Kitabı oku: «Oliver Twist», sayfa 6

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"Lassen Sie den Boten einen Augenblick warten, er muss noch etwas mitnehmen."

"Er ist bereits fort", versetzte Frau Bedwin.

"Rufen Sie ihm nach, die Sache ist wichtig. Die Bücher sind noch nicht bezahlt, und der Mann braucht sein Geld. Auch will ich ihm einige mir zur Ansicht gesandten Bücher zurückgeben."

Man lief dem Boten nach, dieser war aber nirgends mehr zu sehen.

"Schicken Sie doch Oliver damit hin", sagte Grimwig mit ironischem Lächeln. "Sie wissen, er wird sie sicher abliefern."

"Ja, lassen Sie sie mich hintragen", sagte Oliver. "Ich renne schnell hin."

Der alte Herr wollte gerade erklären, dass Oliver auf keinen Fall gehen sollte, als ein boshaftes Husten Grimwigs ihn bestimmte, den Jungen doch zu schicken. Sein Freund sollte die Ungerechtigkeit seines Argwohnes einsehen lernen.

"Du kannst gehen, Oliver. Die Bücher liegen auf dem Stuhle neben meinem Tische. Bringe sie her!"

Oliver war froh, sich nützlich machen zu können. Die Bücher unterm Arm und die Mütze in der Hand, erwartete er den Auftrag.

"Sage also dem Buchhändler", sprach Brownlow und sah dabei Grimwig scharf an, "du brächtest die Bücher wieder zurück und wolltest die vier Pfund und zehn Schillinge, die ich ihm schuldig bin, bezahlen. – -Hier ist eine Fünfpfundnote; er wird dir zehn Schillinge herausgeben."

"In zehn Minuten bin ich wieder zurück", sagte Oliver lebhaft, verbeugte sich und verließ das Zimmer. Frau Bedwin folgte ihm zur Haustür und bezeichnete ihm den Weg zum Buchhändler. "Gott sei mit dir", murmelte sie, als sie ihm nachblickte. Es tut mir leid, dass ich ihn aus den Augen lassen soll."

In diesem Augenblick sah sich Oliver um und winkte ihr zu, ehe er um die Ecke bog. Frau Bedwin erwiderte seinen Gruß und ging dann nach ihrem Zimmer zurück.

"Nun wollen wir sehen, in spätestens zwanzig Minuten wird er wieder zurück sein", sagte Herr Brownlow und zog seine Uhr aus der Tasche, die er auf den Tisch legte. "Inzwischen wird es dunkel geworden sein."

"Sie glauben also wirklich, dass er wiederkommt?" fragte Grimwig ironisch.

"Sie nicht?" fragte Brownlow lächelnd zurück.

"Nein", sagte er, indem er mit der Faust auf den Tisch schlug. "Der Junge hat einen neuen Anzug auf dem Leibe, einen Packen wertvoller Bücher unter dem Arme und eine Fünfpfundnote in der Tasche. Er wird wieder zu seinen alten Freunden, den Langfingern, gehen und Sie auslachen. Wenn der Junge je wieder hierher zurückkehrt, will ich meinen Kopf aufessen."

Mit diesen Worten rückte er seinen Stuhl näher an den Tisch und so saßen die beiden Freunde, die Uhr vor sich, in schweigender Erwartung da. – -

Es wurde so dunkel, dass man die Zahlen der Uhr nicht mehr erkennen konnte, aber die beiden alten Herren saßen immer noch schweigend da – und warteten.

Fünfzehntes Kapitel: Zeigt, wie lieb der alte Jude und Fräulein Nancy Oliver Twist hatten

In einer armseligen Kneipe einer finsteren Straße in der Gegend von Little Saffron Hill, saß über einer kleinen Kanne und einem Schnapsglase brütend Herr William Sikes. Zu seinen Füßen lag ein weißer, rotäugiger Hund, der bald seinem Herrn zublinzelte, bald eine an der Seite seiner Schnauze befindliche große, frische Wunde leckte.

"Ruhig, Biest!" rief plötzlich Herr Sikes und gab dem Hunde einen Fußtritt. Dieser biß ihn dafür in den Stiefel und zog sich dann knurrend unter eine Bank zurück. Dies entflammte Herrn Sikes Zorn mächtig. Er kniete nieder und begann das Tier mit einem Feuerhaken aufs wütendste anzugreifen. Der Hund sprang schnappend und knurrend bald nach rechts, bald nach links. Der Kampf schien eben für den einen oder den anderen der beiden Kämpfer eine bedenkliche Wendung nehmen zu wollen, als plötzlich die Tür aufging. Der Hund schoß sofort hinaus und ließ Herrn Sikes allein.

Zu einem Streite gehören wenigstens zwei, sagt das Sprichwort, und da der Hund entkommen war, band Herr Sikes mit dem Eintretenden an.

"Was zum Teufel brauchst du zwischen mich und meinen Hund zu treten?" fragte Sikes grob.

"Das hab ich doch nicht gewusst, wirklich nicht", antwortete Fagin demütig – denn der neue Gast war niemand anders als der Jude.

"Nicht gewusst, Spitzbube?" brummte Sikes unwirsch. "Hast du denn den Radau nicht gehört?"

"Keinen Ton, so wahr ich lebe", entgegnete der Jude.

"Ja, ja, du hörst nie etwas", sagte Sikes mit Hohnlachen, "ebenso wenig wie man dich hört, wenn du rein und raus schleichst. Ich wünschte nur, du wärst vor einer Minute der Hund gewesen!"

"Warum?" fragte der Jude mit gezwungenem Lächeln. "Darum, weil das Gesetz einem nicht verbietet, seinen Hund abzumurksen, während es um das Leben von Leuten deines Schlages besorgt ist, die nicht halb so viel wert sind als ein Köter", entgegnete Sikes grimmig.

Der Jude rieb sich die Hände und setzte sich an den Tisch nieder. Obgleich ihm nicht besonders wohl zumute war, zwang er sich doch zu einem Lächeln über den "Scherz" des Freundes.

"Ja, grinse nur", sagte Sikes, "grinse nur immerzu. Über mich wirst du nicht lachen, ich habe dich in der Hand, Fagin, und der Teufel soll mich holen, wenn ich dich aus den Fingern lasse. Geh' ich verschüttet, so gehst du auch. Also pass gut auf, dass sie mich nicht kriegen!"

"Schon gut, mein Lieber", entgegnete der Jude, "wir haben das gleiche Interesse, ich weiß das ganz genau, Bill, dasselbe Interesse."

"Na schön", sagte Sikes, dem es so vorkam, als sei das Interesse mehr auf Seite des Juden, "was hast du mir eigentlich zu sagen?"

"Es ist alles glücklich durch den Schmelztiegel gewandert", antwortete der Jude, "und dies ist Euer Anteil. Es ist zwar etwas mehr, als Euch zusteht, Bill, aber da, ich weiß, dass Ihr mir ein andermal wieder gefällig sein werdet, so."

"Hör bloß mit dem Geschmuse auf", fiel der Dieb ungeduldig ein. "Wo ist's? Rück heraus!"

"Ja doch, Bill, einen Augenblick", versetzte der Jude begütigend. "Hier ist's – bei Heller und Pfennig." Er brachte ein kleines, in braunes Papier eingeschlagenes Päckchen zum Vorschein, das ihm Sikes aus den Händen riss und hastig öffnete. Nachdem er die darin befindlichen Goldstücke gezählt hatte, fragte der Dieb:

"Ist das alles?"

"Jawohl", antwortete der Jude.

"Hast du auch unterwegs das Päckchen nicht aufgemacht und ein paar Stücke verdrückt?" fuhr Sikes argwöhnisch fort. "Stell dich nur nicht beleidigt, es wäre nicht das erste Mal. Klingle mal."

Fagin setzte den Klingelzug in Bewegung, und kurz darauf trat ein anderer Jude ein. Jünger zwar als Fagin, aber ebenso spitzbübisch und abstoßend in seinem Äußern.

Bill zeigte nur auf die leere Kanne, worauf der Jude, der den Wink verstand, sich entfernte, um sie wieder zu füllen. Beim Herausgehen hatte er jedoch Fagin einen bedeutungsvollen Blick zugeworfen, den dieser mit einem leichten Kopfschütteln beantwortete. Diese Zeichensprache ging Sikes verloren, da er sich gerade zufällig bückte. Hätte er sie bemerkt, würde er wohl wenig Gutes für sich selber daraus gefolgert haben.

"Ist jemand hier, Barney?" fragte Fagin den wieder eintretenden Juden.

"Nur Fräulein Nancy", erwiderte dieser.

"Nancy?" rief Sikes. "Ein patentes Mädel."

"Ja, sie ist drinnen am Büfett und hat sich einen Teller Rindfleisch geben lassen", bemerkte Barney.

"Schick sie her! Schnell!" rief Sikes.

Barney warf einen fragenden Blick auf Fagin, da ihm dieser aber kein Zeichen gab, so entfernte er sich und kehrte bald mit Nancy zurück.

"Du bist ihm auf der Spur, Nancy, nicht wahr?" fragte Sikes und bot ihr ein Glas Schnaps an.

"Ja, Bill", entgegnete die junge Dame und leerte das Glas mit einem Zuge. "Mühe genug hat es gekostet. Der Junge ist krank gewesen und musste das Bett hüten, dann –"

"Sie sind ein Prachtmädel, Nancy!" sagte Fagin. Ein Augenblinzeln des Juden warnte das Mädchen vor allzu großer Offenheit. Sie lenkte deshalb das Gespräch mit Herrn Sikes auf andere Gegenstände und erklärte nach ungefähr zehn Minuten, gehen zu müssen. Herr Sikes bemerkte, dass er denselben Weg habe, und sie gingen zusammen fort. Der Hund folgte in einiger Entfernung seinem Herrn. Nachdem Sikes das Zimmer verlassen hatte, schüttelte Fgin die geballte Faust hinter ihm her und murmelte einen schweren Fluch. Dann setzte er sich wieder an den Tisch und vertiefte sich in die Lektüre des Londoner Kriminalanzeigers.

Inzwischen eilte Oliver Twist dem Bücherladen zu und dachte darüber nach, wie glücklich und zufrieden er jetzt sei. Aus diesen Träumereien wurde er durch den Ruf geschreckt: "oh, mein lieber Bruder". und fühlte gleichzeitig seinen Hals von einem Paar weiblichen Armen umschlungen.

."Lassen Sie mich los", rief Oliver sich wehrend. "Was wollen Sie denn von mir? Warum halten Sie mich auf?"

Die einzige Antwort hierauf war seitens des Mädchens:

"Gott sei Dank, ich habe ihn gefunden! O Oliver, böser Junge, wieviel Kummer hast du mir bereitet. Komm nach Hause, Liebling, komm! Ich bin ja so froh, ihn gefunden zu haben."

Das junge Mädchen brach in Tränen aus und bekam so schreckliche Krämpfe, dass ein paar dabeistehende Weiber einen vorübergehenden Schlächterlehrling fragten, ob er es nicht für richtiger hielte, zum Arzt zu laufen. Der Lehrling, wenn auch nicht gerade gefühllos, schien aber ein ziemlich träger Bursche zu sein, denn er erwiderte, seiner Ansicht nach wäre das nicht nötig.

"Mir ist schon wieder besser", sagte das Mädchen und nahm Oliver bei der Hand. "Aber nun komm schnell mit mir nach Hause, du böser, böser Junge, du!"

"Was ist denn los?" fragte eine der Frauen.

"Ach, er ist vor ungefähr vier Wochen seinen Eltern, arbeitsamen und achtbaren Leuten, entlaufen und hat sich einer Diebesbande angeschlossen. Der armen Mutter ist darüber fast das Herz gebrochen."

"Geh nach Hause, Bösewicht", schrien die Weiber.

"Solch ein verdammter Bengel."

"Das ist nicht wahr", rief Oliver in großer Angst, "Ich kenne sie gar nicht. Ich habe weder Schwester noch Vater, noch Mutter. Ich bin eine Waise und wohne zu Pentonville."

"Lieber Gott, wie frech er schon geworden ist", schluchzte das junge Mädchen.

"Ach, Nancy!" schrie Oliver, entsetzt zurückfahrend, als er ihr ins Gesicht sah.

"Ihr seht, er kennt mich", sagte Nancy zu den Umstehenden. "Er kann es nicht leugnen. Helft mir, gute Leute, ihn nach Hause bringen, sonst sterben seine armen Eltern noch vor Kummer und Sorge, und mir bricht er das Herz."

"Donnerwetter, was ist los?" rief ein Mann, der aus einer Kneipe stürzte. "Ach, der junge Oliver, komm nach Hause zu deiner armen Mutter, du Galgenstrick. Sofort gehst du mit!"

"Ich gehöre nicht zu ihnen. Ich kenne sie nicht. Hilfe! Hilfe!" brüllte Oliver und wehrte sich verzweifelt gegen den festen Griff des Mannes.

"Hilfe!" wiederholte der Mann. "Ich will dir gleich helfen, Lümmel! Was sind das für Bücher? Wahrscheinlich gestohlen! Gib mal her."

Mit diesen Warten entriß er ihm die Bände und gab ihm einen heftigen Schlag auf den Kopf.

"So ist's recht, der einzige Weg, ihn wieder zur Vernunft zu bringen", riefen die Zuschauer.

"Er kann noch mehr haben", sagte Sikes, indem er Oliver einen zweiten Schlag versetzte und dann beim Kragen packte. "Marsch, du Taugenichts, und nimm dich vor meinem Hund dort in Acht."

Noch schwach von der eben erst überstandenen Krankheit, betäubt durch die Schläge und das Plötzliche des Angriffs, was konnte da wohl ein armes Kind machen? Es war dunkel geworden, nirgends Hilfe, so war jeder Widerstand fruchtlos. Oliver wurde in aller Eile durch ein Labyrinth enger, finsterer Höfe geschleppt und zu so schnellen Schritten gezwungen, dass die wenigen Hilferufe ungehört verhallten.

Die Gaslampen wurden angezündet. Frau Bedwin wartete besorgt an der offenen Haustür, und das Dienstmädchen war wohl zwanzigmal die Straße hinabgelaufen, ohne eine Spur von Oliver zu entdecken. Die beiden alten Herren saßen beharrlich im dunklen Zimmer, zwischen sich die Uhr auf dem Tische – und warteten.

Sechzehntes Kapitel: Erzählt von Olivers Schicksalen nach seiner Begegnung mit Nancy

Die engen Straßen und Gassen endeten an einem großen Platz, der als Viehmarkt benutzt wurde. Sikes ging jetzt langsamer, da das Mädchen ganz außer Luft und Atem war. Er herrschte Oliver mit rauer Stimme an, Nancys Hand zu fassen.

"Hast du gehört?" brüllte Sikes, als Oliver zögerte und sich umblickte.

Sie befanden sich in einem dunkeln, abgelegenen Teil der Stadt und Oliver erkannte, dass jeder Widerstand vergeblich sein würde. Er streckte daher seine Hand aus, die Nancy sofort mit der ihrigen erfasste.

"Gib mir die andere", sagte Sikes und packte ihn bei der noch freien Hand.

Sie kamen jetzt zum Smithfieldmarkt. Die Nacht war finster und neblig. Es schlug acht.

"Acht Uhr, Bill!" sagte Nancy, als die Uhr ausgeschlagen hatte.

"Das brauchst du mir nicht zu erzählen, ich hab' ja Ohren", erwiderte Sikes.

"Ob sie die Uhr auch schlagen hören?" meinte Nancy.

"Natürlich", versetzte Sikes. "Es war so um Bartholomae, als ich im Kittchen saß, und da war keine Pfennigtrompete auf dem ganzen Markt, die ich nicht quäken hörte.

"Die armen Jungens!" seufzte Nancy. "Ach, Bill, was es für schneidige junge Kerle sind!"

"Ja, ja, so sind die Weiber, an etwas anderes denken sie nicht", entgegnete Sikes. "Schneidige Kerle, meinetwegen; sie sind so gut wie tot, also kann's mir gleichgültig sein."

Mit diesem Trost schien Sikes eine Anwandlung von Eifersucht niederzukämpfen. Er fasste Olivers Handgelenk fester und eilte weiter. Nach einer halben Stunde bogen sie in eine enge, schmutzige Gasse, in der fast nur Trödler zu wohnen schienen. Vor einem anscheinend unbewohnten Laden machten sie halt.

"Gott sei Dank", sagte Sikes und sah sich vorsichtig um.

Nancy bückte sich, und Oliver hörte eine Klingel. Sie gingen nun auf die andere Seite der Straße und stellten sich für einen Augenblick unter eine Laterne. Jetzt wurde geräuschlos die Haustür geöffnet, und Sikes packte Oliver ohne weitere Umstände am Kragen. In einer Sekunde befanden sich alle drei im Innern des Hauses. Sie warteten im dunklen Hausflur, bis die Person, die sie eingelassen, die Tür wieder verschlossen und verriegelt hatte.

"Ist jemand hier?" fragte Sikes.

"Nein", antwortete eine Stimme, die Oliver schon früher gehört zu haben glaubte.

"Ist der Alte da?" fuhr der Spitzbube fort.

"Ja", entgegnete die Stimme, "er geht aber mächtig sparsam mit seinen Worten um. Glaube nicht, dass er sehr erfreut ist, Sie zu sehen. Sicher nicht."

"Bring eine Funzel!", sagte Sikes, "sonst brechen wir uns noch den Hals oder treten den Hund, und das ist gefährlich."

"Einen Augenblick, werde sofort Licht bringen", erwiderte eine Stimme. Nach einer Minute zeigte sich die Gestalt des Herrn John Dawkins, sonst auch der Gannef geheißen, in der rechten Hand eine brennende Kerze haltend. Der junge Herr gab Oliver kein anderes Zeichen des Wiedererkennens als ein höhnisches Grinsen, dann winkte er den Dreien, ihm zu folgen. Sie kamen durch eine leere Küche, und als sie die Tür eines niedrigen, dumpfen Gemaches öffneten, wurden sie mit einem schallenden Gelächter empfangen.

"Wer kommt denn da?" brüllte Karl Bates, indem er sich vor Lachen die Seiten hielt. "Das ist er ja. Gucken Sie ihn an, Fagin. Sehen Sie ihn sich bloß mal an. Das ist ein Hauptspaß! Ich kann nicht mehr! Ich sterbe vor Lachen!' Damit legte er sich der Länge nach mit dem Rücken auf die Erde und strampelte minutenlang mit den Beinen. Dann sprang er auf, entriss dem Gannef die Kerze, und beleuchtete Oliver von allen Seiten. Zu gleicher Zeit machte der Jude, seine Nachtmütze abnehmend, unserm verwirrten Helden tiefe Verbeugungen. Der Gannef, ernster veranlagt und beim Geschäft keinen Spaß kennend, durchsuchte inzwischen eifrig Olivers Taschen.

"Ein vornehmer Herr", sagte Bates. "Sehen Sie sich nur seine Klamotten an. Das feinste Tuch und der modernste Schnitt, Fagin! Und dann noch seine Bücher!"

"Entzückt Sie so wohl zu sehen, mein Herr",. begann der Jude, indem er sich mit ironischer Höflichkeit vor Oliver verbeugte. Der Gannef wird Ihnen geben einen, anderen Anzug, damit Sie sich nicht gleich verderben Ihren Sonntagsstaat. Warum haben Sie uns nicht geschrieben, dass Sie kommen würden? Wir hätten Ihnen dann etwas Warmes zum Abendessen aufgehoben."

Karl Bates begann aufs Neue – und zwar so unbändig zu lachen, dass auch Fagin sein Gesicht verzog und sogar der Gannef lächelte. Da aber dieser in jenem Augenblick die Fünfpfundnote aus Olivers Tasche zog, so ist es zweifelhaft, ob die Lustigkeit seines Kameraden oder der wichtige Fund sein Lächeln hervorrief.

"Hallo, was ist, das?" fragte Sikes vortretend, als der Jude die Banknote ergriff. "Das ist mein, Fagin!"

"Nein, mein", sagte der Jude, "mein ist es. Ihr könnt die Bücher haben!"

"Wenn ich, das heißt, wenn ich und Nancy nicht die Fünfpfundnote kriegen", sagte Sikes ganz energisch und setzte sich seinen Hut auf, "so nehme ich den Jungen wieder mit."

Der Jude und Oliver fuhren zusammen, aber aus ganz verschiedenen Gründen. Hoffte doch letzterer, der Streit möchte damit endigen, dass er wieder zurückgebracht würde.

"Schnell, rück 'raus! Was, du willst es nicht hergeben?" ,schrie Sikes.

"Es ist ungerecht, Sikes, Nicht wahr, Nancy, er ist ungerecht?" versetzte Fagin.

"Gerecht oder ungerecht! Gib her", damit riss Sikes dem Juden die Banknote aus den Fingern. Er faltete sie zusammen und knüpfte sie in seine Halsbinde.

"Das ist für unsere Mühe", fuhr Sikes fort, "und wenig genug. Du kannst meinetwegen die Bücher behalten und darin lesen, wenn du Lust hast. Oder kannst sie auch verkaufen."

"Sie gehören dem alten Herrn", sagte Oliver händeringend, "dem guten, alten Herrn, der mich in sein Haus nahm und mich pflegte, als ich todkrank daniederlag. Ach, bitte, schicken Sie es ihm zurück, schicken Sie ihm Geld und Bücher zurück. Behalten Sie mich mein Leben lang hier, aber geben Sie ihm sein Eigentum wieder. Er wird sonst glauben, ich hätte ihn bestohlen; die alte Dame und alle anderen, die so gut zu mir waren, werden denken, ich sei ein Dieb. Oh, haben Sie Mitleid mit mir und senden Sie Bücher und Geld zurück." Mit diesen Worten fiel Oliver vor dem Juden auf die Knie und rang verzweiflungsvoll die Hände.

"Der Junge hat recht", sprach Fagin, sich im Kreise umsehend. "Man wird dich allerdings für den Dieb halten, Oliver. Ha! ha! ha! –" kicherte der Jude. "Einen besseren Zeitpunkt hätten wir gar nicht wählen können."

"Stimmt", sagte Sikes. "Ich wusste das, als ich ihn mit den Büchern herankommen sah. Jetzt ist alles in schönster Ordnung."

Oliver hatte wie ein Unzurechnungsfähiger während dieses Gespräches von dem einen Sprecher auf den anderen gesehen, er war sich nicht im geringsten darüber klar, was um ihn vorging. Plötzlich stürzte er aus dem Zimmer und rief laut und flehentlich um Hilfe. Das ganze Haus hallte von seinem Geschrei wider.

"Halt den Hund zurück, Bill!" kreischte Nancy und schloss die Tür, durch die der Jude mit seinen beiden Zöglingen eben Oliver nachgeeilt war. "Halt den Hund zurück, er wird sonst den Jungen in Stücke reißen."

"Geschieht ihm recht", brüllte Sikes und suchte sich den Händen des Mädchens zu entwinden. "Lass mich los, oder ich schmeiß' dich an die Wand."

"Mir gleich," schrie Nancy in heftigem Ringen mit dem Manne, "das Kind soll nicht vom Hunde zerrissen werden, da musst du mich erst kaltmachen."

"Das kann dir leicht passieren, wenn du mich nicht los lässt", knirschte Sikes und schleuderte das Mädchen in eine Ecke des Zimmers. In diesem Augenblick kam der Jude mit seinen beiden Zöglingen zurück, die Oliver nachzerrten.

"Was ist denn hier, los?" fragte der Jude sich umblickend.

"Das Weib ist verrückt geworden, glaub' ich", erwiderte Sikes wütend.

"Durchaus nicht", rief Nancy blass und atemlos von dem Kampf. "Glauben Sie das ja nicht Fagin."

"Dann halte den Mund", schrie der Jude drohend.

"Habe ich nicht nötig", kreischte Nancy.. "Was sagst du nun?"

Fagin schien es im gegenwärtigen Augenblick nicht geraten, sich in einen weiteren Wortwechsel mit ihr einzulassen. Er wandte sich deshalb an Oliver und fuhr ihn an:

"Du wolltest also fortlaufen, mein Lieber", dabei nahm er einen Knotenstock, der am Kamin lag, in die Hand. "Wolltest um Hilfe rufen, zur Polizei gehen! Das wollen wir dir austreiben." Hier packte er den Jungen und schlug ihn mit dem Stock über den Rücken. Als er zum zweiten Male ausholen wollte, eilte Nancy herbei und entwand den Stock seinen Händen. Sie schleuderte ihn in den Kamin, dass die Funken nur so im Zimmer herumflogen.

"Ich dulde es nicht", schrie sie und stampfte mit dem Fuß zornig auf den Boden. "Ihr habt den Jungen, was wollt ihr mehr. Lasst ihn zufrieden, oder ich tue euch was an, selbst wenn es mich vor der Zeit an den Galgen bringen sollte."

"Ach, Nancy!" sagte- der Jude beschwichtigend nach einer Pause, während der er und Sikes sich verblüfft angeguckt hatten. "Sie spielen heute Abend Ihre Rolle besser als je."

"Wirklich?" versetzte das Mädchen, "nehmt euch in acht, dass ich euch nicht tatsächlich mal was vorspiele. Das wäre schlimm für euch. Ich sage euch dass rechtzeitig, damit ihr euch vorseht."

"Was soll das heißen?" tobte Sikes und stieß eine Flut von Verwünschungen gegen sie aus. "Der Teufel soll dich holen! Du hast wohl vergessen, wer du bist und was du bist?"

"O nein, ich weiß das ganz genau", versetzte das Mädchen mit hysterischem Lachen.

"Na, dann sei ruhig", sagte Sikes, "oder ich mach' dich für eine lange Zeit still."

Das Mädchen lachte wieder und warf einen flüchtigen Blick auf ihn; dann drehte sie sich um und biss sich auf die Lippen, dass sie bluteten.

"Du bist mir gerade die rechte, die Menschenfreundin 'rauszubeißen", fuhr Sikes im verächtlichen Tone fort. "Eine nette Freundin für das Kind, wie du den Jungen nennst."

"Der Allmächtige ist mein Zeuge, dass ich es bin", rief Nancy leidenschaftlich. "Lieber läge ich tot auf der Straße oder säße im Gefängnis, als dass ich mich dazu hergegeben hätte, ihn in euere Hände zu bringen. Er ist von diesem Augenblick an ein Dieb, ein Lügner, ein Teufel, kurz alles, was man sich nur Schlimmes denkt. Ist das nicht für den alten Halunken genug, muss er ihn auch noch prügeln?"

"Sehen Sie, Sikes", sagte der Jude in einem belehrenden Tone, "wir müssen höflich sein und freundliche Worte gebrauchen. Immer höflich, Bill!"

"Höfliche Worte!" schrie das Mädchen, das in seiner Wut schrecklich anzusehen war. "Freundliche Worte! Du Schurke! Du verdienst sie auch von mir. Ich stahl für dich, als ich noch ein Kind war, nicht halb so alt wie dieses (sie zeigte auf Oliver) und treibe nun seit zwölf Jahren dasselbe Gewerbe. Weißt du das nicht? Sprich!"

"Nun", sagte der Jude begütigend, "wenn du es tätest, so hattest du doch dein Brot davon."

"Das stimmt", sprudelte das Mädchen mit steigender Heftigkeit heraus. Ihre Worte überstürzten sich förmlich.

"Es ist mein Brot, und die kalten, nassen, schmutzigen Straßen sind mein Heim. Und du bist der Lump, der mich heraustrieb und der mich Tag und Nacht hinaustreiben wird, bis ich verrecke!"

"Nun hör auf", fiel der Jude gereizt ein, "sonst passiert dir was, das dir recht unangenehm sein könnte."

Das Mädchen sagte nichts mehr, aber zerraufte sich wie eine Verrückte das Haar und zerriss sich das Kleid, dann stürzte sie wütend auf den Juden los. Im rechten Augenblick packte Sikes sie jedoch am Handgelenk, sonst hätte sie ohne Zweifel sehr deutliche Zeichen ihrer Rache in des Juden Gesicht zurückgelassen. Nachdem sie vergeblich versuchte, sich von Sikes Griff zu befreien, fiel sie plötzlich in Ohnmacht.

"Nun ist alles wieder in Ordnung", meinte Sikes und trug sie in eine Ecke des Zimmers. .Sie hat eine Riesenkraft, wenn sie in Wut ist!"

Der Jude wischte sich die Stirn und lächelte: "mit Weibern zu tun zu haben, ist schlimm, aber sie sind schlau, und ohne sie geht's in unserm Geschäft nicht. – Karl, bring Oliver zu Bett!"

"Nicht wahr, Fagin, er soll morgen seinen Sonntagsstaat nicht tragen?" Der Jude verneinte. Oliver wurde nun in das anstoßende Gemach geführt, wo ein Bett aus alten Säcken in der Ecke stand. Karl brachte lachend denselben alten Anzug zum Vorschein, den Oliver in Brownlows Hause dem Dienstmädchen geschenkt hatte. Fagin hatte die Lumpen von einem Juden gekauft und dadurch die erste Spur von unseres Helden Aufenthalt erhalten.

"Zieh deinen Sonntagsanzug aus", sagte Karl; "ich will ihn Fagin zum Aufheben geben. Das wird ein Hauptspaß."

Widerwillig gehorchte Oliver und wurde dann von Karl im Finstern gelassen, der hinausging und die Tür hinter sich abschloss. Karls Lachen und die Stimme Betsys, die gekommen war, um ihrer Freundin beizustehen, hätten ihn unter glücklicheren Umständen wach erhalten. Er war jedoch krank und müde und verfiel deshalb in einen tiefen Schlaf.

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