Kitabı oku: «Nikolas Nickleby», sayfa 7
Nikolas spülte sich den Magen mit einem Napf Suppe aus; wohl aus demselben Grunde, der gewisse Wilde veranlaßt, Erde zu verschlucken, um die mahnenden Eingeweide zu besänftigen, wenn nichts zu essen da ist. Und nachdem er noch eine Brotschnitte mit Butter verzehrt hatte, die ihm in seiner Eigenschaft als Lehrer zuteil wurde, setzte er sich nieder und wartete, bis der Unterricht begänne.
Es konnte ihm natürlich nicht entgehen, daß statt frischen Lebensmutes nur stumme Trauer unter den Kindern herrschte. Keine Spur von dem Tumult und Lärmen eines Schulzimmers, nichts von geräuschvollen Spielen oder herzlicher Fröhlichkeit. Die Kleinen kauerten sich zitternd zusammen und schienen sich nicht zu getrauen, sich auch nur zu bewegen. Der einzige Zögling, der einigermaßen Neigung zu Scherz an den Tag legte, war der junge Master Squeers. Da aber seine Hauptbelustigung darin bestand, mit seinen Stiefeln den anderen auf die Zehen zu treten, so bot seine Munterkeit gerade keinen besonders erfreulichen Anblick.
Nach einer halben Stunde trat Mr. Squeers wieder ein. Die Knaben gingen an ihre Plätze und griffen nach ihren Büchern, von denen durchschnittlich eines auf etwa acht Schüler kam. Der Schulmeister nahm einige Minuten eine sehr gelehrte Miene an, als wisse er alles auswendig und könne jedes Wort aus dem Kopfe hersagen, wenn er sich nur die Mühe dazu nehmen wollte, und rief dann die erste Klasse auf.
Dem Befehle gehorsam stellten sich etwa ein halbes Dutzend Vogelscheuchen mit an den Knieen und Ellenbogen durchlöcherten Kleidern vor seinem Pulte auf, und eine davon unterbreitete ein zerrissenes und beschmutztes Buch seinem gelehrten Auge.
»Dies ist die erste Klasse. Sie erhält Unterricht im Lesen und in der Philosophie, Nickleby«, erklärte Squeers und winkte Nikolas näher heran. »Wir wollen später auch eine Lateinklasse gründen und sie Ihnen übertragen. – Also gut. Wo ist unser Primus?«
»Er putzt in der hintern Stube die Fenster«, hauchte der Zugführer der philosophischen Klasse.
»Ja, richtig«, brummte Squeers. »Wir halten uns an die praktische Lehrmethode, Nickleby; das einzige richtige Erziehungssystem. P-u-tz, Putz, e-n, en, Putzen, Zeitwort, reinmachen, reinigen, F-e-n, Fen, s-t-e-r, ster, Fenster. Eine mit einer durchsichtigen Substanz verwahrte Öffnung, durch die Licht in die Häuser fällt. – Wenn ein Knabe etwas der Art aus dem Buche gelernt hat, so geht er hin und tut es. Wir folgen hier ganz demselben Grundsatz, den man bei dem Gebrauch der Erdgloben in Anwendung bringt. Wo ist der Zweite?«
»Er jätet im Garten Unkraut aus«, rief eine zarte Stimme.
»So ist es«, fuhr Squeers fort, ohne aus der Fassung zu kommen, »so ist's. B-o, Bo, d-a, da, Boda, n-i-k, nik, Bodanik, Hauptwort, Kenntnis der Pflanzen. – Wenn er gelernt hat, daß »Bodanik« Kenntnis der Pflanzen bedeutet, so geht er hin und lernt sie kennen. Dies ist mein System, Nickleby. Was halten Sie davon?«
»Jedenfalls sehr nutzbringend«, sagte Nikolas doppelsinnig.
»Das will ich meinen«, entgegnete Squeers, dem die ironische Betonung seines Hilfslehrers nicht weiter auffiel. »Nun, du Dritter, was ist ein Pferd?«
»Ein Tier, Sir«, antwortete der Knabe.
»Richtig«, lobte Squeers. »Stimmt's, Nickleby?«
»Ich glaube, daß hier kein Zweifel obwalten kann, Sir«, meinte Nikolas.
»Natürlich nicht. Ein Pferd ist ein Quadruped, und Quadruped ist das lateinische Wort für Tier, wie jeder, der die Grammatik durchgemacht hat, weiß, denn wo läge sonst der Nutzen der Grammatik?«
»In der Tat, wo läge er«, bestätigte Nikolas zerstreut.
»Da du deine Sache so gut gemacht hast«, lobte Squeers den Schüler, »so geh in den Stall, sieh nach meinem Pferd und striegle es ordentlich, sonst will ich dich striegeln. Die übrigen der Klasse scheren sich hinaus und schöpfen Wasser, bis man sie aufhören heißt, denn die Kessel müssen für den morgigen Waschtag gefüllt werden.« Mit diesen Worten entließ er die erste Klasse zu ihren praktischen Übungen in der Philosophie und sah Nikolas mit einem halb verschmitzten, halb unsichern Blick an, als wolle er sich überzeugen, welchen Eindruck dieses Verfahren auf seinen Hilfslehrer gemacht habe.
»So wird die Sache bei uns betrieben, Nickleby«, sagte er nach einer langen Pause.
Nikolas zuckte kaum merklich die Achseln und sagte, daß ihn dies der Augenschein lehre.
»Es ist wirklich eine sehr gute Methode«, fuhr Squeers fort. »Doch lassen Sie jetzt die vierzehn kleinen Knaben lesen, denn Sie müssen anfangen, sich nützlich zu machen. Faulenzerei gibt's bei uns nicht.«
Mr. Squeers sagte dies in einem Tone, als sei ihm plötzlich eingefallen, daß er seinem Hilfslehrer nicht zuviel anvertrauen dürfe oder daß dieser ihm nicht genug zum Lobe der Anstalt gesagt habe. Die Kinder mußten sich sodann im Halbkreis um den neuen Lehrer aufstellen, und bald horchte dieser auf ihr träges, eintöniges und stockendes Herunterbuchstabieren jener wichtigen Geschichten, die in den ältern Fibelbüchern zu finden sind.
Unter dieser angenehmen Beschäftigung schleppte sich der Morgen schwerfällig hin. Um ein Uhr kamen die Zöglinge, nachdem man ihnen zuerst den Appetit durch Haferbrei und Kartoffeln genommen hatte, zu einem Stückchen stark eingepökelten Ochsenfleisch in die Küche, und Nikolas erhielt gnädigst die Erlaubnis, seinen Anteil nach seinem einsamen Pulte tragen zu dürfen, um es dort ungestört verzehren zu können. Dann kauerten sich die Knaben abermals eine Stunde lang fröstelnd in dem kalten Schulzimmer zusammen, worauf der Unterricht wieder seinen Anfang nahm.
Mr. Squeers pflegte nach jedem seiner halbjährlichen Besuche in der Hauptstadt die Knaben zusammenzurufen und ihnen eine Art Mitteilung zu machen über ihre Verwandten, wenn er sie gesehen, über Nachrichten, die er gehört, Briefe, die er mitgebracht, Rechnungen, die man bezahlt, oder Noten, die man schuldig geblieben war usw. Diese festliche Revue fand jedesmal stets erst am Nachmittag nach seiner Zurückkunft statt; vielleicht, damit die Knaben durch längeres Hangen und Bangen Seelenstärke gewönnen, vielleicht auch, weil Mr. Squeers durch gewisse warme Getränke, die er gewöhnlich nach dem Mittagessen zu sich zu nehmen pflegte, größere Unbeugsamkeit gewann. Doch sei dem, wie es wolle, die Knaben wurden von den Fenstern, dem Stalle, dem Garten und dem Hofe zurückgerufen, und das Schulzimmer war gesteckt voll, als Mr. Squeers mit einem Paketchen Briefschaften in der Hand und von seiner Gattin begleitet, die ein paar Haselstöcke trug, in das Zimmer trat und Stillschweigen gebot.
»Wenn einer, ohne daß er gefragt wird, das Maul auftut«, begann Mr. Squeers in mildem Tone, »so kriegt er Haue, bis ihm das Fell von den Knochen fällt.«
Diese Ankündigung hatte den beabsichtigten Erfolg; im Augenblick trat eine totengleiche Stille ein, und Squeers fuhr fort:
»Jungen, ich bin in London gewesen und gesund und wohl wieder zu meiner Familie und zu euch zurückgekehrt.«
Die Zöglinge begrüßten diese Nachricht dem halbjährigen Brauche zufolge mit drei schwachen Freudenrufen, die mehr wie ein Seufzer klangen aus der Brust eines Menschen, dem der Todesschweiß auf der Stirne steht.
»Ich habe die Eltern von einigen unter euch gesehen«, fuhr Squeers, seine Papiere durchblätternd, fort, »und sie sind so erfreut über die Fortschritte ihrer Söhne, daß an ein Zurücknehmen derselben nicht zu denken ist, was natürlich eine sehr erfreuliche Nachricht bedeutet.«
Bei diesen Worten fuhren zwei oder drei kleine Hände über zwei oder drei Augenpaare, aber der größere Teil der Kinder wußte nicht viel von seinen Eltern und war daher bei der Sache in keiner Weise beteiligt.
»Ich hatte mit Widerwärtigkeiten aller Art zu kämpfen«, sagte Squeers und nahm eine zürnende Miene an. »Bolders Vater ist zwei Pfund, zehn Schillinge schuldig geblieben. Wo ist Bolder?«
»Hier, Sir«, antworteten zwanzig diensteifrige Stimmen. – Knaben sind in solchen Fällen genau wie Erwachsene. –
»Komm her, Bolder!« befahl Squeers.
Ein kränklich aussehender Junge mit von Warzen bedeckten Händen trat leichenblaß und klopfenden Herzens an das Pult und erhob flehend seine Augen.
»Bolder«, begann Squeers ganz langsam, denn er überlegte noch im Sprechen, wie er dem Kinde am besten beikommen könne, »Bolder! Wenn dein Vater glaubt – Aber, was ist das, Bengel?!«
Mit diesen Worten faßte Squeers die Hand des Knaben am Ärmelaufschlag und betrachtete die Warzen mit einem erbaulichen Ausdruck von Entrüstung und Ekel.
»Wie nennst du das, Musjö?« fragte er und gab dem Knaben zuvörderst einmal einen Schlag mit der Haselrute, um die Antwort zu beschleunigen.
»Ach, ich kann ja nichts dafür, Sir«, jammerte der Junge. »Sie kommen von selbst; ich glaube, es macht die schmutzige Arbeit, Sir. Ich weiß wirklich nicht, woher es kommt, Sir, aber ich kann nichts dafür.«
»Bolder«, knirschte Squeers, schlug die Hemdärmel zurück und feuchtete die Fläche der rechten Hand mit der Zunge an, um den Stock besser halten zu können, »du bist ein unverbesserlicher Lügner, und da die letzte Tracht Prügel bei dir nicht gefruchtet hat, so wollen wir mal sehen, ob eine neue nicht bessere Wirkung tut.«
Und ohne auf den kläglichen Schrei um Schonung zu achten, fiel er über den Knaben her und bearbeitete ihn so lange mit dem Stock, bis er kaum mehr den Arm rühren konnte.
»So«, keuchte Squeers, als er fertig war, »reib dir den Buckel, soviel du willst. Das da wirst du dir nicht so schnell herunterreiben. Was, du willst nicht zu heulen aufhören?! Führ ihn hinaus, Smike.«
Der Haussklave wußte aus Erfahrung zu gut, daß durch Zögern nichts gewonnen wurde, und schaffte daher das arme Opfer durch eine Seitentüre; während sich Mr. Squeers wieder auf seinen Stuhl hinpflanzte und seine Gattin an seiner Seite Platz nahm.
»So. Und jetzt weiter. Hier ist ein Brief für Cobbey. – Steh auf, Cobbey!«
Ein anderer Zögling erhob sich und betrachtete mit ängstlicher Miene den Brief, den der Schulmeister in einem kurzen Auszug vortrug.
»Also. Cobbeys Großmutter ist gestorben und sein Onkel John hat sich dem Trunk ergeben. Das sind die Neuigkeiten, die seine Schwester sendet – achtzehn Pence ausgenommen, die gerade hinreichen, die von Cobbey zerbrochene Fensterscheibe zu bezahlen. Liebe Frau, hier nimm das Geld.«
Die würdige Dame steckte die achtzehn Pence mit der gleichgültigsten Geschäftsmiene von der Welt ein, und Squeers ging ebenso kaltblütig zu dem nächsten Knaben über.
»Die Reihe kommt jetzt an Graymarsh. Steh auf, Graymarsh!« Der Junge gehorchte, und der Schulmeister überlas wie früher einen Brief.
Graymarshs Tante sei sehr erfreut über die Nachricht, daß ihr Neffe so gesund und zufrieden sei, und lasse Mrs. Squeers die achtungsvollsten Komplimente vermelden. Sie glaube, daß sie ein Engel sein müsse und ebenso wie Mr. Squeers, der hoffentlich der Menschheit noch lange erhalten bleiben werde, zu gut für diese Welt sei. Sie würde die verlangten zwei Paar Strümpfe gestrickt haben, wenn in ihrer Kasse nicht Ebbe geherrscht hätte. Statt dessen sende sie ein Traktätchen und hoffe, Graymarsh werde sein Vertrauen immer auf Gott setzen. Vor allem aber wünsche sie, daß er sich eifrig Mühe gebe, sich Mr. und Mrs. Squeers' Liebe in jeder Hinsicht zu erwerben und in ihnen seine einzigen Freunde zu sehen. Er solle den jungen Master Squeers lieben und sich nicht unchristlicherweise darüber beschweren, daß er zu fünft im Bett schlafen müsse.
»Hm«, brummte Squeers und faltete das Schreiben zusammen, »ein herrlicher Brief. – So liebreich!«
In gewissem Sinn war er allerdings sehr liebreich, denn des Knaben Tante war, wie sich ihre vertrauten Freundinnen ins Ohr flüsterten, niemand anders als seine wirkliche Mutter. Squeers ging natürlich, ohne auf diesen Teil der Geschichte anzuspielen, die vor den Knaben unmoralisch geklungen haben würde, weiter und rief den Namen Mobbs, worauf sich wieder ein Zögling erhob und Graymarsh auf seinen Platz ging.
»Mobbs' Stiefmutter«, berichtete Squeers, »hat sich zu Bett legen müssen, als sie hörte, daß er keinen Speck essen wolle, und ist seitdem immerwährend krank gewesen. Sie wünscht mit der nächsten Post zu erfahren, wo er eigentlich hingetan zu werden erwarte, wenn er sich über die Kost beklage, und will wissen, wieso er über die Kuhleberbrühe noch die Nase rümpfen kann, nachdem sein guter Lehrer den Segen darüber gesprochen hat. Daß das geschehen, habe sie aus den Londoner Zeitungen und nicht von Mr. Squeers erfahren, der zu menschenfreundlich und wohlwollend sei, Verwandte gegeneinander aufzuhetzen. Sie fühle sich übrigens in einer Weise gekränkt, daß sich Mobbs gar keinen Begriff davon machen könne. Es schmerze sie unendlich, eine so sündhafte und abscheuliche Unzufriedenheit an ihm zu bemerken, weshalb sie hoffe, Mr. Squeers werde ihn in mehr Duldsamkeit hineinprügeln. Wegen seines schlechten Betragens behalte sie auch den wöchentlichen halben Penny Taschengeld zurück und habe ein Messer mit doppelter Klinge und einem Korkenzieher, das für ihn bestimmt gewesen, der christlichen Mission geschenkt.
»Ja, ja, Widerspenstigkeit tut nicht gut«, sagte Mr. Squeers nach einer schrecklichen Pause und befeuchtete sich wieder die Fläche seiner rechten Hand. »Frohsinn und Zufriedenheit müssen stets aufrechterhalten werden. Mobbs, komm her.«
Mobbs bewegte sich langsam nach dem Pulte hin und rieb sich in der Vorahnung, bald genug Anlaß dazu zu haben, die Augen und erhielt ihn auch in so hohem Maße, wie es sich ein Knabe nur wünschen kann, und wurde dann gleichfalls durch die Seitentür entfernt.
Mr. Squeers fuhr sodann fort, die noch übrigen Briefe zu öffnen. Einige erhielten Geld, das Mrs. Squeers zum Aufheben übergeben wurde, und andere bezogen sich auf verschiedene kleine Kleidungsstücke, wie Mützen usw., die aber alle nach Ansicht der Dame des Hauses bald zu groß, bald zu klein waren und für niemand als Master Squeers passen wollten, der die allergefügigsten Gliedmaßen zu haben schien, da ihm alles, was in die Anstalt kam, wie angegossen saß. Besonders sein Kopf mußte eine wunderbare Elastizität besitzen, da ihm Hüte und Mützen von jeder Weite gleich gut paßten. Nach Erledigung dieses Geschäftes wurden noch einige Lektionen heruntergehudelt, worauf sich Mr. Squeers in seinen Familienkreis zurückzog und dem Unterlehrer die Obhut über die Knaben in der äußerst kalten Schulstube überließ, in der, als es dunkel wurde, auch das Abendessen, bestehend aus Brot und Käse, ausgeteilt wurde.
In einer Ecke des Unterrichtszimmers, zunächst dem Pulte des Schulmeisters, befand sich ein kleiner Ofen, und an diesen setzte sich Nikolas, als er endlich allein war, und wünschte sich in dem Vollbewußtsein seiner Erniedrigung den Tod als willkommenen Erlöser herbei. Die Grausamkeiten, deren unfreiwilliger Zeuge er gewesen, Squeers' rohes und niederträchtiges Benehmen, selbst wenn dieser in guter Laune war, und überhaupt alles, was er an diesem schmutzigen Orte sah und hörte, vereinigte sich, diese trübe Stimmung hervorzurufen. Wenn er aber gar daran dachte, daß er dabei mitwirken und, gleichgültig, ob durch Verkettung von Umständen dazu gezwungen oder nicht, als Helfer und Mitschuldiger eines Systems erscheinen mußte, das nur Ekel und Widerwillen in seiner Seele hervorrief, so verabscheute er sich selbst, und es kam ihm vor, als ob die bloße Rückerinnerung an seine gegenwärtige Erniedrigung es ihm für alle Zeiten unmöglich machen müßte, sein Haupt dereinst wieder vor anständigen Leuten zu erheben.
Vorderhand war jedoch sein Entschluß gefaßt, und die Vorsätze der verflossenen Nacht blieben ungetrübt. Er hatte seiner Mutter und Schwester geschrieben, ihnen die glückliche Beendigung seiner Reise mitgeteilt, und von Dotheboys Hall so wenig wie möglich, und auch das wenige in möglichst heiterer Weise, berichtet. Er hoffte, wenn er bliebe, selbst hier einiges Gute wirken zu können, und andernfalls hingen die Seinigen zu sehr von der Gunst seines Onkels ab, als daß er sich schon jetzt dessen Groll hätte zuziehen dürfen.
Eine Erwägung beunruhigte ihn jedoch noch weit mehr als alles Widerwärtige seiner eigenen Lage, nämlich das voraussichtliche Los seiner Schwester. Sein Onkel hatte ihn hintergangen; stand da nicht auch zu befürchten, daß er sie in eine Umgebung bringen könne, in der ihre Schönheit und Jugend ihr einen größeren Fluch bedeuten könnten als Häßlichkeit und Alter? Ein schrecklicher Gedanke für einen an Händen und Füßen gebundenen Menschen! Doch war ja andererseits die Mutter bei ihr, und auch die Malerin – freilich ein sehr einfaches Wesen, das aber schließlich doch in und von der Welt lebte.
In solch quälende Gedanken vertieft, fiel sein Blick zufällig auf Smike, der vor dem Ofen kniete, ein paar abgesprungene Aschenfunken vom Vorsetzer auflas und sie wieder zurück ins Feuer warf. Der arme Junge hatte eben innegehalten, um einen verstohlenen Blick auf Nikolas zu werfen, und als er jetzt sah, daß er bemerkt worden, fuhr er zusammen, als fürchte er, dafür gezüchtigt zu werden.
»Du brauchst dich nicht vor mir zu fürchten«, beruhigte ihn Nikolas freundlich. »Friert es dich so?«
»N-e-i-n.«
»Du klapperst so mit den Zähnen?«
»Es friert mich nicht«, versetzte Smike rasch. »Ich bin Kälte gewöhnt.«
In seinem ganzen Benehmen verriet sich so augenscheinlich die Furcht, Anstoß zu erregen, und er war überhaupt so scheu und niedergedrückt, daß Nikolas sich des Ausrufs »Armer Junge!« nicht erwehren konnte.
Wenn er den bedauernswerten Leidensträger geschlagen hätte, so würde sich dieser wahrscheinlich ohne einen Laut davongeschlichen haben, so aber brach er in Tränen aus.
»Ach, du mein Gott«, jammerte er und schlug sich seine aufgesprungenen und schwieligen Hände vor das Gesicht, »mir bricht das Herz.«
»Still, still«, beruhigte ihn Nikolas und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Sei ein Mann, du bist's ja fast an Jahren; Gott wird dir helfen.«
»An Jahren? O mein Gott, wie viele sind es jetzt schon? Wie viele Jahre sind dahingegangen, seit ich als kleines Kind hierhergekommen bin, jünger als irgendeines von denen, die jetzt da sind. – Wo sind sie alle?«
»Wovon sprichst du?« fragte Nikolas, bemüht, das arme, bald blödsinnige Geschöpf zur Vernunft zu bringen. »So rede doch!« »Meine Verwandten«, schluchzte Smike, »ich – meine – ach Gott, was habe ich gelitten!«
»Die Hoffnung stirbt nicht«, tröstete Nikolas, ohne zu wissen, was er sagte.
»Nein, nein«, jammerte der Bursche, »nein, für mich gibt's keine mehr. Erinnern Sie sich noch des Knaben, der hier gestorben ist?«
»Du weißt, ich war damals noch nicht hier«, sagte Nikolas sanft, »aber was ist's mit ihm?«
»Ich habe bei ihm gewacht, und als alles still um uns her war, hat er nicht mehr nach seinen Eltern und Verwandten gerufen, daß sie sich an sein Bett setzen möchten, sondern fing an, Gesichter um sich her zu sehen. Er sagte, sie lächelten ihm zu und sprächen mit ihm, und endlich richtete er den Kopf auf, um sie zu küssen, und starb. – Hören Sie?«
»Ja, ja, ich höre«, entgegnete Nikolas.
»Welche Gesichter werden mir zulächeln, wenn ich sterbe?« fuhr Smike schaudernd fort. »Wer wird zu mir sprechen, wenn die langen Nächte kommen? Sie können nicht von Hause kommen; sie würden mich erschrecken, wenn sie es täten, denn ich weiß nichts von einem Zuhause und würde sie nicht kennen. Für mich gibt's nur Furcht und Leiden, Furcht und Leiden im Leben und im Tod, aber keine Hoffnung, keine Hoffnung.«
Die Glocke läutete zum Schlafengehen, und Smike, der bei ihrem Klang sofort wieder in seinen gewohnten, gleichgültigen Stumpfsinn verfiel, schlich fort, als scheue er sich, bemerkt zu werden.
Bald darauf folgte ihm Nikolas, da er kein eigenes Gemach hatte, nach dem schmutzigen und überfüllten gemeinsamen Schlafsaal.
9. Kapitel: Von Miss Squeers, Mrs. Squeers, Master und Mr. Squeers und andern mit ihnen in Verbindung stehenden Personen
Als Mr. Squeers abends die Schulstube verließ, begab er sich nach seinem Wohnzimmer. Aber nicht in das, wo Nikolas bei seiner Ankunft zu Abend gespeist, sondern in ein kleineres im Hintergebäude, wo seine huldreiche Gattin, sein hoffnungsvoller Sohn und seine liebenswürdige Tochter sich des Glücks ungetrübten Familienlebens erfreuten. Mrs. Squeers war in die hausmütterliche Beschäftigung des Strümpfestopfens vertieft, während das junge Fräulein und Master Squeers irgendeine jugendliche Meinungsverschiedenheit vermittels eines Faustkampfes über den Tisch hinüber erörterten, was sich bei Annäherung des ehrenwerten Herrn Papas in einen geräuschlosen Austausch von Fußtritten unter dem Tisch verwandelte.
Miss Fanny Squeers stand im dreiundzwanzigsten Jahre, und wenn Anmut und Liebenswürdigkeit von dieser Lebensperiode unzertrennlich sind, warum nicht auch in diesem Falle? Sie war nicht so groß wie ihre Mutter, sondern ähnelte in dieser Beziehung eher ihrem Vater, hatte aber von der ersteren die rauhe Stimme, während von letzterem der merkwürdige Ausdruck des Auges auf sie übergegangen war, das ganz das Aussehen hatte, als ob es blind wäre.
Miss Squeers war eben erst von einem mehrtägigen Besuch bei einer benachbarten Freundin in das väterliche Haus zurückgekehrt, welchem Umstande es zuzuschreiben sein mochte, daß sie noch nichts von dem neuen Hilfslehrer gehört hatte und dessen Anwesenheit erst erfuhr, als ihr Vater selbst darauf zu sprechen kam.
»Nun, mein Schatz«, begann Squeers und rückte sich seinen Stuhl an den Tisch, »was hältst du von ihm?«
»Von wen denn?« fragte Mrs. Squeers, die in der Grammatik nicht ganz sattelfest war, unwirsch.
»Nun, von dem jungen Menschen, dem neuen Lehrer; wen könnte ich denn sonst meinen?« »Ach, der Knickerboy?!« rief Mrs. Squeers ungeduldig. »Nicht sehen kann ich ihn.«
»Aber warum denn nicht, meine Liebe?« fragte Squeers erstaunt.
»Was kümmert's dich? Ist's nicht genug, wenn ich dir sage, daß ich ihn nicht ausstehen kann?«
»Gerade genug für ihn, meine Liebe, und vielleicht um ein gutes Teil zuviel, wenn er es wüßte«, begütigte Mr. Squeers. »Ich habe doch nur aus Neugierde gefragt, mein Schatz.«
»Nun, wenn du's also durchaus wissen willst, so kann ich dir's ja sagen. Weil er ein stolzer, hochmütiger, eingebildeter, hochnäsiger Pfau ist.«
Wenn Mrs. Squeers aufgeregt war, pflegte sie sich einer sehr kräftigen Sprache zu bedienen und überdies eine Menge Beiwörter einzuflechten, von denen einige immer der Bildersprache angehörten, wie z. B. das Wort Pfau und die Anspielung auf Nikolas' Nase, die nicht im buchstäblichen Sinne genommen werden konnte. Auch nahm sie es nicht sonderlich genau, ob die Prädikate zusammenstimmten, wie man aus dem gegenwärtigen Fall ersehen kann, da ein hochnäsiger Pfau gewiß in der Naturgeschichte eine Rarität bedeutet, die man nicht alle Tage zu sehen bekommt.
»Hm, aber er ist billig, mein Schatz«, wendete Squeers auf den Wutausbruch hin milde ein, »der junge Mann ist sehr billig.«
»Warum nicht gar«, brummte Mrs. Squeers.
»Fünf Pfund jährlich!« bedeutete der Schulmeister.
»Teuer genug, wo man ihn doch gar nicht braucht.«
»Aber wir brauchen ihn«, erwiderte Squeers.
»Ich sehe nicht ein, wieso du ihn mehr brauchen solltest als den verstorbenen. Ich bitt dich, schweig. Kannst du nicht auf die Geschäftskarten setzen lassen: Erziehungsanstalt unter Leitung des Mr. Wackford Squeers nebst tüchtigen Hilfslehrern, ohne daß man einen solchen Mitfresser zu halten brauchte? Kommt das vielleicht nicht alle Tage bei anderen Instituten vor? Es ist rein nicht mehr zum Aushalten mit dir.«
»So, meinst du«, versetzte Squeers in strengem Ton. »Ich will dir was sagen. Was das Lehrerhalten anbelangt, so werde ich mit deiner gütigen Bewilligung tun, was mir paßt. Ein Sklavenhalter in Westindien hat auch seinen Gehilfen, der darauf zu sehen hat, daß ihm die Schwarzen nicht davonlaufen oder rebellieren, und ich will auch einen Menschen unter mir haben, der das gleiche bei unsern Schwarzen tut, bis einmal unser Bub so weit ist, daß er selbst die Schule leiten kann.«
»Ich darf, wenn ich groß bin, die Aufsicht in der Schule führen, Vater?« rief Master Squeers junior freudig und vergaß im Übermaß seines Entzückens ganz, seiner Schwester einen heimtückischen Fußtritt zu versetzen, wie er soeben vorgehabt.
»Ja, das sollst du, mein Sohn«, wiederholte Mr. Squeers gerührt.
»Teufel, dann will ich's aber den Jungen geben«, rief der vielversprechende Sprößling und griff nach seines Vaters Stock. »Die sollen mir aber quieken, Vater.«
Es war ein stolzer Augenblick in Mr. Squeers' Leben, Zeuge sein zu können von diesem Ausbruch edler Begeisterung in der Seele seines Kindes, aus dem jetzt schon künftige Größe hervorleuchtete. Er drückte ihm einen Penny in die Hand und machte im Verein mit seiner Mustergattin seinen Gefühlen durch ein lautes beifälliges Gelächter Luft.
»Er ist ein dummer, aufgeblasener Aff, nichts sonst«, kam Mrs. Squeers wieder auf Nikolas zurück.
»Angenommen, er ist aufgeblasen«, versetzte der Schulmeister, »so kann er das in der Klasse, die ihm übrigens nicht besonders zu behagen scheint, ja sein, soviel er will.«
»So?« meinte Mrs. Squeers. »Na, da wird ihm ja der Stolz allmählich vergehen. Meine Schuld soll's nicht sein, wenn es nicht geschieht.«
– Nun war ein stolzer Hilfslehrer und zumal in einer Yorkshirer Unterrichtsanstalt solches Wunderding, daß Miss Squeers, die sich sonst selten mit Schulangelegenheiten befaßte, sofort neugierig aufhorchte, wer denn dieser Knickerboy sei, der sich so hochmütig benehme.
»Nickleby«, verbesserte Mr. Squeers und buchstabierte ihr den Namen vor. »Deine Mutter nennt immer die Dinge und Leute mit unrechten Namen.« »Ist doch ganz wurst«, knurrte Mrs. Squeers. »Ich habe ihn beobachtet, als du heute den kleinen Bolder durchwichstest. Er hat dabei ein Gesicht geschnitten, so schwarz wie eine Wetterwolke, und einmal fuhr er sogar auf, als wäre er am liebsten über dich hergefallen. – Ja, ja, ich hab's ganz gut gesehen, wenn er's auch nicht bemerkt hat.«
»Laß das jetzt, Vater«, unterbrach Miss Squeers, als sich das Oberhaupt der Familie anschickte, eine heftige Antwort zu geben. »Wer ist er eigentlich?«
»Dein Vater bildet sich ein, er sei der Sohn eines verarmten Gentlemans«, höhnte Mrs. Squeers. »Er wird wahrscheinlich ein Findelkind sein.«
»Dummes Zeug«, fuhr Squeers auf, »seine Mutter lebt doch noch. Übrigens so oder so, wir machen uns jemand zum Freund, wenn wir ihn hier haben, und wenn's ihn so drängt, den Jungen außer der Aufsicht, die ihm obliegt, noch etwas zu lehren, was stört mich das weiter?«
»Und ich sage dir, ich kann ihn nun einmal nicht ausstehen«, beharrte Mrs. Squeers auf ihrem Standpunkt.
»Wenn er dir nicht gefällt, mein Schatz«, lachte der Schulmeister, »so kannst du es ihn ja fühlen lassen. Es ist doch gar kein Grund vorhanden, ihm gegenüber deinen Haß zu verbergen.«
»Habe ich auch nicht vor, verlaß dich drauf«, brummte Mrs. Squeers.
Miss Squeers hatte während dieses Zwiegesprächs aufmerksam die Ohren gespitzt, und ihr erstes war, daß sie beim Schlafengehen bei der ausgehungerten Magd umfassende Nachforschungen über das Äußere und das Benehmen des Hilfslehrers anstellte. Die Antworten des Mädchens lauteten so enthusiastisch, besonders hinsichtlich seiner schönen schwarzen Augen, seines gewinnenden Lächelns und seiner geraden Beine – worauf sie einen besondern Wert legte, da das allerdings in Dotheboys Hall eine Seltenheit war –, daß Miss Squeers sehr bald zu der Ansicht kam, er müsse ein höchst merkwürdiger Mensch sein und, wie sie sich bezeichnend ausdrückte, kein Lump. Sie faßte daher den Entschluß, gleich am nächsten Morgen Nikolas persönlich näher in Augenschein zu nehmen. Um ihre Absicht besser ausführen zu können, wählte sie dazu einen Zeitpunkt, wo ihre Mutter beschäftigt und der Vater abwesend war, und ging scheinbar zufällig in die Schulstube, um sich eine Feder schneiden zu lassen. Da sie dort »zu ihrer Überraschung« bloß Nikolas und die Jungen vorfand, errötete sie tief und tat äußerst verwirrt.
»Ich bitte um Entschuldigung«, stotterte sie, »ich glaubte mein – mein Vater wäre hier – oder könnte hier sein – ich – ach –«
»Mr. Squeers ist ausgegangen«, sagte Nikolas ruhig.
»Wird er bald wiederkommen, Sir?« fragte Miss Squeers verschämt.
»Er sprach von einer Stunde«, antwortete Nikolas, zwar höflich, aber sonst von den Reizen der jungen Dame weiter nicht aus der Fassung gebracht.
»Höchst ärgerlich«, meinte Miss Squeers und errötete abermals. »Ich danke Ihnen. Es tut mir ungemein leid, eine Störung veranlaßt zu haben. Wenn ich nicht gedacht hätte, mein Vater wäre hier, so würde ich um keinen Preis –, es ist mir wirklich äußerst peinlich –«
»Wenn das alles ist, was Sie wünschen«, half ihr Nikolas aus der »Verlegenheit«, deutete auf die Feder, die sie in der Hand hielt, und lächelte unwillkürlich über ihre Affektiertheit, »so kann ich vielleicht seine Stelle vertreten?«
Miss Squeers blickte, wie im Zweifel, ob es auch schicklich sei, sich mit einem wildfremden Menschen so weit einzulassen, nach der Türe und dann in der Klasse umher, trat aber dann, durch die Gegenwart der vierzig Zöglinge einigermaßen ermutigt, zu Nikolas und händigte ihm mit einem entzückenden Gemisch von Schüchternheit und Herablassung die Feder ein.
»Wünschen Sie sie hart oder weich?« fragte Nikolas und verbiß ein Lachen.
»Er lächelt wirklich entzückend«, dachte sie.
»Wie sagten Sie?« fragte Nikolas.
»Ach – ich dachte gerade an etwas ganz anderes. – So weich wie möglich, wenn ich bitten darf«, säuselte Miss Squeers und seufzte dabei, wahrscheinlich um anzudeuten, daß auch ihr Herz unendlich weich sei. Nikolas korrigierte die Feder, und dann ließ Miss Squeers sie fallen, und als er sich bückte, um sie aufzuheben, bückte sie sich gleichfalls, beide stießen mit den Köpfen zusammen, und fünfundzwanzig Kinderkehlen lachten fröhlich auf – gewiß zum ersten und einzigen Male in diesem Semester.