Kitabı oku: «Der reitende Tod», sayfa 2

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Zweites Kapitel.

In einem Zimmer des Polizeipräsidiums von Rio de Janeiro saßen an einem langen Tisch vierzehn Herren.

Rauch und Qualm lag über dem Raum, der die Ungemütlichkeit aller Büroräume an sich hatte. Alle Anwesenden waren Angehörige dieser Behörde.

Der lange Tisch mit den hohen Stühlen bildete die einzige Einrichtung des Zimmers; zwei alte Bilder des Präsidenten und seines Vorgängers hingen vereinsamt an der Wand.

Jetzt erhob gerade der Allgewaltige, Senhor Ferreira, der Polizeipräsident von Rio de Janeiro seine Stimme.

»Fast sechzehn Jahre, meine Herren, sechzehn Jahre!« Seine schmale, gepflegte Hand fuhr nervös durch seinen Spitzbart. »Ich sage Ihnen, es kann nicht so weiter gehen; wir kommen in des Teufels Küche!« Sein Temperament ging mit ihm durch; aufgeregt nahm er mehrere Schreiben, die vor ihm lagen, hoch und warf sie energisch wieder auf den Tisch zurück.

»Hier, alles Klagen, Jammern und Beschwerden! Hier,« er nahm eines der Schreiben auf »ein Bericht über einen Bankeinbruch und hier« er nahm ein anderes zur Hand »ein Bericht über den Überfall von Albes. Vierzig Tote hat es dort gegeben! Nein, meine Herren, so geht es nicht weiter, und wenn ich ein Regiment Soldaten aufbieten sollte!«

»Guter Vorschlag, Herr Präsident; nur, daß die Bande die Soldaten rechtzeitig wittern und in ihre Schlupfwinkel verschwinden wird. Wie lange sollen dann die Soldaten ergebnislos suchen? Vergessen wir doch auch nicht, die Schwierigkeiten der Verproviantierung so vieler Menschen auf unbestimmte Zeit und in der unwirtlichen Gegend.« Diese Worte wurden leise gesprochen und klangen angenehm sachlich gegen die Aufgeregtheit Ferreiras.

»Ja, mein Lieber,« wandte sich dieser an den Sprecher »habt Ihr einen anderen Vorschlag, einen, der Hand und Fuß hat, dann sagt ihn bitte, dafür sind wir ja hier.«

Still sah Vicente Orfila vor sich hin. Ihn beschäftigte die Frage ebenso sehr wie seinen Vorgesetzten.

Jetzt warf Melo eine Äußerung dazwischen; Orfila hatte den Verdacht, nur um sich wichtig zu machen und die Aufmerksamkeit des Präsidenten auf sich zu lenken.

»Alles war ja noch erträglich,« sagte er »und man konnte bisher an Miguel de Silva noch Menschliches entdecken; aber seitdem dieses Frauenzimmer bei der Bande ist, gibt es bei ihnen ja keine Grenzen mehr.«

»Ja,« der junge Kommissar Almandos lachte kurz auf »lieber Kollege, wenn eine Frau etwas anfäßt, dann macht sie ganze Arbeit. Und immer ist noch der Verderb der Männer die Frau gewesen.«

»Könnte man hier nicht einhaken?« überlegte der Präsident.

»Herr Präsident,« antwortete ihm der Kommissar, der der Sachbearbeiter in dieser Angelegenheit war, »diese Frau ist die Seele der Bande geworden. Sie soll reiten und schießen wie ein Teufel, und anstatt eines Herzens besitzt sie einen jagenden Ehrgeiz in der Brust. Sie hetzt die Männer zu immer waghalsigeren Stücken, um ihre Begierde nach Geld und späteren Besitz zu befriedigen. Es muß eine eigentümliche Macht von ihr ausgehen, denn sie beherrscht nicht nur Miguel sondern alle Männer der Bande.«

»Aus Ihren Worten,« wandte sich Almandos an den Kommissar »muß man annehmen, daß Sie es lieber mit den Männern der Bande zu tun haben als mit dieser Frau?«

»Worauf Sie sich verlassen können!« erklang die überzeugte Antwort.

»Aber, meine Herren, damit kommen wir doch nicht weiter! Ich bitte um Ihre Vorschläge.« Dringend klang die Aufforderung des Herrn Präsidenten. Sein Blick ging über die Versammelten, aber jeder wich geflissentlich seinen Augen aus.

Eine unangenehme Stille entstand, in der man das Summen der Fliegen am Fenster hören konnte.

Mit einemmal hob Vicente Orfila den Kopf; sein Blick traf den des Präsidenten, in dessen Augen plötzlich Interesse aufsprang. Er kannte seinen langjährigen, tüchtigen Mitarbeiter und wußte, wenn dieser so aus weiter Ferne kam, dann hatte er sich einen Fall überlegt, und wenn Orfila einen Vorschlag machte, dann war eine Schlacht schon halb gewonnen.

Alle folgten Präsident Ferreiras Blick und sahen Kommissar Orfila erwartungsvoll an, der gar nicht die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu fühlen schien.

»Herr Präsident,« sagte er langsam und sinnend »ich glaube, daß uns nur noch ein Mann helfen kann, und dieser Mann ist – ›der reitende Tod‹!«

Betroffen lauschten alle diesem Namen nach. Was war das – ›reitender Tod‹? Wollte sich Kommissar Orfila über sie lustig machen? Erstaunte Blicke trafen ihn, der aber ernst vor sich hin sah.

Zögernd fragte Ferreira: »Der reitende Tod? Lieber Orfila, Sie sprechen für uns in Rätseln. Wollen Sie es uns nicht erklären?«

»Gewiß, Herr Präsident. Es sind Jahre her, da führte mich einst der Zufall nach Benson. Benson, meine Herren,« er wandte sich zur Erklärung an alle »ist eine kleine Stadt in Arizona. Dort hatte ich ein seltsames Erlebnis, das ich niemals wieder vergessen werde. In der Nacht, die ich dort verbrachte, wurde ich von meinem Fenster aus Zeuge, wie man in einer Bank eine ganze Bande, sie nannte sich die ›Bande des Unbekannten‹, einkreiste und fing. Das alles ist nicht seltsam, aber umso mehr der Mann, der die Umkreisung organisierte. Man nannte ihn – ›den reitenden Tod‹.

Ich sah ihn nur flüchtig in der Nacht bei Fackelbeleuchtung. Doch am nächsten Tage wurden mir Schauergeschichten über ihn erzählt. Keiner wußte seinen eigentlichen Namen und wie er in Wirklichkeit aussah, denn er trägt stets eine große, schwarze Maske, wie auch an dem Abend. Und wer ihn je einmal zu Gesicht bekommen hat, kann auch nicht mehr von ihm erzählen, denn Tote reden nicht.«

Orfila ließ eine kleine Pause in seiner Erzählung eintreten; alle Blicke hingen erwartungsvoll an seinem Munde. Nach einer Atempause fuhr er fort:

»Herr Präsident! Wer dieser geheimnisvolle Mann in Wirklichkeit ist, habe ich nie herausbekommen. Nur – daß er stets ein todbringender Gegner der Desperados und Bandenführer ist, und daß er ganz auf der Seite des Gesetzes steht und immer da erscheint, wo man sich keinen Rat mehr weiß. Ein Gerücht sagte, daß der reitende Tod Leutnant bei den westamerikanischen Grenzreitern sein solle, doch Bestimmtes bekam ich nicht zu hören. Da ich bald darauf Benson verließ und wieder in meine Heimat zurückkehrte, hörte ich nichts mehr davon. Nun aber muß ich immer an diesen unheimlichen Reiter denken. Wenn wir den hier hätten!«

Auf alle hatte die Erzählung Eindruck gemacht. Orfila war ein ernst zu nehmender Mann, und so kamen niemandem Zweifel bei der Geschichte auf.

»Lieber Orfila,« der Präsident beugte sich zu ihm, »wenn Sie meinen, daß dieser Mann für uns eine Rettung in der leidigen Angelegenheit wäre, wie schaffen wir ihn dann hierher?«

Einen Augenblick zögerte Orfila mit der Antwort, dann sagte er: »Herr Präsident, ich könnte zu meinem alten Freunde Jefferson nach New York fahren. Wenn der noch im Amt ist, würde er mir sicherlich Auskunft geben können.«

Alles staunte, wie schnell Präsident Ferreira auf Orfilas Vorschlag einging. Aber jener wußte genau, was er tat, wenn er Orfilas Vorschlag ernst, sehr ernst nahm. Er kannte seinen ältesten Beamten, der mit ihm grau geworden war.

»Orfila, wann fahren Sie?« fragte Ferreira, als ob die Sache völlig durchsprochen und abgemacht wäre.

Vicente Orfila erhob sich: »Morgen, Herr Präsident.«

Damit war die Sitzung beendet. Alles ging erstaunt aus einander; man war sehr gespannt, was nun folgen würde, denn die Sache Miguel de Silva war dringend und ernst.

Drittes Kapitel.

In seiner Amtsstube im großen New Yorker Polizeigebäude saß Jim Jefferson seinem Freunde und alten Kollegen Vicente Orfila gegenüber.

Jefferson war der Typ eines New Yorker Polizeimannes; groß und breitschultrig, sein Gesicht wirkte fast eckig. Er war unauffällig gekleidet, Orfila wirkte fast wie ein Stutzer gegen ihn, mit seinem schwarzen Anzug und den weißen Gamaschen um die Schuhe.

Mit ausgezeichneter, südländischer Höflichkeit hatte Orfila Jefferson begrüßt. Nun saß er schon eine geschlagene Stunde ihm gegenüber und unterhielt Jefferson von allem möglichen.

Nur mit Mühe unterdrückte der ein Lächeln. Er kannte den guten Orfila, diesen mit allen Hunden gehetzten Fuchs. Daß der etwas Bestimmtes auf dem Herzen hatte, darüber wäre Jefferson die tollste Wette eingegangen. Doch er tat Orfila nicht den Gefallen, ihn nach dem eigentlichen Zweck seines Kommens zu fragen; er ließ ihn zappeln.

In Gedanken überlegte er sich, wovon sie nun eigentlich noch sprechen könnten. Die interessantesten Fälle in der letzten Zeit hatten sie kurz gestreift, das Befinden der gegenseitigen, lieben Familie war erörtert worden. Über das Amt und den Beruf im allgemeinen und besonderen hatten sie einmütigst geschimpft.

Aha, ein rettender Gedanke, das Wetter war noch nicht durchgesprochen worden. Gerade wollte sich Jefferson auf dieses Thema stürzen, als Orfila ihm lächelnd abwehrte.

»Lieber, alter Freund, laßt nur, Ihr habt ja längst durchschaut, daß mein Kommen einen bestimmten Zweck hat.«

Erleichtert atmete Jefferson auf; endlich, nun kam der Gute doch zum eigentlichen Zweck seines Hierseins.

Erwartungsvoll sah er ihn an und bot ihm eine seiner Zigarren aus der guten Kiste an, die er nur bei besonderen Gelegenheiten hervorholte; im allgemeinen tat es bei ihm auch seine geliebte Pfeife.

Doch Orfila dankte, er nahm aus einem zierlichen Etui eine Zigarette und steckte sie an. Verächtlich sah Jefferson auf dieses Dingelchen herab, um sich mit um so größerem Wohlbehagen eine Brasil in den Mund zu stecken.

»Jefferson, habt Ihr hier in New York schon von Miguel de Silva oder, wie er im Volksmund genannt wird, dem ›Laternenpfahl‹ gehört?«

Bedächtig nickte Jefferson.

»Gewiß haben wir das! Der macht Euch wohl höllisch zu schaffen?«

Vielleicht klang ein wenig Schadenfreude aus der Antwort des Amerikaners, denn ihn traf ein schneller Blick unter Orfilas Augenlidern hervor.

Doch Jefferson dachte im Augenblick an die Südländischen Zeitungen und ihre Randglossen über das Gangsterunwesen, das für die Nordamerikanische Polizei mitunter ein Kampf gegen Windmühlen war; und es war für ihn eine gewisse Genugtuung, auch einen Fall zu wissen, gegen den seine südländischen Kollegen kämpften, ohne den Gegner fassen zu können.

»Woher kommt eigentlich der Name ›Laternenpfahl‹?«

»Woher so ein Name kommt, lieber Jefferson; der Mutterwitz des Volkes gebiert ihn. Bei einem Bankraub hat Silva draußen stehend, mit einer Laterne bewaffnet, seinen Leuten geleuchtet, die im Hochparterre arbeiteten. Er ist so groß, daß es ohne Schwierigkeit geht. – So schlug er dann zwei Fliegen mit einer Klappe. Er hielt einerseits Wache, während seine Fachleute für Geldschrankknacken drinnen ungestört arbeiten konnten, und spendete ihnen andererseits noch Licht bei ihrer Arbeit.«

Um Jeffersons Mund lag ein kleines, anerkennendes Lachen.

»Und nun sagen Sie mir noch eins: ist Miguel de Silva sein richtiger Name?«

»Nein! Silva stammt aus einer altadeligen Familie, die ihn wegen einer Jugenddummheit fallen ließ. Er geriet darauf auf abschüssige Bahnen. Daher stammt wohl auch sein Haß gegen alle Reichen und Vornehmen des Landes, er hat ihnen sozusagen privaten Krieg angesagt. In kollegialem Vertrauen, Jefferson, sein eigentlicher Name ist«: Orfilas Stimme sank zum Flüsterton herab »Condé ...« mehr aber weiß man nicht.

Jefferson stieß einen erstaunten Pfiff aus und fuhr sich über seine borstigen Augenbrauen, eine Bewegung, die er immer machte, wenn ihn etwas kolossal in Erstaunen setzte.

»Donnerwetter!« meinte er schließlich.

»Wir versuchten zuerst, darauf Rücksicht zu nehmen,« erklärte Orfila. »Aber bald darauf wuchs uns die Sache über den Kopf, und heute ist sie uns zu einer schwer zu lösenden Aufgabe geworden.«

»Wegen de Silva seid Ihr also hier, Orfila? – Wie können wir Euch denn da helfen?« fragte nun doch interessiert Jefferson.

Jetzt erzählte Kommissar Orfila seinem Kollegen dieselbe Geschichte, die er damals den Anwesenden bei der Geheimsitzung berichtet hatte.

Keine Muskel verzog sich in Jeffersons Gesicht; trotzdem ihn Orfila genau beobachtete, konnte er nicht feststellen, was in Jefferson vorging. Als Orfila endigte, atmete er auf und fragte geradezu: »Jefferson, nun frage ich Sie als meinen alten Freund, gibt es amtlich einen ›reitenden Tod‹?«

Jefferson sah still vor sich hin; erst nach einer Weile, in der ihn Orfila nicht aus den Augen gelassen, antwortet er: »Amtlich ist mir der ›reitende Tod‹ nicht bekannt. Aber – ich kenne einen Mann, dem man diesen Namen gegeben hat.«

Orfila atmete erleichtert auf.

»Jefferson, könnt Ihr den Mann nicht zu uns schicken? Meine Regierung wäre Euch sehr dankbar.«

»Lieber Orfila, das wird nicht gehen.«

»Warum nicht?«

»Weil – bleiben wir erst einmal bei dem Namen – ›der reitende Tod‹ sich schon lange zurückgezogen hat.«

»Also lebt der Mann noch?«

»Ja!«

»Und Ihr meint nicht, daß er, wenn es sich für ihn lohnt, noch einmal losgeht?«

Ein Achselzucken antwortete Orfila, dann herrschte Stille im Zimmer, während die beiden Herren mit ihren Gedanken beschäftigt waren.

Plötzlich fanden sich ihre Augen.

»Orfila, Ihr seid mein Freund und habt mein Vertrauen, darum will ich Euch jetzt einen Freundschaftsdienst tun,« sagte Jefferson und fuhr dann fort: »Der Mann, der einstmals den Namen ›reitender Tod‹ trug, war Leutnant bei den Grenzreitern. Ein gefährlicher Kerl, den seine oberste Behörde nur losließ, wenn sie sich keinen anderen Rat mehr wußte, sonst hielt sie ihn krampfhaft zurück. Durch Zufall seid Ihr an die richtige Adresse geraten, ich kenne seinen Namen und weiß, wo er lebt.

»Er heißt Coolper und lebt jetzt auf seiner großen Ranch, die in Arkansas, in der Nähe von Little Rock liegt. Fahrt zu ihm hin und versucht Euer Heil; vielleicht gelingt es Euch, ihn für Eure Sache zu interessieren. Wir können keinen Druck auf ihn ausüben. Doch sollte Euch Eure Mission mißlingen, dann schreibt mir, und ich verspreche Euch, maßgebende Leute dafür zu interessieren.

»Führt Euch bei ihm unter Bezugnahme auf mich ein; denn ich lernte ihn eines Tages dienstlich kennen. Es sind jetzt – 26 Jahre her, da war er noch ein ganz junger Kerl. Der ›reitende Tod‹ muß nun an die Fünfzig sein; aber, ist er vielleicht auch nur noch die Hälfte von dem, was er früher war, so ist er immer noch der richtige Mann für Euch.«

Aus Jeffersons Worten klang so viel Achtung für diesen geheimnisvollen Mann, daß Orfila hoch aufhorchte.

Er erhob sich und drückte Jefferson dankbar die Hand.

»Das werde ich Euch nicht vergessen, Jefferson! – Ihr werdet von mir hören.«

Bald darauf verabschiedete sich Orfila von ihm. Jefferson aber saß noch lange in Gedanken versunken da.

Er wußte ganz genau, warum er Orfila den Namen preisgegeben und gedachte auch anderen von Orfilas Wunsch Mitteilung zu machen, die es sehr interessieren würde.

Längst vergessene Bilder und vernommene Abenteuer stiegen vor ihm auf.

Später ging er und holte sich zum Erstaunen des Beamten, der die Geheimakten verwaltete, alte, vergilbte Akten, die er mit auf sein Büro nahm.

Viertes Kapitel.

In einem behaglichen Winkel eines großzügig angelegten Gartens lag in einer Hängematte eine Frau. Sie hatte ein Buch in den Händen, aber ihre Augen blickten nicht hinein sondern beobachteten ein Rotkehlchen, das sich auf dem in der Nähe stehenden, sauber gedeckten Tisch niedergelassen hatte und dort keck nach willkommener Labung suchte.

Blumen und Moosbeete zogen sich, so weit das Auge reichte, hin und umsäumten einen Bach, der sein Bett durch den Garten zog. Ein breiter Weg, der durch hohe Pappeln überschattet wurde, führte zu einem großen, lang gestreckten Gebäude. Weiter fort sah man einen Eichenwald liegen.

Die Ruhe, die im Garten herrschte, wurde plötzlich durch klappernde Hufe unterbrochen.

Die Frau fuhr auf und glitt aus der Hängematte. Als sie nun auf den Füßen stand, konnte man ihre schlanke, biegsame Gestalt erkennen. Sie mochte eine Frau Anfang der Vierzig sein, hatte schwarzes, dichtes Haar und braune, leuchtende Augen.

Der Reiter kam auf sie zu; jetzt wurde der Hufschlag seines Pferdes durch den weichen Grasboden im Garten gedämpft.

Der Reiter zog seinen Sombrero und schwenkte ihn lachend; auch sie winkte ihm lebhaft zu.

Er war ein muskulöser Mann, der jung wirkte, trotzdem er wohl die Fünfzig schon überschritten hatte, besaß noch sein volles, blondes, etwas lockiges Haar und hatte blaue Augen, deren Fältchen davon zeugten, daß er gern und viel lachte.

Er trug einen dunkel gehaltenen Anzug mit einer braunen Lederhose. Um seine Hüften lag ein Patronengürtel, und aus dem Halfter des Gürtels hing tief ein Revolver herab.

Jetzt hatte er den schattigen Winkel erreicht und sprang vom Pferde, um die Frau, die sich freudig an seine Brust warf, lachend aufzufangen.

»Endlich, Garry!«

Eine leichte Wolke flog einen Augenblick über sein Gesicht, um sofort wieder dem lachenden, zärtlichen Ausdruck zu weichen. Doch seine Stimme klang ein wenig vorwurfsvoll, als er nun sagte: »Aber – kleine Ben!« Er nannte sie immer noch mit dieser Abkürzung ihres Namens, den sie einst trug, als sie sich kennen lernten.

»Ich ändere mich doch nicht!« klagte Benjamine Coolper, doch ihre Augen lachten ihn dabei an. »Wenn Du nicht bei mir bist, stehen immer Bilder in mir auf, was Dir alles passieren könnte und in welche Abenteuer Du Dich stürzen könntest, Garry.«

Garry Coolper schüttelte den Kopf und preßte sie enger an sich.

»Was soll mir denn nun schon passieren? Drei Tage war ich bei den Weidereitern; es ist alles in ausgezeichneter Ordnung dort, das Vieh in einem fabelhaften Zustande, eine Freude es zu sehen, Liebling. Die Felder blühen, es ist eine Lust, jetzt draußen zu sein.«

Bei diesen Worten führte er sie zum Tisch und ließ sich daran nieder, sie schenkte ihm den Nachmittagskaffee ein. Er sah zu ihr auf.

»Bin ich nicht pünktlich?« Er zeigte mit einer Handbewegung auf den Tisch. »Genau, wie ich es versprach: zum Nachmittagskaffee in drei Tagen bin ich wieder da!«

»Du siehst, Garry, ich rechnete auch fest damit,« erwiderte Benjamine Coolper oder, wie sie mit ihrer Abkürzung hieß, Ben.

Auf einmal zog sich eine steile Falte zwischen seine Augenbrauen; Ben, die kein Auge von ihm ließ, sah es mit Besorgnis; sie ahnte, was nun kommen würde, und richtig, da kam schon die gefürchtete Frage.

»Wo ist Lefty? Ich sehe, daß nur für Zwei gedeckt ist?«

Geschäftig, vielleicht auch nur, um ihren Mann abzulenken, stellte sie ihm das Brot und die Butter zur Hand, dabei sagte sie: »Lefty ist in Little Rock.«

»In Little Rock?« Jedes Wort betonend sprach er ihre Antwort nach. Seine Hand lag plötzlich zur Faust geballt auf dem Tisch; er hielt ihren Blick fest, dem sie gern ausgewichen wäre, »Du sandtest ihn mit einem Auftrag dort hin?«

»Nein – ja!« Eine Röte schoß in ihr Gesicht, als er sie kopfschüttelnd betrachtete.

»Du willst den Jungen in Schutz nehmen, Liebling?« fragte er leise.

»Lefty ist jung, Garry, er will doch etwas von seinem Leben haben. Immer nur hier bei uns zu sitzen, ist doch nichts für einen jungen Menschen!« Überstürzt verteidigte die Mutter ihren Jungen.

»Was heißt vom Leben haben, Benny?« grollte Garry.

»Faul ist er und zu nichts nütze!« brauste er plötzlich auf.

»Bist Du nicht zu hart mit ihm?« wagte sie schüchtern einzuwerfen.

Ein hartes Lachen ließ sie zusammenfahren; gleich aber war Garry wieder ruhig und höflich.

»Ich glaube, daß Du das nicht im Ernst behaupten kannst. Überlege Dir doch selbst! Was tut der Junge? Er sitzt hier umher, reitet auch wohl einmal gelegentlich zum Vieh hinaus, aber damit ist schon sein Tagewerk vollbracht. Im übrigen, sofort, wenn ich den Rücken kehre, sitzt er in Little Rock und wer weiß, was er dort macht. Ich habe ihn im Verdacht, daß er dort jeut, und daß ein gewisser Jemand,« er sah seine Frau fest an »ihm heimlich das Geld dafür zusteckt.

»Wenn Du das ›etwas vom Leben haben‹ nennst, Liebling, dann geht unsere Meinung in dem Punkt aus einander. Im übrigen ist er schlapp, schießen tut er wie ein totes Kaninchen, kein Mumm ist in dem Jungen, zu nichts ist er zu gebrauchen!« empörte sich Garry.

»Das ist nicht wahr!« Jetzt wurde Benny energisch.

»Was verlangst Du eigentlich von ihm? Daß er nicht so ein Revolverschütze ist wie Du, dafür kann er nicht. Einen Garry Coolper gibt es nicht noch einmal wieder!« setzte sie stolz und zärtlich hinzu. »Auch sagt Lefty immer, daß er nur in Deiner Gegenwart versagt. Er hat Angst vor Deiner scharfen Kritik, oder es ist sonst irgendeine Hemmung bei ihm vorhanden. Jedenfalls erzählt er mir, daß er in Deiner Gegenwart immer unsicher wird.«

»Pah!« Garry Coolper machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wenn ein Mann überhaupt je das Gefühl der Angst oder Unsicherheit kennt, dann wird aus ihm nie ein Kerl – ein Revolvermann.«

»Aber, Garry,« Benny schlug die Hände zusammen »soll unser Lefty denn ein Revolvermann werden?«

»Lieber als ein schlapper Kerl! Denn Benny,« setzte er leise hinzu, »er ist doch auch mein Junge.«

»Garry,« vorsichtig sprach sie ihre Meinung aus »hast Du den Jungen nicht immer zu scharf angefaßt? Ich war doch oft Zeuge, wie Du die Geduld verlorst, und dann habe ich den Jungen oft recht bedauert.«

»Unsinn!« wehrte er ab. »Ein Junge muß gelegentlich einmal hart angefaßt werden, sonst –«

»Ist das nicht individuell, Garry?« suchte sie unterbrechend einzuwerfen.

»Ach was, entweder wird er ein ganzer Kerl oder nicht!«

Etwas verstimmt schwiegen nun beide. Benny tat es leid; immer wieder war es dieses Thema, das eine Mißstimmung zwischen ihnen hervorrief. Aber sie faßte es als ihre Pflicht als Mutter auf, verbindend zwischen Vater und Sohn zu stehen.

Auch sah sie ein, daß es nicht leicht für ihren Sohn Lefty war, neben einem Vater von so überragender Persönlichkeit und Eigenschaften zu bestehen.

Sie bemerkte die finstere Unmutswolke auf seinem Gesicht und versuchte, sie zu verscheuchen.

»Ich erhielt einen Brief von Betty, Garry.«

Ihre Diplomatie, ihn abzulenken, schien den gewünschten Erfolg zu haben, denn er sah interessiert auf.

»Betty?« ein zärtlicher Klang war in seiner Stimme. »Was schreibt sie?«

»Sie schreibt, daß sie sich nach ihrem Daddy sehnt und sich darauf freut, daß wir sie bald abholen.«

Betty war die siebenzehnjährige Tochter des Hauses, der verwöhnte Liebling des Vaters. Sie weilte augenblicklich in New York bei einer befreundeten Familie.

Vom Ranchhaus her näherte sich jetzt eine schwarze Dienerin.

»Was gibt es, Anna?« rief ihr die Hausfrau entgegen.

Lachend begrüßte sie mit einem tiefen Knicks den Hausherrn.

»Mister Coolper, mit einem Wagen aus Little Rock kam eben ein Herr, der Euch zu sprechen wünscht.«

»Bitte ihn hierher!« forderte Garry sie auf.

Anna ging; sie nahm das Pferd mit sich, das bisher in der Nähe nach Gräsern gesucht hatte.

Gleich darauf erschien sie wieder, und in ihrer Begleitung befand sich ein schlanker, mittelgroßer Mann, Ende der Vierzig. Er war aufs Sorgfältigste gekleidet und machte einen sympathischen und gepflegten Eindruck.

Auf den ersten Blick sah Garry Coolper, daß es kein Nordamerikaner war, sondern daß er einen Südamerikaner vor sich hatte.

Höflich stand er auf und ging seinem Gast entgegen. Auf halbem Wege trafen sie zusammen.

»Ich heiße Sie willkommen!« sagte Coolper mit der von ihm stets gepflegten Gastfreundschaft.

»Ich danke Ihnen, Mister Coolper!« antwortete der Fremde und legte seine schmale, braune Hand in die kräftige des Hausherrn. »Gestatten Sie, daß ich mich Ihnen bekannt mache – Orfila aus Rio de Janeiro.«

Coolper erwiderte die Verbeugung seines Gastes und führte ihn zum Kaffeetisch.

Hier machte er ihn mit seiner Frau bekannt, die den Fremden an den Tisch bat und ihn gastfreundlich bewirtete.

Schon nach kurzer Zeit fühlte sich Orfila hier wohl, seine flinken, aufmerksamen Augen gingen hin und her, um immer wieder mit einem staunenden Ausdruck auf Garry Coolper haften zu bleiben.

Es wollte ihm nicht gelingen, diesen Mann, der so sehr in diese gepflegte Häuslichkeit paßte und sich mit ihm angeregt unterhielt, mit dem immerhin ungewöhnlichen, wenn nicht gar unheimlichen Namen ›reitender Tod‹ in Einklang zu bringen.

Ohne ihn nach dem Zweck seines Kommens zu fragen, forderte ihn Mistreß Coolper zum Bleiben auf, was Orfila nach kurzem Bedenken dankend annahm.

Der Tag senkte sich schon dem Abend entgegen; man saß jetzt auf der überdachten Veranda des Hauses, und noch war der Gesprächsfaden nicht abgerissen. Orfila konnte ein talentvoller Erzähler sein, der, viel umhergekommen, interessant zu berichten wußte.

Und es machte ihm Vergnügen, diesen beiden Menschen, die er in den kurzen Stunden des Zusammenseins in sein temperamentvolles Herz geschlossen hatte, von sich zu erzählen. Er meinte, noch niemals so verständnisvolle und aufmerksame Zuhörer gehabt zu haben. Die Harmonie, die von den beiden ausstrahlte, empfand er mit feinen Sinnen.

Plötzlich hörten sie Sporenklirren, ein zögernder Schritt näherte sich. Orfila sah, wie der Hausherr sich emporreckte und ein Schatten über sein Gesicht ging, während er in die Richtung schaute, aus der sich die Schritte näherten.

Die kleine Treppe zur Veranda kam ein junger Mann herauf; als er in den Lichtkegel der Lampe trat, konnte Orfila nur mit Mühe einen Ausruf unterdrücken: das lebende Ebenbild des Hausherrn, nur bedeutend jünger, stand dort und kam mit zögerndem Gruß näher.

»Mein Sohn Lefty – unser Gast, Senhor Orfila!« stellte Coolper vor.

Eine kurze, knappe Verbeugung von seiten des jungen Mannes, dann wandte er sich seiner Mutter zu, die ihm freundlich über das Haar strich, das vielleicht nicht ganz so blond wie das seines Vaters war.

»War es schön in Little Rock?«

Orfila zuckte zusammen, so hart und scharf klang die Frage aus Garry Coolpers Mund. Er hätte niemals geglaubt, daß diese angenehme Männerstimme so schneidend klingen konnte. Unwillkürlich erschauerte Orfila; eine Ahnung sagte ihm, daß es schwer, sehr schwer sein würde, wenn nicht unmöglich, diesen Mann völlig kennenzulernen und zu erfassen.

Gewohnt, stets alles, auch das Kleinste zu beobachten, sah Orfila plötzlich, wie des jungen Mannes Augen sich verkleinerten, und wie er anfing stark zu blinzeln, was wiederum zur Folge hatte, daß ein verächtliches Lächeln um die Lippen Garry Coolpers erschien.

Als nicht gleich eine Antwort auf seine Frage kam, forderte ein herrisches »Nun« vom Vater den Sohn auf, unverzüglich zu antworten.

»Ich danke Dir; es war ganz nett!« Des jungen Mannes Stimme klang heiser und schleppend, als er antwortete.

»Morgen Abend reitest Du mit den Nachtreitern zu dem Vieh am Black Wood und bleibst so lange draußen, bis ich Dich rufe. Und nun ist es wohl am besten, Du schläfst Dir die ›schönen Tage‹ von Little Rock aus den Knochen.« Ein leichter Sarkasmus klang aus Garry Coolpers letzten Worten.

Ohne dem Vater zu widersprechen, verabschiedete sich der junge Mann. Orfila gefiel er gut; jetzt sah er doch, daß der Ausdruck des Gesichtes des jüngeren verschieden war von dem seines Vaters.

Was hart in Garry Coolpers Gesicht und charaktervoll war, erschien noch weich und unausgebildet in den Zügen des Sohnes.

Allein geblieben, wandelte sich Coolpers Wesen wieder. Mit weltmännischer Gewandtheit ging Orfila über die eben erlebte Szene hinweg; aber sie blieb ihm doch im Gedächtnis haften.

Erst am nächsten Tage nach dem Frühstück bat Garry Coolper Orfila in sein Zimmer. Es war ein Raum, der dieselbe Behaglichkeit bot wie alle in diesem Hause; ein größeres Zimmer, wo in einem offenen Kamin ein Holzfeuer loderte, und in dem alte, schwere Möbel standen, die für die Ewigkeit gebaut schienen.

Mit dem Namen Jeffersons führte Orfila sich und seine Erzählung ein. Mit keiner Frage, ohne nur ein einziges Mal Erstaunen oder Interesse zu zeigen, hörte Coolper ihn an. Orfila konnte nicht ahnen, ob seine Erzählung den gewünschten Eindruck machte. Ruhig und gelassen saß Coolper vor ihm.

Mit Temperament und Anschaulichkeit erzählte Orfila und schloß schließlich mit der dringenden Bitte um Hilfe.

Keine Muskel zuckte in Coopers Gesicht, als Orfila durchblicken ließ, daß er wußte, wer Coolper einst gewesen.

Garry Coolper ließ eine Orfila endlos dünkende Pause eintreten, ehe er ihm antwortete.

»Mein lieber Senhor Orfila, ich habe mir alles wohl überlegt, und nun will ich Ihnen meine endgültige Antwort geben: Nein, ich komme nicht! Ich habe Pflichten, die es mir verbieten, mich noch einmal in meinem Leben in Gefahr und Abenteuer zu stürzen.

»Ich will nicht leugnen, daß mich die Sache reizt, doch ich habe einem Menschen, den ich liebe, ein Versprechen gegeben, daß ich nur, wenn ein tiefer Grund vorhanden wäre, noch einmal hinausziehen würde.

»Dieses Abenteuer ist wohl reizvoll, aber es liegt darin kein tiefer Grund für mich, mich darein zu mischen.

»Lassen Sie mich Ihnen sagen, daß ich es selbst bedaure, daß Sie Ihre große Reise umsonst machten, aber ich kann Ihnen nicht helfen.«

Orfila stand auf, er zeigte nicht seine innerliche Erregung und Enttäuschung. Mit ausgesuchter Höflichkeit erwiderte er: »Mister Coolper, ich bedaure, daß Sie meinem Vaterlande nicht diesen Dienst leisten wollen. Aber umsonst war meine Reise nicht, lernte ich Sie doch kennen und durfte in Ihrem Hause ein paar unvergeßliche Stunden verbringen.«

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