Kitabı oku: «Das Geheimnis von Nevermore», sayfa 3
Ich lachte leise und fuhr mir über meine Stoppeln. »Ich hab heute unerwarteterweise frei.«
Er grummelte vor sich hin, als er zwei Tassen und einen Teller für die Donuts aus dem Schrank holte. »Maggie hätte heute trainieren gehen sollen, aber die Tierheime haben alle zu.«
»Ist wahrscheinlich besser so.«
Dad war 63 Jahre alt und hatte vor seinem Ruhestand 30 Jahre lang amerikanische Literatur an der New York University unterrichtet. Er konnte mit der ganzen freien Zeit nicht umgehen und ich hatte ihm vorgeschlagen, einen Hund zu adoptieren, bevor er wahnsinnig werden würde. Hier kam seine kleine Prinzessin Maggie ins Spiel. Sie und Dad nutzten nun all ihre freie Zeit mit ehrenamtlicher Arbeit. Sie halfen Tierheimen dabei, gerettete Pitbulls in der Stadt zu rehabilitieren.
Maggie rannte quer durch die Küche, hielt neben mir an und streckte mir das quietschende Spielzeug entgegen, das sie in ihrem Maul trug.
»Neues Spielzeug?« Ich warf es sanft durch den Raum.
»Es ist gut, manchmal ein neues Spielzeug zu haben«, antwortete mein Dad. »Hunden kann langweilig werden.«
Maggie brachte das quietschende Ungetüm wieder zu mir zurück. Ich warf es noch mal, bevor ich meinen Dad anstarrte. Wir sahen uns wahnsinnig ähnlich. Er war gut gealtert und ich hoffte, dass das vererbbar war. Wir hatten dasselbe dunkelbraune Haar, auch wenn seins mittlerweile eher grau war. Sagte er zumindest. Wir hatten beide buschige Augenbrauen und einen Gesichtsausdruck, den meine Ex-Freunde einst als süß und ein bisschen dämlich, aber liebenswert bezeichnet hatten. Man konnte es auch so ausdrücken: Sexy war keins der Adjektive, die Dad oder ich je zu hören bekommen hatten.
»Kaffee?«
»Gern«, sagte ich und Dad gab einen Schluck Milch in beide Tassen.
»Du hast aufgebracht geklungen am Telefon.« Er fing an, den Kaffee einzugießen.
»Wirklich?« Ich nahm die Tassen und brachte sie zu dem kleinen Esstisch.
»Ist alles okay mit Neil?«
Ich setzte mich langsam hin und drehte mich dann zu ihm um. Er kam mir mit dem Teller Donuts entgegen. »Alles okay.«
Dad sah mich kritisch an, als er sich zu mir setzte. »Ja?« Das war eine rhetorische Frage.
»Es ist okay«, sagte ich. »Es geht in letzter Zeit ein bisschen drunter und drüber, das ist alles.«
»Hauptsächlich drunter«, murmelte Dad. Er nahm sich einen Donut und brach ihn in zwei Hälften, bevor er genüsslich in eine reinbiss.
Es machte keinen Sinn, ihm zu widersprechen, also blieb ich still und griff nach meinem eigenen Donut.
»Das ist nicht gesund, Sebastian.«
»Die Donuts?«
Er fand das nicht sonderlich lustig. »Du hast genug durchgemacht, als du ein Teenager warst. Du solltest kein Drama in deinen Dreißigern mehr haben müssen.«
»Dad, ich wurde in der Schule wegen meiner Kleidung gehänselt. Nicht, weil ich schwul bin. Erinnerst du dich an den Tag, als ich aus Versehen eine violette Hose mit einem gelben T-Shirt anhatte?« Ich konnte immer noch nicht verstehen, wieso das so ein Fashion-Fauxpas war.
»Ist egal«, meinte Dad. »Du bist erwachsen. Ich werde nicht hier sitzen und dir bei deiner Wahl eines Partners reinreden.«
»Weiß ich zu schätzen.« Ich rieb meine Hände aneinander, um sie von übrig gebliebenen Donutkrümeln zu befreien, verschränkte sie dann hinter meinem Kopf und lehnte mich zurück. »Gestern ist etwas Seltsames im Imperium passiert«, fing ich an und versuchte, damit die Unterhaltung in eine andere Richtung zu lenken.
Nachdem ich Dad die ganze Geschichte erzählt hatte, fragte er: »Das verräterische Herz?«
Ich lachte kurz auf. »Das ist genau das, woran ich dachte.«
Mein Vater kannte Literatur in- und auswendig, vor allem die von einer so begabten, gequälten Seele wie Edgar Allan Poe. Wir hätten ihm schließlich moderne Detektivgeschichten zu verdanken, hatte mein Vater immer gesagt, als ich aufgewachsen war. Poe hatte geholfen, Science-Fiction zu dem zu machen, was es heute war, und hatte es geschafft, Geschichten mit verschlüsselten Botschaften populär zu machen. Dad konnte tagelang von amerikanischen Schriftstellern und ihrem Einfluss auf die Literatur erzählen.
»Es ist seltsam, oder?«
»Es ist definitiv nicht sehr weihnachtlich. Wie ist es unter deinen Fußboden gekommen?«
»Keine Ahnung. Neil meint, dass mir jemand einen Streich gespielt habe, während Max und ich zu beschäftigt waren, um richtig aufzupassen.«
Dad dachte für einen kurzen Moment angestrengt nach und fing an, seinen dritten Donut zu essen. »Ich habe nichts über Mike und seinen Laden in den Nachrichten gehört. Das tut mir leid für ihn.«
»Das kommt bestimmt daher, dass im Fall des Einbruchs immer noch ermittelt wird.« Ich trank meinen Kaffee und schaute zu, wie mein Vater sich von Maggie ablenken ließ. »Hey, Dad«, sagte ich leise und stellte meine Tasse ab. »Kann ich dich etwas fragen?«
»Klar«, antwortete er und wuschelte über Maggies großen Kopf.
»Wieso hast du nicht mehr geheiratet? Nachdem Mom abgehauen ist?«
Er hielt kurz inne und sah mich dann an. »Das kommt gerade aus dem Nichts.«
»Ich bin nur neugierig«, meinte ich mit einem Schulterzucken.
»Na ja, ich war zu beschäftigt damit, dich großzuziehen.«
»Du ziehst mich nicht mehr groß.«
»Ein Vater hat nie Feierabend.«
»Ich will nur nicht, dass du einsam bist. Das ist alles.«
Er grunzte. »Du denkst, ich sei einsam, Sebastian?«
Es schien besser, das nicht zu beantworten, daher zuckte ich nochmals mit den Schultern.
»Bin ich nicht. Aber willst du etwas wissen?«
Will ich?
»Was denn?«
»Es ist nie gut, wenn man seine eigenen Gefühle auf jemand anderes projiziert.«
New York City hatte über acht Millionen Einwohner. Acht Millionen. Und ich war einsam. Ich war mit Neil jetzt schon seit vier Jahren zusammen. Damals hatte ich mich Hals über Kopf in den intelligenten, sexy Polizisten verliebt, und vor sechs Monaten hatte ich ihn endlich gefragt, ob er bei mir einziehen wollte. Das hatte sich wie ein großer Schritt in die richtige Richtung angefühlt. Ich dachte, dass Neil sich bestimmt nicht mehr verstecken wollen würde, wenn wir erst einmal zusammenwohnten. In meinem Kopf hatte ich mir das so schön vorgestellt: Er wäre out and proud und wenn Leute uns zusammen sähen, würden sie wissen, dass ich sein Partner war.
Leise schnaubte ich vor mich hin, als ich nach dem Besuch bei meinem Dad den Gehweg entlanglief. Neil und ich lebten nun zusammen in dieser kleinen Wohnung und ich hatte mich noch nie so weit von ihm entfernt gefühlt. In den ganzen letzten vier Jahren nicht. Alles war vor sechs Monaten den Bach runtergegangen und ich sah das jetzt erst richtig ein. Frohe verdammte Weihnachten, Sebastian.
Es war kalt und der Wind war stark genug, um mich hin und her zu schleudern. Trotzdem beschloss ich, auf meinem Heimweg bei Mike vorbeizuschauen und mit ihm zu reden. Ob Neil dem zustimmte oder nicht, war mir egal. Ich war verflucht noch mal erwachsen, und wenn ich Mike fragen wollte, wieso er mich beschuldigte, ihn bestohlen zu haben, dann konnte ich das tun.
Obwohl Mikes Laden nicht weit von Dads Wohnung entfernt war, war ich komplett durchgefroren, als ich endlich bei der Bond Street ankam. Die Autos am Straßenrand waren unter mindestens 30 cm Schnee begraben, aber trotzdem konnte ich den Umriss von Mikes berühmten 1957er Chrysler New Yorker erkennen. Angeblich war die offizielle Bezeichnung der Farbe des Autos Babyrosa, aber die Nachbarn nannten es immer das Hubba-Bubba-Mobil. Vermutlich wäre der Witz lustig, wenn ich wüsste, welche Farbe Hubba Bubba hatte. Immerhin war mir beim Anblick des Autos klar, dass Mike zu Hause war. Er wohnte in einer Wohnung direkt über seinem Laden.
Schnellen Schrittes ging ich zu den Treppen auf der Seite des Gebäudes, die direkt zu seiner Wohnung führten, aber hielt inne, noch bevor ich die erste Stufe erreichte. In Bond Antiquitäten war es dunkel, aber die schwere Eingangstür stand offen. Gerade mal weit genug, um ein bisschen im Wind hin und her zu schwingen. Schnee war bis in das Ladeninnere vorgedrungen und bedeckte dort den Boden. Die Haare in meinem Nacken stellten sich auf, als ich der Tür zusah, wie sie vor und zurück schwang. Ich sah mich um, konnte aber niemanden auf der Straße erkennen. Meine Hände fingen an, zu schwitzen, als ich zur Türklingel von Mikes Wohnung hastete und den Knopf drückte.
Niemand antwortete.
»Komm schon, du alter Grießgram«, murmelte ich vor mich hin und klingelte noch mal, und noch mal.
Hastig joggte ich zurück zur Straße und versuchte, ein Lebenszeichen durch die Fenster zu erkennen. Aber mit dem Schnee und meiner nicht vorhandenen Fähigkeit, gut zu sehen, konnte ich nicht ausmachen, ob das Licht an war oder nicht. Mike könnte einfach in seinen Laden hinuntergelaufen sein, um etwas zu holen. Er war vermutlich drinnen und wohlauf, während ich hier wie ein Idiot an der Bordsteinkante stand. Aber wieso hatte er kein Licht an? Wieso hatte er die Tür in diesem Sturm offen gelassen?
Knarz. Knarz.
Mike sollte wirklich dringend die Scharniere der Eingangstür ölen. Ich war kurz davor, laut zu lachen, so absurd fand ich es, dass das in diesem Moment mein erster Gedanke war. Mein nächster Gedanke sagte mir, dass ich die Polizei rufen sollte. Aber was dann? Sollte ich ihr sagen, dass ich gerade vor dem Laden stand, dessen Besitzer mich vor Kurzem erst beschuldigt hatte, bei ihm eingebrochen zu sein? Ich zog mein Handy aus meiner Tasche und war kurz davor, eine Nummer einzutippen. Das erschien mir zumindest eine gute Idee zu sein. Was, wenn erneut jemand eingebrochen war?
Die zwei Einser waren bereits getippt, bevor ich innehielt. Was tat ich da? Ich konnte zur Tür gehen und selbst nachsehen. Das war nun wirklich kein Grund zur Panik.
»Mike?«, rief ich in den dunklen Raum hinein und klopfte an der Tür. Ganz langsam öffnete ich sie weiter.
Knaaaaarz.
»Mike? Ich bin’s, Sebastian Snow«, rief ich noch mal und trat ein. »Du hast deine verdammte Tür offen gelassen. Der Boden ist ganz nass«, sprach ich in die hartnäckige Stille hinein. »Ich komme jetzt rein, okay?«
Ich machte einen Schritt nach vorn, bevor ich die Tür hinter mir schloss, und schaute mich vorsichtig um. Die relative Dunkelheit des Ladens, weil kein Sonnenlicht durch die großen Fenster schien, machte es mir leichter, die Umrisse der Stühle und Tische zu erkennen. Ich war lange nicht mehr hier gewesen und die Anordnung war neu.
Ich fühlte mich schuldig, dass ich noch mehr Schnee und Matsch über den antiken Holzboden verteilte, während ich um die Auslagen herumging. Es war mittlerweile offensichtlich, dass Mike nicht hier war und die offene Tür bedeutete, dass etwas nicht stimmte. Ich sollte verschwinden, doch ich tat, was jeder Idiot tun würde: Weitersuchen. Die Stille war irgendwie falsch. Es war, als beträte man einen Raum, von dem man wusste, dass sich eine andere Person darin versteckte. Man glaubte, die Anwesenheit der anderen Person hören zu können, tat es aber doch nicht wirklich.
Ein Schauder lief mir den Rücken hinunter und ich wischte meine verschwitzten Hände an meiner Jeans ab. Am Ende des T-förmigen Grundrisses blieb ich stehen und sah mich um. Hier hinten waren überall hohe Regale. Auf Augenhöhe konnte ich einige der ausgestellten Waren erkennen. Hauptsächlich waren es Accessoires für Frauen: Broschen, Handschuhe und so etwas. Leider konnte ich nicht sehen, was rechts oder links von mir war, ohne die Gänge zu betreten.
Mike ist nicht hier. Schau, dass du wegkommst, du Idiot!
Aber es machte nicht den Anschein, als ob ich akut in Gefahr war. Ich wollte nur sichergehen, dass ich gründlich gesucht hatte, bevor ich darüber nachdachte, die Polizei anzurufen, um … was immer ich dachte, melden zu müssen. Ich atmete vorsichtig ein und bewegte mich nach links, bevor ich in etwas Flauschiges hineinlief. Mit einem kurzen Aufschrei sprang ich zurück und sah auf.
Was zum Teufel? Es sah aus wie eine Katze. Aber wie eine tote. Definitiv eine tote. Sie musste tot sein. Die Arme baumelte von einem Seil, das um ihren Hals gebunden war. Mein Herz fing an, zu rasen, und mein Atem wurde immer schneller und panischer. Mein Blick wanderte das Seil entlang und ich erkannte, dass das andere Ende am Deckenventilator festgemacht war. Nein danke, für das hier war ich definitiv nicht zu haben.
Ich drehte mich um, rutschte auf dem nassen Boden aus und hielt mich an einem Regal fest, um aufrecht stehen zu bleiben. Eine Figur stand regungslos da und starrte mich von der rechten Seite des Ts an. Panisch hastete ich zurück zum Mittelpunkt des Ts und bog in den Hauptgang ab, um so schnell wie möglich zurück zur Tür zu kommen, als ich über etwas Großes und Festes auf dem Boden stolperte. Mit einem spitzen Schrei fiel ich hin und landete direkt auf dem Gegenstand. Erst dann bemerkte ich, dass alles um mich herum klebrig war.
»Oh mein Gott«, hörte ich mich flüstern, als ich mich mit den Händen auf dem Boden abstützte und zitternd wieder aufstand.
Mike starrte mich aus leblosen, halb offenen Augen an. Ein ordentliches Stück von seinem Kopf fehlte. Blut hatte sich um ihn herum gesammelt und verteilt wie ein Heiligenschein.
Kapitel Drei
Heute war ein beschissener Tag. Und der Preis für die Untertreibung des Jahres ging an: Sebastian Snow.
Natürlich musste ich die Polizei rufen. Die Sekunden, nachdem ich Mike gefunden hatte, erschienen mir immer noch surreal. Ich war auf meinen Hintern zurückgefallen und von der Leiche weggestrampelt. Meine Hände und Jacke waren voller Blut. Für einen Moment saß ich benommen auf dem Boden, während mein Herz gegen meine Brust pochte und ich versuchte, meinen Atem unter Kontrolle zu bringen.
Was soll ich tun? Heilige Scheiße.
Dann kam mir ein Gedanke: Detective Winter. Er hatte mir gestern seine Visitenkarte gegeben. Ich hatte überlegt, sie einfach wegzuschmeißen, hatte sie letztendlich aber doch in meine Tasche gesteckt. Nichts erschien mir in dem Moment sinnvoller und sicherer, als ihn anzurufen. Er arbeitete schließlich bereits an dem Einbruch, den Mike gemeldet hatte. Er würde helfen. Er wusste bestimmt, was zu tun war.
Ich wischte mir meine zitternden Hände an meiner Levi’s ab und suchte in meinen Taschen nach der Karte. Benommen wählte ich die Nummer und hielt das Handy an mein Ohr.
Es klingelte einmal. Zweimal. Dreimal.
Oh Gott, bitte. Bitte heben Sie ab.
Ich stand auf. Meine Beine zitterten, ich fühlte mich benebelt und machte mich schon bereit, mich zu übergeben, als ich eine grummelnde Stimme durch das Handy hörte.
»Detective Winter.«
»I-Ich brauche Hilfe«, sagte ich sofort. Es gab doch nichts Besseres, als direkt zum Punkt zu kommen.
»Wer ist da?« Winters Stimme hörte sich besorgt an.
»Sebastian Snow.«
»Snow?«
»Sie waren gestern …«
»Ich weiß, wer Sie sind. Was ist los?«
Wie sollte ich das nur erklären? Ich atmete tief ein und sagte schließlich mit einer Stimme, die möglicherweise zu gefasst klang: »Es gab einen Unfall in Mikes Laden. Bond Antiquitäten.« Ich drehte mich zu den Regalen um. Jemand hatte dort gestanden. Wieso war die Person nicht auch hinter mir her? Sie war es, die Mike das angetan hatte. Oder?
»Was für einen Unfall?«, fragte Winter.
Ich antwortete nicht. Gedanklich entfernte ich mich von dem Anruf, als ich langsam wieder auf den Anfang des T-Umrisses zuging. Wenn ich jetzt rausrannte, würde der Mörder entkommen und niemand erfahren, was dem armen, gottverdammten Mike zugestoßen war. Ich hatte eine Scheißangst, aber ich bewegte mich weiter vorwärts.
»Sebastian? Sind Sie noch da? Sebastian«, meldete sich Winter wieder.
»Sch«, zischte ich.
»Geht es Ihnen gut?«
Ich war schon fast an der Abzweigung angekommen. Etwas stimmte nicht. Dieser Typ, oder diese Frau, hätte schon längst herauskommen müssen. Die Person hätte meinen Anruf hören müssen, oder zumindest Winter durch das Handy. Ein letztes Mal holte ich tief Luft und sah um die Ecke.
Die Person stand dort immer noch. Sie trug ein voluminöses, viktorianisches Kleid und einen passenden Hut auf dem Kopf. Es handelte sich um eine Schaufensterpuppe.
»Oh Fuck«, flüsterte ich und seufzte erleichtert auf.
»Reden Sie mit mir«, befahl Winter. »Sind Sie verletzt?«
»Nein«, sagte ich leise. Ich kam mir wie ein Idiot vor. »Aber Mike.«
»Ich schicke einen Krankenwa…«
»Dafür ist es zu spät.«
Für einen kurzen Moment war es still am anderen Ende. Dann sagte er: »Ich bin auf dem Weg. Bleiben Sie, wo Sie sind.«
In den folgenden zehn Minuten stand ich neben dem Kassenschalter des Ladens und starrte Mike an. Jedes Mal, wenn ich wegsah, wanderte mein Blick zurück, als müsste ich ihn im Auge behalten, damit er nicht aufstand und mich für ein neues Gehirn attackierte. Ich schluckte die Übelkeit herunter, die meine Kehle hinaufstieg. Es war mir nicht möglich, draußen zu warten. In meinem Zustand, und voller Blut, würde ich vermutlich die Nachbarn beunruhigen.
Als ich das Gefühl hatte, nicht eine Sekunde länger allein in diesem Laden sein zu können, ohne meinen Verstand zu verlieren, fuhr ein Krankenwagen mit Blaulicht, aber ohne Sirene vor. Drei Polizeiwagen stießen hinzu, gefolgt von einem Zivilfahrzeug, aus dem Winter und Lancaster ausstiegen. Sie eilten über die Straße und zum Eingang des Ladens mit uniformierten Polizisten hinter sich.
Winter stoppte kurz, als ich mich zu ihm umdrehte.
»Ich kann das erklären«, sagte ich und hob unterwürfig die Hände. Vermutlich sendete ich das falsche Signal.
»Wo ist er?«, wollte Winter wissen und sah dann in die Richtung, in die ich deutete. Er drehte sich um und befahl den Polizisten hinter sich, die Räumlichkeiten zu durchsuchen. Sie setzten sich sofort in Bewegung, um den ganzen Laden abzusperren.
Winter und Lancaster befreiten ihre Handwaffen aus ihren Holstern. Winter näherte sich langsam der Leiche, dicht gefolgt von Lancaster. Das war interessant. Ich wusste, dass sie nicht die volle Verantwortung hatte, auch wenn sie am Tag davor die Befragung durchgeführt hatte.
Sie verschwanden für ein paar Momente zwischen den Regalen, bevor der Tatort als sicher galt. Polizeibeamte kamen wieder zum vorderen Bereich des Ladens. Ein paar von ihnen gingen nach draußen, um auch die Straße um den Laden herum abzusperren.
Winter gab Befehle durch sein Handy und ich hatte fast schon Mitleid mit der armen Haut am anderen Ende. Als er auflegte, stand er vor Mikes leblosen Körper und sah auf ihn herab. Er kniete sich hin, um sich die Leiche genauer anzusehen, ohne sie zu berühren. Nach einer kurzen Pause stand er wieder auf und verlangte nach Licht, bevor er anfing, den Boden zu studieren. Einer der Polizisten fand den Lichtschalter und ich zuckte kurz zusammen, als meine Umgebung unter blendendem Weiß verschwand. Mit meiner blutverschmierten Hand setzte ich meine Sonnenbrille auf.
Mit vorsichtigen Schritten achtete Winter darauf, nicht in meine Spur aus geschmolzenem Schnee und Blut zu treten, und kam dann wieder auf mich zu.
»Mr. Snow.«
»Detective Winter.«
»Beschenken Sie alle Männer in Ihrem Leben mit Mordfällen zu Weihnachten oder nur die ganz besonderen?« Er schob seine Hände in seine Manteltaschen, als er vor mir stehen blieb.
Scheiße.
Wieso hatte ich gedacht, dass es eine gute Idee wäre, ihn anzurufen? »Kann ich es erklären?«
»Ich bitte darum«, sagte er. Er knurrte sogar fast.
Holprig fing ich an, ihm eine Kurzfassung der Geschehnisse meines Tages zu geben. Von Dads Wohnung bis zu Mikes Laden. Ich erzählte ihm von meiner Suche nach Mike, der nicht da gewesen zu sein schien, und stoppte bei dem toten Mike, der vor uns lag. »Wollen Sie, dass ich es ihnen noch mal rückwärts erzähle?«, fragte ich, als ich fertig war.
»Wieso?«
»Weil Sie aussehen, als würden Sie darüber nachdenken, welche Größe meine Gefängnisuniform haben müsste. Wenn ich lügen würde, wäre es schwieriger für mich, die Geschichte rückwärts zu erzählen.«
Das brachte ihn dazu, kurz aufzulachen. »Ist das so, ja? Wieso sind Sie in den Laden reingegangen, wenn er doch offensichtlich geschlossen war?«
»Habe ich Ihnen doch schon gesagt: Die Tür war offen.«
»Und Sie haben nicht gedacht, dass das ein wenig seltsam ist?«
»Also … doch, ich dachte, dass das komisch ist. Aber Mike wohnt nur ein Stockwerk höher. Ich dachte, er sei vielleicht kurz runtergekommen, um etwas zu holen.«
»Wieso sind Sie eingetreten, als Sie keine Antwort erhalten haben?«
»Weiß ich nicht«, gab ich zu. »Irgendetwas schien nicht zu stimmen.«
»Wieso haben Sie da nicht die Polizei gerufen?«
»Hab ich doch.« Ich zeigte auf ihn.
Für einen kleinen Moment war Winter still. Er kam mir vor wie ein Mann, der verzweifelt versuchte, seine Geduld nicht zu verlieren. »Und was ist passiert, als Sie mich angerufen haben?«, fragte er schließlich.
Ich warf einen Blick auf meine verklebten Hände. »In dem T-Umriss im hinteren Teil des Ladens … Ich … Da war eine Katze.«
»Eine Katze?«
»Ja, eine tote Katze. Ich meine, sie hing von der Decke. Und als ich in die entgegengesetzte Richtung rannte, war da eine blöde Schaufensterpuppe hinter mir, die aussah wie eine Person. Da bekam ich Angst. Ich konnte Mike nicht sehen, bis ich über ihn stolperte. Mit dem Gesicht voraus.«
»Ah.«
»Also dachte ich, die Schaufensterpuppe sei die Person, die Mike umgebracht hat. Sie wissen, wer ich bin und wer Mike ist. Ich dachte nicht daran, irgendjemand anderes anzurufen. Können wir das hier vielleicht später fortführen? Ich würde mich wirklich gerne umziehen.«
Winter schüttelte seinen Kopf und deutete mit einem stumpfen Finger auf mich. »Bewegen Sie sich nicht.«
»Kommen Sie schon, Detective, ich bin voller Blut!«
Doch der Arsch hatte sich bereits von mir abgewandt und ging weg.
Ich sah ihm nach und konnte ihn dabei beobachten, wie er sich mit Detective Lancaster dem T näherte. Schnaubend verschränkte ich meine Arme, bevor ich sie schnell wieder hängen ließ. Das war’s dann wohl mit meiner Jacke. Und meiner Jeans. Bestimmt würde ich meine Haut in der Dusche wund schrubben müssen, um das Blut loszuwerden.
Nun stand ich also hier. Ein Polizist hatte sich in meiner Nähe positioniert und beobachtete mich, mit einer Hand auf seinem Holster. Irgendwie bekam ich den Eindruck, dass er sich nicht überwinden müsste, mir ins Knie zu schießen, falls ich einen Fluchtversuch unternehmen sollte. Das war der Moment, in dem mich die Ernsthaftigkeit der Situation überfiel. Ich versuchte, mir weiszumachen, dass alles gut werden würde. Sie würden bestätigen, dass alles, was ich gesagt hatte, der Wahrheit entsprach, nachdem sie die Spurensicherung von jemandem wie Neil durchführen ließen.
Oh Gott. »Neil …« Er würde mich umbringen. Ich tat mein Bestes, um mir eine glaubwürdige Geschichte einfallen zu lassen, die nicht nach Ich habe es gehasst, von dir wie ein Kind behandelt zu werden, und wollte mich dir widersetzen klang, als Winter auf mich zukam, gefolgt von einer kleinen Frau mittleren Alters. »Also, noch mal zum Thema Umziehen«, begann ich.
»Wir brauchen Ihre Kleidung.«
»Sie …? Was?«
»Beweise.« Er nickte der Frau zu, mit der er gekommen war.
»Wir brauchen bitte Ihre Jacke und Jeans und alles, was darunter ist«, bestätigte sie, während sie sich Latexhandschuhe überzog.
»Ich habe Mike nicht umgebracht«, protestierte ich und sah Winter dabei direkt an.
»Sie sind mit seinem Blut bedeckt«, erwiderte er. »Wir haben Sie allein in seinem Laden vorgefunden. Nur Sie und die Leiche.«
»Aber ich war es, der Sie angerufen hat, direkt, nachdem ich ihn gefunden habe!« Meine Stimme wurde etwas lauter.
»Wir brauchen nur Ihre Kleidung«, sagte er in einem ernsten Ton und kam einen Schritt näher. »Aber wenn Sie sich weiter so anstellen, nehme ich Sie gerne mit aufs Revier und ziehe Sie selbst aus.«
Wow. Ich schluckte hart und räusperte mich. »Kann ich jemanden anrufen?«
»Wieso?«
»Es gibt nichts, was ich statt meiner Kleidung anziehen kann, und die brauchen Sie ja anscheinend so dringend. Ich … Bitte lassen Sie mich einen Anruf tätigen.«
Nach einem kurzen Moment, in dem Winter über meine Bitte nachzudenken schien, nickte er kurz.
Erleichtert zog ich mein mit Blut besprenkeltes Handy aus meiner Hosentasche und rief Neil an.
»Seb?«, begrüßte er mich. »Ist alles in Ordnung?«
»Nein«, gab ich zu. »Kannst du heimgehen und …?«
»Ich bin auf der Arbeit.«
»Weiß ich, aber hör zu. Bitte geh heim.« Ich sprach leise und blickte auf, um sicherzugehen, dass Winter mir nicht zuhörte. Doch der war damit beschäftigt, sich mit der Frau zu unterhalten, die darauf wartete, mich nackt zu sehen. »Kannst du mir bitte Kleidung zum Wechseln mitbringen? Und eine Jacke? Und sie dann zu Bond Antiquitäten bringen?«
»Was ist los?«
»Erklär ich dir, wenn du da bist. Bitte beeil dich.«
Er beeilte sich. Innerhalb von zwanzig Minuten war Neil vor Ort, was sicherlich nicht ungefährlich gewesen war bei dem Wetter. Ich war ihm dankbar, denn das Blut war mittlerweile getrocknet und fühlte sich wahnsinnig unangenehm an. Nervös sah ich Neil dabei zu, wie er seine Dienstmarke vorzeigte und sofort reingelassen wurde. Er hatte einen Rucksack dabei und blickte sich wachsam um.
»Detective Millet?«, fragte Winter und trat in Neils Weg, bevor ich ihn mit meinem Aussehen schockieren konnte.
Neil drehte sich um, als sein Name fiel. »Oh, Winter. Hallo.«
»Bist du Teil meines Spurensicherungsteams? Du bist spät dran.«
Neil schüttelte den Kopf. »Nein … ich bin nicht …« Offensichtlich war er mit der Situation überfordert.
»Neil«, rief ich ihm zu.
Er sah mich über seine Schulter hinweg an und ich konnte seinen erschrockenen Gesichtsausdruck trotz der Entfernung und der Lichter erkennen. Das bedeutete, dass er bestimmt völlig ausflippen würde, in drei, zwei, eins …
»Seb? Was zum Teufel?«, fragte er, als er auf mich zukam. »Um Himmels willen, das ist nicht deins, oder?«
»Nein. Neil, es tut mir leid, dass ich anrufen musste. Aber die Polizisten brauchen meine Kleidung als Beweisstück und ich wollte keinen NYPD-Einteiler anziehen.«
»Beweisstück für was?«, wollte Neil wissen.
»Mike ist tot«, sagte ich und deutete auf mich. »Ich meine, nein! Oh Gott, nein, ich habe ihn gefunden. Ich bin über ihn gestolpert. Sein Kopf war … Kann ich einfach meine Kleidung haben?« Die Erschöpfung in meiner Stimme war klar erkennbar und ich versuchte halbherzig, nach dem Rucksack zu greifen.
»Nein, erzähl mir, was passiert ist.«
»Du und Mr. Snow kennt euch also gut?«, fragte Winter, der sich leise an uns herangeschlichen hatte.
»Freunde«, antwortete Neil ernst.
Es erschien mir besser, nichts dazu zu sagen. Außerdem war ich zu gestresst und nervös, um mich groß über Neils Lüge zu ärgern.
»Freunde, die die Apartmentschlüssel vom anderen haben?«
»Ich bin nur hier, um Sebastian Kleidung zu bringen.« Neils Stimme war rau, als ob seine Aussage mit einer Drohung versehen war. Er sah mich an und hielt mir den Rucksack entgegen. »Wir reden später.« Er war bereits dabei, den Laden zu verlassen, bevor ich etwas erwidern konnte.
Als Neil aus unserem Sichtfeld verschwunden war, wandte sich Winter wieder mir zu. Ich starrte stur zurück. Statt mich im Moment auf die wirklich wichtigen Dinge zu konzentrieren, fing ich an, über die Neugier in Winters Augen nachzudenken. Und diese Sommersprossen. Gott, die waren sogar auf seinem Nacken verteilt und verschwanden unter dem Kragen seines Hemds. Ich war gerade dabei, mir zu überlegen, wie weit dieser Sommersprossenpfad wohl ging, als …
»Ziehen Sie sich aus.« Er zeigte auf die Frau, die bereits wieder an meiner Seite war, um auf ihre Beweisstücke zu warten.
»Winter«, rief Lancaster, als sie wieder in den Laden kam, gefolgt von einem Mann, bei dem es sich bestimmt um den Gerichtsmediziner handelte.
Winter funkelte mich noch einmal wütend an, bevor er wegging.
Die Frau, die auf meine Kleidung wartete, hieß Martha Stewart, bei der keine familiäre Verbindung bestand, wie sie mir gleich mitteilte, und wusste absolut nicht, was Privatsphäre war. »Kleiner, wenn du denkst, dass ich versuche, einen Blick zu erhaschen, brauchst du dir keine Sorgen zu machen«, sagte sie, während sie meine Jacke vorsichtig in eine große Plastiktüte steckte und mit einem dicken Edding draufschrieb, um was es sich handelte.
»Nein?«, fragte ich und versuchte, die Tatsache zu ignorieren, dass ich nun von der Taille aufwärts nackt war. Halb nackt in einem kalten Raum mit einem halben Dutzend Polizisten um mich herum, und einem Gerichtsmediziner, der gerade dabei war, ein Thermometer in den toten Körper meines ehemaligen Chefs zu schieben.
»Du bist nicht mein Typ«, erklärte sie mir, als sie mein T-Shirt verpackte.
»Wetten, dass Sie das zu all den Männern sagen, damit sie nicht rot werden?«
»Ha, ha. Ich hab eine Frau, Süßer«, sagte Martha beiläufig. »Hosen runter. Komm schon, ich hab hier einen Haufen zu tun.«
Oh.
»Sie sind auch nicht mein Typ, Martha.«
»Oh, habe ich gemerkt«, sagte sie und kicherte kurz.
»Was soll das denn heißen?«
»Das heißt, dass du ganz sicher nicht meine weiblichen Vorzüge begutachtest, aber sehr wohl fähig bist, einen gewissen, rothaarigen Mann zu bestaunen.«
Ich versuchte gar nicht erst, abzustreiten, dass ich Detective Winter attraktiv fand. »Er ist also rothaarig?«
Sie sah mich neugierig an.
»Ich bin farbenblind«, erklärte ich.
»Oh, ja. Seine Haare sind rot. Eher eine Art Orange, du weißt schon, dieses leicht Feurige.«
»Ich weiß es nicht, aber ich nehme Sie beim Wort.« Mein Blick fiel wieder auf Mike. Der Gerichtsmediziner kniete neben ihm und unterhielt sich mit Winter, der wirklich gut darin war, wie diese sexy, imposanten Teufelskerle im Fernsehen auszusehen. Es war dumm von mir, Winter anzustarren, während ich mich meiner Hose entledigen sollte. Ein kurzer Blick in Winters konzentriertes Gesicht reichte, um mir einen Ständer zu bescheren. Von all den Orten, Momenten und Personen, die einen erregen konnten, war das hier die denkbar ungünstigste Option von allen.