Kitabı oku: «Weihnachtserzählungen», sayfa 2

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Die Kellertür flog mit dumpfem Knall auf, und nun hörte er drunten im Hausflur den Lärm immer lauter werden, dann die Treppe heraufkommen und endlich gerade auf seine Tür zusteuern.

»Immer noch Possen«, murmelte Scrooge. »Ich kann’s nicht glauben.«

Dennoch wechselte er die Farbe, als »es« ohne Zögern durch die schwere Tür kam und vor seinen Augen das Zimmer betrat. Bei seinem Einzug flackerte die ersterbende Flamme auf, als riefe sie: Ich kenn ihn, Marleys Geist! und sank wieder zusammen.

Ja, es war dasselbe Gesicht, ganz dasselbe: Marley mit seinem Zopf, wie gewöhnlich in Weste, engen Hosen und Schaftstiefeln; deren Quasten sträubten sich gleich dem Zopf, den Rockschößen und dem Haupthaar. Die Kette, die er nachschleppte, war um die Mitte seines Leibes geschlungen. Sie war lang, ringelte sich wie ein Schweif und war zusammengesetzt – Scrooge betrachtete sie nämlich genau – aus Geldkassetten, Schlüsseln, Vorlegschlössern, Hauptbüchern, Urkunden und schweren Börsen aus Stahldraht. Der Körper war durchsichtig, so daß Scrooge, als er ihn ins Auge faßte, durch seine Weste hindurch die beiden Knöpfe auf dem Rücken des Rockes sehen konnte.

Scrooge hatte oft sagen hören, Marley habe kein Herz im Leibe, aber er hatte es bis jetzt nie geglaubt.

Ja, er glaubte es nicht einmal jetzt. Obwohl er dem Gespenst durch und durch schauen konnte und es vor sich stehen sah, obwohl er sich von seinen Augen, die kalt wie der Tod waren, durchschauert fühlte und sogar das Gewebe des zusammengefalteten Taschentuchs bemerkte, das es um Kopf und Kinn geknüpft trug und das er vorher nicht an ihm bemerkt hatte, war er doch immer noch ungläubig und wehrte sich gegen seine eigenen Sinne.

»Was gibt’s? –« rief Scrooge scharf und eisig wie immer. »Was hast du mit mir zu schaffen?«

»Viel!« Marleys Stimme – ganz zweifellos.

»Wer bist du?«

»Frag lieber, wer ich war!«

»Wer warst du also?« forschte Scrooge mit erhobener Stimme. »Du bist recht wunderlich – für ein Gespenst.« Er wollte schon sagen »als Gespenst«, setzte aber »für« ein, weil es ihm passender schien.

»Zu Lebzeiten war ich dein Partner, Jakob Marley.«

»Kannst du – kannst du dich setzen?« fragte Scrooge mit einem zweifelnden Blick.

»Gewiß.«

»So tu’s!«

Scrooge stellte diese Frage, weil er nicht wußte, ob ein so durchsichtiges Gespenst imstande sei, einen Stuhl einzunehmen, und fühlte, daß seine etwaige Unfähigkeit eine sehr unangenehme Erklärung nötig mache. Aber der Geist nahm auf der entgegengesetzten Seite des Kamins Platz, als wäre er ganz daran gewöhnt.

»Du glaubst nicht an mich!« bemerkte der Geist.

»Nein«, antwortete Scrooge.

»Welchen Beweis meiner Echtheit möchtest du haben außer dem Zeugnis deiner Sinne?«

»Ich weiß es nicht«, erwiderte Scrooge.

»Warum mißtraust du deinen Sinnen?«

»Weil eine Kleinigkeit sie verwirren kann«, versetzte Scrooge. »Eine kleine Magenverstimmung macht sie zu Betrügern. Du kannst einen unverdauten Bissen Fleisch, ein wenig Senf, eine Käserinde, ein Stückchen halbrohe Kartoffel zum Ursprung haben. Was du auch seist – eher stammst du doch aus der Speisekammer als aus der Grabkammer!«

Scrooge war nicht gewohnt, Witze zu machen, und fühlte sich auch jetzt keineswegs zum Scherzen aufgelegt. In Wahrheit versuchte er nur launig zu sein, um sich abzulenken und die Furcht niederzukämpfen. Denn die Stimme des Gespenstes durchwühlte ihm selbst das Mark in den Knochen.

Nur einen Augenblick diesen starren, erloschenen Augen stumm gegenüberzusitzen würde ihn, das fühlte er, verrückt machen. Auch lag etwas Grauenhaftes darin, daß das Gespenst etwas wie Höllenluft um sich hatte. Scrooge fühlte sie zwar nicht selbst, aber es war sicherlich der Fall; denn obgleich der Geist vollkommen regungslos dasaß, wurden doch Haar, Quasten und Rockflügel wie von dem heißen Luftstrom eines Ofens stets bewegt.

»Siehst du diesen Zahnstocher?« fragte Scrooge, indem er aus den eben genannten Gründen rasch wieder das Wort nahm, um, sei es auch nur für eine Sekunde, den eisigen Blick des Gespenstes von sich abzuwenden.

»Ja«, versetzte der Geist.

»Du blickst ja nicht darauf hin!« rief Scrooge.

»Aber ich sehe ihn trotzdem«, versicherte der Geist.

»Nun denn«, versetzte Scrooge, »ich brauche ihn nur zu verschlucken, um für den Rest meines Lebens von einer Legion von Kobolden verfolgt zu werden, die sämtlich meine eigenen Geschöpfe sind. Possen! sag ich dir, lauter Possen!«

Bei diesen Worten stieß das Gespenst einen gräßlichen Schrei aus und rasselte mit seinen Ketten so greulich betäubend, daß sich Scrooge an seinem Stuhl festhalten mußte, um nicht in Ohnmacht zu sinken. Aber um wieviel größer ward noch sein Schrecken, als das Gespenst die Binde, die es um den Kopf trug, abnahm, als sei sie ihm im Zimmer zu warm, und sein Unterkiefer auf die Brust herabsank.

Scrooge fiel auf die Knie nieder und schlug die Hände vors Gesicht.

»Gnade!« rief er. »Schreckliche Erscheinung, warum quälst du mich?«

»Mensch mit dem weltlichen Sinn!« versetzte der Geist, »glaubst du an mich oder nicht?«

»Ich glaube«, rief Scrooge, »ich muß glauben. Aber warum wandeln Geister auf der Erde und warum kommen sie zu mir?«

»Es wird von jedem Menschen gefordert«, antwortete das Gespenst, »daß seine Seele umherwandere unter den andern Menschen und große, weite Reisen tue; und macht er sie bei Lebzeiten nicht, so wird er verdammt, es nach dem Tod zu tun. Er ist verurteilt, durch die Welt zu wandern und – weh mir! – mit anzusehen, was er nicht mehr genießen darf, aber auf Erden hätte genießen und zu seinem Glück hätte wenden können.«

Wieder stieß das Gespenst einen Schrei aus, klirrte mit seiner Kette und rang seine Schattenhände.

»Du trägst Fesseln?« fragte Scrooge zitternd; »sag mir warum.«

»Ich trage die Kette, die ich in meinem Leben geschmiedet habe«, antwortete der Geist; »ich habe sie Glied um Glied und Elle um Elle geschmiedet, sie mir aus freien Stücken umgelegt und sie freiwillig getragen. Sind dir ihre Glieder fremd?«

Scrooge zitterte immer mehr.

»Willst du wissen«, fuhr der Geist fort, »wie schwer und lang die starke Kette ist, die du selbst trägst? Vor sieben Weihnachtsabenden war sie ebenso schwer und ebenso lang wie diese. Seither hast du noch an ihr gearbeitet; es ist eine gewichtige Kette geworden.«

Scrooge sah um sich her zu Boden, als erwarte er, sich von fünfzig oder sechzig Klaftern Eisenkette umgeben zu finden; allein er vermochte nichts zu sehen.

»Jakob!« rief er bittend, »alter Jakob Marley! Sag mir mehr! Sprich mir Trost zu, Jakob!«

»Ich kann keinen geben«, versetzte der Geist; »er kommt aus anderen Bereichen, Ebenezer Scrooge, und wird von anderen Boten andersgearteten Menschenkindern gereicht. Auch darf ich dir nicht sagen, was ich sagen möchte; nur noch ein wenig mehr als dies ist mir erlaubt. Ich darf nicht ruhen, nicht bleiben, nirgendwo zögern. Nie hat mein Geist die Schwelle unseres Kontors überschritten. Versteh mich wohl! Bei Lebzeiten überschritt mein Geist nie die engen Grenzen unserer Geldwechslerhöhle, und mühsame Reisen stehen mir bevor!«

Scrooge hatte die Gewohnheit, wenn er nachdenklich wurde, die Hände in die Hosentaschen zu stecken; als er jetzt des Geistes Worte erwog, machte er es ebenso, aber ohne den Blick zu heben noch sich von den Knien aufzurichten.

»Du mußt aber recht langsam gewesen sein, Jakob«, bemerkte Scrooge im Geschäftston, wenn auch demütig und rücksichtsvoll.

»Langsam?« wiederholte der Geist.

»Sieben Jahre tot, und die ganze Zeit auf Reisen?« murmelte Scrooge.

»Die ganze Zeit«, bestätigte der Geist. »Ohne Rast, ohne Frieden, unaufhörlich von Gewissensbissen gequält.«

»So reist du schnell?« fragte Scrooge weiter.

»Auf den Schwingen des Windes«, versetzte der Geist.

»Da hättest du in sieben Jahren große Strecken zurücklegen können!« meinte Scrooge.

Als der Geist das hörte, stieß er abermals einen Schrei aus und klirrte mit seiner Kette so entsetzlich durch die Totenstille der Nacht, daß der Nachtwächter das Recht gehabt hätte, ihn wegen nächtlicher Ruhestörung anzuzeigen.

»Oh!« rief das Gespenst, »gefangen, gebunden, doppelt in Eisen bist du und weißt nicht, daß für diese Erde Jahrhunderte unausgesetzten Leidens der unsterblichen Wesen in die Ewigkeit versinken müssen, ehe alles Gute erfüllt ist, das sie aufnehmen kann. Weißt nicht, daß jede christliche Seele, die in ihrem kleinen Kreis, wie immer er sei, mildtätig wirkt, ihr irdisches Leben zu kurz findet für die ausgedehnten Möglichkeiten, nützlich zu sein. Weißt nicht, daß keine noch so lange Reue die versäumten Gelegenheiten eines Lebens aufwiegen kann! So einer war ich! Oh, so war ich!«

»Aber du bist stets ein guter Geschäftsmann gewesen, Jakob«, stotterte Scrooge, der nun anfing die Worte auf sich selbst zu beziehen.

»Geschäftsmann?« schrie das Gespenst und rang aufs neue die Hände. »Die Menschheit war mein Geschäft. Die allgemeine Wohlfahrt war meine Aufgabe; Liebe, Erbarmen, Nachsicht und Wohlwollen wären mein Beruf gewesen. Meine Handelsgeschäfte waren nur ein Tropfen Wasser im unermeßlichen Ozean meiner Aufgabe!«

Er hielt seine Kette auf Armeslänge vor sich hin, als ob sie die Ursache seines vergeblichen Kummers wäre, und schleuderte sie dann mit Wucht wieder auf den Boden.

»Um diese Zeit des ablaufenden Jahres«, fuhr das Gespenst fort, »leide ich am meisten. Warum wandelte ich auch durch das Gewühl der Mitmenschen mit gesenkten Augen und erhob sie nie zu dem segensvollen Stern, der die drei Weisen zu einer armen Herberge führte? Gab es nicht ärmliche Hütten genug, zu denen sein Licht mich hätte leiten können?«

Scrooge erschrak nicht wenig, als er das Gespenst so sprechen hörte, und begann heftig zu zittern.

»Höre mich!« rief der Geist; »meine Zeit ist fast um.«

»Ich will ja«, versetzte Scrooge; »aber sei nicht hart zu mir, Jakob! Sprich klar und offen, ich bitte dich!«

»Wie es kommt, daß ich dir in sichtbarer Gestalt erscheine, vermag ich nicht zu sagen. Ich habe so manchen lieben Tag unsichtbar an deiner Seite gesessen.«

Das war kein angenehmer Gedanke. Scrooge schauderte und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Dies ist kein leichter Teil meiner Buße«, fuhr der Geist fort. »Heute abend bin ich gekommen, um dir warnend zu sagen, daß du noch Aussicht und Hoffnung hast, meinem Los zu entgehen – eine Aussicht und Hoffnung, die ich dir verschaffe, Ebenezer.«

»Du warst mir stets freundlich gesinnt; ich danke dir«, sprach Scrooge.

»Es werden dich noch drei Geister heimsuchen!« fuhr das Gespenst fort.

Scrooges Gesicht zog sich beinahe so in die Länge wie das des Gespenstes.

»Ist das die Aussicht und Hoffnung, von der du sprachst, Jakob?« fragte er mit wankender Stimme.

»Allerdings!« war die Antwort.

»Ich – ich glaube das nicht«, meinte Scrooge.

»Ohne ihren Besuch«, widersprach der Geist, »hoffst du vergeblich den Pfad zu meiden, den ich jetzt wandle. Erwarte den ersten morgen, wenn die Glocke eins schlägt.«

»Könnten nicht alle auf einmal kommen, damit es vorüber ist?« fragte Scrooge.

»Erwarte den zweiten in der nächsten Nacht um die gleiche Stunde, den dritten dann in der darauffolgenden Nacht, wenn der letzte Glockenschlag der Mitternacht ausgezittert hat. Achte darauf, mich nie wiederzusehen, und denk um deines Heiles willen an das, was zwischen uns vorgefallen ist!«

Nach diesen Worten nahm das Gespenst sein Tuch vom Tisch und band es sich wie zuvor um den Kopf. Scrooge merkte das an dem knirschenden Ton, den seine Zähne hervorbrachten, als die Kinnladen durch die Binde zusammengeschlagen wurden; er wagte es, seine Augen wieder zu erheben, und sah, daß sein übernatürlicher Besucher die Kette um den Arm gewunden hatte und ihm aufrecht gegenüberstand.

Die Erscheinung schritt rückwärts von ihm fort, und bei jedem Schritt, den sie tat, öffnete sich das Fenster etwas mehr, so daß es weit offen war, als es der Geist erreichte. Er winkte Scrooge, näher zu kommen, was dieser auch tat; als sie zwei Schritte auseinander waren, hielt Marleys Geist seine Hand empor, um ihn zu warnen, noch näher zu kommen.

Scrooge blieb stehen, nicht so sehr aus Gehorsam wie aus Überraschung und Furcht; denn als das Gespenst die Hand erhob, vernahm er ein wirres Getöse in der Luft, unzusammenhängende Töne von Wehklagen und Reue, unaussprechlich betrübtes, zerknirschtes Jammern. Nachdem das Gespenst kurze Zeit zugehört hatte, stimmte es in die schwermütige Klage ein und schwebte in die düstere, kalte Nacht hinaus.

Scrooge folgte ihm in verzweifelter Neugier ans Fenster und blickte hinaus.

Die Luft war mit Gespenstern erfüllt, die in ruheloser Hast klagend hin und her schwebten. Jedes trug Ketten wie Marleys Geist, manche – das mochten wohl verbrecherische Behörden gewesen sein – waren aneinandergeschmiedet, keines war frei von Fesseln. Viele hatte Scrooge zu ihren Lebzeiten gekannt. Mit einem alten Geist in weißer Weste, der eine ungeheure eiserne Kasse am Knöchel trug, war er ganz vertraut gewesen; dieser schrie jämmerlich, weil er einem elenden Weib nicht beistehen konnte, das er mit einem Kind tief unten auf einer Türschwelle hocken sah. Die Pein aller bestand offensichtlich darin, daß sie sich sehnten, menschliches Elend zu mildern, und doch die Kraft dazu für immer verloren hatten.

Ob diese Gebilde in Nebel zerflossen oder ob sie der Nebel verhüllte, konnte Scrooge nicht sagen; aber sie und ihre geisterhaften Stimmen verschwanden gleichzeitig, und die Nacht wurde wieder, wie sie bei seiner Heimkehr gewesen war.

Scrooge schloß das Fenster und untersuchte die Tür, durch die der Geist eingetreten war; sie war doppelt verschlossen, wie er es mit eigener Hand getan hatte, und die Riegel waren unversehrt. Er versuchte zu sagen: Possen! hielt aber bei der ersten Silbe inne. Und da er wegen der überstandenen Aufregung oder wegen der Mühen des Tages oder wegen seines Einblicks in die Welt des Unsichtbaren oder wegen der trübseligen Unterhaltung mit dem Gespenst oder wegen der späten Stunde sehr ruhebedürftig war, ging er sofort zu Bett, ohne sich auszukleiden, und fiel augenblicklich in tiefen Schlaf.

ZWEITE STROPHE
Der erste der drei Geister

Als Scrooge erwachte, war es so dunkel, daß er, aus dem Bett blickend, kaum das durchsichtige Fenster von den undurchsichtigen Wänden seines Schlafzimmers zu unterscheiden vermochte. Er bemühte sich, mit seinen Luchsaugen die Dunkelheit zu durchdringen, da schlug die Uhr einer benachbarten Kirche vier Viertel; er hörte also den Schlag der vollen Stunde.

Zu seinem größten Erstaunen schlug die schwere Glocke sechs-, dann sieben-, dann achtmal und so fort bis zwölf; dann hielt sie inne. Zwölf Uhr! Es war zwei Uhr vorüber gewesen, als er zu Bett gegangen war. Die Uhr mußte falsch gehen – ein Eiszapfen war wohl ins Werk geraten. Zwölf Uhr!

Er drückte auf die Feder seiner Repetieruhr, um die voreilige Glocke zu widerlegen: ihr kleiner rascher Puls schlug zwölfmal und hielt dann inne.

»Nein, es ist unmöglich, daß ich den ganzen Tag durch und tief bis in die andre Nacht hinein geschlafen habe!« rief Scrooge. »Es ist aber auch nicht möglich, daß der Sonne etwas zugestoßen und es jetzt zwölf Uhr Mittag ist.«

Da ihn dieser Gedanke beunruhigte, sprang er aus dem Bett und tastete sich zum Fenster. Er mußte erst mit dem Ärmel seines Schlafrockes den Reif wegreiben, ehe er etwas sehen konnte, und selbst dann sah er nur sehr wenig. Alles, was er feststellen konnte, war, daß es noch recht neblig und ausnehmend kalt war und daß kein Geräusch von hin und her eilenden Schritten zu hören war, wie es unbedingt der Fall gewesen wäre, wenn der helle Tag die Nacht schon vertrieben und von der Welt Besitz genommen hätte. Dies war für ihn ein großer Trost; denn das »drei Tage nach Sicht zahlen Sie gegen diesen Primawechsel an Herrn Ebenezer Scrooge oder dessen Ordre« und so weiter hätte ihm nur eine Sicherheit gleich der in den Vereinigten Staaten geboten, wenn man die Zwischentage nicht zählen konnte.

Scrooge legte sich wieder zu Bett; er grübelte und dachte hin und her und konnte doch nichts herausbringen. Je mehr er nachdachte, desto verwirrter wurde er, und je mehr er sich bemühte, nicht zu denken, desto angestrengter zerbrach er sich den Kopf.

Marleys Geist quälte ihn über die Maßen. Sooft er nach reiflicher Prüfung mit sich ins reine kam, es müsse alles nur ein Traum gewesen sein, kehrte sein Denken wie eine starke losgeschnellte Feder in seinen früheren Zustand zurück und gab ihm dasselbe Problem aufs neue zu erwägen: War es ein Traum oder nicht?

In dieser Verfassung blieb Scrooge liegen, bis die Uhr drei Viertel weitergerückt war, als er sich plötzlich erinnerte, daß ihm der Geist einen Besuch angekündigt hatte, sobald die Uhr eins schlage. Er beschloß, wach zu bleiben, bis die Stunde vorüber war, und in Anbetracht dessen, daß er ebensowenig wieder einzuschlafen wie gen Himmel zu fahren vermochte, war dies vielleicht der klügste Entschluß, dessen er fähig war.

Die Viertelstunde dauerte so lang, daß er mehr als einmal überzeugt war, er müsse unbewußt ein wenig eingenickt sein und die Glocke überhört haben. Endlich schlug sie an sein lauschendes Ohr.

Ding-Dong!

»Ein Viertel!« sagte Scrooge zählend.

Ding-Dong!

»Halb!« sagte Scrooge.

Ding-Dong!

»Drei Viertel!« sagte Scrooge.

Ding-Dong!

»Die volle Stunde«, rief Scrooge triumphierend, »und sonst nichts!« Er rief es, ehe der Stundenschlag ertönt war, der jetzt mit einem einmaligen, tiefen, dumpfen, hohlen, melancholischen Schlag erklang. Augenblicklich übergoß Licht sein Gemach, und die Vorhänge seines Bettes wurden zurückgezogen.

Ja, ich versichre euch, die Vorhänge seines Bettes wurden zurückgezogen von einer Hand. Nicht die Vorhänge zu seinen Füßen oder die in seinem Rücken, sondern gerade die, auf die sich sein Blick richtete. Die Vorhänge seines Bettes wurden zurückgezogen, und Scrooge, der in eine halb liegende Stellung emporfuhr, sah sich Aug in Auge dem überirdischen Besucher gegenüber, der sie zurückschlug; so nahe, wie ich jetzt euch bin, und ich stehe im Geist an eurem Ellbogen.

Es war eine seltsame Gestalt, einem Kind ähnlich und doch wieder nicht so sehr einem Kind wie einem alten Mann, gesehen durch irgendein übernatürliches Medium, das ihm den Anschein gab, als sei er weit weggerückt und dadurch zu den Maßen eines Kindes zusammengeschrumpft. Sein Haar, das ihm um den Nacken und über den Rücken hing, war weiß wie vom Alter, und doch zeigte das Gesicht keine einzige Runzel, und die zarteste Farbe überschimmerte die Haut. Die Arme waren sehr lang und muskulös, ebenso die Hände, als ob ihr Griff ungewöhnlich fest sei. Seine Beine und Füße waren fein geformt und wie die oberen Gliedmaßen bloß. Der Geist trug einen Kittel vom reinsten Weiß, und um seine Hüfte war ein glänzender Gürtel geschlungen, der herrlich strahlte. In der Hand hielt er ein frischgrünes Reis der Stechpalme, aber sein Gewand war in seltsamem Widerspruch zu diesem Zeichen des Winters mit Frühlingsblumen geziert. Das seltsamste an ihm war jedoch, daß der Krone auf seinem Kopf ein hell glänzender Lichtstrahl entsprang, der alles das sichtbar machte und gewiß die Ursache war, daß der Geist bei übler Laune einen großen Lichtauslöscher, den er jetzt unter dem Arm trug, als Kappe benutzte.

Nein, auch dieses Licht war noch nicht das Seltsamste an ihm, wie Scrooge bemerkte, als er ihn genauer betrachtete. Denn wie sein Gürtel bald an dieser, bald an jener Stelle glitzerte und das, was soeben noch licht war, gleich darauf dunkel wurde, so änderte sich auch die Gestalt selbst in ihrer Deutlichkeit, so daß sie bald nur einen Arm, bald nur ein Bein, dann wieder zwanzig oder auch nur ein Paar Beine, jedoch keinen Kopf und am Ende einen Kopf ohne Rumpf zu haben schien; von den sich auflösenden Teilen war kein Umriß mehr zu sehen in dem tiefen Dunkel, in dem sie verschwammen. Und während man sich noch darüber wunderte, wurde die Gestalt wieder sie selbst, bestimmt und deutlich wie nur je.

»Seid Ihr der Geist, Sir, dessen Erscheinen mir prophezeit wurde?« fragte Scrooge.

»Ja.«

Seine Stimme war sanft und wohltönend, aber ganz leise, als stünde die Erscheinung nicht neben ihm, sondern weit von ihm entfernt.

»Wer und was seid Ihr denn?« fragte Scrooge.

»Ich bin der Geist der vergangenen Weihnacht!« war die Antwort.

»Einer lang vergangenen?« fragte Scrooge im Hinblick auf seine zwerghafte Gestalt.

»Nein. Deiner vergangenen.«

Hätte ihn jemand darum befragt, so hätte Scrooge wahrscheinlich keinen Grund anzugeben gewußt, aber er hegte besonderes Verlangen, den Geist mit seiner Mütze auf dem Kopf zu sehen, und bat ihn daher, sich zu bedecken.

»Wie!« rief der Geist aus, »möchtest du so bald schon mit irdischen Händen das Licht löschen, das ich gebe? Ist es nicht genug, daß du zu denen gehörst, deren Leidenschaften diese Kappe gemacht haben und mich zwingen, sie oft jahrelang tief in die Stirn zu ziehen?«

Scrooge bestritt ehrerbietig jede Absicht, zu beleidigen, und jede Kenntnis davon, daß er irgendwann im Leben das Gespenst mit der Mütze habe bedecken wollen. Dann fragte er kühn, was ihn herführe.

»Dein Wohl!« war die Antwort.

Scrooge versicherte, er sei ihm dafür sehr verbunden, konnte aber nicht umhin zu denken, daß eine Nacht ungestörter Ruhe diesem Zweck zuträglicher gewesen wäre. Der Geist mußte ihn haben denken hören, denn er sagte sofort: »Deine Besserung also. Nimm dich in acht!« Er streckte bei diesen Worten seine starke Hand aus und faßte Scrooge sanft am Arm.

»Steh auf! Und komm mit mir!«

Vergebens hätte Scrooge eingewendet, daß Wetter und Stunde zu Fußwanderungen nicht geeignet seien, daß sein Bett warm sei und das Thermometer ein gutes Stück unter dem Gefrierpunkt stehe; daß er nur leicht mit Pantoffeln, Schlafrock und Nachtmütze bekleidet und zur Zeit erkältet sei. Dem Griff des Geistes, obwohl er sanft wie der einer Frauenhand war, konnte er nicht widerstehen. Er erhob sich; als er aber bemerkte, daß der Geist dem Fenster zuschritt, packte er ihn bittend am Rock.

»Ich bin ein Sterblicher«, wandte er ein, »und dem Fallen ausgesetzt.«

»Laß dich nur von meiner Hand hier berühren«, sprach der Geist, indem er ihm die Hand aufs Herz legte, »und du sollst zu mehr als diesem befähigt werden!«

Kaum waren diese Worte gesprochen, so schritten sie durch die Mauer und standen auf einer offenen Landstraße mit Feldern zu beiden Seiten; die Stadt war gänzlich verschwunden, keine Spur von ihr war zu sehen; Dunkel und Nebel waren mit ihr entwichen, ein heller, kalter Wintertag lag über schneebedecktem Gefilde.

»Du lieber Himmel!« rief Scrooge und schlug die Hände zusammen, als er um sich blickte. »Hier wurde ich geboren. Hier lebte ich als kleiner Junge!«

Der Geist blickte mild auf ihn. Seine leichte Berührung, obwohl sie kaum merklich und flüchtig gewesen war, schien der alte Mann noch immer zu fühlen. Er wurde sich tausendfältiger Düfte bewußt, die in der Luft schwebten, jeder verknüpft mit tausend Gedanken, Hoffnungen, Freuden und Sorgen, die längst vergessen waren.

»Deine Lippe zittert«, sprach der Geist; »und was ist das hier auf deiner Wange?«

Scrooge murmelte mit ungewöhnlich einschmeichelnder Stimme, daß es nur ein Bläschen sei, und bat den Geist, ihn zu führen, wohin er wolle.

»Erinnerst du dich noch des Weges?« fragte die Erscheinung.

»Ob ich mich erinnere?« rief Scrooge begeistert; »ich könnte ihn blind gehen.«

»Merkwürdig, daß du ihn so lange Jahre vergessen hast«, bemerkte das Gespenst. »Laß uns weitergehen.«

Sie gingen die Straße entlang. Scrooge erkannte jeden Zaun, jeden Pfosten und jeden Baum, bis in der Ferne ein kleiner Marktflecken mit seiner Kirche und seiner Brücke über einen gewundenen Fluß erschien. Nun sahen sie zottige Ponys auf sich zutraben mit Jungen auf dem Rücken, die andern Jungen in Wagen und Bauernkarren etwas zuriefen. All diese Knaben waren sehr munter und jauchzten einander zu, bis die weiten Felder so voll lustiger Klänge waren, daß die klare Luft selbst mitzulachen schien.

»Dies sind nur Schatten von Geschöpfen, die einst gewesen sind«, sprach der Geist, »sie wissen nichts von uns.«

Die frohen Ausflügler kamen näher, und Scrooge kannte sie alle und nannte jeden mit Namen, als sie bei ihnen waren.

Warum freute er sich so unbändig, sie wiederzusehen? Warum leuchtete sein kaltes Auge und schlug sein Herz höher, als sie vorüberbrausten? Warum erfüllte es ihn mit Freude, als er hörte, wie sie einander fröhliche Weihnachten wünschten, wenn sie sich an Wegkreuzungen trennten, um nach Hause zu gelangen? Was bedeuteten fröhliche Weihnachten für Scrooge? Der Henker hole die fröhlichen Weihnachten! Was hatten sie ihm je Gutes gebracht?

»Die Schule ist nicht ganz verwaist«, sagte der Geist; »ein Kind, von seinen Angehörigen vernachlässigt, ist darin zurückgeblieben.«

Scrooge sagte, er kenne es, und brach in Tränen aus.

Sie verließen die Landstraße auf einem wohlbekannten Seitenweg und näherten sich bald einem Gebäude aus dunkelroten Backsteinen; über das Dach ragte eine kleine, mit einem Wetterhahn gezierte Kuppel empor, in der eine Glocke hing. Es war ein stattliches Haus, das aber bessere Tage gesehen hatte; die geräumigen Gemächer waren wenig benutzt, die Mauern feucht und von Moos überwachsen, die Fenster zerbrochen und die Türen dem Einfallen nahe. Hühner gackerten und stolzierten in den Ställen herum, Schuppen und Scheunen waren mit Gras überwuchert. Auch im Innern war nichts von der alten Herrlichkeit zurückgeblieben, denn als sie den öden Hausflur betraten und durch die offenen Türen in manche Zimmer blickten, fanden sie diese armselig möbliert und kalt und ungemütlich. Dumpfer Modergeruch lag in der Luft und frostige Unfreundlichkeit über dem Platz, die an zu frühes Aufstehen bei Kerzenlicht und an nicht zu reichliche Nahrung gemahnte.

Scrooge und das Gespenst schritten über den Hausflur zu einer Tür an der Rückseite des Hauses. Sie tat sich vor ihnen auf und erschloß ein langes, kahles, trübseliges Gemach, das durch Reihen einfacher Bänke und Pulte aus Tannenholz noch kahler wirkte. An einem dieser Pulte saß ganz allein ein Knabe neben einem schwachen Feuer und las, und Scrooge setzte sich in eine Bank und weinte, als er so sein armes vergessenes Ich vor sich sah, wie es einst gewesen war.

Kein schwaches Echo gab es im Haus, kein Mäuschen pfiff und raschelte hinter der Täfelung, kein Tropfen floß aus der halb aufgetauten Wasserröhre hinten im finstern Hof, kein Seufzer entfloh den entlaubten Zweigen einer einzelnen mutlosen Pappel, keine Tür schwang träge an den leeren Vorratsräumen, ja selbst das Feuer gab kein Knistern von sich, ohne daß es sich nicht Scrooge sänftigend aufs Herz gelegt und seinen Tränen freieren Lauf verschafft hätte.

Der Geist tippte ihn auf den Arm und deutete auf sein jüngeres Ich, das ins Lesen vertieft war. Auf einmal stand ein Mann in fremder Tracht draußen vor dem Fenster, wunderbar echt und zum Greifen deutlich; er hatte eine Axt im Gürtel und führte einen holzbeladenen Esel am Zügel.

»Ei sieh! Es ist Ali Baba!« rief Scrooge begeistert aus; »der gute, ehrliche alte Ali Baba! Ja, ich kenn ihn! Einmal zur Weihnachtszeit, als dieses einsame Kind hier ganz allein zurückgeblieben war, erschien er zum erstenmal, gerade wie heute. Der arme Knabe! – Und Valentin«, rief Scrooge, »und sein wilder Bruder Orson! Da gehen sie! Und wie hieß doch gleich der, den man, während er schlief, in Unterhosen vor das Tor von Damaskus setzte? Siehst du ihn nicht? Und des Sultans Reitknecht, der von den Genien auf den Kopf gestellt wurde: dort steht er ja auf dem Kopf! Geschieht ihm ganz recht! Es freut mich. Was mußte er sich auch mit der Prinzessin verheiraten!«

Seinen Geschäftsfreunden in der City wäre es keine geringe Überraschung gewesen, hätten sie gehört, wie Scrooge den ganzen Ernst seines Wesens auf solche Gegenstände verwendete, wobei seine Stimme ganz merkwürdig klang und zwischen Lachen und Weinen schwankte, und hätten sie sein vergnügtes, angeregtes Gesicht gesehen.

»Hier ist der Papagei!« rief Scrooge; »grün der Leib, der Schweif gelb, ganz oben auf dem Kopf trägt er ein Ding wie ein Salatbüschelchen! Hier ist er! ›Armer Robin Crusoe‹, rief er, als dieser von seiner Fahrt um die Insel wieder heimkehrte. ›Armer Robin Crusoe! Wo bist du gewesen?‹ Der Mann glaubte, er träume, aber nein! Es war der Papagei, weißt du! Dort ist Freitag, er rennt um sein Leben nach der kleinen Landzunge! Hallo! Hopp! Hallo!«

Dann brach er mit einem raschen Stimmungswechsel, der seinem Charakter ganz fremd war, wieder in Mitleid mit seinem früheren Ich aus. »Armer Knabe!« rief er und weinte wiederum.

»Ich wünschte wohl …« murmelte Scrooge, steckte die Hand in die Tasche und sah sich um, nachdem er sich mit dem Ärmelaufschlag die Augen gewischt hatte, »aber jetzt ist’s zu spät!«

»Was wünschtest du?« fragte der Geist.

»Nichts!« antwortete Scrooge. »Gar nichts! Gestern abend kam ein Knabe vor meine Tür und sang ein Weihnachtslied; ich wünschte, ich hätte ihm etwas gegeben – das ist alles!«

Das Gespenst lächelte gedankenvoll, winkte mit der Hand und sagte: »Laß uns einen andern Weihnachtstag beschauen!«

Scrooges einstiges Ich vergrößerte sich bei diesen Worten, und das Gemach wurde etwas dunkler und schmutziger. Das Getäfel schrumpfte ein, die Fenster knarrten; der Gipsbewurf bröckelte von der Decke, und statt seiner zeigten sich nackte Latten. Aber auf welche Weise das alles geschah, wußte Scrooge nicht besser als ihr. Er wußte nur, daß es ganz richtig war: daß sich alles so zugetragen hatte und daß er hier wieder allein war, als alle andern Knaben über die Weihnachtstage nach Hause gegangen waren.

Diesmal las er nicht, sondern schritt verzweifelt auf und nieder. Scrooge sah den Geist an und schaute dann mit traurigem Kopfschütteln ängstlich zur Tür hin.

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