Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 519»

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Impressum

© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-927-7

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Burt Frederick

Durch die Hölle des Yucatán

Marschziel Juchitán – und dann kommen die Spanier …

Der Mann verspürte ein sonderbares Brennen in den Augen. Er senkte die Lider, fuhr sich mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn, und gleich darauf war das Brennen wieder da. Es mochte an dem Schweiß liegen, der ihm aus allen Poren drang. Es war aber auch der Anblick der beiden Schiffe, der seinen erschöpften Körper zu unkontrollierbaren Reaktionen brachte. Seine Mundwinkel zuckten, und sein Herzschlag beschleunigte sich durch wilde Freude und grimmige Entschlossenheit.

Zwei Schiffe! Ein Dreimaster und ein Viermaster.

Sie hielten auf die Bucht zu, an deren Rand er mit seinen Compañeros im Dickicht lag. Es war ein geeigneter Ankerplatz für zwei Schiffe dieser Größe, die zudem einen Grund hatten, den Hafen des nahen Coatzacoalcos zu meiden.

Ignacio Verduro wußte, daß er sehr bald wieder völlig ruhig werden würde.

Die erste Aufregung mußte sich legen. Dann konnte er mit eiskalter Überlegung ans Werk gehen. Schon jetzt gab er dem Dreimaster den Vorzug.

Dieses Schiff mußte er haben!

Die Hauptpersonen des Romans:

Verduro – Der desertierte Sargento zieht sich ein Paar Stiefel an, die ihm um mehrere Nummern zu groß sind.

Muddi – Er ist zwar das Stinktier an Bord des Schwarzen Seglers, aber bei der Nachtwache paßt er auf wie ein Luchs.

Batuti – Der Riese aus Gambia paßt sich dem Urwald an, doch das menschliche Wild entgeht ihm.

Philip Hasard Killigrew – Der Seewolf und seine Männer versuchen, den Isthmus zu überqueren – bis sie auf Spanier stoßen.

Edwin Carberry – Von dem Profos und drei Arwenacks hängt es ab, die Niederlage ins Gegenteil zu verwandeln.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Verduro wandte sich seinem Unterführer zu, der neben ihm kauerte und das fleischige Grün der Blattpflanzen mit beiden Händen zu einem Sehschlitz teilte.

„He, Japato! Was hältst du von diesen beiden Schiffchen?“

Japato wandte den Kopf. Pockennarben ließen sein Gesicht rauh und zerklüftet aussehen. Er versuchte, das meiste davon mit einem Vollbart zu verbergen, doch es ließ sich nicht verheimlichen, welche tückische Krankheit ihn einmal befallen hatte.

„Spanier sind das nicht“, sagte er leise und grinste dazu.

Verduro grinste zurück und richtete sich langsam auf, wobei er den Sichtschutz einer Mangrove nutzte. Er war ein stämmiger, breitschultriger Mann – nur mittelgroß, doch von strotzender Kraft.

Das harte Gesicht hatte er glattrasiert, den kantigen Schädel bedeckte schwarzes Haar, das ungewöhnlich kurz geschnitten war. Verduro, das wußten seine Vertrauten, haßte nichts so sehr wie die Hochwohlgeborenen mit ihren langen Haaren, in denen sich seiner Überzeugung nach nur Läuse ansiedelten.

„Nein, keine Spanier“, entgegnete er und rückte seinen Gurt mit dem Säbel und der doppelläufigen Offizierspistole zurecht. Die kostbaren Stulpenstiefel, die er trug, stammten ebenfalls von jenem Schiffsoffizier, den er hatte töten müssen, um desertieren zu können. „Und wenn wir mit unserer Vermutung recht haben, Amigo, dann wird auch kein anständiger Spanier diese Leute vermissen – wenn sie spurlos verschwinden.“

Der pockennarbige Unterführer lachte.

„Anständige Spanier! Gibt’s die?“

Verduro sah ihn mit gespielter Entrüstung an.

„Natürlich! Es gibt doch uns!“

Japato brüllte los, krümmte sich und schlug sich vor Heiterkeit auf die Schenkel. Die anderen, die zu beiden Seiten im Dickicht ausharrten, blickten erstaunt herüber. Verduro gab das Zeichen zum Rückzug. Dem Unterführer befahl er, zwei Mann als Beobachtungsposten einzuteilen.

Eine halbe Stunde später trafen sie am Rand der weiter südlich gelegenen Bucht ein, in der ihre flachgehenden Schaluppen am Ufer vertäut lagen und von überhängendem Baummoos und Schlingpflanzen gut getarnt wurden. Der Lagerplatz befand sich auf einem schmalen Stück Strand, war aber von See her ebenfalls nicht zu erkennen.

Eine sichelförmig gekrümmte Landzunge verwehrte den Blick in die Bucht. Selbst aus der Entfernung von nur einer halben Seemeile hob sich der Schlupfwinkel der Deserteure nicht von der grünen Wand ab, die der Dschungel in diesem Küstenabschnitt westlich der Halbinsel Yucatán bildete.

Zwei Männer wollten sich um die Feuerstelle kümmern, wie sie es gewohnt waren. Verduro rief sie mit einem scharfen Pfiff zurück.

„Seid ihr verrückt?“ herrschte er sie an. „Was hattet ihr auf euren Augen, daß ihr nichts mitgekriegt habt? Oder fehlt euch was unter der Schädeldecke?“

Beide starrten ihn an und hatten den Mund dabei offen.

„Aber – wir – wir brauchen doch was zwischen die Zähne“, stotterte der eine. „Was zum Beißen, meine ich.“

Verduro griff sich an die Stirn und scheuchte die beiden mit einer wütenden Handbewegung in den Halbkreis der anderen, die sich bereits in den weichen Sand gehockt hatten. Er legte die Hände auf den Rücken. Japato nahm neben ihm Aufstellung, wie Verduro es bei einer Befehlsausgabe wünschte. Seine militärischen Gepflogenheiten hatte er nicht ablegen können, obwohl er der spanischen Seestreitmacht mit Freuden den Rücken zugekehrt hatte.

„Männer“, sagte Verduro forsch, „das Warten hat sich gelohnt. In einer Stunde, schätze ich, werden wir es genau wissen. Aber es scheint mir schon jetzt sicher: Diese beiden Schiffe da draußen halten auf die große Bucht zu. Ich will es mal so ausdrücken: Die gebratenen Tauben fallen uns sozusagen in den Schoß.“

Er bemerkte bei einigen der Kerle Stirnrunzeln und verstörte Blicke. Natürlich kapierten sie mal wieder nicht, um was es ging. Seesoldaten Seiner Allerkatholischsten Majestät wurden zum überwiegenden Teil ihrer Muskelkräfte wegen dienstverpflichtet. Verduro wußte aus Erfahrung, daß es mit dem Denken bei den meisten auch nicht weit her war.

„Wir werden ab sofort kein Feuer mehr machen“, fuhr er geduldig fort, bereit, es ihnen nun haarklein auseinanderzusetzen. „Durch den Rauch würden die Fremden uns entdecken. Ebensogut könnten wir aus der Bucht segeln, ihnen zuwinken und sie freundlich einladen, uns gefangenzunehmen.“ Die Kerle grinsten und kicherten. Ihre einfachen Gemüter brauchten solche dämlichen Beispiele. Verduro hatte sich immer wieder vorgenommen, das zu beherzigen, und jetzt bestätigte es sich erneut.

„Natürlich“, setzte er seine Ansprache fort, „können wir nicht zwei Schiffe dieser Größe segeln. Wir sind fünfzig Mann, das reicht für den Dreimaster, der sowieso der bessere Segler ist.“

Einer der Kerle sprang auf. Cerco, ein hitzköpfiger Andalusier. Sein Unterkiefer war eine krebsrote Hautmasse, auf der kein Bart mehr wachsen konnte. Eine Pistolenkugel hatte ihm vor Jahren das halbe Kinn weggeschlagen.

„Was soll denn das heißen?“ schrie er. „Fünfzig Mann reichen für den Dreimaster! Wie soll ich denn das verstehen, he?“

Japato stemmte die Fäuste in die Hüften. Breitbeinig stehend beugte er sich vor.

„Nicht diesen Ton!“ brüllte er. „Verduro ist unser Anführer. Wir haben ihn alle gewählt. Wer ihm keinen Respekt entgegenbringt, wird bestraft. Ist das klar?“

Bevor der aufgebrachte Andalusier zurückschreien konnte, winkte Verduro gelassen ab. Die Taktik hatte sich gegenüber den Einfaltspinseln bewährt. Japato spielte den harten Einpeitscher, damit er, Verduro, als Vorgesetzter Gelegenheit hatte, scheinbare Güte zu zeigen.

„Wir sind eine verschworene Gemeinschaft“, sagte er mild, „und aufeinander angewiesen. Wir sollten uns nicht gegenseitig an die Gurgel springen. Ich wiederhole, was ich euch schon ein paarmal erklärt habe. Mit unseren vier Schaluppen sind wir zwar beweglich und können uns in Schlupfwinkel verkriechen, die anderen unzugänglich sind. Aber es sind Küstenfahrzeuge, mit denen wir eine Ewigkeit brauchen, bis wir ferne Gewässer erreichen. Außerdem werden wir den spanischen Sicherheitseinrichtungen vor den größeren Hafenstädten nicht ausweichen können. Im übrigen verrate ich euch kein Geheimnis, wenn ich sage, daß überall in der Karibik und vor allem auch auf Yucatán die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt werden. Das Leben in dieser Gegend wird ungemütlich. Wir brauchen ein großes Schiff, Amigos, um uns weit in den Süden zurückzuziehen. Dort gibt es Land, das von Menschen noch unerforscht ist. Dort soll es die Goldene Stadt geben – und anderen unermeßlichen Reichtum. Männer, wir haben alle Chancen!“

Die meisten nickten in begeisterter Zustimmung. Doch da gab es auch die Zweifler und die Ängstlichen. Der schlimmste von ihnen war Cerco. Sein entstelltes Gesicht verzerrte sich zu einer wütenden Fratze.

„Das ist Wahnsinn!“ schrie er. „Zwei so große Segler haben ihre Besatzung. Dagegen sind wir ein lächerlich kleiner Haufen! Ebensogut können wir uns selbst erschießen oder erstechen! So einen Wahnsinn mache ich nicht mit. Und ich rate euch allen“, er warf flammende Blicke in die Runde, „euch nicht dazu verleiten zu lassen, wenn euch euer Leben lieb ist. Sind wir vielleicht von der Fahne gegangen, um nun erst recht Kanonenfutter zu werden?“

Die Unentschlossenen schüttelten heftig die Köpfe.

Verduro begriff, daß seine Güte-Taktik in diesem Fall nicht funktionierte.

„Ich erteile einen klaren Befehl“, sagte er schneidend. „Wenn die beiden großen Segler in der Bucht ankern, kapern wir den Dreimaster und versenken den Viermaster. Verstanden?“

„Niemals!“ schrie Cerco, der nun endgültig in Rage geriet. „Wir sind keine Befehlsempfänger mehr, und wir brauchen uns das nicht gefallen zu lassen!“

Verduros Stimme klirrte eiskalt. Plötzlich lag die schwere Doppelläufige in seiner Rechten.

„Tritt vor, Andalusier!“

Cerco erstarrte. Die hinter ihm oder unmittelbar neben ihm hockten, sprangen auf und entfernten sich geduckt, als müßten sie einer Kugel entrinnen.

„Das wagst du nicht!“ keuchte der Mann aus dem Süden Spaniens.

Verduro schüttelte mitleidig den Kopf.

„Nimm deine Befehlsverweigerung zurück“, entgegnete er. „Andernfalls muß ich dich auf der Stelle bestrafen.“

Die Schläfenadern des Andalusiers schwollen an.

„Wer bist du denn?“ brüllte er. „Wer glaubst du denn zu sein? Ich werde deinen närrischen Befehl nicht befolgen. Niemals! Und alle anderen, die noch ein bißchen Verstand im Kopf haben, werden es auch nicht tun!“ Beifallsuchend blickte er in die Runde.

Doch niemand wagte, ihn auch nur anzusehen.

Wütend wandte sich Cerco wieder, dem Anführer zu. Im selben Moment drückte Verduro ab.

Das Krachen des Schusses löschte alles aus – jede Bewegung, jeden Laut. In der glühend rot stechenden Lanze des Mündungsfeuers starb Cerco von einem Atemzug zum anderen. Die Wucht des Einschusses schleuderte ihn drei Yards weit zurück. Der Länge nach schlug er auf den weichen Sand.

Die übrigen Männer erstarrten zur Reglosigkeit. Niemand riskierte es, auch nur ein Flüstern von sich zu geben. Japato zog seine Pistole und richtete sich unmißverständlich auf jene, die für die aufrührerischen Worte des Andalusiers empfänglich gewesen waren.

Verduro begann unterdessen seelenruhig, den abgefeuerten Lauf seiner kostbaren Waffe nachzuladen. Jeder konnte sehen, daß seine Finger nicht zitterten, als er den Füllstutzen des Pulverhorns auf die Laufmündung hielt und anschließend die Kugel mit wenigen Stößen des Ladestocks in den Lauf trieb.

Dann, als könne er sich nach einer intensiven Nebenbeschäftigung nun erst wieder dem eigentlichen Geschehen zuwenden, hob er den Kopf und blickte in den stummen Halbkreis der Männer. Jene, die ihn lange genug kannten, wußten indessen, daß er sie keine Sekunde aus den Augen gelassen hatte.

„Ich sehe, ihr seid vernünftig“, erklärte er so leise, daß sie die Ohren spitzen mußten, um ihn zu verstehen. „Japato sagte es vorhin. Ihr habt mich gewählt. Darüber kann sich keiner hinwegsetzen, wie ihm das gerade paßt. Wenn ihr einen anderen als Anführer wollt, dann findet eben wieder eine Wahl statt. Nicht anders. Ist das endlich klar?“

Sie brummten zustimmend und hielten die Köpfe gesenkt. Keiner wagte, Verduro anzusehen. Seine Härte war so überragend wie seine Körperkraft. Man durfte ihn nicht durch eine Bewegung herausfordern, die er vielleicht falsch deutete.

„In Ordnung“, sagte Verduro mit lauterer Stimme, nachdem er eine Weile gewartet hatte. „Bringt den Aufrührer unter die Erde. Irgendwo im Dickicht, wo er auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Die Ehre, der See übergeben zu werden, hat er nicht verdient.“

Japato teilte sechs Mann ein, die das Grab auszuheben und zuzuschaufeln hatten.

2.

Die „Isabella“ und „Eiliger Drache“ hatten während der letzten zwölf Stunden einen stetigen Wind ausnutzen können, der aus nordöstlichen Richtungen wehte. Unter Vollzeug waren die beiden Schiffe des Bundes der Korsaren auf Kurs Westsüdwest gelaufen. Der Wikinger hatte bereits vor einer Viertelstunde Tuch wegnehmen lassen.

Nun begannen sie auch drüben auf dem Schiff des Seewolfs, die Fahrt zu verringern. Flink und geschickt wie Arwenack, der Schimpanse, enterten die Männer in den Luvwanten auf, um Bram- und Focksegel aufzumachen.

Zeternd und kreischend stieg ein buntschillerndes Federvieh vom Fockmars der „Isabella“ auf und nahm Direktkurs auf den Viermaster Thorfin Njals.

Wie ein schwirrender Pfeil schoß der Papagei in Marshöhe über die kristallklare Wasserfläche zwischen den Seglern.

Beim Großmast des Schwarzen Seglers blickte der Stör von der Nagelbank auf, die er soeben klariert hatte. Bevor er richtig begriffen hatte, was da heransauste, breitete Sir John schon die Schwingen aus und stemmte sich regelrecht gegen die Luft. Dabei streckte er die Krallen aus und landete zielgenau auf der rechten Schulter des Störs.

Der Mann mit dem ungewöhnlich langen Gesicht riß die Augen weit auf, was sein Gesicht noch länger erscheinen ließ.

„Paß auf!“ rief Eike, der mit der Nagelbank an Backbord beschäftigt war. „Gleich setzt er dir ein Andenken aufs Hemd!“

Die Männer an Deck lachten, und jene, die den Anflug des Papageis noch nicht bemerkt hatten, sahen nun, wie sich der bunte Vogel aufplusterte und neben dem hoch aufragenden Kopf des Störs von einer Seite zur anderen wiegte, als müsse er die richtige Position erst noch finden.

„Vogeldreck bringt Glück“, sagte Mike Kaibuk, das englische Schandmaul, und feixte dabei, daß seine Ohren wackelten.

„Und die Haare wachsen besser!“ ließ sich der Wikinger dröhnend vom Achterdeck vernehmen, wo er in seinem „Sesselchen“ ruhte und die muskulösen Beine lang ausgestreckt hatte. „Paßt auf, Leute, ich wette, der Flattermann setzt ihm einen Fladen oben auf seinen Torfkopp – da, wo’s am besten düngt!“

Die Männer grinsten und lachten, doch der Stör stand noch immer andächtig da und rührte sich nicht. Seine geweiteten Augen starrten nach wie vor in die Richtung, aus der Sir John herangesaust war.

„Der hat wohl Angst vor dem Vieh“, flüsterte Muddi und rieb sich das Kinn mit einer Hand, deren Hautfalten schwarze Linien bildeten. Er galt als der dreckigste und einzige Schmierfink an Bord, und niemand hörte seine Bemerkung, da seine Nähe im allgemeinen aus Gründen der Geruchsbelästigung gemieden wurde.

„Gleich knabbert er dem armen Stör was vom Ohr ab“, sagte Olig mit gespieltem Erschrecken.

Der Mann mit dem langen Gesicht schien das alles nicht zu hören. Und niemand an Bord des Viermasters konnte sich einen Reim darauf bilden, was er wirklich dachte.

Der Stör hätte auch keinem seiner Gefährten verraten, was er empfand. Am allerwenigsten dem Wikinger, der sich über ihn wieder mal vor Lachen ausgeschüttet hätte. Denn er war von Stolz erfüllt, von unbändigem Stolz. Sir John, der Ara-Papagei von Bord der „Isabella“, hatte sich für ihn, den Stör, entschieden!

Ihm schenkte er sein Vertrauen, nachdem er sich entschlossen hatte, der Wuhling auf dem Schiff des Seewolfs vorübergehend zu entrinnen und dem Schwarzen Segler einen Besuch abzustatten. Tiere hätten eine empfindsamere Seele als jeder Mensch, hieß es immerhin.

Verständlich also, daß sich Sir John nicht etwa zu so einem Ungetüm wie Thorfin Njal hingezogen fühlte.

Der stumme Stolz des Störs steigerte sich zu einer Genugtuung, die ihn beinahe schwindlig werden ließ. Sir John schüttelte und plusterte sich von neuem, und sein Gefieder strich dabei über das rechte Ohr des Mannes, der sein Landeplatz war. Der Stör erschauerte vor Wohlbehagen und räusperte sich, um nun auch kundzutun, was ihn innerlich bewegte.

„Herzlich willkommen an Bord, lieber Sir John“, sagte er laut und vernehmlich. „Freut mich, daß du dir den einzigen ausgesucht hast, dem du hier vertrauen kannst. Jeder andere würde wahrscheinlich versuchen, dir eine Feder auszureißen oder dir sonst was anzutun. Aber bei mir kannst du ganz unbesorgt sein. Ich freue mich über so einen netten kleinen Kerl wie dich.“

„Affenarsch!“ krähte Sir John.

Der Stör zuckte zusammen und erbleichte.

„Affenarsch?“ wiederholte er fassungslos.

Die Männer mußten sich den Mund zuhalten, um nicht loszuplatzen. Der Wikinger beugte sich interessiert vor und stützte sich dabei auf sein „Messerchen“.

„Affenarsch!“ bestätigte der Papagei mit erhöhter Lautstärke.

„Affenarsch“, sagte der Stör weinerlich und kopfschüttelnd in der Gewißheit, sich tatsächlich nicht verhört zu haben.

„Was gibt denn das?“ brüllte der Wikinger. „Ein Dauerecho vielleicht?“

„… Dauerecho vielleicht“, sagte der Stör, getreu seiner Angewohnheit, stets die letzten Worte Thorfins zu wiederholen.

„Auf die Wanten, ihr Säcke!“ kreischte Sir John.

„… Wanten, ihr Säcke!“ sagte der Stör.

Auf dem Achterdeck richtete sich der Wikinger auf und kratzte sich am Helm. Keine Angetraute war da, die ihn deswegen zur Ordnung rufen konnte. Aber wahrscheinlich hätte er von Gotlinde ohnehin keine Notiz genommen, denn die sonderbare Zwiesprache da unten beim Großmast war das Verrückteste, was er je gehört hatte.

„Hurtig, hurtig, oder ich teer’ euch den Scheitel, ihr Prielmäuschen!“ tönte Sir John.

„… den Scheitel, ihr Prielmäuschen“, folgte es vom Stör.

„Himmel, Armloch und Zwiebelkuchen!“

„… und Zwiebelküchen.“

„Springt der Stint aus der Pfanne!“

„… Stint aus der Pfanne.“

„Gelbgestreifte Sumpfhenne!“

„… gestreifte Sumpfhenne.“

Der Wikinger überwand seine Entgeisterung.

„Aufhören!“ brüllte er. „Stehe ich auf meinen eigenen Schiffsplanken, oder träume ich? Oder was? Läßt sich hier ein ausgewachsener Kerl von einem Papagei das Sprechen beibringen? Ist denn das die …“

Sie John kreischte schrill.

„Aber er läßt mich ja nicht zu Wort kommen!“ schrie der Stör aufgebracht. „Hat eine viel zu schnelle Zunge, der Vogel!“

Sir John reichte es. Mit schwerem Flügelschlag ergriff er die Flucht zurück auf die „Isabella“, wo es denn doch noch behaglicher war als auf dem Viermaster des behelmten Nordmannes.

„Eben drum“, sagte der Wikinger grollend. „Von einer schnellen Zunge kannst du letzten Endes doch noch was lernen.“

„… doch noch was lernen“, murmelte der Stör, und im nächsten Moment ergriff er die Flucht in Richtung Vorschiff, denn der Wikinger schickte sich an, mit drohend erhobenem „Messerchen“ auf die Kuhl abzuentern.

Die röhrende Heiterkeit der Männer an Bord von „Eiliger Drache“ war auf der „Isabella“ in aller Deutlichkeit zu vernehmen. Sir John ließ sich unterdessen auf der vertrauten Schulter Edwin Carberrys nieder.

Die geknurrte Bemerkung des Profos, er werde ihn nach dem nächsten derartigen Ausflug eigenhändig rupfen und dem Kutscher als Suppenhuhn in die Kombüse schmuggeln, konnte den Buntgefiederten keineswegs erschüttern.

Ignacio Verduro frohlockte, als seine Prophezeiung in Erfüllung ging. Am liebsten hätte er seinen Triumph laut hinausgeschrien, aber einen solchen Freudenausbruch durfte er sich natürlich nicht leisten. Äußerste Vorsicht war geboten. Den Männern hatte er befohlen, sich völlig lautlos und nur in sicherer Deckung zu bewegen.

Seit die beiden Schiffe in der Bucht vor Anker gegangen waren, mußte man damit rechnen, entdeckt zu werden.

Verduro harrte gemeinsam mit Japato bei den Beobachtungsposten aus. Für die Männer im Schlupfwinkel bei den Schaluppen galt erhöhte Alarmbereitschaft. Zwar hatte Verduro längst einen Plan entwickelt, wonach er bei Dunkelheit angreifen würde. Eine Stunde vor dem ersten Wachwechsel war seiner Erfahrung nach der günstigste Zeitpunkt.

Sollte allerdings ein unvorhersehbarer Umstand ein früheres Handeln erfordern, war man eben auch darauf vorbereitet. Obwohl Verduro nur den Rang eines Sargento gehabt hatte, konnte er durchaus taktische Überlegungen anstellen. Er war stolz darauf, den Offizieren einiges abgeschaut zu haben.

Der Weg in den Offiziersrang war ihm nur deshalb versperrt gewesen, weil er nicht von Adel war. Verduro hatte stets gewußt, daß er jedem jungen Offiziersschnösel zehnfach überlegen war.

Hinter dem schützenden Blattwerk des Dickichts fühlte er sich absolut sicher. Das Versteck der Beobachter lag gut zwanzig Yards oberhalb der Bucht. Bis hierher würde kein Erkundungstrupp vordringen.

Dennoch zog Verduro angespannt die Brauen zusammen, als an Bord des Viermasters Vorbereitungen getroffen wurden, ein Beiboot abzufieren. Erst jetzt, nachdem die Segel aufgetucht waren, fiel der Blick ungehindert auf das Achterdeck des großen Schiffes.

Verduro blinzelte ungläubig. Der Kerl, der dort breitbeinig und mit verschränkten Armen stand, sah aus, als wäre er einem Holzschnitt aus längst vergangenen Jahrhunderten entsprungen. Ein wahrer Riese war das, groß und breit und mit Fellen bekleidet, die die Hüften, den Rücken und den mächtigen Brustkasten bedeckten. Seinen Schädel zierte ein Kupferhelm, den er trotz der Hitze nicht absetzte. An den Füßen trug er Sandalen, deren Riemen um die Waden geschnürt waren.

„Hast du so was schon mal gesehen?“ flüsterte Japato ungläubig. „Was ist denn das für ein merkwürdiger Schrat?“

„Auf Bildern hab’ ich so was gesehen“, antwortete Verduro. „So sollen die Nordmänner ausgesehen haben, die sagenhaften Wikinger.“

„He!“ zischte Japato. „Da laufen noch vier ähnliche Kerle an Deck herum. Wikinger sagst du? Jene, die halb England und Irland erobert haben?“

„Und noch einiges mehr“, sagte Verduro und nickte.

„Aber gibt’s die denn überhaupt noch?“

„Keine Ahnung.“ Der breitschultrige Spanier grinste. „Kann ja auch sein, daß das da unten bloß nachgemachte Nordmänner sind. In ihrer Verkleidung können sie jedem ordentlichen Menschen einen Mordsschrecken einjagen.“

Die Männer schwiegen und verlegten sich wieder auf das Beobachten. Acht schwerbewaffnete Kerle bemannten das Beiboot des Viermasters und pullten auf den schmalen Streifen Strand zu. An Bord des Dreimasters begannen unterdessen völlig anders geartete Vorbereitungen.

„Isabella“ hieß jenes Schiff, das unter dem Kommando eines hochgewachsenen breitschultrigen Mannes stand. Dieser Mann glich eher einem Spanier als einem Engländer. Eindeutig englisch waren aber die Wortfetzen, die aus der Bucht heraufwehten.

An Bord jener „Isabella“ war ein Teil der Crew damit beschäftigt, Ausrüstung und Proviant auf die Kuhl zu schaffen und wohlgeordnet bereitzulegen. Die anderen fierten beide Jollen und legten die größere unmittelbar unter der Jakobsleiter längsseits.

Alsdann bildeten sie von der Jolle über die Jakobsleiter bis zur Pforte im Schanzkleid eine Kette, und die bereitgelegten Sachen wanderten von Hand zu Hand abwärts. Musketen, Pistolen, Pulverhörner und Kugelbeutel gehörten ebenfalls dazu.

Verduro erkannte, daß sich hier etwas abspielte, was er vorhergesehen hatte. Er schickte Japato zum Schlupfwinkel. Die Männer mußten wissen, daß sich die Lage möglicherweise änderte.

Vielleicht mußte man an Land kämpfen, statt den Gegner mittels der Schaluppen anzugreifen. Verduro ahnte, was die Engländer vorhatten. Aber er war sich noch nicht darüber im klaren, wie es im einzelnen ablaufen würde.

Das Beiboot des Viermasters erreichte inzwischen den Strand. Die Kerle sprangen ins seichte Uferwasser, zogen das Boot höher und fingen an, das Ufergelände abzusuchen.

Verduro sah, wie seine beiden Beobachter unwillkürlich die Musketen fester packten. Aber es bestand kein Grund zu größerer Besorgnis. Die Fremden blieben auf dem Strand und beschränkten sich darauf, das Dickicht von dort aus zu beobachten.

Die Wahrscheinlichkeit, daß sie das Versteck der spanischen Deserteure entdeckten, falls sie doch in den Dschungel vordringen sollten, war eins zu tausend. Es wäre ein ebensolcher Zufall gewesen, die Stecknadel im Heuhaufen zu finden.

Eine knappe Stunde später wußte Ignacio Verduro endgültig Bescheid.

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