Kitabı oku: «Vertuschter Skandal», sayfa 7
1.2.2 Auf dem Weg zur Anklage
Der ermittelnde Staatsanwalt besprach sich am 9. August 1979 mit dem Stellvertreter des Generalstaatsanwalts der DDR und dem Bezirksstaatsanwalt. Er vertrat die Meinung, dass die Ermittlungen für eine Anklageerhebung und eine Bestrafung Schuberts sprachen. Zudem gab er einen Überblick über die Ermittlungen. Zwar gebe es eine gute Zusammenarbeit zwischen der Staatsanwaltschaft und der Morduntersuchungskommission sowie der Bezirksstaatsanwaltschaft und „der für das Verfahren verantwortlichen Genossen der Zentrale.“311 Anders sei das Verfahren aber auch gar nicht zu bewältigen. Der hallische Staatsanwalt hielt die Ermittlungen aus zwei Gründen für kompliziert. Zum einen sei es aufgrund des fachspezifischen Hintergrunds ohne Gutachter unmöglich, die Argumente Schuberts zu entkräften. Zum anderen erschwere das Fehlen schriftlicher Kommunikation die Untersuchung. Die entscheidenden Mitteilungen seien alle mündlich erfolgt. Es gebe „zwischen dem ‚Lieferanten‘ Neubrandenburg und dem ‚Hersteller‘ BIBT [Bezirksinstitut für Blutspende- und Transfusionswesen] Halle (Saale) in Bezug auf diese Mitteilungen keinen Schriftverkehr.“312
Der Staatsanwalt thematisierte zudem Schwierigkeiten in Bezug auf die Beweisführung. Hierzu gehörte insbesondere die Tatsache, dass Schubert ausgesagt hatte, aus Neubrandenburg nur etwas über die Erkrankung von zwei, nicht von fünf Spendern erfahren zu haben. Den Verdacht auf Hepatitis habe er zunächst selbst gehegt. Daraus war nicht unmittelbar auf eine Virushepatitis zu schließen. Zudem gelte das Fraktionierungsverfahren zur Herstellung von Anti-D-Immunglobulin als hepatitissicher und seit zehn Jahren, in denen etwa 200.000 Ampullen hergestellt worden waren, sei es nie zu einem Zwischenfall gekommen. Schubert hatte nicht an eine Virushepatitis Non-A-Non-B gedacht, da ihm solche Fälle in der DDR nicht bekannt gewesen seien. Zur Absicherung hatte er zudem die Institute Dessau, Magdeburg und das eigene Institut benutzt und alle Untersuchungen der Plasmen der erkrankten Spender auf Hepatitis B seien negativ verlaufen. Zudem brachte Schubert vor, dass es überhaupt nicht vorauszusehen gewesen wäre, dass durch die Waschflüssigkeit nachfolgende Chargen infiziert werden konnten. Der Leiter der Technischen Kontrollorganisation hingegen berief sich darauf, dass er als promovierter Apotheker nicht über die erforderlichen Qualifikationen auf diesem Gebiet verfüge und sich auf den Direktor verlassen habe. Zudem habe er lediglich von der Erkrankung eines Spenders gewusst.313
Der Inoffizielle Mitarbeiter „Dr. Förster“ berichtete im August 1979, dass Schubert fest von seiner Unschuld überzeugt sei. Er habe geäußert, dass, wenn etwas gegen ihn vorzubringen gewesen wäre, dies sofort erfolgt wäre und man sich nicht so lange Zeit gelassen hätte. Der Inoffizielle Mitarbeiter gab an, dass Schubert ihm berichtet habe, dass Mitarbeiter des Ministeriums für Gesundheitswesen auf seiner Seite seien. Falls es doch zum Prozess komme, werde er sich einen Anwalt nehmen „und erst einmal richtig zeigen, was eine Harke ist.“314
Der Prozess war in Vorbereitung, denn der ermittelnde Staatsanwalt hatte Überlegungen notiert, was mithilfe der Gutachter, Schriftstücke und Zeugenaussagen bewiesen werden konnte. Klar war, dass Schubert von der Erkrankung der beiden Spender mit Hepatitisverdacht wusste und aus diesem Grund am 17. April 1978 die Weiterverarbeitung des Materials untersagt hatte. Als Beleg dienten Vermerke mit der Aussage „Hepatitis-gesperrt“ und die Aussagen der Mitarbeiter des Bezirksinstituts in Halle (Saale). Schubert konnten nach Ansicht des Staatsanwalts drei Punkte zur Last gelegt werden. Zum einen hatte er das Spenderserum nur auf Hepatitis B untersuchen lassen und die Möglichkeit einer Hepatitis Non-A-Non-B nicht in Erwägung gezogen. Der Staatsanwalt verließ sich hier auf die Aussage der Gutachter, dass jeder Arzt dieses Wissen besitze. Der zweite Punkt war, dass Schubert am 8. Mai 1978 die Produktion der Chargen freigegeben hatte. Er hatte sich nicht davon überzeugt, ob sich der Hepatitis-Verdacht der erkrankten Spender bestätigt hatte oder nicht: „Ohne diese Kenntnis hätte er die Sperre nicht aufheben dürfen.“315 Zudem wurde Schubert vorgeworfen, die zweimalige Ablehnung der Freigabe aus Berlin ignoriert zu haben, um „die drohenden Lücken, die in der Immunprophylaxe eingetreten wären“, zu umgehen.316 Dem Leiter der Technischen Kontrollorganisation wurde zur Last gelegt, dem Kontrollinstitut trotz des Wissens über die Verarbeitung des Spenderplasmas in den Chargen 6 und 7 nicht mitgeteilt zu haben, dass diese Chargen umgearbeitet worden waren. In der Folgezeit waren intensive Vernehmungen der beiden Beschuldigten geplant, in denen alle durch die Zeugenvernehmungen aufgetretenen Fragen geklärt werden sollten. Anhand eines Vermerks des Staatsanwalts wird deutlich, dass eine Verurteilung angestrebt wurde. Denn er hatte unter dem Punkt „Hilfe durch Zentrale“ notiert, dass gegebenenfalls eine „Aussprache mit OG [Oberstes Gericht der DDR]“ nötig sei: „Es gibt viele Richter, die den Grundsatz ‚im Zweifel zu Gunsten‘ so auslegen, daß (…) selbst das zweifelhaft ist, was eindeutig feststeht.“317 Im Fall von Schubert liege diese Möglichkeit nahe. Auch der Stellvertreter des Generalstaatsanwalts der DDR hatte sich für eine Anklage Schuberts ausgesprochen: „Dr. Schubert handelte nach bisherigen Ermittlungsergebnissen verantwortungslos. Es wird Anklage zu erheben sein. Möglich ist auch Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe.“ Gegen den Leiter der Technischen Kontrollorganisation „sind demnächst die Widersprüche auszuräumen. Es ist danach zu klären, ob EV [Ermittlungsverfahren] eventuell einzustellen ist.“318 Die angekündigten intensiven Vernehmungen begannen am 14. August 1979. Erneut ging es um den Anruf aus Neubrandenburg vom 17. April 1978. Schubert blieb bei seiner Aussage. Der Ärztliche Direktor des Neubrandenburger Bezirksinstituts habe ihm mitgeteilt, dass sich die beiden Spender mit einer „leicht ikterisch“ verlaufenden Erkrankung in stationärer Behandlung befänden.319 Er habe den Begriff Hepatitis nicht benutzt. Schubert habe daraufhin Anstrengungen unternommen, durch Zusatzuntersuchungen eine Hepatitis auszuschließen.320 Den Grad des Ikterus sah Schubert als unbedeutend an. Daraufhin hielt der Vernehmer ihm vor, „immer die für Sie offensichtlich günstigeren Begriffe ‚leicht ikterisch‘ beziehungsweise ‚praktisch anikterisch‘“ zu verwenden.321 Schubert hielt die von dem Zeugen geschilderte Reaktion für wahrscheinlich, „weil sie der damaligen Gesamteinschätzung der Situation durch mich entspricht.“322 Er bezweifelte hingegen, dem Ärztlichen Direktor des Neubrandenburger Bezirksinstituts eine konkrete Zahl von 2.500 Ampullen mitgeteilt zu haben. Schubert beharrte zudem darauf, dass er die Schlussdiagnose erst im Januar 1979 erhalten habe. Diese sei ihm inklusive Biopsiebefund als Kopie zusammen mit einem Bericht des Ärztlichen Direktors des Neubrandenburger Bezirksinstituts an das Staatliche Kontrollinstitut zugegangen. Er könne sich absolut nicht erinnern, dass ihm dieser vorher telefonisch eine Abschlussdiagnose mitgeteilt habe.323 Aufgrund dieser widersprüchlichen Aussagen kam es am 18. September 1979 zu einer Gegenüberstellung zwischen den beiden Ärztlichen Direktoren. Schubert blieb bei seiner Aussage. Er konnte nicht mehr sicher angeben, ob der Verdacht auf Hepatitis im Verlauf des Telefonats wörtlich geäußert worden war oder er selbst darauf geschlossen hatte.324 Von der Erkrankung mehrerer Personen habe er erstmalig in Form von Gerüchten von einem Arzt aus Leipzig anlässlich einer Fortbildungsveranstaltung erfahren, der sich wiederum auf einen Arzt aus Rostock bezogen hatte. Der Ärztliche Direktor des Bezirksinstituts Neubrandenburg hingegen behauptete, Schubert im Zeitraum zwischen Mai und Juni 1978 telefonisch „die exakte Mitteilung gemacht“ zu haben, dass bei dem Spender, dessen Plasma das Bezirksinstitut in Halle (Saale) erhalten hatte, aufgrund einer Leberbiopsie eine akute Virushepatitis diagnostiziert worden sei. Schubert blieb bei seiner Aussage, erst im Januar 1979 die Epikrisen erhalten zu haben.325 Auch zwischen Schubert und der Oberschwester fand eine Gegenüberstellung statt. Schließlich erklärte Schubert, dass er sich an die Mitteilung über weitere Spender bisher nicht erinnere, es aber möglich sei, dass er dem weiteren Verlauf des Telefonats weniger Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Dies erklärte seiner Ansicht nach die widersprüchlichen Aussagen.326
In den Vernehmungen ging es zudem um Unklarheiten zwischen der Aussage Schuberts und der Aussage des Abteilungsleiters des Instituts für Impfstoffe Dessau. Dieser hatte behauptet, nichts davon gewusst zu haben, dass es sich bei den erkrankten Personen um Anti-D-Spender handelte. Schubert erwiderte daraufhin, dass er um die „RIA-Testung regelrecht [habe] kämpfen müssen, da sie routinemäßig für Blutspender nicht durchgeführt“ werde.327 Daher sei es unwahrscheinlich, dass er die Mitarbeiter des Instituts für Impfstoffe über die Spender informiert hätte. In Bezug auf die Angaben des Leiters des Magdeburger Bezirksinstituts sagte Schubert aus, dass er im zweiten Quartal 1978 mit einem Mitarbeiter des Staatlichen Kontrollinstituts ein Gespräch geführt habe. Dabei habe dieser auf die „hochgradige immunelektroforetische Reinheit unserer IgG-Fraktion und sehr wahrscheinlich auch auf die international anerkannte Hepatitissicherheit dieser Fraktion hingewiesen.“328
Um diese ging es in der Vernehmung erneut, denn der Vernehmer wertete die Tatsache, dass die Probecharge im Radio-Immun-Assay-Test nicht negativ getestet worden war, als Beweis gegen eine Hepatitissicherheit des Verfahrens. Schubert bestritt dies mit dem Hinweis, dass die Radio-Immun-Assay-Methode das empfindlichste Testverfahren sei. Je empfindlicher eine Methode, desto höher ihre Unspezifität. Zudem habe das Institut für Impfstoffe mitgeteilt, dass man in der Testung normalerweise nur positive oder negative Ergebnisse angebe. Im vorliegenden Fall sei das Ausgangsmaterial stark positiv, ein Material schwach positiv gewesen.329 Der Vernehmer hielt Schubert vor, die Freigabe des Materials schon Tage vor dem Erhalt der Testergebnisse aus Dessau durchgeführt zu haben. Schubert begründete dies damit, dass er aufgrund der Ergebnisse der anderen Tests von einem entsprechenden Ergebnis des Radio-Immun-Assay-Tests ausgegangen sei. Er bestritt außerdem, den Eintrag im Materialbuch zur Aufhebung der Sperre vom 8. Mai 1978 zu kennen. Er habe „die Freigabe gegenüber der Produktionsleiterin nach deren mehrfachem Drängen wegen des bestehenden Materialmangels ausgesprochen.“330 Daraufhin wurde Schubert mit der Aussage konfrontiert, dass diese die Sperre aufgehoben hatte, weil er keine Bedenken gegen den Einsatz geäußert habe. Schubert sah hierin keinen Widerspruch zu der vorher gemachten Aussage.
Auch die Kommunikation zwischen Schubert und dem Staatlichen Kontrollinstitut für Seren und Impfstoffe war erneut Thema. Schubert berichtete, dass er über die Ablehnung erstaunt gewesen sei und sich daher mit dem Hinweis auf bevorstehende Produktionslücken an Oberdoerster gewandt hatte. Er hatte dieses Schreiben in der Hoffnung auch an das Ministerium für Gesundheitswesen geschickt, dass dieses auf die Entscheidung des Kontrollinstituts Einfluss nehme. Denn auch dort sei „die drohende Gefahr einer Versorgungslücke durch die Verzögerungen in Neubrandenburg bekannt“ gewesen.331 Er habe sich aufgrund Oberdoersters Schreiben vom 14. Juli 1978 in einem Gewissenskonflikt befunden, denn nach dem damaligen Stand der Bauvorbereitungen sei mit einer baldigen Einstellung der Produktion zu rechnen gewesen.
Der Vernehmer bestritt diese Angabe vehement. Bis zum 17. April 1978 sei die Produktion planmäßig verlaufen und selbst nach Sperrung der Chargen 8 bis 23 aus dem Jahr 1978 hatte die Produktion nicht unterbrochen werden müssen. Schubert sagte daraufhin aus, dass dies aber zum damaligen Zeitpunkt seine Einschätzung gewesen sei. Darauf angesprochen, warum er bezüglich der Chargen 8 bis 14 keine Mitteilung an das Kontrollinstitut gemacht hatte, antwortete Schubert: „Ich hatte mich zu diesem Zeitpunkt durchgerungen das Material zu verarbeiten und damit zu produzieren und habe deshalb eine Mitteilung an SKISI [Staatliches Kontrollinstitut für Seren und Impfstoffe] nicht für erforderlich gehalten. Ich war zu diesem Zeitpunkt fest davon überzeugt, daß eine Gefährdung für die zu behandelnden Patientinnen nicht besteht. Nachdem ich mich innerlich damit abgefunden hatte, daß ich das betreffende Material verarbeite weil ich der Auffassung war, es könnte nichts passieren, gab es für mich keine andere Entscheidung mehr. Ich habe mich anderen Aufgaben zugewendet. Z. B. den [sic!] bevorstehenden Umbau meines Institutes und zur [sic!] Lösung von Problemen der Blutversorgung für das Herzoperationszentrum Halle u. a. m.“332 Schubert gab in einer Vernehmung zu, dass sein „entscheidender Fehler“ die Orientierung auf eine Hepatitis B gewesen sei.333 Auch die Annahme, dass sich andere Hepatitisviren im Fraktionierungsverfahren ebenso verhielten wie die Hepatitis B, sei falsch gewesen. Die Frage, ob es in den vergangenen Jahren überhaupt Mitteilungen über Plasma mit Hepatitisverdacht gegeben habe, verneinte Schubert. Es gebe „einen relativ hohen Prozentsatz auch anikterisch verlaufende Hepatititen [sic!] und auch Virusträger, die klinisch überhaupt nicht erkrankt“ seien.334 Die Frage, ob die Mitteilung aus Neubrandenburg dann nicht ein Alarmsignal hätte sein müssen, bejahte er. Schubert bezweifelte, dass er den Leiter der Technischen Kontrollorganisation darüber informiert hatte, dass das Material der Spender auch in den Chargen 8 bis 14 verarbeitet worden war. Er ging davon aus, dass die Produktionsleiterin diesen als zuständige Abteilungsleiterin informiert hatte. Gemäß seiner Kontrollpflicht habe der Leiter der Technischen Kontrollorganisation auch in die Produktionsdokumente Einsicht nehmen müssen. Schlussendlich fragte der Vernehmer, ob Schubert bekannt gewesen sei, dass bei Hepatitisverdacht einer Charge auch das Waschwasser nicht weiterverwendet werden dürfe. Schubert wies hier jede Kenntnis von sich, da das Verfahren und die Details die Leiterin der Laborabteilung entwickelt habe. Er selbst habe nach dem Bekanntwerden der Erkrankungen nicht daran gedacht, dass durch das Waschwasser Hepatitisviren übertragen werden könnten.335
Am 27. September 1979 legte der zuständige Hauptmann den Schlussbericht vor. In diesem waren die Ergebnisse der Untersuchungen und der Ablauf der Ereignisse noch einmal festgehalten worden. Dabei übernahm der Schlussbericht die Darstellung des Ärztlichen Direktors des Neubrandenburger Bezirksinstituts, dass er Schubert die Ergebnisse der Biopsien mündlich mitgeteilt habe. Festgehalten wurde, dass Schubert den Einsatz der Chargen 6 und 7 befürwortet hatte, „obwohl ihm durch die Testergebnisse klargeworden sein mußte, daß das Fraktionierverfahren nicht hepatitissicher ist.“336 Trotz zweifacher Ablehnung des Kontrollinstituts habe er die Plasmen der beiden erkrankten Spender zur Herstellung der Chargen 8 bis 14 einsetzen und die Chargen 6 und 7 zur Charge 15 umarbeiten lassen. Der Antrag auf Freigabe der Charge 15 enthielt keinen Vermerk, dass diese aus den Chargen 6 und 7 hervorgegangen war. Auch war dem Staatlichen Kontrollinstitut nicht mitgeteilt worden, dass das Plasma der Spender in den Chargen 8 bis 14 verwendet worden war. Damit habe auch keine Sperrung beziehungsweise Nichtfreigabe für den Verkehr erfolgen können.337 Der kausale Zusammenhang zwischen den Pflichtverletzungen und den aufgetretenen Erkrankungen ergebe sich aus den Ausführungen im Gutachten eindeutig. Als besondere Bemerkung wurde angeführt, dass die Plasmaspender im Bezirksinstitut für Blutspende- und Transfusionswesen Neubrandenburg vor der Blutentnahme nicht ordnungsgemäß untersucht worden waren. Nach Ansicht der Gutachter seien diese Pflichtverletzungen ohne Einfluss auf das nachfolgende Geschehen geblieben. Auf dem Dokument war unter dem Stichwort „Mängel im Schlußbericht“ handschriftlich vermerkt, dass Schubert die Gefährdung nicht erkannt habe und zu den konkreten Pflichtverletzungen des Leiters der Technischen Kontrollorganisation nichts geschrieben worden sei.338
Neben den Ermittlungsergebnissen belasteten Schubert zusätzlich eingeholte Informationen. Der ermittelnde Staatsanwalt hatte Mitte August 1979 gemeinsam mit dem zuständigen Hauptmann eine Aussprache mit dem Bezirksarzt von Halle (Saale) und dem Kaderleiter geführt. Dabei hatte der Staatsanwalt um eine Einschätzung Schuberts und um Übergabe von dessen Kaderakte gebeten. Der Bezirksarzt belastete Schubert dabei schwer. Es sei bekannt, dass Schubert seit Jahren trinke und dass bereits seit Jahren keine ordentliche Leitungstätigkeit im Institut mehr stattfinde. Der Bezirksarzt negierte zudem den Einfluss der Baumaßnahmen auf Schuberts Entscheidung. Diese seien seit 1976 vorgesehen und Schubert wisse, dass sie nicht realisiert würden. Als die Sprache auf den weiteren Verlauf des Verfahrens kam, machte der Bezirksarzt auf einen wichtigen Aspekt aufmerksam. Der Staatsanwalt hatte hierzu notiert: „Der Minister hatte dem Bezirksarzt seinerzeit mitgeteilt, daß in diesem [sic!] Verfahren so viele Personen verwickelt seien und die Probleme kompliziert wären, daß mit Sicherheit kein Strafverfahren zu erwarten sei.“339 Diese Information war Schubert auch so übermittelt worden. Der Staatsanwalt teilte dem Bezirksarzt daraufhin mit, dass nach seiner Auffassung Anklageerhebung erforderlich sei. Ihm sei nicht bekannt, dass es innerhalb der Staatsanwaltschaft eine Auffassung gebe, welche die Mitteilung des Ministers rechtfertige. Als Schubert einen Tag zuvor gefragt hatte, ob er in Erwartung der Einstellung des Verfahrens in den Urlaub fahren könne, habe er ihm unmissverständlich seine Meinung dazu gesagt.340
Die Rücksprache mit dem Bezirksarzt hatte zur Folge, dass Schubert in der Vernehmung am 24. September 1979 zu seinem Alkoholkonsum befragt wurde. Auch die Aussage, dass sich dies negativ auf seine Leitungstätigkeit ausgewirkt habe, wurde zitiert. Schubert bestritt dies, gab jedoch zu, bis Frühjahr 1977 „relativ viel alkoholische Getränke“ zu sich genommen zu haben.341 Täglich habe er fast 0,35 Liter Schnaps getrunken und gelegentlich auch mehr. Er bestritt eine Einwirkung dieses Konsums auf seine Arbeit, da er vor allem abends und zu Hause getrunken habe. Während der Dienstzeit habe er zwar gelegentlich alkoholische Getränke zu sich genommen, sei aber währenddessen nie betrunken oder angetrunken gewesen. Im Frühjahr 1977 war er aufgrund eines Infektes in die Universitätsklinik aufgenommen worden. Bei den Untersuchungen in der Klinik hatte sich eine Kreislauf- und Leberschädigung herausgestellt. Daraufhin hatte er in den nächsten drei Monaten nichts mehr und ab 1978 gelegentlich bei besonderen Anlässen ein Glas Wein, Sekt oder Bier getrunken. Schubert bestritt einen Einfluss des Alkohols auf seine Entscheidungen. Diese sei „aus heutiger Sicht falsch“, aber „in keiner Weise durch den Alkohol beeinflußt“ gewesen.342 Er gab allerdings zu, auch nach 1977 in der Dienstzeit in „kleinsten Mengen (1 bis 2) Gläser Schnaps“ getrunken zu haben.343
Noch stärker belastete Schubert die Aussage zweier weiterer Zeugen, die im Oktober 1979 vernommen wurden. Hierbei handelte es sich um den ökonomischen Leiter des Bezirksinstituts für Blutspende- und Transfusionswesen Halle (Saale) und einen medizinischen Assistenten. Bei diesen Vernehmungen ging es offensichtlich um eine Einschätzung der Person Schuberts. Der ökonomische Leiter des Bezirksinstituts für Blutspende- und Transfusionswesen Halle (Saale) war seit Mai 1962 Verwaltungsleiter. Auf sein Verhältnis zu Schubert angesprochen gab er an, dass es zwischen beiden „hin u. wieder Diskrepanzen auf dem Gebiet der Ökonomie und Finanzproblemen [sic!] gegeben“ habe.344 Er beschrieb Schubert als „charakterlich (…) sehr eigenwillig und teilweise spontan.“345 Schubert habe oft nur seine Meinung gelten lassen. Daher musste er ihn häufiger auf gesetzliche Bestimmungen und deren Auslegung hinweisen. Den Leitungsstil des Ärztlichen Direktors beschrieb der ökonomische Leiter des Bezirksinstituts für Blutspende- und Transfusionswesen Halle (Saale) als großzügig. Durch Schuberts Funktion im Ministerium für Gesundheitswesen sei die Leitung des Instituts lockerer geworden, da er weniger Zeit hierfür aufgebracht habe. Die Arbeit des Instituts sei nur aufgrund der „Qualität der nachgeordneten Leitungskader“ ordnungsgemäß abgelaufen.346 Bis zur Einweisung Schuberts in die klinische Behandlung im Frühjahr 1977 sei „allen bekannt [gewesen], daß Dr. Schubert einen zunehmenden Alkoholkonsum zeigte.“347 Die Anfänge dessen schätzte der ökonomische Leiter des Bezirksinstituts für Blutspende- und Transfusionswesen Halle (Saale) auf das Jahr 1970. Bereits frühmorgens habe Schubert häufiger nach Alkohol gerochen und er ging davon aus, dass Schubert ab Ende 1977 oder Anfang 1978 wieder angefangen habe, zu trinken.348
Noch schärfer war die Aussage des medizinischen Assistenten, der seit 1963 im Institut tätig war. Mit zwei weiteren Mitarbeitern war er für die Untersuchung von Blutspendern sowie die Kontrolle und Freigabe der Blutkonserven an andere Einrichtungen verantwortlich. Zur Einschätzung Schuberts musste er „leider sagen, daß er weder bei mir noch beim Großteil der im Institut beschäftigten Mitarbeiter anerkannt und geachtet wurde. Ursache hierfür sind seine charakterlichen Eigenschaften und seine Verhaltensweise als Leiter. OMR Dr. Schubert ist egoistisch und stets diktatorisch vorgegangen. Tatsache ist, daß nur seine Entscheidungen und seine alleinige Meinung akzeptiert werden mußten. Wiederholt kam es vor, daß er Tags [sic!] zuvor getroffene Entscheidungen als nicht gegeben hinstellte oder sich so weit verstieg, indem er erklärte, ‚was interessiert mich mein Gequatsche vom Vortage‘.“349 Schubert gab später in der Hauptverhandlung zu, diesen Ausdruck häufiger benutzt zu haben.350 Der medizinische Assistent kritisierte zudem neben Schuberts angeblich rechthaberischer Verhaltensweise dessen Alkoholkonsum. Obschon er in Behandlung gewesen sei, habe er danach wieder begonnen zu trinken.351
Offenbar standen diese beiden Aussagen im Zusammenhang mit den Untersuchungen der Staatssicherheit. Denn diese überprüfte Schubert seit Mitte Oktober im Rahmen einer Operativen Personenkontrolle und schätzte hierzu auch seine Leitungsfähigkeit ein. In einem Maßnahmeplan hatte die zuständige Abteilung XX/1 festgelegt, dass zur Operativen Personenkontrolle mehrere Punkte nötig seien. Hierzu sollten zwei Inoffizielle Mitarbeiter (IM) in Schuberts Umfeld, IM „Dr. Förster“, IM „Schneider“ und der Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit (GMS) „Lehmann“ herausfinden, welche Personen Schubert in seinem Fehlverhalten unterstützten und wie er zu den Ermittlungsergebnissen stand. Der Inoffizielle Mitarbeiter „Schneider“ wurde nicht nur auf Schubert angesetzt, sondern berichtete auch über Kolleginnen und Kollegen der Poliklinik Mitte in Halle (Saale) sowie über Patientinnen der dortigen geschlossenen Venerologischen Station.352 Darüber hinaus sollten der Inoffizielle Mitarbeiter „Schneider“ und der Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit „Lehmann“ „auswertbare Informationen“ zur Leitungstätigkeit und zum Auftreten des Ärztlichen Direktors erarbeiten.353 Die Aussagen des ökonomischen Leiters und des medizinischen Assistenten unterstrichen die Vermutungen des Ministeriums für Staatssicherheit.
Denn die Staatssicherheit schätzte Schuberts Leitungstätigkeit kritisch ein. Mehrfach sei in den letzten Jahren seine Abberufung erwogen worden, „um größeren Fehlentscheidungen vorzubeugen.“354 Schubert sei im Besitz eines „sporatischen [sic!] und unwissenschaftlichen Leitungsstils, verbunden mit bedeutenden politisch-ideologischen Unklarheiten.“355 Während er in der Öffentlichkeit „immer zweckbestimmt“ und „progressiv“ aufgetreten war, habe sich im engeren Bekanntenkreis seine „negative Grundhaltung zur Politik von Partei und Regierung“ gezeigt.356 Die Staatssicherheit gab an, dass eine Abberufung bislang nur deshalb nicht erfolgt war, da ein akuter Fachärztemangel herrsche und sich der leitende Bezirksarzt nicht um einen Ersatz bemüht habe.
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