Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 544»

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Impressum

© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-998-7

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Burt Frederick

Die Teufel der Araberküste

Ihre Grausamkeit kennt keine Grenzen

Der Nebel erdrückte sie fast.

Mit wattigem Grau, von keiner Brise bewegt, lag er über der Wasseroberfläche, und die Männer hatten das Gefühl, daß ihnen selbst das Atmen erschwert wurde.

Aber die Gier trieb sie.

Sie bewegten lautlos die Riemen, und das Boot glitt wie von Geisterkraft getrieben durch das Grau.

Auch die Kleidung war grau, und so verschmolzen sie fast mit der unwirklichen Umgebung.

Ihre Waffen hatten sie mit Tuch umwickelt, damit kein verräterischer Laut verursacht wurde.

Es war ein großes, stolzes Schiff, das sie in ihre Gewalt bringen wollten. Dazu mußten sie ihre ganzen Fähigkeiten aufbieten

Die Hauptpersonen des Romans:

Ahmet Üzürgül – Ein türkischer Oberschnapphahn, der eine besondere Taktik entwickelt hat, nur im Nebel einen Coup auszuführen.

Günel – Die junge Türkin, die von Üzürgül entführt wurde und die Flucht plant.

Philip Hasard Killigrew – Der Seewolf erhält in seiner Kapitänskammer Besuch, aber von einer Einladung kann keine Rede sein.

Ben Brighton – Hasards Erster Offizier und Stellvertreter steht vor einem schwierigen Problem und muß etwas riskieren.

Donegal Daniel O’Flynn – Hat erstmals eine Dhau unter seinem Kommando und bricht mit ihr zu einem Raid auf.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Es war wie ein Schweben im Nichts.

Philip Hasard Killigrew öffnete eins der Bleiglasfenster in der Kapitänskammer. Nichts änderte sich. Die Luft stand draußen wie eine unbewegte graue Masse, zum Schneiden dick. Während der ganzen Nacht hatte es keine Abkühlung gegeben, und auch jetzt, am frühen Morgen des 20. April Anno 1597, ließ die Nebelwand nicht einmal einen frischen Lufthauch in die Unterdecksräume der „Santa Barbara“ dringen. Die Feuchtigkeit hatte sich nur noch erhöht.

Der Seewolf schloß das Fenster wieder.

Es war still an Bord. Der Sonnenaufgang stand noch bevor, wenn er auch kaum wahrzunehmen sein würde. Bis auf die Deckswachen, deren ruhige Schritte vom Hauptdeck zu vernehmen waren, genoß die Crew ihre wohlverdiente Nachtruhe.

Die Stille, die das Schiff umgab, war absolut.

Kein Geräusch sickerte durch den Nebel. Kein Schrei eines Seevogels war zu hören, der etwa den Tag begrüßt hätte. Kein Wellenschlag, der mit sanftem Schmatzen gegen den Rumpf der Galeone geklatscht wäre.

Seit den späten Nachmittagsstunden des 19. April, als auch der Nebel heraufgezogen war, herrschte bereits völlige Windstille. Der Seewolf hatte Treibanker ausbringen lassen, obwohl nach den Feststellungen Dan O’Flynns keine Abdrift durch etwaige Strömungen zu befürchten war. Stunden darauf, schon in der Nacht, als aber die Gestirne noch erkennbar gewesen waren, hatte Dan neue Berechnungen angestellt und seine anfänglichen Erklärungen bestätigt gesehen. Die Position der „Santa Barbara“ hatte sich kaum verändert.

Dan O’Flynn brauchte seine Zuverlässigkeit als Navigator nicht mehr unter Beweis zu stellen.

Sie lagen etwa zwanzig Seemeilen nördlich der küstennahen Insel Abu Ali, und sie würden weiter Kurs auf Kuweit nehmen, sobald Nebel und Flaute vorüber waren. In der Hafenstadt im nordwestlichen Zipfel des Persischen Golfs hofften Hasard und seine Gefährten neue Informationen zu erhalten. Informationen über jene geheimnisvolle Route, die vom Golf über den Irak und Persien ins Mittelmeer führen sollte.

Der Seewolf wandte sich vom Fenster ab und kehrte auf seinen Platz am Tisch zurück. Er schlug das Logbuch auf und zog Tintenfaß und Federkiel zu sich heran. Mit präzise schräggeneigten Federstrichen trug er das Datum des neuen Tages ein. Dann ließ er den Kiel sinken.

Ich bin besessen, lautete der Gedanke, der ihm durch den Kopf flog.

Er erschrak fast. Aber es verhielt sich so, wie dieser Unbeabsichtigte Gedanke es ausdrückte. Er war in der Tat besessen von der Vorstellung, diesen unbekannten Schiffahrtsweg zu entdecken. Widersprach es nicht seinen alten Prinzipien, stets einen klaren Kopf zu bewahren und die Dinge mit nüchternem Überlegen anzugehen?

Aber nicht einmal Ben Brighton, der gründliche Denker, hatte diesmal etwas auszusetzen gehabt. In der Tat schien die gesamte Crew von der Entdeckerbegeisterung der Zwillinge angesteckt worden zu sein.

Der Seewolf beruhigte sich mit der Folgerung, daß es nicht der Stolz auf seine Söhne gewesen war, von dem er sich hatte leiten lassen. Und er hatte auch keine einsame Entscheidung getroffen. Bei allen Beschlüssen, die einschneidende Auswirkungen auf die ganze Mannschaft haben konnten, wurden stets auch sämtliche Crewmitglieder beteiligt.

Nichtsdestoweniger hatte der geheimnisvolle Kartenfund der Zwillinge auf den Seychellen mehr als nur Abenteuerlust und Forscherdrang geweckt. Tief in ihnen schlummerte das Bestreben, auch für England wieder einmal etwas zu tun.

Meist fluchten sie auf die alte Heimat, die man ihnen so gründlich verleidet hatte. Und nicht selten ließen sie kein gutes Haar an ihrem Land, wenn sie irgendwo in einer Hafenschenke in Stimmung gerieten. Doch hinter all den rauhen Worten verbarg sich doch eine gehörige Portion jenes Zugehörigkeitsgefühls, das sie immer noch mit dem Land ihrer Väter verband und das sie wohl niemals ganz abschütteln konnten.

Denn aus England waren sie nicht von ihresgleichen vertrieben worden, geschweige denn, daß sie bei Königin Elizabeth I. in Ungnade gefallen wären. Nein, es waren ausschließlich die finsteren Elemente bei Hofe gewesen, die die Seewölfe dazu gebracht hatten, in der Karibik den Bund der Korsaren zu gründen und sich eine neue Heimat zu schaffen.

Nach wie vor existierte der Stützpunkt an der Cherokee-Bucht.

Aber England war nahe.

Dieses Bewußtsein, daran zweifelte der Seewolf nicht, hatte bei jedem einzelnen Mann an Bord der „Santa Barbara“ dazu geführt, die Aussicht auf die Entdeckung eines neuen Weges vom Persischen Golf zum Mittelmeer mit wahrer Besessenheit zu verfolgen.

Hasard lächelte, da sich der Kreis seiner Gedanken geschlossen hatte. So waren sie denn alle besessen von jener Idee, die sie verfolgten. Keine Schande. Beileibe nicht.

Er nahm die Feder, tunkte die zugeschnittene Spitze ins Tintenfaß und schrieb. Er mußte zu Papier bringen, was ihn bewegte. Vielleicht gab es einmal Zeugnis von sinnloser Phantasterei. Vielleicht wurde es aber auch der geistige Grundstein einer Entdeckung, die für die Kultur des Abendlandes von unerhörter Bedeutung war.

Was nämlich eine Verkürzung des Seewegs von und nach Indien für Europa bringen konnte, konnte man in Europa nicht einmal im entferntesten abschätzen.

Wir sind zum Stillstand verurteilt, schrieb der Seewolf, und es scheint, als ob unsere Besessenheit zu einer aufgezwungenen Pause verurteilt ist …

Der Mann, der im Bugraum des flachen Bootes kauerte, hatte nur die eine Aufgabe: An ihm lag es, das Ziel rechtzeitig zu erspähen, damit sie bei dem dichten Nebel nicht in eine unliebsame Überraschung rauschten. Denn obwohl die sechs Männer auf den Duchten äußerst behutsam pullten, glitt das Boot doch mit hoher Fahrt über das Wasser. Es bewies, über welche Muskelkraft die Männer verfügten.

Unvermittelt stieß der Späher einen scharfen Zischlaut aus. Warnend hob er die rechte Hand, obwohl seine Kumpane es nicht sehen konnten, da sie ihm den Rücken zuwandten.

Augenblicklich hoben sie die Riemenblätter an und ließen das Boot auslaufen. Schon ein Streichen hätte nach ihrer Überzeugung zu geräuschvoll sein können. Denn bei dem augenblicklichen Nebel klang selbst der leiseste Laut so, als würde er auf geheimnisvolle Weise verstärkt.

Die graugekleideten Männer auf den Duchten hielten die Riemen über Wasser und wandten sich um. Aufmerksam spähten sie in die Richtung, in die der schlanke Bug des flachen Bootes wies.

Und plötzlich waren die hohen, dunkel aufragenden Konturen da. Das Schiff wirkte riesengroß und drohend in dem Nebel, der es umhüllte und Einzelheiten nicht erkennen ließ.

Der Späher beugte sich vor und ergriff die Ankertrosse, die aus der Wasseroberfläche lang durchhängend zum Heck der Galeone aufstieg.

Das Boot gelangte zum Stillstand. Während der Mann im Bug es langsam unter die Trosse manövrierte, legten die anderen die Riemen vorsichtig auf die Duchten. Völlige Lautlosigkeit war das oberste Gebot, das sie sich selbst gesetzt hatten. Und sie waren geübt darin, dieses Gebot einzuhalten.

Etwaige Deckswachen hatten keine Chance, sie zu entdecken. Von den Verschanzungen der Galeone aus war das Ende der Ankertrosse nicht zu sehen. Und dann verlief die Trosse so geradlinig nach achteraus, daß sich die Wachtposten an Bord des Schiffes schon über die Heckbalustrade hätten beugen müssen, um zu sehen, was sich abspielte.

Der erste der Graugekleideten aus dem Boot richtete sich auf und packte die armdicke Trosse. Mit geschickten, katzenhaften Bewegungen begann er, sich emporzuhangeln.

Die anderen folgten ihm mit geringem Abstand. Im Boot blieb nur der Späher, dessen Aufgabe es nun war, auf alles Weitere genau zu achten, damit ein reibungslos verlaufender Rückzug möglich wurde. Der Mann im Boot spähte zu den erleuchteten Fenstern im Heck des Schiffes. Keine Bewegung einer menschlichen Silhouette war dort zu erkennen.

Der erste erreichte die Heckgalerie. Mit einer fließenden Bewegung schwang er sich hinüber. Es hatte den Anschein, als schlucke der Nebel jedes Geräusch. Doch der Mann im Boot wußte, daß dieser Eindruck falsch war. Seine Kumpane beherrschten ihre Körper bis in die winzigste Muskelfaser. Bei ihrem Vordringen gab es nichts, was nicht vorausberechnet gewesen wäre.

Geduckt pirschten sie auf der Heckgalerie unter den Bleiglasfenstern entlang, auf das Schott zu, das üblicherweise in die Kapitänskammer führte. Sie kannten die Bauweise dieser Schiffe der Ungläubigen hinreichend, um zu wissen, wie sie sich orientieren mußten.

Zwei Graugekleidete verharrten unmittelbar vor dem Schott. Die anderen warteten mit jeweils einem Schritt Abstand. Ein Schiff, daran glaubten sie, war wie ein eigenständiges Wesen. Sie versuchten, diese Wesenszüge in sich aufzunehmen.

Es reagierte nicht feindlich auf sie. Kein Knarren und kein Ächzen waren zu vernehmen. Das Schiff war so stumm, wie sie eingeschätzt hatten. Ihm fehlte dieser Atem, den ihm Wind und Wellengang eingehaucht hätten. Ohne die Kräfte der Natur war ein solches Schiff gar nichts.

Es war so wehrlos, wie die Graugekleideten es voraussetzten.

Und dem Klang der Schritte nach zu urteilen, befanden sich die Wachen weiter vorn, auf dem Hauptdeck.

Alle äußeren Voraussetzungen waren hervorragend und günstig. Jetzt hieß es nur noch, die eigene Energie und die eigene Willenskraft so zielstrebig einzusetzen, daß eine Gegenwehr von vornherein zum Scheitern verurteilt war.

Philip Hasard Killigrew legte den Federkiel beiseite und verschloß das Tintenfaß mit dem Korken. Er überflog noch einmal die Zeilen, die er zu Papier gebracht hatte. Und er versuchte, sich vorzustellen, wie auf einen Außenstehenden die Begründung dafür klingen mochte, daß sie in etwas hoffnungslos Ungewisses vorstießen.

Abwegig.

Welcher Außenstehende vermochte sich überhaupt vorzustellen, was eine Crew wie die Arwenacks bewegte? Wer war imstande, einzuschätzen, woher diese Männer ihre Kraft nahmen? Die Kraft beispielsweise, mitten in die Hölle zu segeln, um dem Gehörnten nur mal eben auf den Pferdefuß zu treten.

Die Männer der „Santa Barbara“ und zuvor der „Isabella“ hatten mehr als tausendfach bewiesen, daß sie den Teufel ebensowenig fürchteten wie alle anderen Gefahren dieser Welt.

Was bedeutete es – gemessen daran – schon, einmal eine unbekannte Schiffahrtsroute zu erforschen?

Etwas wie ein Windstoß fuhr in die Kapitänskammer.

Der Seewolf schnellte von seinem Stuhl hoch. Nur sein Instinkt reagierte. Für Gedanken war keine Zeit.

In dem Moment, in dem er herumruckte, war es wie eine graue Masse, die auf ihn zustieß.

Dem Seewolf blieb nur noch Zeit, in Abwehrstellung zu gehen. Der Cutlass und der Radschloßdrehling lagen unerreichbar weit auf dem Schapp. Nur seine Fäuste blieben ihm.

Die huschenden Kerle wichen auseinander und schlossen ihn ein. Fünf Mann. Einer hielt das Schott, damit es kein Geräusch verursachte. Die Lautlosigkeit der Kerle war verblüffend.

Den ersten, der zuschlagen wollte, trieb Hasard mit zwei gnadenlos harten Fausthieben von sich. Der Mann war wie eine Katze. Er schrie nicht, er stolperte nicht, und er riß keinen Gegenstand um, der ein Poltern verursacht hätte. Selbst unter Schmerzen war jede seiner Bewegungen noch genau berechnet.

Noch einen Atemzug lang schaffte es der Seewolf, die jetzt um so heftiger nachdrängenden Kerle auf Distanz zu halten. In der Sekunde, in der er losbrüllen wollte, um Alarm zu geben, war es zu spät.

Ihn traf ein Hieb, der alles auslöschte. Es war wie eine Explosion auf seinem Hinterkopf.

Der Blitz dieser scheinbaren Explosion versiegte in der Schwärze der Bewußtlosigkeit.

Hasard spürte nicht mehr, wie seine Gegner sofort zupackten, damit er nicht zu Boden schlug. Er konnte auch nicht über ihre Geschicklichkeit staunen, als sie ihn auf die Heckgalerie trugen, um ihn dann mit Schlingen an Hand- und Fußgelenken an die Ankertrosse zu hängen und abwärts rutschen zu lassen.

Es spielte sich innerhalb von drei Minuten ab. Der Nebel verschluckte die Entführer. Als sie sich wieder lautlos in die Riemen legten und dabei scharf horchten, waren sie ihrer Sache bereits sicher.

Kein Laut drang aus der trübgrauen Wand, hinter der das Schiff nun erneut verborgen lag. Niemand hatte also das Verschwinden des Kapitäns bemerkt.

2.

Der Seewolf erwachte in einem Toben von Gewalten.

Da dröhnte und hämmerte und schrillte es, und all das hatte sich als Schauplatz seinen Kopf ausgesucht. Er brauchte elend lange, bis er es überhaupt schaffte, die Augen ein wenig zu öffnen. Sofort verstärkte sich das Inferno in seinem Kopf, und er schloß die Augen wieder. Er hatte nichts sehen können. Er konnte nichts hören. Aber er spürte, daß der Untergrund, auf dem er lag, sich bewegte.

Nur quälend langsam ließ das Tosen unter seiner Schädeldecke nach. Die Kraft seiner Sinne kehrte zurück. Ohne daß er schon riskierte, die Augen zu öffnen, stellte er fest, daß er sich in einem Boot befand. Er vernahm das leise Rauschen des Wassers unter dem Rumpf und das kaum hörbare Knarren der Riemen in den Dollen. Nichts vom Eintauchen der Blätter, kein Wort, geschweige denn ein Schnaufen von den Kerlen auf den Duchten.

Hasard mußte erkennen, daß sie eine Menge von ihrem hinterhältigen Fach verstanden.

Er öffnete die Augen. Diesmal war es weniger schmerzhaft. Mit seiner Willensstärke besiegte er das Rumoren in seinem Kopf und zwang es auf ein unbedeutendes Minimum zurück.

Jetzt nahm er die volle, niederschmetternde Wirklichkeit wahr.

Sie hatten ihn gefesselt und geknebelt. Er lag im Bugdreieck auf den Bodenplanken einer Jolle. Nur die Rücken der in Grau gekleideten Kerle sah er vor sich. Sie kümmerten sich nicht um ihn, sahen sich nicht einmal in Abständen nach ihm um. Also waren sie davon überzeugt, daß er keine Chance hatte, sich zu befreien.

Er prüfte seine Fesseln. Wenn es ihm gelang, sie unauffällig abzustreifen, konnte er sich über Bord rollen, tauchen, Distanz gewinnen und außer Sichtweite wieder auftauchen. Für ein solches Vorhaben war der Nebel mehr als günstig. Sicherlich hatten sich die Kerle noch nicht übermäßig weit von der „Santa Barbara“ entfernt.

Bei der spiegelglatten See war es leicht möglich, die Galeone schwimmend zu erreichen. Vielleicht in einem Zickzackkurs, um die Halunken im Boot irrezuführen. Und Alarmrufe – im Nebel weit zu hören – würden die Arwenacks frühzeitig eingreifen lassen.

Doch die Sache hatte ihre Schwierigkeiten.

Punkt eins: Wie sollte er sich in der grauen Suppe orientieren?

Punkt zwei ergab sich beim Überprüfen der Fesseln. Ausgeschlossen, sie zu lösen. Die Kerle hatten Schnüre aus Rohleder verwendet. Nur die vorderen Glieder seiner Finger konnte er bewegen. Damit schaffte er es nicht, die straff verknoteten Schnüre auch nur auseinanderzuziehen.

Hoffnungslos.

Auf die Fluchtchance, wenn es sie denn geben sollte, mußte er noch warten.

Die Orientierung fiel den Entführern des Seewolfs allem Anschein nach leicht. Kursgenau erreichten sie eine Flußmündung. Daß es sich um eine Mündung handelte, ließ sich im Nebel nur an den dunklen Linien der Uferzonen erkennen. Dann aber steuerten die Graugekleideten eine kleine Bucht im Mündungsbereich an. Sie zogen das Boot auf den schmalen Strand.

Hasard hörte sie zum erstenmal reden.

Türkisch.

Sie beachteten ihn nicht und ließen ihn, wo er war, während sie sich selbst mit mitgebrachtem Proviant versorgten. Ihr Gespräch drehte sich einzig und allein um den gelungenen Raid. Wieder einmal, so brüsteten sie sich, machten sie dem guten Namen, den sie bei ihrem Anführer hatten, alle Ehre.

Üzürgül würde zufrieden sein. Ja, vielleicht würde er ihnen sogar eine besondere Belohnung zuteilen. Es war ihr dritter erfolgreicher Fischzug innerhalb eines Monats. Und der Fisch, den sie diesmal gefangen hatten, sah ganz nach einer lohnenden Beute aus.

Der Seewolf fing an zu begreifen.

Üzürgül mußte der Oberhalunke sein, der sich diese besondere Methode ausgedacht hatte. Sie lauerten auf die in diesen Breiten besonders häufigen Nebelfelder. Dabei nutzten sie jeweils zuvor die noch ausreichende Sichtweite, um lohnende Objekte zu orten. Dann schlichen sie sich mit ihrem Boot heran, um den Kapitän oder einen Offizier zu entführen.

Üzürgül und seine Galgenstricke waren vermutlich die Spreu, die sich irgendwann, vor Jahren, vom Weizen getrennt hatte. Denn Hasard wußte, daß sich türkische Eroberer um 1550 den Hedschas, das nördliche Arabien und die Golfküste bis hinunter nach Quatar unterworfen hatten. Möglich, daß es sich bei diesen Küstenpiraten um Deserteure handelte, die ihr eigenes Süppchen kochten.

Auf jeden Fall ahnten sie nicht, daß der Seewolf ihre Sprache einigermaßen beherrschte.

So erfuhr er, daß sie in ihrem Schlupfwinkel auch über Frauen verfügten. Kauend, schlürfend und lachend, malten sie sich in zotigen Andeutungen aus, wie sich das Wiedersehen gestalten würde, da man sie nun abermals als Helden feiern würde. Die Weiber, so glucksten und kicherten sie, hatten gefälligst außergewöhnlich nett zu ihnen zu sein.

Das kräftezehrendste Stück Arbeit stand ihnen noch bevor. Deshalb hatten sie die Pause eingelegt. Zwar hatte der Fluß nur mäßige Strömung, und das schlanke Boot lief verhältnismäßig zügige Fahrt, doch von den Kerlen wurde dennoch der ganze Einsatz gefordert. Wind, der ein Setzen der Besegelung ermöglicht hätte, fehlte noch immer, und so waren sie allein auf ihre Muskelkraft angewiesen.

Langsam, Stück für Stück, schob sich Hasard im Bugraum des Bootes etwas höher, so daß er wenigstens über das Dollbord spähen konnte. Nach wie vor konnte er die Ufer nur als dunkle Linien erkennen. Der Nebel war hier, in der Flußniederung, mindestens ebenso stark wie auf See, und er hatte sich kein bißchen gelichtet. Die Sonne schien noch immer nicht aufgegangen zu sein.

Immerhin gelang es Hasard, die zurückgelegte Entfernung zu schätzen. Es mochten vier Meilen von der Flußmündung sein, als die Entführer das Pullen einstellten. Hasard sah die schweißüberströmten Gesichter. Sie atmeten auf. Nur noch leichte Riemenschläge waren erforderlich. Den Rest erledigte der Mann auf der Achterducht. Geschickt manövrierte er das Boot in eine von dichtem Buschwerk umsäumte Bucht, die von der Flußmitte her zweifellos kaum zu erkennen war.

Ein wenig hatte sich der Nebel gelichtet, die Sichtweite jedoch nur um zehn Yards verbessert. Die Sonne mußte mittlerweile aufgegangen sein, doch es würde noch bis zum späten Vormittag dauern, daß ihre Kraft ausreichte, um das mächtige Nebelfeld vollends aufzulösen.

Etwa in der Mitte der Bucht begannen die Graugekleideten erneut zu pullen. Sie hielten auf einen Uferabschnitt zu, den Hasard erst jetzt als Einfahrt zu einer Nebenbucht erkannte. Durch das weit überhängende Gebüsch entstand eine natürliche Tarnung, wie man sie sich besser nicht wünschen konnte.

In der Nebenbucht lagen weitere Boote und eine arabische Dhau an Stegen vertäut. Ein Posten erhob sich beim Auftauchen des zurückkehrenden Bootes, wirbelte herum und lief landeinwärts. Er verschwand hinter der Biegung eines Trampelpfads, der wie ein Hohlweg durch das Gebüsch führte.

Die Entführer erreichten einen noch freien Liegeplatz. Einer durchtrennte Hasards Fußfesseln, und dann zerrten sie ihn auf den Steg. Er verzog keine Miene, obwohl es dort, wo ihm die Fesseln das Fleisch eingeschnürt hatten, wie von tausend Nadeln stach.

Seine Beine waren im ersten Moment wie gelähmt, doch mit eiserner Willenskraft schaffte er es, sich hochaufgerichtet zu halten. Der größte der Graugekleideten war einen halben Kopf kleiner als er.

Sie trieben ihn an Land, durch den Hohlweg, und ließen ihm keine Chance, nach links oder rechts zu entwischen.

Das Buschwerk öffnete sich, ließ den Weg breiter werden und gab den Blick frei auf eine Senke, die von mäßig ansteigenden Hängen umgeben war. Die Hügel hatten keinen Baumbestand, nur wenig Buschwerk, aber kniehohes Gras, das hart und borstig zu sein schien und einen blaugrauen Schimmer hatte.

Den Mittelpunkt der Senke bestimmten die Rundzelte der türkischen Küstenhaie. Hasard blieb keine Zeit, sie genau zu zählen, denn die Kerle trieben ihn jetzt mit größerer Eile voran. Offenbar wollten sie ihrem Anführer den Gefangenen präsentieren, bevor er sich allzu weit von seinem behaglichen Quartier entfernen mußte.

Sie erreichten einen größeren Platz im Zentrum des Schlupfwinkels, der äußerlich einer ganz normalen menschlichen Ansiedlung glich. Nur Kinder und alte Leute fehlten. Überwiegend drahtige Kerle waren es, nur wenig bullig gebaute, die aus den Behausungen auftauchten. Die Frauen und Mädchen, die allem Anschein nach in eigenen Zelten wohnten, trugen keine Schleier.

Auch größere Konstruktionen aus Stangengerüsten und Fellbespannung gab es. Aus den Geräuschen, die er hörte, folgerte Hasard, daß die Halunken über Pferde verfügten. Sie waren sowohl seewärts als auch landeinwärts äußerst beweglich.

Aus dem größten der Wohnzelte trat ein Mann, der sich äußerlich schon von den anderen abhob. An Körpergröße erreichte er fast den Seewolf, und seine breiten Schultern und der kräftige Körperbau ließen erkennen, daß er kein Gramm Fett zuviel mit sich herumtrug.

Sein Gesicht, scharfgeschnitten und mit kantigem Kinn, war bartlos. Schwarze Brauen standen als waagerechte, fast durchgehende Linie über seinen stechenden Augen. Das schwarze Haar hatte er kurzgeschoren.

Vier junge Frauen folgten ihm, in lange Seidengewänder gekleidet, die mit sanft fließenden Linien jede Bewegung untermalten.

Dem Seewolf blieb eben Zeit, sich einen kurzen Überblick zu verschaffen. Hundert Männer waren es gut und gern, die der Hochgewachsene hier befehligte. Und etwa fünfzig Frauen hausten mit ihnen im Schlupfwinkel am Fluß. Ein erfolgreicher Zusammenschluß aus niederen Motiven, wie es aussah. Die kostbaren Kleider der Frauen und das wohlgenährte Aussehen der Männer zeigten, daß hier niemand Mangel litt.

Der Anführer trat auf den Seewolf zu, der in der Mitte des Platzes stand, hinter ihm seine Entführer, die bereit waren, sofort zuzupacken, falls er sich auch nur die kleinste unerwünschte Bewegung erlaubte.

Das Tuscheln und Raunen der Meute endete schlagartig, als der Anführer die rechte Hand erhob. Er ließ sie wieder sinken, und ein Grinsen huschte über seine hartlinigen Lippen.

„Es freut mich, einmal einen Engländer in unserer Mitte begrüßen zu dürfen“, sagte er in erstaunlich gutem Englisch. „Seien Sie willkommen, Sir!“ Er ließ es höhnisch klingen, verneigte sich dazu, und die gesamte Mannschaft stimmte ein schallendes Gelächter an.

Eine energische Handbewegung von ihm ließ sofort wieder Ruhe einkehren.

„Ich bin Ahmet Üzürgül“, fuhr der hochgewachsene Mann fort und setzte dabei eine herablassende Miene auf. „Ich erwarte nicht, daß Sie schon von mir gehört haben, Sir, aber was ich erwarte, ist unabdingbarer Respekt. Sie befinden sich in meiner Gewalt, und es wird Sie auf der Stelle das Leben kosten, wenn Sie sich gegen mich aufzulehnen versuchen.“

„Das würde Sie die Beute kosten“, entgegnete der Seewolf mit fester Stimme. Ein kaum erkennbares Lächeln lag in seinen Mundwinkeln.

Üzürgül zog die Augenbrauen hoch, so daß sie stumpfe Winkel bildeten. Er ließ sich zu einem selbstgefällig anerkennenden Nicken herab.

„Sieh an, sieh an. Unser Gast aus dem fernen England hat bereits Gedankenanstrengungen unternommen. Aber er hat sie nicht bis zu Ende geführt, bis zur letzten Konsequenz. Seien Sie versichert, Sir: Ich bin auf die Beute nicht angewiesen. Alles, was meine Freunde und ich noch unternehmen, mehrt nur unseren Reichtum. Wir könnten uns morgen zur Ruhe setzen, wenn wir wollten. Aber – wer rastet, der rostet, nicht wahr? Wir erhalten uns unsere Kraft und steigern unseren Wohlstand. Zwei Beschäftigungen, die uns außerordentlich gut bekommen.“ Er lachte kurz und trocken und genehmigte auch den Kerlen, erneut in Johlen auszubrechen.

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