Kitabı oku: «Terrafutura», sayfa 3

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CGerade in Bezug auf Plastik fände ich es gut, wenn die Laudato-si’-Gemeinschaften ein Zeichen von globaler Tragweite setzt. Ich denke dabei an die Unterzeichnung einer individuellen Verpflichtung, einer persönlichen Erklärung: »Ich verpflichte mich persönlich, weniger Plastik, insbesondere weniger Einwegprodukte zu verwenden und alle für mich unvermeidbaren Plastikartikel zu recyceln.« Denn eine Welt ganz ohne Plastik ist zwar undenkbar, aber dennoch bleibt es eine Tatsache, dass wir jährlich 300 Millionen Tonnen Plastik produzieren und nur 9 Prozent davon recycelt werden. Plastik ist etwa genauso alt wie ich, jedenfalls habe ich als kleines Kind noch in einer Metallwanne gebadet. Als es Einzug hielt, war es ein Segen, aber damals wurde es für dauerhafte Gebrauchsgüter verwendet. Heute bilden dagegen Einwegprodukte über die Hälfte des Plastiks – denken wir nur an die Trinkhalme, Millionen allein in Italien, sie werden zehn Sekunden lang benutzt, dann landen sie im Müll, können nicht recycelt werden, weil sie nicht als Verpackung gelten. Das Drama ist, Plastik gelangt in die Nahrungskette, und zwar unter anderem über die Kosmetik, die Mikroplastik enthält, das von den Fischen verschluckt wird und anschließend von uns. Es ist eine Katastrophe gewaltigen Ausmaßes. Und sie ist offenkundig aufs Engste mit dem Problem der Biodiversität verknüpft. Bedenken Sie nur, dass die Artenvielfalt auf unserem Planeten laut FAO in den letzten 125 Jahren um 70 Prozent zurückgegangen ist. Das ist eine erschütternde Zahl, und niemand interessiert sich dafür, dass dieser Prozess sich mitnichten verlangsamt. Ich knüpfe daher an Ihre Worte zur Aufrichtigkeit an und behaupte, dass vielleicht noch nicht alles verloren ist, wenn jeder von uns eine solche Erklärung unterzeichnet und sich zu persönlichem Handeln verpflichtet.

FIch stimme Ihnen zu. Fassen wir es in die richtigen Worte: Es gilt, den Egoismus zu bekämpfen, die Denkweise, gemäß der ich Mutter Erde ausbeute, weil Mutter Erde groß ist und mir das geben muss, was ich will, Punkt. Es ist eine vollkommen fehlgeleitete Denkweise, die uns unweigerlich in die Katastrophe führen wird.

CWie fänden Sie es, wenn wir eine solche Absichtserklärung abgäben, eine Erklärung zur persönlichen Verpflichtung?

FGut, aber es kommt auf die Umsetzung an, auf die Musik, oder? Sie können die Erklärung formulieren, das Libretto schreiben, und alle werden zustimmen, aber es bleiben nur Worte. Das Ganze muss von einer Musik begleitet werden, die mitreißt, die ein Gemeinschafts-, ein Gruppengefühl vermittelt. Es genügt nicht, eine Erklärung vorzulegen, die alle unterzeichnen, denn so besteht die Gefahr, dass sie zu einem Mittel wird, sich das Gewissen reinzuwaschen, ohne anschließend wirkliche Veränderung zu bewirken.

CNatürlich. Hier kommt wieder der Gedanke der Freude ins Spiel. Verzagt und mit schwerem Herzen überzeugt man niemanden! Wir müssen die Freude an der Verantwortung und der Teilhabe wiederfinden. Denn wie ich bereits erwähnt habe, ist das selbstlose Engagement auch ein Weg zum persönlichen Glück. Davon bin ich fest überzeugt.

FAbsolut.

CIch würde gern noch kurz auf zwei Fragen zu sprechen kommen, auf die Gemeinschaften als Mittel zur Wiederherstellung von Gemeinsinn und Austausch und auf einen Punkt, der mir sehr am Herzen liegt, nämlich die indigene Bevölkerung. Als ich Ihren Vortrag gelesen habe, den Sie anlässlich Ihrer letzten Perureise in Puerto Maldonado gehalten haben, war ich sehr überrascht. In meinen Ohren war es das erste Mal, dass die Kirche so deutlich für die Spiritualität und die Kultur der indigenen Völker eintrat, nie zuvor hatte ich diese Wertschätzung gespürt, die Sie ihnen mit diesen Worten entgegenbringen. Meine Frage lautet daher: Wie kann, Ihrer Meinung nach, die Kirche mit der tief in der Vergangenheit wurzelnden indigenen Spiritualität in Dialog treten, ohne auf ein nunmehr überholtes Zwangsmodell zurückzugreifen?

FGenau das habe ich in Puerto Maldonado gesagt: Die Kirche tritt mit den Indigenen in Dialog, indem sie in erster Linie deren Rechte und gleichzeitig deren Kulturen anerkennt. Mehr noch, die religiösen Handlungen sollten möglichst in Einklang mit der indigenen Kultur vollzogen werden. Wir nennen diesen Prozess »Inkulturation«, aber es handelt sich nicht um eine Form von kulturellem Kolonialismus. Wir könnten alle auf dieselbe Art beten, aber das zerstörte die menschliche Biodiversität, die in erster Linie kulturell ist. Nein, jeder soll seiner Kultur entsprechend beten! Und die Sakramente der eigenen Kultur entsprechend feiern. Es gibt in der Kirche über fünfundzwanzig verschiedene liturgische Riten, die in unterschiedlichen Kulturen entstanden sind. Während meiner Perureise habe ich ein Wort benutzt, das verschiedentlich kritisiert wurde. Ich habe gesagt, wir brauchten eine amazonische Kirche. Manchen hat diese Position nicht gefallen, doch durch das Gespräch konnten die Spannungen beigelegt werden. Und auf der Pan-Amazonien-Synode der Bischöfe im Oktober 2019 wird man eingehend auf dieses Thema zurückkommen, das zwar von Amazonien ausgeht, aber auch darüber hinausreicht.

Als die Jesuiten nach China kamen, sind Matteo Ricci und seine Gefährten tief in die dortige Kultur eingedrungen, sie haben die Sprache gelernt, haben die Gewohnheiten und Gebräuche ihres Gastlandes studiert. Sie kleideten sich wie Chinesen, sprachen und aßen wie sie. Es waren Menschen, die die chinesische Kultur begriffen hatten, und erst als sie so weit gekommen waren, wagten sie zu behaupten, dass »das Evangelium auch hier lebendig sein kann«, wobei sie in der Tat einige chinesische Rituale akzeptierten. Die Theologen hier in Rom haben die Welt nicht mehr verstanden und empörten sich: »Aber der chinesische Totenkult ist Götzenanbetung!« Das stimmte nicht; in Wirklichkeit war es genau dasselbe, was wir taten: Totengedenken. Es gibt keinen wesentlichen Unterschied zwischen unserem 2. November und dem, was die Chinesen zu Zeiten Riccis taten. Aber die Kirche hat das damals nicht erkannt und die Tore zum Evangelium in China tatsächlich geschlossen. Genau dasselbe ist mit Roberto De Nobili in Indien passiert. Seltsam, dass beide, Ricci und De Nobili, Italiener waren. Das gibt zu denken. Was haben die Italiener, dass sie diese Fähigkeit zur Verallgemeinerung entwickeln?

CJa schon, aber es waren auch Italiener, die ihnen die Flügel gestutzt haben!

FNun ja, sozusagen zum Ausgleich … (sie lachen)

CIm Zusammenhang mit diesem Thema erinnere ich mich an ein außergewöhnliches Erlebnis, das nunmehr zwölf Jahre zurückliegt. Ich bin damals nach Brasilien in den Bundesstaat Roraima gereist, wo einige Consolata-Missionare ein Krankenhaus für die dortige indigene Gemeinde der Yanomami errichtet hatten. In meiner Heimatstadt Bra sammelte man, im Namen der bei uns tief verehrten Madonna dei Fiori, Gelder für die Consolata-Missionare. Dank dieses Kontakts übernahmen wir als Slow-Food-Bewegung die Aufgabe, das Projekt bezüglich Ernährung zu unterstützen. Als Erstes mussten wir darum kämpfen, dass keine Pasta serviert wurde, ein Nahrungsmittel, das keinerlei Verbindung zu der lokalen Kultur und dem dortigen Umfeld, dem Amazonasregenwald, hat – viele dortige Bewohner hatten noch nie in ihrem Leben eine Weizenpflanze gesehen. Aber besonders »amüsant« wurde es, als ich die Missionare fragte, wie es komme, dass das Krankenhaus, das, soweit ich mich erinnerte, der Madonna dei Fiori geweiht war, den Namen Yecura Yano trage, und was er zu bedeuten habe. Er bedeutet »der Geist, der heilt«. Und die Madonna dei Fiori? Antwort: »Nun ja, wir konnten uns schließlich nicht hinstellen und den Indigenen die Madonna dei Fiori erklären, wir legen hier Zeugnis ab und betreiben nicht Bekehrung, wichtig ist, allen eine grundlegende ärztliche Versorgung zu garantieren.« Für mich war das eine unglaublich wichtige Lektion, ich habe zum ersten Mal erfasst, dass es einen anderen Weg gibt, das Evangelium zu verkünden, nämlich es zu leben, ohne es aufzuerlegen. Derselbe Missionar kam einige Zeit später für einen kurzen Verwandtenbesuch nach Bra, und natürlich fragten ihn die Stadtbewohner, wo man denn die Madonnenstatue aufgestellt habe, die man ihm aus Bra geschickt hatte. Ich wusste, dass sie in einem Lagerraum aufbewahrt wurde, aber er antwortete geschickt: »Seien Sie unbesorgt, ich bekomme die Madonna tagtäglich zu Gesicht!« (sie lachen) Da habe ich begriffen, dass es echte Integration gibt. Ihr Grundsatz lautete: »Wenn jemand unser Handeln sieht und uns näherkommen möchte, werden wir es ihm erklären, aber wir betreiben keinen Proselytismus – keine Abwerbung von Gläubigen anderer Religionen.«

FDas stimmt, das stimmt. Genau das hat 2007 der damalige Papst Benedikt XVI. explizit formuliert, und zwar ausgerechnet in Aparecida in Brasilien. Er sagte damals: »Die Kirche betreibt keinen Proselytismus, sie entwickelt sich vielmehr durch Anziehung.« Es handelte sich also um eine päpstliche Absage an den Proselytismus.

CJa, das ist aber doch eine epochale Wende!

FDeshalb ärgere ich mich so, wenn behauptet wird, Benedikt sei ein Konservativer, Benedikt war ein Revolutionär! Mit vielen Dingen, die er getan, mit vielem, was er gesagt hat, war er ein Revolutionär! Dann ist er gealtert und konnte nicht mehr weitermachen, aber so gesehen war er wirklich ein Revolutionär.

CSie stellen sich diese Lateinamerikasynode also als »interkulturell« vor …

FAuf jeden Fall. Als ich nach Amazonien gereist bin, haben sich einige im Vatikan darüber aufgeregt: »Was, der Papst betet mit diesen Leuten, die halb nackt leben?« Sie haben nicht begriffen, dass diese Indigenen hochgebildet sind! Ich hatte die Ehre, an einem Mittagessen teilzunehmen, bei dem etwa ein Dutzend Personen verschiedener Ethnien anwesend war, und es war eine außergewöhnliche Erfahrung. Unter ihnen waren Universitätsdozenten und auch zwei Schuldirektoren. Gebildete Menschen, die jedoch an der Tradition festhielten, an dem, was sie das gute Leben nennen, was allerdings nicht unserem guten Leben entspricht. Es handelt sich vielmehr darum, »gut zu leben«, also im Einklang mit sich selbst, mit der eigenen Gemeinschaft und der Natur. Unser gutes Leben ist eher das süße Leben. Etwas ganz anderes.

CWir können von diesen Kulturen und ihrer Spiritualität also viel lernen.

FGanz bestimmt, und wir müssen dazu beitragen, diese Unterschiede zu bewahren.

CEin letzter Punkt, zu dem ich gerne Ihre Meinung hören würde, betrifft die Gemeinschaften. Vor einigen Monaten habe ich in Santiago de Chile Fritjof Capra getroffen, einen österreichisch-amerikanischen Physiker und Philosophen und wahrhaft hellsichtigen Denker. Er sagte zu mir: »Carlo, angesichts der Entwicklung der globalen Politik glaube ich, dass die Zukunft in den Gemeinschaften liegt. Die Gemeinschaften können zu äußerst wichtigen Akteuren werden, da sie kraft ihres emotionalen Rückhaltes in der Lage sind, sich großen und anspruchsvollen Herausforderungen zu stellen.« Letztlich lassen sich in einer Gemeinschaft eben deshalb mutige Entscheidungen treffen und schwierige Probleme angehen, weil jeder Einzelne auf das Bewusstsein des emotionalen Rückhaltes bauen kann, den ihm die Gemeinschaft auch im Falle eines Irrtums gewähren wird. Und bei genauerer Betrachtung waren es stets die Gemeinschaften, die in den dunkelsten und schwierigsten Zeiten der Menschheitsgeschichte die weitreichendsten und positivsten Erneuerungen herbeigeführt haben. Man denke nur an die Benediktiner-Gemeinschaften, die im Spätmittelalter die Landwirtschaft und damit ganz Europa erneuert haben. Mich würde interessieren, wie Sie darüber denken. Auch deshalb, weil wir bei unserer Namenswahl zunächst an »Laudato-si’-Komitees« gedacht hatten, uns dann aber sagten, nein, nein, wir nennen uns Laudato-si’-Gemeinschaften.

FWo wir gerade dabei sind: Kennen Sie den wahren Unterschied zwischen Komitee und Gemeinschaft? Er besteht im Grad der Zugehörigkeit. In einem Komitee gibt es eine organisatorische Zugehörigkeit, eine funktionale, oberflächliche oder zumindest auf ein Ziel beschränkte Zugehörigkeit. In einer Gemeinschaft geht es dagegen um vollkommene Zugehörigkeit. Ich gehöre zu dieser Gemeinschaft – ich bin frei, aber gänzlich Teil von ihr. Und auch außerhalb davon werde ich auf jeden Fall mit meiner Gemeinschaft identifiziert. Zugehörigkeit ist sehr eng mit Identität verknüpft, und so lautet denn auch die Definition, die mir am besten zusagt, ohne dass ich weiß, von wem sie stammt: Identität bedeutet Zugehörigkeit. Es gibt keine herausgelöste Identität, sie muss eingebunden sein in eine Gesellschaft oder Gemeinschaft. So ist das, das ist Zugehörigkeit.

CDas erleben wir gerade bei dieser neuen Identität. Die Verbindung von Gläubigen und Ungläubigen bringt ein neues Subjekt hervor. Auf dem Weg dahin erscheinen wir wie der Teufel und das Weihwasser. Aber die Menschen begeistern sich für uns, weil sie erkennen, dass es letztlich das Gemeinwohl ist, was uns zusammenhält … Danke, Eure Heiligkeit! Wie ist es Ihnen ergangen?

FGut, ich habe mich sehr heimisch gefühlt.

1Auf Deutsch: Papst Franziskus, Mit Frieden gewinnt man alles. Im Gespräch mit Dominique Wolton über Politik und Gesellschaft, Herder, Freiburg im Breisgau 2019.

Dialog vom 2. Juli 2019

Carlo PetriniFür kommenden Oktober haben Sie eine Pan-Amazonien-Synode einberufen, eine große Versammlung aller Bischöfe jener neun Länder, über die sich die grüne Lunge der Erde erstreckt. Wenn ich mich nicht irre, ist es das erste Mal, dass ein derartiges Treffen stattfindet. Was erwarten Sie von dieser Synode?

Papst FranziskusDass sie eine große Wirkungsmacht entfaltet. Denn so ist die Kirche. Die Kirche ist ruckweise, durch den Sprung nach vorne vorangekommen. In gewissen historischen Augenblicken hat man mutige Schritte gewagt, durch die die Karten auf den Tisch kamen und heftige Diskussionen entflammten, die wiederum die Reaktion und bisweilen auch Verfolgungen nach sich zogen. Aber am Ende ist man immer einen Schritt vorangekommen. Es ist wichtig, fruchtbare und gewinnbringende Diskussionen zu entfachen, es ist wichtig, Kräfte und Ideen zu entfalten. Aber das ist nur meine persönliche Auffassung.

CDa stimme ich Ihnen vollkommen zu, geistiger Schwung, das produktive Bemühen um neue Paradigmen, neue Denk- und Lebensweisen sind tatsächlich enorm wichtig. Und Amazonien steht heute als Symbol für einen historisch kritischen Moment. Im Namen eines gierigen und skrupellosen Wirtschaftssystems setzt man einen der wichtigsten Rettungsanker der Menschheit auf dieser Erde, einen einzigartigen Hort der Biodiversität und einen Schatz an menschlicher und ökologischer Vielfalt aufs Spiel. Die von den Menschen und der Politik in Bezug auf Amazonien getroffenen Entscheidungen werden bestimmen, welche Zukunft uns erwartet und welchen Weg diese unsere Erde unwiderruflich nehmen wird.

FIn diesen Wochen ist von Journalisten und Meinungsmachern oft zu hören, die Synode werde organisiert, damit der Papst den Priestern erlauben kann, zu heiraten. Aber wie kommen sie darauf? Als sei es das wichtigste Problem, um das man sich zu kümmern habe. Im Gegenteil, die Synode ist eine Gelegenheit, sich mit den großen Themen unserer Zeit auseinanderzusetzen und Fragen zu diskutieren, denen wir nicht ausweichen können und die im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen sollten. Umwelt, Biodiversität, Inkulturation, soziale Verhältnisse, Migration, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung. Die Kirche muss reflektieren, muss eine aktive und unbequeme Rolle spielen, muss in diesen komplexen Zeiten Protagonistin sein.

CIch danke Ihnen vielmals für Ihre Arbeit. Es würde mich wirklich freuen, wenn die Ergebnisse dieser Synode, die entsprechenden Erklärungen und Bestimmungen, auch für die vor einem Jahr ins Leben gerufenen Laudatosi’-Gemeinschaften zum Anlass der Reflexion würden. Wie Sie wissen, handelt es sich dabei um heterogene und lose Gemeinschaften, die jedoch die Idee vereint, dass für eine würdige und hoffnungsvolle Zukunft aller Menschen ein radikaler Kurswechsel notwendig ist, insbesondere was den Schutz des gemeinsamen Hauses angeht. Die Enzyklika gab den entscheidenden Anstoß für die Entstehung der Gemeinschaften. Und es ist bedeutsam, dass man bei dieser Synode von der Peripherie ausgeht, von Amazonien – das uns Bewohnern der westlichen Welt so fern liegt –, damit es dann zu einer Reflexion kommt, die uns alle auf den Plan ruft. Letztlich gehen Veränderungen und positive Impulse immer von den Rändern aus. Das beobachten wir auch mit dem Netzwerk Terra Madre tagtäglich selbst. Ich bin überzeugt, dass es zu einer ziemlichen Umwälzung kommen wird, ich habe die vorbereitenden Entwürfe gelesen, sehr schön. Nehmen eigentlich nur Bischöfe aus der Region teil?

FJa, ausschließlich. Außerdem war es mir zugegebenermaßen auch wichtig, einige konservative Priester und Bischöfe einzuladen, denn wenn es keine unterschiedlichen Meinungen gibt, bleibt die Debatte fruchtlos und man läuft Gefahr, nicht vorwärtszukommen. Wo es zu Auseinandersetzungen (oder besser, zum Austausch) zwischen klugen und gutwilligen Menschen kommt, gibt es Wachstum, davon bin ich zutiefst überzeugt. Ich habe die Konservativen dazu eingeladen, ihre Vorstellung sachlich vorzutragen, denn es bedarf der Gedanken und der Ressourcen aller. Das wird eine schöne Begegnung, offen und aufrichtig.

CAus meiner Außensicht würde ich sagen, dass es allmählich zu Veränderung kommt. Auch innerhalb der Kirche nimmt die Sensibilität überall zu. Immer öfter sehe ich Veranstaltungen, die im Namen der Enzyklika Laudato si’ stattfinden, ich sehe Aufrufe von Katholiken, die sich das wunderbare Konzept der ganzheitlichen Ökologie auf die Fahnen geschrieben, es zu ihrem Motto gemacht haben. Langsam, aber sicher verbreiten sich auch die Laudato-si’-Gemeinschaften und bringen Konfessionslose und Katholiken bei den Fragen um die Zukunft zusammen. Anfangs war es mühsam, wir schafften es nicht, die Dringlichkeit des Themas, seine zentrale Bedeutung sichtbar zu machen. Aber seit einigen Monaten spüre ich einen neuen Impuls, einen stärkeren Zusammenschluss zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen – ein Punkt, über den wir bei unserem letzten Treffen gesprochen haben.

FGanz bestimmt. Der Bewusstwerdungsprozess ist lang und schwierig, aber es geht um ein Thema, das alle betrifft, Gläubige und Nichtgläubige, Geistliche und Laien. Es handelt sich um ein weltweites Problem aller Menschen, ohne Unterschied. In diesem Zusammenhang lege ich übrigens, wie bereits gesagt, Wert darauf zu betonen, dass sich hinter dem Titel Laudato si’ keine Umwelt-, sondern eine Sozialenzyklika verbirgt. Das war nicht von vornherein klar und manche haben das immer noch nicht begriffen, aber es besteht ein großer Unterschied. Es geht nicht um Umweltschutz, der zwar ein hehres Ziel, aber nicht hinreichend ist. Hier geht es darum, welches Modell des Zusammenlebens und der Zukunft wir haben und wie wir es gestalten. Es geht um das enorme Problem der sozialen Gerechtigkeit, das auch heute, in der vernetzten und scheinbar wohlhabenden Welt, in der wir leben, noch längst nicht gelöst ist.

CIch bin zuversichtlich, dass sich die Dinge zum Besseren entwickeln, ich sehe überall ermutigende Signale, auch wenn noch enorm viel zu tun bleibt. In diesem Zusammenhang wollte ich Sie etwas fragen: Was halten Sie von der Jugendbewegung, die Greta Thunberg ins Leben gerufen hat, die junge Schwedin, der es gelungen ist, durch ihr Einstehen weltweit Millionen junger Menschen hinter sich zu bringen? Ich selbst betrachte das als äußerst wichtigen und positiven Schritt nach vorn, ich beobachte, wie Jugendliche, die bis gestern scheinbar kein Interesse am öffentlichen Leben hatten, zum Demonstrieren auf die Straße gehen, konkrete Aktionen zum Umwelt- und Landschaftsschutz organisieren und klare Forderungen an Regierende und Entscheidungsträger stellen.

FGenau! Das Schöne ist, dass diese Bewegung das Bewusstsein der jungen Leute geweckt hat, die bisher eher am Rand der politischen Debatte und Teilhabe gestanden haben. Ich habe Jugendliche mit Schildern gesehen, auf denen stand: »Wir sind die Zukunft« oder »Uns gehört die Zukunft, nicht euch«. Sie sind sich bewusst, dass diese Zivilisation und dieses Modell ihnen nur Scherben hinterlassen wird und dass sie selbst handeln müssen, wenn sie das Schlimmste verhindern wollen. Neulich habe ich im Vatikan Seelsorger für Seeleute und eine Gruppe junger Fischer empfangen. Unter ihnen waren sieben junge Männer, Fischer, die einen kleinen Fischkutter besitzen, mit dem sie sich ihren Lebensunterhalt verdienen. Sie haben mir erzählt, dass sie allein in den vergangenen vier Monaten sechs Tonnen Plastik aus dem Meer gefischt haben, eine erschreckende Menge. Wir laufen Gefahr, bald mehr Plastik als Fisch im Meer zu haben, und das ist nur eines von unzähligen Problemen, mit denen sich die jungen Leute tagtäglich konfrontiert sehen.

CWir haben es letztes Jahr geschafft, das Thema Plastik auch auf dem Forum in Amatrice zur Sprache zu bringen. Dort hatten wir das Netzwerk der Laudato-si’-Gemeinschaften eingeladen, um durch einen Katalog alltäglicher Verhaltensregeln eben diesem maßlosen und übertriebenen Plastikkonsum entgegenzuwirken. Zumindest in diesem Punkt wächst jetzt die Sensibilität, und das Bewusstsein wird geschärft. Offenbar ist ab diesem Jahr in den öffentlichen Badeanstalten Italiens die Verwendung von Plastik verboten, und ich habe gehört, dass Coca-Cola bei der Verpackung und den Produktionswegen ab 2020 vollständig auf Plastik verzichten will. Dass sie das tun, bedeutet, dass die Konsumenten es verlangen, dass also inzwischen ein Bewusstsein vorhanden ist. Wir stehen vor einer Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes. Die Universität von Sidney hat herausgefunden, dass wir mengenmäßig pro Woche etwa eine Kreditkarte an Mikroplastik zu uns nehmen! Inzwischen ist Plastik vollständig in die Nahrungskette eingedrungen, mit noch nicht ganz absehbaren, aber besorgniserregenden Folgen.

FDas habe ich auch gelesen!

CErschreckend, wir essen jede Woche eine Kreditkarte, ohne es zu merken. Sehen Sie die Bewegung also positiv?

FAuf jeden Fall! Manche sagen, Greta Thunberg sei durch andere angestachelt, manipuliert. Ich weiß das nicht und es interessiert mich auch nicht wirklich. Wenn sich durch ihr Handeln und ihren Aktivismus weltweit Millionen junger Menschen dazu bringen lassen, selbst aktiv zu werden, kann das nur freudig und optimistisch stimmen. Mich interessiert die Reaktion der Jugend. Sie müssen sich nicht nur die Zukunft, sondern auch die Gegenwart zu eigen machen.

CDarüber hinaus legt diese Generation, im Gegensatz zu den 68ern, eine konstruktive Haltung an den Tag, sie beschränkt sich nicht auf den Protest, sondern ist lösungsorientiert und handelt selbst. Auch die kleinen Dinge sind wichtig, das haben diese jungen Leute verstanden und leben es. Sie reinigen Bewässerungsgräben, sagen dem Plastik den Kampf an, entwickeln neue Ideen hinsichtlich des eigenen Verhaltens. Ich glaube, dass man sie »Generation Laudato si’« nennen könnte. In meiner Gegend, in der Provinz Cuneo, gibt es zum Beispiel verschiedene Gruppen, die einmal im Monat einen Tag damit verbringen, Abfall von der Straße aufzusammeln, um so die öffentliche Meinung zu sensibilisieren. Das ist eine wunderbare, lobenswerte Arbeit. Es macht mich wütend, wenn es heißt, die Jugend von heute sei individualistisch und habe nur ihre eigenen, beschränkten Interessen im Blick. Den jungen Menschen fehlt es vielmehr an einem Raum, in dem sie sich echtes Gehör verschaffen und Entscheidungen beeinflussen können, statt sich diesen immer nur beugen zu müssen. Allzu oft ist zu hören, man müsse den neuen Generationen Raum lassen, aber dann bleibt es bei bloßen Worten. Im Piemont gibt es ein bekanntes Sprichwort, das besagt: »Wenn die Jungen wüssten und die Alten könnten …« Ich glaube, dass in diesem historischen Augenblick genau das Gegenteil der Fall ist: »Wenn die Alten wüssten und die Jungen könnten.« Allzu oft sind wir Alten unfähig zu begreifen, welch drängende Eile angesichts unserer mitten in der Umweltkrise steckenden globalisierten Welt geboten ist, wir sind noch in alten, überkommenen und irrigen Denkmustern verhaftet. Die Jungen haben dagegen oft klare Vorstellungen darüber, welche Richtung es einzuschlagen gilt, aber es fehlt ihnen an Mitteln, das System zu beeinflussen.

FDie jungen Leute merken, dass ihnen die Zukunft gehört und dass es der Tod sein wird, wenn sie nichts verändern, nicht handeln. Ich will Ihnen Folgendes erzählen: Der Apostolische Nuntius in Indonesien berichtete mir, dass er vor einiger Zeit einige Inseln des Archipels mit einem Boot besuchte. Während der Fahrt von einer Insel zur nächsten bemerkte er mitten im Meer eine Kokospalme, die hin- und herschwankte, als sei sie ins Wasser gepflanzt worden. Verwirrt fragte er die Leute, die ihn begleiteten, wie es möglich sei, dass eine Kokospalme mitten im Meer wüchse. Sie erklärten ihm, dass sie nicht im Meer hin und her treibe, sondern feste Wurzeln auf einer Insel habe, die vor kurzem, wegen des Anstiegs des Meeresspiegels, überschwemmt worden sei. Hier bei uns bemerken wir das vielleicht gar nicht, aber all das geschieht heute, es handelt sich nicht bloß um eine pessimistische Zukunftsvision.

CEs ist eine angekündigte Katastrophe und die Politik schläft. Es scheint absurd, aber all diese Themen sorgen kaum für Schlagzeilen in den Zeitungen, sie stehen nicht im Mittelpunkt der politischen Debatten, sie spielen nicht einmal im Wahlkampf eine zentrale Rolle. Bleibt nur zu hoffen, dass es den Jungen bald gelingen wird, ihre globale politische Agenda durchzusetzen. Es gibt im Italienischen das etwas seltsame Wort benaltrism0: Es bedeutet, dass man, um ein Problem herunterzuspielen, die Aufmerksamkeit auf etwas noch Schlimmeres lenkt, auf das man sich zuerst konzentrieren müsse. Es ist eine Ausrede, mit der sich jegliches Handeln aufschieben lässt. In Italien leiden wir sehr stark unter Benaltrismus, insbesondere, wenn das Gespräch auf konkrete Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels und seiner Folgeschäden kommt. Und Hand in Hand mit dem Benaltrismus geht der Vorwurf des Gutmenschentums, der sich bei jeder Gelegenheit gegen alle richtet, die versuchen, einen anderen Weg aufzuzeigen als den der immer stärker verbreiteten Politik der geschlossenen Grenzen und der Abschiebung. Wie soll man sich in einer Situation verhalten, in der jeder Akt der Großzügigkeit und des Willkommens dem Vorwurf des Gutmenschentums ausgesetzt ist und verhöhnt wird? Denn das ist heutzutage traurige Realität. Sobald jemand wagt zu sagen, es gebe eine Pflicht zur Aufnahme, wird er bezichtigt, abgehoben und realitätsfern zu sein und die Probleme der normalen Bevölkerung nicht zu verstehen. Dasselbe passiert allen, die versuchen, fortschrittliche Gedanken zu unterstützen.

FWissen Sie, es gibt eine Episode aus dem bedeutendsten literarischen Werk in spanischer Sprache, dem Don Quijote von Miguel de Cervantes. In meinen Augen ist sie exemplarisch für diese Situation. Ich will sie Ihnen in zwei Versionen erzählen, einmal in der Originalversion und ein weiteres Mal in der von den etwas Boshafteren, also Leuten wie mir, verwendeten Fassung. (lacht) An einer Stelle des Buches reiten Don Quijote und Sancho Pansa durch die Dunkelheit, als plötzlich in der Ferne eine Meute wütend bellender Hunde zu hören ist. Sancho wendet sich erschrocken an Don Quijote: »Herr, die Hunde bellen laut und wollen uns angreifen.« Don Quijote erwidert seelenruhig: »Das ist das Zeichen, dass wir reiten.« In der anderen Version, die nicht der Originalfassung entspricht, mir aber sogar noch besser gefällt, entgegnet Don Quijote den Bedenken Sanchos mit den schlichten Worten: »Es sind Hunde.« Man muss nicht darauf eingehen, muss sich nicht einschüchtern lassen, denn die Angriffe sind das Zeichen, dass man das Richtige tut. Oder besser gesagt, man muss schon darauf eingehen, mit konkreten, positiven Gesten, mit Wohlwollen und Solidarität. Und all das muss dann mit Begründungen und Belegen untermauert werden. Es bringt nichts, wie die Hühner im Stall aufeinander loszugehen, mit den Schnäbeln aufeinander einzuhacken und dann ganz normal weiterzuleben, ohne dass sich irgendetwas ändert. Genau das wollen diejenigen, die diese Art von Debatte befeuern.

CMan muss die Fakten sprechen lassen.

FDie Fakten, natürlich, und man muss überzeugende, schlagkräftige und einfache Erklärungen abgeben. So, wie es auf der Synode geschehen wird: unfruchtbare Streitereien vermeiden und wirkungsmächtige Aussagen treffen, unmissverständlich Position beziehen. Das ist in meinen Augen der einzige Weg.

CIch stimme Ihnen voll und ganz zu. Konfrontation zahlt sich nicht aus und dient nur dazu, die Aufmerksamkeit von den echten Problemen abzulenken. Es herrscht dann nur noch Getöse.

FVon mir nahestehenden Personen höre ich oft, dass teils schlecht über mich geredet wird: dass ich nicht mehr derselbe sei wie früher, dass ich vom Kurs abkomme, weil ich Roma im Vatikan empfange und von der Aufnahme der Geflüchteten und der Ärmsten gesprochen habe. Das wundert und verärgert mich nicht. Ich erinnere mich, wie ich in den ersten Zeiten als Priester und später als Bischof manchmal nach Turin reiste, um Verwandte zu besuchen. Schon damals bekam ich, wenn ich da war, zu hören, Turin sei nicht mehr dieselbe Stadt wie früher, da sie voller Süditaliener und, wie es später hieß, voller Migranten sei. Man sprach über die Gegend um die Porta Palazzo und darüber, dass die Stadt ihren Geist, ihre Reinheit verloren habe. Schon damals redete man so, verwendete dieselben abscheulichen Worte wie heute. Nur das Angriffsziel hat sich geändert. Es gibt stets Menschen, die noch ärmer, noch ausgegrenzter sind, die man angreifen und bekämpfen kann. Aber wohin führt uns diese Abschottung, was erwartet uns? Wir leben in einem Europa, in dem keine Kinder mehr geboren werden, ein Europa, das Einwanderung gewaltsam verhindert und das dabei die eigene Geschichte und die jahrhundertelangen Migrationsbewegungen vergisst. Europa vergisst, dass seine Kinder in Nordamerika, in Lateinamerika, in Australien aufgenommen wurden und diese Länder im Lauf der Jahre zu dem gemacht haben, was sie heute sind. Derzeit erstarken populistische Tendenzen, die der einfachsten Art, die wahre Stimme des Volkes zum Schweigen zu bringen. Populismus hat nichts mit dem Volk zu tun. Er unterdrückt vielmehr die Seele des Volkes, engt die bestgesinnten und edelsten Seiten seines Geistes ein. Populismus ist eine politische Bewegung, die keine Seele, nur eine Taktik hat. Wenn das Volk seiner Seele Ausdruck verleiht, lässt es die Volkskultur lebendig werden, den Gemeinsinn, die Esskultur, die Volksmusik, ja sogar die Volksphilosophie. Das ist es, was wir im Blick behalten und wiederfinden müssen, was es aufzuwerten gilt. Der Populismus arbeitet angeblich für das Volk, aber eigentlich ohne das Volk, er bedient sich der Instinkte Benachteiligter und zeigt mit dem Finger auf einen zu bekämpfenden Feind, einzig um des eigenen Machtvorteils willen.

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