Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 564»
Impressum
© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-971-0
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Burt Frederick
Der Höllenfürst
Seine Gegner sehen ihn nie, und doch jagt er sie in die Luft – zu Lande und zu Wasser
Dunkelheit lastete über Istanbul. Der hagere Mann mit dem Ziegenbart harrte in einer Tornische aus. Er horchte auf die nächtlichen Geräusche der Stadt. Als sich Hufschlag näherte, zuckte er unwillkürlich zusammen. Aber gleich darauf entspannte er sich wieder. Der Reiter war in einer der parallel verlaufenden Gassen unterwegs.
Das hohl klingende Schlagen der Hufeisen entfernte sich rasch. Der Reiter mochte dem Hafen zustreben, von wo der frische Salzgeruch des Meeres herüberwehte.
Der Ziegenbärtige fröstelte. Die Nacht wurde kühler und kühler.
Warum nur konnten sich die hohen Herrschaften herausnehmen, unpünktlich zu sein?
Gehörte das zum Ausdruck ihrer Macht? Lächerlich. Sie waren sterblich wie alle anderen. Auch wenn sie glaubten, über Leben und Tod entscheiden zu können …
Die Hauptpersonen des Romans:
Süleyman Ayasli – in Istanbul kennt man ihn nur unter dem Namen „Höllenfürst“ – und der entspricht seiner Tätigkeit.
Münnever Yildiz – eine reiche Türkin mit einem Herzen für die Armen, auch wenn ihr Mann einen schrecklichen Tod stirbt.
Öbül – er geht dem „Höllenfürsten“ zur Hand und bringt ihm die Aufträge, die den Tod für einen oder mehrere Menschen in Istanbul bedeuten.
Mehmet Küzürtüsi – bewohnt einen prächtigen Palast und wird von Leibwächtern beschützt – bis die Arwenacks auf den Plan treten.
Philip Hasard Killigrew – der Seewolf hat ein persönliches Interesse, Münnever Yildiz zur Seite zu stehen.
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
1.
Der Wartende beschloß, noch höchstens eine Stunde auszuharren. Mehr Geduld konnte man nicht einmal von ihm verlangen, obwohl er nichts weiter als ein kleiner Befehlsempfänger war, einer, der für Geld mündliche und schriftliche Nachrichten überbrachte oder kleine Dienstleistungen ausführte.
Das bedeutete aber noch lange nicht, daß man ihn behandeln konnte wie einen Köter.
Er schloß seinen zerschlissenen Umhang höher um den Hals. Der Stoff war dünn und erfüllte seinen Zweck nur tagsüber, wenn die Sonne auf die große Stadt am Bosporus niederbrannte. Der Ziegenbärtige war es nicht gewohnt, sich halbe Nächte im Freien um die Ohren zu schlagen.
Er sehnte sich nach seiner Behausung, die zwar ärmlich sein mochte, in der aber die weiche Wärme eines weiblichen Körpers auf ihn wartete. Er würde nie wieder Aufträge wie diesen annehmen – ohne Vorauszahlung, nur in der Hoffnung, daß der Mann, den er treffen sollte, auch wirklich auftauchte und ihm seinen Botenlohn aushändigte.
Während der folgenden Minuten erging er sich im Selbstmitleid. Er trat von einem Bein auf das andere und schlug die Arme um den Oberkörper, um sich warm zu halten. Dabei beklagte er in Gedanken sein Schicksal.
Was mochte sich Allah nur dabei gedacht haben, daß er ihn sein Geld auf diese Weise verdienen ließ – auf diese erbärmliche Weise. Immer mußte er sich nach den Wünschen und Befehlen anderer richten, immer mußte er bereit sein und konnte praktisch nie über sich selbst bestimmen.
Aber er konnte noch von Glück reden, daß er überhaupt eine Möglichkeit hatte, für das tägliche Brot seiner Familie zu sorgen. Viele in dieser erhabenen und doch zugleich so grausamen Stadt lebten in Armut. Die Reichen kümmerte das nicht.
Nein, falsch, sagte sich der einsame, frierende Mann. Sei nicht ungerecht. Du weißt, selbst unter den Reichen gibt es Menschen, die ein Herz haben. Er dachte an Münnever, die Frau des reichen Kaufmanns Kemal Yildiz.
Ihre grenzenlose Güte rührte an das Herz eines jeden armen Menschen in Istanbul.
Sie war eine Heldin.
Erneute Hufgeräusche rissen den Mann mit dem Ziegenbart aus seinen Gedanken. Er horchte und vergaß dabei das Zittern. Die Erwartung eines baldigen Heimwegs stimmte ihn froh.
Auf eine seltsame Weise war er sicher, daß dies der Reiter sein mußte, mit dem er verabredet war. Manchmal gab es das eben – etwas wissen, ohne es erklären zu können.
Das Hufgetrappel näherte sich in der Tat. Es erreichte die Gasse, in der der Ziegenbärtige wartete. Sekunden später, als der Reiter ganz nahe war, trat er aus seinem Versteck hervor. Er war nur ein Schatten in der Dunkelheit, aber das Pferd schnaubte und stieg auf die Hinterhand. Der Reiter beruhigte es mit leisen Worten.
Im Mondlicht, das nur einen Hauch von Helligkeit spendete, war er nur schemenhaft zu erkennen. Wo sein Gesicht war, schimmerte helle Seide. Er trug eine Maske. Der Ziegenbärtige konnte jetzt die dunklen Augenschlitze erkennen.
„Bist du der Mann, der einen Botendienst für mich übernehmen wird?“ fragte der Reiter. Der Klang seiner Stimme und die Wahl seiner Worte waren die eines gebildeten Menschen.
„Ja, Effendi, der bin ich“, erwiderte der Ziegenbärtige. Er verneigte sich, obwohl das in der Dunkelheit kaum zu sehen war. Aber ohne erklärbaren Grund schrieb er dem hohen Herrn die Fähigkeit zu, ihn trotz der Finsternis beobachten zu können.
„Tritt näher“, befahl der Reiter.
Der Mann in dem dünnen Umhang gehorchte. Das Pferd schnaubte leise. Er roch den Schweiß des Tiers und das Fett, mit dem das Sattelleder eingerieben war. In dem Haus, aus dem der Mann stammte, mangelte es offenbar an nichts. Auch nicht an der Zeit, die für eine gründliche Pflege aufgewendet werden mußte, damit Gegenstände ihren Wert behielten.
„Zu Ihren Diensten, Effendi“, sagte der Ziegenbärtige und verbeugte sich abermals.
Der Mann im Sattel zog einen kleinen Briefumschlag unter seinem Gewand hervor.
„Der Brief ist versiegelt“, sagte er. „Der Empfänger würde es sofort bemerken, wenn jemand versuchte, ihn zu öffnen.“
„Niemals würde ich auf einen solchen Gedanken verfallen, Effendi“, beteuerte der Bote.
Er sagte die Wahrheit. Um nichts in der Welt hätte er sich dazu bringen lassen, sich die Finger zu verbrennen. Andere mochten das riskieren – sich gefährliches Wissen verschaffen und daraus Kapital zu schlagen versuchen. Die meisten, die das versucht hatten, waren spurlos verschwunden. Oder man hatte sie als Leiche aus dem Hafenwasser gefischt.
Nein, es hatte einfach keinen Sinn, sich ausgerechnet an der Macht der Reichen messen zu wollen. Sie waren einem kleinen Handlanger immer überlegen. Immer.
Der Reiter stieß einen zufriedenen Laut aus. Allein die Stimme des Zuträgers verriet, wie ehrfürchtig er über jene dachte, die ihm überlegen waren. Nein, bei ihm brauchte man mit einem Verrat nicht zu rechnen. Das System, sein Ansinnen in einem der Kaffeehäuser zu äußern, funktionierte hervorragend. Niemand konnte die Kette der Nachrichtenübermittlung zurückverfolgen. Zu viele Leute waren eingeschaltet, und keiner kannte die Identität des anderen gut genug, um ihn in Schwierigkeiten bringen zu können.
„Nimm die Botschaft“, sagte der Reiter. „Verwahre sie gut, solange du sie bei dir trägst. Der Empfänger ist der Höllenfürst. Du weißt, wie du ihn erreichst?“
Der Ziegenbärtige erschauerte. „Ja, Effendi. Aber ich erreiche ihn nicht direkt. Ich kenne nur seinen Übermittler. Niemals kann man den Höllenfürsten persönlich ansprechen.“
„Das ist in Ordnung“, sagte der Reiter. Er war nun endgültig von der Zuverlässigkeit dieses Boten überzeugt. Andere spuckten große Töne oder prahlten mit ihrem Wissen. Und dann ging meist etwas schief.
Es stimmte. Niemand kannte den Höllenfürsten.
Der Reiter beugte sich etwas nieder und drückte dem Mann im armseligen Umhang zwei Silbermünzen in die Hand. Den Brief hatte er bereits unter dem zerschlissenen Stoff verschwinden lassen.
Der Ziegenbärtige fühlte die Größe der Münzen und ihr Gewicht, und er glaubte zu träumen. Sein Herz schlug schneller. Dies mußte ein wahrhaft fürstlicher Lohn sein. Bei Allah, dafür hätte er noch ein paar Stunden länger gewartet!
„Danke, Effendi!“ rief er. „Danke! Wie soll ich euch nur …“
„Sorge dafür, daß die Nachricht so schnell wie möglich ans Ziel gelangt“, unterbrach ihn der Maskierte barsch. Dann trieb er sein Pferd an und verschwand nach Sekunden in einer Seitengasse.
Der Ziegenbärtige lief zum Hafen, die beiden Münzen fest mit der rechten Hand umklammert. Er konnte es noch immer nicht glauben. Vielleicht täuschte er sich. Vielleicht war er getäuscht worden. Konnte es sein, daß ihm der Fremde Bleistücke gegeben hatte? In der Dunkelheit war das leicht möglich.
Aber andererseits – welchen Grund sollte er haben, ihn so zu täuschen? Dann war die Nachricht nichts wert, dann konnte dem Fremden nichts daran gelegen sein, daß sie ihren Empfänger erreichte.
Das Hin und Her und Wenn und Aber kreiste im Kopf des Boten, bis er endlich eine der Kaistraßen erreichte, wo Laternen brannten. An einer Hausecke verharrte er unter einer solchen Laterne und überzeugte sich mit hämmerndem Herzen, daß er nicht beobachtet wurde. In der unmittelbaren Umgebung war alles still. Keine Menschenseele war zu sehen.
Er öffnete die rechte Hand.
Das Silber funkelte im Laternenschein.
Er war versucht, einen Freudenschrei auszustoßen. Aber er beherrschte sich. Noch hatte er seine Pflicht nicht erfüllt. Niemals hätte er es fertiggebracht, den Brief wegzuwerfen und mit dem Geld zu verschwinden. Wirrköpfe, die nicht an morgen dachten, taten so etwas.
Aber er, nein, er würde sich nicht sein eigenes Grab schaufeln. Seine Zuverlässigkeit und sein entsprechend guter Ruf hatten sich zum erstenmal richtig ausgezahlt. Von diesem Botenlohn konnten seine Familie und er mindestens einen ganzen Monat leben.
Er verstaute die schweren Silbermünzen sorgfältig unter seinem Umhang.
Dann eilte er im Trab durch das nächtlich-stille Labyrinth der Hafengassen.
Mehr als eine halbe Stunde war er unterwegs, bis er sein Ziel erreichte. Es war eins dieser primitiven Häuser, die praktisch nur aus Lehmwänden, einem Fenster und einem Dach bestanden. Ein besserer Viehstall. Ganze Blöcke davon hatten sie aneinandergereiht, die Reichen, die diese Unterkünfte hatten bauen lassen.
Die Mildtätigkeit hatte jedoch nur für einen verschwindend geringen Teil der ärmsten Bevölkerung von Istanbul gereicht. Oder aber, die Reichen hatten die Lust daran verloren, ihre Spendefreudigkeit weiter zu pflegen.
Der Ziegenbärtige klopfte an die Tür aus einfachen Bohlen.
Schlurfende Schritte näherten sich erstaunlich schnell. Der Mann, der die Tür öffnete, war klein und dünn, sein Gesicht im Dunkeln nicht einmal zu erkennen.
„Du bist es“, flüsterte er. „Komm herein.“
Der Bote gehorchte. Er wußte, daß Öbül es nicht schätzte, in aller Öffentlichkeit Nachrichten entgegenzunehmen. Denn selbst bei Nacht konnten Wände Augen und Ohren haben.
Öbül nahm den Brief mit seinen knochigen Händen. In der einfachen Behausung blakte eine winzige Öllampe.
„Eine Botschaft für den Höllenfürsten“, sagte der Ziegenbärtige.
„Gut“, erwiderte Öbül und nickte. „Dann verschwinde jetzt. Und vergiß, was du gesehen und gehört hast.“
„Du weißt, daß ich das immer tue“, entgegnete der Bote.
Er war bereits in der Dunkelheit verschwunden, als der kleine, dünne Mann die Tür wieder schloß.
Der Brief, den er erhalten hatte, bedeutete den Tod für einen oder mehrere Menschen in Istanbul. Sein Herr würde sich darüber freuen.
Es war einer jener Sonnentage, wie er die Menschen in diesem Teil der Welt auch im November noch oft verwöhnte. Das Jahr 1597 ging auf sein Ende zu, und für Philip und Hasard Killigrew schien es die Gewißheit zu bringen, daß es einen praktikablen Seeweg, eine mehr oder weniger direkte Verbindung zwischen dem Golf von Persien und dem Mittelmeer nicht gab.
Istanbul, das in der Frühzeit einmal Byzanz geheißen hatte, war eine Stadt voller orientalischer Geschäftigkeit. Der Ruf des Muezzin, der ganz in der Nähe auf einem Minarett Allah gepriesen hatte, war verhallt.
Nach ihrem Morgengebet waren die Menschen zur gewohnten Arbeit zurückgekehrt. Rings um die zweimastige Dubas, mit der die Arwenacks an einer Pier vertäut hatten, herrschte lärmende und hektische Betriebsamkeit.
Seefahrer und Händler palaverten über Preise. Handwerker hämmerten und sägten auf den zumeist kleinen Zubringerschiffen. Ausrüster karrten Proviant und Wasserfässer herbei, und Seeleute erledigten ihre gewohnten Arbeiten an Bord.
Für die Männer an Bord der Dubas hieß es nach der Morgenmahlzeit, das Schiff vom Kielschwein bis zu den Masttoppen zu untersuchen. Der Seewolf hatte angeordnet, daß der Rest der Liegezeit in Istanbul für Reparaturen genutzt werden sollte.
Hasard und Dan O’Flynn unternahmen einen Rundgang auf dem Hauptdeck, als ein Reiter sein Pferd auf die Dubas zutrieb und längsseits anleinte. Das Pferd war ein Rappe, ein edler Araber, und das Sattelzeug war aus dem allerfeinsten Leder gefertigt.
Hasard und Dan traten an die Verschanzung. Auch die Arwenacks, die sich auf dem Hauptdeck aufhielten, verharrten, um den Reiter zu mustern. Ein drahtiger, mittelgroßer Mann mit einem kostbaren Turban. Sein ganz aus Seide gefertigtes Gewand war eine Art Uniform. Er trat an die Pforte im Schanzkleid und verneigte sich.
„Mein Name ist Ismail Kaymaz, Abgesandter des Kemal Yildiz. Ich bitte an Bord kommen und den Kapitän sprechen zu dürfen.“
„Schon genehmigt“, sagte der Seewolf. „Ich bin Philip Hasard Killigrew, der Kapitän dieses Schiffes.“
Kaymaz enterte auf und verneigte sich abermals. Sein Gesicht spiegelte echte Freude. Es war ein offenes und ehrliches Gesicht, das vermochte jeder an Bord der Dubas sofort zu erkennen.
„Ich danke Ihnen, Effendi“, sagte Kaymaz. „Sie erweisen mir eine große Gunst, indem Sie mich sofort empfangen. Ich bin es gewohnt, manchmal stundenlang warten zu müssen.“
Der Seewolf winkte ab und lächelte. „Sie tun mir einen Gefallen. Ich gebe zu, daß ich zur Zeit nichts Besonderes zu tun habe. Deshalb ist Ihr Besuch ein willkommener Zeitvertreib.“
Der Türke sah ihn überrascht an. „Das hat noch nie jemand zu mir gesagt“, gestand er leise.
„Dann waren Sie noch nie an Bord eines englischen Schiffes“, sagte Dan O’Flynn.
„Ehrlich gesagt, nein“, erwiderte Kaymaz. „Obwohl Istanbul eine große Hafenstadt ist, gibt es eben doch manches, was einem von der Welt verborgen bleibt. Aber“, er senkte erneut den Blick, „mit Verlaub, Ihr Schiff ist nicht gerade englischer Bauart. Eine russische Dubas, schätze ich.“
Hasard und Dan lachten. „Manchmal ist man gezwungen, auf Dinge zurückzugreifen, die eben möglich sind“, antwortete der Seewolf. „Wir haben unser eigenes Schiff verloren. Aber wir sind zufrieden mit dem Ersatz, den wir beschaffen konnten.“ Er klopfte mit der Hand auf die Verschanzung.
Ismail folgte den beiden Männern auf das Achterdeck, wo Ben Brighton und Don Juan de Alcazar standen und das Geschehen im Hafen beobachteten. Jetzt wandten sie sich dem Besucher zu. Der hochgewachsene Spanier lächelte freundlich. Ben Brightons Miene war verschlossener, wie meist, wenn er es mit Fremden zu tun hatte.
Die Bemerkung des Türken rief die Erinnerung an Varna in Bulgarien wach. Dort hatten die Arwenacks ihr jetziges Schiff „erworben“. Jene Russen, die ihnen den Liegeplatz streitig gemacht hatten, waren mit ihrer eigenen Unverfrorenheit schlecht beraten gewesen.
Da die Dubas der Russen wesentlich größer und besser war als die bisherige eigene, hatte sich der Seewolf zu einem Raid entschlossen. Und die „Umtauschaktion“ hatte geklappt. Jetzt verfügten sie über das neue Schiff, das ebenfalls zweimastig und mit sechs Drehbassen armiert war.
Der Seewolf stellte die Männer einander vor. Erwartungsvoll blickten die Engländer und die Spanier ihren Besucher an. Hasard forderte Kaymaz mit einer Handbewegung auf, zu sprechen.
„Mein Herr ist Kemal Yildiz, wie schon gesagt“, erklärte der Türke. „Ihnen, als Fremde, wird der Name nicht viel sagen. In unserer Stadt jedoch ist es einer der klangvollsten Namen. Mein Effendi gehört zu den bedeutendsten Kaufleuten Istanbuls. Aber er erfreut sich als politisch verantwortungsbewußter Mann auch der Gunst des Sultans. Ich will meinen Herrn nicht in den Himmel heben, Gentlemen, das würde ihm selbst auch am allerwenigsten gefallen. Aber er ist ohne Übertreibung eine der wichtigsten Persönlichkeiten der Stadt.“
„Um so mehr ehrt es uns, wenn er mit uns in Verbindung treten möchte“, entgegnete der Seewolf.
Ismail Kaymaz schüttelte den Kopf und lächelte mild. „Kemal Yildiz läßt Ihnen ausrichten, daß er den Kontakt mit Ihnen aus sehr eigennützigen Motiven sucht.“
Der Seewolf zog die Brauen hoch. „Das nenne ich Offenheit.“
„Mein Herr ist bekannt dafür“, erwiderte Kaymaz stolz. „Allerdings hat er sich auf diese Weise auch schon eine Menge Feinde geschaffen. Nicht jeder schätzt es, wenn die Wahrheit ausgesprochen wird. Nun, ich habe den Auftrag, ein Gespräch vorzubereiten. Effendi Yildiz möchte sich gern mit Ihnen treffen, falls Sie bereit sind, über bestimmte Themen zu sprechen.“
„Welche Themen?“ fragte Hasard knapp.
„Mein Herr ist sehr interessiert, seine Handelsbeziehungen auszuweiten. Es ist die Neue Welt, die ihn fasziniert. Unser Land ist aus eigener Kraft kaum noch in der Lage, sich neue Handelswege zu erschließen. Das ist es, worüber Effendi Yildiz mit Ihnen reden möchte.“
Der Seewolf lächelte erneut. „Wir haben als Engländer zwar nicht unbedingt den direkten Zugang zur neuen Welt, aber ich denke, es ist doch ein lohnendes Thema.“
„Mein Herr wird beglückt sein. Er würde Sie gern auf Ihrem Schiff besuchen.“
„Nichts dagegen einzuwenden. Wann?“
„Morgen, am späten Vormittag, wenn es Ihnen recht ist.“
„Einverstanden“, sagte Hasard. „Richten Sie Ihrem Herrn meine Grüße aus. Ich erwarte ihn morgen hier an Bord, wie vereinbart.“ Er begleitete den Türken zur Pforte im Schanzkleid.
Die Männer an Bord der Dubas blickten dem Reiter nach, wie er im Gewühl des Hafens verschwand.
Edwin Carberry trat auf den Seewolf zu. „Keine Falle, Sir? Bist du sicher, daß nicht wieder irgendeine Schweinerei dahintersteckt?“
Der Seewolf hob die Schultern. „Sicher kann man selten sein. Mir scheint aber, daß wir es mit einem ehrlichen Menschen zu tun hatten.“
„Ehrliche Menschen können mißbraucht werden. Von irgendwelchen verdammten Schlitzohren.“
„Kein Widerspruch, Mister Carberry.“ Hasard lächelte. „Sag mal, willst du jetzt unserem Ersten nacheifern?“
„Als Schwarzseher.“
„O nein, Sir!“ rief Carberry grollend. „In dieser Stadt braucht man kein Schwarzseher zu sein, um böse Ahnungen zu kriegen. Ich wette, der alte O’Flynn spitzt schon wieder die Ohren. Wenn du dich jetzt nicht verziehst, Sir, wirst du gleich den neuesten Stand der Prophezeiungen hören.“
Der Seewolf nickte dem Profos zu, indem er zur Verschanzung auf der anderen Seite der Dubas blickte. Old Donegal lehnte dort, in der Tat mit aufmerksam-wachem Gesichtsausdruck.
„Danke für den Hinweis“, sagte Hasard und erwiderte das Grinsen des Profos.
Er wandte sich ab und dem Achterdeck zu. Es gehörte keine besondere prophetische Gabe dazu, um in Istanbul mit weiteren Komplikationen zu rechnen. Nach den Geschehnissen der vergangenen Tage konnte man sich an den Fingern zweier Hände ausrechnen, daß in dieser Stadt in absehbarer Zeit kaum jemals Ruhe einkehren würde.
Was Old Donegal Daniel O’Flynn als Anlaß nahm, seine düstersten Voraussagen vom Stapel zu lassen, beruhte auf Geschehnissen, die niemandem verborgen waren. Es war eine Tatsache, daß der Niedergang des Osmanischen Reiches – von seinen Feinden lange ersehnt – begonnen hatte. Überall in dieser einst glorreichen Stadt konnte ein aufmerksamer Beobachter die Anzeichen sehen.
Vor 14 Jahren hatten die Osmanen das damalige Konstantinopel nach langer Belagerung erobert und es zum Regierungssitz ihres Reiches gemacht, zum kulturellen Zentrum und zum Wirtschaftszentrum. Aber die Expansionsgelüste der Türken waren letztlich nicht von Erfolg gekrönt gewesen.
Eine vereinte Gegnerschaft hatte den Machtanspruch der Osmanen im Mittelmeer zum Scheitern verurteilt und dem Türkenreich zugleich den entscheidenden Todesstoß versetzt. Spanier, Venezianer und der Papst hatten 1571 in der Seeschlacht bei Lepanto eine Kriegsflotte eingesetzt, die den Türken eine Niederlage beigebracht hatte, von der sie sich nie wieder erholen sollten.
Die Folgen, das hatte Hasard inzwischen beobachten können, waren in der einst blühenden Metropole Istanbul deutlich zu erkennen. Zwar bewahrte die Stadt nach außen hin weiter ihren Glanz. Aber die Zeichen des Verfalls waren unübersehbar und sie zeigten sich hinter den Kulissen ebenso deutlich wie am äußeren Erscheinungsbild.
In der Stadt des Sultans und der Wesire herrschten die Privilegierten als eine geschlossene Gesellschaft, in die ein Außenstehender niemals eindringen konnte. Aber die Macht der Reichen begann zu zerbröckeln. Mit den politischen Schwierigkeiten des Osmanischen Reiches gingen in Istanbul Parteihader und Haremsintrigen einher.
Was Stimmen in der abendländischen Welt lange vorhergesagt hatten, war nach Hasards Eindruck nicht mehr von der Hand zu weisen: Der Niedergang des Osmanienreiches hatte eingesetzt.
Der Seewolf kehrte auf das Achterdeck zurück.
„Was haltet ihr von dieser Verabredung?“ wandte er sich an die Männer. „Auf der Kuhl kursieren schon wieder die schlimmsten Weissagungen.“
Dan O’Flynn lachte leise. „Ein gefundenes Fressen für den Old Man, wette ich. Nach allem, was schon schiefgegangen ist, dürfte der Verdruß nun ja auch wirklich nicht mehr abreißen.“
„Ein anständiger Kerl, dieser Kaymaz“, sagte Ben Brighton. „Ich halte deine Entscheidung für richtig, Sir. Außerdem erscheinen mir die Absichten dieses Kemal Yildiz plausibel.“
Der Seewolf blickte den Ersten Offizier erstaunt an. „Du findest ausnahmsweise kein Haar in der Suppe?“
Ben schüttelte den Kopf und grinste. „Das mußt du wohl immer falsch gesehen haben. Ich weise nur da auf Risiken hin, wo wirklich welche vorhanden sind.“
„Ich stimme Ben zu“, meldete sich Don Juan de Alcazar zu Wort. „Ein bedeutender türkischer Kaufmann sucht Handelsbeziehungen zu europäischen Ländern. Er wird sich kaum mit Venezianern oder Spaniern in Verbindung setzen. Wir – ich meine, ihr kommt ihm wie gerufen.“
Hasard lächelte. „Du kannst ruhig zugeben, daß du dich schon mehr als Engländer fühlst.“
Don Juan nickte und lachte, und die anderen stimmten mit ein.
Der Seewolf war zufrieden. Er war sich darüber im klaren, daß er trotz allem ein gewisses Risiko einging. Andererseits waren sie sich von vornherein einig gewesen, die Liegezeit in Istanbul nur dann zu verlängern, wenn sich Möglichkeiten ergaben, lohnende Beziehungen anzuknüpfen. Eben dies schien sich nun durch die Verabredung mit Kemal Yildiz abzuzeichnen.
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