Kitabı oku: «David Copperfield», sayfa 4
Charles Dickens.
Geboren den siebenten Februar 1812.
Gestorben den neunten Juni 1870.
Die höchsten Erinnerungen an die beiden Künste, die er liebte, umgeben ihn, wo er ruht. Ihm zunächst ist Richard Cumberland. Mrs. Pritchards Denkmal blickt auf ihn nieder und unmittelbar dahinter ist das David Garricks. Auch ist die entzückende Kunst des Schauspielers nicht würdiger vertreten als das edlere Genie des Autors. Dem Grabe gegenüber und zu seiner Linken und Rechten sind die Denkmäler Chaucers, Shakespeares und Drydens, der drei Unsterblichen, die am meisten getan haben, die Sprache zu schaffen und zu gestalten, der Charles Dickens einen andern unvergänglichen Namen gegeben hat.
Dies möge von den Lebensnachrichten des großen englischen Humoristen genügen. Dem Leser, der sich für ein ausführlicheres Bild von Charles Dickens interessiert, sei das fesselnd und liebevoll eingehende Werk empfohlen: Charles Dickens Leben. Von John Forster. Ins Deutsche übertragen von Friedrich Althaus. (Vom Verfasser autorisierte Übersetzung.) Drei Bände in Lex. 8° (391, 458 und 542 Seiten, mit Porträts und Abbildungen). Berlin 1872-1875 bei R. v. Decker. Die englische Ausgabe »Life of Dickens« (London 1871-1873, 3 Vol.) ist auch bei Tauchnitz erschienen; ebenda Briefe von Dickens in 3 Bänden, herausgegeben von John Forster.
David Copperfield. Einleitung des Herausgebers.
Der Ruhm von Dickens stand nie so hoch als zur Zeit der Vollendung von David Copperfield. Die Popularität, die dieses Buch von Anfang an errang, wuchs in einem Maße wie bei keinem vorhergehenden Werke, mit Ausnahme Pickwicks. Wenn das Talent nicht größer war als im Chuzzlewit, so übte der Gegenstand doch eine größere Anziehungskraft aus; die Begebenheiten waren mannigfaltiger, das Spiel der Charaktere freier, und außerdem herrschte eine, allerdings allgemeine und unbestimmte Vermutung, die das Interesse nicht wenig verschärft hatte, daß nämlich der Dichtung etwas aus dem Leben des Autors zugrunde liege. Aus seinem handschriftlichen Nachlasse hat sich nun einerseits ergeben, daß in David Copperfield allerdings Wahrheit und Dichtung eng miteinander verflochten sind, anderseits aber zugleich, daß man mit der Identifizierung von Dickens mit David Copperfield früher viel zu weit gegangen ist. Die Lebensgeschichte des Dichters deckt sich mit der des David Copperfield nicht weiter als die traurigen Hungerford-Szenen reichen! Hier ist nun freilich die interessante Tatsache zu verzeichnen, daß Dickens lange vor der Konzeption des David Copperfield seine Autobiographie zu schreiben begonnen hatte, und daß er das Bruchstück, das von seinen mit Bob Fagin und Paul Green verlebten Jahren handelte, ohne wesentliche Änderungen dem Romane einverleibte. Alles, was über diese Episode hinausgeht, ist nicht Autobiographie, sondern eitel Fiktion. Besonders irrig ist es, in dem Charakter des David Copperfield den von Dickens suchen zu wollen, man müßte denn beide nach Analogie des Satzes einander nahe bringen wollen, daß sich die Gegensätze berühren.
Hat nun auch das Bekanntwerden der wirklichen Dickensschen Lebensgeschichte auf der einen Seite dazu beigetragen, unsern Roman eines guten Teils seines autobiographischen Reizes zu entkleiden, so hat es doch auf der andren Seite zugleich das Interesse an ihm, sowie an allen übrigen Dickensschen Romanen wesentlich erhöht, in die Personen aus dem Kreise des Dichters in poetischer Umhüllung verwoben sind. Der Brauch, Romancharakteren Originale aus dem wirklichen Leben zugrunde zu legen, ist in der englischen Literatur zwar älter als Dickens (schon Smollett und Fielding, auch W. Scott haben ihn befolgt), aber keiner hat ihn in so originaler Weise auszubeuten verstanden wie gerade er. Wo ihm auch eine bemerkenswerte Charakterseite an einem Menschen entgegentrat, griff er sie auf und verwertete sie in seinen Werken. Ja, er ging nach Modellen förmlich auf die Suche. Daß in Mr. Micawber sein Vater porträtiert ist, wurde bereits in der Haupt-Einleitung: »Charles Dickens. Sein Leben und Schaffen« erwähnt.
Die Freiheit, mit der Dickens seine Romanfiguren lebenden Personen anähnelte, fand nicht bei allen, deren er sich bemächtigte, die gleiche Beurteilung. Während die einen ein wahres Vergnügen und selbst eine Ehre darin fanden, ihrem Ebenbilde in Dickensscher Idealisierung oder auch Karikierung in einem seiner Werke zu begegnen, fühlten sich andere unangenehm davon berührt, ihre persönlichen Eigenschaften und häuslichen Verhältnisse durch den Dichter auf den öffentlichen Markt hinausgetragen zu sehen. Obschon nun dem Dichter aus keinem seiner Romane peinlichere Unannehmlichkeiten erwuchsen, als aus Bleak House, in dem er seinen Freund Leigh Hunt unter dem Namen Skimpole eine mehr als zweifelhafte Rolle spielen ließ, so ist es ihm doch auch bei David Copperfield begegnet, daß jemand aus seiner Bekanntschaft Verwahrung dagegen einlegte, sich in unliebsamer Weise in den Roman verflochten zu sehen. Dies geschah von einer Dame, die in Miß Moucher die Karikatur ihres eigenen Ichs erkannte. Nun konnte Dickens zwar das einmal Geschehene nicht ungeschehen machen, aber er wußte doch noch Abhilfe zu schaffen. Während es nämlich ursprünglich in seinem Plane gelegen hatte, die Figur der Miß Moucher in höchst bedenklicher Weise zu verwerten, gab er nun noch zu rechter Zeit der ganzen Sache eine solche Wendung, daß ihr Charakter in durchaus günstigem Lichte erscheint und einen nichts weniger als unangenehmen Eindruck hinterläßt. Wie geschickt der Dichter dabei verfuhr, zeigt sich dem Leser bei einer aufmerksamen Vergleichung des 32. mit dem 22. Kapitel.
Alle Personen, die uns im David Copperfield entgegentreten, hier einzeln Revue passieren zu lassen, hieße der Wirkung des Romans Eintrag tun: die beredteste Sprache zum Herzen des Lesers sprechen sie selbst. Nur über den Roman als Ganzes mögen noch einige Worte hier Platz finden. Keines der Dickensschen Werke nimmt gegenüber der allgemeinen Bemerkung, der Dichter ermangele bis zu einem gewissen Grade der Gabe konsequenter Charakterzeichnung, eine solche Ausnahmestellung ein, wie gerade David Copperfield. Hier heben sich alle Personen in scharfen Konturen voneinander ab, und befinden sich unter ihnen auch nicht gerade jene Meistergebilde, durch die der Dickenssche Humor unsterblich geworden ist, so hat doch die Phantasie des Dichters nirgends eine reichere Fülle gänzlich voneinander verschiedener Charaktere zu schaffen vermocht. In keinem anderen Dickensschen Romane schließt sich die Handlung so folgerichtig und ungezwungen an Charaktere an, von denen sie ausgeht; nirgends zeigt sich des Dichters Begabung für das Pathetische in glänzenderem Lichte als in der Sturmszene am Schlusse des David Copperfield, wo der Leichnam des Verführers tot in die Trümmer des Hauses geschleudert wird, das er verödet, und an die Seite des Mannes, dessen Herz er gebrochen hat, während der eine ebensowenig weiß was ihm mißlungen war zu erreichen, als der andere, was er durch seinen Untergang gerettet. Aus seinem eigenen Munde weiß man, daß dieser Roman das Lieblingsprodukt seines Verfassers von Anfang an gewesen und bis ans Ende geblieben ist; aber auch ohne dieses Zeugnis würde man an der Wärme des Tones, der das ganze Werk durchweht, die liebende Hingabe, die ihm der Dichter gewidmet hat, erkennen. Keiner seiner Romane trägt das Gepräge seines Geistes deutlicher an der Stirne, und keiner wird mehr dazu beitragen, den Namen Dickens späteren Geschlechtern zu übermitteln, als gerade David Copperfield.
Daß die Begebenheiten sich leicht entwickeln und bis ans Ende mit den Charakteren, von denen sie einen Teil ausmachen, in natürlichem und anspruchslosem Zusammenhange stehen, kann wohl hier mit größerer Wahrheit behauptet werden, als von irgend einem anderen Romane von Dickens. Es ist ein Überfluß von eigentümlichen und deutlich erkennbaren Personen darin und ein verschwenderischer Reichtum an Detail; aber die Einheit des Planes und Zweckes ist immer klar, und der Ton ist durchweg der richtige. Durch den Gang der Ereignisse lernen wir den Wert der Entsagung und Geduld, des ruhigen Ertragens unvermeidlicher Übel kennen, und alles in den Schicksalen der handelnden Personen fordert uns auf, unsere edeln Triebe zu stärken und die Reinheit des häuslichen Lebens zu wahren. Es ist daher leicht die außerordentliche Popularität Copperfields zu erklären, auch wenn man nicht das hinzufügt, daß der Roman wohl kaum einen Leser, Mann oder Knaben, Frau oder Mädchen, gehabt haben kann, der nicht entdeckte, daß er selbst etwas von diesem Kinde an sich hatte. Kindheit und Jugend leben für uns alle von neuem in seinen wunderbaren Kindeserfahrungen auf.
Daß das Werk auch seine Fehler hat, ist gewiß, aber keine, die mit den meisterhaftesten Eigenschaften unverträglich sind, und ein Buch wird unsterblich nicht durch den Umstand, daß keine Fehler darin sind, sondern dadurch, daß trotz alledem Genie darin ist. Wer sollte nicht, um nur einige Personen aus diesem Prachtroman namhaft zu machen, Betsey Trotwood lieben? Eckig, rauh, überspannt, aber die Großmut und Rechtschaffenheit selber, ein in allen seinen Teilen gründlich durchgeführter Charakter, ein knorriges Stück weibliches Holz, gesund bis ins Mark, eine Frau, die durch vollkommene Weiblichkeit den zartesten ihres Geschlechtes angehört. Dickens hat an durchgreifender Echtheit und Wahrheit nichts Besseres geschaffen als Betsey Trotwood. Es ist eine ihrer Wunderlichkeiten, einen Narren zum Gefährten zu haben, aber es ist auch eine Wunderlichkeit, in der die größte Angemessenheit und Weisheit liegt. Durch eine in »Wilhelm Meister« hingeworfene Zeile: daß die wahre und zugleich vollkommen mögliche Art, Wahnsinnige zu behandeln darin bestehe, mit ihnen zu verfahren, als ob sie gesund wären, antizipierte Goethe ein Mittel gegen das furchtbarste Leiden der Menschheit, das erst ein Jahrhundert später zur Anwendung gebracht wurde; und was Mrs. Trotwood für Mr. Dick tut, geht noch einen Schritt weiter, indem es zeigt, wie oft man ohne Irrenhäuser fertig werden und wie groß die Zahl schwachsinniger Menschen sein könnte, die sich, mit einiger Geduld, in ihren eigenen Häusern behandeln ließen.
Andere, sowohl durch Wahrheit als durch Wunderlichkeit gleich bemerkenswerte Gestalten sind die freundliche alte Pflegefrau und ihr Mann, der Fuhrmann, dessen Erlebnisse von Liebe wie von Sterblichkeit zusammengedrängt sind in drei seitdem in die allgemeine Verkehrssprache, übergegangenen Worte Barkis ist willens. Und obgleich Miß Dartle eigentümlich unangenehm ist, so hat doch auch sie einige recht natürliche Züge, so z. B. ihre Eigentümlichkeit nie etwas geradeheraus zu sagen, sondern es nur anzudeuten und dadurch die Sache, erst recht aufzubauschen. Was Ms. Steerforth betrifft, so verdient es Erwähnung, daß Thackeray eine Art Zuneigung für sie fühlte. »Ich wußte, wie es kommen würde, als ich zu lesen anfing« sagte er in einem ganz von ihm selbst handelnden Briefe, den er gleich nach, dem Auftreten von Mrs. Steerforth in dem Romane schrieb. »Meine Briefe an meine Mutter sind gerade so; aber sie hat sie gern, gerade wie Mrs. Steerforth. Gefällt Mrs. Steerforth Ihnen nicht?«
In der Verwandlung des brutalen Schulmeisters der früheren Kapitel in die milde Obrigkeitsperson von Middlesex am Schlüsse liegt eine gesunde und sehr wirksame Satire. Auch begegnet man nirgend einem feineren Humor, als bei dem provinziellen Leichenbesorger, der die Kürze seines Atems durch die Fülle seines Herzens ersetzt und so wenig von dem Vampirauge des städtischen Leichenbesorgers in Chuzzlewitt hat, daß er sich nicht einmal nach kranken Freunden erkundigen mag, aus Furcht vor unfreundlicher Deutung. Die ganze den Roman durchdringende Mischung von Heiterkeit und Trauer wird geschickt in die Behandlung dieses Teiles aufgenommen, und unter Heiratsanträgen und Vorbereitungen zu Hochzeiten und in das Lauten der Kirchenglocken zur Taufe hört man das beständige Rattattat des Hammers auf dem Sarge.
Von den Heldinnen, die die lebhafte, leicht gelenkte, nicht treulose, aber arg-verwirrte Neigung des Helden teilen, ist die verzogene Torheit und Zärtlichkeit der liebenden, kleinen und so kindlich-naiven Frau Dora anziehender, als die so unfehlbare Weisheit und selbstaufopfernde Güte der engelgleichen Frau Agnes. Die Szenen, die die Liebeswerbung und den Haushalt darstellen, sind unvergleichlich, und die Einblicke in Doktors-Commons, die jene Ansichten Mr. Spenlows über die Eitelkeit der menschlichen Erwartungen und die Inkonsequenz seiner Handlungsweise einleiten, bilden einen höchst angemessenen Hintergrund zu Davids häuslichem Leben. Dies gehörte unter die in den Roman aufgenommenen persönlichen Erlebnisse; aber eine traurigere Erkenntnis stellte sich einige Jahre später mit her Überzeugung ein, daß Davids Vergleiche, während der ersten Zeit seines ehelichen Lebens, zwischen dem Glück, das er genoß, und dem Glück, das er einst erwartete, »der unbestimmte unglückliche Verlust oder Mangel an Etwas«, worüber er so oft klagte (vgl. die Haupt-Einleitung), auch eine persönliche Erfahrung abspiegelten, die in der Wirklichkeit nicht so erfolgreich ersetzt würde als in der Dichtung des Romanes. Schließlich sei noch erwähnt, daß der Einfluß Copperfields auf den deutschen Roman besonders klar zu spüren ist: Hammer und Amboß von Friedrich Spielhagen, und teilweise auch Soll und Haben von Gustav Freytag, sind dem Geiste und besonders in vielen Partien der Handlung nach mehr mit dem Dickensschen Werke verwandt, als sich die beiden Autoren dessen vielleicht selber bewußt waren.
Erstes Kapitel. Meine Geburt.
Ob ich schließlich der Held meines eigenen Lebens werde, oder ob jemand anders diese Stelle einnehmen wird, das sollen diese Blätter zeigen. Um mit dem Anfang meines Lebens zu beginnen, berichte ich, daß ich (wie man mir später erzählt hat und wie ich auch glaube) an einem Freitag um zwölf Uhr mitternachts geboren bin. Wie man sagt, fing zu gleicher Zeit die Uhr zu schlagen und ich zu schreien an.
In Anbetracht von Tag und Stunde meiner Geburt erklärten die Wärterin und einige weise Frauen, die sich schon seit Monaten lebhaft für mich interessiert hatten, noch bevor die Möglichkeit einer persönlichen Bekanntschaft vorhanden war, erstens, daß ich im Leben kein Glück haben, und zweitens, daß mir die Fähigkeit beschieden sein würde, Geister und Gespenster zu sehen, denn beide Gaben würden unabänderlich allen unglücklichen Kindern beiderlei Geschlechts verliehen, die um Freitag Mitternacht zur Welt kämen.
Über ersteres brauche ich nichts zu sagen, denn meine Lebensgeschichte beweist besser als alles andere, ob sich diese Prophezeiung erfüllt hat oder nicht. Was die zweite Fähigkeit betrifft, so muß ich dies Erbteil entweder als bewußtloser Säugling verscherzt haben oder es ist mir noch nicht zugefallen. Aber ich beklage mich durchaus nicht, daß mir dieser Besitz bisher vorenthalten worden ist, und sollte sich jetzt ein anderer seiner erfreuen, so gönne ich ihm den herzlich gern.
Ich wurde mit einer Glückshaube geboren, und man bot sie in der Zeitung zu dem niedrigen Preise von fünfzehn Guineen aus. Ob damals die seefahrende Bevölkerung sehr arm an Geld oder arm an Glauben war und daher Korkjacken vorzog, weiß ich nicht, aber jedenfalls erfolgte nur ein einziges Angebot. Es kam von einem Notar her, einem Wechselmakler, der zwei Pfund Sterling bar anbot und das übrige in Sherry geben wollte, aber die Sicherheit gegen das Ertrinken zu keinem höheren Preise erkaufen mochte.
Ich erblickte in Blunderstone in Suffolk das Licht der Welt oder dort herum, wie sie in Schottland sagen. Ich bin ein nachgebornes Kind. Die Augen meines Vaters schlossen sich sechs Monate eher, als sich die meinigen öffneten. Noch jetzt kommt mir der Gedanke seltsam vor, daß er mich niemals gesehen habe, und noch seltsamer erscheint mir aus meiner ersten Kindheit die dunkle Erinnerung an den weißen Grabstein auf dem Kirchhofe, und meine innige Trauer bei dem Gedanken, daß er dort draußen allein liege in der dunklen Nacht, während unser kleines Wohnzimmer warm und hell war von Feuer und Licht; und daß die Haustür vor ihm verschlossen und verriegelt war, kam mir manchmal fast grausam vor.
Eine Tante meines Vaters, also eine Großtante von mir, über die ich noch viel zu erzählen haben werde, war die angesehenste Person in unsrer Familie. Miß Trotwood oder Miß Betsey, wie meine arme Mutter sie stets nannte, wenn sie die Scheu vor dieser gefürchteten Dame hinlänglich überwand, was nur selten geschah, war mit einem Gatten verheiratet gewesen, jünger als sie und sehr schön, nur nicht im Sinne des biedern Sprichworts: »Schön ist, wer schön handelt« – denn er stand im starken Verdachte, Miß Betsey geprügelt zu haben, und einmal sogar soll er einer Summe Geldes wegen in der Hitze nur zu deutliche Anstalten gemacht haben, sie zum Fenster im zweiten Stocke hinauszuwerfen. Diese Unerträglichkeit der Gemütsart veranlaßte Miß Betsey, sich von ihm loszukaufen und in eine Trennung durch gegenseitige Übereinkunft zu willigen. Er ging mit seinem Kapital nach Ostindien, und dort will man ihn nach einer abenteuerlichen Familiensage einmal mit einem Affen auf einem Elefanten haben reiten sehen; aber ich glaube, es wird wohl eine indische Äffin gewesen sein. Soviel ist sicher, daß zehn Jahre später aus Indien die Nachricht von seinem Tode eintraf. Was meine Tante dabei fühlte, weiß niemand, denn sie hatte unmittelbar nach der Trennung ihren Mädchennamen wieder angenommen und sich ein Landhäuschen in einem weit entlegenen Flecken an der Seeküste gekauft; dort lebte sie mit einer einzigen Dienerin in äußerster Zurückgezogenheit.
Mein Vater war früher einmal ihr Liebling gewesen, aber sie fühlte sich tödlich beleidigt durch seine Heirat, weil meine Mutter ein »Wachspüppchen« war. Sie hatte meine Mutter zwar nie gesehen, wußte aber, daß sie noch nicht zwanzig Jahre alt war. Mein Vater und Miß Betsey sahen sich seitdem nie wieder. Er war doppelt so alt wie meine Mutter, als er sie heiratete, und von zarter Gesundheit. Ein Jahr darauf starb er, wie gesagt, sechs Monate vor meiner Geburt.
Dies war der Stand der Dinge am Nachmittag jenes, wie ich mir wohl erlauben darf zu sagen, wichtigen und ereignisvollen Freitags. Ich kann natürlich keinen Anspruch darauf erheben, zu wissen, wie die Sachen damals standen; oder das, was hier folgt, aus eigener Anschauung zu berichten.
Meine Mutter saß am Kamin, sehr leidend und niedergedrückt, schaute durch ihre Tränen in das Feuer und sann trübe über ihr und des vor der Geburt Verwaisten Schicksal nach, zu dessen Empfang schon oben in einem Schubkasten einige Gros Nadelklammern bereit lagen, während sonst die Welt seinem Erscheinen mit ziemlichem Gleichmut entgegensah. Es war also ein heller, windiger Märznachmittag, und sie saß betrübt, niedergeschlagen und von bangen Zweifeln erfüllt, ob sie glücklich die zu erwartende schwere Prüfung durchmachen werde, am Kaminfeuer, als sie, ihre Augen trocknend, aufblickte, und durch das gegenüberliegende Fenster eine fremde Dame zum Garten hereintreten sah. Beim ersten Blick schon hatte meine Mutter die sichere Ahnung, daß es Miß Betsey sei. Die untergehende Sonne warf ihre Strahlen über die Garteneinzäunung auf die fremde Dame, und diese näherte sich der Tür mit einer so unbeugsamen Strenge in Gesicht und Haltung, wie sie nur ihr angehören konnte.
Als sie das Haus erreicht hatte, gab sie noch einen andern Beweis ihrer Identität. Mein Vater hatte nämlich oft erwähnt, daß sie sich selten wie ein gewöhnlicher Christenmensch benehme, und dies tat sie auch diesmal; denn anstatt die Glocke zu ziehen, trat sie ans Fenster und drückte ihre Nase mit solcher Heftigkeit gegen das Glas, daß meine arme gute Mutter nachher immer erzählte, die Nase sei urplötzlich ganz platt und weiß geworden.
So sehr erschrak meine Mutter über sie, daß ich immer überzeugt gewesen bin, ich verdanke es der Miß Betsey, an einem Freitag geboren worden zu sein.
In ihrem Schreck war die Mutter aufgestanden und hinter den Stuhl in eine Ecke getreten. Miß Betsey sah sich indes langsam und forschend im Zimmer um, wobei sie am andern Ende der Stube anfing, und wendete maschinenmäßig, wie ein Türkenkopf auf einer holländischen Wanduhr, ihren Kopf, bis ihre Blicke endlich auf meiner Mutter haften blieben. Dann zog sie die Stirne kraus und winkte meiner Mutter wie eine, die das Befehlen gewohnt ist, die Tür aufzumachen. Meine Mutter gehorchte.
»Mrs. David Copperfield, wie ich vermute«, sagte Miß Betsey. Der Nachsatz galt wohl der Trauerkleidung und dem Zustande meiner Mutter.
»Ja«, sagte meine Mutter schüchtern.
»Miß Trotwood«, sagte der Besuch. »Sie haben von ihr gehört, hoffe ich.«
Meine Mutter entgegnete, sie habe das Vergnügen gehabt, und hatte dabei das unangenehme Bewußtsein, nicht danach auszusehen, als ob es ein überwältigendes Vergnügen gewesen sei. »Jetzt steht sie vor Ihnen«, erklärte Miß Betsey. Meine Mutter verbeugte sich und bat sie einzutreten.
Sie trat in die Wohnstube, wo meine Mutter gesessen hatte, denn das Besuchszimmer auf der andern Seite des Flures war dunkel und war nicht erleuchtet gewesen seit meines Vaters Leichenbegängnis; und als sie beide Platz genommen hatten und Miß Betsey nichts sagte, fing meine Mutter, nach vergeblichem Bemühen sich zu fassen, zu weinen an.
»O still doch, still!« sagte Miß Betsey beschwichtigend. »Nur das eine nicht! Bitte, bitte!«
Aber meine Mutter konnte doch nicht anders, und ihre Tränen flossen, bis sie sich ausgeweint hatte.
»Nehmen Sie die Trauerhaube ab, Kind,« sagte Miß Betsey, »daß ich Sie ansehen kann.«
Meine Mutter war zu sehr eingeschüchtert, um dieses wunderliche Verlangen abzuschlagen, selbst wenn sie es gewollt hätte. Daher entsprach sie dem Wunsche, tat es aber mit so zitternden Händen, daß ihr das Haar, das sehr üppig und schön war, wirr über das Gesicht fiel.
»Ach mein Himmel, du bist ja noch ein wahres Kind!« rief Miß Betsey aus, in das Du verfallend.
Allerdings sah meine Mutter selbst für ihre Jahre noch ungewöhnlich jung aus, und nun ließ sie den Kopf sinken, als ob es ihre Schuld wäre, und sagte schluchzend, daß sie freilich befürchte, sie sei ein wahres Kind von einer Witwe, und werde wohl auch ein Kind von einer Mutter sein, falls sie am Leben bliebe. In der kurzen Pause, die hierauf folgte, kam es ihr fast vor, als ob Miß Betsey ihr Haar berühre und zwar mit keiner unsanften Hand; aber als sie schüchtern hoffend aufblickte, saß die Dame steif da, ihr Kleid aufgenommen, die Hände über ein Knie gefaltet, die Füße auf den Kaminvorsetzer gestemmt und mit grimmigem Blick ins Feuer schauend.
»Aber in des Himmels Namen«, sagte Miß Betsey plötzlich. »Warum Krähenhorst?« »Meinen Sie das Haus, Madame?« fragte meine Mutter.
»Warum Krähenhorst?« sagte Miß Betsey. »Hühnerstall oder dergleichen wäre passender gewesen, wenn ihr beide überhaupt Begriffe vom praktischen Leben gehabt hättet.«
»Mr. Copperfield hat den Namen gewählt«, erwiderte meine Mutter »Als er das Haus kaufte, war ihm der Gedanke lieb, daß Krähen in der Nähe waren.«
Der Abendwind fegte in diesem Augenblick so heftig durch die alten, hohen Ulmen am Ende des Gartens, daß sowohl meine Mutter als Miß Betsey ihre Augen dorthin wandten. Als sich die Ulmen so gegeneinander neigten wie Riesen, die sich Geheimnisse zuflüsterten, dann, nachdem sie einige Sekunden so niedergebeugt verharrt hatten, in heftige Bewegungen gerieten und mit ihren phantastischen Armen in die Luft emporfuhren, als ob diese Geheimnisse zu gräßlich wären für ihre Seelenruhe, wurden auf ihren höchsten Zweigen ein paar alte, vom Sturm zerzauste Krähennester wie Wracks auf stürmischer See hin und her geschleudert.
»Wo sind die Vögel?« fragte Miß Betsey.
»Wie?« Meine Mutter hatte bereits an etwas anderes gedacht.
»Die Krähen – wo sind sie hingekommen?« fragte Miß Betsey.
»Seit wir hier sind, haben wir keine gesehen«, sagte meine Mutter. »Wir glaubten – Mr. Copperfield glaubte, es sei ein großer Krähenhorst, aber die Nester waren alt, und die Vögel haben sie seit langer Zeit verlassen,«
»Ganz David Copperfield'sch!« sagte Miß Betsey. »Der echte wirkliche David Copperfield; nennt ein Haus einen Krähenhorst, wenn keine Krähe in der Nähe ist, und hält die Vögel im guten Glauben für vorhanden, weil er die Nester sieht!«
»Mr. Copperfield ist tot,« gab meine Mutter zur Antwort »und wenn Sie es wagen, unfreundlich über ihn zu sprechen mir gegenüber –« Ich glaube, meine arme Mutter hatte einen Augenblick wirklich die Absicht, sich an meiner Tante tätlich zu vergehen, die sie leicht mit einer Hand bezwungen hätte, selbst wenn meine Mutter in einer bessern Verfassung für einen solchen Kampf gewesen wäre, als heute abend. Aber beim Aufstehen verging die Anwandlung und sie setzte sich wieder sehr demütig hin und sank in Ohnmacht.
Als sie wieder zu sich kam, oder als Miß Betsey sie zu sich gebracht hatte, sah sie letztere am Fenster stehen. Die Dämmerung war inzwischen bereits zur Dunkelheit geworden, daß sich die beiden Frauen beim Scheine des Feuers noch gerade erkennen konnten.
»Nun?« sagte Miß Betsey und trat wieder an den Stuhl, als ob sie nur einen Augenblick habe hinaussehen wollen, »und wann, meinst du –?«
»Ich zittere an allen Gliedern«, stammelte meine Mutter. »Ich weiß nicht, was mir fehlt, ach, ich sterbe sicherlich,«
»Nein, nein, nein!« sagte Miß Betsey. »Trink eine Tasse Tee.«
»Ach Gott, ach Gott! Meinen Sie, daß mir das gut sein wird?« rief meine Mutter in weinerlichem Tone und ganz hilflos.
»Natürlich«, sagte Miß Betsey. »Es ist alles nur Einbildung. – Wie heißt denn das Mädchen?«
»Ich weiß nicht, ob es ein Mädchen sein wird«, sagte meine Mütter unschuldig. ^
»Gott segne dich mein Kind«, rief Miß Betsey und zitierte unwillkürlich die Inschrift auf dem Nadelkissen, das auf der Kommode lag, nur meinte sie mit dem Kind meine Mutter und nicht mich. – »Das meine ich nicht. Ich meine das Dienstmädchen.«
»Peggotty«, sagte meine Mutter.
»Peggotty!« wiederholte Miß Betsey mit einiger Entrüstung. »Willst du damit sagen, Kind, daß ein Mensch jemanden in einer Christenkirche Peggotty habe taufen lassen?«
»Es ist ihr Vatersname«, sagte meine Mutter schüchtern. »Mr. Copperfield nannte sie so, weil sie den gleichen Taufnamen mit mir hat.«
»Heda, Peggotty!« rief Miß Betsey hinaus, indem sie die Stubentür öffnete. »Tee! Deine Herrschaft ist ein bißchen unwohl. Aber rasch ein bißchen!«
Nachdem sie diesen Befehl so herrisch gesprochen hatte, als ob sie von jeher die anerkannte Gebieterin des Hauses gewesen wäre, und die erstaunte Peggotty gemustert hatte, die verwundert über die fremde Stimme mit einem Lichte in der Hand in den Flur hinausgetreten war, machte Miß Betsey die Tür wieder zu und nahm Platz wie vorhin, die Füße abermals auf den Kaminvorsetzer gestemmt, das Kleid etwas aufgenommen, und die Hände über ein Knie gefaltet.
»Du meinst also, es könnte ein Mädchen werden«, sagte Miß Betsey. »Ich zweifle gar nicht daran, ich habe eine Ahnung, daß es ein Mädchen sein muß. Also, Kind, von dem Augenblick der Geburt des Mädchens an –«
»Oder vielleicht Knaben«, erlaubte sich meine Mutter einzuwerfen.
»Ich sage dir ja, ich ahne gänzlicher, daß es ein Mädchen ist«, entgegnete Miß Betsey. »Widersprich mir also nicht! Von dem Augenblick der Geburt dieses Mädchens an, Kind, will ich seine Freundin sein. Ich will seine Patin werden, und sie soll Betsey Trotwood Copperfield heißen. Mit dieser Betsey Trotwood Copperfield muß im Leben alles gut gelingen. Mit ihren Gefühlen soll nicht frevelhaft gespielt werden. Sie muß gut auferzogen und in acht genommen werden, damit sie ihr Vertrauen nicht törichterweise an Unwürdige verschenkt. Und das soll meine Sorge sein!«
Miß Betsey warf bei jedem dieser Sätze den Kopf zur Seite, als ob das erlittene Unrecht vergangener Zeiten in ihr wieder lebendig würde, und sie jede noch deutlichere Anspielung darauf nur mit großer Anstrengung zurückhielte. So dachte wenigstens meine Mutter, als sie sie bei dem schwachen Feuerschein beobachtete, aber sie war von Miß Betsey zu sehr eingeschüchtert, selbst zu verlegen, und von dem Besuch zu bestürzt, als daß sie hätte genau beobachten oder etwas sagen können.
»Und war David gut gegen dich, Kind?« fragte Miß Betsey, als sie eine Weile geschwiegen hatte und die Bewegungen ihres Kopfes allmählich ausgehört hatten. »Habt Ihr Euch immer gut vertragen?«
»Wir lebten sehr glücklich«, sagte meine Mutter. »Mr. Copperfield war nur zu gut gegen mich.«
»Ah, er hat dich also verzogen?« erwiderte Miß Betsey.
»Ich fürchte sehr, er hat mich insofern verzogen, als es mir schwer sein wird, ganz allein und ohne Stütze wieder in die rauhe Welt zu treten«, schluchzte meine Mutter.
»Na, na, schon gut, nur nicht weinen!« sagte Miß Betsey. »Ihr wart eben nicht passend verheiratet, Kind – wenn man überhaupt passend verheiratet sein kann – und deshalb frage ich. Du warst ja Wohl eine Waise, Kind, nicht wahr?«
»Ja!«
»Und Gouvernante?«
»Ja, zweite Gouvernante in einer Familie, die Mr. Copperfield als Gast häufig besuchte. Mr. Copperfield war immer sehr freundlich und aufmerksam gegen mich und machte mir zuletzt einen Heiratsantrag. Und ich sagte: Ja. Und so wurden wir Mann und Frau«, sagte meine Mutter ganz schlicht und treuherzig.