Kitabı oku: «Denkwürdigkeiten des Pickwick-Klubs», sayfa 8

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Die letzten milden Strahlen der scheidenden Sonne fielen auf die Erde, warfen ihren feurigen Glanz auf das wogende Kornfeld und verlängerten die Schatten der Fruchtbäume des Gartens, als er vor dem alten Hause stand: der Heimat seiner Kindheit, nach der er sich während der ganzen langen Jahre seiner Gefangenschaft und seines Elends so unbeschreiblich gesehnt hatte. Die Umzäunung war niedrig, wiewohl er sich der Zeit noch erinnerte, wo sie ihm wie eine hohe Wand vorgekommen war, und er sah über sie in den alten Garten. Er erblickte mehr Pflanzen und schönere Blumen, als sonst hier zu finden waren. Aber die Bäume waren noch die alten – derselbe Baum, unter dem er tausendmal im Schatten gelegen, wenn er des Spielens in der Sonne überdrüssig war, unter dem ihn so oft der sanfte Schlaf der glücklichen Kindheit befallen hatte. Er hörte Stimmen im Hause. Er lauschte, aber sie schlugen fremdartig an sein Ohr: er kannte sie nicht. Sie waren zu fröhlich, und er wußte wohl, daß seine arme Mutter nicht heiter sein konnte, solange sie ihn fern wußte. Die Tür öffnete sich, und eine Schar kleiner Kinder hüpfte schreiend und schäkernd heraus. Der Vater erschien auf der Schwelle mit einem Knäbchen auf dem Arme. Sie drängten sich um ihn und zogen ihn mit ihren zarten Händchen heraus, damit er an ihren fröhlichen Spielen teilnehme. Der Arme dachte daran, wie oft er an dieser Stelle vor dem strengen Gesicht seines Vaters geflohen. Er erinnerte sich, wie oft er seinen zitternden Kopf unter der Bettdecke versteckt, und die rauhen Worte, die harten Schläge und das Jammern seiner Mutter gehört. Wenn er nun auch in tiefem Seelenschmerz laut aufschluchzte, als er den Ort verließ, so hatte doch eine grimme, tödliche Leidenschaft seine Fäuste geballt und seine Zähne übereinander gebissen.

Das also war die Rückkehr, nach der er so viele Jahre lang geschmachtet, und für die er so manche Leiden erduldet hatte? Keine Miene des Willkomms, kein Blick der Verzeihung, kein gastfreundliches Haus, keine hilfreiche Hand – und alles das in seinem väterlichen Dorfe! Was war seine Einsamkeit in den dichten Wäldern, in die noch keines Menschen Fuß gedrungen, gegen diese Gefühle!

Er sah, da er sich seinen Geburtsort im fernen Lande seiner Verbannung und Schmach gedacht hatte, wie er ihn verlassen, nicht wie er ihn bei seiner Rückkehr finden würde. Die traurige Wirklichkeit verwundete sein Herz tief und schlug seinen Mut völlig nieder. Er getraute sich nicht, die einzige Person, von der er eine mitleidige und liebevolle Aufnahme erwarten konnte, zu erfragen und aufzusuchen. Langsam ging er weiter und vermied wie ein schuldbewußter Verbrecher den gewöhnlichen Pfad. Er schlug den Weg nach einer wohlbekannten Wiese ein, warf sich ins Gras und barg das Gesicht in die Hände.

Er hatte nicht bemerkt, daß ein Mann neben ihm auf dem Boden lag. Seine Kleider knitterten, als er sich umwandte, um einen verstohlenen Blick auf den neuen Ankömmling zu werfen, und Edmunds hob den Kopf in die Höhe.

Der Mann hatte eine sitzende Stellung angenommen. Sein Leib war gekrümmt, sein Gesicht durchfurcht und blaßgelb. Sein Anzug kennzeichnete ihn als einen Bewohner des Armenhauses. Er sah sehr alt aus: aber das schien mehr die Wirkung von Ausschweifungen und Krankheit, als von einem langen Leben zu sein. Lange starrte er den Fremden an. Seine Augen, die anfangs matt und glanzlos waren, nahmen allmählich den Ausdruck einer außerordentlichen Unruhe an und glühten immer unheimlicher und unheimlicher, bis sie aus ihren Höhlen zu springen drohten. Edmunds richtete sich langsam auf seine Knie empor und sah dem alten Mann immer aufmerksamer ins Gesicht. Sie starrten einander schweigend an.

Der Greis war geisterblaß. Er schauderte und trat zitternd auf seine wankenden Füße. Edmunds näherte sich ihm. Er bebte einen oder zwei Schritte zurück. Edmunds trat auf ihn zu.

›Laßt mich Eure Stimme hören‹, sagte der Verbannte mit dumpfer, bebender Stimme.

›Weg von mir‹, rief der Greis mit einem schrecklichen Fluche. Der Verbannte trat näher.

›Weg von mir‹, schrie der Greis. Wütend erhob er seinen Stock und versetzte Edmunds einen derben Schlag über die Nase.

›Vater! – Teufel!‹ murmelte der Verbannte zwischen den Zähnen. Er sprang wild auf und packte den Alten bei der Kehle – aber es war sein Vater, und sein Arm fiel kraftlos nieder.

Der Greis stieß einen gellenden Schrei aus, der über die einsamen Felder hintönte, wie das Geheul eines bösen Geistes. Sein Gesicht wurde schwarzblau. Das Blut strömte ihm aus Mund und Nase und färbte das Gras dunkelrot. Er wankte und fiel zu Boden. Ein Blutgefäß war ihm gesprungen, und er lag da – eine Leiche, ehe noch sein Sohn ihn aus der Blutlache aufrichten konnte.«

»In dem Winkel des Kirchhofs,« fuhr der alte Herr nach minutenlangem Schweigen fort, »in der Ecke des Kirchhof«, von dem wir gesprochen haben, ruht ein Mann, der nach diesem Ereignis drei Jahre lang mein Arbeiter gewesen, und der die demütigste Reue und Zerknirschung zeigte, die nur jemals auf einem Sterblichen gelastet hat. Niemand außer mir wußte zu seinen Lebzeiten, wer er war oder woher er kam – es war John Edmunds, der zurückgekehrte Verbannte.«

Achtes Kapitel: Wie Herr Winkle, anstatt auf die Taube zu schießen und die Krähe zu töten, auf die Krähe schoß und die Taube verwundete; wie der Kricketklub von Dingley Dell gegen Muggleton spielte, und wie Muggleton auf Kosten von Dingley Dell speiste, nebst andern anziehenden und lehrreichen Gegenständen.

Die ermüdenden Abenteuer des Tages oder die einschläfernde Wirkung der Erzählung des Geistlichen hatten einen solchen Einfluß auf Herrn Pickwicks Schlafsucht ausgeübt, daß er wenige Minuten, nachdem er in sein behagliches Schlafzimmer geführt worden war, in einen gesunden und traumlosen Schlaf verfiel, aus dem er nicht eher erwachte, als bis die goldenen Strahlen der Morgensonne vorwurfsvoll in sein Zimmer fielen. Da er nun gerade keine Schlafmütze war, so sprang er aus seinem Bett wie ein kampflustiger Krieger aus seinem Zelt.

»Eine reizende, sehr reizende Landschaft«, seufzte er entzückt, als er sein Gitterfenster öffnete. »Wer könnte Tag für Tag auf Ziegel- und Schieferplatten starren, wenn er jemals die Wirkung einer solchen Natur empfunden? Wer könnte bleiben, wo man keine andern Kühe sieht, als die Kühe auf den Porzellantöpfen, keinen andern Schmelz als Schmelztiegel; kein anderes Gestein als das Steinpflaster? Wer könnte an einem solchen Orte vegetieren? Wer, frage ich, könnte es aushalten?« Und nachdem er sich die gerühmtesten Reize des Landlebens gehörig ausgemalt hatte, steckte er den Kopf durchs Gitter und blickte ins Freie.

Die süßen Wohlgerüche der Rosengehänge drangen zu ihm empor; die balsamischen Düfte des kleinen Blumengartens füllten die Luft um ihn her: die dunkelgrünen Wiesen glänzten im Morgentau, der auf jedem Blättchen schimmerte, wenn es vom sanften Lufthauch erbebte, und die Vögel sangen, als wäre jeder Tautropfen eine Quelle der Begeisterung. Herr Pickwick versank in süße, wonnige Träumerei, aus der ihn plötzlich ein »Holla« weckte.

Er wandte sich zur Rechten, sah aber niemand; er wandte sich zur Linken und suchte irgend etwas Außergewöhnliches zu entdecken; es war vergeblich. Er sah zu den Wolken empor, aber sie schienen sein nicht zu begehren. Endlich tat er, was ein gewöhnlicher Mensch gleich anfangs getan haben würde – er sah in den Garten und entdeckte Herrn Wardle.

»Wie befinden Sie sich«, fragte dieser gutmütige Herr, schon im voraus seine Freude zeigend. »Ein schöner Morgen – nicht wahr? Freut mich, daß Sie so früh auf sind. Geschwind, kommen Sie herunter, ich will hier auf Sie warten.«

Herr Pickwick bedurfte keiner zweiten Aufforderung. Zehn Minuten reichten hin, seine Toilette zu vollenden, und nach Ablauf dieser Zeit stand er an der Seite des alten Herrn.

»Holla!« sagte Herr Pickwick seinerseits, als er seinen Freund mit einer Flinte bewaffnet, und eine zweite neben ihm im Grase liegen sah. »Was haben Sie im Sinne?«

»Ei, Ihr Freund und ich«, antwortete der Gefragte, »wollen vor dem Frühstück auf den Krähenstrich. Er ist ein guter Schütze – nicht wahr?«

»Ich hörte ihn sagen, er sei ein Kapitalschütze,« versetzte Herr Pickwick, »habe ihn aber noch nie etwas schießen sehen.«

»Nun,« sagte der alte Herr, »ich wollte, er käme. Joe – Joe!«

Der fette Junge, der unter dem belebenden Einflüsse des Morgens nicht halb so schläfrig zu sein schien wie sonst, trat aus dem Hause.

»Geh' hinauf und rufe den Herrn. Sage ihm, er werde mich und Herrn Pickwick auf dem Krähenstrich finden. Zeige dem Herrn den Weg – hörst du?«

Der Knabe entfernte sich, um seinen Auftrag auszurichten, und der alte Herr verließ, ein zweiter Robinson Crusoe, beide Flinten tragend, mit seinem Begleiter den Garten.

»Hier sind wir an Ort und Stelle«, sagte der alte Herr, als sie nach einem Gange von wenigen Minuten in eine Allee gekommen waren.

Die Bemerkung war unnötig: denn das unaufhörliche Geschrei der nichts ahnenden Krähen verriet ihren Aufenthalt ohne weitere Belehrung.

Der alte Herr legte die eine Flinte auf den Boden und lud die andere.

»Hier sind sie«, sagte Herr Pickwick, und wie er so sprach, erschienen die Gestalten der Herren Tupman, Snodgraß und Winkle im Hintergrunde. Der fette Junge, der nicht ganz gewiß war, welchen Herrn er rufen sollte, hatte scharfsinnigerweise alle gerufen, um der Möglichkeit eines Irrtums vorzubeugen.

»Kommen Sie herauf«, rief der alte Herr, sich an Herrn Winkle wendend; »ein kühner Schütze wie Sie sollte schon lange bei der Hand sein, und wäre die Arbeit noch so unbedeutend.«

Herr Winkle antwortete mit einem gezwungenen Lächeln, und nahm die herrenlose Flinte mit der Miene eines gelassenen Missetäters, der den Verkünder seines gewaltsamen Todes vor sich sieht. Es mag Mut gewesen sein, aber es sah der Angst merkwürdig ähnlich.

Der alte Herr winkte, und zwei zerlumpte Jungen begannen alsbald auf zwei von den Bäumen zu klettern.

»Was haben diese Burschen vor?« fragte Herr Pickwick rasch.

Er war etwas unruhig, denn er wußte nicht, ob sich die Jungen nicht vielleicht aus Armut, von der er schon oft und viel gehört hatte, daß sie auf dem Lande zu Hause sei, zur Zielscheibe ungeschickter Schützen hergäben, um durch dieses gefährliche Mittel ein zweifelwürdiges Dasein zu fristen.

»Nur das Wild aufzuscheuchen«, antwortete Herr Wardle lachend.

»Wie?« fragte Herr Pickwick.

»Nun, in klaren Worten, die Krähen aufschrecken.«

»O! sonst nichts?«

»Sind Sie jetzt beruhigt?«

»Vollkommen.«

»Schön. Wollen wir anfangen?«

»Wenn es Ihnen gefällig ist«, sagte Herr Winkle, froh, noch eine kleine Frist zu erhalten.

»Treten Sie auf die Seite. Nun also.«

Der Junge schrie und schüttelte einen Ast, auf dem sich ein Nest befand. Ein halbes Dutzend junger Krähen, in lebhafter Unterhaltung begriffen, flogen aus, um nachzuspüren, was es gäbe. Der alte Herr gab ihnen eine Ladung zur Erwiderung. Eine Krähe fiel, und die andern flogen davon.

»Nimm sie, Joe«, sagte der alte Herr.

Ein lächeln spielte um die Mundwinkel des Jungen, als er auf die Leiche zuging. Unbestimmte Visionen von einer Krähenpastete schwebten seiner Einbildungskraft vor. Er lachte, als er mit dem Vogel zurückkam – er war sehr fett.

»Nun, Herr Winkle,« sagte der alte Herr, seine Flinte von neuem ladend, »schießen Sie.«

Herr Winkle trat vor und legte seine Flinte an. Herr Pickwick und seine Freunde bückten sich unwillkürlich, um von keiner der Krähen getroffen zu werden, die, wie sie zuversichtlich glaubten, auf den mörderischen Schuß ihres Freundes zu Dutzenden herabfallen würden. Es war eine feierliche Pause – ein Geräusch wie von Flügelschlägen – ein Laut wie vom Abdrücken eines Schießgewehrs.

»Holla!« rief der alte Herr.

»Will es nicht losgehen?« fragte Herr Pickwick.

»Es hat versagt«, antwortete Herr Winkle, totenblaß, wahrscheinlich wegen dieses Zufalls.

»Seltsam«, sagte der alte Herr, die Flinte betrachtend. »Noch nie hat eine von ihnen versagt. Wie, ich sehe ja kein Zündhütchen.«

»Meiner Treu,« sagte Herr Winkle, »ich habe das Zündhütchen vergessen.«

Das Versäumte wurde nachgeholt, und Herr Pickwick bückte sich wieder. Herr Winkle trat mit der Miene der Entschlossenheit vorwärts, und Herr Tupman stellte hinter einem Baume seine Beobachtungen an. Der Junge schrie: – vier Vögel flogen auf. Herr Winkle drückte ab. Man hörte einen Schrei – nicht von einer Krähe – einen Angstschrei. Herr Tupman hatte das Leben einer Anzahl von Vögeln gerettet, indem ihm ein Teil der Ladung in den linken Arm fuhr.

Die Verwirrung, die jetzt erfolgte, läßt sich nicht beschreiben. Wie Herr Pickwick im ersten Ausdrucke der Gemütsbewegung Herrn Winkle einen »Schurken« nannte; wie Herr Tupman am Boden lag, und wie Herr Winkle von Schauern geschüttelt neben ihm kniete: wie Herr Tupman in der Bestürzung einen weiblichen Taufnamen nannte, zuerst ein und dann das andere Auge öffnete, worauf er ohnmächtig wurde und beide wieder schloß: all das wäre ebenso unmöglich zu beschreiben, wie der weitere Verlauf – wie das unglückliche Opfer allmählich wieder ins Leben zurückkehrte – wie man seinen Arm mit Taschentüchern verband – und wie er mit langsamen Schritten auf die Arme seiner besorgten Freunde gestützt nsch Hause geführt wurde.

Sie näherten sich dem Landhause. Die Damen standen an der Gartentür und warteten auf ihre Rückkehr zum Frühstück. Jungfer Tante zeigte sich: sie lächelte und bat sie, schneller zu gehen. Sie wußte offenbar nichts von dem Unglück. Armes Geschöpf! Es gibt Fälle, wo die Unwissenheit ein Glück ist.

Sie kamen näher.

»Nun, was ist's mit dem alten Herrn?« fragte Isabelle Wardle.

Jungfer Tante achtete nicht auf die Frage: sie glaubte, sie beziehe sich auf Herrn Pickwick. In ihren Augen war Tracy Tupman jung, sie betrachtete seine Jahre durch ein Verkleinerungsgla«.

»Seid unbesorgt«, rief Herr Wardle, um seine Töchter zu beruhigen.

Die kleine Gesellschaft hatte sich so dicht um Herrn Tupman zusammengedrängt, daß sie die wahre Natur des Unfalls nicht genau zu erkennen vermochte.

»Seid unbesorgt«, sagte Herr Wardle.

»Was ist's denn?« riefen die Damen.

»Herrn Tupman ist ein kleiner Unfall begegnet: das ist alles.«

Jungfer Tante stieß einen durchdringenden Schrei aus, schlug ein krampfhaftes Aachen auf, und fiel rücklings in die Arme ihrer Nichten.

»Bespritzt sie mit kaltem Wasser«, sagte der alte Herr.

»Nein, nein«, murmelte Jungfer Tante: »es ist mir schon besser. Bella, Emilie – einen Wundarzt? Ist er verwundet? – Ist er tot? – Ist er – ha, ha, ha!«

Hier erlitt Jungfer Tante den zweiten Anfall von krampfhaftem Lachen, durch Schluchzen unterbrochen.

»Beruhigen Sie sich,« sagte Herr Tupman, durch diesen Beweis von Teilnahme an seinem Leiden beinahe bis zu Tränen gerührt: »teuerstes Fräulein, beruhigen Sie sich.«

»Es ist seine Stimme!« rief Jungfer Tante, und heftige Symptome des dritten Anfalls stellten sich ein.

»Seien Sie unbesorgt, ich bitte Sie, meine Teuerste«, bat Herr Tupman in einschmeichelndem Tone. »Die Verletzung ist ganz unbedeutend, ich versichere Sie.«

»So sind Sie also nicht tot?« schrie die hysterische Dame. »O, sagen Sie, daß Sie nicht tot sind.«

»Sei nicht närrisch, Rachel«, bemerkte Herr Wardle in etwas rauherem Tone, als sich mit der poetischen Natur des Auftritts vertrug. »Was zum Kuckuck soll es denn helfen, wenn er sagt, er sei nicht tot.«

»Nein, nein, ich bin nicht tot«, sagte Herr Tupman. »Ich verlange keinen Beistand als den Ihren. Erlauben Sie mir, mich auf Ihren Arm zu stützen,« fügte er flüsternd hinzu, »ach, Fräulein Rachel!«

Die geängstigte Dame trat vor und bot ihm den Arm. Sie gingen ins Frühstückszimmer. Herr Tracy Tupman preßte ihre Hand zärtlich an seine Lippen und sank auf das Sofa.

»Fühlen Sie sich schwach?« fragte die besorgte Rachel.

»Nein«, antwortete Herr Tupman. »Es ist nichts; es wird mir im Augenblick besser werden.«

Er schloß die Augen.

»Er schläft«, flüsterte Jungfer Tante. Seine Sehwerkzeuge blieben beinahe zwanzig Sekunden geschlossen. »Lieber – lieber – Herr Tupman!«

Herr Tupman sprang auf – »O, sagen Sie diese Worte noch einmal!« rief er aus.

Die Dame war bestürzt. »Sie haben es doch nicht gehört«, sagte sie beschämt.

»Jawohl, ich habe sie gehört«, versetzte Herr Tupman, »wiederholen Sie sie. Wenn Sie wünschen, daß ich genesen soll, wiederholen Sie sie.«

»Pst!« sagte die Dame. »Mein Bruder.«

Herr Tracy Tupman nahm seine frühere Lage wieder ein, und Herr Wardle trat mit einem Wundarzt ins Zimmer.

Der Arm wurde untersucht, die Wunde verbunden und für höchst unbedeutend erklärt. Die Gesellschaft beruhigte sich und ging an die Befriedigung ihres Appetits mit Mienen, auf der wieder der frühere Ausdruck der Heiterkeit lag. Nur Herr Pickwick war still und zurückhaltend. Zweifel und Enttäuschung spiegelten sich in seinen Zügen. Sein Vertrauen auf Herrn Winkle hatte durch die Vorfälle des Morgens einen Stoß erlitten – einen großen Stoß.

»Spielen Sie Kricket?« fragte Herr Wardle den Schützen.

Zu einer andern Zeit würde Herr Winkle die Frage bejaht haben. Aber jetzt antwortete er mit einem bescheidenen »Nein«: er fühlte das Heikle seiner Lage.

»Spielen Sie Kricket, mein Herr?« fragte Herr Snodgraß.

»Früher«, antwortete der alte Herr; »aber ich habe es aufgegeben: ich gehöre zwar noch zu der hiesigen Gesellschaft, spiele aber nicht mehr mit.«

»Heute findet, glaube ich, ein großes Ballspiel statt?« sagte Herr Pickwick.

»Ja«, erwiderte der alte Herr. »Natürlich werden Sie es auch sehen wollen.«

»Ich sehe sehr gern solchen Spielen zu,« versetzte Herr Pickwick, »wo man seines Lebens sicher ist und keine Gefahr läuft, durch die ungeschickte Hand von Dilettanten darum zu kommen.« Herr Pickwick schwieg und sah starr auf Herrn Winkle, der unter seinen Flammenblicken beinahe zu Boden sank. Nach einigen Minuten wandte der große Mann seine Augen weg und fügte hinzu: »Können wir mit gutem Gewissen den Verwundeten der Pflege der Damen überlassen?«

»Sie können mich in keine besseren Hände geben«, sagte Herr Tupman.

»Unmöglich«, bemerkte Herr Snodgraß.

Es wurde also beschlossen, Herr Tupman sollte unter der Pflege der Damen zu Hause bleiben, und die übrigen Gäste unter der Führung Herrn Wardles dem Spiele beiwohnen, das Muggleton aus seinem Schlummer geweckt und in Dingley Dell erregendes Fieber hervorgerufen hatte.

Da ihr Weg, der nicht mehr als zwei (englische) Meilen betrug, durch schattige Heckengänge und über abgelegene Fußpfade führte, und sich ihre Unterhaltung um die reizende Landschaft drehte, die sie rings umgab, war Herr Pickwick beinahe geneigt, den Ausflug, den sie gemacht hatten, satt zu bekommen, als er sich in der Hauptstraße der Stadt Muggleton befand.

Wer nur einigermaßen einen Sinn für Topographie hat, weiß, daß Muggleton eine Landstadt ist mit einem Bürgermeister, Beigeordneten und bevorrechteten Bürgern, die die durch das Parlament bestimmte Vorrechte einer Korporation genießen. Wer je die Adressen des Bürgermeisters an die Bürger, oder der Bürger an den Bürgermeister, oder beider an den Magistrat oder aller drei an die Stadtverordnetenversammlung gelesen hat, wird daraus ersehen, was er schon zuvor hätte wissen sollen, daß Muggleton eine alte und loyale Stadt ist, die mit einem großen Eifer für die Grundsätze des Christentums eine innige Anhänglichkeit an die Handelsgerechtsame verbindet. Demzufolge haben der Bürgermeister, der Magistrat und andere Einwohner zu verschiedenen Zeiten nicht weniger als tausendvierhundertzwanzig Eingaben wider den Sklavenhandel und eine gleiche Zahl von Eingaben gegen die Abschaffung des Fabriksystems im Vaterland, achtundsechzig für Gestaltung des Verkaufs von Kirchenpfründen und sechsundachtzig für Abstellung des öffentlichen Kaufs und Verkaufs an Sonntagen eingeschickt.

Herr Pickwick stand in der Hauptstraße dieser berühmten Stadt und betrachtete die Dinge, die ihn umgaben, voll Neugierde und Teilnahme. Er sah einen viereckigen Marktplatz, und mitten darauf einen großen Gasthof mit einem Schilde, der einen in der Kunst sehr gewöhnlichen, in der Natur aber höchst seltenen Gegenstand darstellte: einen blauen Löwen, der drei Beine in die Lüfte streckte, und auf der Spitze der mittleren Klaue seines vierten Beines herumbalancierte. In der Nähe wohnte ein Auktionator, ein Agent der Feuerversicherungsgesellschaft, ein Kornhändler, ein Leineweber, ein Sattler, ein Branntweinbrenner, ein Kolonialwarenkaufmann und ein Schuhmacher. Dieser hatte einen Laden, in dem außer den Erzeugnissen seiner Kunst auch noch Hüte, Mützen, Kleider, baumwollene Regenschirme und gemeinnützige Kenntnisse zu haben waren. Hier stand ein Haus aus roten Backsteinen in einem gepflasterten Hofe, dem jedermann ansah, daß es dem Staatsanwalt gehörte, dort ein anderes aus Backsteinen erbautes Haus mit venetianischen Fensterblenden und einer großen Messingplatte an der Tür, worauf sehr leserlich geschrieben stand, daß hier ein Wundarzt wohne. Einige Jungen eilten dem Schauplätze des Wettspiels zu, und zwei oder drei Krämer standen unter ihren Ladentüren und sahen aus, als hätten sie ebenfalls Lust, der Festlichkeit beizuwohnen, was sie auch ohne große Beeinträchtigung ihres Berufs getrost hätten wagen dürfen. Nachdem Herr Pickwick diese Beobachtungen gemacht hatte, um sie später in sein Gedenkbuch einzutragen, eilte er schnell seinen Freunden nach, die die Hauptstraße verlassen hatten und bereits den Kampfplatz vor sich sahen.

Die Pfähle waren eingerammt und ein paar Zelte für die Kämpfer aufgeschlagen, worin sie ausruhen und Erfrischungen zu sich nehmen konnten. Das Spiel hatte aber noch nicht begonnen. Zwei oder drei Dingleydeller und einige Muggletoner belustigten sich damit, den Ball mit wichtiger Miene lustig von Hand zu Hand fliegen zu lassen: einige andere Herren in derselben Tracht, mit Strohhüten, Flanelljacken und weißen Hosen – ein Anzug, in dem sie wie Steinmetzen aussahen – standen um die Zelte herum, und Herr Wardle führte seine Gesellschaft eben in ein solches ein.

Einige Dutzend »Wie geht's?« begrüßten den alten Herrn, und ein allgemeines Hutabnehmen und Hinunterziehen der Flanelljacken folgte der Einführung seiner Gäste, die er als Herren aus London vorstellte. Sie wären außerordentlich begierig, den Feierlichkeiten des Tages beizuwohnen, die, wie er nicht zweifle, ihren vollen Beifall finden würden.

»Wollen Sie nicht lieber ins Hauptzelt treten, Sir?« sagte ein sehr stattlich aussehender Gentleman. Sein Leib und seine Beine sahen aus, als stünde die Hälfte eines riesigen Flanellballens auf ein Paar ausgestopften Kissen.

»Sie sehen es hier weit besser«, sagte ein anderer stattlicher Gentleman, der genau der zweiten Hälfte des vorerwähnten Flanellballens entsprach.

»Sie sind sehr gütig«, versetzte Herr Pickwick.

»Hierher«, sagte der erstgenannte Herr; »hier wird aufgeschrieben – es ist der beste Punkt auf dem ganzen Felde.« Und der Kricketspieler schritt der Gesellschaft voran in das bezeichnete Zelt.

»Fabelhaftes Spiel – famoses Vergnügen – schöne Übung – äußerst schön«, waren die Worte, die an Herrn Pickwicks Ohren schlugen, als er in das Zelt trat. Der erste Gegenstand, dem seine Blicke begegneten, war sein grüngekleideter Freund von der Rochester Postkutsche. Er machte die Unterhaltung vor einem erlesenen Kreise der Honoratioren von Muggleton zu nicht geringer Ergötzung und Erbauung seines Auditoriums. Sein Anzug hatte sich etwas gebessert und er trug Stiefel: aber man erkannte ihn auf den ersten Blick.

Auch der Fremde erkannte seine Freunde sogleich. Er sprang auf, nahm Herrn Pickwick bei der Hand und führte ihn mit seiner gewohnten Hast zu einem Sitze, indem er unaufhörlich schwatzte, als ob das Ganze unter seiner besonderen Leitung und Obhut stände.

»Hierher – hierher – Kapitalspaß – Bier eimerweise – Rinderportionen – ganze Ochsen – Senf – Wagen voll – glorreicher Tag – setzen Sie sich – tun Sie, als ob Sie zu Hause wären – freut mich, Sie zu sehen – außerordentlich.«

Herr Pickwick setzte sich, weil man es so haben wollte. Die Herren Winkle und Snodgraß fügten sich ebenfalls in den Willen ihres geheimnisvollen Freundes. Herr Wardle sah mit stummer Verwunderung zu.

»Herr Wardle – ein Freund von mir«, sagte Herr Pickwick.

»Ein Freund von Ihnen? – Wie geht es Ihnen, mein Wertester? – Ein Freund von meinem Freunde. Ihre Hand, mein Herr.«

Und der Fremde ergriff Herrn Wardles Hand mit aller Glut einer mehrjährigen innigen Freundschaft, trat dann einen oder zwei Schritte zurück, als wollte er ihn erst recht genau von Angesicht zu Angesicht betrachten. Dann schüttelte er seine Hand von neuem und womöglich noch wärmer als zuvor.

»So, so, und wie kommen Sie hierher?« fragte Herr Pickwick mit einem Lächeln, in dem Wohlwollen mit Überraschung kämpfte.

»Hierher kommen?« erwiderte der Fremde – »in der Krone abgestiegen – Krone zu Muggleton – eine Gesellschaft getroffen – Flanelljacken – weiße Hosen – Sandwichschnitten mit Sardellen – saure Nieren – treffliche Gesellen – fabelhaft.«

Herr Pickwick war mit dem stenographischen System des Fremden hinlänglich bekannt, um aus diesen abgebrochenen Mitteilungen zu entnehmen, daß er auf die eine oder andere Weise mit den Muggletonern eine Bekanntschaft angeknüpft hatte. Er hatte diese dann mit dem ihm eigenen Verfahren auf den Grad einer Kameradschaft gesteigert, worauf leicht eine allgemeine Einladung erfolgt sein mochte. Seine Neugierde war also befriedigt. Er setzte sich seine Brille auf und schickte sich an, dem Spiele zuzusehen, das eben seinen Anfang nahm.

Muggleton hatte den Vortritt, und die Teilnahme wurde ungeheuer, als die beiden berühmtesten Mitglieder des ausgezeichnetsten Klubs, Herr Dumkins und Herr Podder, mit den Ballhölzern in der Hand an ihre Pfähle traten. Herr Luffey, der Stolz Dingley Dells, ward aufgestellt, gegen den furchtbaren Dumkins den Ball zu werfen, und Herr Struggles ausersehen, dem niebesiegten Podder denselben Freundschaftsdienst zu erweisen. Einige Spieler wurden beordert, an verschiedenen Stellen des Feldes »aufzupassen«. Jeder nahm die erforderliche Stellung ein, indem er die Hände auf die Knie stemmte, als wollte er eben einen Reiter Huckepack nehmen. Alle ordentlichen Ballspieler verfuhren so; und es gilt allgemein als unmöglich, bei einer andern Stellung gehörig aufzupassen.

Die Schiedsrichter stellten sich hinter die Pfähle: die Punktzähler waren bereit, aufzuschreiben. Eine atemlose Stille trat ein. Herr Luffey zog sich einige Schritte hinter den Pfahl des untätigen Podder zurück und hielt einige Sekunden lang den Ball an sein rechtes Auge. Dumkins erwartete voll Zuversicht dessen Ankunft, die Blicke unverwandt auf Luffey geheftet.

»Achtung!« rief auf einmal der Ballwerfer.

Der Ball flog aus seiner Hand pfeilschnell und geradeswegs nach dem mittleren Knopf des Pfahles. Dumkins war auf der Hut; er fing ihn mit der Spitze seines Bauholzes auf, und der Ball flog über die Köpfe der Aufpasser weg, die sich gerade tief genug bückten, um ihn über sich wegsausen zu lassen.

» Ein Strich – ein Strich – ein anderer. – Nun, geworfen – auf damit – aufgefangen – einen andern – nein – ja – nein – geworfen, geworfen.«

Das waren die Rufe, die dem Schlag folgten, worauf den Muggletonern zwei angeschrieben wurden.

Podder erntete Lorbeeren genug, um sich und ganz Muggleton damit zu bekränzen. Er schlug die zweifelhaften Bälle nieder, ließ die schlechten vorbeifliegen, fing die guten auf und warf sie nach allen Richtungen. Die Aufpasser waren erhitzt und müde: die Ballwerfer wechselten ab und schlugen die Bälle, daß sie den Arm nicht mehr aufheben konnten; nur Dumkins und Podder blieben unermüdet. Versuchte ein älterer Herr, den Flug eines Balles zu hemmen, so rollte er ihm zwischen die Beine oder schlüpfte ihm durch die Hände.

Wollte ihn ein flinker Bursche auffangen, so traf er ihn auf die Nase und flog mit doppelter Kraft lustig zurück, während sich die Augen des flinken Burschen mit Tränen füllten und der Angstschweiß auf seine Stirn trat. Als Dumkins und Podder rechneten, zählte Muggleton vierundfünfzig, während das Kerbholz der Dingley Deller so weiß war wie ihre Gesichter: der Vorsprung war zu groß, um wieder eingeholt werden zu können. Vergebens boten der gewandte Luffey und der begeisterte Struggles ihre ganze Geschicklichkeit und Erfahrung auf, um das Feld wieder zu erobern, das Dingley Dell im Kampfe verloren hatte; – es war umsonst, und kaum hatte Dingten Dell einige Nummern, so gab es sich gefangen und erkannte Muggleton als Sieger an.

Der Fremde hatte mittlerweile unaufhörlich gegessen, getrunken und gesprochen. Bei jedem guten Schlag drückte er in der herablassenden Weise des Gönners seine Zufriedenheit und seinen Beifall aus, wodurch sich die betreffende Partie notwendig sehr geschmeichelt fühlen mußte. Bei jedem Fehlschlage dagegen gab er vor seinen demütigen Zuhörern sein persönliches Mißfallen durch Worte, wie »ach, ach – dumm – Butterfinger – pfui« – und ähnliche zu erkennen. Ausrufe, die ihn in den Augen sämtlicher Anwesenden als einen vorzüglichen und unfehlbaren Richter der ganzen geheimnisvollen Kunst des edlen Kricketspiels erscheinen ließen.

»Kapitalspiel – gut gespielt – einige bewundernswerte Schläge«, sagte der Fremde, als sich nach dem Spiele beide Parteien in dem Zelte versammelten.

»Haben Sie auch schon gespielt, Sir?« fragte Herr Wardle, der sich an seiner Geschwätzigkeit sehr ergötzte.

»Gespielt? Denke wohl, ich habe Kricket gespielt – tausendmal – nicht hier – Westindien – ungeheure Anstrengung – heiße Arbeit – sehr heiß.«

»Es muß freilich unter jenem Himmelsstriche keine Kleinigkeit sein«, bemerkte Herr Pickwick.

»Kleinigkeit? – Heiß – brennend heiß – glühend. Spielte einst um eine Wette – ein einziger Pfahl – mein Freund, der Oberst – Sir Thomas Blazo – wer die meisten Läufe bekommen sollte. – Gewann den Wurf – Vorhand – sieben Uhr abends – sechs Eingeborene zum Aufpassen – kamen; hielten mit – enorme Hitze – die Eingeborenen alle ohnmächtig – weggebracht – ein neues Halbdutzend aufgestellt – auch ohnmächtig – Blazo ballschlagend – von zwei Eingeborenen unterstützt – konnte mich nicht ausstechen – auch ohnmächtig – weggebracht der Oberst – wollte sich nicht geben – treuer Diener – Guanko Samba – der letzte Mann übrig – Sonne so heiß, daß die Ballhölzer glühten und der Ball schwarz wurde – fünfhundertsiebzig Läufe – ganz erschöpft – Guanka strengte letzte Kräfte an – hielt auch aus – nahm ein Bad, wankte zur Tafel.«

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