Kitabı oku: «David Copperfield», sayfa 17
Endlich traf die Antwort Mr. Murdstones ein, und meine Tante teilte mir zu meinem größten Schrecken mit, daß er morgen selbst kommen werde.
Am nächsten Tag saß ich, immer noch in meine sonderbare Bekleidung gehüllt, herum und zählte die Minuten, aufgeregt, in sinkender Hoffnung und immer mehr steigender Angst, und jede Sekunde gewärtig, von dem Anblick des finstern Gesichtes meines Stiefvaters erschreckt zu werden.
Meine Tante sah noch gebieterischer und strenger drein als gewöhnlich, sonst aber konnte ich nicht bemerken, daß sie sich auf den Empfang des von mir so gefürchteten Besuchs irgendwie vorbereitete. Bis ziemlich spät am Nachmittag saß sie im Fenster und arbeitete und ich neben ihr, mir in Gedanken alle möglichen und unmöglichen Resultate von Mr. Murdstones Besuch ausmalend.
Unser Mittagessen war auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben worden; aber es wurde so spät, daß eben gedeckt werden sollte, als meine Tante den plötzlichen Alarmruf Esel! ausstieß, und ich zu meiner Bestürzung Miß Murdstone kaltblütig über den heiligen Rasenfleck reiten und vor dem Hause halten sah.
»Marsch fort!« schrie meine Tante und drohte mit der Faust am Fenster. »Sie haben da nichts zu suchen! Wie können Sie sich unterstehen, meinen Rasenfleck zu betreten! Marsch fort! Sie Ding da mit dem frechen Gesicht!«
Meine Tante war so erbost über die Kaltblütigkeit, mit der Miß Murdstone um sich schaute, daß sie nicht imstande war, ein Glied zu rühren und nach ihrer Gewohnheit hinauszustürzen. Ich benutzte die Gelegenheit, um ihr zu sagen, wer es sei, und daß der Herr, der jetzt nachkam, Mr. Murdstone selbst wäre.
»Kümmert mich wenig, wers ist,« rief meine Tante und schüttelte immer noch den Kopf und schnitt nichts weniger als freundliche Gesichter hinter dem Bogenfenster. »Es wird hier nicht herumgeritten. Ich erlaube es nicht. Marsch, fort! Janet dreh ihn herum! Führ ihn fort!«
Ich lugte hinter meiner Tante hervor und gewahrte eine wahre Schlachtszene. Der Esel, die vier Füße fest in den Boden gestemmt, widerstand hartnäckig jedermanns Bemühungen. Janet versuchte ihn mit dem Zaum aus der Richtung zu bringen, Mr. Murdstone ihn anzutreiben, Miß Murdstone schlug mit dem Sonnenschirm auf Janet los, und mehrere Jungen, die als Zuschauer herbeigeeilt waren, jauchzten vor Lust. Als meine Tante unter ihnen plötzlich den jungen Verbrecher erspähte, unter dessen Obhut der Esel stand, und der einer ihrer hartnäckigsten Feinde war, stürzte sie hinaus, fiel über ihn her, fing ihn ein und schleppte ihn in den Garten, daß er, die Jacke über den Kopf gezogen, mit seinen Absätzen Furchen in den Erdboden pflügte. Dort hielt sie ihn fest und befahl Janet, die Polizei und die Richter zu holen, damit er auf der Stelle verhört und abgeurteilt werde. Ihre Freude dauerte jedoch nicht lange. Der junge Bösewicht, in allerlei Listen und Ränken erfahren, von denen meine Tante keine Ahnung hatte, riß sich geschickt los und suchte johlend das Weite, in den Blumenbeeten tiefe Spuren seiner benagelten Schuhe zurücklassend und den Esel im Triumph mit sich nehmend.
Miß Murdstone war gegen Ende des Kampfes abgestiegen und wartete jetzt mit ihrem Bruder vor der Haustür, bis es meiner Tante gefällig wäre, sie zu empfangen. Meine Tante, durch die Schlacht ein wenig aufgeregt, ging mit großer Würde an ihnen vorbei ins Haus und nahm von beiden keine Notiz, bis sie von Janet angemeldet wurden.
»Soll ich hinausgehen, Tante?« fragte ich zitternd.
»Nein, mein Kind, gewiß nicht.« Und damit schob sie mich in eine Ecke neben sich und stellte einen Stuhl vor, daß es aussah wie eine Gerichtsschranke. In dieser Ecke blieb ich während der ganzen Unterredung, und von hier aus sah ich jetzt Mr. und Miß Murdstone in das Zimmer treten.
»O,« nahm meine Tante das Wort. »Ich wußte anfangs nicht, gegen wen ich das Vergnügen hatte, einzuschreiten. Aber ich erlaube niemand, über diesen Rasenfleck zu reiten. Ich mache keine Ausnahme. Ich gestatte es niemand.«
»Ihre Maßnahme ist etwas beschwerlich für Fremde,« entgegnete Miß Murdstone.
»Wirklich?« bemerkte meine Tante.
Mr. Murdstone schien eine Erneuerung der Feindseligkeiten zu befürchten und sagte vermittelnd:
»Miß Trotwood.«
»Ich bitte um Verzeihung,« bemerkte meine Tante mit einem schneidenden Blick. »Sie sind der Mr. Murdstone, der die Witwe meines seligen Neffen, David Copperfield, von Blunderstone-Krähenhorst geheiratet hat? Warum eigentlich Krähenhorst, weiß ich nicht.«
»Der bin ich,« sagte Mr. Murdstone.
»Sie werden mir die Bemerkung nicht übel nehmen, Sir,« fuhr meine Tante fort, »aber ich glaube, es hätte sich besser und glücklicher gefügt, wenn Sie das arme Kind in Ruhe gelassen hätten.«
»Ich stimme insofern mit Miß Trotwood überein,« fiel Miß Murdstone gereizt ein, »daß unsere viel beklagte Klara in allen wesentlichen Punkten wirklich das reinste Kind war.«
»Es ist ein Trost für uns beide, Maam,« sagte meine Tante, »die wir in die Jahre kommen und schwerlich unserer persönlichen Reize wegen unglücklich gemacht werden können, daß niemand dasselbe von uns sagen kann.«
»Allerdings,« erwiderte Miß Murdstone, wie mir schien, nicht sehr freudig beistimmend. »Sie haben ganz recht, es wäre besser und glücklicher für meinen Bruder ausgefallen, wenn er diese Ehe nie geschlossen hätte. Ich war immer dieser Meinung.«
»Sie gewiß, das glaube ich,« sagte meine Tante. Dann klingelte sie. »Janet, richte meine Empfehlungen an Mr. Dick aus, ich lasse ihn bitten, herunterzukommen.«
Bis er kam, saß meine Tante kerzengerade da und sah mit gerunzelter Stirn die Wand an. Als er eintrat, stellte sie ihn vor.
»Mr. Dick. Ein alter und vertrauter Freund, auf dessen Urteil,« sie sah Mr. Dick, der an seinem Zeigefinger kaute und ziemlich blöde dreinschaute, mit einem ermahnenden Blick an, »ich mich verlasse.«
Mr. Dick nahm auf diesen Wink den Finger aus dem Mund und stand mit ernstem und aufmerksamem Gesicht unter der Gruppe. Meine Tante verneigte sich gegen Mr. Murdstone, der daraufhin fortfuhr:
»Miß Trotwood, beim Empfang Ihres Briefes hielt ich es, teils um meinen Standpunkt besser vertreten zu können, teils aus Rücksicht für Sie, für besser –«
»Danke,« warf meine Tante hin, Mr. Murdstone unablässig fixierend, »ich beanspruche keine.«
»– trotz der Unannehmlichkeit einer Reise lieber persönlich als brieflich zu antworten. Dieser unglückselige Junge, der von seinen Freunden und seiner Beschäftigung fortgelaufen ist, –«
»– und dessen äußere Erscheinung,« unterbrach Miß Murdstone, auf meinen unbeschreiblichen Anzug hindeutend, »eine Schmach und ein wahrer Skandal ist –«
»Jane Murdstone, sei so gut und unterbrich mich nicht! Dieser unglückselige Junge also, Miß Trotwood, hat uns viel häusliches Ungemach und Leidwesen verursacht. Während der Lebzeiten meines verstorbenen geliebten Weibes und nachher. Er hat einen mürrischen, trotzigen Charakter, ein gewalttätiges Temperament und ein verstocktes störrisches Wesen. Meine Schwester wie ich haben uns bemüht, seine Laster ihm abzugewöhnen, aber vergeblich. Darum hielt ich es für das beste, oder vielmehr, wir beide hielten es für das beste, – meine Schwester besitzt mein vollständiges Vertrauen – Sie dieses ernste und unparteiische Urteil aus unserem eigenen Munde hören zu lassen.«
»Ich habe wohl nicht nötig, was aus meines Bruders Mund kommt, noch zu bestätigen,« sagte Miß Murdstone. »Aber ich bitte zu bemerken, daß ich meinerseits ihn von allen Jungen auf der Welt für den allerschlechtesten halte.«
»Stark!« sagte meine Tante kurz.
»Durchaus nicht zu stark den Tatsachen gegenüber,« erwiderte Miß Murdstone.
»Ach was!« sagte meine Tante. »Weiter, Sir!«
»Ich habe meine eignen Ansichten über die beste Art, ihn zu erziehen,« fuhr Mr. Murdstone fort, dessen Gesicht immer finsterer wurde, je mehr meine Tante und er sich gegenseitig fixierten, was mit großer Gewissenhaftigkeit geschah; – »sie gründen sich zum Teil auf meine Kenntnis seines Wesens, teils richten sie sich nach Maßgabe meiner eignen Mittel und Hilfsquellen. Ich bin mir darüber selbst verantwortlich, handle danach und sage deshalb nichts weiter darüber. Es genügt, daß ich diesen Knaben unter die Obhut eines meiner Freunde in ein achtbares Geschäft brachte. Ihm hingegen gefällt das nicht. Er läuft fort, treibt sich als Vagabund herum, bis er endlich in Lumpen zu Ihnen kommt, Miß Trotwood, um sich an Sie zu wenden. Ich möchte Sie ganz offen auf die Folgen, soweit ich diese überblicken kann, aufmerksam machen, die auf Sie fallen, falls Sie seinen Bitten Gehör schenken.«
»Reden wir erst einmal von dem gewissen achtbaren Geschäft,« sagte meine Tante. »Sie hätten wohl Ihren eignen Sohn auch dorthin gebracht?!«
»Meines Bruders eigner Sohn würde einen andern Charakter gehabt haben,« fiel Miß Murdstone ein.
»Wenn seine Mutter, das arme Kind, noch am Leben wäre, hätten Sie ihn dann auch in dieses achtbare Geschäft gegeben?« fragte meine Tante.
»Ich glaube,« sagte Mr. Murdstone und neigte den Kopf ein wenig, »daß Klara keine Maßnahme bestritten hätte, die ich und meine Schwester Jane Murdstone für die beste würden gehalten haben.«
Miß Murdstone bestätigte es mit einem vernehmbaren Murmeln.
»Hm,« sagte meine Tante, »unglückseliges Geschöpf!«
Mr. Dick, der die ganze Zeit über mit seinem Gelde geklimpert hatte, klimperte jetzt so laut damit, daß meine Tante ihm einen ermahnenden Blick zuwerfen mußte, bevor sie fortfuhr:
»Des armen Kindes Leibrente hörte mit ihrem Tode auf?«
»Hörte mit ihrem Tode auf,« bestätigte Mr. Murdstone.
»Und es fand sich keine testamentarische Bestimmung vor, in der der kleine Besitz, das Haus und der Garten – der Krähenhorst ohne Krähen – dem Knaben zufallen sollte?«
»Ihr erster Gatte hatte ihr das Grundstück ohne alle Einschränkung hinterlassen,« wollte Mr. Murdstone seine Rede beginnen, als meine Tante ihn mit größter Heftigkeit und Ungeduld unterbrach.
»Herrgott, Mensch, das brauchen Sie mir nicht erst zu sagen. Ohne Einschränkungen hinterlassen! Ich kann mir David Copperfield vorstellen, wie er an Einschränkungen irgendeiner Art denkt, trotzdem sie ihm vor der Nase liegen. Natürlich war das Grundstück ohne Einschränkungen vererbt worden. Aber als sie sich wieder verheiratete, – den höchst unglücklichen Schritt tat, sich mit Ihnen zu verheiraten,« sagte meine Tante, »kurz und gut, hat damals niemand ein Wort für den Knaben eingelegt?«
»Meine selige Gattin liebte ihren zweiten Mann, Maam,« sagte Mr. Murdstone, »und verließ sich unbedingt auf ihn.«
»Ihre selige Gattin, Sir, war ein höchst unpraktisches, höchst gutmütiges, höchst unglückliches Kind,« entgegnete meine Tante und schüttelte drohend den Kopf. »Das war sie. Und was haben Sie noch weiter vorzubringen?«
»Nur noch eines, Miß Trotwood. Ich bin hier, um David mit mir zu nehmen. Ihn ohne Bedingung mit mir zu nehmen und über ihn zu verfügen, wie ich es für gut finde. Ich bin nicht hier, um irgend jemand ein Versprechen zu geben oder irgendwelche Verpflichtung zu übernehmen. Sie haben möglicherweise die Absicht, Miß Trotwood, ihm wegen seines Fortlaufens oder in irgend welchen Beschwerden gegen mich die Stange zu halten. Ihr Benehmen, das, ich muß es gestehen, mir nicht versöhnlich erscheint, veranlaßt mich, das zu glauben. Ich muß Sie aber darauf aufmerksam machen, daß, wenn Sie ihm einmal die Stange halten, Sie es damit für immer tun. Wenn Sie sich zwischen ihn und mich stellen, Miß Trotwood, so müssen Sie das für alle Zeiten tun. Ich kann nicht paktieren und habe keine Lust dazu. Ich bin einmal hergekommen, um ihn mitzunehmen, und tue es ein zweites Mal nicht mehr. Ist er bereit, mitzugehen? Wenn ers nicht ist, und nach Ihren Angaben ist ers nicht, aus welchem Grunde ist mir gleichgültig, so bleibt ihm meine Tür für alle Zeit verschlossen. Ihre, nehme ich an, wahrscheinlich geöffnet.«
Dieser Rede hatte meine Tante mit gespanntester Aufmerksamkeit zugehört. Sie saß kerzengerade da, die Hände über ein Knie gefaltet, und sah den Sprecher grimmig an. Als er fertig war, wandte sie ihre Augen mit einem befehlenden Blick auf Miß Murdstone, ohne ihre Stellung zu verändern.
»Nun, Maam? Haben Sie noch etwas zu bemerken?«
»Alles, Miß Trotwood, was ich sagen könnte, hat mein Bruder bereits so gut gesagt, und alles, was ich weiß, so klar dargelegt, daß ich weiter nichts hinzuzufügen habe, als – – meinen Dank für Ihre Höflichkeit. Für Ihre so außerordentliche Höflichkeit,« sagte Miß Murdstone mit einem Hohn, der meine Tante reizen sollte, sie jedoch so ruhig ließ, wie mich damals die Kanone, neben der ich in Chatham geschlafen hatte.
»Und was sagt der Junge dazu?« wandte sich meine Tante an mich. »Willst du mitgehen, David?«
Ich antwortete: »Nein!« und bat flehentlich, mich nicht fortzuschicken. Ich sagte, daß weder Mr. noch Miß Murdstone mich je geliebt hätten oder freundlich zu mir gewesen wären. Daß sie meine Mutter, die mich immer von Herzen lieb gehabt, meinetwegen unglücklich gemacht hätten, wie ich ganz gut wüßte und Peggotty auch. Ich sagte, daß es mir elender ergangen, als man sich angesichts meiner Jugend vorstellen könnte. Und ich bat und flehte meine Tante an, mich um meines Vaters willen zu beschützen und sich meiner anzunehmen.
»Mr. Dick?« fragte meine Tante, »was soll ich mit diesem Kind anfangen.«
Mr. Dick überlegte, schwankte und sagte dann strahlend:
»Lassen Sie ihm sogleich einen Anzug anmessen.«
»Mr. Dick,« sagte meine Tante triumphierend, »geben Sie mir die Hand. Ihr gesunder Menschenverstand ist unschätzbar.« Nachdem sie ihm herzlich die Hand gedrückt, zog sie mich zu sich und sprach zu Mr. Murdstone:
»Sie können jetzt gehen, wenn Sie Lust haben, ich will es mit dem Knaben versuchen. Wenn er wirklich derart ist, wie Sie ihn schildern, kann ich immer noch soviel für ihn tun, wie Sie getan haben. Übrigens glaube ich Ihnen natürlich kein Wort.«
»Miß Trotwood,« entgegnete Mr. Murdstone, stand auf und zuckte die Achseln, »wenn Sie ein Mann wären –«
»Bah! Dummes albernes Geschwätz!« sagte meine Tante. »Kommen Sie mir nicht mit so was.«
»Unendlich höflich!« rief Miß Murdstone aus und stand ebenfalls auf. »Überwältigend. In der Tat!«
»Glauben Sie vielleicht,« sagte meine Tante zu Mr. Murdstone, ohne seine Schwester zu berücksichtigen, »ich weiß nicht, was für ein Leben das arme unglückliche verblendete Kind mit Ihnen geführt hat! Glauben Sie vielleicht, ich weiß nicht, was für ein Unglückstag es für das sanfte kleine Wesen war, als Sie ihr das erstemal begegneten und sie anfeixten und unschuldige Augen machten, als ob Sie zu einer Gans nicht papp sagen könnten!«
»Ich habe noch nie eine so feine Sprache gehört, wahrhaftig,« rief Miß Murdstone.
»Glauben Sie, ich durchschaue Sie nicht?« fuhr meine Tante fort. »Ich sehe und höre Sie, als ob ich dabei gewesen wäre. Ich spreche mit Ihnen ganz frei von der Leber weg, wenn es mir auch kein Vergnügen ist. Gott steh uns bei, wer war so glatt und seidenweich, wie Mr. Murdstone zuerst! So einen Mann hat die arme, weichherzige Unschuld noch niemals gesehen. Er bestand nur aus Süßigkeit und betete sie an. Er schwärmte für ihren Knaben, ach, wie zärtlich! Er wollte ihm ein zweiter Vater sein, und sie würden alle zusammen in einem Rosengarten leben! Nicht wahr? Pfui Teufel, gehen Sie mir.«
»So eine Person habe ich noch in meinem ganzen Leben nicht gesehen!« rief Miß Murdstone.
»Und als Sie das arme kleine Närrchen ganz sicher gemacht hatten,« fuhr meine Tante wieder fort, »Gott verzeih mir, daß ich sie so nennen muß, nachdem sie dahingegangen ist, wohin Sie gewiß nicht besonders schnell kommen werden – mußten Sie sie, weil Sie ihr und den ihrigen noch nicht genug Unheil zugefügt hatten, noch ganz brechen, sie abrichten wie einen armen eingesperrten Vogel und sie ihr armes enttäuschtes Leben hinsiechen lassen, damit sie noch zu allem Ihr Lob singen lerne.«
»Sie ist entweder verrückt oder betrunken,« schrie Miß Murdstone in wahrer Verzweiflung, daß sie dem Strom der Beredsamkeit meiner Tante nicht auf sich ablenken oder ihn hemmen konnte, »sie muß betrunken sein.«
Ohne die Unterbrechung im mindesten zu beachten, fuhr Miß Betsey fort, bloß zu Mr. Murdstone zu sprechen.
»Mr. Murdstone,« sie deutete mit dem Finger auf ihn, »Sie waren ein Tyrann gegen das unschuldige Kind und – haben ihr das Herz gebrochen. Sie hatte ein liebebedürftiges Herz, das weiß ich und wußte es viele Jahre, bevor Sie sie noch gesehen hatten. Und wegen des besten Teils ihrer Schwächen gaben Sie ihr die Wunden, an denen sie starb. Das ist die Wahrheit zu Ihrer Erbauung. Mag es Ihnen gefallen oder nicht. Und Sie und Ihr Werkzeug können sich getroffen fühlen.«
»Erlauben Sie mir die Frage,« unterbrach Miß Murdstone, »wen Sie in einer Sprache, an die ich nicht gewöhnt bin, mit dem Werkzeug meinen?«
Stocktaub ihr gegenüber und vollständig unbeirrbar setzte Miß Betsey ihre Rede fort. »Es war mir lange klar, schon Jahre, bevor Sie sie sahen, daß das arme, weichherzige, kleine Geschöpf zu irgendeiner Zeit jemand heiraten würde. Warum gerade ihre Wahl so schlecht ausfiel, warum sie Ihnen nach dem unerforschlichen Willen der Vorsehung begegnen mußte, das zu begreifen ist dem Menschen unmöglich. Ich wußte es um die Zeit, wo sie diesen Knaben gebar, das arme Kind. Dieser arme Junge mußte Ihnen später dazu dienen, die unglückliche Mutter zu quälen. Darin liegt eben für Sie die peinliche Erinnerung und das macht Ihnen den Anblick des Knaben verhaßt. – – – Ja, ja, zucken Sie nur, ich weiß auch ohnedies, daß es wahr ist.«
Mr. Murdstone hatte die ganze Zeit über in der Tür gestanden und mit verzerrtem Gesicht gelächelt. Jetzt sah ich, wie das Lächeln und zugleich die Farbe einen Augenblick auf seinem Gesicht wichen und er nach Atem rang.
»Guten Tag, Sir, und recht glückliche Reise! Auch Ihnen empfehle ich mich, Maam,« – wandte sich meine Tante plötzlich an Miß Murdstone – »und wenn ich Sie noch einmal auf einem Esel über meinen Rasenfleck reiten sehe, haue ich Ihnen den Hut vom Kopf und zertrete ihn, so wahr Sie dastehen.«
Nur ein sehr geschickter Maler hätte das Gesicht meiner Tante bei diesem unerwarteten Ausfall und das Miß Murdstones malen können. Der Ton meiner Tante und ihr Benehmen waren so heftig, daß Miß Murdstone, ohne ein Wort zu sagen, den Arm ihres Bruders nahm und mit hochmütiger Miene das Haus verließ. Meine Tante blieb beim Fenster stehen und schaute ihnen nach, ohne Zweifel bereit, ihre Drohung sofort auszuführen, falls der Esel sich wieder zeigen sollte.
Da jedoch jede Herausforderung unterblieb, verschwand allmählich der strenge Ausdruck ihres Gesichtes und wurde so freundlich, daß ich mir ein Herz faßte, sie küßte und mich bei ihr bedankte. Ich tat es mit größter Herzlichkeit und schlang beide Arme um ihren Hals. Dann schüttelten Mr. Dick und ich uns die Hand und er hörte gar nicht wieder auf und begrüßte die glückliche Beendigung der Angelegenheit mit fröhlichem Gelächter.
»Sie haben sich jetzt mit mir zusammen als Vormund dieses Kindes zu betrachten, Mr. Dick,« sagte meine Tante.
»Es soll mich freuen,« sagte Mr. Dick, »der Vormund von Davids Sohn zu sein.«
»Also, das wäre abgemacht. Wissen Sie, Mr. Dick, daß ich auf den Gedanken gekommen bin, ihn Trotwood zu nennen?«
»Sehr gut, sehr gut. Nennen Sie ihn Trotwood,« stimmte Mr. Dick bei, »Davids Sohn Trotwood.«
»Trotwood-Copperfield, glauben Sie?«
»Ja. Allerdings. Ja, Trotwood-Copperfield,« gab Mr. Dick etwas beschämt zu.
Meine Tante griff diesen Gedanken mit solcher Lebhaftigkeit auf, daß einige noch an diesem Nachmittag für mich fertig gekaufte Kleidungsstücke von ihr mit eigner Hand und mit unverlöschlicher Tinte sofort Trotwood-Copperfield gezeichnet wurden, und man den Beschluß faßte, die andern Kleider, die für mich gemacht werden sollten, – an diesem Nachmittag wurde eine ganze Aussteuer für mich bestellt – in gleicher Weise zu zeichnen.
So begann ich ein neues Leben mit einem neuen Namen, und alles war neu rings um mich her. Jetzt, wo jeder Zweifel vorbei, kam ich mir Tage hindurch wie ein Träumender vor. Ich konnte gar nicht mehr ordentlich klar denken. Nur zweierlei stand mir als Gewißheit vor der Seele –, daß das alte Leben in Blunderstone weit in die Ferne gerückt erschien, und daß für immer ein Vorhang über meine Stellung bei Murdstone & Grinby gefallen war.
Niemand hat seitdem diesen Vorhang wieder gehoben. Ich selbst tat es in dieser Erzählung nur mit widerstrebender Hand, um ihn gern wieder fallen zu lassen.
Die Erinnerung an dieses Leben ist für mich mit solchem Schmerz verknüpft, mit so viel Seelenleid und Hoffnungslosigkeit, daß ich nie den Mut gehabt habe, genau nachzurechnen, wie lange diese Zeit gedauert hat. Ob ein Jahr, ob länger oder kürzer, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß es einst gewesen ist und aufgehört hat, zu sein. Das habe ich geschrieben und lasse es stehen.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.