Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 591»
Impressum
© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-96688-005-3
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Burt Frederick
Die Küste der Menschenräuber
Ihren Stützpunkt haben sie in der rauhen Bretagne – aber sie tragen den Schrecken über das Meer
Brüllend rannten die Wogen gegen die Küste an. Donner begleitete den beginnenden Sturm, und Blitze erhellten das Tosen. Das Boot tanzte.
Maureen O’Riordan schrie.
Jedesmal, wenn die Jolle in ein neues Wellental hinunterstieß, war Maureen sicher, für immer verschlungen zu werden. Sie konnte nicht aufhören zu schreien. Denn die Männer hatten sie auf der mittleren Ducht festgebunden.
Sie waren zu viert, pullten verzweifelt und schienen selber Angst zu haben.
Immer wieder warf das Mädchen den Kopf herum, um nach dem rettenden Land zu spähen. Einmal, als das Boot auf eine Wellenkrone gehoben wurde, sah sie die Felsenküste.
Es war eine Küste wie in Irland.
„Herr, laß es nur einen Alptraum sein!“ schrie Maureen …
Die Hauptpersonen des Romans:
Maureen O’Riordan – die junge Irin wird von unbekannten Kerlen entführt und auf eine Insel verschleppt.
Jacques Hélias – der Bretone betreibt das einträgliche Geschäft des Menschenhandels.
Viviane Argouiche – das Riesenweib ist zum Fürchten, und Jacques Hélias steht unter ihrer Fuchtel.
Padraic Kavanagh – weil seine Braut entführt wurde, wird er zornig und hält die Engländer für die Entführer.
Der Kutscher – mit Hasard und Philip junior gerät er in einen Hinterhalt und wird wie sie zusammengeschlagen.
Philip Hasard Killigrew – wenn man ihm die Söhne raubt, wird der Seewolf rabiat.
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
1.
Aber sie wußte, daß es eine lächerliche Hoffnung war, ein Flehen, das niemals erhört werden würde. Das Unwetter war ebenso wirklich wie alles, was hinter ihr lag. Die Männer, die sie entführt hatten, waren mit ihr tagelang über das Meer gefahren.
Ganz gewiß hatten sie das nicht getan, um an einer anderen Stelle der irischen Küste wieder an Land zu gehen. Denn sie waren keine Iren. Ihre Sprache klang vertraut und doch anders.
Mit jeder Bö schwoll der Sturm an. Das hörte und spürte Maureen deutlich. Sie war an der See aufgewachsen und kannte die Zeichen, mit denen die Natur Gutes oder Böses ankündigte.
Das Pullen der Männer erschien ihr so überflüssig wie der Gedanke eines kleinen Kindes, es könne sich verstecken, indem es einfach die Augen schloß. Bei drei von vier Zügen peitschten die Riemenblätter lediglich den schäumenden Gischt und bewirkten nichts.
Der Sturm heulte und orgelte. Über kurz oder lang würde er mit der Jolle spielen, sie hochschleudern und wieder auf die brodelnden Fluten schmettern – so lange, bis sich die Beplankung von den Spanten löste und zersplittert wurde.
Maureen schloß die Augen. Eine unnatürliche Ruhe erfaßte sie. Sie schrie nicht mehr, der innere Zwang war vorbei.
Sie hatte keine Angst mehr vor dem Tod. Sie wußte, daß er nahe war. Nur Bitterkeit verspürte sie – grenzenlose Bitterkeit. Sie hatte ein gottgefälliges, frommes Leben geführt. Nie hatte sie gegen die Gesetze der Kirche verstoßen. In diesen Minuten, die die Hölle des Unwetters schon andauerte, hatte sie sich wieder und wieder geprüft. Aber da gab es keinen dunklen Punkt in ihrem Leben. Nicht einen einzigen.
Warum mußte der Herr sie dann strafen? Für was?
Den Tod an sich konnte sie begreifen. Wenn der Allmächtige die Menschen durch Sturm und Gewitter seinen Zorn spüren ließ, dann war es verständlich, daß er dabei auf den einzelnen keine Rücksicht nehmen konnte. Unschuldige mußten also gelegentlich den Tod finden, auch wenn ihre Zeit noch nicht gekommen war. Das hatte Maureen von Father Geraghty gelernt und auch verstanden.
Was sie aber nicht verstand, das war die Grausamkeit, die ihr in dieser sturmgepeitschten Nacht widerfuhr. An die Ducht gefesselt, hatte sie keinerlei Möglichkeiten, gegen die Wogen anzukämpfen. Wenn das Boot erst einmal zerschellt war, würde sie ertrinken wie eine Katze, die man in einem zugebundenen Sack mit Steinen versenkte.
So etwas konnte nicht Gottes Wille sein. Sie beanspruchte keine Sonderrechte für sich. Aber es wollte ihr nicht in den Kopf, daß jemand, der seine Gebote immer befolgt hatte, dann doch bestraft wurde wie ein gemeiner Verbrecher. Sie bedauerte, daß sie Father Geraghty deshalb nicht mehr zur Rede stellen konnte.
Von den Gischtschwaden, die der Sturm aus den Wogen riß und darüber hinwegtrieb, war Maureen längst bis auf die Haut durchnäßt.
Plötzlich erhielt das Boot einen Stoß, der der Windrichtung entgegengesetzt war.
Maureen schrie von neuem. Sie hörte die Männer vor sich und hinter sich brüllen und glaubte, das Ende sei nun da. Erst im nächsten Moment begriff sie, daß dieses Brüllen aus Freude und Triumph geschah – Triumph über die Macht von Wind und Wogen. Der Stoß ging in ein gleitendes Knirschen über. Maureen hatte den Oberkörper zusammengekrümmt, um nicht zurückgeworfen zu werden. Sie wußte, wie schmerzhaft die Fesseln dann in ihren Körper schnitten.
Das Boot war auf den steinigen Ufergrund gerutscht.
Die nächste Woge begrub die vier Männer und das Mädchen unter sich und schien sie in die See zurückreißen zu wollen. Aber das Gewicht der Jolle reichte aus, um standzuhalten. Die Wassermassen sanken in sich zusammen und rauschten schäumend beiderseits des Bootsrumpfes ab. Die Männer sprangen hinaus und zogen die Jolle höher an Land.
Das Gewitter hatte nachgelassen, doch der Sturm wurde um so heftiger. Nur noch Wetterleuchten erhellte die Küstenlandschaft in größeren Abständen. Die Entführer brachten das Boot hinter einem gut mannshohen Felsbrocken in Sicherheit. Dann erst banden sie die junge Irin los.
Maureen fiel es schwer, sich auf den Beinen zu halten. Zwei der Kerle stützten sie auf dem Weg zu einem Geröllpfad, der in die Felsenhänge hinaufführte.
Ein ferner Blitz gab den Blick auf das sturmgepeitschte Meer frei. Es war eine grauschwarz kochende Hölle mit heller Gischt und bedrohlich finsteren Fluten.
Maureen sehnte sich danach, das Glück auszukosten, dem Tod noch einmal entronnen zu sein. Aber dieses Glücksgefühl wurde erstickt von der dumpfen Ahnung, daß ihr ein Schicksal bevorstand, das möglicherweise schlimmer war als der grausamste Tod.
Die Böen preßten ihr die nasse Kleidung auf die Haut und jagten Kälteschauer durch ihren Körper. Je höher sie in den Fels hinaufstiegen, desto schärfer wurde der Sturm, desto schneidender die Kälte. Diese Märznacht des Jahres 1598 deutete an, daß der Frühling noch eine Weile auf sich warten lassen würde. Aber was für ein Land war das hier, das so sehr an Irland erinnerte und doch nicht Irland sein konnte?
Im gelegentlichen Wetterleuchten glänzte das nasse Gestein schwarz und abweisend. Der Geröllpfad wurde schmaler. Zwei Männer gingen voraus, zwei folgten Maureen. An eine Flucht konnte sie nicht denken. Das wußten ihre Entführer nur zu gut.
Der Pfad war gefährlich. Ein Fehltritt konnte den Tod bedeuten, denn sie hatten mittlerweile beträchtliche Höhe gewonnen. Das Schäumen und Brodeln der See blieb in der Tiefe zurück und schien an Bedeutung zu verlieren.
Maureen vermochte sich fast schon nicht mehr vorzustellen, daß sie sich noch vor wenigen Minuten in der Gewalt jener entfesselten Elemente befunden und um ihr Leben geschrien hatte.
Was mochte aus dem Fischkutter geworden sein, der die Jolle draußen, im Eingang der Bucht, abgesetzt hatte? Zwei Männer waren an Bord geblieben, um den Kutter in eine andere Bucht zu verholen. Das hatte Maureen aus den Gesprächen der Männer herausgehört.
Mit jenem Einmaster war sie aus ihrer Heimat entführt worden. Sie hatte noch niemals anderen Menschen etwas Schlechtes gewünscht, aber sie ertappte sich jetzt dabei, daß sie sich voller Genugtuung ausmalte, wie der Kutter im Sturm kenterte und sank.
In diesen wenigen Tagen seit ihrer Entführung hatte Maureen O’Riordan begriffen, daß die Welt gemeiner und unberechenbarer war, als sie sich das in der Beschaulichkeit ihres kleinen irischen Dorfes vorgestellt hatte.
Oberhalb der Felsenküste erreichten sie einen Hohlweg. Zwei der Entführer ergriffen abermals Maureens Arme. Sie schienen noch immer zu befürchten, daß sie weglaufen könnte. Der Sturm war nun weniger zu spüren, denn die Erhebungen beiderseits des Weges waren ein guter Schutz.
Dürres Gras und Buschwerk, oben auf den dünenartigen Kämmen, wurde von den Böen immer von neuem zu Boden gedrückt, kaum daß es sich aufgerichtet hatte. Es erinnerte Maureen an die Warren Bay, zu Hause, nahe ihrem Geburtsort Rosscarbery im County Cork. Auch dort führte so ein Weg von den wasserumtosten Uferklippen hinauf zu dem Land aus Gestein, Sand und genügsamen Pflanzen.
Durch Pfade zwischen Steinwällen eilten die Männer mit ihr immer weiter landeinwärts. Düster geballte Wolkenfelder mit vereinzelten hellen Flecken trieben über das karge Land. Immer seltener wurde die Finsternis von jenem Wetterleuchten aufgerissen, das anzeigte, daß sich das Gewitter rasch nordwärts entfernte.
Die Entführer brachten sie in ein Haus, das einsam auf einer flachen Hügelkuppe stand und wahrscheinlich schon hundert Jahre lang allen Stürmen getrotzt hatte. Maureen hatte das Haus erst aus unmittelbarer Nähe entdeckt, so sehr war es mit der Landschaft verwachsen und schien ein natürlicher Bestandteil davon zu sein.
Dann, im Inneren, sah sie, daß die Mauern ohne Mörtel aus Felssteinen aufeinandergeschichtet waren – auf jene fachmännische Weise, die solche Mauern kaum jemals einstürzen ließ.
Wieder mußte sie staunen. Auch diese Bauweise war ihr aus Irland vertraut. Das Dach bestand aus Balken und Schieferplatten. Die Fensterhöhlen, ohne Glas und Holzrahmen, waren mit rohen Brettern zugenagelt. Das Haus hatte drei durch Mauern voneinander abgeteilte Räume. In jedem gab es eine offene Feuerstelle mit Rauchabzug.
Die Männer führten Maureen in den hinteren Raum und schichteten Holzscheite auf. Wenig später flackerten Flammen auf, die sich im Handumdrehen an den Scheiten hochfraßen. Wohlige Wärme entstand.
„Kannst jetzt deine Sachen trocknen“, sagte einer der Kerle. „Und keine Angst. Wir kümmern uns nicht um dich. Es ist uns verboten worden.“
Maureen starrte den Mann an und begriff nicht, warum sie ihn verstand. Was er sagte, klang dem Gälischen, ihrer Muttersprache, lediglich ähnlich. So ähnlich jedoch, daß sie den Sinn der Worte verstehen konnte.
Die Entführer zogen sich zurück und hängten einen Sack vor die Türöffnung. Maureen hatte sich bis eben noch mit der nassen Kleidung abgefunden. Ihr tatenloser Kampf gegen das Unwetter und ihr Überlebenswille hatten alle anderen Empfindungen unterdrückt.
Nun aber breitete sich die Wärme mehr und mehr aus, mit der blakenden Öllampe und dem festgestampften Lehmfußboden gewann der Raum sogar eine gewisse Gemütlichkeit. Der auf dem Leib klebende Stoff fühlte sich für Maureen wie ein schwerer nasser Panzer an.
Sie blickte zögernd auf die zugehängte Türöffnung und überwand sich. Was der Mann gesagt hatte, schien glaubwürdig zu sein. Sie hatten offenbar gehörigen Respekt vor jemandem, dessen Befehle sie ausführten.
In der hinteren Ecke des Raumes sah Maureen eine Art Pritsche aus Rinderfellen und wollenen Decken. Sie zerrte sich die nassen Sachen vom Körper und breitete sie zum Trocknen in der Nähe der Feuerstelle aus. Einen Moment blieb sie dicht vor den Flammen stehen.
Die Wärme auf der nackten Haut zu spüren, ergab ein Gefühl des Behagens und der Geborgenheit. Ein Prickeln durchströmte sie. Für diese Sekunden vergaß sie, daß sie sich in einem fremden Land und in der Gewalt von Männern befand, deren Absichten sie nicht kannte.
In jenen Sekunden gab es keinen anderen Gedanken für sie außer diesem einen: Ich lebe noch!
Rasch trocknete die Nässe, die die Kleidung auf ihrer weißen Haut zurückgelassen hatte, in der Wärme der prasselnden Flammen. Das schwarze Haar, sonst seidenweich, fiel in Strähnen über ihre Schultern.
Maureen war schlank, doch mit ausgeprägt weiblichen Formen. Sie dachte an Padraic, dem sie versprochen war. Nicht einmal er hatte sie so gesehen. Ihre Weiblichkeit war das Geheimnis, das sie für ihn hütete – wie Father Geraghty ihr erklärt hatte.
Nein. Er hatte es nicht erklärt. Er hatte es befohlen. Je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr gewann sie die Überzeugung, daß es regelrechte Befehle waren, die der Dorfgeistliche von Rosscarbery aussprach. Das Druckmittel, diese Befehle durchzusetzen, war der Hinweis auf die Höllenqualen, die einem bei Nichtbefolgen der kirchlichen Richtlinien drohten.
Eine unbestimmte Ahnung ließ Maureen plötzlich bedauern, daß sie sich Padraic nicht einfach hingegeben, sondern seinem ungestümen Verlangen getrotzt hatte, obwohl dieses Verlangen auch ihren innersten Empfindungen widersprach.
Mit einem klatschenden Laut wurde der Sack beiseite geschlagen.
Maureen erschrak. Vergeblich versuchte sie, noch eine der Decken oder ein Kleidungsstück an sich zu reißen.
Der Mann stand schon im Raum. Grinsend betrachtete er sie.
Mit den Händen konnte Maureen ihre Blöße nur unzureichend bedecken.
2.
Auf den Decks der „Fidelidad“ und auch auf der Schebecke waren Manntaue gespannt. Seit drei Tagen schon. Bereits vor Einbruch der Dunkelheit hatte es verteufelt danach ausgesehen, daß die Sicherungsmaßnahme noch lange nicht aufgegeben werden konnte.
Der nächste Sturm hatte sich deutlich genug angekündigt.
Don Juan de Alcazar, der das Kommando auf der „Fidelidad“ führte, hatte sich durch Anpreien mit dem Seewolf verständigt. Hasard hatte sofort zugestimmt. Eine Sturmfahrt durch die Biscaya lag hinter ihnen. Das Wetter hatte allen Männern das Äußerste abverlangt, was nicht hieß, daß sie nicht noch einen oder mehrere weitere Tage unter ähnlichen Umständen durchstehen würden. Es ging noch nicht an ihre Kraftreserven.
Es war jedoch der Zustand der Schiffe, der Sorgen bereitete.
Zwar hatten sie in La Coruña erstklassiges neues Segeltuch und ausreichende Proviantvorräte für die „Fidelidad“ erhalten, und ersteres hatte sich in der Biscaya auch bestens bewährt. Aber insbesondere die Galeone reagierte mit besorgniserregender Trägheit auf das Ruder. Beim Kampf gegen den Sturm war das erschreckend deutlich geworden. Die Schebecke zeigte ein ähnliches Handicap indessen nur im Ansatz. Bei den Symptomen war allen Männern die Ursache klar. Sie brauchten nicht lange herumzugrübeln.
Vor allem die „Fidelidad“ schleppte einen mächtigen Panzer aus Muscheln und Algen am Unterwasserschiff mit sich. Dieser Panzer war zu einem solchen Gewicht angewachsen, daß er die Stabilität der Galeone stark beeinträchtigte. Weder Don Juan noch der Seewolf wollten daher riskieren, die Route nach Cornwall weiterzusegeln und ein erneutes Unwetter in Kauf zu nehmen.
Dan O’Flynn, in seiner Funktion als Navigator, hatte anhand der Seekarten ermittelt, daß sie sich nur zwei Seemeilen westlich von der Ile de Sein befanden.
Die Insel war Pointe du Raz vorgelagert, einer von Quimper nach Westen hinausragenden Halbinsel, die zur Bretagne gehörte. Die Arwenacks hatten ihre besonderen Erinnerungen an diesen Teil Frankreichs.
Da der Wind mit tückischen Böen aus südwestlichen Richtungen wehte, hatten die Arwenacks keine Schwierigkeiten, auf Ostkurs zu gehen und Direktkurs auf die Ile de Sein zu nehmen. Doch der Sturm, der sich mit einer pechschwarzen Wolkenfront von Westen her ankündigte, holte sie ein. Innerhalb von Minuten brach die Finsternis herein.
Hasard und Don Juan ließen Tuch wegnehmen.
Beide Schiffe hatten Lampen gesetzt. Die Schebecke übernahm die Führung, und Dan O’Flynns scharfe Augen gaben den Ausschlag, Trotz der miserablen Sicht erspähte er die winzigen Lichtpunkte, die auf einen schützenden Hafen hinwiesen.
Dan täuschte sich nicht. Während Sturm und Gewitter mit voller Wucht losbrachen, zeichneten sich im taghellen Licht der Blitze die Konturen der Bucht ab. Es war vermutlich der bestmögliche natürliche Hafen, den man hier, auf der Ile de Sein, hatte nutzen können.
Hohe Felswände umschlossen die Bucht im Norden und im Süden, die Einfahrt war ohne größere Gefahr passierbar. Die Lichter waren nun deutlicher erkennbar, auch für alle übrigen Arwenacks, die nicht über die ungewöhnliche Sehschärfe Dan O’Flynns verfügten.
Mit hoher Fahrt liefen die von Größe und Konstruktion her so unterschiedlichen Dreimaster in die Bucht ein. Augenblicklich schien zumindest der Sturm ausgesperrt zu sein. Dank der Helligkeit der Blitze, die in rascher Folge aus der finsteren Wolkenmasse zuckten, waren der Seewolf und Don Juan auf die Hafenlaternen fast nicht angewiesen.
Überwiegend waren es Fischkutter, die an Dalben und Stegen dümpelten. Lediglich einen etwas größeren Zweimaster, der offenbar als Frachtsegler für die Versorgung der Insel diente, konnten die Männer entdecken.
Noch im Eingang der Bucht nahmen sie das letzte Tuch weg. Etwa zwei Kabellängen von einer in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Kaimauer entfernt, legten sie die Galeone und die Schebecke an Duckdalben.
Der Seewolf ließ das Beiboot fieren, und gemeinsam mit Ben Brighton und Dan O’Flynn begab er sich an Land. Das Gewitter zog mittlerweile langsam ab, doch der Sturm tobte heftiger und jagte seine brüllenden Böen über die Felswände hinweg, die sowohl die Bucht als auch die kleine Ansiedlung wirksam schützten.
Am Kai waren Männer erschienen. Sie beobachteten die Bucht, als erwarteten sie weitere schutzsuchende Schiffe. Einige der Männer hielten Laternen in der Hand. Ihre Kleidung war geeignet, dem Sturm und der Nässe zu trotzen.
In den übergroßen Jacken aus Ölzeug sahen sie wie Statuen aus, unter den wie große Schlapphüte geformten Kopfbedeckungen wirkten ihre Gesichter wie helle, unbewegte Flecken.
Hasard stellte sich als Kapitän der Schebecke vor und fügte hinzu, daß sie gemeinsam mit der Galeone nach England unterwegs seien. Einer der Bretonen übersetzte in die gutturale keltische Sprache seiner Landsleute. Sie grinsten. Warum, das sollten Hasard und seine Begleiter gleich darauf erfahren.
„Eine spanische Galeone?“ fragte der Mann, der das Englische beherrschte. „Gekapert?“
Hasard, Ben und Dan konnten nicht umhin, ebenfalls zu grinsen.
„Vor Spaniens Nordküste“, antwortete er, um zu unterstreichen, wie sehr man den Dons eins ausgewischt hatte. Der letzte Krieg, den die Franzosen gemeinsam mit Engländern und Holländern gegen die Spanier und ihre gegenreformatorische Einmischung geführt hatten, war erst vor zwei Jahren zu Ende gegangen.
Sie wurden zum Bürgermeister geführt, der in Hafennähe wohnte. Der grauhaarige alte Mann hieß sie auf der Ile de Sein willkommen und erklärte ihnen, daß sie die Gastfreundschaft der Dorfbewohner so lange genießen könnten, wie sie wollten.
Der englischsprechende Bretone wies den Seewolf und seine Begleiter darauf hin, daß der Tidenhub hier, an der Küste der Bretagne, über sieben Faden betrage. Obwohl er es wußte, bedankte sich Hasard für den Hinweis und versprach, seine Gefährten entsprechend zu unterrichten.
Sie kehrten auf die Schebecke zurück. Etwa eine Stunde später sahen sie einen Fischkutter einlaufen, der offenbar die schlimmste Sturmhölle mit knapper Mühe überwunden hatte.
Den Arwenacks fiel auf, daß sich nur zwei Mann an Bord des Kutters befanden, der zudem über kein Beiboot verfügte. Die beiden Fischer vertäuten den Kutter am Kai, wechselten nur wenige Worte mit den dort ausharrenden Dorfbewohnern und verschwanden dann in einer der unbeleuchteten Gassen.
Der Sturm wütete weiter über der See.
Maureen erinnerte sich an den Mann.
Zwar hatte sie ihn an Bord des Kutters nur in schwerem Ölzeug gesehen, aber das war zunächst noch bei Tageslicht gewesen, und sein Gesicht war so markant, daß man es unter Tausenden erkennen würde, selbst wenn man ihm nur ein- oder zweimal gegenübergestanden hatte.
Eine vorspringende, scharfkantig gebogene Nase beherrschte sein Gesicht. Der sichelförmige Bart, den die Nasenspitze in der Mitte fast verdeckte, ließ das Grinsen doppelt spöttisch erscheinen. In seinen Augen, so schwarz wie das Haar, funkelte ein tückisches Feuer. Der Mann war mittelgroß und drahtig. Er trug jetzt lediglich einfache Leinenkleidung.
„Bist ein hübsches Kind“, sagte er mit anerkennendem Nicken, nachdem sein Blick an ihrem Körper auf und nieder gewandert war. Er trat zwei Schritte auf sie zu.
Maureen wich zurück, vom Feuer weg, die Augen vor Angst geweitet. „Ich – ich – ich wollte nur …“, stammelte sie.
„Klar“, sagte der Schwarzhaarige und blieb noch einmal stehen. Er legte die Hände in die Hüften. „Du wolltest deinen hinreißenden Körper mit ein wenig Wärme verwöhnen. Gut. Jetzt bin ich da, und das Verwöhnen wird zehnmal schöner.“
„Nein!“ stieß Maureen entsetzt hervor. „Sie können doch nicht …“ Sie wich weiter zurück, bis sie gegen die harte Steinwand stieß. Sie keuchte in Panik und brachte kein Wort mehr hervor.
Er lachte. „Hör auf, mich so förmlich anzureden. Ich heiße Jacques. Jacques Hélias. Mich kennt sowieso jeder in dieser Gegend, die künftig dein Zuhause sein wird. Nun“, er grinste und strich sich über den Sichelbart, „da ich dich – beschafft habe, ist es gewissermaßen meine Pflicht, dich ein bißchen zu prüfen, bevor ich dich ausliefere.“
Maureen verstand überhaupt nichts mehr. Ihre Angst steigerte sich von Atemzug zu Atemzug, ihr Denkvermögen war wie ausgelöscht. Sie begann zu zittern und schob sich an der rauhen, scharfkantigen Wand entlang auf das Lager aus Fellen und Decken zu, ohne zu erfassen, daß sie damit den Wünschen des Bretonen nur entgegenkam.
Er folgte ihr mit lauernden Bewegungen.
„Nimm endlich die Hände runter“, sagte er barsch. „Glaubst du, ich hätte noch nie ein nacktes Weib gesehen? Du bist vielleicht ein besonders gutgebautes Exemplar, aber im wesentlichen unterscheidest du dich nicht von allen anderen. Stimmt’s?“ Abermals lachte er.
Maureen wollte schreien, aber ihre Stimmbänder versagten. Mit den Kniekehlen stieß sie gegen die Kante der Lagerstatt. Sie knickte ein, verlor das Gleichgewicht und riß reflexartig die Arme hoch, um sich abstützen zu können.
Sie fühlte sich schutzlos und elend in ihrer Blöße. Sie konnte sich nicht aufrichten, denn dann würde sie sich ihm praktisch in die Arme werfen. Vornübergebeugt stand er da und stierte sie an. Ihr war, als stießen seine Blicke in sie ein. Sie war ihm ausgeliefert. Noch immer konnte sie nicht schreien. Er war still geworden in seiner Gier.
Seine Worte dröhnten in ihrem Kopf und begannen zu kreisen.
… dich beschafft habe …
… bevor ich dich ausliefere …
Beschafft hatte er sie? Wie eine Ware oder ein Stück Vieh? Sie erinnerte sich an die Mittagsstunde, in der sie die warme Vorfrühlingssonne am Strand der Warren Bay und auf den Felsenpfaden genossen hatte. Das Klima in der Grafschaft Cork war viel milder als hier, in diesem unbekannten Land.
Ihr Spaziergang in der Einsamkeit, die sie so liebte, war jäh unterbrochen worden – auf brutalste Weise. Die Kerle hatten hinter einem Felsvorsprung gelauert und sie zu einem Boot geschleppt. Dann war sie an Bord des Kutters gebracht worden. Und nun sollte sie Irland niemals wiedersehen.
Aber warum?
Warum?
Maureens Gedanken jagten sich in diesen Sekunden, die ihr noch blieben, bis ihr der gierig starrende Mann Gewalt antun würde. Als Kinder hatten sie von bösen Menschenräubern gehört. Die Nonnen in der Klosterschule hatten von geheimnisvollen Fremden erzählt, die über das Meer fuhren, um kleine Mädchen und Jungen von Irlands Stränden zu stehlen.
Aber Maureen und ihre Freundinnen hatten niemals erlebt, daß eine aus ihrer Mitte plötzlich verschwunden war. Sie hatten es als Legende abgetan, durch die Einbildungskraft der frommen Schwestern dramatisiert.
In der letzten Zeit aber hatten die alten Frauen an den Herdfeuern schlimme Gerüchte verbreitet. Da war sie wieder aufgetaucht, jene vermeintliche Legende, die von den fremden Menschenräubern zu berichten wußte.
Kinder waren indessen nicht ihre Opfer. Mädchen im heiratsfähigen Alter, so hieß es, würden von den Unheimlichen vorzugsweise verschleppt. In Rosscarbery und an der Warren Bay hatte sich Derartiges noch nie ereignet, deshalb nahm niemand in Maureens Heimatdorf die Warnungen der Alten so recht ernst.
Nun aber, nach Maureens Verschwinden, würde das wohl anders sein. Wie würde Padraic reagieren? Würde er sie einfach vergessen und sich eine andere suchen? Vielleicht war es eine willkommene Gelegenheit für ihn, eine zu finden, die bereitwilliger war, wenn er sie in ihrem Verlangen bedrängte.
Maureen zuckte zusammen, als Hélias plötzlich ihre Arme packte und hochriß. Im nächsten Sekundenbruchteil erfaßte er ihre Schultern und stieß sie zurück auf das weiche Lager.
Der Schrei löste sich aus ihrer Kehle. Sie verkrampfte sich und versuchte voller Verzweiflung, sich zu wehren. Ihre Stimme gellte. Hélias versetzte ihr eine schallende Ohrfeige. Sie verstummte. Der Schmerz brannte auf ihrer Wange und raste durch ihren Kopf.
„Einfältiges dummes Ding!“ knurrte er. „Zier dich nicht so! Du weißt ja gar nicht, was für ein Vergnügen dich erwartet!“ Während er sie mit der einen Hand auf die Decken drückte, nestelte er mit der anderen an seiner Gürtelschnalle.
Maureen schluchzte. Tränen traten in ihre Augen. Sie versuchte noch einmal, sich zu wehren, indem sie all ihre Kraft zusammenraffte. Aber ihr Peiniger erkannte schon im Ansatz, was sie vorhatte. Lachend stieß er ihre Knie zur Seite, mit denen sie ihn an der empfindlichsten Stelle hatte treffen wollen.
Maureen spürte in diesem Moment, daß sie keine Chance mehr hatte. Ihr Schicksal war besiegelt. Sie würde nie wieder die sein, die sie einmal war.
Selbst wenn es Padraic gelingen sollte, sie zu finden, würde sie nicht mehr seine Braut sein können. Ja, sie würde es wahrscheinlich nicht einmal mehr fertigbringen, ihm in die Augen zu sehen.
Jacques Hélias keuchte, und seine Augen glitzerten vor Gier.
Maureen senkte die Lider, um den Mann nicht ansehen zu müssen.
Deshalb nahm sie die plötzliche Bewegung nur wie ein Huschen wahr und erkannte nicht, daß diese Bewegung von einem Menschen stammte.
Ein heiserer Wutschrei war zu vernehmen. Im selben Moment verschwand das Keuchen aus Maureens Nähe. Ungläubig öffnete sie die Augen.
„Verfluchter Narr!“ brüllte die Frau, die eben auch jenen Schrei ausgestoßen hatte. „Bist du nicht bei Trost, du verdammter Schwachkopf? Begreifst du nicht, was du da anrichtest? Ihren Preis erbringt die Schlampe nur, wenn sie unberührt ist!“
„Aber der alte Trottel merkt doch bestimmt nicht …“, versuchte Hélias einen schwachen Protest.
Ein klatschender Hieb brachte ihn zum Schweigen.
Maureen O’Riordan setzte sich unwillkürlich auf. Das unglaubliche Geschehen ließ sie für den Moment sowohl ihre Angst als auch ihre Blöße vergessen. Die Szene, die sich da vor ihren Augen abspielte, war so ungewöhnlich, daß eine aberwitzige Art von Heiterkeit in ihr aufkeimte.
Der immerhin kräftig gebaute Mann wurde von der Wucht des Hiebes quer durch den Raum getrieben. Er ruderte dabei heftig mit den Armen, um sein Gleichgewicht nicht zu verlieren. Denn seine Hose hing in den Kniekehlen, und so war er zu kurzen, immer schneller werdenden Schritten gezwungen. Dann stürzte er doch und hatte Glück, die gegenüberliegende Steinwand um Haaresbreite zu verfehlen und sich nicht den Schädel einzuschlagen.
Er zappelte wie ein auf dem Rücken liegender Käfer. Mit den Beinen strampelnd, mühte er sich ab, die Hose loszuwerden. Es gelang ihm nicht.
Die Frau trat auf ihn zu, die Fäuste in die Hüften gestemmt. Eine große, schwergewichtige Frau von ausladenden Körpermaßen. Erstaunlicherweise trug sie Stiefel und dazu eine Hose, die das Format zweier aneinandergenähter Kartoffelsäcke hatte.
Maureen sah die Frau nur schräg von hinten. Ihr massiger Oberkörper gewann durch eine dunkelgraue Jacke zusätzlichen Umfang. Das dunkle Haar hing in fettigen Strähnen von ihrem breiten Kopf. Man konnte fast annehmen, daß diese Strähnen aus unechtem Haar gefertigt und angeklebt waren.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.