Kitabı oku: «Tokeah», sayfa 26
Dreißigstes Kapitel
»Willkommen, Kapitän!« sprach die Frau des Obersten, als dieser ins Empfangszimmer eintrat. »Setzen Sie sich, die Kinder sind oben. Sie haben uns ein herrliches Christgeschenk in dem lieben Engel gebracht. Es kommt mir immer vor, als wäre sie der Bote des Sieges, der Engel des Friedens und eine gute Vorbedeutung für die Unsrigen, die morgen gegen den Feind ziehen. Wir haben den ganzen Nachmittag mit ihr geweint, als sie uns ihr schönes Leben und den Tod der Tochter des Miko erzählte. So ein herrlich demütiges, in Liebe erquillendes Gemüt! Sie müssen diesem Miko alles Gute erweisen; er muß sehr unglücklich sein. Sie haben eine Unterredung gehabt? Ich schloß es aus Ihrem langen Ausbleiben.«
Der Kapitän hatte sich nachlässig aufs Sofa hingeworfen und fuhr mit der Hand unmutig durch die schwarzen Locken. »Ein trostlos zerrüttetes Gemüt,« sprach er, »in dem nur eine Leidenschaft noch brennt, Haß, glühend verzehrender Haß gegen alles, was amerikanisch ist, der sich in jeder Miene, jedem Worte, jeder Muskel ausdrückt. Hat aber wahrlich Ursache; diese Hinterwäldler sind ein selbstsüchtiges, steifes, starres, rauhes Volk.«
Die Dame schüttelte den Kopf. »Kapitän! Sie sehen mit den Augen des Vorurteiles. Sie fühlen sich unbehaglich.«
»Unbehaglich!« rief der Kapitän, bitter lachend. »Als ich heute vortrat, der Major sprach noch mit den Stabsoffizieren des andern Bataillons, da kehrte mir die ganze Rotte den Rücken. Es ist zum Rasendwerden.«
Der Offizier sprang auf und lief zähneknirschend durch den Salon.
»Und Sie?« fragte die Dame.
»Was würden Sie, teure Mutter, in meinem Falle nach einem solchen Affront getan haben?« »Würde die Männer ernst, aber vertrauensvoll gefragt haben, was sie mit ihrem Betragen meinen. – Und was tat der Major?«
»Rauchte dann und trank und stolperte mit ihnen den ganzen Tag herum«, erwiderte der Kapitän. »Ich ließ sie stehen und ging auf meine Stube.« »Kapitän Percy!« sprach die Dame ernsthaft, »man hat schon gestern oder vielmehr heute morgen Ihr Betragen sehr sonderbar gefunden, daß Sie als Militär es wagen konnten, die Volksverhandlungen zu unterbrechen.«
Der Kapitän wurde feuerrot. »Wagen, ihre Volksverhandlungen zu unterbrechen. Beim Himmel! sie verdienten alle, vors Kriegsgericht gestellt zu werden. Der Gefangene entwischt, er konnte keine Stunde fort sein. Ich eile, ich renne; ich befehle den Männern, ich bitte, ich beschwöre den General. Nur zwanzig Mann. – Da stehen sie mit offenen Ohren, Augen und Mäulern, ohne ein Glied zu bewegen, um anzuhören, was tausendmal bereits in allen unsern Countyzeitungen gestanden.«
»Aber, lieber Kapitän, was geht das Sie an, wenn das Volk es seinem Interesse gemäß findet, sich zu beraten? Und Sie haben sehr unamerikanische Worte gesprochen. Sie gehen von Mund zu Mund.«
»Desto besser. Sie mögen wissen, was man von ihnen denkt.«
Die Oberstin schüttelte den Kopf. »Und Sie vermessen sich, gegen den millionenarmigen Riesen, Volksgeist genannt, Ihre Stimme zu erheben und den Bürgern mehrerer Counties Trotz zu bieten!«
»Ich bin nicht Volks-, ich bin Linientruppenkapitän.«
»Und wem gehören diese Linientruppen?« fragte die Dame. »Und dann,« fuhr sie fort, »dieser Unfriede, dieser Hader in der gegenwärtigen, schwer bedrängten Zeit, wohin soll er führen? Wenn diejenigen, die das Volk gegen den Feind leiten sollen, aus übelverstandenem Stolze sich mit diesem zerwerfen?«
»Und wer hat diesen Unfrieden verursacht, teure Mutter? Doch nicht Kapitän Percy. Wer ist es, der die Opposition gegen den Kommandierenden begonnen hat?«
»Kapitän!« sprach die Dame besorgt, »Sie sind zu lange von Hause gewesen. Sie kennen das Volksleben und seine Gewalt hier nicht. Sie stellen sich unser Volk wie das des alten Englands, des Paradieses der Großen, vor. Hier ist das Paradies des Volkes, und so wie in jenem die Großen, hat hier das Volk alle Macht und Herrschaft.«
»Leider!« versetzte der Kapitän.
Die Frau wandte sich unwillig mit einem halb mitleidigen, halb beleidigten Blicke von ihm. Indem gingen die Türen auf, und der Oberst mit dem Major Copeland traten ein und begrüßten die Dame herzlich, den Kapitän etwas kalt.
»Ihr schon hier?« fragte diese.
»Ja, Liebe!« erwiderte der Oberst. »Das haben wir dem Squire zu verdanken. Es ist vortrefflich ausgefallen, und ich gehe nun mit Zuversicht hinab. Squire Copeland ist ein Wundermann; die Resolutionen sind einmütig angenommen. Einige wollten Einwendungen machen, nahmen sie jedoch zurück.«
»Das sind die Tennesseer, die erst letztes Jahr herabgekommen sind«, entgegnete der Squire. »Noch wilder Stoff und haben sich das Fechten und das Prellen noch nicht abgewöhnt. Für unten sind sie jedoch gerade recht.«
»Die Manöver ihrer Schützen sind aller Ehre wert, Major! und die Ordnung, mit der sie sich benahmen, bewundernswert – für den ersten Tag nämlich.«
»Einige Male«, bemerkte der Squire, »wandelte sie noch immer die Lust an, ein Kleines zu verkosten; aber als ich einem Dutzend die Zigarren aus dem Munde genommen, waren sie für den ganzen Tag ruhig. Ei, es sind freilich keine New Yorker oder Londoner Gentlemen; aber glaubt mir, ihres Landes Beste geht ihnen über alles. Wir haben nun vier Kompagnien Schützen beisammen, die ein Dutzend britischer wegblasen.«
Der Kapitän, nachlässig auf das Sofa hingestreckt, hatte lächelnd den Squire angehört. »Major Copeland«, sprach er endlich ein wenig spöttisch, »scheint seine Feinde etwas unter ihrem Werte zu halten. Es verrät wenigstens Selbstbewußtsein.«
»Und das kann bei einem Volke nie zu weit gehen. Wer sich das Unmögliche zutraut, wird es auch ausführen.«
»Wer seinen Feind verachtet, ist bereits geschlagen, habe ich immer gehört«, entgegnete der Kapitän.
»Mag sein in der alten Welt«, entgegnete der Squire trocken. »Hier haben wir ein besseres Sprichwort: Achte dich zuerst selbst, und deine Feinde werden dich nicht verachten. Übrigens, Kapitän, sind wir in einem freien Lande, und Sie mögen sprichwörtern so viel Sie wollen; nur möchte ich Ihnen raten, daß, wenn Sie mit Bürgern zu tun haben. Sie auch Bürger und kein Jota mehr sein müssen.«
»Und nach Opelousas zum Squire Copeland in die Lehre gehen«, lachte der Kapitän bitter.
»Vielleicht wäre es besser für Sie gewesen, als daß Sie Ihre schöne Jugend in dem grundverdorbenen England verbrachten. Sie haben, scheint es, aus lauter Entzücken über das gehorsame Volk der alten Welt vergessen, daß hier das Volk Gehorsam fordert. Es ist freilich bequemer, zu sagen: du gehst und du stehst, wie es von dem Manne in der Bibel heißt; aber in diesem Punkte haben wir hier noch ein neueres Testament, und selbst das großartige und edelstolze Wesen geht an uns verloren. Nicht einmal anstarren oder scheel ansehen dürfen Sie einen, weil Ihnen sonst der Mann den Rücken wendet. Sie müssen sich unsere Manieren just gefallen lassen, und wenn Sie sich dieser schämen, je nun, so glauben Sie mir, die Männer würden sich noch mehr ausländischer Manieren schämen; sie sind Männer, und zwar die freiesten Männer der Welt, und zu stolz, um sich fremden Manieren zu unterwerfen.«
»Diese Lektion, Major, als was soll ich sie nehmen?« fuhr der Kapitän auf, der rasch auf den Major zutrat.
Der junge, schöne, von Gold starrende, äußerst elegant uniformierte Offizier, der sich augenscheinlich den feinsten Weltton angeeignet hatte, schien weniger über die Reden des Squire, als dessen Äußeres empört. Dieses war nichts weniger als elegant. Ein rehfarbiger, etwas grobtuchener Reiterrock, der, zwar weniger berühmt, aber ebenso viele Touren gemacht haben mochte, als sein grauer, dazumal in Elba befindlicher Bruder, eben solche Beinkleider, eine Art schwarzseidenen Strickes um den Hals, und der Quäkerhut, auf dem der barocke Federbusch wie eine Vogelscheuche prangte, halbrunde Schuhe, die von der Japaneser Wichse seit ihrem Dasein nichts gesehen, waren das Kostüm des vierschrötigen Squire, der ernst und scharf auf den jungen Offizier zutrat. »Als nichts denn einen gutgemeinten Rat, Kapitän«, erwiderte er. »Sie sind ein wackrer junger Mann, und Gott verzeih es denen, die, statt aus Ihnen den Stolz unseres Landes zu machen, Sie hinübersandten und uns einen englischen Fashionable wiedergaben. Aber Sie haben sich wie ein Mann oben an den Seen gehalten. Wäre das nicht der Fall, Major Copeland würde wahrlich für Sie kein Wort verloren haben.«
»Kapitän Percy«, sprach der Offizier stolz, »bedarf keines Fürsprechers und am wenigsten —«
»Sie sind jung, Kapitän,« fiel ihm der Major kalt und trocken ein, »vergessen Sie nicht, daß Sie mir subordinierter Offizier sind. Wir gehen morgen, wie es beschlossen worden, mit den acht Kompagnien hinab. Zweihundert Mann bleiben zurück. Sie werden nun Gelegenheit haben, zu zeigen, ob Ihnen an Ihren englischen Manieren oder am Wohle des Landes mehr liegt. Und vergessen Sie nicht, daß, wenn Sie einmal mit einem Ihrer Mitbürger eine Zigarre rauchen oder ein Glas Toddy trinken, dieses Vertrauen Sie ehrt und kein Haar breit von Ihrer Würde nimmt; auch daß diese nämlichen Bürger größere Männer zu Paaren zu treiben wissen, als Sie sind.« Er nickte mit dem Kopfe und verschwand im hintern Empfangszimmer.
Es war etwas zutraulich Gemäßigtes, aber auch zugleich etwas lakonisch Hartes in dem Tone des Squire gewesen, das dem Offizier abwechselnd das Blut über die Wangen jagte. Eben wollte er dem Major nacheilen, als ihm der Oberst zurief:
»Was wollen Sie, Kapitän Percy?«
»Dem Grobian eine Erklärung abfordern.«
»Setzen Sie sich, diese will ich Ihnen selbst geben. Wissen Sie, daß die sämtliche Mannschaft, ohne Ausnahme, über Ihr Betragen bei dem gestrigen Meeting und die Äußerungen, die Sie fallen ließen, sowie über Ihr heutiges Benehmen so entrüstet sind, daß sie stehenden Fußes ein Komitee von Offizieren ernannten?«
»Und?« fragte der Kapitän, der ein wenig betroffen wurde.
»Und daß dieses Komitee darauf antrug, das Ganze an den Kommandierenden zu berichten und Sie einstweilen, von allen Dienstverhältnissen mit unsern Bürgern zu suspendieren?«
Der Kapitän erblaßte.
»Da trat Major Copeland vor, und mit jener ihm eigenen nervichten Beredsamkeit stellte er den Männern die Notwendigkeit dar, Sie beizubehalten. Nichts vergaß er; Ihre Dienste, Ihre glänzenden Taten bei Plattsburg, alles schilderte er. Er kennt Sie genau. Es dauerte lange; endlich gelang es ihm, den Unwillen zu beschwichtigen. Die Beschlüsse wurden einstweilen zurückgenommen, verstehen Sie? einstweilen!«
»Ich habe im Auftrag meines Chefs gehandelt, und wenn mir im Unwillen Worte entschlüpften —«
»Die nie einem Manne entschlüpfen sollten, der andere zu kommandieren berufen ist«, sprach der Oberst. »Sie kamen in Aufträgen des Generals. Wohl! so mochten Sie sich derselben entledigen und dann schweigen. Aber Sie kamen wie der Pfeil vom Bogen und dachten vermutlich, weil der General unten mit den Kreolen so wenig Umstände macht, diese hier noch weniger nötig zu haben. Ihr Chef versteht jedoch die Sache besser, und während er Sie mit seiner Donnerbotschaft aufs Geratewohl sendet, schreibt er einen freundlichen Brief an den Squire, ja recht bald mit dem Bataillon herabzukommen, er selbst habe ihm Quartier bestellt.«
»Wie wußte er, daß der Squire Copeland zum Major gewählt werden würde?«
»Wenn die jenseitigen Counties die Präsidentenstelle zu vergeben hätten, so würde sie ihm zuteil werden, der durch Erfahrung, Kenntnisse, Gemeinnützigkeit und selbst Vermögensumstände eine hohe Stellung dort einnimmt. Er ist einer der Tonangeber der demokratischen Partei im Staate, in mehreren Counties allgewaltig. Wie konnten Sie es wagen, mit einem Manne, der sechs angesessene Söhne hat und der für sein Land geblutet, ehe Sie noch waren, in einem solchen Tone zu sprechen?«
Der Kapitän war einige Male rasch im Salon auf und ab geschritten. »Der General ahnte etwas von einer Opposition; er hat mir aufgetragen, alles mögliche zu tun, um diese rückgängig zu machen.«
»Und Sie kamen und glaubten, man werde hier sogleich den Atem verlieren? Seien Sie versichert. Ihr donnernder General wird die gewaltige Pille, wegen der Sie sich den Mund verbrannt und Ihre Popularität und, was dasselbe ist, Ihre militärische Existenz vielleicht auf immer gefährdet, mit zuckersüßem Munde hinabwürgen und durch ein freundliches Gesicht dem fernem Volksunwillen vorzubeugen suchen.«
Es folgte eine lange Pause.
»Wir gehen morgen, wie Sie wissen, mit den eingeübten Truppen und den Riflemännern hinab; Sie bleiben einige Tage zurück, bis die Mannschaft eingeübt ist. Eines muß ich jedoch bemerken,« fuhr der Oberst ernsthaft fort, »Ihrer Bewerbung um meine Tochter, Kapitän Percy, habe ich keine Hindernisse in den Weg gelegt, obwohl sie nicht ganz nach meinem Sinne ist. Ich will jedoch der Neigung meines Kindes keinen Zwang anlegen. Nur vergessen Sie nicht, daß ich mit meiner Tochter nicht zugleich auch meine Popularität bei meinen Mitbürgern hinweggeben will.«
Der Kapitän hatte den Sprecher starr angesehen. Einige Male schritt er rasch im Salon auf und ab; dann griff er nach Handschuhen und Tschako, die er heftig an sich riß. Noch stand er unschlüssig, als die Frau des Obersten sich erhob und würdevoll sprach:
»Eintracht und Zusammenwirken! Kommen Sie, Kapitän, Sie waren es, der gefehlt hatte. An Ihnen liegt es, den ersten Schritt zu tun.«
Der Kapitän faßte die dargebotene Hand und folgte der Dame. —
In den vielfältigen Geschäften des großen Hauswesens und den Vorbereitungen zum Abmarsche war die Nacht verflossen, und der Morgen graute schon herauf, als der Donner der Kanonen auch die Ankunft der Dampfboote verkündete. Nicht lange darauf kamen Rosa und Gabriele in den Saal. Eine Weile stand noch die schöne Familiengruppe beisammen, und dann verließ sie das Haus und Bayou auf dem Weg zum Stromufer. Noch hing der Nebel so dicht über dem Strome und dem Ufer, daß bloß ein dumpfes Gewirre von Stimmen zu entnehmen, kein Gegenstand zu unterscheiden war. Die Mannschaft war jedoch versammelt und mit ihr Tausende von Frauen, Mädchen und Kindern, die von nah und fern gekommen waren, um von den Ihrigen Abschied zu nehmen. Ernst und besonnen standen alle und besprachen sich mit den Ihrigen mit einer Ruhe, die unwiderleglich die hohe Stufe der Selbstachtung beurkundete, die das amerikanische Volk so weit über jedes andere erhebt und wohl am natürlichsten dadurch zu erklären sein dürfte, daß dieses keinen eigentlichen Pöbel in seiner Mitte hat, sondern jedes Glied des großen Körpers, selbsttätig und politisch wichtig, jeden seiner Schritte als denkendes, freies Wesen überlegt und eben deshalb mit gesetzter ernster Kraft derselben entgegentritt. Noch einmal umarmte der Oberst seine Lieben, und dann ließ er das Zeichen zum Aufbruche geben. Ihm folgte sein Sohn, der Mutter und Schwestern rasch küßte, die Hand Rosas erfaßte, sie fieberisch an sein Herz riß, und dann der Squire, der den Damen die Hand schüttelte und dann Rosa in seine Arme nahm. »Bete für uns, Rosa,« murmelte er ihr zu, »der da droben hört das Flehen der Unschuld, wir werden›s wahrlich brauchen.«
Und stärker rollten die Trommeln, und gellender tönten die Pfeifen, und der Donner der Kanonen von den Dampfbooten brüllte darein, und der alte Mann riß sich von ihr und der Familie los. Und Trupp auf Trupp zog nun an ihnen vorüber. Ein dumpfes, düsteres Gemurmel, ein anfangs leises, unterdrücktes, dann allmählich lauter werdendes Schluchzen der Frauen, Mädchen und Kinder. Gott segne euch! Er sei mit euch, der Herr der Heerscharen!« rief es aus hundert Kehlen. »Denkt an Weib und Kind! Seid stark, seid Männer!« schrien und kreischten andere. Da schrak Rosa plötzlich zusammen. »Um Gottes willen!« rief sie und flog erstarrt in die Arme ihrer neuen Mutter. Sie drückte ihr Gesicht in den Busen der Dame. Sie deutete schaudernd hinter sich auf eine Schar von Männern, die im dichten Nebelflor, von einem Zug Milizen geführt, auf das Dampfschiff zuschritten.
»Was ist›s? was ist›s?« rief die erschrockene Oberstin.
»Mutter! um Gottes willen rette mich! – Rette deine Rosa!« Mehr vermochte sie nicht zu sagen: denn sie hing in den Armen der Frau halb tot vor Schrecken, ihre Glieder schlotterten, sie war von unendlicher Angst ergriffen.
Da stürzte plötzlich von hinten eine riesiglange, hagere Gestalt, gleich einem Gespenste, unter die Gruppe der Damen, riß Rosa mit Riesengewalt aus den Armen der Frau und hielt sie mit den langen, dürren Händen umschlungen, mehr wie ein höllisches Nachtgespenst, denn ein Erdenbewohner. Mutter und Töchter waren vor Entsetzen kreischend zurückgesprungen.
»Was ist›s?« rief der Kapitän, der mit gezücktem Degen herbeigerannt war.
Der Indianer stierte ihn mit den rollenden Augen eines Rasenden an, drückte Rosa krampfhaft an sich, nur den langen Hals streckte er gräßlich nach dem Dampfschiffe hin, und seine furchtbar funkelnden Augen stierten nach. »Der Häuptling der Salzsee«, stöhnte er.
Rosa blickte auf. Sie schaute um sich. »Miko!« rief sie, »er ist gegangen. Sei ruhig, Miko, der Mörder Canondahs und der Deinigen ist auf dem Strome.«
Und allmählich wurde sein Blick ruhiger. Seine Hände fielen von dem Mädchen, er blickte nochmals stier auf und schwankte langsamen Schrittes den Seinigen zu.
»Um Gottes willen, Kind, was ist das gewesen?« rief die entsetzte Oberstin.
Rosa zitterte noch an allen Gliedern.
»Der Seeräuber, Mutter.« »Kind, du täuschest dich«, rief die besorgte Dame. »Wie sollte der Seeräuber hierher kommen?«
»Nein, nein,« versetzte sie; »der Miko hat ihn auch gesehen.« Und wieder schaute sie ängstlich hinüber auf die Dampfboote, aus deren Kaminröhren nun der Rauch heftiger zu qualmen anfing. Einige Male zischte der Dampf noch wie rasend herüber. Ein langes, tausendstimmiges Gott segne euch schallte hinüber, kam herüber, die Schiffe hoben sich, wandten sich und trieben dann der verhängnisvollen Ferne zu.
Einunddreißigstes Kapitel
»Sind sie abgezogen?« fragte ein Mann mit leiser Stimme, als wollte er die Umstehenden in ihren schmerzhaften Betrachtungen nicht stören.
»So wie Ihr seht,« versetzte ein zweiter; »Ihr seid unter den Riflemännern, Bob; Ihr solltet schon gestern dagewesen sein; Euer Kapitän ist fort.«
»Verdammt!« versetzte der Mann. »Wären es auch, wenn uns nicht diese zurückgehalten hätten.« Er wies auf eine Gruppe von fünf Männern, mit denen er soeben vom jenseitigen Ufer gelandet, und die verwundert schienen, als sie sich plötzlich in einer dichten Reihe von Männern, Weibern und Kindern befanden, von denen einige ihre Ohren den ferne her zischenden Dampfschiffen nachhielten, andere in schweren Gedanken vertieft standen, wieder andere ihre Tücher an die Augen hielten. Es war etwas Ergreifendes in dieser Todesstille der vielen hundert Männer, Frauen und Kinder, die, ohne einen Laut von sich zu geben, noch das Zischen der Dampfschiffe erhorchen zu wollen schienen. Das Gespräch, obwohl leise geführt, hatte jedoch die Aufmerksamkeit auf die soeben Angekommenen gerichtet, von denen zwei als Nachbarn begrüßt, der dritte als der entlaufene Neger des Obersten Parker erkannt, und der vierte einige Augenblicke betrachtet und dann als ein besonderer Aufmerksamkeit eben nicht sehr wertes Subjekt entlassen wurde, der letzte jedoch eine rasche Bewegung und ein Gemurmel veranlaßte, das schnell lauter wurde. »Der Spion«, rollte es von Mund zu Munde.
»Bei Jasus!« rief der Junge, den wir als den vierten bezeichnet, mit einer scharfen, knarrenden, rauhen Stimme und einem Dialekte, der ihn sogleich als einen Sohn Erins verriet. »Bei Jasus! Meister James, das ist eine lustige Hetze; was das für einen Lärm setzt. Als wir ankamen, hätte man eine Maus laufen hören können; kaum haben wir aber einen Fuß ans Land gesetzt, so hebt der Tumult und Schrecken an, just als wenn eine Yankeefregatte an einen königlichen Zweiundfünfziger angeprallt käme.«
Der angeredete Master James, der unser unglückseliger Brite war, gab keine Antwort. Mit zusammengepreßten Zähnen und Lippen stand er stieren, leeren, halb verwilderten Blickes da, der, wenn er auch nicht die Begrüßung, mit der er bewillkommt worden, rechtfertigte, mindestens auf harte Stöße während seiner dreißigstündigen Flucht deutete. Das Gemurmel »der Spion« war mittlerweile immer lauter geworden. Der Irländer besah zuerst sich vom Kopfe zu den Füßen, dann seine beiden Gefährten und rief lustig aus:
»Spion, bei Jingo! Wer, glaubt Ihr wohl, daß ein Spion ist? Meines Vaters Sohn? Ei, das ist zum Totlachen. Master James, das Milch- und Blutgesicht?« Er sah ihn nochmals an. »Der Negergentleman? Hol› mich der Teufel, wenn Ihr bei Sinnen seid. In unserer Familie, den Murphys zu Kildare, soll mich – verdammen, lebt keiner, der noch gehängt worden wäre. Spion! geht zum Teufel, Ihr seid nicht gescheit.« Er brach in ein unbändiges Gelächter aus.
»Ist ja dein Bruder Paddy zu Dublin mit der Hanfbraut getraut worden«, rief ihm einer der zurückgebliebenen Milizen zu.
»Da sprecht Ihr wie ein verdammter Mauldrescher«, fuhr der Irländer heraus. »Es war mein Stiefbruder, der Mann ihr Balg, ist im Greenhouse in der Kaserne vom Brette getanzt. Wäre nicht ihr Cousin zu Camarthaen in dem Teufelsnest aufgesessen, so wäre er noch in seiner Jacke. Er hatte aber keine, hatte sie für eine Bouteille Whisky noch im Loche verschachert, wurde im Hemde gehängt.«
»Hast recht, Paddy«, rief ein zweiter, der den Spaß nicht kalt lassen werden wollte. »Aber dein Vater, der Davy Murphy?«
»Ist wegen eines elenden Fäßchens Magentrost vom Constable Meigs erschossen worden. Verdammter Narr! Ein so ehrlicher Tod, als ihn einer nur sterben kann.«
»Und deine Schwester zu Cork ist ja wegen Schafdiebstahl konfisziert worden!« rief ihm ein dritter zu.
»In Cork? Bei Jasus«, lachte der Irländer. »In Cork? Haben in ganz Cork kein Schaf. Sind froh, wenn sie eine Ziege füttern können. Der Grashalm, der übrig bleibt, da machen sie Tee daraus. Arme Mary!« rief er drollig. »Als ich sie zum zweiten Male sah, da sagte sie mir: Du, Davy, sagte sie, sei gescheit, sagte sie, und —«
Der lustige Irländer wurde in seinen Familienbekenntnissen, zum Leidwesen der Männer von Opelousas, durch zwei Milizen unterbrochen, die, Gewehr im Arm, nun von dem Wachthause ankamen, um ihn mit seinen zwei Gefährten in Empfang zu nehmen. Er sah einen Augenblick verwundert die beiden an, und schrie dann, sich niederhockend, mit närrischem Gelächter: »Master James Hodges! Master James Hodges! Parleh fouhs frenseh, Monsiehour? Sprechen Sie französisch, Herr?« Und wieder lachte er so unbändig, daß ihm zuletzt der Atem verging. »Ei, Master James!« kicherte er, »als wir da gestern mit Besen und Stöcken expediert wurden, wer hätte da glauben sollen, daß uns in vierundzwanzig Stunden darauf so viele Auszeichnung erwiesen und wir mit einer Ehrenwache eingeholt würden?«
»Ich glaube,« rief einer, »hinter dem steckt etwas mehr, als der bloße Schalksnarr.«
» Parleh fouhs frenseh, Monsiehour?« schrie der Irländer wieder mit einem tollen Gelächter.
»Das ist ein närrischer Kauz«, riefen einige Milizen. »Laßt ihm doch seine Freude.« Und sofort schloß sich der ganze Haufe der Männer und Kinder an den Zug.
» Parleh fouhs frenseh, Monsiehour?« schrie er wieder, indem er stillstand und närrisch lachte. »Könnt auch nichts«, fuhr er in seinem Irisch-Englisch fort. »Hol› mich der Teufel, da sagen die Narren, Louisiana ist halb französisch, halb Yankee. Verdammt, unser Pfaffe, der Pater Kirkpatrik, weiß es besser, und meines Vaters Sohn hat›s von ihm gelernt; aber wo ich noch angefragt habe, bat mich keiner verstanden.«
»Du bist ein kecker Bursche,« rief ihm einer der Offiziere zu, »ein paarmal vierundzwanzig Stunden bei Wasser und Brot werden deine Landstreicherzunge wohl langsamer machen.«
Der Ire sah den Sprecher eine Weile zweifelhaft an; dann fiel sein lauernder Blick auf die Umstehenden, die augenscheinlich durch seine tolle Laune ergötzt wurden, und wieder schrie er: » Parleh fouhs frenseh, Monsiehour?« aus seiner blauen Jacke ein Papier hervorziehend. »Mit Euer Wohlehren Erlaubnis, ein Seemann von der Brigg Sarah, Kapitän Morand, ein Landsmann von mir, der aber Yankee geworden, und hol› mich der Teufel, ich werde auch einer. Nichts über die Yankees. Parleh fouhs frenseh, Monsiehour, Master James Hodges?« wandte er sich zu diesem. »Ach, Master James! wären wir, wo wir gestern waren; die Besen und Stöcke sind bei alledem nicht so gefährlich, wie diese Stutzen da.«
Der lustige Schalksnarr hockte sich wieder nieder und lachte toller als je: » Parleh fouhs frenseh, Monsiehour?«
»Deine Abfertigung ist richtig,« sprach der Offizier, »aber wie kamst du zu dem Gefangenen?«
» Parleh fouhs frenseh?« rief der Ire wieder. »Hol› mich der Teufel, wenn ich selbst weiß wie und es sagen kann. Meine Zunge ist so trocken, seit ich die Stadt verlassen habe, als wenn sie eine Gallon Erbsenwasser hinabgeschwemmt hätte.« Und wieder stand er still und lachte pfiffig.
Das halb konfiszierte Schelmengesicht, in dem ein Zug von Gutmütigkeit mit einer derben Portion irischer Unverschämtheit und unbezwingbarer Laune sich spiegelte, hatte die ganze Eskorte allmählich in eine Stimmung versetzt, die, so ernst sie anfangs war, das Lachen kaum mehr unterdrücken konnte. Der Zug näherte sich nun dem Wachthause, der Ire hielt jedoch alle zehn Schritte. Einer der Offiziere nahm ein halbes Dollarstück aus seiner Börse und hielt es zwischen den Fingern.
»Ach, gnädigstet, süßester, liebster, schönster, holdseligster, allerfürtrefflichster, ehrenfestester Squire, Major, Oberst, General, Leutnant oder gar Korporal!« rief der Irländer, seine Hand nach dem Geldstücke mit einer possierlichen Fratze ausstreckend, die ein allgemeines Gelächter erregte.
»Ei, die alte Frau mit ihrer Kappe und der Adler mit seinen Sternen, die sind doch tausendmal gescheiter, als der närrische Kapitän Morand. Wollte mich mit aller Gewalt unter ein Korps Freiwilliger haben, da gegen die Rotröcke zu fechten. Hol› mich der Teufel, wenn ich›s getan habe. Ei, wenn›s noch der Akzise gegolten hätte, oder eine Gallon Kildare Whisky dabei zu verdienen gewesen wäre. Hört ‹mal, Euer Whisky hier ist ‹m Teufel zu schlecht. Ah,« blinzte er pfiffig, »Davy ist kein Narr, hätte ihn Sir Edward erwischt, so hinge er. Das ist auch einer, hat in eine Gelbrote hineingeheiratet. Ein verdammter Orangemann. Ah, Mister, nun laßt uns ‹mal eins dem Master James Hodges zutrinken.«
»Bleibe nur unterdessen hier«, erwiderte der Offizier. »Du gehst mit ins Wachthaus; wird dir aber nichts geschehen.«
»Bei allen Mächten!« schrie der Ire, »ins Wachthaus soll ich! Was wollt Ihr damit? Weil ich nicht in der Freikompagnie dienen wollte, soll ich ins Wachthaus?«
»Paddy,« rief ihm der Nächststehende zu, »deines Vaters Sohn ist ein gewaltiger Narr.«
»Bei allen Mächten, er ist›s«, rief der lustige Ire wieder. »Aber doch kein solcher Narr, seine Finger in den kochenden Topf zu stecken. Hab› mich aufn Weg ins Land gemacht, und da bin ich nun. Braucht Ihr ‹n gewichsten Burschen? Kann alles in der Welt, nur Geld machen nicht. Schreinern, zimmern, Schuhe flicken, Stricke drehen. Hol› mich der Teufel, wenn zwischen Cork und Dublin einer ‹s mit Davy Murphy aufnimmt. Davy, sagte Seine Wohlehren, der Squire zu Camarthaen, Davy, sagte er, wenn aus dir nicht etwas Rechtes wird, so heiß› mich etwas. Aber gestern hättet Ihr mich sehen sollen! Bei Jasus, da war ich wild. Verdammter je nantang pas. Damn him. Verdamm’ ihn. Nein! Hat mich über die Stiegen hinabgeworfen, mich nantang pas aufgeheißen. Kann mir›s einer sagen, was das nantang pas ist? Wenn ich’s wüßte, ich ging hinüber und drehte dem Landlubber den Hals um, und sollte ich morgen baumeln.«
»Du mußt uns nur sagen, wie du zu dem nantang pas gekommen bist.«
Unser Brite hatte bisher in stummer Wut die nimmer endenden tollen Ausbrüche seines Leidensgefährten angehört; nun schien jedoch seine Geduld ihr Ende erreicht zu haben, und er faßte den Jungen am Arme, ihn heftig schüttelnd. »Wenn du nicht dein Maul hältst, verdammter Taugenichts, so dreh› ich dir« – er konnte jedoch den Satz nicht vollenden, denn im nämlichen Augenblick rissen ihn zwei Männer von dem Iren weg.
»Ruhe, junger Mensch!« sprach der eine mit einer so ernsten Miene, daß dem zuckenden Jünglinge das Wort auf den Lippen erstarb.
»Geduld, Master James,« schrie der etwas aus seiner Fassung gekommene Ire darein; »Ihr seht, die Yankees haben nicht gar zu vielen Respekt vor einem englischen Gentleman; am besten ist›s, Ihr ergebt Euch in Euer Schicksal. Hätt›s nicht gedacht,« fuhr er fort, »hat›s aber schon meine Großmutter ihrer Tochter gesagt. Hörst du, Davy, sagte sie, Davy, sagte sie, bist ein geschickter Balg, sagte sie, und geh› nur recht fleißig in die Schule zum Pater Murdoch, sagte sie, aus dir wird etwas Hohes. Aber der verdammte Kreole, kein Wort französisch kann er.«
»Und du hast mit ihm gesprochen?« fragten ihn zwanzig lachend.
»Mit ihm gesprochen? Ei, das hab› ich, hab› mit größern Herrn gesprochen als dem schäbigen Kreolen da, und verdammt mag ich sein, wenn›s nicht wahr ist; hab› mit ihm parliert, so klar, so deutlich, wie›s nur immer sein kann. Fragt nur Master James. Ach, der arme Master James! der hat ‹mal so ein Armesündergesicht, – habt doch ‹mal Mitleid; hatt›n just ein paar Stunden zuvor aufgegabelt, lugte mir da am Waldrande herum, wollte mit dem schwarzen Gentleman da nicht recht hinein und nicht heraus; dacht› mir, bei dem sieht›s auch nicht zweimal richtig aus, willst doch ‹mal sehen, was sie vorhaben, hat›s aber im Gesicht; hab›n kaum angesehen, wüßt› ich schon, wie viel›s geschlagen hatte. Ei, sagt› ich, Master, sagt› ich, woll›n ‹mal zusammen schauen, ob wir den Yankees nicht eine Nase drehen und uns nach New York oder Philadelphia durchschlagen können. Es kann doch so gar weit nicht sein?«
»Eine Kleinigkeit,« lachten alle; »fünfundzwanzighundert Meilen.«
»Yankeemeilen?« fragte der Irländer mit einem pfiffigen Blinzeln, »davon gehen fünfzehn auf eine englische.«
»Der Kerl ist witzig«, riefen ihm einige zu.
»Ne, Spaß beiseite, sind es wirklich zweitausend?«
»Fünfhundert darüber, und gute.«
»Bei Jasus!« bekreuzte sich der Irländer, »wenn›s so ist, da war meines Vaters Sohn doch ein gewaltiger Narr, daß er seine sechsunddreißig Dollar so versilbert, als wenn sie ihm in der Tasche brennten. Und wenn sie nun alle so sind, wie der verfluchte Nantang pas, stellt Euch ‘mal vor: als wir uns denn da mit Master James und dem Negergentleman zusammengefunden, da machten wir uns auf’n Weg; Ihr wißt warum und weswegen: in unsern Magen hatte es bereits zweimal Mittag geschlagen. Wohl, kamen denn so in der besten Intention auf ein Haus zu, und ein sauberes Haus war›s auch noch, steht so ein Landlubber mit zwei Lehdies vor der Tür und sieht uns ganz behaglich zu, wie wir einer nach dem andern angestiegen kamen. Master James hielt sich jedoch zurück und wollte auch mich nicht vorlassen; aber Davy ist kein Narr, und so ging er denn frisch drauf und dran. Es tat not, in meinem Magen rumpelte es, so wahr ich meines Vaters Sohn bin, wie in der Sarah, wenn ein Nordwester angezogen kam. Tut mir nur leid um den schönen Kratzfuß und die vielen Komplimente, die ich schnitt; aber die Damen waren sauber, keine schönern in Dublin, und das will viel sagen.«