Kitabı oku: «Weihnachtsmärchen», sayfa 6
Die Zauberglocken
Eine Geistergeschichte von einigen Glocken, die ein altes
Jahr aus-und ein neues einläuteten
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Das erste Viertel
Es gibt nicht viele Menschen - und da es wünschenswert ist, daß
zwischen einem Erzähler und seinem Leser möglichst von
vornherein ein gegenseitiges Einverständnis bestehe, so bitte ich,
darauf zu achten, daß ich meine Bemerkung nicht auf junge oder
kleine Leute beschränke, sondern sie auf alle ausdehne, mögen
sie nun klein oder groß, jung oder alt, erst in der Entwicklung
oder bereits wieder im Abstieg ihres Lebens sein - ich sage, es
gibt nicht viele Menschen, die gern in einer Kirche schlafen
möchten. Ich meine damit nicht während der Predigt und bei
warmem Wetter, was ein- oder zweimal tatsächlich
vorgekommen ist, sondern in der Nacht und al ein. Ich weiß,
sehr viele Menschen würden am hellichten Tag über eine solche
Zumutung aufs höchste überrascht sein, aber ich habe die Nacht
im Auge, und der Fal muß bei Nacht erörtert werden. Ich will
meine Behauptung in jeder stürmischen Winternacht erfolgreich
beweisen. Es braucht nur einer aus der Menge meiner Gegner
mit mir allein auf einem alten Friedhof vor einer alten Kirchentür
zusammenzutreffen und mir im voraus die Ermächtigung zu
erteilen, ihn, falls es zu seiner Überzeugung notwendig wäre, bis
zum Morgen dort einzuschließen.
Denn der Nachtwind hat die unheimliche Gewohnheit, ein
derartiges Gebäude stöhnend zu umwandeln, mit unsichtbarer
Hand an Fenster und Türen zu rütteln und irgendeine Spalte
Hand an Fenster und Türen zu rütteln und irgendeine Spalte
aufzuspüren, durch die er eintreten kann. Ist er endlich drinnen,
so winselt und heult er, um wieder hinauszukommen, wie
jemand, der nicht gefunden hat, was er sucht, wobei er sich nicht
begnügt, durch die Gänge zu wandern, um die Säulen zu
schlüpfen und die tieftönende Orgel zu probieren, sondern sich
auch zum Dach erhebt und das Gebälk zu erschüttern strebt;
dann wirft er sich verzweifelnd auf die Steine unten und dringt
murrend in die Grüfte.
Endlich kommt er verstohlen wieder herauf, schleicht an den
Wänden hin und scheint in Flüstertönen die Inschriften, die den
Toten geweiht sind, zu lesen. Bei einigen bricht er in schril e Töne
aus, wie Gelächter, während er an ändern ächzt und klagt, als
wäre er voll Trauer. In der Nähe des Altars stimmt er einen sehr
gespenstischen Ton an und singt in seiner wilden Weise von
Unrecht und Missetaten. Er hat eine schreckliche Stimme -
dieser Wind, der um Mitternacht in einer Kirche singt!
Aber hoch oben im Turm! Dort brüllen und pfeifen unheimliche
Stöße! Hoch oben im Turm, wo sie durch manche lustige
Öffnung frei aus- und einziehen, sich um die schwindelnde
Treppe winden, den stöhnenden Wetterhahn umherwirbeln und
sogar das Gemäuer zum Erschüttern bringen! Hoch oben im
Turm, wo sich der Glockenstuhl erhebt, wo die eisernen
Geländer vom Rost zerfressen werden und die Blei- und
Kupferplatten, abgenutzt vom wechselnden Wetter, unter dem
ungewohnten Tritt krachen und seufzen; wo Vögel ihre Nester in
ungewohnten Tritt krachen und seufzen; wo Vögel ihre Nester in
die Ecken des alten Eichengebälks bauen und der Staub alt und
grau wird. Hoch oben im Turm einer alten Kirche, weit über dem
Licht und Brausen der Stadt und weit unter den fliegenden
Wolken, die sie beschatten, ist der 72
wilde, traurige, nächtliche Ort, und hoch oben im Turm einer
alten Kirche hängen die Glocken, von
alten Kirche hängen die Glocken, von
denen ich spreche.
Es sind alte Glocken,
die vor Jahrhunderten von
Bischöfen getauft wurden
- vor so vielen Jahrhunderten,
daß
ihr
Taufregister
schon vor undenklichen Zeiten
verloren ging und
niemand mehr ihre Namen
kennt. Sie hatten ihre
Paten und Patinnen gehabt und
ohne Zweifel auch ihre
silbernen Becher erhalten;
silbernen Becher erhalten;
aber die Zeit mähte die
ersteren hin, und König
Heinrich VIII. hat die
letzteren eingeschmolzen - so
daß sie jetzt ohne Namen
und ohne Patengeschenk im
Kirchturm hingen.
Doch nicht ohne
Stimme und Sprache - weit
gefehlt. Sie hatten klare, laute, luftige, volltönende Stimmen, die
der Wind weit hintrug. Dabei waren sie aber viel zu trotzige
Glocken, um sich von der Willkür des Windes abhängig zu
machen. War er ihnen grillenhaft zuwider, dann kämpften sie
kräftig gegen ihn an und ließen ihre lieblichen Klänge recht
königlich in die lauschenden Ohren dringen. Ins besonders waren
sie darauf erpicht, in stürmischen Nächten irgendeine arme
Mutter, die bei einem kranken Kind wachte, oder eine einsame
Frau, deren Mann zur See fuhr, zu grüßen, und so hatten sie
schon manches Mal einen pustenden Nordwester „ganz in
Krämpfe geschlagen", wie Toby Veck sagte; denn obwohl man
ihn Trotty Veck zu nennen pflegte, hieß er doch Toby und
niemand konnte ihn ohne ausdrückliche Parlamentsakte zu etwas
anderem machen. War er doch zu seiner Zeit ebenso gesetzlich
getauft worden wie die Glocken zu der ihrigen, obwohl nicht mit
ganz soviel Feierlichkeit oder öffentlichem Jubel.
Ich bekenne mich für meinen Teil zu Toby Vecks Auffassung,
denn ich bin überzeugt, daß er hinreichend Gelegenheit hatte,
sich eine richtige Ansicht zu bilden. Was daher Toby Veck sagte,
sage ich auch, und ich stel e mich Toby zur Seite, obwohl er den
lieben langen Tag genau vor der Kirchentür stand - was
wahrhaftig kein Vergnügen war. Er war nämlich ein Dienstmann
und wartete dort darauf, daß ihn jemand brauchte.
Freilich ein windiger, gänsehäutiger, blaunasiger, rotäugiger,
steinzehiger und zähneklappernder Warteplatz zur Winterszeit,
wie Toby Veck wohl wußte. Der Wind kam um die Ecke gerast
- besonders der Ostwind -, als sei er ausdrücklich von den
Grenzen der Erde losgestürmt, um Toby einmal tüchtig
anzuwehen. Ja, oft schien er sogar früher auf ihn zu stoßen, als er
erwartet hatte; denn er raste um die Ecke und fuhr an Toby
vorbei, drehte aber dann plötzlich wieder um, als wol te er
ausrufen: „Ei, da ist er ja!" Im nächsten Augenblick flog dann
seine kleine weiße Schürze wie das Röckchen eines wilden
Jungen über seinen Kopf, und man sah das schwache Stöcklein
vergeblich in seiner Hand ringen und kämpfen, während seine
vergeblich in seiner Hand ringen und kämpfen, während seine
Beine in furchtbare Aufregung gerieten und Toby selbst in
schräger Körperhaltung, das Ges icht bald da bald dorthin
wendend, so umhergetrieben und umhergestoßen, wohl auch von
den Füßen gehoben wurde, 73
daß es fast ein Wunder war, wenn er nicht gleich einer Kolonie
von Fröschen, Schnecken oder anderen tragbaren Geschöpfen
von Fröschen, Schnecken oder anderen tragbaren Geschöpfen
in die Luft entführt und in irgendeinem fernen Erdenwinkel, wo
Dienstmänner unbekannt sind, zum großen Erstaunen der
Eingeborenen niedergeregnet wurde.
Windiges Wetter war übrigens doch eine Art Festtag für Toby,
obwohl es ihn so rauh behandelte. Denn er schien im Wind nicht
so lange auf ein Sixpencestück warten zu müssen wie zu ändern
Zeiten. Der Kampf mit dem ungestümen Element lenkte seine
Aufmerksamkeit ab und frischte ihn auf, wenn er hungrig und
übellaunig wurde. Auch ein harter Frost oder ein Schneegestöber
wurde für ihn zu einem Ereignis und schien ihm in einer oder der
ändern Weise gutzutun, obgleich sich der eigentliche Grund nur
schwer angeben ließe. So waren Wind, Frost, Schnee und
vielleicht ein tüchtiger Hagel für Toby Veck die rotgedruckten
Tage im Kalender. Nasses Wetter war das Schlimmste - die
kalte, unfreundliche, klebrige Feuchtigkeit, die ihn wie ein nasser
Mantel einhüllte -
die einzige Art von Mantel, die Toby sein eigen nennen konnte,
die er aber um seiner Gemächlichkeit willen trotzdem gern
entbehrt hätte. Nasse Tage, wenn der Regen langsam, dicht und
hartnäckig niederfiel- wenn die Kehlen der Straßen, wie seine
eigene, von Nebel erstickt waren - wenn dampfende Schirme hin
und her gingen und wie ebensoviele Kreisel tanzten, sooft sie auf
dem gedrängt vollen Fußweg aneinanderstießen und einen
kleinen Sprühregen fataler Tröpfchen niederspritzen ließen -
wenn die Dachrinnen klatschten und die Regenabflüsse voll und
wenn die Dachrinnen klatschten und die Regenabflüsse voll und
lärmend waren - wenn das Naß von dem vorspringenden
Gestein der Kirche, tropf-tropf-tropf auf Toby niederrieselte und
den Strohwisch, auf dem er stand, im Nu in bloßen Schmutz
verwandelte - das waren für ihn Tage der Heimsuchung. Man
konnte dann unseren Toby ängstlich und mit trostlosem, langem
Gesicht unter seinem Schutzdach in einer Ecke der
Kirchenmauer hervorgucken sehen - einem so schmalen
Schutzdach freilich, daß es zur Sommerszeit nie einen breiteren
Schatten auf das sonnige Pflaster warf als ein dicker
Spazierstock. Bald aber kam er wieder heraus, um sich durch
Bewegung warm zu machen, und trabte ein paar dutzendmal auf
und ab, und da das schon genügte, um ihn
aufzuheitern, so kehrte er
dann wieder in besserer
Laune zu seiner Nische
zurück.
Man nannte ihn Trotty
wegen seines Ganges, der
Eile zumindest andeuten
sol te. Er wäre vielleicht
sol te. Er wäre vielleicht
schnel er vom Reck
gekommen, wenn er
einfach gegangen wäre;
aber würde man ihn seines
Trotts beraubt haben, so
hätte er sich zu Bett gelegt,
um zu sterben. Zwar
beschmutzte er sich
dadurch bei schlechtem
Wetter; sein Trab brachte
ihn in alle möglichen
Schwierigkeiten, und es
wäre unendlich bequemer
für ihn gewesen, zu gehen;
aber gerade das war der Grund dafür, daß er so hartnäk-kig
aber gerade das war der Grund dafür, daß er so hartnäk-kig
daran festhielt. Denn obgleich ein schwaches, schmächtiges,
kleines altes Männlein, war Toby doch 74
ein wahrer Herkules an guter Absicht. Er liebte es, sein Geld
wirklich zu verdienen. Der Gedanke, daß er seinen Lohn wert
sei, bereitete ihm Genuß, und bei seiner Armut konnte er nicht
leicht auf einen Genuß verzichten. Mit einem Auftrag, der ihm
einen Schil ing oder achtzehn Pence eintrug, oder mit einem
kleinen Päckchen in der Hand, steigerte sich sein Mut, an dem es
ihm nie gebrach, nur um so höher. Während er dahintrabte,
pflegte er schnel gehenden Briefträgern vor ihm zuzurufen, sie sol
ten ihm den Weg freigeben, weil er nicht anders glaubte, als daß
er im natürlichen Lauf der Dinge sie unausbleiblich einholen und
niederrennen müsse. Auch lebte er in der festen Überzeugung,
die freilich nicht oft auf die Probe gestellt wurde, daß er alles zu
tragen imstande sei, was ein Mensch zu heben vermöge.
Toby trabte daher auch, wenn er an einem nassen Tag aus
seinem Winkel hervorkam, um sich zu wärmen. Er trabte, wenn
er mit lecken Schuhen eine krumme Linie schlammiger
Fußstapfen in den Straßenschmutz drückte und, mit gebeugten
Knien und seinem Rohrstock unter dem Arm, in seine frostigen
Hände blies oder sie gegeneinander rieb, da sie gegen die
durchbohrende Kälte nur durch ärmliche und fadenscheinige
grauwollene Fäustlinge geschützt waren, in denen nur die
Daumen eine einzelne, die übrigen Finger aber eine
gemeinschaftliche Herberge hatten. Ebenso trabte er, wenn er in
gemeinschaftliche Herberge hatten. Ebenso trabte er, wenn er in
die Straße hinausging, um bei dem Klang der Glocken nach dem
Turm hinaufzusehen.
Diesen letzten Ausflug machte er mehrmals am Tag, denn die
Glocken gaben ihm Gesellschaft, und wenn er ihre Stimme hörte,
so blickte er gern nach ihrem Wohnplatz hinauf, sich dabei
Gedanken machend, wie sie sich bewegten und was für Hämmer
auf sie schlügen. Vielleicht hatten sie um so mehr Interesse für
ihn, weil zwischen ihnen und ihm selbst manche Übereinstimmung
bestand. Sie hingen da bei jedem Wetter, in Wind und Regen,
und betrachteten nur die Außenseite aller jener Häuser, ohne je
den lodernden Feuern nahe zu kommen, die durch die Fenster
leuchteten oder zu den Schornsteinen herauspusteten; auch
waren sie nicht imstande, an den guten Dingen teilzuhaben, die
ohne Unterlaß durch die Haustüren und Küchengeländer an
umfangreiche Köchinnen abgegeben wurden. Viele Gesichter
kamen an die Fenster und entfernten sich wieder- hübsche
Gesichter bisweilen, jugendliche Gesichter, angenehme
Gesichter, hin und wieder aber auch das Gegenteil. Doch Toby
wußte ebensowenig wie die Glocken ( wie oft er auch, wenn er
müßig in den Straßen stand, Betrachtungen über diese
Kleinigkeiten anstellte), woher sie kamen und wohin sie gingen,
oder ob im ganzen Jahr nur ein einziges freundliches Wort über
ihn gesprochen wurde, wenn sich die Lippen bewegten.
Toby war kein Kasuist — seinem Wissen nach wenigstens nicht
-, und ich will nicht behaupten, daß er derartige Betrachtungen
-, und ich will nicht behaupten, daß er derartige Betrachtungen
einzeln anstellte oder eine förmliche Heerschau über seine
Gedanken hielt, als er begann, eine Zuneigung zu den Glocken zu
fassen und seine erste oberflächliche Bekanntschaft mit ihnen zu
einem dichteren und feineren Gewebe zu verarbeiten.
Und wenn ich diese Empfindung sogar Liebe genannt hätte, so
würde ich das Wort nicht zurücknehmen, obgleich es kaum dem
vielfältigen Inhalt seines 75
Gefühls gerecht geworden wäre. Denn da er bloß ein einfacher
Mann war, so bekleidete er sie mit einem wundersamen und
feierlichen Charakter. Sie waren so geheimnisvoll - oft gehört
und doch nie gesehen -, so hoch oben, so weit weg und von so
tiefem, kräftigem Klang, daß er mit einer Art Ehrfurcht zu ihnen
aufblickte. Ja, wenn er die dunklen, gewölbten Fenster des
Turmes betrachtete, so erwartete er bisweilen halb und halb, es
werde ihm etwas zuwinken, was keine Glocke war und doch in
den Klängen ihm so oft ins Ohr getönt hatte.
Dennoch wies Toby mit Entrüstung ein unbestimmtes Gerücht
zurück, daß die Töne behext seien, weil das soviel hieß, als
ständen sie möglicherweise zu etwas Bösem in Beziehung. Mit
einem Wort, sie tönten sehr oft in seine Ohren, beschäftigten sehr
oft seine Gedanken und standen stets hoch in seiner Achtung;
auch bekam er nicht selten, wenn er lange mit weit offenem
Mund an dem Kirchturm hinaufgeschaut hatte, einen so steifen
Hals, daß er hinterdrein ein paar Extratrabe vollführen mußte, um
dieses unangenehme Übel wieder loszuwerden.
Mit dieser Tätigkeit war er eben, an einem kalten Tag
beschäftigt, als der letzte schläfrige Ton des Zwölfuhrschlages
wie eine ungeheure, melodische, wenn auch sehr träge Biene,
durch den ganzen Turm summte.
„Wie, Zeit zum Mittagessen?" sagte Toby, vor der Kirche auf
und ab trottend.
„Ah!"
Tobys Nase und Augenlider waren sehr rot, er blinzelte gewaltig,
seine Schultern waren seinen Ohren ganz nahe, und aus seinen
Beinen wollte die Steifheit nicht weichen. Er machte deutlich den
Eindruck, daß er nicht bloß kühl, sondern schon tüchtig frostig
war.
„Zeit zum Mittagessen?" wiederholte Toby, wobei er den
Fäustling seiner rechten Hand wie einen Boxhandschuh
gebrauchte und gegen seine Brust schlug.
Danach gab er sich ein paar Minuten lang einem stummen Trab
hin.
„Es gibt nichts -" sagte Toby, aufs neue losbrechend; aber mit
einem Mal machte er in seinem Trott halt und betastete mit einem
Gesicht, in dem sich Interesse mit etwa Unruhe mischte, seine
Nase sorgfältig von unten bis oben. Er war bald damit fertig,
Nase sorgfältig von unten bis oben. Er war bald damit fertig,
denn er war mit Nase nicht al zu reichlich gesegnet und so war
der Weg nur kurz.
„Ich dachte, sie wäre fort", sagte Toby, während er seinen Trab
wieder aufnahm. „Es ist aber alles in Ordnung. Übrigens könnte
ich es ihr nicht einmal übel nehmen, wenn sie sich davonmachen
wol te. Sie hat einen harten Dienst bei diesem schlechten Wetter,
und dabei hat sie herzlich wenig zu erwarten, denn ich nehme nie
eine Prise. Und selbst zu den besten Zeiten wird das gute arme
Organ viel geprüft, denn wenn es wirklich einmal ein liebliches
Düftchen erfaßt, was nicht al zuoft geschieht, so kommt's
gewöhnlich von dem Mittagessen eines ändern, das von dem
Bäcker nach Hause getragen wird."
Diese Betrachtung erinnerte ihn an die andere, die er unbeendigt
gelassen hatte.
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„Es gibt nichts Regelmäßigeres", fuhr er fort, „als die Wiederkehr
der Mittagessenszeit, und nichts Unregelmäßigeres als das
Kommen des Mittagessens selbst. Da besteht ein großer
Unterschied, und es hat mich viel Zeit gekostet, bis ich es
herausgefunden habe. Möchte doch wissen, ob sich's nicht für
einen Gentleman der Mühe lohnte, diese Bemerkung für die
Zeitungen oder für das Parlament zu kaufen!"
Toby meinte das bloß im Scherz, denn er schüttelte in
gravitätischer Selbstverneinung den Kopf.
„Du lieber Himmel!" sagte er, „die Zeitungen sind voller
Bemerkungen, und ebenso ist's auch mit dem Parlament. Da
habe ich eine Nummer von der letzten Woche"—er zog ein sehr
schmutziges Blatt aus seiner Tasche und hielt es auf Armlänge
vor sich hin — „nichts als Bemerkungen — nichts als
Bemerkungen!
Ich möchte so gern wie irgendjemand sonst Neuigkeiten
erfahren", fügte er langsam hinzu, während er den Bogen noch
ein wenig kleiner zusammenfaltete und ihn wieder in die Tasche
steckte; „aber es geht mir fast wider den Strich, jetzt Zeitung zu
lesen. Ich habe beinahe Angst davor. Was sol noch aus uns
armen Leuten werden! Got gebe, daß das herannahende
Neujahr uns etwas Besseres bringe!"
„Vater! Vater!" rief eine angenehme Stimme in der Nähe. Aber
Toby hörte sie nicht, sondern fuhr fort, vor und zurück zu traben,
während er sich in weiteren Gedanken erging und mit sich selbst
sprach.
„Es ist, als ob mit uns nichts Rechtes werden könne", sagte
Toby. „Als ich jung war, bin ich nicht eifrig in die Schule
geschickt worden, und ich kann nicht dahinterkommen, ob wir
auf der Erde etwas zu schaffen haben oder nicht.
Bisweilen denke ich, wir hätten es, wenn auch nur ein wenig,
dann aber meine ich wieder, wir wären bloß lästig. Mitunter weiß
ich gar nicht mehr, was ich denken soll, so daß ich nicht einmal
mit nur ins Reine kommen kann, ob überhaupt etwas Gutes an
uns ist oder ob wir böse geboren wurden. Es sieht aus, als täten
wir schreckliche Dinge und seien ungeheuer lästig; man beklagte
sich immer über uns und trifft Maßnahmen, um sich vor uns zu
schützen. Irgendwie sind die Zeitungen immer voll von uns. Da
spreche man nun vom Neujahr", fuhr Toby traurig fort. „Ich kann
zu den meisten Zeiten soviel aushalten wie ein anderer - mehr
sogar als die meisten, denn ich bin stark wie ein Löwe, was sich
nicht von allen Leuten sagen läßt; aber gesetzt den Fall, es wäre
wirklich wahr, daß wir kein Recht auf ein Neujahr habengesetzt,
wir" wären wirklich bloß lästig —"
„Vater! Vater!" ließ sich die liebliche Stimme abermals
vernehmen.
Toby hörte es diesmal; er stutzte, blieb stehen, wandte seine
Augen, die er in die Ferne hatte schweifen lassen, als suche er
mitten im Herzen des herannahenden Jahres nach einer
Erleuchtung, wieder seiner Umgebung zu und fand sich seinem
eigenen Kind gegenüber, das ihn anschaute.
Und es hatte ein Paar recht hel er Augen - Augen, in die eine
ganze Welt schauen mochte, ehe sie ihre Tiefe ergründen konnte.
Dunkle Augen, die die hineinblickenden Augen widerspiegelten,
Dunkle Augen, die die hineinblickenden Augen widerspiegelten,
nicht indem sie ihnen abs ichtlich 77
entgegenblitzten, sondern mit einem klaren, ruhigen, ehrlichen,
geduldigen Glanz. Augen, schön, wahr und hoffnungsstrahlend -
mit so junger und frischer, mit so zuversichtlicher und freudiger
Hoffnung, trotz der zwanzig Jahre voller Arbeit und Armut, die
sie gesehen hatten, daß sie Trotty Veck zu sagen schienen: „Ich
glaube, wir haben auf der Erde etwas zu schaffen - ein wenig!"
Trotty küßte die Lippen, die zu den Augen gehörten, und
drückte das blühende Gesicht zwischen seine Hände.
„Ei, Herzchen", sagte Trotty, „was gibt's? Ich habe dich heute
nicht erwartet, Meg."
„Auch ich habe nicht aufs Kommen gerechnet, Vater", rief das
Mädchen, indem es lächelnd mit dem Kopf nickte. „Aber da bin
ich - und obendrein nicht allein; nicht allein!"
„Wie, du willst doch nicht sagen", bemerkte Trotty, neugierig
nach einem bedeckten Korb blickend, den sie in der Hand trug,
„daß du -"
„Riecht daran, lieber Vater", versetzte Meg. „Riecht einmal!"
Trotty war eben im Begriff, hastig den Deckel abzuheben, als
das Mädchen scherzend mit der Hand dazwischenfuhr.
„Nein, nein, nein", sagte Meg mit der Freude eines Kindes. „So
„Nein, nein, nein", sagte Meg mit der Freude eines Kindes. „So
geschwind geht's nicht. Ich will nur den Deckekand ein klein
bißchen aufheben", fügte sie hinzu, indem sie ganz sacht den
Worten die Handlung folgen ließ und dabei so leise sprach, als
fürchte sie, etwas im Korb drinnen könnte sie hören. „So. Nun,
was ist es?"
Toby schnüffelte ein klein wenig an dem Rand des Korbes und
rief entzückt:
„Ei, es ist heiß!"
„Es ist brennend heiß", versetzte Meg. „Hahaha! Es ist siedend
heiß".
„Hahaha!" brüllte Toby mit einem Luftsprung. „Es ist siedend
heiß."
„Aber was ist es, Vater?" fragte Meg. „Ihr habt noch nicht
erraten, was es ist, und das müßt Ihr jetzt tun. Ich kann nicht
daran denken, es herauszunehmen, bis Ihr's erraten habt. Nicht
so hastig — wartet eine Minute. Ich will ein bißchen mehr von
dem Deckel zurückschieben. Jetzt ratet!"
Meg war geradezu in Angst, er könnte zu bald das Richtige
erraten, und wich deshalb ein wenig zurück, während sie ihm den
Korb hinhielt. Zugleich zog sie ihre hübschen Schultern in die
Höhe und hielt s ich die Ohren mit der Hand zu, als könnte sie so
das rechte Wort von Tobys Lippen fernhalten. Dabei lachte sie
die ganze Zeit über leise vor sich hin. Toby hatte mittlerweile die
Hände auf die Knie gelegt und seine Nase zu dem Korb
niedergebeugt und sog nun den Duft, , der da herausströmte, tief
ein. Während er das tat, wurde das Grinsen auf seinem welken
Gesicht immer breiter, als atme er Lachgas ein.
„Ah, das riecht prächtig", sagte Toby. „Ist es nicht - es wer- .
den doch keine Bratwürste sein?"
„Nein, nein, nein!" rief Meg entzückt. „Nichts da von
Bratwürsten!"
Nein", fuhr Toby nach einem abermaligen Schnüffeln fort, es ist -
es ist feiner als Bratwürste. Es riecht recht gut und mit jedem
Augenblick besser. Der Geruch ist zu stark für Schweinsfüße -
nicht wahr?"
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Meg war außer sich vor Freude. Er hätte nicht weiter vom Ziel
abschießen können als mit Schweinsfüßen - die Bratwürste
ausgenommen.
„Leber?" sagte Toby zu sich selber. „Nein. Der Geruch hat eine
Milde, die nicht zu Leber paßt. Eisbein? Nein. Er ist zu stark für
Eisbein. Auch fehlt ihm der Beigeschmack der Hahnenköpfe. Ich
will dir sagen, was drinnen ist -
will dir sagen, was drinnen ist -
Kuttemecke!" „Nein, nein", erwiderte Meg mit einem Ausbruch
des Entzückens.
„Nicht erraten!"
„Ei, an was denke ich auch!" entgegnete Toby, plötzlich eine so
aufrechte Stellung einnehmend, wie ihm möglich war. „Ich werde
zuletzt noch meinen eigenen Namen vergessen. Es ist Gekröse!"
Es war Gekröse, und Meg beteuerte in Freude, er werde gleich
sagen, es sei das beste Gekröse, das je geschmort wurde.
„Und so will ich jetzt gleich den Tisch decken, Vater", fuhr Meg
fort, indem sie sich jubelnd mit dem Korb beschäftigte; „denn ich
habe das Gekröse in einer Schüssel gebracht und die Schüssel in
ein Tuch eingebunden. Wenn ich nun einmal stolz sein und es als
Tischtuch ausbreiten will, so kann mich kein Gesetz hindern, es
Tischtuch zu nennen. Ist's nicht so, Vater?"
„Nicht daß ich wüßte, meine Liebe", sagte Toby. „Aber sie
bringen jeden Augenblick ein neues Gesetz heraus."
„Und nach dem, was ich Euch neulich aus der Zeitung vorlas,
Vater - Ihr wißt, was der Richter sagte -, glaubt man, wir armen
Leute kennten sie alle.
Haha! Welch ein Irrtum! Du meine Güte, sie halten uns für
gewaltig gescheit!"
gewaltig gescheit!"
„Ja, meine Liebe", rief Trotty, „und sie würden eine gewaltige
Freude an einem von uns haben, der sie wirklich alle wüßte. Er
würde fett werden von der Arbeit, die er kriegte, dieser Mann,
und er hätte einen Stein im Brett bei allen vornehmen Leuten in
seiner Nachbarschaft. Gewiß und wahrhaftig!"
„Wer er auch sei, er würde sein Mittagessen mit Appetit
verzehren, wenn es so gut röche wie dieses", sagte Meg heiter.
„Tummelt Euch, Vater, denn da sind außerdem auch noch ein
paar heiße Kartoffeln und eine halbe Kanne Bier frisch vom Faß.
Wo wol t Ihr essen, Vater? Auf dem Pfosten oder auf den
Stufen?
Lieber Himmel, wie gut wir's haben -zwei Plätze, zwischen
denen man wählen kann!"
„Heute auf den Stufen, mein Kind", versetzte Trot y. „Bei
trockenem Wetter auf den Stufen, bei nassem auf dem Pfosten.
Die Stufen sind immer bequemer, weil man dabei sitzen kann;
aber wenn's naß ist, kriegt man Rheumatismus."
„Hier also", sagte Meg, und klatschte bald darauf einladend in
die Hände.
„Hier ist es - al es bereit. Und wie schön es aussieht! Kommt,
Vater, kommt!"
Seit Trotty endeckt hatte, was in dem Körbchen war, stand er
da und blickte sie fortwährend, auch wenn er mit ihr sprach, in
einer merkwürdig zerstreuten Weise an. Es ließ s ich daraus
entnehmen, daß er, mochte sie auch der ausschließliche
Gegenstand seiner Gedanken und Augen sein, sogar das
Gekröse nicht ausgenommen, nicht entfernt an sie dachte, wie sie
in diesem Augenblick war, sondern irgendeinen geträumten
Entwurf ihres künftigen Lebens vor sich hatte. Durch ihre heitere
Aufforderung geweckt, unterdrückte er jetzt ein 79
melancholisches Kopfschütteln, und trabte an ihre Seite. In dem
Augenblick, in dem er sich zum Sitzen niederbeugte, erklangen
die Glocken. „Amen !"sagte Trotty, seinen Hut abnehmend und
zu ihnen raufblickend. „Amen den Glocken, Vater? rief Meg.
„Sie fielen ein wie ein Tischgebet, mein Liebes ", sagte Trotty,
während er Platz nahm. „Ich bin überzeugt, sie würden ein
schönes sprechen, wenn sie könnten. Überhaupt sagen sie mir
manche angenehmen Dinge."
„Die Glocken, Vater?" lachte Meg, während sie die Schüssel
hinstellte und Messer und Gabel dazulegte. „Ei, der Tausend!"
„Sie scheinen's zu tun, mein Herz", versetzte Trotty, während er
hungrig über das Essen herfiel. „Und wo ist da der Unterschied?
Wenn ich sie nur höre, was macht es aus, ob sie sprechen oder
nicht? Gott behüte dich, mein Kind", fügte er hinzu, indem er mit
der Gabel zum Turm deutete und unter dem Einfluß seines Mahls
der Gabel zum Turm deutete und unter dem Einfluß seines Mahls
lebhafter wurde, „wie oft habe ich jene Glocken sagen hören:
,Toby Veck, Toby Veck, sei guten Muts, Toby! Toby Veck,
Toby Veck, sei guten Muts, Toby!' Millionen Mal? Reicht nicht -
noch öfter!" „Ei, ich nie!" rief Meg.
Dennoch hatte sie es schon oft und oft gehört, denn es war
Tobys beständiger Gesprächsgegenstand. „Wenn es recht
schlecht geht", fuhr Trotty fort „ich meine, wenn es recht schlecht
geht — fast am schlechtesten, dann rufen sie:
,Toby Veck, Toby Veck, bald kommt Arbeit, Toby! Toby
Veck, Toby Veck, bald kommt Arbeit, Toby!'" „Und sie kommt
dann auch - wirklich, Vater", versetzte Meg mit einem Anflug
von Trauer in ihrer Stimme. „Immer", erwiderte der arglose
Toby. „Bleibt nie aus." Während dieses Gesprächs machte
Trotty keine Pause in seinen Angriffen auf das gute Essen vor
ihm, sondern schnitt ab und aß, schnitt ab und trank, schnitt ab
und kaute, kam von dem Gekröse zu den heißen Kartoffeln und
von den heißen Kartoffeln wieder zu dem Gekröse zurück - al es
mit einem glücklichen Wohlbehagen. Als er jedoch einmal um die
Straßenecke sah, um sich zu überzeugen, ob man nicht von
irgendeiner Tür oder einem Fenster nach einem Dienstmann
winke, begegneten seine Augen auf dem Rückweg dem
Mädchen, das mit verschlungenen Armen ihm gegenübersaß und
mit glücklichem Lächeln seiner emsigen Tätigkeit zusah.
„Ach, Gott!" rief Trotty, indem er Messer und Gabel fallen ließ.
„Ach, Gott!" rief Trotty, indem er Messer und Gabel fallen ließ.
„Meg, mein Täubchen, warum sagst du mir nicht, was ich für ein
selbstsüchtiger Kerl bin?"
„Vater!"
„Sitze ich da", fuhr Trotty in reuiger Erklärung fort, „und stopfe
mich voll, während du vor mir bist, ohne auch nur einen Bissen
zu nehmen."
„Ach, Vater, ich habe mein Mittagessen schon gehabt",
unterbrach ihn seine Tochter lachend.
„Rede keinen Unsinn", versetzte Trot y. „Zwei Mittagessen an
einem Tag?
Nicht möglich! Du könntest mir ebensogut sagen, daß zwei
Neujahrstage auf einmal kommen, oder daß ich mein ganzes
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.