Kitabı oku: «Klein-Doritt», sayfa 5

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Viertes Kapitel. Mrs. Flintwinch hat einen Traum.

Wenn Mrs. Flintwinch träumte, so träumte sie gewöhnlich anders als der Sohn ihrer alten Herrin, nämlich mit geschlossenen Augen. Sie hatte einen wunderbar lebhaften Traum in jener Nacht, noch ehe sie den Sohn ihrer alten Herrin vergessen. Es schien auch in der Tat gar nicht ein Traum zu sein, so sehr trug alles vielmehr das Gepräge der Wirklichkeit. Nämlich so.

Das Schlafzimmer von Mr. und Mrs. Flintwinch war nur wenig Schritte von dem entfernt, auf das Mrs. Clennam seit so vielen Jahren angewiesen war. Es lag nicht auf derselben Flur, denn es befand sich in einem Seitenflügel des Hauses, zu dem man über eine steile Treppe von einigen ausgetretenen Stufen gelangte, die von der Haustreppe beinahe gerade gegenüber von Mrs. Clennams Tür seitab führten. Man konnte kaum sagen, daß es im Bereiche der Stimme lag, da Wände, Türen und Getäfel des alten Hauses so schwer und dick waren; aber man konnte in jedem Kleid, zu jeder Zeit der Nacht und bei jeder Temperatur hinüberkommen. Zu Häupten des Bettes und einen Fuß von Mrs. Flintwinchs Ohr entfernt hing eine Glocke, deren Schnur bequem zur Hand Mrs. Clennams war. Sobald diese Glocke ertönte, fuhr Affery auf und stand in dem Zimmer der Kranken, ehe sie recht wach war.

Nachdem sie ihre Herrin zu Bett gebracht, die Lampe angezündet und ihr gute Nacht gesagt, ging Mrs. Flintwinch selbst wie gewöhnlich schlafen – nur war ihr Gatte noch nicht erschienen. Ihr Gatte – und nicht das, woran sie zuletzt gedacht, wie die meisten Philosophen meinen – wurde der Gegenstand ihres Traumes.

Sie glaubte zu erwachen, nachdem sie einige Stunden geschlafen, und fand Jeremiah noch nicht im Bett. Dann sah sie nach dem Licht, das sie hatte brennen lassen, so träumte sie, und danach die Zeit bemessend wie König Alfred der Große, wurde sie, da es schon ziemlich weit heruntergebrannt, in ihrer Überzeugung bestärkt, daß sie außerordentlich lange geschlafen haben müsse. Dann, träumte sie, sei sie aufgestanden, habe sich in ein Tuch gehüllt, die Schuhe angezogen und sei verwundert auf die Treppe hinausgegangen, um nach Jeremiah zu sehen.

Die Treppe war von Holz und sehr fest; Affery ging gerade hinab, ohne irgendwie abzuschweifen, wie es bei Träumenden gewöhnlich vorzukommen pflegt. Sie streifte auch nicht leicht über die Treppe hin, sondern ging wie gewöhnlich hinab und hielt sich an dem Geländer, da ihr das Licht ausgegangen war. An einer Ecke der Vorhalle, hinter der Haustür, war ein kleines Wartezimmer, einer Brunnenstube ähnlich, mit einem langen, schmalen Fenster, das aussah, als ob man einfach die Wand aufgeschlitzt. In diesem Zimmer, das nie benutzt wurde, brannte ein Licht.

Mrs. Flintwinch schritt über die Vorhalle, an den bloßen Füßen wohl fühlend, daß sie auf Steinen ging, und sah zwischen den rostigen Angeln der Tür hindurch, die offen stand. Sie erwartete Jeremiah in festem Schlaf oder in einer Ohnmacht zu sehen, aber er saß ruhig und ganz wach auf einem Stuhl; auch schien er gesund wie gewöhnlich. Doch wie? Der Herr verzeihe uns! Mrs. Flintwinch murmelte ein Stoßgebet und fing an zu taumeln.

Denn der wachende Mr. Flintwinch bewachte den schlafenden Mr. Flintwinch. Er saß an der einen Seite eines kleinen Tisches und beobachtete mit scharfem Blick sein Ebenbild auf der andern Seite, dessen Kinn auf die Brust herabgesunken, wahrend er laut schnarchte. Der wachende Flintwinch hatte sein ganzes Gesicht seiner Frau zugewendet, während man den schlafenden Flintwinch nur im Profil sah. Der wachende Flintwinch war das alte Original; der schlafende Flintwinch dagegen war der Doppelgänger. Gerade wie sie einen greifbaren Gegenstand von seinem Bild im Spiegel hätte unterscheiden können, so unterschied sie alles ganz deutlich, während es mit ihr im Kreise herumging.

Wenn sie noch einen Zweifel hätte haben können, welches ihr rechter Jeremiah sei, so wäre er durch seine Ungeduld gelöst worden. Er sah sich nach einer Angriffswaffe um, ergriff die Lichtschere, und ehe er damit das kohlköpfige Licht putzte, stieß er mit derselben auf den Schläfer los, als ob er sie ihm durch den Leib rennen wollte.

»Wer ist das? Was gibt es?« rief der Schläfer auffahrend.

Mr. Flintwinch machte eine Bewegung mit der Lichtschere, als wollte er ihn dadurch zum Schweigen zwingen, daß er sie ihm in den Hals stieß; als der andere zu sich kam, sagte er, die Äugen reibend: »Ich vergaß, wo ich war.«

»Sie haben geschlafen«, brummte Jeremiah und sah auf die Uhr, »zwei volle Stunden sind es. Sie sagten, Sie hätten genug geschlafen, wenn Sie einen kleinen Nicker machen würden.«

»Ich habe einen kleinen Nicker gemacht«, sagte der Doppelgänger.

»Halb drei Uhr in der Früh'«, murmelte Jeremiah. »Wo ist Ihr Hut? Wo ist Ihr Rock? Wo ist Ihr Kästchen?«

»Alles ist hier«, sagte der Doppelgänger, seinen Hals mit schläfriger Gleichgültigkeit in einen Schal wickelnd. »Warten Sie eine Minute. Geben Sie mir jetzt den Ärmel – nicht diesen Ärmel, den andern. Ach, ich bin nicht mehr so jung, wie ich war.« Mr. Flintwinch war ihm beim Anziehen des Rockes mit großem Eifer behilflich. »Sie versprachen mir ein zweites Glas, wenn ich geschlafen.«

»Trinken Sie!« versetzte Jeremiah, »und ersticken Sie, hätte ich beinahe gesagt, – gehen Sie, wollte ich sagen.« Damit stellte er die nämliche Portweinflasche wie bei seiner Herrin auf und füllte ein Weinglas.

»Ihr Portwein, dünkt mich?« sagte der Doppelgänger und kostete, als ob er in den Docks wäre.

»Ihre Gesundheit.«

Er trank einen Schluck.

»Eure Gesundheit!«

Er trank einen zweiten Schluck.

»Seine Gesundheit!«

Er trank einen dritten Schluck.

»Und die Gesundheit aller Freunde rings um St. Paul.«

Er leerte das Glas und schob es auf den Tisch, nachdem er dem alten feierlichen Toast Folge gegeben, und nahm das Kästchen auf. Es war ein eisernes Kästchen von ungefähr zwei Fuß im Geviert, das er ziemlich leicht unter dem Arme trug. Jeremiah beobachtete sein Tun mit eifersüchtigen Blicken, drückte auf das Kästchen, um zu sehen, ob er es auch festhalte, bat ihn, doch ja recht pünktlich seine Sache zu besorgen, und ging dann auf den Zehen hinweg, um ihm die Tür zu öffnen. Affery, die diese Absicht ahnte, war schon auf der Treppe. Das übrige war so gewöhnlich und so natürlich, daß sie, während sie auf der Treppe stand, das Öffnen der Tür hören, die Nachtluft fühlen und die Sterne draußen sehen konnte.

Aber nun kam der merkwürdigste Teil des Traumes. Sie fürchtete sich so sehr vor ihrem Gatten, daß sie, als sie so auf der Treppe stand, sich nicht imstande fühlte, in ihr Zimmer zurückzugehen (was so leicht gewesen, ehe er die Tür schloß), sondern, starr auf einen Punkt sehend, stehenblieb. Deshalb kam er, als er mit dem Licht die Treppe heraufging, um sich zu Bett zu begeben, gerade auf sie zu. Er sah verwundert aus, sagte jedoch nicht ein Wort. Er schaute sie fest an und ließ keinen Blick von ihr, während er weiterging; und sie trat, weil sie sich seinem Einfluß nicht entziehen konnte, immer weiter zurück. Auf diese Weise ging sie beständig rückwärts, während er vorwärts ging, bis sie endlich in ihrem Zimmer ankamen. Sie waren aber kaum dort, als Mr. Flintwinch sie am Halse packte und schüttelte, bis sie schwarz im Gesicht war.

»Nun, Affery, Frau! – Affery!« sagte Mr. Flintwinch. »Wovon hast du geträumt? Wach auf, wach auf! Was gibt es?«

»Was es gibt, Jeremiay?« keuchte Mrs. Flintwinch, die Augen rollend.

»Nun, Affery, Frau! – Affery! Du bist während des Schlafes aus dem Bett gefallen, meine Liebe! Ich komme herauf, nachdem ich unten etwas eingeschlafen war, und finde dich, in dein Tuch eingehüllt, vom Alp gepeinigt. Affery, Frau«, sagte Mr. Flintwinch mit einem freundlichen Grinsen in seinem ausdrucksvollen Gesicht, »wenn du je wieder einen Traum der Art hast, so ist es mir ein Zeichen, daß du Arznei brauchst. Und ich werde dir welche geben, Alte – ja, ich werde dir welche geben!«

Mrs. Flintwinch dankte ihm und kroch ins Bett.

Fünftes Kapitel. Familienangelegenheiten.

Als die Glocken der Stadt am Montagmorgen neun schlugen, wurde Mrs. Clennam von Jeremiah Flintwinch, dem Mann mit dem niedergeschlagenen Blick, vor ihren großen Schreibtisch gerollt. Nachdem sie diesen aufgeschlossen und geöffnet und sich vor dem Pult zurechtgerückt, entfernte sich Jeremiah – wahrscheinlich, um sich mit einem noch wirksameren Spitzbubenblick anzutun –, und ihr Sohn erschien.

»Geht es Ihnen heute morgen etwas besser, Mutter?«

Sie schüttelte den Kopf mit derselben ernsten Miene der Selbstherrlichkeit, die sie am vorhergehenden Abend, als vom Wetter die Rede war, gezeigt hatte. »Ich werde nie mehr besser werden, Arthur. Es ist ein Glück für mich, daß ich meinen Zustand kenne und ihn zu tragen weiß.«

Wie sie so dasaß, die Hände getrennt auf dem Pult und den hohen Schreibtisch vor sich, sah es aus, als ob sie auf einer tonlosen Kirchenorgel spielte. Auf ihren Sohn machte es diesen Eindruck (und nicht erst heute, sondern schon vor Jahren war ihm dieser Gedanke gekommen), als er sich neben sie setzte.

Sie öffnete einige Schiebladen, sah mehrere Geschäftspapiere durch und legte sie dann wieder an ihren früheren Platz. Kein Muskel ihres strengen Gesichts verlor seine Spannung; es war deshalb auch für den Beobachter unmöglich, in das dunkle Labyrinth ihrer Gedanken zu dringen.

»Soll ich von unsern Angelegenheiten sprechen, Mutter? Sind Sie geneigt, auf Geschäftssachen einzugehen?«

»Ob ich geneigt bin? Vielmehr, bist du es? Dein Vater ist seit länger als einem Jahre tot. Ich war seit jenem Augenblick bereit und wartete, bis es dir beliebe.«

»Es war noch so viel zu ordnen, ehe ich abreisen konnte; und als ich endlich freie Hand hatte, reiste ich ein wenig zur Erholung.«

Sie wandte ihr Gesicht nach ihm hin, als ob sie seine letzten Worte nicht gehört oder verstanden.

»Zur Erholung.«

Sie blickte in dem düstern Zimmer umher und schien, nach der Bewegung ihrer Lippen zu urteilen, jene Worte zu wiederholen, als wollte sie diese Räume zu Zeugen auffordern, wie wenig sie daran teilhabe.

»Und dann, Mutter, da Sie die einzige Testamentsvollstreckerin sind und die Sachen ordnen können, wie es Ihnen beliebt, so blieb mir wenig, oder ich möchte sagen, nichts zu tun übrig, bis Sie Zeit hätten, die Dinge zu Ihrer Zufriedenheit zu arrangieren.«

»Die Rechnungen sind ausgefertigt«, versetzte sie, »ich habe sie hier. Die Urkunden sind alle geprüft und richtig befunden. Du kannst Einsicht davon nehmen, wann es dir beliebt, Arthur; jetzt, wenn du Lust hast.«

»Es genügt, Mutter, wenn ich weiß, daß das Geschäft besorgt ist. Soll ich fortfahren?«

»Warum nicht?« sagte sie in ihrer frostigen Weise.

»Mutter, unser Haus hat in den letzten Jahren immer weniger Geschäfte gemacht, und unsre Handelsverbindungen nahmen bedeutend ab. Wir haben nie viel Vertrauen gezeigt oder uns auf viel eingelassen; wir haben die Leute nicht an uns gefesselt. Die Richtung, die wir einschlugen, war nicht die Richtung der Zeit, und wir blieben zuletzt weit zurück. Ich brauche nicht bei diesem Punkt zu verweilen, Mutter. Sie sind hinlänglich davon unterrichtet.«

»Ich weiß, was du meinst«, antwortete sie in ihrem charakteristischen Ton.

»Auch dieses alte Haus, in dem wir sprechen«, fuhr ihr Sohn fort, »ist ein Beispiel von dem, was ich sage. In meines Vaters früheren Zeiten, und zu seines Onkels Zeiten noch früher, war es ein Geschäftsplatz – wirklich ein Geschäftsplatz mit lebhaftem Verkehr. Jetzt ist es eine reine Anomalie, eine Ungereimtheit, außer der Zeit und völlig unzweckmäßig. Alle unsere Verbindungen gingen seit langer Zeit an das Kommissionsgeschäft von Rovingham; und obgleich man, um dieses zu kontrollieren und die Geldmittel meines Vaters gut zu verwalten, Ihr Urteil und Ihre Wachsamkeit lebhaft in Anspruch nahm, so hätten doch diese Eigenschaften den gleichen Einfluß auf meines Vaters Vermögen haben können, wenn Sie irgendeine Privatwohnung bezogen: das müssen Sie zugeben?«

»Denkst du denn«, entgegnete sie, ohne auf seine Frage zu antworten, »daß ein Haus völlig zwecklos sei, Arthur, wenn es deine kränkliche und leidende – deine mit vollem Recht leidende – Mutter beherbergt?«

»Ich sprach nur von geschäftlichen Beziehungen.«

»Und in welcher Absicht?« »Ich komme schon darauf zu sprechen.«

»Ich sehe voraus«, entgegnete sie und heftete ihre Augen auf ihn, »was es ist. Aber der Herr bewahre mich, daß ich unter irgendeiner Heimsuchung murre. Um meiner Sünden willen verdiene ich die bitterste Enttäuschung, und ich nehme sie gelassen hin.«

»Mutter, es schmerzt mich, Sie so sprechen zu hören, obgleich ich ahnte, daß es so kommen würde –«

»Du wußtest, daß es so kommen würde. Du kanntest mich«, unterbrach sie ihn.

Ihr Sohn schwieg einen Augenblick. Er hatte Feuer aus ihr hervorgelockt und war überrascht. »Nun«, sagte sie und sank wieder in ihre steinerne Starrheit zurück. »Fahre fort. Laß mich hören.«

»Sie haben vorausgesehen, Mutter, daß ich mich dahin entscheiden werde, das Geschäft aufzugeben. Ich gebe es wirklich auf. Ich will mir nicht anmaßen, Ihnen zu raten: Sie werden es fortsetzen, ich sehe das voraus. Wenn ich irgendeinen Einfluß auf Sie hätte, würde ich ihn einfach dazu benutzen, Ihr Urteil in Beziehung auf die Enttäuschung, die ich Ihnen bereite, zu mildern und Ihnen vorzustellen, daß ich die Hälfte einer langen Lebenszeit gelebt, ohne je meinem Willen dem Ihren entgegenzusetzen. Ich kann nicht sagen, daß ich imstande war, mich mit Herz und Sinn in Ihre Grundsätze zu fügen; ich kann nicht sagen, daß ich glaube, meine vierzig Jahre seien mir selbst oder irgendwem sonst nützlich oder angenehm gewesen. Aber ich habe gewöhnlich nachgegeben, und ich bitte nur, daß Sie sich daran erinnern.«

Wehe dem Flehenden von jetzt und ehedem, der von dem unerbittlichen Gesicht an dem Schreibtisch ein Zugeständnis erwartete! Wehe dem Verbrecher, dessen Appellation einem Tribunal unterbreitet war, bei dem so strenge Augen den Vorsitz führten! Die harte Frau brauchte all ihre mystische Religion, die in Dunkel und Finsternis gehüllt war, um nur Fluch-, Rache- und Vernichtungsblitze durch die Sandwolken zu schleudern. Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern, war eine Bitte, die ihr zu geistesarm erschien. Züchtige meine Schuldner, o Herr, vertrockne sie, zermalme sie; tu mit ihnen, wie ich tun würde, und ich werde dich anbeten: das war der gottlose Turm von Stein, den sie aufbaute, um himmelan zu steigen.

»Bist du zu Ende, Arthur, oder hast du mir noch etwas zu sagen? Ich glaube, es wird nichts mehr übrig sein. Du warst kurz, aber deine Worte waren inhaltsschwer!«

»Mutter, ich habe noch etwas zu sagen. Es lastete die ganze lange Zeit Tag und Nacht auf meinem Herzen. Es ist weit schwieriger zu sagen, als was ich bisher gesagt. Dies betraf nur mich selbst: was nun kommt, uns alle.«

»Uns alle! Wer sind diese ›uns alle?‹«

»Sie, ich, mein verstorbener Vater.«

Sie nahm ihre Hände von dem Schreibtisch, faltete sie in ihrem Schoß und saß, mit der Unerforschlichkeit einer alten ägyptischen Skulptur in das Feuer blickend, da.

»Sie kannten meinen Vater ungleich besser, als ich ihn je gekannt; und seine Zurückhaltung gegen mich wich gegenüber Ihnen. Sie waren der stärkere Teil, Mutter, und leiteten ihn. Ich wußte das schon als Kind so gut wie jetzt. Ich wußte, daß Ihr Einfluß auf ihn die Ursache war, weshalb er nach China ging, um dort das Geschäft zu besorgen, während Sie sich dessen hier annahmen (wenn ich auch jetzt noch nicht weiß, ob dies wirklich der Grund zur Trennung war, wegen dessen Sie einwilligten); so wußte ich auch, daß es Ihr Wille war, daß ich hier bleibe, bis ich zwanzig Jahre alt sei, und dann zu ihm gehe, wie es wirklich geschah. Sie werden nicht ungehalten sein, wenn ich nach zwanzig Jahren daran erinnere?«

»Ich warte auf den Grund, weshalb du daran erinnerst.«"

Er dämpfte seine Stimme und sagte sichtbar ungern und mit Widerwillen:

»Ich möchte Sie fragen, Mutter, ob es Ihnen je in den Sinn gekommen, Verdacht zu hegen –«

Bei dem Worte »Verdacht« richtete sie den Blick mit finstrem Zusammenziehen der Brauen auf ihren Sohn. Dann ließ sie die Augen wieder das Feuer suchen, aber die Brauen blieben zusammengezogen, als ob der Bildhauer des alten Ägypten dem harten granitnen Gesicht für Jahrhunderte diesen finstern Ausdruck geben wollte.

»– daß er irgendeine geheime Erinnerung habe, die ihn beunruhige, ihn mit Reue quäle? Haben Sie je in seinem Benehmen etwas bemerkt, was zu diesem Verdacht führen konnte, oder je mit ihm davon gesprochen, oder je ihn auf etwas Derartiges anspielen hören?«

»Ich verstehe nicht, welcher Art die geheime Erinnerung gewesen sein sollte, der du deinen Vater zum Opfer werden läßt«, entgegnete sie nach einer Pause. »Du sprichst so geheimnisvoll.«

»Wäre es möglich, Mutter«, sagte der Sohn, indem er sich vorbeugte, um ihr näher zu sein, solange er flüsterte, und legte dabei seine Hand ängstlich besorgt auf das Schreibpult, »wäre es möglich, Mutter, daß er irgend jemandem ein Unrecht zugefügt und es nicht wieder gutgemacht hat?«

Zornig ihn anblickend, lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück, um ihn von sich fernzuhalten, antwortete jedoch nicht.

»Ich fühle wohl, Mutter, daß, wenn dieser Gedanke Ihnen niemals in den Sinn gekommen, es grausam und unnatürlich von mir erscheinen muß, selbst in diesem vertraulichen Augenblick, ihn auch nur leise auszusprechen. Aber ich kann ihn nicht loswerden. Zeit und Veränderung des Orts (ich habe beides versucht, ehe ich mein Schweigen brach) vermögen nichts gegen ihn. Bedenken Sie, ich lebte bei meinem Vater. Bedenken Sie, ich blickte ihm ins Auge, als er mir die Uhr anvertraute und sich mir zu sagen mühte, daß er sie Ihnen als ein Zeichen sende, das Sie wohl verstehen würden. Bedenken Sie, ich sah ihn im letzten Augenblick, als er mit dem Bleistift in der zitternden Hand einige Worte, denen er jedoch keine Form geben konnte, für Sie zu schreiben suchte. Je entfernter und grausamer dieser vage Verdacht, den ich hege, desto gewichtiger sind die Umstände, die ihm einen Schein von Wahrscheinlichkeit zu geben vermögen. Um des Himmels willen, lassen Sie uns ernstlich forschen, ob hier irgendein Unrecht wieder gutzumachen ist. Niemand kann mir dabei helfen, Mutter, als Sie.«

Noch immer in ihrem Lehnstuhl so zurückgelehnt, daß ihr Übergewicht von Zeit zu Zeit diesen ein wenig auf seinen Rädern bewegte, und daß sie das Aussehen eines vor ihm zurückweichenden zornglühenden Phantoms hatte, stemmte sie, den Rücken ihrer Hand am Gesicht, den Arm zwischen ihn und sich, während sie ihn schweigend ansah.

»Bei diesem Haschen nach Geld und den kühnen Handelsspekulationen – ich habe begonnen und muß nun von solchen Dingen sprechen, Mutter – ist ohne allen Zweifel jemand beeinträchtigt, benachteiligt, ruiniert worden. Sie waren die Triebfeder der ganzen Maschine, ehe ich geboren wurde. Ihr starker Geist hat während mehr als vierzig Jahren an allen Geschäften meines Vaters teilgenommen. Sie können diese Zweifel lösen, hoffe ich, wenn Sie mir wirklich zur Ergründung der Wahrheit behilflich sein wollen. Wollen Sie das, Mutter?«

Er hielt inne, in der Hoffnung, sie werde sprechen. Aber ihre starren Lippen waren nicht beweglicher als ihr graues, in zwei Scheitel gelegtes Haar.

»Wenn wir irgend etwas ersetzen, wenn wir irgend etwas wieder gutmachen können, so lassen Sie es uns wissen und es tun. Ja, Mutter, wenn es in meinen Kräften liegt, so lassen Sie es mich tun. Ich habe so wenig Glück vom Golde kommen sehen: es hat, soweit mein Wissen reicht, weder diesem Haus noch irgendeinem, der dazu gehört, Frieden gebracht: darum hat es in meinen Augen auch weit geringeren Wert als in irgendeines andern. Ich kann mir nichts damit erwerben, das mir nicht ein Vorwurf oder eine Pein wäre, solange mich noch der Argwohn quält, daß meines Vaters letzte Stunden von Gewissensbissen umnachtet waren, und daß das Geld nicht mein ehrlicher und gerechter Besitz sei.«

Zwei bis drei Ellen von dem Schreibtisch hing eine Klingelschnur an der gefelderten Wand. Durch eine rasche und plötzliche Bewegung ihres Fußes schob sie ihren Räderstuhl schnell nach jener hin und zog heftig daran –, während sie den Arm noch immer in einer schildartigen Stellung hielt, als ob Arthur mit ihr kämpfte und sie den Schlag abwehren wollte.

Ein Mädchen trat erschrocken ein.

»Sende Flintwinch her!«

Im nächsten Augenblick war das Mädchen verschwunden, und der alte Mann stand in der Tür. »Wie! Sind Sie schon in Streit?« sagte er, sich sein Gesicht streichend. Ich dachte mir's doch. Ich war fest davon überzeugt.«

»Flintwinch!« sagte die Mutter. »Sehen Sie meinen Sohn an. Sehen Sie ihn an!«

»Nun! Ich sehe ihn an«, sagte Flintwinch.

Sie streckte den Arm aus, mit dem sie sich gedeckt, und zeigte, während sie fortfuhr, auf den Gegenstand ihrer Entrüstung.

»Beinahe in derselben Stunde, in der er ankommt, – ehe noch der Schuh an seinem Fuß trocken ist – verleumdet er das Gedächtnis seines Vaters vor seiner Mutter! Verlangt, daß seine Mutter die Handlungen seines Vaters mit ihm auskundschafte! Spricht Befürchtungen aus, daß die Güter dieser Welt, die wir früh und spät mit Müh' und Sorgen, mit Arbeit und Selbstverleugnung zusammengebracht, so gut wie Raub seien; und fragt mich, wem sie als Ersatz und Vergütung wieder zurückerstattet werden sollen!«

Obgleich sie dies mit größter Entrüstung sagte, sprach sie doch in einem Ton, den sie so ganz beherrschte, daß er sogar leiser als gewöhnlich war. Auch sprach sie mit großer Deutlichkeit.

»Ersatz!« sagte sie, »ja wahrhaftig! Es ist leicht von Ersatz zu sprechen, wenn man frisch vom Reisen und Wohlleben in fremden Ländern herkommt und ein Leben voll Lust und Vergnügen führt. Er soll mich ansehen in meinem Gefängnis, in Ketten und Banden. Ich ertrage mein Schicksal ohne Murren, weil es mir beschieden, auf solche Weise meine Sünden zu büßen. Ersatz! Liegt denn keiner in diesem Zimmer? Habe ich denn während dieser fünfzehn Jahre nichts wieder gutgemacht?«

So wog sie immer ihren Handel mit der Majestät des Himmels ab, indem sie den Eingang zu ihrem »Haben« schrieb, streng an ihrer Gegenforderung festhielt und auf ihren Gebühren beharrte. Sie war darin nur wegen der Strenge und des Nachdrucks, mit denen sie das tat, merkwürdig. Tausende und aber Tausende tun dasselbe alle Tage, jeder nach seiner Weise.

»Flintwinch, geben Sie mir das Buch!«

Der alte Mann gab es ihr vom Tische. Sie steckte zwei Finger zwischen die Blätter, schloß das Buch und hielt es ihrem Sohne drohend hin.

»In alten Zeiten, Arthur, von denen dieses Buch spricht, gab es fromme, von dem Herrn geliebte Männer, die ihre Söhne um geringerer Ursachen als diese verflucht und aus ihrer Nähe verbannt, ja ganze Nationen, wenn sie sie unterstützt, ins Exil geschickt, daß sie verlassen von Gott und Menschen bis herab zum Säugling an der Mutterbrust umgekommen wären. Ich erkläre dir jedoch nur so viel, daß, wenn du jemals dieses Thema wieder in meiner Gegenwart zur Sprache bringst, ich dich verleugnen werde; ja, ich werde dich so von dieser Schwelle weisen, daß es dir besser wäre, du würdest von deiner Wiege an mutterlos gewesen sein. Ich werde dich nimmer ansehen noch kennen. Und wenn du endlich in dieses dunkle Gemach trätest, um mich im Tod noch zu sehen, sollte, wo es irgend in meiner Macht stände, mein Leichnam bluten, wenn du mir nahe kämest.«

Erleichtert teils durch die Heftigkeit dieses Fluches, teils (so seltsam dies auch scheinen mag) durch den allgemeinen Eindruck, daß es eine Art religiösen Aktes war, gab sie dem alten Manne das Buch zurück und schwieg.

»Jetzt«, sagte Jeremiah, »vorausgeschickt, daß ich nicht die Absicht habe, mich zwischen Sie zu stellen, erlauben Sie mir zu fragen (da ich einmal hereingerufen und zum Dritten gemacht worden bin), was soll dies alles bedeuten?«

»Lassen Sie sich's von meiner Mutter erklären«, erwiderte Arthur, da er sah, daß das Sprechen ihm überlassen blieb. »Oder lassen Sie die Sache lieber ruhen. Was ich gesagt, war nur zu meiner Mutter gesagt.«

»Oh!« versetzte der alte Mann, »von Ihrer Mutter? Von Ihrer Mutter erklären lassen? Schon gut! Aber Ihre Mutter sagte, daß Sie Ihren Vater verdächtigt haben. Das ist nicht recht, Mr. Arthur. Wer wird nun bei den Verdächtigungen an die Reihe kommen?«

»Genug«, sagte Mrs. Clennam, ihr Gesicht so wendend, daß es für den Augenblick nur dem alten Manne zugekehrt war. »Wir wollen nicht weiter davon sprechen.«

»Ja, aber nur noch etwas, nur noch etwas«, drängte der alte Mann. »Lassen Sie uns sehen, wie wir stehen. Haben Sie Mr. Arthur gesagt, daß er keine Beleidigungen auf seinen Vater häufen darf? Daß er kein Recht dazu, – daß er keinen Grund zu solchem Betragen hat?«

»Ich werde es ihm jetzt sagen.«

»Ha! Wirklich«, sagte der alte Mann. »Sie werden es ihm jetzt sagen. Sie hatten es ihm bisher noch nicht gesagt und wollen es ihm jetzt sagen. Ah, ah, das ist recht! Sie wissen, ich stand so lange zwischen Ihnen und seinem Vater, daß es scheint, als hätte der Tod keinen Unterschied gemacht, und ich stehe noch zwischen Ihnen. So soll es denn auch sein, und in aller Güte fordre ich, daß der Sache ein Ende gemacht werde. Arthur, ich muß Sie bitten, sich wohl zu merken, daß Sie kein Recht haben, Ihren Vater zu verdächtigen, und keinen Grund, so zu verfahren.«

Er legte seine Hände auf die Lehne des Rollstuhls, und etwas in sich hineinmurmelnd, rollte er seine Herrin wieder an den Schreibtisch zurück. »Aber«, fuhr er hinter ihr stehend fort, »für den Fall, daß ich bei meinem Weggang die Sache auf halbem Wege lasse und man meiner wieder bedürfte, wenn Sie zur Beratung der andern Hälfte kommen, möchte ich doch wissen, ob Arthur Ihnen gesagt, was er in bezug auf das Geschäft beabsichtigt?«

»Er hat es aufgegeben.«

»Vermutlich doch zu keines andern Gunsten?« Mrs. Clennam sah ihren Sohn an, der an einem der Fenster lehnte. Er bemerkte den Blick und sagte: »Natürlich zugunsten meiner Mutter. Sie kann tun, was ihr beliebt.«

»Und wenn irgendeine Freude«, sagte sie nach einer kurzen Pause, »mir aus der Täuschung meiner Erwartung, daß mein Sohn in der besten Jugendfrische seines Lebens ihm neue Kraft und neuen Schwung verleihen und es nutzbringend und ergiebig machen würde, – wenn irgendeine Freude mir aus dieser Enttäuschung erwächst, so ist es die, daß sie einen alten und treuen Diener im Wert steigen ließ. Jeremiah, der Kapitän verläßt das Schiff, aber du und ich werden untergehen oder auf ihm fortschwimmen.«

Jeremiah, dessen Augen blitzten, als ob sie Geld sähen, warf einen raschen Blick auf den Sohn, der zu sagen schien: »Ich bin Ihnen keinen Dank dafür schuldig; Sie haben nichts dafür getan!« und dann der Mutter bedeutete, daß er ihr danke und daß Affery ihr danke und daß er sie nimmer verlassen werde und daß Affery sie nimmer verlassen werde. Endlich zog er seine Uhr aus ihren Tiefen empor und sagte: »Elf! Die Zeit für Ihre Austern!« und mit dieser Änderung des Themas, die jedoch nicht auch eine Änderung des Ausdrucks oder der Haltung in sich schloß, zog er die Glocke.

Aber Mrs. Clennam beschloß, mit noch größerer Strenge gegen sich zu verfahren, da man sie im Verdacht einer Ersatzverweigerung gehabt, und wies die Austern zurück, als man sie ihr brachte. Sie sahen verführerisch aus: acht an der Zahl, im Kreise auf einem weißen Teller, der auf einer mit weißer Serviette bedeckten Präsentierplatte stand, und daneben eine Schnitte mit Butter bestrichenen Weißbrots und ein kleines volles Glas kühlen Weins mit Wasser; aber sie widerstand aller Überredungskunst und schickte sie wieder hinunter –, indem sie ohne Zweifel diesen Akt zu ihrem »Haben« im Buch der Ewigkeit schrieb.

Bei diesem Austernfrühstück war Affery nicht zugegen, wohl aber das Mädchen, das auf das Läuten erschienen war; dasselbe, das in dem düster beleuchteten Zimmer am vorhergehenden Abend anwesend gewesen. Jetzt, da er Gelegenheit hatte, sie zu beobachten, fand Arthur, daß ihre winzig kleine Figur, ihre kleinen Gesichtszüge und ihr leichter, dürftiger Anzug ihr ein weit jüngeres Aussehen gaben, als es in Wirklichkeit der Fall war. Obgleich ein Mädchen von nicht weniger als zweiundzwanzig Jahren, mochte die Kleine bei einer Begegnung auf der Straße für wenig mehr als halb so alt gegolten haben. Nicht gerade, daß ihr Gesicht so jugendlich ausgesehen; denn die Züge hatten etwas Reiferes und durch Kummer Ausgeprägteres, als dies sonst in solchem Alter der Fall zu sein pflegt. Aber sie war so klein und zart, so still und menschenscheu, und schien so deutlich zu fühlen, sie sei zwischen den drei weit Älteren nicht am Platze, daß sie ganz das Benehmen und viel von dem Wesen eines unterdrückten Kindes hatte.

Die Art und Weise, wie Mrs. Clennam ihr Interesse für dieses abhängige Wesen an den Tag legte, hielt die unbestimmte schwankende Mitte zwischen Gönnerhaftigkeit und Unterdrückung, zwischen dem Strom eine Gießkanne und einer hydraulischen Presse.

Selbst in dem Augenblick, als sie auf das heftige Klingeln eintrat und die Mutter sich mit der eigentümlichen Aktion gegen den Sohn schützte, hatten die Augen von Mrs. Clennam noch etwas besonders Forschendes, das sie für sie aufgespart. Wie es selbst bei dem härtesten Metall Grade von Härte und Schattierungen selbst im Schwarz gibt, so war auch in dem rauhen Wesen von Mrs. Clennams Verhalten zur ganzen übrigen Menschheit und zu Klein-Dorrit eine feine Steigerung vorhanden.

Klein-Dorrit arbeitete als Hausnäherin. So lange der Tag dauerte, oder so kurz er dauerte – von acht zu acht Uhr –, konnte man Klein-Dorrit haben. Pünktlich mit dem Glockenschlag erschien Klein-Dorrit; pünktlich mit dem Glockenschlag verschwand Klein-Dorrit. Was zwischen den beiden Acht aus Klein-Dorrit wurde, wußte man nicht.

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