Kitabı oku: «Lehrberuf: Vorbereitung, Berufseinstieg, Perspektiven (E-Book)», sayfa 4
2Theoretischer Rahmen zur Analyse schulischer Profile
Den theoretischen Rahmen hierfür bildet die Soziologie der Konventionen beziehungsweise die «Économie des Conventions» (EC) (Boltanski & Thévenot, 2007; Diaz-Bone, 2018). Für die vorliegende Fragestellung sind Konventionen als Wertigkeitsordnungen relevant, wie sie von Boltanski und Thévenot (2007) herausgearbeitet und von Derouet (1992) auf die Institution Schule übertragen wurden. Konventionen sind historisch gewachsene, gesellschaftlich etablierte und in materiellen Umwelten objektivierte Prinzipien, auf die sich Akteure in Prozessen der Koordination und Bewertung beziehen. Mit Referenz auf Konventionen schreiben Akteure – gestützt auf die materielle Umwelt – Handlungen (z. B. der Wahl eines Bildungswegs), Personen (z. B. Lehrpersonen) und Objekten Wertigkeit zu, «valorisieren» sie[12] (Diaz-Bone, 2018). Der «Wert» eines Bildungsziels ist also nicht objektiv feststellbar, sondern wird von den beteiligten Akteuren konventionenbasiert ausgehandelt. Im Bildungsbereich haben sich Konventionen unter anderem in der Analyse von Bildungsungleichheit und -gerechtigkeit, von Governance und Transformation von Bildungsinstitutionen sowie von Klassifikationen, Bewertungen und Qualitätsurteilen als empirisch bedeutsam erwiesen (für einen Überblick vgl. Imdorf, Leemann & Gonon, 2019). Für den vorliegenden Beitrag sind die in Tabelle 1 aufgelisteten Konventionen relevant.
Tabelle 1: Übersicht über relevante Konventionen
Konvention | Bewertungsprinzip | Hohe Wertigkeit |
Staatsbürgerlich | Allgemeininteresse, Vorrang des Kollektivs, zivilgesellschaftlicher Zusammenhalt | «Savoir abstrait», theoretisches Wissen, Konzepte und Modelle, Intellekt, Allgemeinwissen als general knowledge, Unparteilichkeit, Übernahme zivilgesellschaftlicher Verantwortung |
Häuslich | Familie, Gemeinschaft, Tradition, Sozialisation, Nähe, Hierarchie, Handwerk, Meisterschaft | «Savoir-être», Charakter(bildung), Erziehung, Anleitung, Vormachen und Nachahmen («Meisterlehre»), Autorität, persönliche Beziehungen, handwerklich-körperliche Praxis |
Inspiriert | Inspiration, Berufung | Kreativität, Charisma, intrinsische Motivation, Leidenschaft |
Industriell | Effizienz, Expertise, Funktionalität, Kompetenz, Wissenschaftlichkeit | «Savoir-faire», Leistung, (Berufs-)Fachlichkeit als Fachkompetenz, Problemlösewissen, Nützlichkeit, Vorbereitung auf arbeitsteilige Gesellschaft, langfristige Planung |
Eigene Darstellung, basierend auf Boltanski & Thévenot (2007); Diaz-Bone (2018); Derouet (1992); Leemann & Imdorf (2019)
Zentral ist die Annahme, dass meist mehrere Konventionen als Wertigkeitsmaßstäbe zur Verfügung stehen (Diaz-Bone, 2018). Dadurch entstehende Widersprüche äußern sich in Kritik und können durch Kompromisse gelöst werden. Konventionen und Kompromisse werden durch materielle (z. B. Schulgesetze, Curricula) oder kognitive Formate (z. B. Klassifikationen wie Allgemein- oder Berufsbildung) stabilisiert, wodurch sie an Reichweite und Einfluss gewinnen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die forschungsleitende Frage nach der Bedeutung beider untersuchter Schulprofile als eine der konventionengestützten Zuschreibung von Wertigkeit: Wie können die gymnasialen Schwerpunktfächer Musik, BG und PPP sowie die FMS Pädagogik bezüglich zugrunde liegender Konventionen und stabilisierender Formate charakterisiert und darauf basierend ihre unterschiedliche Bedeutung als PH-Zubringer erklärt werden?
3Methodisches Vorgehen
Zur Beantwortung dieser Frage wurde ein qualitatives Fallstudiendesign umgesetzt.[13] Die Fallauswahl zweier Deutschschweizer Kantone erfolgte theoriegeleitet, untersucht wurden das FMS-Berufsfeld mit Fachmaturität Pädagogik sowie die gymnasialen Schwerpunktfächer Musik, BG und PPP. Da Valorisierung zum einen diskursiv erfolgt, wurden problemzentrierte Einzel- oder Gruppeninterviews (Witzel, 2000) in jeweils beiden Ausbildungsprofilen geführt: sechs mit Schulleitenden, acht mit Lehrpersonen sowie zehn mit Schülerinnen und Schülern. Da Valorisierung andererseits auch gestützt auf Objekte, kognitive Formate und räumliche Rahmenbedingungen geschieht, wurden acht Unterrichtsbeobachtungen durchgeführt und repräsentative Dokumente wie Schulleitbilder, Rahmenstundentafeln und Curricula analysiert. Bei der Datenanalyse wurde auf zentrale konventionensoziologische Konzepte fokussiert, und zur Kategorienbildung wurden bisher empirisch relevante Dimensionen wie zum Beispiel Bildungsziele, Wissensformen und Modi der Wissensvermittlung (Derouet, 1992) herangezogen. Ebenso wurden in Anlehnung an die Codierstrategie der Grounded Theory (Strauss & Corbin, 1996) Kategorien induktiv am Material gebildet. Da Konventionen als überindividuelle Logiken weder einzelnen gesellschaftlichen Ebenen (Mikro- vs. Makroebene) noch Akteursgruppen zugeordnet werden können und sich Valorisierung auch auf materielle und kognitive Formate stützt (Diaz-Bone, 2018), wurde bei der Datenanalyse auf eine Differenzierung nach einzelnen Personen- oder Dokumentengruppen verzichtet.
4Vergleichende Darstellung der beiden PH-Zubringer
Im Folgenden werden exemplarisch anhand der Dimensionen «Bildungsziele», «Wissensformen» und «Modi der Wissensvermittlung» idealtypisch zentrale Charakteristika der FMS Pädagogik und der gymnasialen Schwerpunktfächer Musik, BG und PPP skizziert.
4.1Bildungsziele
Obwohl beide Bildungsprogramme ähnliche Bildungsziele verfolgen, unterscheiden sie sich in ihrer Ausrichtung. In beiden Profilen ist die Vorbereitung auf die weiterführende hochschulische Ausbildung zentral. In der FMS Pädagogik bezieht sich diese in einer funktional-effizienten, der industriellen Konvention entsprechenden Logik spezifisch auf die Berufsausbildung an PH. Die Akteure der FMS Pädagogik nehmen ihre Institution als der PH funktional vorgelagerte Stufe wahr. In derselben Logik ist auch die Allgemeinbildung in hohem Maße auf das Herstellen von Studierfähigkeit an PH ausgerichtet. Materialisiert ist dies im Format der Fachmaturität Pädagogik, die aus einem Lehrgang in für die PH-Studierfähigkeit als notwendig erachteten Fächern besteht. Auch die selbstständige Arbeit und die Fachmaturitätsarbeit dienen in funktionaler Weise dem Erwerb von klar umrissenen methodischen Kompetenzen, wie sie in der industriellen Konvention Wertigkeit erhalten und an PHs zum Beispiel im Rahmen schriftlicher Arbeiten gefordert sind.
Beim Bildungsziel der Persönlichkeitsbildung werden in der FMS Pädagogik überwiegend Elemente der häuslichen Konvention wie Sozialkompetenz, ein gefestigter Charakter sowie Team- und Kommunikationsfähigkeit ins Zentrum gestellt und mit Verweis auf die spätere Berufstätigkeit als Lehrperson valorisiert. Materialisiert ist dies in verschiedenen schulischen Gefäßen zur Stärkung des Gemeinschaftsgefüges, zur Förderung von Auftrittskompetenz oder in Form des Bündels berufsfeldspezifischer Fächer. Sie bestehen im Berufsfeld Pädagogik im Kern aus Musik/Instrument/Chor, Gestalten/Werken und Pädagogik/Psychologie[14] und sollen neben der Persönlichkeitsbildung auch ein Ensemble an praktisch-konkreten Grundfertigkeiten im musisch-pädagogischen Bereich vermitteln. Die berufsfeldspezifischen Fächer und die Persönlichkeitsbildung werden ebenso aus der funktional-effizienten Perspektive der industriellen Konvention valorisiert, da beide zweckmäßig und zielgerichtet der Vorbereitung auf die spätere berufliche Tätigkeit als Lehrperson dienen sollen. Durch diese klare berufliche Ausrichtung erhält intrinsische Motivation als Wertigkeit der inspirierten Konvention an Bedeutung, sofern sie sich in ausgeprägt pädagogisch-sozialem Interesse im Allgemeinen und im Berufswunsch «Lehrperson» im Besonderen äußert. In diesem Zusammenhang wird das Format pädagogischer Praktika als zentral für die Prüfung und Stärkung der Berufsmotivation betrachtet.
In den musisch-pädagogischen Schwerpunktfächern des Gymnasiums ist die Vorbereitung auf die weiterführende hochschulische Ausbildung einerseits klar auf universitäre Hochschulen ausgerichtet. Andererseits wird hier explizit keine funktionale Verknüpfung von gewähltem Schwerpunkt- und zukünftigem Studienfach[15] angestrebt, sondern eine diesbezügliche Entkopplung valorisiert. Das gewählte Schwerpunktfach soll der Allgemeinbildung im Sinne von persönlicher Entfaltung dienen, was dem in der staatsbürgerlichen Konvention zu verortenden Humboldt’schen Bildungsideal entspricht (Imdorf, 2011). Intrinsische Motivation als Wertigkeit der inspirierten Konvention bezieht sich nicht auf eine berufliche Tätigkeit, vielmehr werden Leidenschaft und Fachinteresse als Kriterien für die Schwerpunktfachwahl valorisiert. Die Persönlichkeitsbildung ist nicht funktionales Instrument für die spätere berufliche Tätigkeit, dient aber dennoch der Vorbereitung auf spätere gesellschaftliche Funktionen. Laufbahnen von Gymnasiasten und Gymnasiastinnen werden valorisiert, wenn sie in verantwortungsvolle Positionen in Politik, Wissenschaft und Kunst münden, zum Wohl der Zivilgesellschaft beitragen und so Wertigkeiten der staatsbürgerlichen Konvention verwirklichen. Für diese zukünftigen Aufgaben werden kognitive Fähigkeiten wie Kreativität, Abstraktions- und Analysefähigkeit als zentral angesehen. Gerade den musischen Schwerpunktfächern wird hier aufgrund ihres Beitrags zur Förderung von Kreativität und von differenzierter Wahrnehmung und Analyse Bedeutung zugeschrieben.
4.2Wissensformen und Modi der Wissensvermittlung
Die skizzierten Bildungsziele schlagen sich in den valorisierten Wissensformen und den Modi der Wissensvermittlung nieder. Die funktionale Logik der industriellen Konvention zeigt sich in der FMS Pädagogik im Format klar umrissener und operationalisierter Kompetenzen, die für die PH-Studierfähigkeit oder den Lehrberuf als wichtig und nützlich erachtet werden. Dies entspricht einem «savoir-faire» (Derouet, 1992) im Sinne von «technischem» Anwendungs- oder Problemlösewissen, das als Wissensform der industriellen Konvention auf zukünftige Aufgaben vorbereitet. Ebenfalls valorisiert wird die der häuslichen Konvention entsprechende Wissensform des «savoir-être» (a. a. O.), die ganzheitliche Charakterbildung, moralische Werte und soziale Fähigkeiten wie zum Beispiel Team- und Kommunikationsfähigkeit umfasst. Die Vermittlung beider Wissensformen erfolgt tendenziell im handwerklich-praktischen, erzieherisch-pädagogischen Modus der häuslichen Konvention: Die Akteure der FMS Pädagogik valorisieren Praxisbezug zum Lehrberuf oder zu einer sozial-erzieherischen Tätigkeit, was sich in den Fachinhalten (z. B. Gruppendynamik im Fach Psychologie, Kinderlieder im Fach Musik), aber auch in der Arbeit an konkreten Fallbeispielen oder körperlich-praktischen Übungen wie Ballspielen zum Erlernen von Taktarten äußert, auf welche die Schülerinnen und Schüler später als Lehrperson gegebenenfalls zurückgreifen können sollen. Auch ohne direkten Bezug zum Lehrberuf erfolgt die Wissensvermittlung alltagsnah und anschaulich, gegebenenfalls unterstützt durch die «häusliche» Praktik des Vormachens und Nachahmens oder durch Objekte wie zum Beispiel eine Gummitastatur zur Veranschaulichung von Harmonien. Ebenfalls der häuslichen Konvention entspricht die Wissensvermittlung im Modus pädagogischer Engführung, Anleitung und Erziehung durch die Lehrperson. Dies fördert eine stärker persönlich-emotionale Beziehungsqualität, welche die Akteure der FMS Pädagogik valorisieren.
Die stärkere Orientierung an Wertigkeiten der staatsbürgerlichen Konvention im Gymnasium zeigt sich auch hier in der präferierten Wissensform: abstraktes Wissen in Form von Konzepten, Theorien und Modellen im Sinne von «savoir» (a. a. O.). In den untersuchten Schwerpunktfächern äußert sich dies zum Beispiel im Format komplexer Harmonie- und Farbenlehre, Musik- und Kunstgeschichte oder in psychologischen Theorien und Modellen. Überwiegend in Textform (z. B. Klassiker der Psychologie) formatiert, erfordert diese Wissensform von den Schülern und Schülerinnen stärker kognitiv-abstrahierende Fähigkeiten. Sie übernimmt keine funktionale Problemlöse- oder Berufsvorbereitungsfunktion und wird, dem Humboldt’schen Ideal entsprechend, eher am Ausmaß gemessen, in dem das Schwerpunktfach das eigene Fachinteresse befriedigt und der persönlichen Entfaltung dient. Diesen staatsbürgerlichen Wertigkeiten entsprechend, erfolgt auch die Wissensvermittlung stärker theoretisch-abstrakt und im Modus intellektueller Übertragung (a. a. O.). Frontalunterricht, extensive Textlektüre und kognitive Arbeit in hohem Tempo werden valorisiert, dies auch in den musischen Fächern, wo zum Beispiel Harmonielehre weniger praktisch-anschaulich als kognitiv über Melodiediktate geübt oder Architekturströmungen im Vorlesungsmodus referiert werden. Die Wissensvermittlung erfolgt weniger objekt- und körperbasiert, sondern stärker kognitiv. Die Lehrperson wird dadurch weniger als pädagogische Sozialisationsinstanz und Rollenvorbild denn als Verkörperung einer Fachdisziplin (a. a. O.) valorisiert, zu der eine eher neutral-distanzierte Beziehung gepflegt wird.
5Zusammenfassung und Diskussion
Zusammengefasst zeigen die Ergebnisse, dass sich die FMS Pädagogik und die Schwerpunktfächer Musik, BG und PPP am Gymnasium trotz ihrer Ähnlichkeit als allgemeinbildende und musisch-pädagogisch orientierte Bildungsprofile der Sekundarstufe II in den valorisierten Bildungszielen, Wissensformen und Modi der Wissensvermittlung wesentlich unterscheiden.
Das Profil der FMS Pädagogik zeichnet sich durch eine der industriellen Konvention entsprechende funktionale Logik der Vorbereitung auf den Lehrberuf und das gezielte Herstellen von Studierfähigkeit für die PH aus, die dadurch (a) über die gesamte Mittelschulzeit als selbstverständliche Abnehmerin positioniert und valorisiert wird. Die für die Studierfähigkeit geforderten fachlichen und wissenschaftlich-methodischen Kompetenzen (Eberle, 2016) integriert die FMS insbesondere in Form der Fachmaturität Pädagogik in ihr Profil. Mit Blick auf den zukünftigen Beruf konstituiert sich die Vorbereitungslogik inhaltlich aber vor allem durch Aspekte der häuslichen Konvention wie Gemeinschaftlichkeit, Charakterbildung, pädagogisch-soziale Werte und praktisch-handwerkliches, musisch-kreatives Tun. Damit weist die FMS Pädagogik Ähnlichkeit zu den ehemaligen Lehrerinnen- und Lehrerseminaren auf, als deren Ersatz sie vielerorts bezeichnet wird.
Mit der expliziten Ausrichtung auf die Ausbildung zur und Tätigkeit als Lehrperson bietet dieses Profil (b) früh entschlossenen, pädagogisch interessierten Jugendlichen einen direkten Weg zur Verwirklichung ihres konkreten Berufswunschs und fördert eine frühe Identifikation mit dem Lehrberuf, was die Wahrscheinlichkeit einer anschließenden PH-Ausbildung erhöht. Weiter entscheiden sich die Schülerinnen und Schüler an der FMS (c) nicht für ein bestimmtes Schwerpunktfach, sondern für ein «Berufsfeld» als Ensemble von mehreren musisch-pädagogischen Berufsfeldfächern – was im Gegensatz zu einer monofachlichen Orientierung stärker der PH-Ausbildung und Berufstätigkeit der Primarlehrperson als Generalistin oder Generalist[16] entspricht. Dieser zukünftigen Berufstätigkeit auf Primarstufe entspricht (d) auch die praktisch-konkrete, beispielhaft und alltagsnah gestaltete, pädagogisch eng begleitete Wissensvermittlung der häuslichen Konvention. Die hohe Bedeutung der FMS Pädagogik als PH-Zubringerin kann aus dieser Perspektive also unter anderem darauf zurückgeführt werden, dass ihr «konventionelles Profil» deutliche Nähe sowohl zur PH-Ausbildung als auch zur späteren Berufstätigkeit aufweist.
Die Schwerpunktfächer Musik, BG und PPP am Gymnasium unterscheiden sich in ihrem konventionellen Profil wesentlich von der FMS Pädagogik. Statt funktionaler Vorbereitung wird eine staatsbürgerliche Logik der Entkopplung von Schwerpunktfach und Studienfach- oder Berufswahl valorisiert. Ebenso erhalten zweckfreie, extensive, abstrakt-analytische Allgemeinbildung und die dafür erforderliche Leistungs- und Abstraktionsfähigkeit sowie Anstrengungsbereitschaft Wertigkeit.[17] Andererseits werden auch Aspekte der inspirierten Konvention wie Kreativität, Neugier und Leidenschaft valorisiert, insbesondere bei der Wahl des Schwerpunktfachs. Diese Aspekte lassen eine Berufsausbildung zur Primarlehrperson in verschiedener Hinsicht als weniger anschlussfähig erscheinen. Die Wahl eines Schwerpunktfachs erfordert und fördert (a) Interesse und Leidenschaft für eine ganz spezifische Fachdisziplin, was der Ausbildung zur Primarlehrperson als Generalistin oder Generalist entgegensteht. Selbst am Lehrberuf interessierte Gymnasiastinnen und Gymnasiasten ziehen aufgrund ihrer monofachlichen Orientierung eher die Studiengänge der Sekundarstufe I oder II in Betracht. Die empirisch nachgewiesene Differenzierung von Studienwahlmotiven zwischen fachlichem und pädagogischem Interesse nach angestrebter Zielstufe (Keck Frei et al., 2012) scheint sich hier zwischen FMS und Gymnasium zu reproduzieren. Im Weiteren rückt (b) mit der Entkopplung von Schwerpunkt- und Studienfach und dem Fokus auf zweckfreie Allgemeinbildung die konkrete Berufswahl in den Hintergrund – womit die PH als Professionshochschule mit Vorbereitung auf einen klar umrissenen Beruf weniger anschlussfähig erscheint als universitäre Studiengänge mit offeneren Berufsoptionen. Außerdem entspricht (c) die am Gymnasium valorisierte, abstrakte Wissensform und ihre überwiegend theoretische, kognitiv anspruchsvolle Vermittlung stärker der Lehrpraxis an einer Universität. Diese wird (d) während der gesamten gymnasialen Ausbildungszeit als selbstverständliche Abnehmerin valorisiert, wodurch ein PH-Studium gegebenenfalls aus dem Blickfeld gerät.
Zusammenfassend kann die Hypothese formuliert werden, dass die hohe Bedeutung der FMS Pädagogik unter anderem darauf zurückgeführt werden kann, dass sie mit ihrem stark auf Wertigkeiten der häuslichen und industriellen Konvention beruhenden Profil in hohem Maße demjenigen der PH als Ausbildungsinstitution für den konkreten, pädagogisch-soziale Interessen erfordernden Generalistinnen- und Generalistenberuf der Primarlehrperson entspricht. Die gymnasiale Ausbildung valorisiert mit zweckfreier Bildung und der Leidenschaft für ein ganz spezifisches Fach Wertigkeiten der staatsbürgerlichen und der inspirierten Konvention, welche die Ausbildung zur Primarlehrperson als fachübergreifende und praxisbezogene Berufsausbildung weniger anschlussfähig erscheinen lassen. Die konventionensoziologische Perspektive erlaubt, diese Unterschiede konzeptionell zu fassen, zu systematisieren und die stabilisierende Bedeutung kognitiver Formate und materieller Objekte in den Blick zu nehmen. So kann die unterschiedliche Bedeutung beider Profile für die Ausbildung zur Primarlehrperson mit ihrer unterschiedlichen «konventionellen Anschlussfähigkeit» erklärt werden. Weiter zu diskutieren wäre im Anschluss, was diese Ergebnisse für die Rekrutierung von Gymnasiasten und Gymnasiastinnen in Zeiten des erhöhten Lehrkräftebedarfs für die Professionalisierung PH-Studierender mit unterschiedlicher Vorbildung und für die Ausbildung von Lehrpersonen der Sekundarstufe I (Fachbereich «Berufliche Orientierung» im neuen Deutschschweizer Lehrplan 21) und der Sekundarstufe II (Unterricht an [Fach-]Maturitätsschulen) bedeuten.
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