Kitabı oku: «Grenzgold», sayfa 2

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Dann ging alles ganz schnell: Joseph Ferdinand Kaiser machte nur wenige kraftvolle Schritte. Als er kurz vor dem Beckenrand mit dem rechten Bein hoch nach vorne absprang, drehte er sich, begleitet von einem Schrei der Freude, in der Luft und schlug danach, halb mit der Schulter, halb mit dem Kopf, auf der Wasseroberfläche auf, unter der er anschließend für einige Momente verschwand.

Das Grölen der Menge hatte den Siedepunkt erreicht. Als wäre es eine selbstverständliche Pflicht, es dem zugedröhnten und hemmungslosen Gastgeber gleichzutun, sprangen in den nächsten Augenblicken nicht wenige wie die Lemminge hinterher.

Pytlik kam es nicht ungelegen, dass er im Getümmel der faszinierten Gäste immer weiter nach hinten durchgereicht wurde. Nun wusste er endgültig, dass es in diesem Haus nicht mehr seiner Anwesenheit bedurfte. Während er noch überlegte, wo Franziska sich aufhielt, sah er plötzlich zwei Männer und eine Frau des Sicherheitsdienstes, die den Eindruck erweckten, als gäbe es ein Problem. Und sie schienen nicht mit irgendjemandem darüber sprechen zu wollen. Während einer der drei unablässig in das Mikrofon seines Headsets sprach, bahnte er sich mit gebotener Rücksicht und Freundlichkeit, aber konsequent und kompromisslos seinen Weg. Pytlik stoppte und sah, dass nur Kaiser das Ziel sein konnte. Der Kronacher Hauptkommissar hätte es nicht für möglich gehalten: Irgendwie war es der jungen Frau, die eher zierlich wirkte, aber resolut ihren Weg ging, gelungen, dem wie eine Luftmatratze im Wasser treibenden Gastgeber ein unauffälliges Zeichen zu geben. Es musste eine Art Notfallcode sein, dachte sich Pytlik. Anders konnte er sich nicht erklären, dass Kaisers Partygesicht plötzlich wie eingefroren schien. Die Securityfrau legte ihren Kopf einmal leicht zur Seite und bedeutete ihm damit, dass eine Rücksprache dringend notwendig wäre.

Unter dem Applaus der Gäste verließ Kaiser nur kurz darauf den Pool, winkte artig wie ein Popstar und sprach ein paar wenige Worte mit einem Mann, den Pytlik schon vorher als eine Art Vertrauten ausgemacht hatte. Mit einem Handtuch rubbelte er sich gründlich den Kopf und zog sich danach provisorisch einen Bademantel an, bevor er mit den drei Begleitern in einem Nebengang verschwand. Niemand hatte in diesem Moment wohl bemerkt, dass Joseph Ferdinand Kaiser aus irgendeinem Grund seine gute Laune schlagartig verloren hatte.

***

Da sich bei ihm nochmal ein kleiner Hunger bemerkbar machte, entschloss sich Pytlik, auf einer kleinen Runde und der gleichzeitigen Suche nach Franziska am Mitternachtsbuffet vorbeizuschauen und sich dort noch etwas zu gönnen.

Zunächst verweilte er aber noch einige Augenblicke und überlegte. Jahrzehntelang hatte er nun bereits interessante, nie langweilige und manchmal nervenaufreibende Polizeiarbeit hinter sich. Die Spannbreite war bei ihm mittlerweile sehr groß. Da hatte es nüchterne und betrunkene Verkehrsteilnehmer gegeben, die meinten, ihn bezüglich der Angemessenheit der Sanktionen belehren zu müssen. Prügelknaben, die sich erst nach einer Nacht in der Ausnüchterungszelle überhaupt erinnern konnten, was am Vorabend passiert war. Tatsächlich musste auch die eine oder andere Katze vom Baum gerettet werden, und sein Assistent Cajo Hermann war bei einem Einsatz sogar fast einmal von einer Giftschlange gebissen worden.

In der jüngeren Vergangenheit waren es aber auch immer wieder schreckliche Verbrechen, bei denen der Hauptkommissar tief in menschliche Abgründe hatte blicken müssen. Und auch, wenn er sich dabei immer wieder fragte, wie es zu solch schrecklichen Taten kommen konnte, hatte er es nie bereut, diesen Beruf ergriffen zu haben. In der einen oder anderen brenzligen Situation mochte er möglicherweise darüber nachgedacht haben.

Er fühlte sich bei seiner Arbeit auch deswegen am richtigen Ort, weil er sich neben seinem Team in der Dienststelle am Kaulanger vor allem auch auf einen ganz wichtigen Partner verlassen konnte: seinen Instinkt! Da war sicherlich nicht irgendein Abflussrohr verstopft, auch würden die Getränkevorräte noch ausreichend sein. Das, was dem Gastgeber vor wenigen Minuten mitgeteilt worden war, bereitete diesem Sorgen. Und Pytliks Instinkt sagte ihm, dass er als Polizist an diesem Abend noch gefragt sein würde.

Der Hauptkommissar war hinaufgegangen ins Erdgeschoss, wo er sich gerade einen Teller mit Lachs, Käse und ein bisschen Obst zurechtmachte. Pytlik hatte Franziska noch nicht gefunden, und er vermutete, dass sie zusammen mit ihrer Schwester in einem Zimmer hinter verschlossener Tür deren Probleme besprach und versuchte, ihr den nötigen Beistand zu geben. Er machte sich zwar keine Sorgen, würde nach seiner kleinen Zwischenmahlzeit aber dennoch seine Suche erneuern. Erst jetzt überlegte er, ob das eine – Kaisers plötzliches Verschwinden – mit dem anderen vielleicht zu tun hatte. Er hielt kurz inne, steckte sich dann aber den kleinen Spieß mit Käse und einer roten Weintraube in den Mund.

Das bunte Treiben fand immer noch in der Schwimmhalle statt. Nur vereinzelt standen in dem großen Wohnbereich Pärchen an den zahlreichen Bistrotischen und unterhielten sich gediegen, teilweise verliebt, hier und da aneinander vorbeiredend. Aufmerksamkeit hatten die Paare alle nur für sich selbst und sie schienen dem wilden Treiben eine Etage tiefer nichts abgewinnen zu können. Die eher angenehme Atmosphäre wurde allerdings unvermittelt gestört.

Durch die große Eingangstür kam der Gastgeber zurück, begleitet von zwei Sicherheitsleuten. Er war noch immer in den langen Bademantel gehüllt und ließ sich gerade von einem der beiden Männer ein weiteres Handtuch reichen. Er lief schnurstracks auf Pytlik zu, zeigte zunächst mit einem ausgestreckten Finger auf ihn und legte dann den Kopf auf eine Seite.

»Ich brauche dich!«

Stunden vorher, als Pytlik noch nicht hinter Kaisers Fassade geblickt hatte, was ihm mittlerweile einigermaßen gelungen war, hätte sich der Hauptkommissar sicherlich stur gezeigt. Auch jetzt wollte er nicht den Eindruck aufkommen lassen, dem Schwager seiner Lebensgefährtin lakaienhaft aufs Wort zu gehorchen. Mit entsprechender Ruhe, etwas provokant und ohne, dass es wirklich notwendig gewesen wäre, legte er zunächst noch etwas vom Buffet auf seinen Teller nach. Kaiser war bereits weitergegangen. Auf der ersten Stufe der Treppe hinauf zur Galerie blieb er stehen und drehte sich um.

»Was ist? Es ist wichtig! Sehr wichtig!«, bekam Kaisers Stimme nun eine unangenehme Schärfe. Erst jetzt kam Pytlik in den Sinn, dass es etwas mit Gerda und vielleicht auch Franziska zu tun haben könnte. An den beiden Bodyguards vorbei folgte der Hauptkommissar dem Gastgeber hinauf, danach verschwanden beide im großen Badezimmer.

Joseph Ferdinand Kaiser holte einen Briefumschlag aus der Tasche des Bademantels hervor und legte ihn auf einem der großen Waschbecken ab. Danach zog er den Mantel und anschließend die nassen Klamotten aus. Bisher hatte er nichts gesagt, und erst, als er mit einem großen Badetuch um die Hüften ins direkt anschließende Schlafzimmer hinüberging, erzählte er dem Hauptkommissar, was geschehen war.

»Was ist mit deinem Arm passiert?«, wollte Pytlik aber zunächst wissen, als er am gut definierten rechten Oberarmmuskel eine Narbe fast schon in Art einer langen Delle sah.

»Was?«

Kaiser war von der seiner Meinung nach unwichtigen Frage irritiert. Ein kurzer Blick auf die besagte Stelle, dann ein lapidares Abwinken mit der Hand.

»Unfall! Schon lange her! Unwichtig!«

Pytlik wollte nicht weiter nachhaken; dann kam Kaiser zur Sache.

»Ich werde erpresst! Anscheinend hat jemand meinen Vater entführt! Draußen an der Mauer steht in großen Buchstaben eine entsprechene Drohung. Mit Klebeband war außerdem noch der Umschlag befestigt worden, der dort liegt.«

Während Kaiser sich rasch neue Kleider anzog, bedeutete er Pytlik mit einer Geste, den Brief zu holen und ihn sich anzuschauen.

»Ich habe schon bei meinem Vater angerufen«, gab Kaiser dem Hauptkommissar bereits einen Hinweis, was auf dem DIN A4 Blatt als Botschaft in wenigen Zeilen verfasst war.

»Niemand hebt ab! Sowohl meinen Vater als auch meine Mutter kann ich auf ihren Handys nicht erreichen. Was hältst du davon?«

Pytlik saß auf dem Rand der Badewanne, den Teller hatte er neben sich abgestellt. Mit spitzen Fingern holte er das Papier aus dem Umschlag und las nun laut vor, so dass Kaiser es auch noch einmal hören konnte:

»Die Zeit der Abrechnung ist gekommen! So einen Betrug hätte es im Kaiser-Reich nicht geben dürfen! Dein Vater will es nicht wieder gutmachen! Dafür wird er sterben! Deadline Mitternacht Firmengelände! Ich hoffe, du bist klüger! Keine Polizei!«

Zum Glück und zu seiner eigenen Beruhigung lief dem Hauptkommissar Franziska noch über den Weg. Es war bereits zehn Minuten vor Mitternacht. Pytlik und Joseph Ferdinand Kaiser machten sich auf den Weg nach Pressig zum Firmengelände der Kaiser Bau GmbH.

»Hör zu: Sprich mit den Leuten von der Security! Es sieht so aus, als ob JFK und sein Vater in Schwierigkeiten stecken. Kein Wort davon zu sonst irgendjemandem! Es wird wohl am besten sein, ihr versucht, die Party hier langsam und ohne großes Aufsehen aufzulösen.«

Franziskas anfänglich ungläubiges Lächeln wich schnell einer ängstlichen und fragenden Miene. Sie kannte Pytlik bereits so gut, dass sie wusste, dass er es ernst meinte und Gefahr im Verzug war.

»Aber, was ist denn…?«

Pytlik packte sie so sanft wie möglich, aber mit Nachdruck an den Oberarmen. Er schaute ihr streng in die Augen.

»Erzähle einfach, dem Seniorchef waren die Anstrengungen von heute zu viel. JFK kümmert sich um ihn! Etwas Besseres fällt mir im Moment nicht ein! Ich erkläre es dir später!«

Er gab ihr einen Kuss und war im nächsten Augenblick verschwunden. Kaiser hatte das Haus bereits verlassen.

***

Pytlik hatte nicht viel Zeit zum Nachdenken gehabt. Die Situation war allem Anschein nach sehr ernst! Er hoffte, dass auf dem kurzen Weg nach Pressig nicht irgendwo eine Polizeikontrolle stattfand. Den Kollegen alles zu erklären, hätte mit einem angetrunkenen Joseph Ferdinand Kaiser auf dem Beifahrersitz sicherlich zur Eskalation in jeder Hinsicht geführt. Nach wenigen Minuten stoppte der Hauptkommissar seinen Wagen auf einem großen Platz inmitten des riesigen Firmengeländes, das unbeleuchtet war.

»Und jetzt?«, wollte Kaiser mehr von sich selbst als von Pytlik wissen. Es schien, als spräche er mit dem Unbekannten über einen Kopfhörer im Ohr. Der Hauptkommissar ließ den Motor laufen und war hochkonzentriert.

»Keine Ahnung!«, antwortete er und steuerte das Auto mit schleifender Kupplung weiter ins Werk hinein. Die digitale Uhr im Cockpit des Dienstwagens zeigte noch zwei Minuten bis Mitternacht. Die Nerven der beiden Männer waren zum Zerreißen gespannt, als plötzlich ein Teilbereich vor einer großen Maschinenhalle von mehreren Lampen angestrahlt wurde.

»Da! Verdammt!«

Pytlik hatte es als Erster gesehen. Kaiser beugte sich auf dem Beifahrersitz schnell nach vorne und wischte mit dem Unterarm die leicht angelaufene Windschutzscheibe frei. Das Auto stoppte nun, Pytlik stellte den Motor ab.

»Verdammte Scheiße!«, fluchte Kaiser. Im nächsten Moment ging seine Hand zum Türgriff und er schien wild entschlossen.

»Warte!«, zischte Pytlik. Kaiser schaute ihn ungeduldig an.

»Was?«

»Du musst versuchen, Zeit zu gewinnen. Ich werde alles Weitere veranlassen. Verwickle wen auch immer in ein Gespräch. Vergiss deine Wut! Du musst Zeit gewinnen! Falls er noch nicht tot sein sollte, ist es umso wichtiger! Hast du verstanden? Wenn er nach mir fragt, sag einfach, ich wäre einer vom Sicherheitsdienst! Ich gehe davon aus, dass er mich wegschicken wird. Dann parke ich das Auto außer Sichtweite, bleibe aber in der Nähe. Verstanden?«

Kaiser nickte. Danach verließ er vorsichtig, um sich schauend und hilflos wirkend, mit halb erhobenen Händen Pytliks Wagen. Pytlik hatte ein schlechtes Gefühl. Allein konnte er in der aktuellen Situation nicht viel ausrichten. Sofort machte er sich daran, seinen Assistenten Cajo Hermann anzurufen. Nur ihm würde er die prekäre Lage schnell erklären können, so dass der die entsprechenden Maßnahmen einleiten würde. Mit dem Handy am Ohr beobachtete er genau, was geschah; die Uhr zeigte in diesem Augenblick vier Nullen an. Hermann nahm nicht ab! Noch hatte er Hoffnung!

Er ließ die beiden Scheiben der Fahrer- und Beifahrertür einen kleinen Spalt nach unten fahren, als er im nächsten Augenblick das Gefühl bekam, sein Herz würde ihm gegen das Kinn springen. Kaum, dass er die beiden Kippschalter in der Tür betätigt hatte, schlug mit lautem Knall ein Geschoss im linken Außenspiegel ein, der sich in Sekundenbruchteilen in tausende kleine Splitter auflöste und anschließend den Schneeboden neben und vor dem Auto wie mit dunklem Sand bestreut aussehen ließ. Was Pytlik ohnehin vermutet hatte, war ihm nun mit Nachdruck klargemacht worden. Sofort drehte er den Zündschlüssel herum, legte den Rückwärtsgang ein, schaltete das Abblendlicht aus und versuchte, im nach hinten schwächer werdenden Lichtkegel der Lampen auf dem Werksgelände so weit wie möglich in die Dunkelheit davonzufahren.

***

Joseph Ferdinand Kaiser zitterte am ganzen Körper. Es war eine Mischung aus Unbehagen, der Kälte, die von seinem Kopf mit den immer noch feuchten Haaren langsam nach unten in seinen Körper zog und Angst. Große Angst! Es war ein Gefühl, das er nicht kannte. In seinem ganzen Leben hatte er sich immer darauf verlassen können, beschützt zu sein. Niemand konnte ihm etwas anhaben! Immer hielt sein Vater seine Hände über ihn. Wenn es sein musste, flossen Geld und Beziehungen, um Schaden zu beheben, den er angerichtet hatte. Er konnte sich darauf verlassen! Der Preis war allerdings hoch! Ein Leben in Saus und Braus? Ja! Aber nicht mit einer solchen Firma am Hals! Erst jetzt bemerkte er zum ersten Mal, wie absurd seine Vorstellung vom Leben eigentlich war.

Je näher er dem Gabelstapler kam, desto mehr zitterte er. Er wusste, dass er beobachtet wurde. Wie bei einem Gewitter, bei dem man nie sagen konnte, ob der nächste Donnerknall nicht mit dem Blitz einherging, der einen selbst traf, hatte er Angst, dass jeden Moment der tödliche Schuss knallen würde.

»Papa? Papa, kannst du mich hören!«, rief er vorsichtig. Die Luft war um die zehn Grad unter dem Gefrierpunkt kalt. Die Nacht war klar und es war nahezu totenstill. Kaiser beschlich ein Gefühl der Schuld, Mitleid kam in ihm hoch und er begann, leise vor sich hin zu wimmern. Die Augen brannten und schließlich kullerten Tränen seine Wangen hinab.

Das Szenario kam Kaiser Junior surreal vor. Der alte Mann – Joseph Ferdinand Kaiser hatte seinen Vater eindeutig erkannt – kniete auf einer Holzpalette, die sich in circa zweieinhalb Metern Höhe auf der Gabel des Staplers befand. Wilhelm Kaiser war nackt und seine Hände waren vorne gefesselt und mit einem Strick am Stapler fixiert. Ebenso waren die Unterschenkel mit zwei Seilen am Holzunterteil festgemacht, so dass er keine Chance hatte, aufzustehen oder zu entkommen. An seiner rechten Gesichtshälfte konnte Joseph Ferdinand Kaiser großflächig bereits verkrustetes Blut sehen. Der Mund war mit Panzerband zugeklebt, das einmal um den gesamten unteren Kopfbereich gewickelt war. Nur leicht drehte Kaisers Vater den Kopf zur Seite. Er wirkte schwach und erschöpft.

Für einen kurzen Moment dachte Joseph Ferdinand Kaiser daran, worum es hier sehr wahrscheinlich ging. Er war froh, dass Pytlik sich hatte zurückziehen müssen. Kaiser wartete jeden Augenblick darauf, dass irgendetwas passierte. Dass er seinem Vater nicht helfen konnte, das war offensichtlich. Der Alte – das wurde seinem Sohn erst jetzt so richtig bewusst – hatte um den Hals eine Fahne gebunden, die neben den Farben Schwarz, Rot und Gold mittig auch Hammer, Zirkel und Ährenkranz zeigte. Kaiser konzentrierte sich nun, der erste Schock war überwunden. Jetzt bemerkte er auch, dass unter seinem Vater eine braune, zähe Flüssigkeit in regelmäßigen Tropfen hinunter auf den Boden fiel. Kaisers Augen wurden immer größer. Auf der Palette schien zudem noch eine Flagge ausgebreitet zu sein, die er aufgrund der bereits erheblichen Verschmutzung durch die Fäkalien seines Vaters nicht mehr genau identifizieren konnte, allerdings für die US-amerikanische hielt.

Kaiser wollte schon ansetzen und seinen Vater etwas fragen, als er ein Summen hörte. Auf einer aus leeren, gestapelten Getränkekästen errichteten Säule in kurzer Distanz zum Stapler, auf der oben eine Kunststoffplatte befestigt war, lag ein Mobiltelefon. Dem Unternehmer war klar, was das bedeutete. Er ging hinüber, nahm das Handy und schaute auf das kleine, blau leuchtende Display. Anonym stand da zu lesen. Von den wenigen Tasten drückte Kaiser ängstlich und voll gespannter Erwartung die mit dem grünen Telefonhörer. Dann führte er das kleine Gerät vorsichtig an sein Ohr.

»Hallo!«, sagte er schüchtern und gar nicht nach seiner Art. Die Stimme, die er zu hören bekam, war verstellt, klang monoton und düster.

»Ich will wissen, wo das Gold ist! Dein Vater will das Geheimnis mit ins Grab nehmen. Seine Entscheidung! Er wäre ohnehin gestorben! Er hat meine Familie und mich zerstört! Jetzt zerstöre ich seine! Also, ich frage dich jetzt. Wenn du mir keine Antwort gibst, die mir gefällt, ist er tot! Überlege dir genau, was du sagen wirst! Hast du das verstanden?«

Instinktiv hatte Joseph Ferdinand Kaiser die Schultern etwas hochgezogen und versucht, seinen Kopf so tief wie möglich davor zu verstecken. Er war auf alles gefasst!

»Ja!«, antwortete er zögerlich. Ohne weitere Unterbrechung formulierte der Unbekannte dann klar und deutlich die Frage.

»Wo ist das Gold?«

Es war wohl eine Art Reflex; möglicherweise hatte Kaiser auch nicht damit gerechnet, dass die Drohung so kompromisslos in die Tat umgesetzt werden würde.

»Von welchem Gold reden Sie?«

Es war wie ein dumpfer Aufprall eines Geschosses auf Holz, dass Joseph Ferdinand Kaiser, kaum, dass er die Gegenfrage ausgesprochen hatte, vernahm und das ihn, wie zu einer Salzsäule erstarrt, bewegungsunfähig machte. Vor Schreck hatte er das Handy auf die Platte fallen lassen. Langsam drehte er nach einigen Sekunden seinen Kopf nach links und sah, was er befürchtete.

Sein Vater war in sich zusammengesunken und mit dem Oberkörper nach vorne gekippt, soweit es die Fixierungen zugelassen hatten. Am vorderen seitlichen Kopfbereich rechts klaffte eine große Wunde. Joseph Ferdinand Kaiser meinte zu sehen, dass Teile der Schädeldecke fehlten, leichter Qualm waberte durch das schüttere und verklebte Haar. Auf dem Boden unterhalb der Staplergabel lagen kleine, blutverschmierte Teile. Kaisers Mund wurde trocken. Der Schock über das, was gerade passiert war, verhinderte, dass er schrie.

Im nächsten Augenblick fiel er auf die Knie und musste sich übergeben. Mehrmals erbrach er eine Mischung aus allem, was er in den Stunden vorher gegessen und getrunken hatte. Speichelfäden hingen ihm aus dem Mund, Tränen liefen ihm über das Gesicht und er wünschte sich, an irgendeinem Ort ganz weit weg und ganz allein zu sein. So allein, wie er sich gerade fühlte! Wo war der Polizist? Wo waren seine Frau, seine Kinder? Niemand war jetzt da, um Joseph Ferdinand Kaiser aufzufangen, ihn zu beschützen, ihm zu helfen. Sein Vater hing angekettet eine Staplergabelhöhe über ihm und war tot! Kaiser fühlte sich nackt und verletzlich. Langsam rappelte er sich auf, mit den Händen dabei durch sein Erbrochenes tastend.

Das Mobiltelefon summte bereits einige Sekunden. Kaiser spukte demonstrativ aus, wischte sich dann die Hände an seiner Jacke und den Mund am Ärmel ab und torkelte mehr, als dass er anständig ging zu dem provisorischen Tischchen. Er drückte die grüne Taste und legte das Handy wieder an sein Ohr. Langsam drehte er sich dabei einmal im Kreis, wohl wissend, dass er den unbekannten Schützen nicht würde sehen können. Er hatte noch nicht einmal eine geringste Ahnung, aus welcher Richtung der Schuss gekommen war.

»Hör jetzt gut zu!«, ermahnte ihn die emotionslose Stimme.

»Ich lasse dir die Zeit, dich von deinem Vater zu verabschieden. 72 Stunden! Am 25. um spätestens 24 Uhr hast du, was ich will oder du bist der Nächste!«

»Aber…«, versuchte Kaiser wie ein kleiner Junge zu protestieren. Der Unbekannte ließ ihm keine Chance.

»Du erfährst noch rechtzeitig den Ort für die Übergabe. Lass die Polizei aus dem Spiel! Halte dich bereit!«

Dann war das Gespräch beendet, Joseph Ferdinand Kaiser schaute wie benommen auf das Display. Dann drosch er das Mobiltelefon mit voller Wucht auf den Boden und schrie so laut er nur konnte. Anschließend sank er wieder auf die Knie, ließ sich nach vorne auf die Ellenbogen fallen, stütze den Kopf in seinen Händen ab und weinte hemmungslos.

***

Pytlik hatte sein Auto am Rand der breiten Zufahrtsstraße zum Firmengelände der Kaisers geparkt, weit genug abseits der vorgelagerten Wohnsiedlung. Er nahm eine Taschenlampe aus dem Handschuhfach und machte sich schnellen Schrittes auf den Weg. Nachdem er durch das große geöffnete Gittertor wieder in Sichtweite des beleuchteten Staplers war, suchte er sich eine geschützte Nische, die er für sicher befand und aus der heraus er alles beobachten konnte.

Kaiser ging langsam und auf wackeligen Füßen in Richtung der ausgesetzten Palette, auf der sein Vater mit dem Rücken zu ihm kniete. Der Hauptkommissar konnte sehen, dass der alte Mann kurz zuckte, da er anscheinend von seinem Sohn angesprochen worden war. Hören konnte Pytlik allerdings nichts. Dann machte er sich ein genaueres Bild von der Situation. Neben dem Stapler, nur wenige Schritte entfernt, stand eine Art Säule, auf der ein kleiner Gegenstand lag. Pytlik kombinierte schnell und wusste, was gleich passieren würde. Wilhelm Kaiser war in einem erbärmlichen Zustand. Pytlik fror bereits beim bloßen Hinschauen. Außerdem hatte der Senior eine Wunde am Kopf. Die Hände waren nach vorne gefesselt, und auch die Beine schienen irgendwie fixiert zu sein. Er wäre ein schlechter Ermittler gewesen, wenn er das nicht bereits als einen ersten Hinweis auf das wahrgenommen hätte, was seiner Vermutung nach noch folgen würde.

Am meisten wunderte sich der Hauptkommissar über die Fahne, in die Wilhelm Kaiser gehüllt war. Pytlik konnte die Flagge der ehemaligen DDR erkennen. Plötzlich tat sich etwas! Kaiser schaute zu dem Stapel Getränkekisten – Pytlik hatte es mittlerweile so erkannt – und lief anschließend hin, nahm den Gegenstand in die Hand, schaute ihn kurz an und legte ihn dann an sein Ohr. Der Hauptkommissar konnte nichts hören, ließ seine Augen zwischen Wilhelm Kaiser und dessen Sohn hin und her wandern. Als er wieder den Alten im Fokus hatte, schreckte er plötzlich wie vom Blitz getroffen zusammen. Pytliks Puls begann zu rasen. Ein Geschoss – dessen war er sich sicher – hatte Wilhelm Kaiser offensichtlich am Kopf getroffen. Er schaute schnell zu Kaiser Junior. Das Handy hatte er vor sich fallen lassen. Er war wie paralysiert und starr vor Schock. Dann schaute er hinauf auf die Palette, fiel anschließend auf die Knie und übergab sich mehrmals. Pytlik war innerlich zerrissen! Zum einen versuchte er, schnell zu analysieren, von wo der Schuss gekommen war. Andererseits wollte er natürlich irgendetwas tun und eingreifen; schließlich war er Polizist! Aber er musste erkennen und sich eingestehen, dass es keinen Sinn machte, gegen einen unsichtbaren Gegner anzukämpfen und sich selbst dabei zusätzlich in Gefahr zu begeben. Derweil rappelte sich Joseph Ferdinand Kaiser langsam wieder auf. Er machte einen zerbrechlichen Eindruck, wischte sich Mund und Hände an seinen Klamotten ab und lief langsam wieder zum vorbereiteten Tisch, da das Handy sich anscheinend noch einmal meldete. Pytlik sah, das Kaiser zuhörte, einmal kurz ansetzte etwas zu sagen und wenig später das Telefon mit voller Wucht auf den Boden schmetterte. Dann brüllte er aus Leibeskräften, fiel wieder auf die Knie und begann verzweifelt zu weinen. Wenige Augenblicke später erloschen die Lampen und es war stockfinster.

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