Kitabı oku: «Afrika, Land meiner Liebe»

Yazı tipi:

Carolina Dorn

AFRIKA,

LAND MEINER

LIEBE

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2014

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

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Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag Leipzig

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Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

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Hass ist besser als Kummer.

Aber Liebe ist, verglichen mit Hass, ein farbloses Gefühl.

Nein! Liebe ist ein kraftvolles, farbenreiches, wunderbares

und sich selbst vervielfältigendes Gefühl,

und damit dem Hass in jeder Hinsicht überlegen!

(Prof. Dr. Achim Schmidtmann)

Inhaltsverzeichnis

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Titel

Impressum

Zitat

Afrika, Land meiner Liebe

Quellenangaben

Ein heißer Wind wehte über die südafrikanische Savanne. Sachte bewegten sich die trockenen Gräser und berührten die nackten Beine eines zehnjährigen Mädchens. Ihr dichtes, hellbraunes Haar band sie fast täglich zu einem Pferdeschwanz zusammen. Sie trug eine kurze, blaue Hose und ein gelbes T-Shirt. Die Hitze war groß, denn sie hatten Sommer. Die ferneren Konturen verschwammen vibrierend. Dem Kind liefen Tränen über die Wangen. Wenige Meter von ihr entfernt lag ein Rudel Löwen träge in der großen Mittagshitze im Gras. Eines der Weibchen erhob sich jetzt und trottete gemächlich auf das Kind zu. Anna, so wurde sie genannt, blieb ganz still stehen und wartete, bis die große Löwin sie erreichte. Dann streckte sie eine Hand aus und streichelte sie. Das Tier rieb seinen Kopf liebevoll an ihr. Man bemerkte, wie vertraut die beiden miteinander umgingen. Anna ließ sich ins Gras sinken, kreuzte die Beine zum Schneidersitz und die Löwin legte sich darüber. Das Tier gab ein paar Laute von sich. Es sollte eine Aufforderung an das Mädchen sein, zu beginnen. Anna holte tief Luft und begann von ihrem Kummer zu erzählen: „Ich muss fort. Meine Eltern wollen zurück nach Deutschland, damit ich in eine gute Schule komme. Ich werde euch alle vermissen. Die Tiere und die Kinder im Dorf. Vielleicht komme ich später zurück, aber ob du dann noch lebst, das weiß ich nicht. Ich bin so unglücklich. Da, wo ich hingehe, kann ich dich nicht mitnehmen. Außerdem würde es dir in Deutschland nicht gefallen. Du müsstest in einen Zoo, hinter Gitter und die vielen Menschen würden dich dann Tag für Tag angaffen. Du kannst dort nicht jagen und im Winter ist es sehr kalt mit Schnee. Diesen Schnee kenne ich selbst noch nicht. Mein Vater hat mir viele neue Abenteuer versprochen. Doch mehr davon, als hier in der Savanne mit den Tieren, kann es in der neuen Welt doch gar nicht geben.“

In diesem Land fühlte sie sich glücklich, zufrieden und vor allem zu Hause. Sie atmete den Duft von Afrika ein und lauschte dem Wiegenlied der Savanne, das nur sehr wenige Menschen hören konnten. Eine wunderschöne Melodie, bei der man im Geist alle Tiere der Savanne und die Ureinwohner bei ihren Tänzen sah. Hier gehöre ich hin, dachte sie, und sonst nirgendwo anders, auch wenn meine Eltern aus Deutschland stammen. Ich bin hier geboren, ein Kind Afrikas, genauso wie meine Löwin Sharuba. Sie kam am gleichen Tag zur Welt wie Anna in einer Eingeborenenhütte. Sie spielten miteinander und später beschützte Sharuba das Kind. Diese beiden waren ganz dicke Freundinnen. Im Alter von fünf Jahren entdeckte Anna, dass sie mit vielen Tieren sprechen konnte. Eine sehr seltsame Sprache aus verschiedenen Lauten, die sonst keiner verstehen konnte, außer ihr und den Tieren. Ab diesem Zeitpunkt nahm der Vater, der als Tierarzt im Nationalpark Chobe arbeitete, seine Tochter immer mit, wenn er auf Kontrollfahrt in den Park fuhr. Anna half ihm die Tiere zu beruhigen, wenn er sie untersuchen oder bei schwierigen Geburten helfen musste. Sonst konnte er das nur auf der Tierstation tun mit Narkose. Ihre Mutter hatte große Einwände dagegen. Sie ängstigte sich um ihre Tochter. Als Lehrerin unterrichtete sie vor allem die Kinder, jedoch auch die Erwachsenen, vom Dorf und natürlich Anna in den ersten drei Schuljahren. Das Mädchen saß mitten zwischen den Eingeborenen unter einem großen langgestreckten mit Baumstämmen gestützten Schilfdach ohne Seitenwände und fand das völlig in Ordnung. Sie schätzte es vor allem, wenn der Wind von allen Seiten unter das Dach blies und für Abkühlung sorgte. So konnten die Menschen in diesem Dorf zumindest gut lesen, schreiben und beherrschten die Grundregeln des Rechnens.

Anna verabschiedete sich von allen Tieren die sie kannte und das waren nicht wenige. Es fiel ihr sehr schwer. Die Sonne ging als ein großer, roter Ball unter. In der Savanne erhoben sich viele Stimmen, als ob alle Tiere weinen würden, weil die einzige, die ihre Sprache verstand, sie verließ. Dann ging sie nach Hause, zu einem kleinen Bungalow, der neben einer Krankenstation und der Tierstation stand. Zehn wunderschöne Jahre hatte sie hier verlebt. Vor allem glückliche Jahre, die sie niemals vergessen würde. Das Kind ängstigte sich ein wenig vor dem Neuen, vor dem Ungewissen. Nichts Bekanntes erwartete es in Deutschland.

„Ach Anna, mach dir keine großen Gedanken. Sieh es als neue Herausforderung an. Das Leben, mein Sternchen, bleibt nie stehen. Es wird immer wieder Neues dazukommen“, ermutigte der Vater sie am Abend zuvor.

Das Kind packte seinen Koffer. Viel brauchte es nicht mitzunehmen. Ein paar kurze Hosen, T-Shirts und ein wenig Unterwäsche, sonst nichts. Halt, da lag das Fotoalbum noch. Das musste auf jeden Fall mit, denn darin sammelte sie viele Bilder von Sharuba der Löwin, Mayary der Elefantendame und Kara der Gepardin. Ihre besten Freundinnen. Sie waren ihr lieber als die Menschen, obwohl es mit dem Inder Dr. Hari, dem Stationsarzt und den Eingeborenen im Dorf keine Probleme gab. Energisch schloss sie ihren Koffer. Es half alles nichts. Sie musste mit.

Am nächsten Tag fuhren sie mit einem Jeep zur Flugstation. Von dort flogen sie mit einer Cessna nach Johannesburg. Dort stiegen sie in ein großes Flugzeug um. Die Maschine startete und als sie abhob, blickte Anna noch einmal aus dem Fenster, hinunter auf ihr Land. Eine große Traurigkeit überkam sie. Wiedersehen Afrika, für immer? Sie barg ihren Kopf im Arm ihrer Mutter und weinte.

Sie landeten nach über zehn Stunden Flug in Frankfurt. Raus aus der heißen, strahlenden Sonne und rein in das graue, kalte Einerlei von Deutschlands Winter. Es fühlte sich gerade so wie ein Schock für sie an. Als sie ausstiegen, wehte ein eiskalter Wind und der Himmel war mit dunkelgrauen Wolken verhangen, aus denen es heftig regnete. Anna schüttelte es ab. Oh, wie ungemütlich, dachte sie. Sie drückte ihren Teddybären fest an ihre Brust. Der Oktober näherte sich dem Ende.

Etwas außerhalb von Frankfurt bezogen sie ein kleines Häuschen mit Garten. Auf der Fahrt dorthin staunte Anna über die riesigen Häuser, die in den Himmel hineinzuragen schienen. Sie sah nur Häuser und Straßen. Hier und da ein paar Bäume oder ein kleiner Park. Das war aber auch schon alles. Es gab keine endlos, weite Graslandschaft, keine Savanne. Für sie wirkte das alles sehr ernüchternd.

Der Vater eröffnete kurze Zeit später eine Tierarztpraxis. Dort fand man Anna beinahe jeden Nachmittag, um ihm mit den Tieren zu helfen. Hier fühlte sie sich ein klein wenig glücklicher.

Das Mädchen wurde komplett neu eingekleidet. Es dauerte eine Zeitlang, bis sie sich an die langärmligen Pullover gewöhnte, denn sie kratzten ihr überall auf der Haut. Sie bekam lange Hosen, einen warmen Anorak und Winterstiefel. So angezogen glaubte sie, sich kaum mehr bewegen zu können.

Am ersten November wurde Anna eingeschult. Sie kam in die vierte Klasse. Gleich am Anfang, lachten sie die Kinder dort wegen ihres seltsamen Vornamens aus. Ihr richtiger Name lautete „Savannah“. Dem Kind blieb nichts anderes übrig, als sich weiterhin Anna zu nennen. So gut es ging, versuchte sie dem Unterricht zu folgen, doch ständig sah sie das Bild von Afrika vor sich. Beinahe wäre sie in eine Depression abgerutscht. Aus diesem Grund schrieb sie beinahe nur noch schlechte Noten in den Proben. Sie fand schwer den Anschluss. Nach ein paar Wochen freundete sie sich mit einem Mädchen ihrer Klasse an, mit Namen Veronika Herbst. Sie wurde ihre beste Freundin, für viele Jahre. Veronika störte sich nicht daran, dass Anna eine braungebrannte Haut besaß und Lieder der Eingeborenen sang. Allerdings verblasste die Bräune immer mehr mit den Jahren. In Deutschland schien die Sonne nicht so intensiv und außerdem hielt sich die Schülerin nun auch mehr drin als draußen auf. Die beiden Mädchen blieben bis zum Ende der Schulzeit und auch später noch einige Jahre zusammen, bis diese lange Freundschaft ein jähes Ende fand.

Die Eltern meinten, dass ihre Tochter wohl hauptsächlich die Tiere vermisste. So ging die Mutter mit ihr in ein Zoogeschäft in der Stadt. Anna staunte. So etwas kannte sie noch nicht. Doch alle Tiere saßen in Käfigen. Sie fühlte ihre Traurigkeit. Während ihre Mutter mit der Verkäuferin redete, öffnete das Kind verschiedene Käfige, machte die Ladentür auf und gab einem Nymphensittich, mehreren Ratten, Mäusen und Kaninchen die Freiheit.

Als die Verkäuferin bemerkte, was Anna tat, schrie sie erschrocken auf: „Um Gottes willen! Was machst du da? Du darfst die Tiere nicht freilassen!“

„Aber sie sind unglücklich“, entgegnete das Mädchen.

„Da draußen wird es jetzt sehr kalt. Es beginnt bald zu schneien. Die Tiere sind Kälte und Schnee nicht gewöhnt. Die meisten kommen aus einem warmen Land. Außerdem finden sie dort nichts zu fressen. Hier bei mir, bekommen sie ihre Spezialnahrung und sie haben es warm“, erklärte die Frau.

Anna senkte traurig den Kopf. Sie ging vor die Ladentür und ließ einen durchdringenden Pfiff ertönen. Wenige Sekunden später saß der Nymphensittich auf ihrer Schulter und sie erklärte dem Vogel, warum er wieder zurück in den Käfig musste. Sie setzte ihn hinein und schloss die Gittertür. Auch die Ratten, Mäuse und Kaninchen kehrten in ihre Behausungen zurück.

Die Verkäuferin staunte und erkundigte sich bei der Mutter: „Wie macht sie das?“

„Meine Tochter ist in Afrika geboren. Zur selben Zeit mit einem Löwenbaby. Das Tier verlor kurz darauf die Mutter und es kuschelte sich mit zu meinem Kind in die Wiege“, erzählte sie.

„Bekamen Sie denn keine Angst?“, wunderte sich die Verkäuferin. Sie beugte sich über den Ladentisch und stützte sich mit den Unterarmen darauf ab.

„Am Anfang schon“, gab sie zu. „Doch das Tier setzte niemals seine Krallen ein. Sie spielten miteinander und als die Löwin ausgewachsen war, beschützte sie meine Anna. In diesem Land leben alle Tiere frei. Sie kennt keine Käfige, außer wenn die Tiere krank sind und gepflegt werden müssen.“

„Aber wie schafft sie es, alle Tiere wieder einzufangen?“ Die Frau blickte noch nicht ganz durch.

„Meine Tochter hat eine ganz eigene Art mit Tieren zu kommunizieren“, ließ sie die Frau hinter dem Verkaufstisch wissen. „Sie kann sozusagen mit den Tieren sprechen.“

„Interessant. Das ist bestimmt eine ganz besondere Begabung“, bestätigte die Verkäuferin.

Sie ging nach hinten, holte einen Käfig mit drei verschiedenfarbigen Hamstern und stellte ihn auf den Ladentisch.

„Magst du davon vielleicht einen mitnehmen?“, ermunterte sie das Kind. „Ein Löwenbaby kann ich dir leider nicht bieten.“

Ein rot-weiß-gefärbtes Tier rannte auf die Käfigtüre zu, machte daran Männchen und bat Anna: „Bitte, bitte, nimm mich mit. Die anderen ärgern mich immerzu.“

Das Mädchen öffnete den Käfig und nahm das kleine, flauschige Tier heraus in ihre Hand.

„Pass auf, dass er dich nicht beißt. Er kennt dich noch nicht“, warnte die Verkäuferin besorgt.

Sie sah hinauf zu der Frau, die überragte das Kind um einiges an Körpergröße und Anna versicherte ihr: „Keine Angst, mich beißt keiner. Er mag mich. Er wird Freddy heißen“, verkündete sie.

Die Mutter kaufte noch einen Transportbehälter, einen Käfig, Einstreu, Futter und Spielzeug. Zufrieden und glücklich fuhren sie mit dem Hamster nach Hause. Dort ließ ihn Anna sofort frei.

Der Vater warnte: „Nagt er die Möbel an, muss er zurück in den Käfig.“

Wenn das Mädchen Hausaufgaben machte, lag das Tier mit auf dem Schreibtisch und schlief. Nach den Aufgaben wurde gespielt. Freddy nagte niemals die Möbel an. Er beschränkte sich auf seine Sachen im Käfig.

Annas Glück währte zwei Jahre, bis ihr Freund eines Abends nicht aus seiner Hütte kam. Sie rief ihn, lockte ihn mit seinem Lieblingsfutter, doch er kam nicht. Sie hob die Hütte hoch und sah, dass es dem Hamster nicht gut ging. Sogleich holte sie ihren Vater. Der untersuchte das Tier eingehend.

„Sein Hinterteil ist gelähmt. Er kann nicht mehr richtig laufen“, stellte er danach fest.

„Hast du denn keine Medizin für ihn?“, bettelte Anna.

„Weißt du, mein Schatz, Hamster haben nur eine begrenzte Lebenszeit von ungefähr zwei Jahren“, erklärte der Vater.

Anna schossen die Tränen in die Augen. „Aber du kannst ihn doch wieder gesund machen“, blickte sie ihn voller Hoffnung an.

Er holte tief Luft und sagte: „Liebes, ich kann ihn leider nicht heilen. Seine Zeit ist abgelaufen.“

Anna lief hinaus auf den Flur. Sie schrie und tobte: „Nein! Nicht mein Freddy!“

Schluchzend und schniefend warf sie ihre Zimmertüre zu und verkroch sich im Bett. Den Hamsterkäfig stellte sie mit geöffneter Gittertür auf ihren Nachttisch.

Am nächsten Morgen sah sie nach dem Tier. Doch Freddy rührte sich nicht mehr, fühlte sich eiskalt und starr an. Er lebte nicht mehr. Anna konnte an diesem Tag nicht zur Schule gehen. Mit dieser Trauer im Herzen, unmöglich. Der Vater zimmerte ein kleines Holzkistchen, das er mit Hamsterwatte auslegte. Da hinein betteten sie den kleinen Freddy. Draußen im Garten, unter einer Tanne wurde er begraben. Im Frühling pflanzte Anna ein paar Veilchen auf sein Grab.

Im Winter darauf, bei eisigen Temperaturen stand plötzlich ein schwarz-weißer Kater auf der Terrasse. Er hob ein ums andere Mal die Pfötchen und schrie so erbärmlich, dass Anna ihn hereinließ. Heißhungrig stürzte er sich über das Futter und legte sich anschließend nahe an den Kamin. Der Vater untersuchte den unerwarteten Zuwachs. Er stellte fest, der Kater mochte ungefähr acht Jahre alt sein, war bereits kastriert, sah nur etwas unterernährt aus. Er entwurmte ihn und behandelte ihn gegen Flöhe, falls er welche mitgebracht haben sollte. Er kannte seine Tochter, denn die nahm alle Tiere mit in ihr Bett.

Anna taufte ihn Merlin. Das Tier folgte dem Mädchen auf Schritt und Tritt. Es schmuste mit ihr unaufhörlich, so als wolle er sich tausendfach für seine Rettung bedanken.

„Wir müssen Bilder von ihm anfertigen und sie überall in der Stadt aufhängen. Er ist bestimmt irgendwo entlaufen“, schlug die Mutter vor.

„Nein!“, protestierte Anna. „Er ist jetzt mein Kater!“

„Und irgendwo sitzt ein Kind und weint sich die Augen aus, weil er nicht wiederkommt“, entgegnete der Vater.

„Nein“, beharrte sie. „Merlin wurde ausgesetzt. Er hat es mir erzählt.“

Damit erledigte sich die Angelegenheit.

„Nur gut, dass unsere Tochter so gut mit Tieren sprechen kann“, schmunzelte der Vater.

Merlin blieb sieben Jahre bei seiner Familie, dann lag er eines Morgens zusammengerollt und tot in seinem Körbchen. Obwohl Anna da inzwischen bereits zwanzig Jahre alt wurde, konnte sie die Tränen nicht zurückhalten.

Mit siebzehn Jahren verließ sie die Realschule. Sie entwickelte sich zu einem bildhübschen Mädchen. Üppige, wellige, hellbraune Haare mit natürlichen, hellen Strähnen dazwischen. Sie bildeten sich von ganz allein. Die Haarpracht reichte bis zur Hüfte. Ein tiefer Haaransatz, der ein mehr rundes als ovales Gesicht einrahmte, aus dem zwei große, strahlend, blaue Augen blickten. Dunkle Augenbrauen sowie dunkle, lange Augenwimpern sorgten für einen fantastischen Kontrast. Ihre Körpergröße maß nicht mehr als einsfünfundfünfzig und ihre Figur wirkte äußerst zierlich. Veronika war das komplette Gegenteil. Blonde Locken bis zur Schulter, groß gewachsen bis einsfünfundsiebzig, besaß sie ausgeprägte, körperliche Rundungen und tiefgrüne Augen. Durch ihren feingliedrigen Körperbau wirkte Anna wesentlich jünger als ihre Freundin.

Nach einem Jahr Vorschule begann sie eine Ausbildung zur Krankenschwester. Das wenige Geld, das sie während dieser Jahre verdiente, gab sie nicht etwa für Kleidung aus, sondern sparte eisern, um im dritten Ausbildungsjahr den Flugschein auf einem Kleinflugzeug zu machen. Dort oben zwischen den Wolken fühlte sie sich immer freier als unten auf dem Boden. Ihr größter Wunsch bestand schon immer darin, einmal fliegen zu können, obwohl es in Deutschland eher als Luxus galt. In Afrika dagegen oft Notwendigkeit und manchmal sogar lebensrettend sein konnte.

Ihre Eltern finanzierten ihr dafür den Führerschein für ein Auto, doch Anna schaffte es finanziell nicht, sich ein eigenes Fahrzeug zu kaufen. Allerdings brauchte sie es auch nicht unbedingt, denn ein Bus fuhr täglich mehrere Male in die Universitätsklinik und zurück.

Veronika verschlug es in die Forschung. Insbesondere die Klimaforschung tat es ihr an. Anna befand sich im letzten halben Jahr vor der Staatsprüfung zur Krankenschwester. In all den Jahren konnte sie sich nicht an die Großstadt Frankfurt gewöhnen. Ihr fehlten die Freiheit, die Weite der Savanne, die Sonne und der Duft Afrikas. In ihren nächtlichen Träumen, kehrte sie oft dorthin zurück. Sie fragte ihre Eltern, ob sie nach Afrika zurückkehren würden, wenn sie ihre Ausbildung abgeschlossen hätte. Doch dem Vater ging es gesundheitlich nicht mehr so gut und die Mutter ertrug die Hitze kaum mehr. Sie kämpfte schon während der Sommer in Deutschland damit. Deshalb lehnten sie ein Angebot, erneut für einige Jahre nach Afrika zu gehen, ab. Annas ganze Hoffnung sank in den Keller.

Während eines Urlaubs fuhren die Eltern nach Kaprun, wo sie ihr Schicksal ereilte. Im Tunnel brach ein Feuer aus und sie schafften es beide nicht mehr nach draußen. Als die Nachricht vom Tod ihrer geliebten Eltern kam, erlitt Anna einen schweren Schock. Die Oma, Mutter von Annas Mutter, Elfi Granger, betreute sie während dieser schweren Zeit. Oma Elfi lebte als einzige Verwandte in der Nähe, außer einer Tante, die in Rio de Janeiro in einem Heim betreut wurde und an den Rollstuhl gefesselt war. Anna galt der Oma als ihr ein und alles, sie war ihr einziges Enkelkind. Sie zählte bereits neunundsiebzig Jahre und lebte in einer kleinen Wohnung von der mageren Rente ihres Mannes, einem gebürtigen Amerikaner. Er starb vor fünf Jahren und wurde auf seinen Wunsch hin in seiner Heimat Washington, in Amerika begraben. Die Oma half Anna beim Begräbnis ihrer Eltern, das Haus zu verkaufen und nahm das junge Mädchen bei sich auf. Oma Elfi fühlte sich in ihrem Alter noch recht rüstig, obwohl ihr Haar schneeweiß schimmerte.

Trotz allem schloss Anna die Ausbildung zur Krankenschwester mit einer guten zwei im Staatsexamen ab. Sie fühlte sich danach zwar erleichtert aber auch sehr unbefriedigt. Dieser Beruf füllte sie nicht vollständig aus. So bewarb sie sich im Frankfurter Zoo um eine Ausbildung zur Tierpflegerin. Hier bemerkte sie sofort, dass sie sich am richtigen Platz befand. Sie konnte wieder mit den Tieren sprechen. Sie taute auf, lachte öfter und legte zum Teil ihre große Schüchternheit ab. Diese Arbeit machte ihr unwahrscheinlich Freude.

Eines Tages fiel ihr ein Besucher auf, der schon zum dritten Mal in Folge kam und zwar grundsätzlich, wenn sie die Erdmännchen fütterte. Sie saß mitten im Gehege, während die Tiere schwatzend auf ihren Schultern und dem Schoß saßen. Sie zeigten keine Scheu vor ihr. Das Haar flocht sie bei der Arbeit zu drei dicken Zöpfen, die sie hinten nochmals miteinander verflocht, damit sie nicht hinderten. Anna sah auf und erblickte den jungen Mann. Er lachte sie an und Anna erwiderte mit einem kleinen Lächeln. Sie registrierte kurz: strohblonde Haare, ziemlich kurz geschnitten, ungefähr einsfünfundsiebzig groß. Er trug eine dreiviertellange Hose mit einem T-Shirt dazu. Anna kümmerte sich nicht weiter um ihn. Es kamen täglich hunderte von Besuchern. Als sie ihre Arbeit beendet hatte, zog sie sich um und verließ den Zoo. Kurz zuvor ging ein Gewitter nieder und leichter Nebel kam auf. Sie löste ihre Zöpfe, wie immer, wenn sie nach Hause ging. Normalerweise besaß sie gewelltes Haar, allein schon durch die geflochtenen Zöpfe. Wenn es jedoch draußen feucht wurde, bildeten sich unzählige kleine und große Locken.

Da stand der blonde, junge Mann am Ausgang und wartete auf sie. Er kam auf sie zu und erkundigte sich etwas unsicher: „Bist du Anna? Du siehst so anders aus.“ Ihren Namen erfuhr er von dem Schild, das sie während ihrer Arbeit an ihrem Oberteil trug. Die Buchstaben darauf waren so groß geschrieben, dass er sie durch die Glasfenster erkennen konnte.

Sie sah verwundert zu ihm auf und antwortete: „Ja? Ach, das ist nur die Feuchtigkeit.“ Verlegen zupfte sie kurz an ihrem krausen Haar.

„Ich bin Malte, Malte Ruppert aus Bremen.“

In diesem Moment fiel ihr ein Spruch von ihrer Mutter ein: „Hüte dich vor denen, die kommen aus Bremen.“ So ein Quatsch, dachte sie. Die Menschen dort sind auch nicht besser oder schlechter als in Frankfurt und sie schob die Erinnerung bedenkenlos beiseite. Einige Monate später jedoch sollte sie bereuen diesen Spruch ignoriert zu haben.

Malte sprach weiter. „Ich bin vor einer Woche hier angekommen. Ich arbeite in der Klimaforschung. In meiner Freizeit gehe ich gern in den Zoo und da entdeckte ich dich. Wie machst du das? Ich habe dich beobachtet. Du gehst in die Käfige und alle Tiere kommen zu dir.“ Er sah auf sie hinunter, denn sie war ein ganzes Stück kleiner als er.

Anna lächelte. „Ich spreche mit den Tieren, das ist alles“, erklärte sie ihm mit vollem Ernst.

„Wie? Das glaube ich dir nicht“, antwortete Malte und lachte lauthals.

„Na ja, dann glaubst du es eben nicht“, erwiderte Anna und zuckte mit den Schultern.

Sie gab es schon lange auf, anderen zu erklären, wie das funktionierte, denn die meisten glaubten ihr ja doch nicht und dachten, sie wolle sie nur veralbern.

Anschließend lud er sie noch zu einem Eis ein. Dort unterhielten sie sich eine Weile. So erfuhr Anna, dass Malte achtundzwanzig Jahre zählte, während er in Erfahrung brachte, dass Anna bereits ihre zweite Ausbildung machte und mit einundzwanzig Jahren noch bei der Oma lebte. Als sie sich voneinander verabschiedeten, bat Malte um ein weiteres Treffen mit ihr. Da bereits die Dämmerung einsetzte und kein Bus mehr fuhr, brachte er sie mit seinem Auto bis vor die Haustür der Oma.

Oma Elfi machte sich bereits große Sorgen um ihre Enkelin, weil sie nicht nach Hause kam. Sie blieb nie so lange nach Arbeitsschluss aus. Als sie ein Auto unten vor dem Mietshaus vorfahren sah, sagte sie zu sich: Na klar, ein Mann kommt hier ins Spiel. Wie auch anders. Sie tadelte Anna nicht, weil sie so spät kam, denn die Oma erinnerte sich noch genau, wie es ihr erging, als sie Harry kennenlernte. Es wurde oft spät, weil sie sich nicht von ihrem Freund trennen konnte. Sie war gerade siebzehn Jahre alt und der Vater schimpfte, wenn sie erst nach Einbruch der Dunkelheit zu Hause erschien. In ihrer Erinnerung lächelte die Oma vor sich hin. Damals und heute konnte man allerdings nicht mehr miteinander vergleichen. Heutzutage durfte die Jugend mit achtzehn Jahren bis Mitternacht ausgehen. Die Mädchen und Frauen hatten bis zum einundzwanzigsten Jahrhundert gelernt selbstständiger und selbstbewusster zu werden. Das Heimchen am Herd wurde zur Ausnahme. Alle möglichen Berufe standen ihnen jetzt offen. Außerdem erreichte Anna inzwischen ein Alter, wo sie allein entscheiden musste, was sie für richtig hielt. Die Oma hütete sich, ihr Vorschriften zu machen.

Seit diesem Abend trafen sich Anna und Malte sehr oft. Sie saßen beieinander und schmiedeten Pläne für die Zukunft. Anna träumte von einer wunderschönen Hochzeit in Weiß, denn sie war ein romantischer Typ. Doch Malte redete ihr das sehr schnell aus.

„Wozu heiraten? Wenn man sich später auseinandergelebt hat, kommt die Scheidung und die kostet viel Geld. Nein danke, nicht mit mir. Ohne Trauschein kann man problemlos auseinander gehen und braucht keine schmutzige Wäsche waschen. Ich hasse es, wenn dann einer den anderen vor Gericht in den Dreck zieht“, argumentierte er. „Hochzeit ist heute doch total out. Wer glaubt denn noch an die Show, die der Pfarrer da in der Kirche abzieht?“

Anna fühlte sich schon etwas enttäuscht, doch im Endeffekt musste sie Malte größtenteils Recht geben. Nur das mit der Kirche, damit wurden sie nicht einig, denn sie glaubte fest an Gott und deshalb konnte sie sich eine Ehe ohne kirchlichen Segen nicht vorstellen.

Ab und zu kam Malte auch mit zum Essen zur Oma. Er besaß kein Talent zu kochen und wohnte allein. Da gab es dann meist nur Dosenfutter oder kalte Küche. So ein tolles Menü mit Vorspeise, Hauptgang und Nachspeise kam bei ihm immer richtig an.

Während eines Essens informierte sich die Oma bei ihm so nebenbei: „Wirst du auch immer gut zu meiner Enkelin sein?“ Ihre Augen durchbohrten ihn förmlich.

„Ja, natürlich. Ich liebe sie doch“, antwortete er, aber er konnte der alten Frau dabei nicht direkt in die Augen sehen.

Sie begann sich große Sorgen zu machen. Die Jugend von heute bewegte sich zu unbeschwert. Sie lebte hier, heute und jetzt. Keiner der jungen Leute machte sich Gedanken um die Zukunft. Die Oma wurde das Gefühl nicht los, Anna befolge alles, was Malte von ihr verlangte. So ließ sie sich zum Beispiel ihre Haare auf sein Geheiß hin schwarz färben. Er redete ihr ein, dass ihre blauen Augen dadurch besser zur Geltung kämen. Anna besaß zuvor sehr dichtes, weiches und welliges Haar. Wegen der Länge und Dichte brauchte die Friseuse vier Farbpackungen. Als Anna danach in den Spiegel sah, erschrak sie zutiefst. Ihr Haar wirkte wie Stroh. Es stand ab und zeigte weder Wellen noch Locken. Sie erkannte sich kaum wieder. Beinahe wäre sie in Tränen ausgebrochen. So gefiel sie sich gar nicht. Von nun an zwängte sie ihre Mähne in einen sehr streng geflochtenen Zopf, den sie die meiste Zeit unter einem Käppi versteckte.

Noch ein halbes Jahr benötigte sie bis zur Prüfung und konnte danach damit rechnen, vom Zoo übernommen zu werden.

Bei Malte wurden aus Kostengründen die zwei Klima-Forschungs-Stationen zusammengelegt. Veronika kam in Maltes Team. Als sie sich das erste Mal begegneten, knisterte es förmlich vor lauter Elektrizität und sie verliebten sich Hals über Kopf ineinander und das sehr heftig. Sie schienen wie füreinander geschaffen zu sein. Mit Veronika konnte Malte jede unmögliche Sache unternehmen. Mit ihrer lebenslustigen Art, war sie für alles offen und für jeden Unfug bereit. Da sie beide den gleichen Beruf wählten, konnten sie über vieles diskutieren und jeder wusste, um was es ging. Anna dagegen gab sich sehr zurückhaltend, vorsichtig, manchmal sogar beinahe etwas wortkarg und sie konnte sich mit ihm nicht über die neueste Technik von Forschungsaufgaben unterhalten. Davon verstand sie absolut nichts. Genau wie Malte sich mit ihr nicht über Krankenpflege oder Tiererkrankungen austauschen konnte.

Drei Monate, bevor Anna ihre Prüfung ablegte, im vierundzwanzigsten Lebensjahr, kam sie abends nach Hause und fand ihre Oma schwer atmend auf dem Balkon im Liegestuhl liegend vor.

„Oma, was hast du? Geht es dir nicht gut? Soll ich den Arzt rufen?“, fragte sie besorgt.

„Nein, nein, das geht schon wieder vorbei“, beruhigte die alte Frau das Mädchen und berührte sie leicht am Arm. „Kind, sei bitte vorsichtig. Mein Gefühl sagt mir, dass dein Malte nicht ehrlich zu dir ist.“ Es hörte sich sehr dringlich an. Wieder rang sie nach Luft.

„Ach Unsinn, das hätte ich doch schon längst bemerkt“, beschwichtigte Anna die Oma. Sie drehte sich um und orientierte sich: „Wo hast du deine Herztropfen stehen?“

„Ich glaube in der Küche“, ächzte Oma Elfi.

Anna fand sie neben dem Toaster. Sie hielt die Flasche gegen das Licht und stellte fest, dass sich nichts mehr darin befand.

„Oma, das Fläschchen mit den Tropfen ist leer! Ich fahre rasch mit dem Fahrrad in die Apotheke und besorge dir neue!“, rief sie.

Eilends rannte sie die Treppe hinunter, schwang sich auf ihr Rad und fuhr in die nächste Apotheke. Vollkommen außer Atem kam sie zurück.

„Ich habe mich beeilt. Hat es lange gedauert?“, rief sie, während sie die Wohnungstür hinter sich schloss.

Die Oma antwortete nicht. Plötzlich bekam Anna regelrecht Panik.

„Oma!“, rief sie laut.

In ihrer Hektik stolperte sie über ein Stuhlbein und der Stuhl fiel polternd um. Sie hastete auf den Balkon. Die Oma lag ganz still. Schlief sie etwa so fest? Anna beugte sich über sie. Sie atmete nicht mehr. Anna fühlte an der Halsschlagader keinen Puls mehr. Vorsichtig berührte sie ihre welken Hände. Noch fühlten sie sich leicht warm an. Doch Oma Elfi war still und leise von ihr gegangen. Anna legte ihre Stirn auf die Armlehne des Liegestuhls und weinte. Außer Malte blieb ihr jetzt niemand mehr. Nach einer Weile stand sie auf und rief den Hausarzt ihrer Oma an.

Der kam auch sofort. Ein kleiner, korpulenter Mann, mittleren Alters und tiefschwarzem Haar.

Als Anna ihm öffnete, bestätigte er auch gleich: „Ich habe es kommen sehen. Schon bei ihrem letzten Besuch in meiner Praxis, gefiel sie mir nicht recht. Ihr Herz wurde immer schwächer. Wäre sie noch etwas jünger gewesen, hätte man ihr vielleicht ein neues implantieren können. Aber in so einem Fall hilft auch die beste Medizin nicht mehr.“

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