Kitabı oku: «Erziehung des Herzens»
Chögyam Trungpa
Erziehung des Herzens
Chögyam Trungpa
Erziehung des Herzens
Buddhistisches Geistestraining als Weg
zu Liebe und Mitgefühl
Übersetzung aus dem Amerikanischen
Ulli Olvedi
Arbor Verlag
Originaltitel: Training the Mind andCultivating Loving-Kindness
© 1993 by Diana J. Mukpo
Translation of The Root Text of the Seven Points of Training the
Mind © 1981, 1986 by Chögyam Trungpa; revised Translation
© 1993 by Diana J. Mukpo and the Nalanda Translation
Committee. Translation of Fortysix Ways in Which a Bodhisattva
Fails © 1993 by the Nalanda Translation Committee.
Copyright © der deutschen Ausgabe: 2000 Arbor Verlag,
Freiamt. Published by Arrangement with Shambhala Publications,
Inc., P.O. Box 308, Boston, MA. 02117
Alle Rechte vorbehalten
E-Book 2018
Bearbeitung: Martina Klose
E-Book-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
www.arbor-verlag.de
ISBN E-Book: 978-3-86781-254-2
Inhalt
Vorwort der Herausgeberin
Einführung
Punkt eins
Die Vorbereitungen, die eine Grundlage für die Dharma-Praxis bilden
1. Als Erstes schule dich in den Vorbereitungen
Punkt zwei
Die zentrale Praxis, die Schulung in Bodhicitta
Absolutes und relatives Bodhicitta
Absolutes Bodhicitta und die Paramita Großzügigkeit
Relatives Bodhicitta und die Paramita Disziplin
Die Slogans des absoluten Bodhicitta
2. Betrachte alle Dharmas als Träume
3. Erforsche die Natur des ungeborenen Gewahrseins
4. Befreie sogar das Gegenmittel durch sich selbst
5. Ruhe in der Natur des Alaya, der Essenz
6. In der Nachmeditation sei ein Kind der Illusion
7. Senden und empfangen sollten abwechseln praktiziert werden. Diese beiden sollten auf dem Atem reiten
8. Drei Objekte, drei Gifte und drei Samen der Tugend
9. Übe mit den Slogans bei allen Aktivitäten
10. Beginne die Übungsphase des „Sendens und Empfangens“ mit dir selbst
Punkt drei
Die Verwandlung von schlechten Umständen in den Pfad der Erleuchtung
Punkt drei und die Paramita Geduld
11. Ist die Welt voller Unheil, so verwandle alles Unglück in den Pfad des Bodhi
12. Schieb alle Schuld dir selbst zu
13. Sei dankbar gegenüber jedermann
14. Verwirrung als die vier Kayas verstehen ist der unübertreffliche Shunyata-Schutz
15. Vier Übungen sind die beste aller Methoden
16. Verbinde alles, was dir unerwartet begegnet, mit Meditation
Punkt vier
Wie man die Praxis im gesamten Leben nutzbar macht
Punkt vier und die Paramita Bemühung
17. Übe die fünf Stärken, die komprimierten innersten Unterweisungen
18. Die Mahayana-Unterweisung für das Ausstoßen des Bewusstseins im Tod umfasst die fünf Kräfte – wie man sich verhält ist wichtig
Punkt fünf
Beurteilung der Geisteserziehung
Punkt fünf und die Paramita Meditation
19. Alle Dharmas stimmen in einem Punkt überein
20. Von den zwei Zeugen wähle den Hauptzeugen
21. Bewahre stets einen heiteren Geist
22. Kannst du selbst dann praktizieren, wenn du abgelenkt bist, hast du gut geübt
Punkt sechs
Disziplinen der Geisteserziehung
Punkt sechs und die Prajnaparamita
23. Halte dich stets an die drei grundlegenden Prinzipien
24. Ändere deine Einstellung, aber bleibe natürlich
25. Sprich nicht über verletzte Gliedmaßen
26. Denk nicht über andere nach
27. Arbeite am größten Fehler zuerst
28. Lass alle Hoffnung auf Ernte los
29. Halte dich von giftiger Nahrung fern
30. Sei nicht so vorhersagbar
31. Zieh nicht über andere her
32. Laure nicht im Hinterhalt
33. Lass es nie so weit kommen, dass es schmerzt
34. Pack nicht die Ochsenladung auf den Rücken der Kuh
35. Versuche nicht, am schnellsten zu sein
36. Verdrehe dich nicht
37. Mache nicht Götter zu Dämonen
38. Suche nicht nach dem Schmerz der anderen als Krücke für dein eigenes Glück
Punkt sieben
Leitlinien der Geisteserziehung
Punkt sieben und die Nachmeditation
39. Man sollte alles mit einer einzigen Absicht tun
40. Korrigiere alles Übel mit einer einzigen Absicht
41. Zwei Aktivitäten – eine am Anfang, eine am Ende
42. Welches der beiden auch eintreten mag – sei geduldig
43. Beobachte diese zwei, selbst wenn dein Leben auf dem Spiel steht
44. Übe dich in den drei Schwierigkeiten
45. Sorge für die drei hauptsächlichen Ursachen
46. Achte darauf, dass die drei niemals schwinden
47. Sei unzertrennlich von diesen drei
48. Übe ohne Vorliebe oder Abneigung. Es ist entscheidend, dies zu jeder Zeit, in jedem Fall und mit vollem Einsatz zu tun
49. Meditiere stets über alles, was Groll hervorruft
50. Lass dich nicht von äußeren Umständen beeinflussen
51. Praktiziere dieses Mal die wichtigsten Punkte
52. Interpretiere nicht falsch
53. Wanke nicht
54. Übe mit ganzem Herzen
55. Befreie dich selbst durch Untersuchen und Analysieren
56. Suhle dich nicht in Selbstmitleid
57. Sei nicht eifersüchtig
58. Sei nicht leichtfertig
59. Erwarte keinen Applaus
Abschließende Verse
Anhang
Die sechsundvierzig Arten von Fehlern, die ein Bodhisattva begehen kann
Vierunddreißig gegenteilige Verhaltensweisen zur Verkörperung der Tugend
Zwölf gegenteilige Verhaltensweisen dazu, allen Wesen zu nützen
Anmerkungen
Glossar
Dank
Über den Autor
Bibliographie
Veröffentlichungen
Bücher von Chögyam Trungpa in deutscher Sprache
Shambhala-Meditationszentren
Vorwort der Herausgeberin
Dieses Buch enthält den Wurzeltext der Sieben Punkte der Geisteserziehung von Chekawa Yeshe Dorje, ins Englische übersetzt vom Nalanda-Übersetzungskomitee, mit einem Kommentar, der auf den mündlichen Unterweisungen Trungpa Rinpoches basiert. Trungpa Rinpoche bezog sich dabei vor allem auf den Kommentar von Jamgon Kongtrul dem Großen mit dem tibetischen Titel Changchub Shunglam (Der grundlegende Pfad zur Erleuchtung); dieser Text gehört zu einer Sammlung der wichtigsten Lehren des tibetischen Buddhismus, Die fünf Schätze, die Jamgon Kongtrul zusammenstellte. (Trungpa Rinpoches eigener Lehrer, Jamgon Kongtrul von Sechen, war eine Inkarnation dieses führenden spirituellen Lehrers des 19. Jahrhunderts.)
Die sieben Punkte der Geisteserziehung werden dem großen indischen buddhistischen Lehrer Atisha Dipankara Shrijnana zugeschrieben, der 982 als Mitglied des Königshauses von Bengalen geboren wurde. Deshalb wird diese Liste von Sprüchen, die Chekawa zusammengestellt hat, oft auch als „Atishas Slogans“ bezeichnet. Nachdem Atisha schon als Jugendlicher dem Leben im Königspalast entsagt hatte, studierte und praktizierte er hingebungsvoll den Dharma, zuerst in Indien und später auf Sumatra. Sein wichtigster Lehrer war Dharmakirti (in Tibet auch Serlingpa genannt) und von diesem erhielt er die wichtigsten Unterweisungen über Bodhicitta und die Geisteserziehung. Zurückgekehrt nach Indien, machte er sich daran, diese in Vergessenheit geratenen Lehren wieder zu etablieren, und nahm einen Lehrstuhl an der berühmten Klosteruniversität Vikramashila an. Er wurde eingeladen, die Lehren über die Geisteserziehung nach Tibet zu bringen, und er verbrachte dort dreizehn Jahre, bis er 1054 starb. Sein engster tibetischer Schüler, Dromtönpa, an den er den Schatz seines Wissens und seiner Weisheit weitergegeben hatte, begründete die Kadam-Linie des tibetischen Buddhismus.1
Zunächst wurden Atishas Slogans geheim gehalten und nur an die nahesten Schüler weitergegeben. Die erste Niederschrift erfolgte durch den Kadampa-Lehrer Lang-ri Thangpa (1054 – 1123). Weitere Verbreitung fanden sie, nachdem Geshe Chekawa Yeshe Dorje (1101 – 1175) sie im Wurzeltext der Sieben Punkte der Geisteserziehung zusammengefasst hatte. Geshe Chekawa traf bei seinen Lehrreisen auf viele Leprakranke und vermittelte ihnen die Geisteserziehung, und es heißt, dass mehrere von ihnen dadurch von ihrer Krankheit geheilt wurden. Aus diesem Grund nannten die Tibeter seine Lehren manchmal „den Dharma für die Lepra“. Als Chekawa feststellte, dass diese Lehren sogar seinem aufsässigen Bruder, der kein Interesse am Dharma hatte, gut zu tun schienen, kam er zu der Überzeugung, dass eine weitere Verbreitung angemessen sei. Das führte dazu, dass Atishas Geisteserziehung seit vielen Jahrhunderten bis zum heutigen Tag in allen wichtigen Linien des tibetischen Buddhismus praktiziert wird.2
Der Wurzeltext der Sieben Punkte der Geisteserziehung ist eine Liste von neunundfünfzig Slogans, die eine grundlegende Zusammenfassung der Sicht und der praktischen Anwendung des Mahayana-Buddhismus beinhalten. Das Studium und die Praxis dieser Slogans bieten uns auf sehr praktische und direkte Weise die Möglichkeit, unser Festhalten am Ego zu lösen und Sanftheit und Mitgefühl zu entwickeln. Sie geben uns eine Methode an die Hand, um unseren Geist zu erziehen, indem wir sowohl die formale Meditationspraxis als auch das alltägliche Geschehen als Mittel zum Erwachen verwenden.
Dieser Band basiert nicht, wie viele andere der Dharma-Ocean-Serie, auf einem einzigen Seminar, sondern ist eine Zusammenstellung von Unterweisungen und Bemerkungen aus einem Zeitraum von vielen Jahren. Trungpa Rinpoche präsentierte die Mahayana-Lehren der Kadampa-Slogans erstmals 1975 während des dritten jährlichen Vajradhatu-Seminars, einem der dreizehn dreimonatigen Kursen für Fortgeschrittene, die er zwischen 1973 und 1986 hielt. In den darauf folgenden Seminaren führte er dann die Theorie und Praxis der Geisteserziehung weiter aus.
Die Geisteserziehung oder Slogan-Praxis hat zwei Aspekte: die Praxis der Meditation und die Praxis der Nachmeditation. Im Tibetischen nennt man die entsprechende Meditationspraxis Tonglen oder „Senden und Empfangen“, in Anlehnung an den siebten Slogan: „Das Senden und Empfangen sollte abwechselnd praktiziert werden / Diese beiden sollten auf dem Atem reiten.“ Trungpa Rinpoche unterwies seine Schüler im Seminar von 1979 in der Praxis des Tonglen und empfahl ihnen, sie in ihre tägliche Meditation miteinzubeziehen. Er legte ihnen aber auch die Nachmeditation ans Herz, die darin besteht, jeden Aspekt des Lebens durch die Anwendung der Slogans mit der meditativen Disziplin zu verbinden.
In der Arbeit mit seinen Schülern legte Trungpa Rinpoche großen Wert auf die Praxis des formlosen Meditation – der Entwicklung von Achtsamkeit und Gewahrsein – als Grundlage. Zunächst vermittelte er die Tonglen-Praxis nur erfahrenen Schülern, die sich bereits ausgiebig mit der Sitzmeditation und dem Studium der buddhistischen Lehren befasst hatten. Wenn die Theorie und Praxis der Geisteserziehung in solch einem Kontext präsentiert werden, ist die Gefahr geringer, dass diese Lehren als moralisch oder als Konzept interpretiert werden.
Später führte man die Tonglen-Praxis im Rahmen der Zeremonie des Bodhisattva-Gelübdes ein – einer formalen Absichtserklärung, sein Leben dem Wohlergehen anderer zu widmen. Nach und nach wurde die Tonglen-Praxis dann in unterschiedlichem Zusammenhang präsentiert. Im Naropa Institute, einer buddhistisch inspirierten Universität in Boulder, Colorado, gehört die Tonglen-Schulung zum Lehrplan der klinischen Psychologie. Auch im Rahmen der Buddhismus-Christentum-Dialoge, die das Naropa Institute veranstaltet, wurde diese Praxis vorgestellt. Teilnehmer an einmonatigen Meditationskursen (tibetisch: dhatün) erhalten heute eine reguläre Einführung in die Tonglen-Praxis, und wer sich noch intensiver damit befassen will, kann an einem speziellen Tonglen-Dathün teilnehmen. Tonglen ist zudem Teil einer Meditation für die Kranken, die jeden Monat einmal praktiziert wird, und man verwendet sie auch innerhalb der Vajradhatu-Bestattungszeremonien.
Mit Hilfe der „Slogan-Praxis“, wie wir sie hier nennen wollen, erkennen wir, dass unsere Selbstbezogenheit eine gewohnheitsmäßige Tendenz ist und sich selbst in den winzigsten Gedanken und Handlungen manifestiert. Diese Tendenz sitzt tief und beeinflusst all unser Tun, selbst unser so genanntes wohlmeinendes Verhalten. Die Praxis des Tonglen verkehrt dieses Gewohnheitsmuster in ihr Gegenteil; sie basiert darauf, dass man das Wohl anderer vor das eigene stellt. Angefangen bei unseren Freunden, dehnen wir unseren Bereich der Wachheit auf unsere Bekannten und schließlich bis auf unsere Feinde aus, denn wir wollen andere akzeptieren und von Nutzen für sie sein. Das tun wir nicht deshalb, weil wir Märtyrer sein wollen oder unsere eigenen Bedürfnisse unterdrücken, sondern weil wir begonnen haben, uns selbst und unsere Welt zu akzeptieren. Die Slogan-Praxis öffnet ein größeres Feld der Sanftheit und der Kraft, sodass unser Verhalten und Handeln von Wertschätzung bestimmt wird anstatt vom ständigen Kreislauf von Hoffnung und Furcht.
Es verlangt beträchtlichen Mut, sich mit diesem grundlegenden Kontrast von Altruismus und Ichbezogenheit zu konfrontieren, denn das führt direkt zum Kern des spirituellen Pfades und lässt keinen Raum für auch nur die kleinste Selbsttäuschung oder die Spur des Selbstbetrugs. Es ist eine sehr pragmatische, realistische Praxis.
Besonders wirkungsvoll ist Tonglen im Umgang mit Schmerz und Verlust, wenn es um Krankheit oder Tod geht. Sei es bei uns selbst oder bei anderen, Tonglen hilft die Geisteshaltung des Kämpfens und der Abwehr gegenüber solchen Erfahrungen zu überwinden und einfacher und direkter mit ihnen umzugehen.
In der formalen Tonglen-Praxis ist – ebenso wie in der Achtsamkeits-Gewahrseins-Praxis – der Atem miteinbezogen. Am Anfang ist es sehr wichtig, zuerst mittels Achtsamkeits-Gewahrseins-Praxis die richtige Basis für Tonglen zu schaffen. Die Tonglen-Praxis selbst hat drei Stufen. Als Erstes lassen Sie den Geist eine oder zwei Sekunden lang im Zustand der Offenheit ruhen. Diese Stufe ist recht kurz; es ist ein Aufblitzen grundlegender Stille und Klarheit. Als Nächstes arbeiten Sie mit der Struktur der Befindlichkeit. Sie atmen eine Qualität von Hitze, Dunkelheit, Schwere und Enge ein; dann atmen Sie das Gefühl der Kühle, Helligkeit und Leichtigkeit, also ein Gefühl der Frische aus. Sie fühlen, wie diese Qualitäten herein- und hinausströmen, nicht nur durch die Nase, sondern durch alle Poren. Sobald Sie auf diese Weise ein allgemeines Tonglen-Gefühl entwikkelt haben, beginnen Sie mit den geistigen Inhalten zu arbeiten. Taucht eine Erfahrung auf, die unerfreulich ist, atmen Sie diese ein, und erfreuliche Erfahrungen atmen Sie aus. Befassen Sie sich zuerst mit Ihrer aktuellen Erfahrung und beziehen Sie dann auch die Menschen und andere Wesen in Ihrem Umfeld mit ein, die ebenso leiden wie Sie selbst. Wenn Sie zum Beispiel das Gefühl von Unzulänglichkeit haben, atmen Sie dieses Gefühl ein; das Gefühl der Kompetenz und Tüchtigkeit hingegen atmen Sie aus. Dann weiten Sie diese Praxis über Ihre persönlichen Belange hinaus auf andere aus; verbinden Sie die Übung mit all den schmerzlichen Gefühlen, die Sie in Ihrer unmittelbaren Umgebung wahrnehmen, und schließlich mit dem Leiden der ganzen Welt. Es geht in dieser Praxis in erster Linie darum, dass Sie Ihr Herz öffnen – dass Sie mit ganzem Herzen annehmen und mit ganzem Herzen loslassen. Im Tongeln wird nichts zurückgewiesen; alles, was auftaucht, ist Treibstoff für die Praxis.
Trungpa Rinpoche betonte die Bedeutung der mündlichen Tradition, in der die Übungen persönlich und direkt von Lehrer zu Schüler weitergegeben werden. Auf diese Weise haben die Schüler an einer ungebrochenen Weisheitstradition teil, die viele Generationen bis zur Zeit des Buddha selbst zurückreicht. Die essentielle, lebendige Qualität der Praxis, die vermittelt wird, ist zutiefst menschlich und lässt sich nicht einfach aus Büchern entnehmen. Deshalb wird empfohlen, dass sich jeder, der oder die sich auf die formale Praxis des „Sendens und Empfangens“ einlassen möchte, nach Möglichkeit mit einem erfahrenen Praktizierenden in Verbindung setzt, mit ihm oder ihr die Praxis bespricht und sich eine formale Einweisung geben lässt.
Die Praxis der Nachmeditation basiert darauf, dass man sich mitten im Alltag spontan an den jeweils zutreffen Slogan erinnert. Damit ist jedoch nicht gemeint, dass man sich angestrengt darum bemühen soll, in Übereinstimmung mit den Slogans zu handeln; vielmehr löst das Studium dieser traditionellen Aphorismen ein spontanes Erinnern aus. Wenn man diese sieben Punkte der Geisteserziehung durcharbeitet und die Slogans auswendig lernt, stellt man fest, dass sie ganz mühelos immer wieder im Geist auftauchen. Sie verfolgen einen geradezu und dieses wiederholte Erinnern führt nach und nach zu einem feineren Verständnis dessen, was liebevolle Zuwendung und Mitgefühl wirklich bedeuten.
Jeder Versuch, die Slogans als Krücke zu verwenden, um eine bestimmte moralische Anschauung zu unterstützen, wird durch sie selbst unterminiert. Sie haben nur insofern mit moralischem Verhalten zu tun, als sie Hindernisse in Form von Engstirnigkeit, Angst und Festhalten am Ich beseitigen, sodass unser Handeln nicht von Egozentrik, Projektionen und Erwartungen belastet ist. Die Slogans sollen „praktiziert“ werden. Das heißt, man sollte sie durcharbeiten und auswendig lernen. Zugleich aber soll man sie auch loslassen. Sie sind lediglich konzeptuelle Werkzeuge, die den Weg zu einer Verwirklichung jenseits aller Konzepte weisen.
Wie in den buddhistischen Lehren üblich, liegt ein gewisses spielerisches und ironisches Element in der Art Gewahrseins, den die Slogan-Praxis für uns öffnet. Diese Offenheit des Geistes ist die Grundlage für die Kultivierung des Mitgefühls.
Die moralische Sicht der Dinge, wie sie in den Kadampa-Slogans präsentiert wird, hat Ähnlichkeit mit derjenigen in Shakespeares berühmtem Zitat: „Erbarmen kennt keine Mühe, es fallet vom Himmel wie der sanfte Regen.“ Da gibt es kein moralisches Schlachtfeld, auf dem wir das Böse vertreiben und für das Rechte kämpfen. Das traditionelle buddhistische Bild für Mitgefühl ist die Sonne, die wohltuend und unterschiedslos auf alles scheint. Es ist das Wesen der Sonne zu scheinen; sie muss sich nicht darum bemühen. Gleichermaßen ist Mitgefühl ein natürliches menschliches Verhalten, sobald die Schleier und Hindernisse beseitigt worden sind, welche die Manifestation von Mitgefühl behindern.
Trungpa Rinpoche legte seinen Schülern nahe, Tonglen in ihre tägliche Meditationspraxis miteinzubeziehen und die Slogans auswendig zu lernen. Bei den Vajradhatu-Seminaren ließ er diverse Slogans in kalligraphischer Schrift gestalten und an allen möglichen Orten aufhängen. Man wusste nie, wo man einem Slogan begegnen würde. Zum Beispiel konnte man in der Küche auf den Slogan treffen: „Sei jedermann dankbar“, oder an einem Baum hing die Aufforderung: „Schieb alle Schuld dir selbst zu.“
Man sollte die Slogans kontemplieren, einen nach dem anderen. Zu diesem Zweck empfahl Trungpa Rinpoche seinen Schülern, gedruckte Slogan-Karten als tägliche „Wachmacher“ und Provokateure zu verwenden.
Mögen uns diese Lehren in ihrer Bodenständigkeit und Einfachheit dazu inspirieren, liebevolle Zuwendung und Mitgefühl zu kultivieren und uns selbst und andere niemals aufzugeben. Mögen sie die Furchtlosigkeit in uns wachrufen, um den Klammergriff des Ego zu überwinden. Mögen sie uns befähigen, das in die Tat umzusetzen, was uns am meisten am Herzen liegt – allen Wesen auf dem Weg zum Erwachen von Nutzen zu sein.