Kitabı oku: «Klein-Doritt», sayfa 10

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Arthur schrieb sich die Adresse auf und gab ihr die seine. Er hatte jetzt alles getan, was er für den Augenblick tun wollte. Nur wünschte er ihr ein Gefühl des Vertrauens zu ihm auf den Weg zu geben und ihr etwas wie ein Versprechen abzulocken, daß sie dieses Gefühl in sich lebendig erhalte.

»Das ist ein Freund!« sagte er und steckte die Brieftasche ein. »Während ich Sie nun zurückbringe – Sie gehen doch zurück?«

»O ja! ich gehe direkt nach Hause!«

»Während ich Sie zurückbringe«, das Wort nach Hause widerstrebte ihm, »darf ich Sie bitten, überzeugt zu sein, daß Sie noch einen Freund haben. Ich mache keine Bekenntnisse und sage nicht mehr.«

»Sie sind wirklich sehr gütig gegen mich. Ich brauche keinen weiteren Beweis.«

Sie gingen durch die elenden schmutzigen Straßen und zwischen den armen, geringen Läden zurück und wurden jeden Augenblick von der Menge schmutziger Trödler gestoßen, die sich stets in einer ähnlichen Umgebung finden. Auf dem kurzen Weg war wirklich nichts, was einem der fünf Sinne angenehm gewesen. Aber es war doch kein gewöhnlicher Gang durch gewöhnlichen Regen, Schmutz und Lärm für Clennam, da er dieses kleine, schwache, schüchterne Geschöpf an seinem Arme führte. Wie jung sie ihm oder wie alt er ihr erschien, oder welches Geheimnis den Knoten ihrer nach Schicksalsschluß sich künftig durchkreuzenden Lebensgeschichte schürzte, ist hier gleichgültig. Es trat ihm in diesem Augenblick vor die Seele, wie sie in dieser Umgebung geboren und auferzogen worden, mit dieser schmutzigen Lebensnotdurft vertraut und doch so unschuldig sei, und wie sie stets für andre besorgt war, während sie noch so jung und ihr ganzes Wesen einen durchaus kindlichen Eindruck machte.

Sie waren nach der High Street gekommen, wo das Gefängnis stand, als eine Stimme: »Mütterchen! Mütterchen!« rief. Als Dorrit stehenblieb und sich umsah, sprang eine seltsame Erscheinung in so großer Aufregung auf sie zu (immer noch »Mütterchen« rufend), daß sie zu Boden stürzte und der Inhalt eines großen mit Gemüsen gefüllten Korbes in den Staub fiel.

»O Maggy«, sagte Dorrit, »was bist du für ein ungeschicktes Kind!«

Maggy hatte sich nicht weh getan. Sie stand rasch wieder auf und begann die Kartoffeln zusammenzulesen, wobei ihr Dorrit und Arthur Clennam halfen. Maggy las sehr wenig Kartoffeln, aber um so mehr Schmutz auf; aber es wurde alles gerettet und wieder in den Korb gelegt. Maggy wischte dann ihr schmutziges Gesicht mit ihrem Schal ab und zeigte es Mr. Clennam als ein Bild der Reinheit, wodurch er in den Stand gesetzt war, zu sehen, wes Geistes Kind sie sei.

Sie zählte ungefähr achtundzwanzig Jahre, hatte starke Knochen, grobe Gesichtszüge, breite Füße und Hände, große Augen und kein Haar. Diese ihre großen Augen waren hell und beinahe farblos; sie schienen wenig Licht in sich aufzunehmen und unnatürlich stillzustehen. Ihr Gesicht hatte den aufmerksam lauernden Ausdruck, den man in den Gesichtern der Blinden findet. Aber sie war nicht blind; denn sie besaß ein ziemlich brauchbares Auge. Ihr Gesicht war nicht ausnehmend häßlich, obgleich nur ein Lächeln daran schuld, daß dies nicht der Fall; ein gutmütiges und an und für sich angenehmes Lächeln, das jedoch Mitleid erregte, weil es immer da war. Eine große weite Haube mit einer Menge undurchsichtiger Krausen, die immer drum herumflatterten, waren die Ehrenretter von Maggys Kahlköpfigkeit und machten es ihrem alten schwarzen Hut so schwer, seinen Platz auf ihrem Kopfe zu behaupten, daß er sich um den Hals festklammerte wie das Kind einer Zigeunerin. Eine Kommission von Kurzwarenhändlern konnte allein entscheiden, woraus der Rest ihrer dürftigen Bekleidung gemacht war; aber das Ganze hatte eine große Ähnlichkeit mit Meergras und da und dort mit einem riesigen Teeblatt. Ihr Schal sah besonders wie ein Teeblatt nach oftmaligem Aufguß aus.

Arthur Clennam sah Dorrit mit dem Ausdruck an, als wollte er sagen: »Darf ich fragen, wer ist das?« Dorrit, deren Hand diese Maggy, die sie noch immer Mütterchen nannte, zu streicheln begonnen, antwortete (sie standen unter einem Torweg, in den der größere Teil der Kartoffeln gerollt war):

»Das ist Maggy, Sir.«

»Maggy, Sir«, wiederholte die Vorgestellte. »Mütterchen!«

»Sie ist die Enkelin« – sagte Dorrit.

»Enkelin«, wiederholte Maggy.

»– meiner alten Wärterin, die schon lange tot ist. Maggy, wie alt bist du?«

»Zehn, Mutter«, sagte Maggy.

»Sie können sich nicht denken, wie gut sie ist, Sir«, sagte Dorrit mit unendlicher Zärtlichkeit.

»Gut sie ist«, wiederholte Maggy, das Fürwort in ungemein ausdrucksvoller Weise von sich auf ihre kleine Mutter übertragend.

»Und wie geschickt«, sagte Dorrit. »Sie besorgt alles aufs beste.« Maggy lachte. »Und ist so zuverlässig wie die Bank von England.« Maggy lachte. »Sie erwirbt sich ihren Lebensunterhalt ganz allein. Ganz allein, Sir!« sagte Dorrit in leiserem und triumphierendem Tone. »Wirklich, die reine Wahrheit!«

»Was ist ihre Lebensgeschichte?« fragte Clennam.

»Denke dir, Maggy!« sagte Dorrit, nahm ihre beiden großen Hände und klatschte sie zusammen. »Ein Gentleman, der viele tausend Meilen weit herkommt, will deine Geschichte wissen!«

»Meine Geschichte?« rief Maggy. »Mütterchen.«

»Sie meint mich«, sagte Dorrit etwas verlegen; »sie ist sehr anhänglich an mich. Ihre alte Großmutter war nicht so freundlich gegen sie, wie sie hätte sein sollen; nicht wahr, Maggy?«

Maggy schüttelte den Kopf, machte ein Trinkgefäß aus ihrer Hand, trank daraus und sagte: »Branntwein.« Dann schlug sie ein eingebildetes Kind und sagte: »Besenstiele und Schürhaken.«

»Als Maggy zehn Jahre alt war«, sagte Dorrit, ihr ins Gesicht sehend, während sie sprach, »hatte sie ein böses Fieber, Sir, und sie ist seitdem nicht älter geworden.«

»Zehn Jahre alt«, sagte Maggy und nickte mit dem Kopf. »Aber was für ein hübsches Krankenhaus! So angenehm, nicht wahr? Oh, es war so schön. Ein himmlischer Ort.«

»Sie hatte nie zuvor Ruhe gehabt, Sir«, sagte Dorrit und wandte sich, leise sprechend, einen Augenblick zu Arthur hin. »Sie kommt immer wieder darauf zurück.«

»So gute Betten gibt es dort!« sagte Maggy. »So gute Limonade! Apfelsinen! Köstliche Brühe und Wein! Und vortreffliche Hühner! Oh, ist das nicht ein angenehmer Aufenthalt, wo man gern ist und bleibt?«

»Maggy blieb wirklich so lange dort, wie sie konnte«, sagte Dorrit in ihrem früheren Ton, mit dem sie die Geschichte eines Kindes erzählt hatte, dem Ton, der für Maggys Ohr berechnet war; »und zuletzt, als sie nicht länger dort bleiben konnte, kam sie heraus. Und weil sie nicht mehr als zehn Jahre alt werden sollte, wie lange sie auch lebte –«

»Wie lange sie auch lebte«, wiederholte Maggy.

»– und weil sie sehr schwach war, ja wirklich, so schwach, daß wenn sie zu lachen begann, sie nicht aufhören konnte – was sehr traurig anzusehen war –« (Maggy wurde plötzlich sehr ernst.)

»– wußte ihre Großmutter nicht, was mit ihr anzufangen, und ging einige Jahre lang sehr schlecht mit ihr um. Endlich im Verlauf der Zeit suchte Maggy sich zu vervollkommnen und auf alles aufmerksam und recht fleißig zu sein. Nach und nach wurde ihr gestattet, so oft hier aus und ein zu gehen, wie ihr beliebte, und sie bekam genug zu tun, um sich ihren Lebensunterhalt dadurch zu erwerben, und dazu ist sie nun auch wirklich imstande. Das«, sagte Klein-Dorrit die beiden großen Hände wieder zusammenschlagend, »ist Maggys Geschichte, wie sie Maggy weiß!«

Ach! Arthur hätte so gern gewußt, was zu ihrer Vervollständigung fehlte, auch wenn er nie das Wort Mütterchen gehört, auch wenn er das Liebkosen der kleinen schmalen Hand nie gesehen, auch wenn er keinen Blick für die Tränen hatte, die jetzt in den farblosen Augen standen, auch wenn er den Seufzer nicht hörte, der das plumpe Lachen unterbrach. Der schmutzige Torweg, durch den der Wind und Regen fegte, mit dem Korb voll schmutziger Kartoffeln, der auf das Umwerfen oder Aufnehmen wartete, schien ihm nicht mehr die gewöhnliche Höhle zu sein, die er wirklich war, wenn er sich bei dieser Beleuchtung nach ihm umsah. Nein, nein!

Sie hatten das Ziel ihres Weges beinahe erreicht und traten jetzt aus dem Torweg, um die letzte Strecke zurückzulegen. Maggy ließ es nicht anders zu, als daß sie am Fenster eines Krämers kurz vor ihrem Bestimmungsort hielten, damit sie ihre Gelehrsamkeit zeigen könne. Sie konnte ziemlich gut lesen und hob die fetten Zahlen in den Preislisten zum größten Teil korrekt heraus. Sie stolperte auch, ihre Fehltritte mit ziemlichem Glück aufwiegend, durch die verschiedenen menschenfreundlichen Empfehlungen wie: »Versucht unsre Mischung«, »Versucht unsre Stiefelwichse«, »Versucht unsern orangenduftenden Peko, der als der beste Blütentee jeden Vergleich aushält« und verschiedene Warnungen des Publikums gegen betrügerische Konkurrenzunternehmungen und gefälschte Artikel. Als er sah, wie Dorrits Gesicht eine freudige Röte überflog, wenn Maggy einen Treffer machte, fühlte er, daß er des Krämers Fenster gern in eine Büchersammlung verwandelt hätte, bis der Regen und Wind vorüber.

Der Vorhof empfing sie endlich, und dort sagte er Klein-Dorrit Lebewohl. So klein sie auch immer schon aussah, in dem Augenblick, als er sie in das Pförtnerstübchen des Marschallgefängnisses eintreten sah, erschien ihm das Mütterchen, dem das aufgedunsene Kind zur Seite ging, noch kleiner.

Die Tür des Käfigs öffnete sich, und als der kleine in der Gefangenschaft aufgewachsene Vogel zahm hineingeflattert war, sah er sie sich wieder schließen. Dann ging er.

Zehntes Kapitel, das die ganze Wissenschaft des Regierens enthält.

Das Circumlocution Office9 war (wie jedermann weiß, ohne daß man es sagt) das wichtigste Departement der Regierung. Kein öffentliches Geschäft irgendwelcher Art konnte je erledigt werden ohne die Einwilligung des Circumlocution Office. Sein Finger war in der größten öffentlichen Pastete wie in der kleinsten öffentlichen Torte. Es war ebenso unmöglich, das offenbarste Rechte zu tun, als das offenbarste Unrecht zu vereiteln – ohne die ausdrückliche Erlaubnis des Circumlocution Office. Wenn eine zweite Pulververschwörung10 eine halbe Stunde vor dem Anzünden des Schwefelfadens entdeckt worden wäre, hätte niemandem die Rettung des Parlaments zugestanden, bis seitens des Circumlocution Office einige zwanzig Sitzungen gehalten, ein halber Scheffel Protokolle verschrieben, mehrere Säcke amtlicher Memoranden aufgehäuft und eine Familiengruft voll unleserlicher Berichte abgefaßt worden wären.

Dieses herrliche Institut kam schon frühzeitig auf, als jenes eine erhabene Prinzip, das die schwierige Kunst, ein Land zu regieren, in sich schloß, sich zuerst den Staatsmännern enthüllte. Es galt zuvorderst diese glänzende Offenbarung zu untersuchen und seinen leuchtenden Einfluß auf alles amtliche Verfahren wirken zu lassen. Was auch zu tun war, das Circumlocution Office war stets allen öffentlichen Verwaltungen in der Kunst zu entscheiden – wie man's nicht machen müsse – voran.

Durch diesen feinen Kniff, durch den Takt, mit dem es solche Praxis ausführte, und durch den Geist, mit dem es immer darauf hinwirkte, hatte das Circumlocution Office alle öffentlichen Verwaltungen verdunkelt; und es galt fortan, sich auf seine Höhe zu schwingen.

Es ist klar, daß, »wie man's nicht machen müsse«, das große Studium und die große Aufgabe aller öffentlichen Beamten und Staatsmänner von Fach rings um das Circumlocution Office war. Es ist klar, daß jeder neue Premier und jede neue Regierung, die ans Ruder kamen, weil sie irgend etwas als durchaus notwendig geltend gemacht, sobald sie am Ruder waren, all ihr Sinnen und Trachten darauf richteten, zu ergründen: »wie man's nicht machen müsse.« Es ist klar, daß von dem Augenblick, da eine allgemeine Wahl vorüber war, jeder Heimkehrende, der auf der Wahlbühne gewütet, weil etwas nicht geschehen, und der die Freunde des ehrenwerten Gentleman der Gegenpartei bei Strafe schwerer Verantwortung gefragt, warum es nicht getan worden, und der versicherte, daß es getan werden müsse, und der sich verbürgt, daß es getan werden solle, zu überlegen begann, »wie man's nicht machen könne.« Es ist klar, daß die Debatten der beiden Parlamentshäuser die ganze Sitzung hindurch gleichmäßig und weitläufig den einen Punkt verhandelten: »wie man's nicht machen müsse.« Es ist klar, daß die Thronrede bei der Eröffnung einer solchen Sitzung im wesentlichen nichts anderes sagt als: Meine Lords und Gentlemen, Sie haben eine bedeutende Arbeit vor sich, und Sie werden sich gefälligst in Ihre respektiven Häuser zurückziehen und beraten: »wie man's nicht machen müsse.« Es ist klar, daß die Thronrede am Schlusse einer solchen Session nichts anderes sagen will als: Meine Lords und Gentlemen, Sie haben während mehrerer angestrengter Monate mit großer Hingebung und großem Patriotismus in Betracht gezogen: »wie man's nicht machen müsse«, und es ist Ihnen gelungen, dies herauszufinden, und mit dem Segen der Vorsehung, der über der Ernte (der agrarischen, nicht der politischen) ruht, entlasse ich Sie. All dies ist natürlich klar, aber das Circumlocution Office ging noch weiter.

Weil das Circumlocution Office sich mechanisch drehte und jahraus, jahrein dieses wunderbare, alles vermögende Rad der Staatskunst: »wie man's nicht machen müsse« in Bewegung erhielt. Weil das Circumlocution Office hinter jedem schlecht unterrichteten öffentlichen Diener her war, der etwas tun wollte oder der durch irgendeinen überraschenden Zufall in entfernter Gefahr war, etwas tun zu wollen, weil es, wie gesagt, hinter ihm mit einem Protokoll, einem Memorandum oder Verhaftungsbefehl her war, die ihn vernichteten. Es herrschte in dem Circumlocution Office der Geist nationaler Kraft, der nach und nach dazu führte, daß es überall seine Hände im Spiel hatte. Mechaniker, Naturphilosophen, Soldaten, Matrosen, Bittsteller, Leute mit Beschwerden, Leute, die Beschwerden zuvorkommen wollten, Leute, die Beschwerden abhelfen wollten, Makler und Leute, die durch Makler übernommen worden, Leute, die den ihren Verdiensten gebührenden Lohn nicht erhalten konnten, und Leute, die ihre Strafe für ihre Verschuldung nicht bekommen konnten, – alle ohne Unterschied wurden in das Propatriapapier des Circumlocution Office einregistriert.

Eine Menge Menschen verlor sich in dem Circumlocution Office. Unglückliche, denen ein Ungemach widerfahren, oder die Pläne für das allgemeine Wohlsein hatten (und sie waren besser daran, wenn ihnen ein Ungemach widerfuhr, als wenn sie jenes bittre englische Rezept, um sicher eines solchen teilhaftig zu werden, nahmen), die dann im langsamen und peinlichen Verlauf der Zeit den Weg durch andre öffentliche Bureaus gemacht und die dann, wie es immer zu geschehen pflegt, in dem einen überschrien, in dem andern übervorteilt, in dem dritten mit Ausflüchten abgespeist waren, bis sie zuletzt an das Circumlocution Office gewiesen wurden und nie mehr ans Tageslicht kamen. Es wurden Sitzungen ihretwegen gehalten, Sekretäre nahmen Protokolle auf, Unterhändler plauderten für sie, Schreiber registrierten, notierten, buchten und schrieben sie ein – und damit waren sie verschwunden. Kurz, alle Angelegenheiten des Landes gingen durch das Circumlocution Office, mit Ausnahme der Angelegenheiten, die nie daraus verschwanden: und deren war Legion.

Bisweilen erschienen Angriffe von aufgereizten Menschen gegen das Circumlocution Office. Bisweilen wurden im Parlament Anfragen um seinetwegen gemacht und sogar Anträge im Parlament gestellt oder damit gedroht, – freilich durch Volksfreunde von so geringer Bedeutung und so unwissenden Menschen, daß sie glauben konnten, das wirkliche Leitmotiv der Regierung sei: »wie man's machen müsse«. Dann steckte der edle Lord oder sehr ehrenwerte Gentleman, in dessen Bereich die Aufgabe fiel, das Circumlocution Office zu verteidigen, eine Orange in seine Tasche und machte einen regulären Musterungstag aus der Sache. Er trat in das »Haus«, schlug auf den Tisch und griff den ehrenwerten Gentleman an. Weiter war er der Mann, dem ehrenwerten Gentleman von Anfragenden zu sagen, daß das Circumlocution Office nicht allein keinen Tadel wegen dieser Sache verdiene, sondern aller Empfehlung gerade wegen dieser Sache wert sei, ja bis in den Himmel wegen dieser Sache gefeiert werden müsse. Er war ferner der Mann, dem ehrenwerten Gentleman zu sagen, daß, obgleich das Circumlocution Office immer und unbezweifelt recht habe, es niemals so recht gehabt wie in dieser Sache. Er war endlich der Mann, dem ehrenwerten Gentleman zu sagen, daß es ihm mehr zur Ehre gereicht, mehr sein Ansehen gefördert, mehr seinen richtigen Geschmack bewiesen, mehr seinen guten Geist an den Tag gelegt hätte, und was das Wörterbuch der Phrasen sonst noch bietet, wenn er das Circumlocution Office unangetastet gelassen und die Sache nie berührt hätte. Dann faßte er einen Wagenlenker oder Diener von dem Circumlocution Office ins Auge, der hinter der Schranke saß, und schmetterte den ehrenwerten Gentleman mit dem Bericht des Circumlocution Office über diese Sache nieder. Und wenn auch immer eines von zwei Dingen der Fall war: nämlich, daß das Circumlocution Office nichts zu sagen hatte und doch etwas sagte oder daß es etwas zu sagen hatte, wovon der edle Lord oder der sehr ehrenwerte Gentleman die eine Hälfte verwischte und die andre Hälfte vergessen hatte: das Circumlocution wurde doch stets durch eine geringfügige Majorität für unschuldig erklärt.

Das Departement, von dem die Rede, war durch eine lange Karriere dieser Art eine solche Pflanzschule für Staatsmänner geworden, daß verschiedene ernste Lords in den Ruf überirdischer Wunder von Geschäftsgewandtheit kamen; bloß deshalb, weil sie an der Spitze des Circumlocution Office Übung darin bekommen: »wie man's nicht machen müsse.« Was die geringeren Priester und Trabanten dieses Tempels betraf, so war das Resultat von alledem, daß sie in zwei Klassen geschieden waren und, bis zu dem jüngsten Boten herab, entweder an das Circumlocution Office als an ein dem Himmel entstammendes Institut glaubten, das ein Recht habe, zu tun, was ihm beliebe, oder zum totalen Unglauben ihre Zuflucht nahmen und es als ein fürchterliches Übel betrachteten.

Die Familie Barnacle hatte längere Zeit das Circumlocution Office verwalten helfen. Die Linie Tite Barnacle glaubte namentlich verbriefte Rechte in dieser Richtung zu haben und nahm es übel auf, wenn eine andere Familie viel darin zu sagen hatte. Die Barnacles waren eine sehr hohe und sehr große Familie. Sie waren über alle Bureaus verbreitet und hatten alle Arten von öffentlichen Stellen im Besitz. Entweder hatte die Nation große Verpflichtungen gegen die Barnacles oder hatten die Barnacles große Verpflichtungen gegen die Nation. Man konnte sich nicht entscheiden, was wirklich der Fall war: die Barnacles hatten ihre Ansicht, die Nation die ihrige.

Mr. Tite Barnacle, der zu jener Zeit, von der die Rede, den Beamten an der Spitze des Circumlocution Office gewöhnlich dirigierte oder festschnallte, wenn das edle oder sehr ehrenwerte Individuum etwas unbequem im Sattel saß, weil irgendein Vagabund in einer Zeitung eine Lanze mit ihm gebrochen, war reicher an Wut als an Geld. Als ein Barnacle hatte er seine Stelle, und zwar eine ziemlich bequeme; und als ein Barnacle hatte er natürlich auch seinen Sohn Barnacle junior im Bureau untergebracht. Aber er hatte sich mit einem Zweige der Familie Stelzenfuß verschwägert, die im Punkte des Blutes gleichfalls vermögender war als im Punkte des Grundbesitzes und des beweglichen Eigentums. Aus dieser Ehe waren Barnacle junior und drei junge Damen entsprossen. Was die patrizischen Anforderungen von Barnacle junior, den drei jungen Damen, Mrs. Tite Barnacle, einer geborenen Stelzenfuß, und ihm selbst betrifft, so fand Mr. Tite Barnacle den Zeitraum zwischen Quartal und Quartal weit länger, als er hätte wünschen mögen; ein Umstand, den er stets der Sparsamkeit des Landes in die Schuhe schob.

Es war die fünfte Nachfrage nach Mr. Tite Barnacle, die Mr. Arthur Clennam eines Tages auf dem Circumlocution Office machte. Er hatte den Gentleman zuvor nacheinander in einer Halle, einem Glassalon, einem Wartezimmer und einem feuerfesten Durchgang erwartet, die in dem Geschäftskreise des Bureaus zu liegen schienen. In diesem Augenblick war Mr. Barnacle nicht wie sonst mit dem edlen Wunder an der Spitze des Departements beschäftigt, er war abwesend. Barnacle junior dagegen wurde als ein geringerer, aber am Horizonte der Anstalt sichtbarer Stern angekündigt.

Er gab den Wunsch zu erkennen, mit Barnacle junior zu sprechen, und fand diesen jungen Gentleman, wie er seine Waden an dem väterlichen Feuer wärmte und das Schienbein an den Kaminmantel stemmte. Es war ein komfortables Zimmer, hübsch möbliert wie ein besseres Bureau, und trug den prunkhaften Charakter des abwesenden Barnacle zur Schau. Davon zeugten der dicke Bodenteppich, das mit Leder überzogene Schreibpult, das mit Leder überzogene Stehpult, der große bequeme Stuhl und der üppige Teppich vor dem Kamin, der Feuerschirm, das aufgeschnittene Papier, die Depeschenkapseln mit kleinen Zetteln, die daraus hervorsahen wie Zettel aus Medizinflaschen oder Preiszettel an Wildbret, der vorherrschende Leder- und Mahagonigeruch und das allgemeine betrügerische Gepräge des »wie man's nicht machen müsse.«

Der anwesende Barnacle, der Mr. Clennams Karte in der Hand hielt, hatte ein jugendliches Aussehen und den zartesten Anflug von Backenbart, den man vielleicht je gesehen. Sein nacktes Kinn war so schwach mit Flaum umsäumt, daß es halb flügge schien wie ein junger Vogel. Ein mitleidvoller Beobachter wäre sicher der festen Überzeugung gewesen, daß, wenn er seine Waden nicht gewärmt hätte, er sicher vor Kälte gestorben wäre. Er hatte ein vorzügliches Monokel, das an seinem Hals hing, besaß jedoch unglücklicherweise so flache Augenhöhlen und so schwache kleine Augenlider, daß es nicht festhalten wollte, wenn er es in den Augenwinkel klemmte. Daher baumelte es beständig an seinen Westenknöpfen mit einem Ticktack hin und her, was ihm sehr ärgerlich war.

»Wie gesagt. Sehen Sie! mein Vater ist nicht zugegen und kommt auch heute nicht«, sagte Barnacle junior. »Kann ich Ihnen mit etwas dienen?«

(Tick! Das Augenglas herunter. Barnacle junior war sehr erschrocken und tappte überall umher, konnte es aber nicht finden.)

»Sie sind sehr gütig«, sagte Arthur Clennam. »Ich wünsche Mr. Barnacle selbst zu sprechen.«

»Aber wie gesagt! Sehen Sie, Sie haben keine Bestellung?« sagte Barnacle junior.

(Inzwischen hatte er sein Augenglas gefunden und es wieder eingeklemmt.)

»Nein«, sagte Arthur Clennam. »Das ist's eben, was ich wünschte.«

»Aber wie gesagt. Sehen Sie! Ist es eine öffentliche Angelegenheit?« fragte Barnacle junior.

(Tick! Da hing das Augenglas wieder, und Barnacle war so ganz und gar mit Suchen beschäftigt, daß Mr. Clennam es im Augenblick für unnötig hielt, zu antworten.)

»Betrifft es vielleicht«, sagte Barnacle junior, das braune Gesicht des Fremden ins Auge fassend, »Schiffszoll oder etwas Derartiges?«

(Einen Augenblick auf Antwort wartend, öffnete er sein rechtes Auge mit der Hand und klemmte sein Glas so energisch hinein, daß das Wasser herauszulaufen begann.)

»Nein«, sagte Arthur, »es handelt sich um keinen Schiffszoll.«

»So, so. Ist es eine Privatangelegenheit?« »Ich weiß wirklich nicht genau. Es betrifft einen Mr. Dorrit.«

»Sehen Sie, ich will Ihnen etwas sagen! Sie würden besser tun, wenn Sie zu Hause bei uns vorsprächen, falls Sie etwa der Weg hinführt. Nummer vierundzwanzig, Mews Street, Grosvenor Square. Mein Vater hat einen leichten Anfall von Gicht und muß deshalb das Zimmer hüten.«

Der junge Barnacle, der jetzt offenbar auf der Augenglasseite blind werden mußte, schämte sich jedoch, in seinen peinigenden Anstrengungen wegen des Monokels sich Erleichterung zu verschaffen.

»Ich danke. Ich werde dort vorsprechen. Guten Morgen.«

Der junge Barnacle schien verdutzt, da er nicht erwartet hatte, daß der Fremde gehen werde.

»Sind Sie ganz gewiß«, sagte Barnacle junior, ihm nachrufend, als er zur Tür ging, da er die schöne Geschäftsidee, die er gefaßt, nicht ganz aufgeben wollte: »wirklich gewiß, daß es sich nicht um Schiffszoll handelt?«

»Ganz gewiß.«

Mit dieser Versicherung und nicht besonders begierig zu wissen, was geschehen würde, wenn es sich um Schiffszoll gehandelt hätte, zog sich Mr. Clennam zu weiteren Nachforschungen zurück.

Mews Street, Grosvenor Square war nicht gerade Grosvenor Square selbst, aber es war doch ziemlich nahe dabei. Es war eine häßliche, kleine Straße von einförmigen Mauern, Ställen und Düngerhaufen, mit einem Stockwerk über Wagenschuppen, der von Kutscherfamilien bewohnt wurde. Diese zeigten eine Leidenschaft für Wäschetrocknen und zierten ihre Fensterbänke mit Miniaturschlagbäumen. Der Hauptschornsteinfeger dieses vornehmen Viertels wohnte am einen Ende von Mews Street, und in derselben Ecke befand sich ein in der Dämmerung viel besuchtes Etablissement, worin Wein und Bratenfett verkauft wurde. Die Requisiten zum Kasperletheater pflegten an den Mauern von Mews Street zu lehnen, während deren Direktoren irgendwo speisten; und die Hunde der Nachbarschaft verabredeten sich, am gleichen Ort zusammenzukommen. Am Eingang in die Mews Street befanden sich zwei bis drei kleine dumpfige Häuser, die als elende Anhängsel einer fashionablen Lage große Miete abwarfen. Wenn einer von diesen schrecklichen kleinen Hühnerställen zu vermieten war (was selten geschah, denn es war große Nachfrage nach ihnen), kündigte ihn der Hausverwalter als eine noble Wohnung im aristokratischsten Teile der Stadt an, der nur von der Elite der beau monde bewohnt werde.

Wenn eine solche noble Wohnung, die gerade innerhalb dieser engen Grenzen gelegen, nicht dem Geschlecht der Barnacles gehört hätte, würde dieser Zweig die große Auswahl von mindestens zehntausend Häusern gehabt haben, die fünfzigmal mehr Bequemlichkeit für ein Drittel des Preises geboten hätten. Mr. Barnacle, der, wie die Sachen nun einmal standen, seine vornehme Wohnung außerordentlich unbequem und außerordentlich teuer fand, legte, als öffentlicher Diener, die Sache dem Lande zur Last und zählte es als einen weitern Punkt der Sparsamkeit desselben auf.

Arthur Clennam kam vor ein gequetschtes Haus mit einer verfallenen, nach vorne hängenden Front, kleinen schmutzigen Fenstern und einem kleinen dunkeln Vorplatz, der wie eine feuchte Westentasche aussah: es war Nummer vierundzwanzig Mews Street, Grosvenor Square. Für den Geruchsinn glich das Haus einer mit starkem Fenchelextrakt gefüllten Flasche; und als der Diener die Tür öffnete, war's gerade, als nähme er den Stöpsel heraus.

Der Diener war gegenüber den Dienern von Grosvenor Square, was das Haus gegenüber den Häusern von Grosvenor Square. Bewundernswert in seiner Art war seine Art eine Unter- und Abart. Sein prächtiger Anzug war nicht ohne Schmutz; und sowohl in seiner Gesichtsfarbe als Gestalt hatte er unter der Verschlossenheit seiner Speisekammer gelitten. Er hatte etwas kränklich Schlaffes, als er den Stöpsel herauszog und die Flasche an Mr. Clennams Nase hielt.

»Haben Sie die Güte, diese Karte Mr. Tite Barnacle zu übergeben und zu sagen, daß ich soeben bei dem jüngern Mr. Barnacle gewesen, der mir geraten, bei seinem Vater vorzusprechen.«

Der Diener (der so viele große Knöpfe mit dem Wappen der Barnacles auf den Klappen seiner Taschen hatte, daß man hätte glauben sollen, er sei die Familiengeldkiste und trage hinter Knopf und Klappe das Silberzeug und die Juwelen mit sich herum) grübelte etwas über die Karte nach und sagte dann: »Treten Sie ein.« Es bedurfte einiger Gewandtheit, um nicht die Tür des innern Gangs damit aufzustoßen und in dem geistigen Muff und der physischen Dunkelheit nicht die Küchentreppe hinabzustürzen. Der Fremde schwang sich jedoch glücklich auf die Türmatte.

Der Diener sagte nochmal: »Treten Sie ein«, und der Fremde folgte ihm. An der innern Gangtür schien ihm eine zweite Flasche präsentiert und der Stöpsel herausgezogen zu werden. Diese zweite Phiole schien mit verstärkten Flüssigkeiten und dem Extrakt der Speisereste gefüllt zu sein. Erst gab es ein Scharmützel in dem engen Gange, das der Diener veranlaßte, als er das düstere Speisezimmer dreist öffnete, dort aber zu seiner Verwunderung jemanden vorfand und rasch zurückfuhr. Dabei prallte er auf den Fremden, und darauf wurde dieser, indes man ihn meldete, in ein kleines Besuchzimmer, das nach hinten ging, eingeschlossen. Dort hatte er Gelegenheit, sich an beiden Flaschen zugleich zu erlaben, während er auf eine drei Fuß entfernte niedere Mauer sah und darüber nachdachte, wie hoch die Sterblichkeitsziffer der Familien Barnacle sein mochte, die in solchen Rattenfallen aus freier Wahl wohnten.

Mr. Barnacle wollte ihn sprechen. Sollte er hinaufkommen? Ja; er tat es. In dem Empfangzimmer, das Bein auf einem Schemel, fand er Mr. Barnacle selbst, das leibhafte Bild und die Personifikation des »wie man's nicht machen müsse.«

Mr. Barnacle stammte aus einer besseren Zeit, als das Land noch nicht so sparsam war und das Circumlocution Office noch nicht so gehetzt wurde wie ein Dachs in seinem Bau. Er hatte zahllose Falten einer weißen Krawatte um seinen Hals gewunden, wie er Falten von Papier und endlosen Aktenfaden um den Hals des Vaterlandes wand. Seine Hemdfalten und sein Kragen waren drückend wie sein Ton und Benehmen. Er hatte eine große Uhrkette und ein Siegelbündel, einen bis zur Unbequemlichkeit zugeknöpften Rock, eine bis zur Unbequemlichkeit zugeknöpfte Weste, ein faltenloses Beinkleid und ein steifes Paar Stiefel. Sein Aussehen hatte zu gleicher Zeit etwas Glänzendes, Massives, Überwältigendes und Unpraktisches. Er schien sein ganzes Leben lang Sir Thomas Lawrence zu seinem Porträt gesessen zu haben.11

»Mr. Clennam?« sagte Mr. Barnacle. »Bitte, setzen Sie sich.«

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