurchter Stirn sah er den Boten an.

„Haben Sie ein Dokument?“ herrschte er ihn an. „Können Sie sich ausweisen?“

Der Gardist holte tief Luft, um seine Empörung nicht zu zeigen.

„Mit Verlaub, Señor, das habe ich bereits bei der Palastwache getan. Sonst wäre ich sicherlich nicht vorgelassen worden. Aber ich werde mich natürlich auch Ihnen gegenüber ausweisen, wenn Sie es verlangen.“

„Ich bitte darum“, sagte Corda schroff.

„Wie Sie wünschen, Señor.“ Der Gardist zog seine Legitimation unter dem Wams hervor, faltete das Papier auseinander und reichte es über den Schreibtisch.

Corda studierte das Geschriebene Wort für Wort. Dann hielt er das Siegel dicht vor die Nase, um es genau zu prüfen. Schließlich ließ er das Dokument sinken, und sein Blick richtete sich ins Leere. Alles stimmte. Dieser Mann war tatsächlich vom Generalkapitän in Santiago de Cuba geschickt und autorisiert worden, eine mündliche Nachricht zu überbringen, die aus Geheimhaltungsgründen nicht schriftlich fixiert worden war.

„De Campos gefallen“, sagte Corda noch einmal. „Dann ist es also wirklich wahr.“

„Verzeihen Sie, Señor“, sagte der Gardist standhaft, „welchen Grund sollte ich wohl haben, Ihnen eine Falschmeldung zu überbringen?“

Corda hob den Kopf und sah ihn mit seinem füchsischen Lächeln an.

„Junger Freund, ich zweifle nicht an Ihrer Ehrlichkeit und Dienstauffassung. Aber Sie ahnen nicht, mit welchen Listen in höheren Kreisen gelegentlich operiert wird. Und Ihnen dürfte klar sein, daß die Nachricht vom Tod des stellvertretenden Gouverneurs ein beträchtliches politisches Gewicht hat.“

„Selbstverständlich, Señor“, antwortete der Gardist mit einer angedeuteten Verbeugung.

Corda winkte ab.

„In Ordnung. Sie können jetzt gehen. Aber vergessen Sie nicht, daß die Geheimhaltungspflicht nach wie vor gilt.“

„Ich werde mich daran halten, Señor. Darauf können Sie sich verlassen.“ Der Gardist zögerte und räusperte sich schließlich.

Corda, bereits völlig in Gedanken versunken, blickte irritiert auf.

„Gut, gut, in Ordnung. Sie können gehen.“

„Wenn Sie erlauben, Señor, mein Dokument …“

Corda starrte das Papier an, als bemerkte er erst jetzt, daß er es noch immer in der Hand hielt. Mit einer ärgerlichen Miene, als verscheuche er eine lästige Fliege, stieß er es über die Schreibtischplatte. Der Gardist fing es auf, faltete es zusammen und verstaute es unter seinem Wams. Dann salutierte er, vollführte eine Kehrtwendung und marschierte mit harten Schritten hinaus.

Der bucklige Schreiber streckte den Kopf durch die noch offene Tür. Fragend sah er den Sekretär des Gouverneurs an.

Corda wedelte unwillig mit der Hand.

„Ich will jetzt nicht gestört werden, Lope. Von niemandem! Verstanden?“

„Si, Señor, wie Sie wünschen.“ Der Schreiber dienerte und zog die Tür hinter sich zu.

Corda beobachtete die sich schließende Tür, als handele es sich um einen äußerst interessanten Vorgang. Dann stemmte er sich aus dem Stuhl hoch und ging steifbeinig zu dem Schrank, in dem er einen kleinen Getränkevorrat für gelegentliche Besucher aufbewahrte.

Er goß Rum in ein Kristallglastrank einen Schluck und ging mit dem Glas zum Schreibtisch zurück. Wie flüssiges Feuer brannte sich das Getränk seinen Weg von der Kehle bis hinunter in den Magen. Er setzte sich wieder, nahm noch einen Schluck und stellte das Glas vor sich hin.

Die innere Wärme beseitigte ein gewisses Unbehagen, das er in den vergangenen Minuten empfunden hatte.

De Campos tot.

Himmel, im ersten Moment war eine solche Neuigkeit natürlich geeignet, auch den widerstandsfähigsten Mann zu erschüttern. Bei einer so schlimmen Nachricht konnte man den bevorstehenden Verdruß buchstäblich riechen.

Aber es galt, einen klaren Kopf zu bewahren. Corda begann, die Dinge in seinem Kopf zu sortieren. Er war nun in der Lage, seine Gedanken in gezielten Bahnen zu bewegen. Voller Zuversicht, daß er zur richtigen Entscheidung gelangen werde, leerte er das Glas.

Um den Posten des Gouverneurs von Kuba war es in der letzten Zeit höchst ungünstig bestellt. Corda hielt sich zunächst vor Augen, daß er inzwischen immerhin drei Inhaber dieses Amtes überlebt hatte. Wörtlich traf das zumindest im Fall de Campos zu.

Er, Corda, war bereits Sekretär und damit enger Vertrauter von Don Antonio de Quintanilla gewesen. Alonzo de Escobedo war der Nächste im Amt des Gouverneurs gewesen, und ihm war als Stellvertreter der Generalkapitän Don Diego de Campos gefolgt.

Und nun die Nachricht von dessen Tod.

Corda versorgte sich mit einem weiteren Gläschen Rum und gelangte zu der Ansicht, daß er Zeuge eines historischen Moments war. Nein, nicht nur Zeuge. Er gehörte zu den wesentlichen Entscheidungsträgern.

Teufel auch, vielleicht hingen die allerwichtigsten Entscheidungen sogar von ihm allein ab. Immerhin führte er in Abwesenheit des jeweiligen rechtmäßigen Gouverneurs die Geschäfte.

Richtigerweise hatte man ihm in dieser Funktion die Nachricht vom Tod des amtierenden Gouverneurs überbracht. Folgerichtig war, daß er daraus die Konsequenzen ziehen mußte. Etwas mußte geschehen.

Er faltete die Hände unter dem Kinn und blickte andächtig zur Zimmerdecke. Ohne sonderliche Mühe könnte er jetzt sich selbst in den Sattel des Gouverneurs schwingen. Die Fähigkeiten dafür hatte er.

Überhaupt, was war denn schon an Fähigkeiten erforderlich? Wenn er an den dicken Don Antonio dachte, fiel ihm fast überhaupt nichts ein. Bestenfalls List und Tücke. Nun – Corda grinste vor sich hin – mit Eigenschaften solcher Art war auch er reich gesegnet.

Sicherlich würde es ihm auch gelingen, jenen Personenkreis, der in Havanna den Ton anzugeben glaubte, von der Rechtmäßigkeit seiner Amtsübernahme zu überzeugen. Die Stadtgarde hatte er ohnehin hinter sich. Niemand konnte ihm also ernsthaft Schwierigkeiten bereiten.

Dennoch behagte ihm der Gedanke nicht, Gouverneur zu sein.

Denn ein solcher Posten hatte auch beträchtliche Nachteile. Man befand sich an exponierter Stelle, im Licht der Öffentlichkeit und war entsprechend angreifbar und verwundbar.

Sich hervorzutun oder gar das Großmaul zu spielen, war eine Eigenschaft, die Corda fehlte. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, mußte er sich eingestehen, daß er lieber im Hintergrund wirkte.

Er hatte es immer verstanden, seine Fäden zu ziehen, ohne daß die Beteiligten letztlich wußten, von wem sie in bestimmte Richtungen gelenkt wurden. Im Fall de Quintanilla hatte das besonders gut funktioniert.

Dem Dicken war es ausgesprochen lästig gewesen, sich mit den vielen bürokratischen Einzelheiten seiner Amtsgeschäfte zu befassen. Daher hatte er das meiste Corda überlassen und lediglich die erforderlichen Unterschriften geleistet. Nur in den Angelegenheiten, die seine persönliche Bereicherung betrafen, hatte de Quintanilla allein entschieden.

Eine solche Regelung, überlegte Corda, war eigentlich ideal.

Er mußte der Mann im Hintergrund sein.

Die graue Eminenz!

Dazu fehlte ihm nur die passende Marionette, die er in den Gouverneurssessel hieven mußte.

Letztlich entschied natürlich der Kronrat in Spanien, wer das Gouverneursamt in Havanna ausübte. Corda erinnerte sich sehr genau, welche wohlüberlegten Regelungen der verehrte Don Antonio de Quintanilla getroffen hatte, als er abberufen worden war, um im Mutterland die Würde eines Vizekönigs über Neu-Spanien entgegenzunehmen. Zum kommissarischen Verwalter des Gouverneursamtes hatte er Señor Alonzo de Escobedo bestimmt, der ursprünglich Hafen- und Stadtkommandant gewesen war.

Nun hatte es in der Folgezeit gewisse Unregelmäßigkeiten gegeben, wegen denen sich de Escobedo zu verantworten gehabt hatte. Don Diego de Campos war in seiner Eigenschaft als Generalkapitän ranghöchster Seeoffizier in Havanna gewesen, und er hatte demzufolge das Recht und die Befugnis gehabt, die Anordnung Don Antonios bezüglich de Escobedos über den Haufen zu stoßen. Seither saß de Escobedo im Stadtgefängnis ein.

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