Kitabı oku: «Der schöne Sommer», sayfa 7

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XV.

Guido öffnete ihr lachend, und aus dem Hintergrund fragte eine Mädchenstimme: »Wer ist da?« Guido reichte ihr die Hand und forderte sie auf hereinzukommen.

In dem bleichen Licht, neben dem Vorhang, zog sich ein Mädchen den Regenmantel an. Sie trug keinen Hut und betrachtete Ginia von oben herab, als wäre sie die Hausherrin.

»Es ist eine Kollegin«, sagte Guido. »Es ist nur Ginia.«

Sich auf die Lippe beißend, trat die andere ans Fenster, um sich in der dunklen Scheibe zu spiegeln. Sie hatte den gleichen Gang wie Amelia. Ginia sah von ihr zu Guido.

»Nun, Ginia«, sagte Guido.

Endlich ging das Mädchen, nicht ohne Ginia auf der Schwelle ein letztes Mal zu mustern. Sie schlug die Tür zu, und man hörte, wie sich die Schritte entfernten.

»Sie ist ein Modell«, erklärte Guido.

In jener Nacht blieben sie auf dem Sofa, das Licht brannte, und Ginia versuchte nicht mehr, sich zu verstecken. Sie hatten den Ofen herangerückt, aber es war trotzdem kalt, und nachdem Guido sie einen Augenblick betrachtet hatte, musste Ginia wieder unter die Decke kriechen. Doch am allerschönsten war, eng an ihn geschmiegt, der Gedanke, dass dies wirklich Liebe war. Guido erhob sich, nackt, wie er war, um Wein zu holen, und kam vor Kälte hüpfend zurück. Sie stellten die Gläser auf das Öfchen, um sie anzuwärmen, und Guido roch nach Wein, als er sich zu ihr legte, aber Ginia zog den warmen Duft seiner Haut vor. Guido hatte krause Haare auf der Brust, die sie an der Wange kitzelten, und wenn sie sich aufdeckten, verglich Ginia jenes Blond mit ihrem eigenen und schämte sich, aber gleichzeitig gefiel es ihr auch. Sie flüsterte Guido ins Ohr, sie habe Angst, ihn anzuschauen, und Guido erwiderte, dann solle sie nicht hinsehen.

Als sie so umschlungen unter der Decke lagen, sprachen sie über Amelia, und Ginia sagte ihm, dass eine Frau an allem schuld sei. »Das geschieht ihr recht«, sagte Guido daraufhin. »Lässt man sich etwa auf solche Scherze ein?«

»Wie du nach Wein riechst«, flüsterte Ginia. »Das ist immer noch der beste Geruch, den man im Bett riechen kann«, antwortete Guido, doch Ginia verschloss ihm den Mund mit der Hand.

Dann löschten sie das Licht und schwiegen. Ginia starrte an die nur undeutlich erkennbare Decke und dachte an vielerlei, während Guido über ihr atmete. Seitlich, durch die Scheiben, sah man in der Ferne Lichter. Der Geruch nach Wein und heißem Atem erinnerte sie an Guidos Heimatdorf. Dann überlegte sie, ob Guido ihr schmächtiger Körper wirklich gefiel oder ob er nicht eigentlich Amelia vorgezogen hätte, braun und schön. Guido hatte sie überall geküsst, ohne zu sprechen.

Dann merkte sie, dass Guido schlief, und es schien ihr unmöglich, dass man so umschlungen schlafen könne, deshalb rückte sie vorsichtig von ihm ab und fand einen kühlen Platz, der sie aber unruhig machte, weil sie spürte, dass sie nackt war und allein. Wieder überfielen sie Ekel und Qual, wie damals als Kind, wenn sie sich wusch. Und sie fragte sich, warum Guido mit ihr schlief, und dachte an morgen, dachte an all die Tage, die sie gewartet hatte, und ihre Augen füllten sich mit Tränen, die sie leise weinte, damit Guido sie nicht hörte.

Im Dunkeln zogen sie sich wieder an, und Ginia fragte plötzlich, wer dieses Modell sei.

»Sie ist ein armes Ding, der man erzählt hat, dass ich zurück bin.«

»Ist sie schön?«, fragte Ginia.

»Hast du das nicht gesehen?«

»Aber wie kann man bei dieser Kälte Modell stehen?«

»Ihr Mädchen friert doch nicht«, sagte Guido, »ihr seid dafür geschaffen, nackt zu sein.«

»Ich könnte das nicht aushalten«, sagte Ginia.

»Heute Abend hast du es ausgehalten.«

Im Licht blickte Guido sie lächelnd an. »Zufrieden?«, fragte er sie. Sie setzten sich nebeneinander aufs Sofa, und Ginia lehnte den Kopf an seine Schulter, um ihm nicht in die Augen schauen zu müssen. »Ich habe solche Angst«, sagte sie, »dass du mich nicht lieb hast.«

Dann machten sie Tee, und Guido blieb sitzen und rauchte, während sie im Zimmer herumlief. »Ich lass dir doch deinen Willen, scheint mir. Heute habe ich sogar Rodrigues den ganzen Abend weggeschickt.«

»Kommt er bald?«, fragte Ginia.

»Er hat keinen Schlüssel. Ich hole ihn unten ab.«

So trennten sie sich am Tor, weil Ginia Rodrigues nicht begegnen wollte. Niedergeschlagen fuhr sie mit der Straßenbahn nach Hause und dachte an nichts mehr.

So begann ihr wahres Leben als Verliebte, denn jetzt, da sie und Guido sich nackt gesehen hatten, schien ihr alles anders zu sein. Jetzt war es wirklich, als sei sie verheiratet, und auch wenn sie allein war, brauchte sie nur daran zu denken, wie seine Augen auf ihr geruht hatten, um sich nicht mehr allein zu fühlen. »Heiraten bedeutet genau das.« Wer weiß, ob ihre Mutter es auch so gemacht hatte wie sie beide. Doch sie hielt es für unmöglich, dass andere auf der Welt ebenso viel Mut aufgebracht hatten. Keine Frau, kein Mädchen konnte einen Mann nackt gesehen haben wie sie Guido. So etwas konnte nicht zweimal geschehen.

Aber Ginia war nicht dumm, sie wusste, dass alle Mädchen so reden. Auch Rosa, damals, als sie sich umbringen wollte. Der einzige Unterschied war, dass Rosa in den Wiesen Liebe machte und nicht wusste, wie schön es war, mit Guido zu plaudern und mit ihm zusammen zu sein.

Und doch wäre es mit Guido auch in den Wiesen schön gewesen. Ginia dachte ständig daran. Sie verfluchte den Schnee und die große Kälte, die es verhinderten, und malte sich, benommen vor Verlangen, den nächsten Sommer aus, wenn sie auf den Hügel wandern, nachts spazieren gehen, die großen Fenster öffnen würden. Guido hatte zu ihr gesagt: »Du musst mich auf dem Land erleben. Nur da male ich. Kein Mädchen ist so schön wie ein Hügel.« Ginia freute sich, dass Guido nicht das Modell genommen hatte, sondern ein Bild malen wollte, das ganz rund um ein Zimmer laufen sollte, wie ein Schlitz in der Wand, durch den man von allen Seiten Hügel und hellen Himmel sah. Damit befasste er sich schon, als er Soldat war, und jetzt hantierte er den ganzen Tag mit Papierstreifen und bedeckte sie mit Pinselstrichen, die aber noch nichts darstellten und nur Versuche waren. Eines Tages sagte er zu Ginia: »Ich kenne dich noch nicht gut genug, um dich zu porträtieren. Warten wir noch.«

Rodrigues begegnete sie fast nie, denn wenn Ginia vor dem Abendessen ins Atelier kam, war er schon ins Café gegangen. Stattdessen tauchten andere Leute auf, um den Abend mit Guido zu verbringen – auch Frauen, denn einmal sah Ginia eine Zigarettenkippe mit Lippenstiftspuren –, und daraufhin sagte sie, um ihm zu schmeicheln, sie habe Angst, ihn zu stören, und fühle sich von diesen Leuten eingeschüchtert. Sie schlug Guido vor, er solle die Tür offen lassen, wenn er allein war und Lust hatte, sie zu sehen. »Ich würde immer kommen, Guido«, erklärte sie ihm, »aber ich verstehe, dass du dein Leben hast. Ich will, dass wir allein sind, wenn wir uns treffen, und du darfst mich nie als Belastung empfinden.« Ihm solche Dinge zu sagen, bereitete Ginia eine so heftige Freude, wie wenn sie sich umarmten. Aber als sie die Tür zum ersten Mal verschlossen fand, konnte sie sich nicht zurückhalten und klopfte, mit flatterndem Herzen.

Amelia kam manchmal nach dem Mittagessen zu ihr, mit missmutigem Gesicht und Ringen unter den Augen. Sie gingen dann sofort aus, weil Ginia ihr keine Zeit lassen wollte, sich aufs Bett zu setzen, und streunten bis drei Uhr herum. Rücksichtslos betrat Amelia eine Bar, trank einen Kaffee und hinterließ einen Lippenstiftrand auf der Tasse. Sie schminkte sich stark, um nicht so blass auszusehen. Als Ginia sagte, so könne sie die Tassen infizieren, erwiderte sie achselzuckend: »Sollen sie sie spülen! Was glaubst du denn? Die Welt ist voll von Leuten wie mir. Der einzige Unterschied ist, dass sie es nicht wissen.«

»Aber es geht dir besser«, sagte Ginia. »Deine Stimme klingt heller.«

»Findest du?«, fragte Amelia.

Über andere Dinge sprachen sie nicht, und Ginia, die sie so viel hätte fragen wollen, traute sich nicht. Als sie ein einziges Mal auf Rodrigues anspielte, schnitt Amelia eine Grimasse und sagte: »Vergiss sie, alle beide.«

Doch eines Abends schaute Amelia bei ihr vorbei und fragte: »Gehst du heute zu Guido?«

»Ich weiß nicht«, sagte Ginia, »ich glaube, er hat Leute da.«

»Und das lässt du dir einfach gefallen? Dummkopf, solange du rot wirst, bringst du es nie zu was.«

Unterwegs gestand Ginia ihr, sie habe geglaubt, Amelia hätte sich mit Rodrigues zerstritten.

»Er ist immer noch dasselbe Schwein«, sagte Amelia. »Hat er dir das erzählt? Wenn ich daran denke, dass ich ihm die Haut gerettet habe.«

»Nein. Er sagt nur, es sei eine Ausrede, die du erfunden hast, um mit dem Arzt ins Bett zu gehen.«

Amelia lachte drohend. Als sie vor dem Haustor standen und Ginia oben das erleuchtete Fenster sah, war sie verzweifelt, weil sie bis zu diesem Augenblick gehofft hatte, Guido sei nicht zu Hause. »Es ist niemand da«, sagte sie hastig, »wir gehen nicht rauf.« Doch Amelia ging entschlossen hinein.

Guido und Rodrigues waren dabei, Feuer im Kamin zu machen. Amelia trat zuerst ein, dann Ginia, die zu lächeln versuchte. »Sieh mal an«, sagte Guido.

XVI.

Ginia fragte, ob sie störten, und Guido warf ihr einen komischen Blick zu, der sie beunruhigte. Neben dem Kamin war Holz aufgeschichtet. Amelia ging unterdessen zum Sofa, setzte sich und bemerkte ruhig, dass es kalt sei. »Das kommt aufs Blut an«, knurrte Rodrigues am Kamin.

Ginia überlegte, wer wohl an diesem Abend erwartet würde, dass sie sogar den Kamin anzündeten. Gestern war dieses Holz noch nicht da gewesen. Eine Weile sprach niemand, und sie schämte sich für Amelias Dreistigkeit. Als die Flamme aufloderte, sagte Guido zu Rodrigues, ohne sich umzuwenden: »Er zieht immer noch.« Amelia lachte albern los, und auch Rodrigues schnitt vor Freude eine Grimasse. Dann erhob sich Guido und knipste das Licht aus. Das Zimmer füllte sich mit tanzenden Schatten.

»Wenn wir zusammen sind«, sagte Amelia vom Sofa her, »geht es uns doch einfach gut.«

»Es fehlen nur die Kastanien«, sagte Guido. »Wein ist da.«

Da nahm Ginia glücklich ihren Hut ab und erklärte, geröstete Kastanien bekomme man bei der Alten an der Ecke.

»Rodrigues ist dran«, sagte Amelia.

Aber Ginia eilte selbst die Treppe hinunter, weil sie froh war, dass die anderen nicht mehr beleidigt waren. Sie musste ziemlich lange durch die Kälte laufen, weil die Alte nicht da war, und dachte dabei, dass Amelia so etwas für niemanden getan hätte. Als sie zurückkam, war sie ganz außer Atem. In dem tanzenden Zimmer sah sie Rodrigues, der wie früher zu Füßen der liegenden Amelia am Ende des Sofas kauerte. Und Guido stand im rötlichen Zwielicht und redete und rauchte.

Sie hatten bereits die Gläser gefüllt und unterhielten sich über Bilder. Guido erzählte von dem Hügel, den er malen wollte, und dass er vorhabe, ihn wie eine liegende Frau zu gestalten, den Busen in der Sonne, das Fließende und Duftige wolle er ihm geben, das die Frauen kennzeichnet.

Rodrigues sagte: »Das gibt es schon. Lass dir was Neues einfallen. Das gibt es schon.«

Daraufhin gerieten sie sich in die Haare darüber, ob es stimme, dass es ein solches Gemälde schon gebe, aßen die Kastanien und warfen die Schalen ins Feuer. Amelia ließ sie auf den Boden fallen. Irgendwann sagte Guido: »Aber nein! Keiner hat je beides zusammen gemalt. Wirst schon sehen, ich nehme eine Frau und lege sie hin, als wäre sie ein Hügel vor einem neutralen Himmel.«

»Symbolische Malerei. Dann malst du doch die Frau und keinen Hügel«, erwiderte Rodrigues wütend.

Ginia bekam es nicht gleich mit, aber auf einmal hatte Amelia sich erboten, für Guido zu posieren, und Guido sagte nicht Nein.

»Bei dieser Kälte?«, fragte Ginia.

Sie antworteten ihr gar nicht, sondern diskutierten, wohin sie dann das Sofa stellen sollten, um das Licht und die Wärme des Feuers in Einklang zu bringen.

»Aber Amelia ist krank«, sagte Ginia.

»Na und?«, regte sich Amelia auf. »Meine Arbeit besteht darin, mich nicht zu bewegen.«

»Es wird ein moralisches Bild«, sagte Rodrigues, »das moralischste Bild der Welt.«

Sie lachten und redeten eine Menge Unsinn, und Amelia, die vorsichtshalber nicht trank, bat schließlich doch um ein Glas und erklärte, es genüge, das Glas hinterher mit Wasser und Seife auszuwaschen. So hielten sie es auch bei ihr zu Hause, und sie schilderte Guido die Behandlung, die jener Arzt mit ihr machte, und sie scherzten über die Spritzen, und Amelia sagte, er könne ganz ruhig sein, denn ihre Haut sei gesund. Um sich zu rächen, fragte Ginia sie, ob ihre Brust noch entzündet sei, daraufhin wurde Amelia wütend und erwiderte, sie habe schönere Brüste als Ginia. Guido sagte: »Zeigt her.« Alle sahen einander lachend an. Amelia knöpfte sich die Bluse auf, öffnete den Büstenhalter und stellte ihre Brüste, sie mit beiden Händen haltend, zur Schau. Sie hatten das Licht angeknipst, und Ginia, die nur flüchtig hinsah, erschreckten Amelias böse, triumphierende Augen.

»Jetzt bist du dran«, sagte Rodrigues.

Aber Ginia schüttelte verzweifelt den Kopf und senkte unter Guidos Blick die Augen. Ein langer Moment verstrich, und Guido blieb stumm.

»Los«, sagte Rodrigues, »stoßen wir auf deine Brüste an.«

Guido schwieg immer noch. Ginia drehte sich ruckartig zum Kamin um und hörte, wie sie sagten: »Dummes Ding.«

So ging Ginia am nächsten Tag in die Schneiderei und wusste, dass Amelia nackt mit Guido allein war. In manchen Momenten war ihr zum Sterben zumute. Ständig sah sie Guidos Gesicht vor sich, wie er Amelia anstarrte. Sie hoffte, dass wenigstens Rodrigues dabei war.

Am Nachmittag konnte sie weg, um ein Kleid zuzustellen. Sie lief zum Atelier und fand die Tür verschlossen. Sie lauschte und hörte niemanden. Daraufhin ging sie ruhiger wieder hinunter.

Um sieben traf sie alle drei im Café. Guido trug ihre Krawatte und prahlte, und Amelia hörte rauchend zu. Sie sagten »Setz dich« zu ihr, als wäre sie ein kleines Mädchen. Sie redeten über alte Zeiten, und Amelia erzählte von ihren Malern.

»Und was erzählst du uns?«, flüsterte Rodrigues Ginia ins Ohr.

Ginia sagte, ohne sich umzuwenden: »Nehmen Sie sich zusammen.«

Dann schlenderten sie gemeinsam ein Stück unter den Arkaden, und Ginia fragte Guido, ob sie sich nach dem Abendessen sehen könnten. »Rodrigues ist da«, antwortete Guido. Da sah Ginia ihn verzweifelt an. Sie verabredeten, sich einen Augenblick draußen zu treffen.

An jenem Abend schneite es, und Guido schlug vor, ins Café zu gehen und einen Punsch zu trinken. Sie tranken ihn an der Theke. Fröstelnd fragte Ginia, wie Amelia es aushielt, bei dieser Kälte zu posieren. »Der Kamin wärmt ja«, sagte Guido, »und außerdem ist sie es gewohnt.«

»Ich würde das nicht aushalten«, sagte Ginia.

»Das verlangt auch keiner von dir!«

»Oh, Guido«, sagte Ginia, »warum behandelst du mich so? Ich meinte doch nur, weil Amelia krank ist.«

Dann verließen sie das Lokal, und Guido hakte sich bei ihr ein. Sie hatten Schnee im Mund, auf den Augen, überall. »Hör zu«, sagte Guido zu ihr, »das weiß ich. Und ich weiß auch, dass ihr was miteinander hattet. Es ist ja nichts dabei. Allen Mädchen gefällt es, sich zu küssen. Lass also auch die anderen leben.«

»Hat Rodrigues etwa …«, sagte Ginia.

»Nein, aber ihr Mädchen seid alle gleich. Wenn du für Rodrigues Modell stehen willst, nur zu, komm morgen. Ich frage dich auch nicht, was du den ganzen Tag machst.«

»Aber ich will nicht für Rodrigues Modell stehen.«

So trennten sie sich unten am Tor, und Ginia ging durch den Schnee nach Hause und beneidete die Blinden, die um Almosen bitten und an nichts mehr denken.

Am nächsten Morgen um zehn stürmte sie ins Atelier. Gleich an der Tür erzählte sie Guido, sie habe gekündigt.

»Es ist nur Ginia«, sagte Guido, zum Zimmer gewandt.

Draußen auf den Dächern sah man den Schnee. Amelia saß nackt auf dem Sofa, das der Länge nach vor dem brennenden Kamin stand, zog die Schultern zusammen und flehte, sie sollten die Türe schließen.

»Du wolltest herkommen und uns zusehen«, sagte Guido, als er zur Staffelei zurückkehrte. »Auf wen bist du eifersüchtig?«

Ginia zog einen Schmollmund und hockte sich ans Feuer. Sie blickte weder Amelia an, noch ging sie zu Guido. Guido kam und warf noch mehr Holz aufs Feuer, das wirklich so viel Hitze ausstrahlte, dass man nackt sein konnte. Im Vorbeigehen gab er ihr mit der flachen Hand einen Klaps auf den Nacken, und während Ginia den Kopf wegzog, strich er Amelia zärtlich übers Knie, wie man eine Flamme berührt. Amelia, die auf dem Rücken lag, die Seite dem Feuer zugewandt, wartete, bis Guido wieder am Fenster war, und flüsterte dann heiser: »Bist du gekommen, um mich zu sehen?«

»Ist Rodrigues weggegangen?«, fragte Ginia sie.

Vom Fenster her sagte Guido laut: »Heb das Knie ein bisschen.«

Da fand Ginia den Mut, sich umzudrehen, und betrachtete Amelia neidisch, während sie vom Feuer abrückte, weil es zu heiß war. Guido stand an der Staffelei und warf ihnen beiden ab und zu einen Blick zu, einen raschen Blick, der dann auf das Blatt zurückkehrte.

Endlich sagte er: »Zieh dich an, ich bin fertig.« Amelia setzte sich auf und zog sich den Mantel über die Schultern. »Geschafft«, sagte sie lachend zu Ginia. Ginia ging ganz langsam zur Staffelei. Auf einen langen Papierstreifen hatte Guido mit Kohle das Profil von Amelias Körper gezeichnet. Es waren sehr einfache, manchmal ineinander verschlungene Linien. Es sah aus, als wäre Amelia zu Wasser geworden und so über das Papier geflossen. »Gefällt es dir?«, fragte Guido. Ginia nickte und versuchte, Amelia wiederzuerkennen. Guido lachte in sich hinein.

Da sagte Ginia mit Herzklopfen: »Male mich auch.«

Guido hob den Blick. »Du willst posieren?«, fragte er sie. »Dich ausziehen?«

Ginia sah zu Amelia hin und sagte: »Ja.«

»Hast du das gehört? Ginia will nackt posieren«, rief Guido laut.

Amelia antwortete mit Gelächter. Sie sprang auf und lief, in den Mantel gehüllt, zum Vorhang. »Zieh dich dort am Feuer aus«, sagte sie, »ich zieh mich an.«

Ginia betrachtete ein letztes Mal den Schnee auf den Dächern und stotterte: »Soll ich wirklich?«

»Los«, sagte Guido, »wir kennen uns doch.«

Daraufhin zog sich Ginia langsam vor dem Feuer aus, und ihr Herz klopfte so rasend, dass sie zitterte. In ihrer Seele dankte sie Amelia, die sich anziehen gegangen war und ihr nicht zusah. Guido nahm das Blatt von der Staffelei und befestigte ein anderes darauf. Ginia legte ihre Sachen Stück für Stück aufs Sofa. Guido kam herüber, um das Feuer anzufachen. »Beeil dich«, sagte er, »sonst brauche ich zu viel Holz.« – »Nur Mut«, rief Amelia ihr von hinter dem Vorhang zu.

Als Ginia nackt war, ließ Guido bedächtig seine hellen Augen über sie wandern, ohne zu lächeln. Er nahm sie an der Hand und warf einen Zipfel der Decke auf den Boden. »Stell dich da drauf und schau zum Feuer. Ich male dich stehend.«

Ginia starrte in die Flammen und fragte sich, ob Amelia schon wieder hervorgekommen war. Sie merkte, dass der Widerschein des Feuers ihre Haut vergoldete und stechend heiß war. Da spähte sie, ohne den Hals zu bewegen, nach dem Schnee auf den Dächern.

»Deck dich nicht mit den Händen zu. Heb sie hoch, als würdest du einen Balkon halten«, sagte Guidos Stimme.

XVII.

Ginia starrte lächelnd in die Flammen. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Sie hörte Amelias leichte Schritte und sah sie neben Guido am Fenster auftauchen, wo sie ihren Gürtel zurechtrückte. Sie lächelte ihr zu, ohne sie anzublicken.

Doch sie hörte noch einen anderen Schritt in der Nähe des Sofas und wollte die Arme sinken lassen.

»Stell dich ganz natürlich hin«, sagte Guido.

»Wie blass du bist«, sagte Amelia. »Nicht daran denken.«

In dem Moment begriff Ginia alles und war so entsetzt, dass sie sich nicht umdrehen konnte. Rodrigues war die ganze Zeit hinter dem Vorhang gewesen, und jetzt stand er mitten im Zimmer und betrachtete sie. Ihr schien, als spüre sie sogar seinen Atem. Wie ein dummes Ding starrte sie in die Flammen und zitterte bis ins Mark. Aber sie konnte sich nicht umdrehen.

Eine lange Stille folgte. Der einzige, der die Hand bewegte, war Guido. »Ich friere«, stammelte Ginia tonlos.

»Dreh dich um, nimm deine Jacke und bedecke dich«, sagte Guido endlich.

Da drehte Ginia sich ruckartig um, sah Rodrigues mit offenem Mund, packte ihre Sachen und bedeckte sich. Rodrigues, das Knie auf das Sofa gestützt und vorgebeugt, machte »Oh« wie ein Fisch und schnitt ihr eine Grimasse. »Nicht schlecht«, sagte er mit seiner gewohnten Stimme.

Während alle lachten und sie zu trösten suchten, lief Ginia barfuß zum Vorhang und zog sich verzweifelt an. Niemand folgte ihr. Vor Hast zerriss Ginia den Bund ihres Höschens. Dann blieb sie im Dunkeln stehen, von Ekel vor den Laken des zerwühlten Bettes erfüllt. Die anderen draußen schwiegen.

»Ginia«, sagte Amelias Stimme nahe am Vorhang, »darf ich?«

Ginia packte den Vorhang und gab keine Antwort.

»Lass sie«, sagte Guidos Stimme. »Sie ist eine dumme Gans.«

Da begann Ginia zu weinen, lautlos, an den Vorhang geklammert. Sie weinte aus tiefstem Herzen, wie in jener Nacht, in der Guido eingeschlafen war. Ihr war, als hätte sie bei Guido nie etwas anderes getan als geweint. Und ab und zu hielt sie inne und fragte sich: »Warum gehen sie denn nicht weg?« Ihre Schuhe und Strümpfe waren nämlich neben dem Sofa liegen geblieben.

Sie weinte schon ziemlich lange und fühlte sich ganz benommen, als sich der Vorhang abrupt öffnete und Rodrigues ihr die Schuhe hinhielt. Ginia nahm sie ohne ein Wort und sah flüchtig sein Gesicht und das Atelier. In diesem Augenblick begriff sie, dass sie eine Dummheit gemacht hatte, als sie so erschrocken gewesen war, dass jetzt auch die anderen nicht mehr lachten. Sie merkte, dass Rodrigues vor dem Vorhang stand.

Da überfiel sie eine wahnsinnige Angst, Guido werde kommen und sie erbarmungslos bloßstellen. Sie dachte: »Guido ist ein Bauer und wird mich schlecht behandeln. Was habe ich nur getan, dass ich nicht gelacht habe.« Sie zog Strümpfe und Schuhe an.

Als sie heraustrat, blickte sie Rodrigues nicht an. Sie sah niemanden an. Undeutlich nahm sie Guidos Kopf hinter der Staffelei und den Schnee auf den Dächern wahr. Amelia erhob sich lächelnd vom Sofa. Ginia riss ihren Mantel vom Sofa, und den Hut in der anderen Hand, öffnete sie die Tür und rannte davon.

Während sie allein durch den Schnee ging, fühlte sie sich immer noch nackt. Alle Straßen waren leer, und sie wusste nicht, wohin. So wenig wollten sie sie dort oben haben, dass sie nicht einmal erstaunt gewesen waren, sie um diese Zeit zu sehen. Zum Spaß dachte sie, dass der Sommer, auf den sie gehofft hatte, nie mehr kommen würde, weil sie jetzt allein war und nie mehr mit jemandem sprechen, sondern den ganzen Tag arbeiten würde, damit Signora Bice mit ihr zufrieden wäre. Die geringste Schuld, fand sie irgendwann, traf Rodrigues, denn er, der immer bis mittags schlief, war von den anderen geweckt worden, und selbstverständlich hatte er dann hingeschaut. »Hätte ich es gemacht wie Amelia, hätte ich sie alle erstaunt. Stattdessen hab’ ich geheult.« Bei dem Gedanken kamen ihr gleich wieder die Tränen.

Doch es gelang Ginia nicht, wirklich verzweifelt zu sein. Ihr war klar, dass sie sich dumm angestellt hatte. Den ganzen Vormittag dachte sie daran, sich umzubringen oder wenigstens eine Lungenentzündung zu bekommen. Dann wären die anderen schuld daran und hätten Gewissensbisse. Aber sich so umzubringen, lohnte sich nicht. Sie hatte sich als Frau aufspielen wollen und es nicht geschafft. Es wäre, als würde sie sich umbringen, weil sie ein Luxusgeschäft betreten hatte. Wenn man dumm ist, geht man wieder nach Hause. »Ich bin ein armes, unglückliches Ding«, sagte sich Ginia, während sie dicht an den Mauern entlangstrich.

An jenem Nachmittag freute es sie, dass Signora Bice bei ihrem bloßen Anblick ausrief: »Was führt ihr Mädchen nur für ein Leben! Du hast ein Gesicht, als wärst du schwanger.« Sie sagte ihr, sie habe am Morgen Fieber gehabt, und war zufrieden, dass man wenigstens sah, wie sie litt. Doch als sie nach Hause kam, legte sie auf der Treppe ein bisschen Puder auf, denn vor Severino schämte sie sich.

An jenem Abend wartete sie auf Rosa, auf Amelia, sogar auf Rodrigues, entschlossen, jedem die Tür vor der Nase zuzuschlagen, wer es auch sei. Es kam niemand. Severino warf, um sie zu ärgern, ein Paar zerrissene Socken auf den Tisch und fragte, ob sie ihn barfuß herumlaufen lassen wolle. »Der Trottel, der dich heiratet, ist arm dran«, sagte er zu ihr. »Wenn Mama noch da wäre, könntest du was erleben!« Lachend und mit geröteten Augen erwiderte Ginia, sie würde sich eher umbringen, bevor sie heirate. An jenem Abend spülte sie das Geschirr nicht. Sie stellte sich vielmehr horchend an die Tür. Dann wanderte sie in der Küche auf und ab, mied aber das Fenster, um die schneebedeckten weißen Dächer nicht zu sehen. In einer Jackentasche Severinos fand sie Zigaretten und begann eine zu rauchen. Als sie feststellte, dass es ihr gelang, warf sie sich aufs Sofa, tief atmend, als hätte sie Fieber, und beschloss, ab morgen zu rauchen.

Die Erleichterung, die Ginia in jenen Tagen empfand, sich nicht mehr bei allem abhetzen zu müssen, machte sie wütend, weil sie inzwischen gelernt hatte, alles rasch zu erledigen, und ihr viel Zeit zum Denken blieb. Rauchen genügte nicht, denn sie hätte zu gern gewollt, dass jemand sie sähe, und jetzt kam nicht einmal mehr Rosa vorbei. Es war schrecklich abends, wenn Severino fort war und Ginia wartete, auf irgendjemanden wartete, ohne sich zum Ausgehen entschließen zu können. Einmal spürte sie einen Schauer, wie eine Liebkosung, als sie sich auszog, um zu Bett zu gehen, und da stellte sie sich vor den Spiegel, betrachtete sich furchtlos und hob, mit bis zum Hals klopfendem Herzen, die Arme über den Kopf, während sie sich langsam drehte. »Was würde Guido wohl sagen, wenn er jetzt hereinkäme?«, fragte sie sich und wusste doch genau, dass Guido gar nicht an sie dachte. »Nicht einmal Lebewohl haben wir einander gesagt«, stammelte sie und rannte ins Bett, um nicht nackt zu weinen.

Manchmal, auf der Straße, blieb Ginia stehen, weil sie plötzlich sogar den Duft der Sommerabende wahrnahm und die Farben und die Geräusche und die Schatten der Platanen. Mitten in Matsch und Schnee dachte sie daran und blieb an den Ecken stehen, voll unbändiger Sehnsucht. »Er kommt bestimmt, Jahreszeiten gibt es immer«, doch gerade jetzt, da sie allein war, schien es ihr ganz unwahrscheinlich. »Ich bin alt, das ist es. Alles Schöne ist vorbei.«

Und als sie eines Abends eilig nach Hause ging, traf sie am Haustor Amelia. Es war eine überraschende Begegnung, und sie grüßten sich nicht, aber Ginia blieb stehen. Amelia, mit Schleier und allem, spazierte wartend auf und ab. »Was machst du?« – »Ich warte auf Rosa«, sagte Amelia ganz heiser, und sie sahen sich an. Da machte Ginia ein böses Gesicht und rannte die Treppe hoch.

»Was hast du denn heute Abend?«, fragte Severino sie beim Essen. »Hast du Ärger gehabt?«

Als sie allein war, begann Ginia wirklich zu verzweifeln. Sie weinte nicht einmal. Sie lief durchs Zimmer wie eine Verrückte. Dann warf sie sich aufs Sofa.

Aber genau an jenem Abend kam Amelia. Als Ginia ihr öffnete, glaubte sie es kaum. Doch Amelia kam wie gewohnt herein, fragte, ob Severino da sei, und setzte sich aufs Sofa.

Ginia vergaß zu rauchen. Sie sprachen über das, was sie machten, leise, um nur irgendetwas zu sagen. Amelia hatte den Hut abgenommen und saß mit übergeschlagenen Beinen da, und Ginia, die neben der gedämpften Lampe am Tisch lehnte, konnte ihr Gesicht nicht sehen. Sie redeten über die große Kälte, und Amelia sagte: »Heute früh habe ich so gefroren!«

»Bist du immer noch in Behandlung?«, fragte Ginia.

»Warum? Habe ich mich verändert?«

»Ich weiß nicht«, sagte Ginia.

Amelia fragte, ob sie eine rauchen dürfe: Auf dem Tisch lag das Päckchen. »Ich rauche auch«, sagte Ginia.

Als sie die Zigaretten anzündeten, sagte Amelia: »Geht’s wieder besser?«

Da wurde Ginia über und über rot und antwortete nicht. Amelia betrachtete ihre Zigarette und sagte: »Ich dachte nur.«

»Kommst du von dort?«, stotterte Ginia.

»Das ist unwichtig«, sagte Amelia, streckte die Beine und erhob sich. »Willst du ins Kino gehen?«

Während sie zu Ende rauchten, sagte Amelia lachend: »Du hast großen Eindruck auf Rodrigues gemacht. Er wollte wissen, ob du mir gefällst. Guido ist jetzt auf ihn eifersüchtig.« Und während Ginia zu lächeln versuchte, fuhr sie fort: »Ich bin froh, weil ich im Frühling wieder gesund sein werde. Der Arzt, du weißt schon, sagt, er hätte mich gerade noch rechtzeitig erwischt. Hör zu, Ginia, im Kino gibt es nichts Schönes.«

»Wir gehen, wohin du willst«, sagte Ginia, »führ du mich.«

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