Kitabı oku: «Schwur auf Rache», sayfa 2
Verrat
Am Morgen der Abreise versammelte sich die ganze Familie noch einmal im Esszimmer. Angeregt unterhielten sie sich über das gelungene Fest vom Vortag.
„Du hast dich wieder selbst übertroffen, Siegmund!“, lobte Fürst Friedrich seinen Vetter.
„Für meine geliebte Tochter ist mir kein Opfer zu groß!“, antwortete dieser mit einem auffallenden Glitzern in den Augen. Friedrich registrierte dies wohl, schrieb es aber einzig der übermäßigen Vaterliebe seines Gegenübers zu. Lächelnd lehnte er sich zurück. Als alle ihr Mahl beendet hatten, mahnte er die Seinen zum Aufbruch.
An der Kutsche verabschiedeten die Familien sich voneinander. Dora küsste Katharina auf die Wange und wünschte ihr, mit Tränen in den Augen, eine gute Reise. „Schade, dass ihr uns schon wieder verlasst. Die Tage sind so schnell vergangen!“
„Nun, in ein paar Wochen sehen wir uns doch schon wieder. Ich gehe davon aus, dass ihr uns zu Friedrichs Geburtstag die Ehre eures Besuches macht? Dann werde ich dir unseren neuen Rappen zeigen. Wir wollen ihn zur Zucht verwenden. Unser Stallmeister ist regelrecht verliebt in das Tier. Du wirst begeistert sein, meine Liebe.“ Katharina lag es fern, vor Dora zu protzen und diese wusste das natürlich. Luises Mutter hatte ein Faible für Pferde und versicherte Katharina freudig ihr großes Interesse.
Gleichzeitig richtete Fürst Friedrich das Wort an seinen Vetter. „Wir danken euch herzlich für eure Gastfreundschaft. Wir haben uns alle sehr wohl gefühlt. – Wie immer!“, fügte er aufrichtig lächelnd hinzu.
„Oh, du weißt wie gern wir euch hier haben. Ich wünsche euch eine gute Heimreise.“
Friedrich fand, dass sein Vetter etwas angespannt wirkte. „Bedrückt dich etwas, mein Lieber? Wenn ich etwas tun kann …?“
„Ach! Nichts, wobei du mir behilflich sein könntest. Die Lösung meines Problems ist auch schon in greifbare Nähe gerückt. Also sei unbesorgt!“ Sie umarmten sich zum Abschied und Friedrich stieg zu seiner Frau und den Mädchen in die Kutsche.
Luise und Falko hatten sich ein wenig abseits gehalten. Traurig blickte die Kleine ihren 'Ritter' an. „Ich werde gut auf Anselm achtgeben!“, versprach sie und holte ein gelbes Seidensäckchen zwischen ihren Rockfalten hervor. Genau wie Falko bewahrte sie nun die kleine Figur darin auf und hatte sie an ihrem Bund befestigt.
Er lächelte zufrieden, doch dann wurde er wieder ernst. „Der kann gut auf sich selbst achten! Anselm soll dich beschützen und nicht umgekehrt!“ Sie reichten sich die Hände und Falko begab sich als Letzter seiner Familie in die Kutsche. Da es nach Regen aussah, hatte seine Mutter zur Enttäuschung des Jungen darauf bestanden, dass er bei ihnen saß. Dann rollte das schwere Gefährt vom Hof und die berittene Truppe formierte sich schützend um ihre Herrschaft.
Bald setzte der erwartete Regen ein und trommelte geräuschvoll auf das Kutschendach. Auf die Insassen hatte das eine einschläfernde Wirkung und so fielen die Kinder bald in einen friedlichen Schlummer.
Gerade hatten sie den kleinen Grenzfluss überquert, als das Gespann abrupt zum Stehen kam. Draußen schien etwas Ungeheuerliches vor sich zu gehen, denn es drangen Schreie und Kampflärm ins Kutscheninnere. Besorgt nahmen die Eltern ihre aus dem Schlaf hochgeschreckten Kinder in den Arm. Dann wurden die Türen aufgerissen und die Insassen gewaltsam nach draußen gezerrt. Falko konnte nicht glauben, was er sah. Eine Überzahl maskierter Banditen hatte den kompletten Begleittrupp der Familie überwältigt und ermordet. Ohne auch nur ein Wort an sie zu richten, brachten sie nun zuerst seinen Vater und dann seine Mutter um. Das Blut rann in dicken Strömen aus ihren aufgeschlitzten Kehlen, als Fürst Friedrich und seine Frau zu Boden sanken. Die Mädchen kreischten vor Angst und Falko klammerte instinktiv seine Hände um das Säckchen, in dem seine ruhmreiche Armee schlummerte. Doch kein Wunder geschah. Unfähig, auch nur eine Bewegung zu machen, musste er miterleben, wie zwei der Männer seine Schwestern zum Schweigen brachten, indem sie ihnen ihre Dolche ins Herz rammten. Nun begriff Falko seine Lage und versuchte davonzulaufen.
„Ich kümmere mich selbst um den Jungen“, hörte er einen der Männer sagen. Kurz darauf hatte er ihn eingeholt und am Arm gepackt. Genau wie bei den anderen Angreifern verdeckte ein schwarzes Tuch das Gesicht des Mannes und ließ nur seine Augen frei. Falko sah ihn direkt an.
„Tut mir leid, Junge, ich erfülle nur meinen Befehl!“, sagte der Bandit, als er nach seinem Messer griff. Falko erkannte die Stimme wieder. Er konnte genau die Narbe auf dem Handrücken des Mannes erkennen und sah, dass ihm der kleine Finger fehlte. Dann spürte er den brennenden Schmerz, als das Messer seinen Brustkorb traf. Ungläubig fühlte er seine Sinne schwinden. 'Fürst Siegmund!', schrie es in seinem Kopf – dann wurde alles schwarz.
Dora saß gerade im kleinen Salon bei ihren Stickarbeiten, als ein Diener hereinkam und einen Boten von Schloss Kaltenstein ankündigte. Sie beauftragte ihn, den Mann vorzulassen und sofort ihren Gemahl von dessen Ankunft in Kenntnis zu setzten. Es war inzwischen später Abend geworden und Luise lag schon im Bett. Fürst Siegmund hatte sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen, da er noch einige Briefe verfassen wollte.
So zumindest hatte er es seiner Frau erklärt. In Wirklichkeit war er die ganze Zeit nervös im Zimmer auf und ab gelaufen, in Erwartung, etwas über den Ausgang der Operation zu erfahren.
Jetzt folgte er dem Diener in den Salon. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Je nachdem, wie die Dinge verlaufen waren, konnte er heute alles gewinnen oder verlieren. Scheinbar fürsorglich legte er seiner besorgt dreinschauenden Frau den Arm um die Schultern und befahl dem Boten zu sprechen.
„Ich bringe Euch schreckliche Nachrichten, gnädiger Herr. Die Kutsche, in der Fürst Friedrich mit seiner Familie reiste, ist von einer schändlichen Räuberbande überfallen worden. … Niemand hat überlebt!“
Dora musste zunächst verinnerlichen, was sie gerade gehört hatte. Das konnte doch nicht wahr sein. Erst heute Morgen hatten sie noch zusammen gegessen und gelacht.
„Wisst Ihr das sicher?“, fragte sie in der absurden Hoffnung, etwas Gegenteiliges zu hören.
„Leider ja! Eine Gruppe Mönche aus dem Sankt Martins-Kloster war auf der gleichen Straße unterwegs. Sie sahen die Angreifer noch davonreiten, konnten aber nichts Genaueres erkennen. Sie nehmen an, dass es sich um eine Räuberbande gehandelt hat, da alle Waffen und Wertgegenstände gestohlen wurden. Die gesamte Familie sowie die Soldaten wurden brutal niedergemetzelt. Die Banditen waren zahlenmäßig stark überlegen. Da sie sonst nichts mehr tun konnten, luden die Brüder die Ladung von ihren Wagen und legten stattdessen die Toten darauf. Sie befinden sich zurzeit in den Mauern des Klosters. Der dortige Abt, Pater Johannes, war der Beichtvater Eures Vetters und seiner Gemahlin. Er bittet darum, sich um die Leichname der Familie kümmern zu dürfen und sie für das Begräbnis vorzubereiten.“
Fürstin Dora war während seiner Worte auf einen Stuhl gesunken und blickte nun völlig apathisch vor sich hin.
Siegmund dagegen musste sich bemühen, seinem Gesicht den nötigen Ausdruck von Fassungslosigkeit und Trauer zu geben. „Wir richten unseren tiefen Dank aus und geben seiner Bitte gern statt. Ich selbst werde mich schon morgen nach Schloss Kaltenstein begeben, um dort die Feierlichkeiten für die Beisetzung vorzubereiten.“ Mit diesen Worten entließ er den Boten und verließ direkt nach ihm, mit einer gemurmelten Entschuldigung, den Raum.
Dora saß noch lange regungslos da und schaute mit verschleiertem Blick auf die Tür. Immer wieder sah sie die hübschen Gesichter der Kinder vor sich. Wer war in der Lage, diesen unschuldigen Wesen etwas Derartiges anzutun? Sie wollte in ihrem Kummer nicht allein sein und suchte nach ihrem Mann. Sie vermutete, dass er sie nicht sehen lassen wollte, wie sehr ihn diese Nachricht aus der Fassung brachte. Er war immer darum bemüht, Haltung zu bewahren und keine Schwäche zu zeigen. Doch sie war davon überzeugt, dass sie sich jetzt gegenseitig stützen sollten. Als sie ihn weder in seinem Arbeitszimmer noch in der Bibliothek finden konnte, beschloss die Fürstin, nach draußen zu gehen. Etwas frische Luft würde vielleicht gut tun. Sie setzte sich auf ihre Lieblingsbank und blickte hinauf zu den Sternen. 'Ob sie jetzt irgendwo da oben sind, in Gottes Reich?', fragte sie sich wehmütig und Tränen rannen ihr über die Wangen. Obwohl es eine warme Nacht war, fröstelte Dora plötzlich und zog sich ihr Schultertuch fester um den Körper.
Dann hörte sie Stimmen, die sich zwar flüsternd, aber auch sehr aufgeregt unterhielten: „… alles ohne Probleme verlaufen! Als die Mönche aufgetaucht sind, waren wir schon im Aufbruch.“
„Sehr gut! Ihr habt euch euren Lohn verdient.“
Dora dachte ihr Herz bliebe stehen, als sie die Stimme ihres Mannes erkannte. Sie hielt vor Anspannung den Atem an.
„Hier hast du den vereinbarten Preis!“ Man konnte deutlich vernehmen, wie ein Beutel mit Geldstücken den Besitzer wechselte.
„Jederzeit wieder, gnädiger Herr!“
„Ich werde sicher darauf zurückkommen. In der nächsten Zeit jedoch, möchte ich weder dich noch deine Männer in meiner Nähe sehen! Und sage deinen Leuten, sie sollen den Mund halten! Sonst sorge ich dafür, dass sie oder ihre Familien dafür bestraft werden! Und du weißt, ich habe die Mittel dazu!“
„Keine Sorge, Herr! Meine Männer sind verschwiegen. Bei der guten Bezahlung würden sie sich nicht selbst die Chance auf einen neuen Auftrag verbauen. Abgesehen davon habe ich ihnen nie gesagt, dass Ihr unser Auftraggeber seid.“
„Gut so! Und jetzt verschwinde! Wenn ich etwas will, werde ich dich finden.“
Dann entfernten sich die Schritte in unterschiedliche Richtungen.
Dora blieb, vor Entsetzen starr, auf der Bank zurück. Was geschah hier eigentlich? Hatte sie das gerade wirklich erlebt? Sollte der Mann, den sie seit zehn Jahren liebte und ehrte, der Vater ihres einzigen Kindes, wirklich zu so etwas fähig sein? Und warum das Ganze? Sie hatte immer den Eindruck gehabt, dass er und Friedrich einander mochten und respektierten. Und Falko? Immer schon stand fest, dass er eines Tages Luises Mann werden sollte, um die unsinnige Teilung des Landes wieder rückgängig zu machen. Dann hätten die Kinder über das vereinigte Fürstentum geherrscht. Doch nun …? Wieder durchfuhr sie ein Schock, als ihr der wahrscheinliche Grund für diese Gräueltat bewusst wurde. Wenn Friedrich tot war und keinen Erben hinterließ, wäre Siegmund sein legitimer Nachfolger! Außer sich vor Zorn lief Dora zur Burg und suchte nach ihrem Mann. Sie fand ihn in seinem Arbeitszimmer, mit einem Glas Wein in der Hand.
Erschrocken blickte er auf und setzte sofort eine leidvolle Miene auf. „Ich nahm an, du wärst zu Bett gegangen,darum habe ich mich hierher zurückgezogen.“ Er schüttelte theatralisch den Kopf. „Findest du keine Ruhe, meine Liebe? Ich auch nicht. Es ist einfach zu furchtbar!“
Er erhob sich und kam auf sie zu. Gerade als er sie in die Arme nehmen wollte, stieß sie ihn mit voller Wucht zurück.
Dora hatte noch nie in ihrem Leben so viel Abscheu für einen Menschen empfunden wie in diesem Moment. Einen Menschen, den sie noch vor wenigen Minuten von ganzem Herzen geliebt hatte! Hasserfüllt sah sie ihn an. „Halt deinen Mund und wage es nicht mich anzufassen!“
Ungläubig sah er seine Frau an. „Was soll das heißen? Wie redest du überhaupt mit mir?“
„Ich komme gerade von draußen. Du auch, nicht wahr? Ich habe alles mitangehört! Wie konntest du nur so etwas tun? Er war dein Vetter! … und die Kinder ! ... Wozu das alles? Aus reiner Gier?“
Siegmund hatte nicht damit gerechnet, dass seine Frau je dahinter kommen würde. Und schon gar nicht, dass es so schnell geschah. Sie konnte alles gefährden. Er musste versuchen, ihr die Gründe seines Handelns klarzumachen. „Ich habe es für Luise getan!“
Dora unterbrach ihn barsch: „Unterstehe dich, deine eigene Gier hinter unserer Tochter zu verstecken! Luise hätte durch die Heirat mit Falko sowieso irgendwann über ganz Kaltenstein geherrscht.“
„Du verstehst nicht, Dora! Jetzt wird Luise das ganze Land als Mitgift mitbringen und so eine wesentlich bessere Partie machen als mit Falko.“
Doras Augen wurden zu Schlitzen. „Das glaube ich nicht! Denn ich persönlich werde dich beim König anzeigen. Unsere Tochter soll ihre Zukunft nicht auf deiner Bluttat aufbauen!“
Nun war ihm klar, dass er hier im Guten nichts mehr erreichen konnte. Auch wenn er es nicht besonders gern tat, er musste Dora mit Nachdruck daran hindern, ihrer aller Zukunft zu zerstören.
„Du willst es nicht anders ... Wenn du auch nur ein Wort darüber verlierst, werde ich mich rächen. Nicht an dir, du bedeutest mir zu viel. Du bist doch aber sicher daran interessiert, dass es deiner Schwester und ihrer Familie weiterhin gut geht? Ich kann ihnen das Leben zur Hölle machen … und Schlimmeres. Abgesehen davon, würde Luise auch darunter leiden, denn mit meinem Ruf wäre auch ihre Zukunft zerstört. Kein Mann von Ansehen würde sie dann noch zur Frau nehmen wollen. Also entscheide dich sorgsam!“ Siegmund hoffte, dass seine Worte Dora zur Vernunft bringen würden. Er hatte nicht ernsthaft vor, ihr oder ihrer Familie zu schaden, denn er liebte sie auf seine Art. Doch noch größer war seine Liebe zur Macht. Er hatte ehrgeizige Pläne. Seine Tochter sollte eines Tages hoch über allen stehen, doch dafür brauchte es mehr als die ewige Hälfte der Familienländereien. Sie sollte in den Augen der mächtigsten und reichsten Männer im Lande als gute Partie gelten. Sein Name würde dann in aller Munde sein und ihm alle Türen öffnen. Wenn es sein musste, würde er alles Nötige tun, um seinen Plan umzusetzen.
Dora schüttelte ungläubig den Kopf. „Du widerst mich an! Ich hoffe, Gott wird dich deiner gerechten Strafe zuführen! Ich werde schweigen. Aber ich schwöre, dass ich kein Wort mehr mit dir wechseln werde, ausgenommen Luise befindet sich in der Nähe. Sie soll nicht mehr unter der Situation leiden als notwendig. Und noch etwas: Fass mich nie wieder an!“ Mit diesen Worten verließ sie den Raum.
Siegmund blickte noch lange auf die Tür, die krachend hinter ihr ins Schloss gefallen war. Gut! Sie würde sich irgendwann schon wieder beruhigen und einsehen, dass er nur Luises Wohl im Sinn hatte. Außerdem würde ihr Protest Friedrichs Familie sowieso nichts mehr nutzen. – Sie waren alle tot!
Fürst Siegmund ahnte nicht, dass er damit einem schweren Irrtum unterlag.
Schwur auf Rache
Pater Johannes saß am Bett des Jungen und sah besorgt auf das blasse Gesicht hinab. Es war ein Wunder, dass Falko den Überfall überlebt hatte. Er konnte noch immer nicht fassen, was ihm die Brüder bei ihrer Rückkehr erzählt hatten ...
Die Mönche hatten den Jungen zunächst zu den anderen Toten auf den Karren gelegt, im Glauben, dass auch er nicht mehr am Leben war, bis Bruder Lukas bemerkte, wie Falko versuchte etwas zu sagen. In der Annahme, die letzten Worte eines sterbenden Kindes zu hören, hielt der Mönch sein Ohr direkt an den Mund des Jungen. Was er dann vernahm, konnte er kaum glauben.
„Fürst Siegmund! ... Er war es ... Er hat die Männer dazu … beauftragt!“ Dann wurde Falko wieder bewusstlos.
Direkt nach ihrer Ankunft im Kloster begab sich der Mönch zum Abt und berichtete ihm von dem schrecklichen Geschehen und den Worten des Jungen. Pater Johannes eilte danach sofort zum Krankenlager des Kindes und verschaffte sich einen Überblick. Falko war nicht ansprechbar und es schien fraglich, ob er überleben würde. Sein Angreifer hatte das kleine Herz nur knapp verfehlt, aber es bestand die vage Hoffnung, dass auch die angrenzenden Organe und großen Blutgefäße verschont geblieben waren, sonst wäre Falko sicher schon gestorben. Doch er hatte sehr viel Blut verloren.
Der Abt wollte noch immer nicht glauben, was Bruder Lukas ihm offenbart hatte. Selbst wenn er den Jungen richtig verstanden hatte, konnten die Worte vom Schock herrühren, den das Kind zweifelsohne erlitten hatte. Doch er wollte auch kein Risiko eingehen. Er versammelte alle Brüder des Ordens in der Kapelle und unterrichtete sie über die schwierige Lage.
„Solange wir nichts Genaues wissen, werden wir verschweigen, dass der Junge überlebt hat. Sollte er wieder zu sich kommen und die Anschuldigung widerrufen, können wir Fürst Siegmund die gute Botschaft immer noch überbringen. Er wird es sicher verstehen. Sollte sich aber herausstellen, dass er die Wahrheit sprach, schwebt Falko von Kaltenstein in höchster Gefahr. Dann darf niemand etwas davon erfahren, dass er lebt. Wir wollen alle gemeinsam ein Gelübde ablegen, dass wir uns an diese Vereinbarung halten werden.“
Und so geschah es dann auch.
Als Falko erwachte, saß Pater Johannes an seinem Lager und hielt ihm die Hand. Mit großen Augen blickte das Kind den Älteren an. Falko kannte den freundlichen Mann, seit er noch ganz klein gewesen war. Er wiederholte vor ihm seine Anklage gegen Fürst Siegmund.
Liebevoll fuhren die Finger des Mönches durch das verschwitzte lockige Haar des Jungen. „Es tut mir leid, mein Sohn! Dir ist großes Unheil widerfahren. Doch der Herr hat dich bei uns gelassen und dafür wollen wir ihm danken!“ Der Abt faltete die Hände zum Gebet und gab Falko ein Zeichen, es ihm gleichzutun.
„Ich werde nicht beten!“, flüsterte der Junge verbittert. Eine Weile blieb es still zwischen ihnen und nur das leise Knistern des Kaminfeuers war zu hören. „Gott hat zugelassen, dass Fürst Siegmund meine ganze Familie umbringt! Wofür sollte ich ihm also danken?“
Pater Johannes lächelte nachsichtig. „Du glaubst also, dass Gott dafür die Verantwortung trägt? Nein, mein Sohn! Gott hat uns einen freien Willen gegeben. Es gibt Menschen, die diese Freiheit nutzen, um gute und große Dinge zu tun. Andere wiederum sind … wie Fürst Siegmund.“ Er fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. „Keiner hätte sich so etwas je vorstellen können. Auch wenn er nie so gütig war wie dein Vater, er galt bisher immer als unbescholtener Ehrenmann. Doch glaube mir, er wird die gerechte Strafe für seine Taten erhalten. Spätestens, wenn er eines Tages vor unserem Schöpfer steht.“
Hasserfüllt starrte Falko ins Leere. Sein kleines Gesicht hatte jeglichen kindlichen Ausdruck verloren. „Ich werde dafür sorgen, dass er seine gerechte Strafe noch hier auf Erden erhält. Ich werde lernen zu kämpfen. Und ich werde ihm das Gleiche antun, das er mir angetan hat. Er soll auch alles verlieren!“ Die letzten Worte hatte er unter Tränen herausgeschrien. Der Abt nahm das schluchzende Kind fest in seine Arme.
„Jetzt werde erst einmal wieder gesund. Du bist voller Hass und ich kann das verstehen, aber ich warne dich. Hass ist kein guter Berater. Er frisst dich nur auf. Eines Tages, wenn du ein Mann bist, dann kannst du dein Erbe zurückerobern. Aber nun müssen wir dich erst einmal verstecken. Der Fürst darf auf keinen Fall erfahren, dass du noch lebst. Wenn er fürchtet, seine Pläne könnten durchkreuzt werden, wird er alles daran setzen, dich zu finden, um dich doch noch zu töten.“
„Verstecken? Ich verstehe nicht. Warum kann ich nicht aufs Schloss zurück? Hauptmann Gernot wird sicher auf mich aufpassen.“
„Mein Junge! Du und Gernot allein habt keine Chance. Siegmund hat das alles nur getan, um an das Erbe deines Vaters zu gelangen. Das Schloss gehört jetzt ihm. Es dürfte dir schwer fallen zu beweisen, dass er etwas mit dieser Gräueltat zu tun hat. Er würde sicher den verständnisvollen Onkel spielen und zu deinem Vormund ernannt werden. Was das für dich bedeuten würde, kannst selbst du dir schon vorstellen ... oder, mein Junge?“
Ja, in etwa konnte er das.
„Also lass dir Zeit! Habe Geduld und bedenke genau, was du tun willst. Werde zunächst ein Mann, um ihm ein ebenbürtiger Gegner zu sein. Nur so wirst du Erfolg haben.“
Falko dachte nach. Der Pater hatte sicher recht. Auch wenn es einem Jungen seines Alters vorkam wie die Unendlichkeit, er musste erwachsen werden, um seinen Eid zu erfüllen. Er sah dem Mönch fest in die Augen. „Ich kann warten, wenn es sein muss! Aber ich schwöre, dass ich nicht eher ruhen werde, bis ich das Erbe meines Vaters wiederhabe und Fürst Siegmund seine Strafe bekommen hat.“
Pater Johannes nickte zustimmend. Im Moment war es das Wichtigste, den Jungen von irgendwelchen unüberlegten Racheakten abzubringen, die er sonst in seinem kindlichen Leichtsinn begangen hätte. Mit der Zeit würde er schon wieder zur Vernunft kommen und sich in sein Schicksal fügen. Alles andere wäre ein Spiel mit dem Tod.
„Könntet Ihr Hauptmann Gernot verständigen, dass ich noch am Leben bin? Er ist mein bester Freund – und der meines Vaters.“
„Nun, ich weiß nicht, ob es klug wäre …“
„Wenn ich ihm nicht vertrauen kann, dann keinem! Bitte ruft ihn, Pater!“ Der Junge war erst zehn Jahre alt, aber er besaß in diesem Augenblick die Überzeugungskraft eines erwachsenen Mannes.
„Gut. Ich werde ihn holen lassen. Nun schlafe, mein Sohn. Du wirst deine Kräfte noch brauchen.“
Hauptmann Gernot saß, am Boden zerstört, in seinem Zimmer. Seit ihn vor zwei Tagen die ungeheuerliche Nachricht vom Tod seiner geliebten Herrschaft erreichte, hatte er den Raum kaum verlassen. Der furchtlose Kämpfer wusste nicht, wann er das letzte Mal geweint hatte, doch nun bahnten sich immer wieder neue Tränen ihren Weg. Auch der Wein, den er in großen Mengen trank, um zu vergessen, konnte seinen Kummer nicht lindern.
Fürst Siegmund war schon gestern mit seinen Männern auf dem Schloss angekommen und hatte sofort die Führung übernommen. Zunächst fand niemand etwas daran auszusetzen, denn es gab einiges zur Vorbereitung der Trauerfeier zu organisieren. Doch bald war deutlich geworden, dass er schon jetzt grundlegende Änderungen in den bewährten Strukturen vorzunehmen gedachte. Gernot und seine Männer sollten den Befehlen von Siegmunds Hauptmann unterstellt werden. Dass hatte bei Gernots Leuten zu heftigen Protesten geführt. Er hatte ihnen zunächst befohlen, Ruhe zu bewahren und die weiteren Entwicklungen abzuwarten. Ihn selbst hatte diese Vorgehensweise des künftigen Schlossherren ebenso erzürnt, aber er war ein kühler Stratege und wusste, dass es für seine Männer nur zum Nachteil war, wenn sie sich dagegen auflehnten. Abgesehen davon musste er zunächst einmal seinen Schock überwinden, um wieder klar denken zu können.
Nun war es schon Abend, als es an seiner Tür klopfte. Einer der diensthabenden Wachsoldaten trat ein und salutierte.
„Herr Hauptmann, am Tor ist ein Mönch, der Euch zu sprechen wünscht. Er sagt, es wäre dringend.“
Gernot zog die Stirn in Falten. Dabei konnte es nur um die Beerdigung gehen, aber das ging ihn eigentlich nichts an. Neugierig geworden befahl er der Wache, den Mönch vorzulassen.
Kurze Zeit später trat Bruder Lukas ein. „Unser Abt, Pater Johannes, schickt mich. Ich soll ausrichten, dass er Euch so schnell wie möglich im Kloster erwartet. Er hat eine wichtige Nachricht, die er Euch nur unter vier Augen mitteilen kann. Es ist wichtig, dass niemand erfährt, warum Ihr zum Kloster kommt. Wenn doch jemand fragt, sollt Ihr erklären, dass Ihr den Abt gebeten habt, noch einen letzten Moment allein mit den Toten zu verbringen. Jeder weiß um die Freundschaft zwischen Euch und der Fürstenfamilie. Also wird es keinen verwundern.“
Nun war Gernot völlig verwirrt. Was war so wichtig, dass der Abt zu solchen Heimlichkeiten griff. Er hatte zunächst tatsächlich den Wunsch gehabt, die Verstorbenen zu sehen, dann aber beschlossen, es bleiben zu lassen, da er nicht wusste, ob er es verkraften würde. Natürlich war ihm der Tod schon so oft begegnet, aber Falko war ihm lieb wie ein eigener Sohn. Er selbst hatte keine Kinder. Bis jetzt war ihm noch nicht die Frau begegnet, die ihn an sich binden konnte. Er mochte es, frei zu sein. Er war jetzt dreißig, ein Mann in den besten Jahren und hatte immer noch genug Zeit, um zu heiraten.
„Ich lasse mein Pferd satteln. In einer halben Stunde können wir aufbrechen. Wärmt Euch solange auf und trinkt einen Becher Wein.“
Bruder Lukas nahm dankend an. Er war ein Freund des guten Weines und genoss die Ruhepause sichtlich.
Zwei Stunden später trafen sie im Kloster ein. Bruder Lukas führte den Hauptmann zu Pater Johannes. Die Männer kannten sich gut und begrüßten einander freundlich und respektvoll. Dann bat der Abt seinen Gast, ihm zu folgen. Vor einer niedrigen Tür blieben sie stehen. Eindringlich sah der Gottesmann seinen Besucher an. „Schwört mir, bei der Heiligen Jungfrau, dass Ihr mit niemandem über das sprecht, was Ihr gleich sehen werdet!“
Nach kurzem Überlegen stimmte Gernot zu. Er vertraute dem Pater und wusste, dass der ihm nicht grundlos einen solchen Schwur abverlangte.
Dann betraten sie gemeinsam den kleinen Raum. Wie in einem Kloster üblich, war er nur mit dem Notwendigsten eingerichtet, aber zumindest verfügte er über einen kleinen Kamin, der eine angenehme Wärme ausstrahlte. An einer Wand stand ein einfaches Bett. Als Gernot herantrat, wollte er seinen Augen nicht trauen. Er blickte direkt in das blasse Gesicht seines kleinen Freundes. Falko schlief fest.
Fassungslos ließ er sich auf die Bettkante nieder. „Wie ist das möglich?“, flüsterte er dem Abt zu.
„Das soll Euch der Junge selbst erzählen, wenn er aufwacht.“
Der Hauptmann nahm vorsichtig die kleine Hand des Kindes in die seine. Es war, als wenn er selbst wieder von den Toten auferstanden wäre. Das lähmende Gefühl verließ seinen Körper. Mit einem seligen Lächeln betrachtete er Falkos Gesicht. „Was ist mit den anderen?“, fragte er hoffnungsvoll.
Pater Johannes schüttelte den Kopf. „Nur der Junge hat das Gemetzel überlebt und selbst das kommt einem Wunder gleich.“
Dann öffnete Falko die Augen. Er brauchte eine Weile, um zu verstehen, dass der Hauptmann wahrhaftig an seinem Bett saß. Langsam verzog sich sein Mund zu einem zaghaften Lächeln.
Gernot beugte sich hinunter und gab dem Jungen einen Kuss auf die Stirn. „Ich bin so froh, dass du lebst, Soldat.“ So nannte er Falko immer dann, wenn er besondere Tapferkeit gezeigt hatte.
„Immer zu Euren Diensten, Hauptmann“, antwortete die zarte Kinderstimme sofort. Dann sahen sie sich eine Weile schweigend an.
„Willst du mir erzählen, was passiert ist? Aber nur, wenn es dich nicht zu sehr anstrengt!“
Falko erzählte ihm alles. Angefangen von seinen Beobachtungen zu Luises Geburtstag, dem furchtbarem Überfall, bis hin zu seiner Erkenntnis, dass der Mann, der ihn töten wollte, derselbe war, den er mit Siegmund gesehen hatte.
Gernot war außer sich vor Zorn. „Dieses hinterhältige Schwein! Ich werde ihn mir vornehmen und wenn ich damit fertig bin, wird nicht einmal mehr seine Frau imstande sein, seinen Leichnam zu erkennen!“
Pater Johannes hatte mit dieser Reaktion des Hauptmanns gerechnet. Beschwichtigend redete er auf ihn ein. „Mein Freund, beruhigt Euch! Niemandem wäre mit einer solch unüberlegten Tat gedient. Der Junge braucht Euch. Was, wenn Ihr bei diesem Racheakt Euer Leben lasst? Ihr seid die einzige Bezugsperson, die Falko noch hat. Geht mit ihm fort von hier und erzieht ihn im Sinne seiner Eltern. Bringt ihm alles bei, was er wissen muss, um eines Tages sein Erbe zurückzufordern und ein guter Fürst zu werden, so wie sein Vater einer war.“
Der Hauptmann versuchte sich zu beruhigen und dachte nach. Es schien einleuchtend, was der Pater sagte. Falko war in Lebensgefahr, solange er hierblieb. Und die Sicherheit des Jungen hatte oberste Priorität.
„Ihr habt recht, Pater! Wir könnten nach Waldenburg gehen. Dort lebt ein guter Freund von mir mit seiner Familie. Er hat dort eine Schmiede. Ich bin mir sicher, dass sie uns aufnehmen würden. Ich habe einiges gespart in den letzten Jahren und finde sicher auch ein neues Auskommen, wenn das Geld aufgebraucht ist.“ Den Blick auf Falko gerichtet, fragte er: „Was ist mit dir, mein Freund. Wollen wir es zusammen versuchen?“
Das erste Mal seit dem Überfall brachte der Junge so etwas wie ein freudiges Lächeln zustande. „Ich darf bei Euch bleiben, Hauptmann? Ja, das will ich gern!“
Gernot strich ihm liebevoll mit der Hand durch die Locken. „Es wäre ratsam, wenn du mich in Zukunft mit 'Onkel' ansprichst. Wir könnten den Leuten sagen, dass du der Sohn meines verstorbenen Bruders bist. Es tut mir leid, dass du so deine wahre Identität verschweigen musst. Aber ich verspreche dir, wenn die Zeit reif ist, wirst du wieder deinen Namen tragen.“
„Es ist schon gut. Ich bin mir sicher, dass Vater es nicht anders entscheiden würde.“ Jetzt war das kurze glückliche Leuchten aus den Augen des Jungen wieder verschwunden und die tiefe Traurigkeit kehrte zurück. Doch er blieb tapfer. Falko wollte nicht weinen. Er wollte stark sein und hoffte, so schneller erwachsen zu werden, um zu tun, was er sich vorgenommen hatte.
Alles, was er von nun an tat, sollte nur diesem einen Ziel untergeordnet sein: Irgendwann Rache zu üben.
Gernot kehrte zunächst zum Schloss zurück, um keinen Verdacht zu erregen. Heimlich bereitete er seine baldige Abreise vor. Es tat ihm leid, seine Männer im Stich zu lassen, aber er würde versuchen, zu seinen engsten Vertrauten Kontakt zu halten. Natürlich war es im Moment ausgeschlossen, jemanden in die Sache mit Falko einzuweihen. Wenn die Zeit reif war, wollte er herausfinden, wer von ihnen sich bereit erklärte, für seinen rechtmäßigen Herren zu kämpfen. Es dauerte sicher noch eine Weile, bis der Kleine die Reise nach Waldenburg antreten konnte. Solange musste Gernot noch ausharren, bevor er seinen Dienst quittierte. Als Grund dafür würde er angeben, dass er nicht akzeptiere, Siegmunds Hauptmann unterstellt zu sein. Es war ziemlich sicher, dass der neue Fürst nicht versuchen würde ihn aufzuhalten, da Friedrichs Vertrauter ihm bei seinen Plänen bestimmt nur ein Dorn im Auge war.