Kitabı oku: «Finn und Herr Stockelbeiner»

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Finn und Herr Stockelbeiner

Christel Keiderling


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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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© 2020 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

Mühlstr. 10, 88085 Langenargen

Alle Rechte vorbehalten. Hardcoverausgabe erschienen 2016.

Lektorat: Melanie Wittmann

Cover: Monika Schreckenberg

Herstellung: Redaktions- und Literaturbüro MTM

ISBN: 978-3-86196-615-9 – Hardcover

ISBN: 978-3-96074-361-3 – E-Book

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Inhalt

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Für Finn

von Nona

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Finn und Herr Stockelbeiner

In einem klitzekleinen Dorf, das wie ein bunter Klecks zwischen riesigen Bergen liegt, lebt schon seit x Jahren ein Herr namens Aurelius Stockelbeiner. Nicht nur der kuriose Name, nein, auch die geheimnisvolle Gestalt mit allem Drum und Dran gibt den Leuten Rätsel auf. Möglicherweise leidet dieser klapperdürre Kerl an Schlapp- oder Faulfieber, da er nämlich keiner handfesten Arbeit nachgeht. Stattdessen sitzt er tagein, tagaus in seinem Fabulierstübchen, wie er es selbst nennt, stützt den dicken Kopf, der von einem schmächtigen Hals nur mit Mühe gehalten wird, in seine Hände und brütet kuriose Geschichten aus.

Jawohl, seinen Kopf, den muss er hüten wie ein rohes Ei, denn wenn der vom dünnen Hals stürzt und auf dem Erdboden zerplatzt, sind alle Geschichten mitsamt Herrn Stockelbeiner schlagartig dahin, und das wäre jammerschade.

Außerdem finden Kinder Geschichtentrümmer, die holterdiepolter aus einem Dichterkopf stürzen, vollkommen uninteressant. Ja, was sollen sie denn mit einem Haufen zerschlagener Geschichten anfangen? Kinder wünschen sich nichts mehr als einen Menschen, der mit ihnen spannenden Geheimnissen nachspürt und dabei nicht umkommt. Das weiß auch Herr Stockelbeiner, und so tut er, was er kann, um sein kostbares Oberstübchen vor einem Unglück zu bewahren.

Obwohl Herr Stockelbeiner stundenlang geradezu reglos dasitzt und in der ganzen Zeit nicht einmal eine Mücke erschlägt, behauptet er dennoch steif und fest, ein Schwerstarbeiter zu sein, nämlich einer, der ausschließlich mit dem Kopf arbeite, und das nicht zu knapp. Von morgens bis abends müsse er um zig Ecken und Kanten herumdenken, meist sogar noch in schlaflosen Nächten. Erst wenn aus den drallen Ideen echte Fantasieknaller geworden seien, die die Herzen der Kinder höher schlagen ließen, könne er zufrieden aus seinem Fabulierstübchenfenster schauen. Doch oft setze ihm die quirlige Gedankenflut arg zu und verwandle seinen Kopf in einen glühenden Feuerball.

Glücklicherweise plätschert genau vor Herrn Stockelbeiners Haus das Flüsschen Ruhr munter dahin und lädt stets zu einer Abkühlung ein. Darum taucht der emsige Geschichtenerfinder, immer wenn es nottut, seinen glühenden Schädel in das kühle Nass, um dem arbeitsamen Hirn eine besondere Wohltat zu gönnen.

Abends geht er über die kleine Ruhrbrücke zu seiner Frau Christabell, die auf der anderen Seite wohnt. Allerdings schreitet der Poet nie mit leerem, sondern immer mit prallvollem Kopf, in dem sich die Ideen nur so drängeln, über den schmalen Wassersteg.

Seine Christabell, die auf der anderen Seite schon auf ihn wartet, leert ihm dann gründlich den Kopf und schreibt ruckzuck die taufrischen Fantasieknaller auf, die peu à peu aus dem Mund des Erzählers purzeln. So füllten sich im Laufe der Jahre schon viele Blätter mit den wundersamsten Geschichten und es werden täglich mehr.

Etliche Leute im Dorf halten Herrn Stockelbeiner für einen versponnenen Himmelsgucker, sind aber trotzdem froh, dass es ihn gibt, denn er ist schon etwas Besonderes.

Ines Cavaleres, alleinerziehende Mutter und Redakteurin der Zeitung Heimatpost, hält Herrn Stockelbeiner allerdings für einen gottbegnadeten Poeten und ist davon überzeugt, dass der lange, dürre Kerl den Kindern nur die besten Schnurren serviert. Vor allem das mit Spektakulum gewürzte Fantasiegeflunker findet Ines traumhaft schön. Und außerdem sind Herr Stockelbeiner und ihr Sohn Finn dicke Freunde.

Spektakulum, das ist ein ganz besonderes Gewürz, welches nur Kindern gut bekommt. Große Leute können davon Bauchschmerzen kriegen. Ja, ja, es gibt schon kuriose Dinge auf dieser Welt.

Kurios ist auch, dass das Ehepaar Stockelbeiner nicht gemeinsam ein Haus bewohnt. Im Laufe der Jahre haben die Leute jedoch aufgehört, sich darüber zu wundern.

Das ist nämlich so: Wenn die beiden länger als 24 Stunden zusammen sind, beginnen sie miteinander zu zanken. Der eine sagt Ja, der andere Nein und wiederum meint der eine Nein und der andere Ja. Es kommt auch vor, dass der eine schlafen und der andere einen Krimi anschauen möchte.

Absolut kritisch wurde es allerdings damals, als Christabell ganz und gar der Tanzlust verfiel, immer nur schwofen wollte, und zwar mit ihrem geliebten Aurelius. Aber Herr Stockelbeiner ist nun mal ein Tanzmuffel, zudem sind seine Füße so breit und plump wie Elefantenquanten. So ist es nicht verwunderlich, dass Christabell nach dem letzten gemeinsamen Tanz Knick- und Senkfüße hatte, zudem einen Bluterguss am rechten Knie, und Herr Stockelbeiner prompt Hausverbot bekam. Das hatte dem gepeinigten Ehemann schwer zu denken gegeben, sogar sein Oberstübchen ziemlich durcheinandergebracht. Tagelang saßen seine Geschichten fest im Kopf, konnten weder hin noch her. Doch das größte Übel war, dass der Ärmste von einem tückischen Rappeldullanfall heimgesucht wurde.

Offen gesagt, ein Rappeldullanfall ist wirklich der absolute Härtefall unter den Anfällen. Mit Aua beginnt und mit Aua endet er.

„Ach Gott, ach Gott, welch eine Heimsuchung!“, hatte die leidgeprüfte Ehefrau nach dem Dilemma gestöhnt und tagelang sorgenvoll auf ihre ramponierten Füße geschaut. Seitdem tanzt Christabell nur noch mit ihrem Staubsauger, und das ist sogar sehr praktisch, denn so kann sie beim Tanzen gleich die Wohnung sauber halten.

Da sich nun Christabell und Aurelius damals nach dem unglückseligen Tanz noch genauso liebhatten wie davor, suchten sie gleich mit Kopf und Herz nach einer passablen Lösung. Denn sie wollten unbedingt ein Ehepaar bleiben bis zum Ende ihrer Tage, aber möglichst ohne Rappeldullanfälle.

Also bauten sie sich ein zweites Haus. Das Heim von Herrn Stockelbeiner steht am Sternrotberg, das von Frau Stockelbeiner am Ellenberg und zwischen beiden fließt die Ruhr. Dass jeder sein eigenes Dach über dem Kopf hat und dennoch dem anderen nah sein kann, ist ein großes Glück für beide.

Zur Zeit der Schneeschmelze kann die Ruhr zu einem reißenden, gefährlichen Fluss werden. Die größte Gefahr geht jedoch von dem algenumwobenen Ungeheuer aus, welches mit einer grobzackigen Harke in den schäumenden Wellen den spielenden Kindern auflauert. Nicht nur den Kindern droht das Versinken im ewigen Nass, nein, auch den Erwachsenen.

Schon manch verwirrter Kopf ist im eiskalten Wasser wieder zu Verstand gekommen, oder auch nicht. Wenn nicht, sprechen die Leute von einem tragischen Unglücksfall und von einem Bruder Leichtfuß. Mit leichtem Schuhwerk hat das wohl nichts zu tun.

Natürlich kennt jedes Kind die Gefahren, die im Wildbach lauern, recht gut. Doch trotz Verbot lungern die Rabauken immer wieder am Ruhrufer herum und stieren gebannt in die unergründlichen Tiefen des Flusses.

Warum? Na, um ihn zu sehen, den leibhaftigen Wasserheune mit seinem krummzackigen Gerät zwischen den riesigen gelben Zähnen, mit dem er die Kinder beim Schopf greift und durch die brausenden Wellen bis auf den Grund zieht. Er sieht wirklich gruselig aus, der alte Geselle. Das behauptet jedenfalls Herr Stockelbeiner, der ihn schon mehr als einmal zu Gesicht bekommen und alles, was es über ihn zu sagen gibt, schriftlich festgehalten hat.

Zum Beispiel berichtet er, dass der Körper des Wasserheune von Kopf bis Fuß mit grünlich schillernden Algen bedeckt sei. Selbst im Bart hänge das fransige Zeug. Und in seinem gierigen Schlund gurgle es derart, dass bei jedem Glucksen sein Algengewand das Wasser zum Schäumen bringe. Der Anblick des Ungeheuers sei in der Tat eine echte Zumutung und insgeheim müsse sich ein jeder wünschen, davon verschont zu bleiben. Dennoch, behauptet Herr Stockelbeiner, gäbe es die Hartgesottenen, die immer wieder, wenn auch mit schlotternden Knien, zum Ufer schlichen, auf ein gesalzenes Abenteuer lauerten und jede Warnung in den Wind schlügen. So wie zum Beispiel der neugierige Maulaffe aus Hundesossen, der seinerzeit mit einer Bohnenstange auf Teufel komm raus im Fluss herumgestochert habe, bis schließlich dem Wasserheune der Geduldsfaden gerissen sei und er den Störenfried mit Haut und Haaren in die gurgelnde Tiefe ...

Na ja, das Ende dieser Geschichte erzählt Herr Stockelbeiner nie, aber ein jeder wird es sich denken können.

Obwohl man dem dürren Poeten das Vaterunser durch sämtliche Rippen blasen kann und der linkische Kerl selbst im Sandkasten mit Hacke und Schippe nichts anzufangen weiß, behandeln ihn die Leute trotz kleiner Spötteleien respektvoll. Nun denn, Aurelius Stockelbeiner kennt seine Pappenheimer und lässt sie reden. Dass einige Maulhelden über seinen Vornamen witzeln, ist ihm bekannt. Im ganzen Landstrich, bergauf, bergab, heißt nämlich niemand Aurelius. Natürlich gibt es Männer, die Rudi, Wini, Udo, Hubertus, Wolfgang, Peter, Paul, Julius, Karlheinz, Thomas, Bernd, Stefan, Tom, Gerhard oder Franz-Josef gerufen werden. Aber einen Aurelius Stockelbeiner gibt es weit und breit nicht. Und weil das so ist, will dieser seinem Namen alle Ehre machen, denn immerhin ist und bleibt er ein echter Stockelbeiner.

So bringt denn der Gute regelmäßig seinen dicken Kopf mit einem zärtlichen Patsch zum Denken, denn Kindergeschichten lassen sich auf keinen Fall von einem dösigen Hirn zwischen Tür und Angel erfinden, nein, die brauchen ein properes Denkerstübchen, um sich entwickeln zu können. Vor allem muss jede Erzählung mit Spektakulum gewürzt sein, sonst ist sie fad und bröselig wie ein altes Brötchen.

Herr Stockelbeiner kennt dieses Gewürz recht gut, da es ihm selbst bestens bekommt, und das, obwohl er schon längst erwachsen ist. „Spektakulum, die reine Wohltat für Leib und Seele“, sagt er immer.

Bevor Christabell ihrem Mann die nagelneueste Geschichte aus dem Kopf locken kann, wird diese zunächst Finn erzählt, und zwar von Herrn Stockelbeiner persönlich. So frisch bekommt sie keiner serviert, nicht einmal Frau Stockelbeiner. Das muss einen Grund haben, und den hat es natürlich auch. Finn ist nämlich Herrn Stockelbeiners Freund, und zwar schon, seitdem er aus dem Bauch seiner Mutter geschlüpft ist. Schließlich sind sie Nachbarn, aber das ist noch längst nicht alles.

Aurelius Stockelbeiner half nämlich seinerzeit dabei, Finn auf die Welt zu bringen, da nämlich die zuständige Hebamme den Geburtstermin vertrödelt hatte.

„So etwas verbindet“, sagt Herr Stockelbeiner, „und lässt einen sein Lebtag lang nicht wieder los. Wäre ich damals bei der bekannten Firma Bim & Bum in Lohn und Brot gestanden, hätte ich Finns Mutter in der schweren Stunde nicht beistehen können. Da sieht man doch wieder, dass auch ein Geschichtenspinner zu etwas nutze ist.“

Im Nachhinein ist Frau Cavaleres ihrem netten Nachbarn immer noch sehr dankbar für sein beherztes Zupacken, hat sogar damals die gute Tat in der Heimatpost lobend erwähnt. Und auch sonst zeigt sie sich hilfsbereit. Wenn zum Beispiel Frau Stockelbeiner einmal den Dauerschnupfen hat und in ihren Tränen die Buchstaben dahinschwimmen, springt selbstverständlich Ines Cavaleres als Aushilfstippse ein, denn sie mag Christabell sehr, vor allem deswegen, weil sie ihrem tüchtigen Aurelius so treu zur Seite steht.

„Ach ja“, brummt Herr Stockelbeiner bisweilen versonnen, „meine Christabell und ich sind ein ganz und gar ineinander verwobenes Ehepaar mit allem Drum und Dran.“

„Du, Herr Stockelbeiner, bist du mit deiner Frau Christabell zusammen auf diese Welt gekommen? Ich meine, in ein und derselben Stunde?“, fragt Finn eines Tages.

„So ist es mein Junge“, antwortet dieser lachend. „Und da wir schon so ewig lange zusammen sind, wollen wir es auch bleiben. Darum kann es nur von Vorteil sein, dass wir zwei Häuser zur Verfügung haben. Denn wenn wir getrennt wohnen, bleibt uns die Sehnsucht erhalten, vor allen Dingen das geheimnisvolle Klabastern im Bauch, welches zwischen Magen und Herz herumflitzt.“

„Was ist ein Klabastern?“, fragt Finn.

„Ach, Junge“, antwortet Herr Stockelbeiner, „bis ich dir das erklärt habe, sind mindestens zwei Tage vergangen und das ist das Klabastern nun wirklich nicht wert. Trotzdem, das mit den zwei Häusern hat schon sein Gutes, soll sich die Welt ruhig darüber wundern.“

„Oh ja“, meint Finn nachdenklich, „meine Mama, die wundert sich ganz doll, vor allem darüber, dass bei euch alle Gebrauchsgegenstände einen Namen haben, sogar einen urkomischen. Dass das rundglotzige Auto in der Garage Kadrillchen heißt und der Hauklotz in der Scheune Dummprotz. Und dass ihr das Fernsehgerät mit Gaukeline und den Radioapparat mit Dudeline anredet. Meine Mama findet das echt cool, sie hat sich deswegen schon ein Loch in den Bauch gelacht, glaube ich jedenfalls. Doch als ich mir einmal mit der Schere eine Schneise in die Haare geschnitten habe, weil ich Mama auch mal so richtig zum Lachen bringen wollte, hat sie keine Miene verzogen, nur entgeistert auf meinen Kopf gestarrt und schließlich aus Leibeskräften gerufen: Du bist der Schaum von allen Pötten. Ist das nun eine Krankheit oder eine Ungezogenheit, kannst du mir das erklären, Herr Stockelbeiner?“

„Weder noch, Junge, aber du hast mir gerade das richtige Wort auf die Zunge gelegt, also will ich gleich anfangen. Ich kenne da nämlich eine supertolle Schaudergeschichte mit dem Titel: Der Schaum von allen Pötten.“ Und schon beginnt Herr Stockelbeiner zu erzählen.

Der dorfbekannte Hexenmeister aus dem Schallöpchen, der in grauer Vorzeit als Hokuspokuschef das Dörfchen Hittenhausen regierte, war in jener Zeit ein gefährlicher Bursche, denn der Schwarzkünstler verhexte alles, was ihm unter den Besen kam.

Das große Hexeneinmaleins ging ihm vorwärts sowie rückwärts fließend von der Zunge. Nachdem nun der durchtriebene Kerl alle Hexen der Gegend rummeldiekatz auf den Mond gezaubert hatte, wurde er prompt arbeitslos und es gab tatsächlich weit und breit keine einzige Hexe mehr, die er hätte zur Frau nehmen können. Zu spät war ihm bewusst geworden, dass er leider immer noch als herumstreunender Junggeselle mit seinem Besen durch die Lande baselte, besser gesagt beselte.

Doch da gab es noch das Lachkatrinchen, in dessen Adern kein einziges Tröpfchen Hexenblut floss, nein, zum Verhexen schien Katrinchen absolut nicht geeignet zu sein. Und siehe da, der Hexenmeister aus dem Schallöpchen warf plötzlich nicht nur eines, sondern beide Augen aufs Lachkatrinchen und bat es inständig, seine Frau zu werden. Vermutlich wollte er ein neues Leben beginnen, ganz ohne Hokuspokus. Doch das wackere Weibchen lachte den heiratswilligen Besenwildling lauthals aus. Das war wohl zu viel für den Oberhexenverhexer, denn kurzerhand nahm er sein gemütliches Hexenhaus auf den Buckel und wanderte mit Besengeschwindigkeit ratzfatz nach Australien aus.

Dort hext er vermutlich immer noch nach alter Sitte munter weiter. Denn schließlich zählt die Hexerei zu den leidenschaftlichsten Berufen, und so wie die Maus das Mausen nicht lässt, lässt der Hexer das Hexen nicht.

Allerdings wird es niemanden wundern, wenn der Oberhexenverhexer eines Tages wieder heimwehgeplagt im Schallöpchen auftaucht. Denn es ist allgemein bekannt, dass er einer bodenständigen Hexenrasse entstammt.

Katrinchen war natürlich heilfroh, als der Oberhexenverhexer mit Sack, Pack und Besen das Weite gesucht hatte. Seine Versprechungen von einem neuen Leben waren der Dame sowieso witzig vorgekommen, da sich nämlich ihres Wissens ein echter Hexenmeister für immer und ewig der Schwarzen Kunst verschrieben hat und davon niemals loskommt.

So blieb denn Katrinchen guten Mutes in dem schiefen Hutzelhäuschen drüben am Hang, welches genau dort stand, wo der dicke Huckelberg auch heute noch an die Wolken stößt. Das Häuschen war so schief, dass die Mäuse in jedem Zimmer ganz bequem auf dem Po von einer Fußbodenecke in die andere rutschen konnten. Die kleinen Nager fanden das recht praktisch, denn sie schonten bei jedem Rutsch ihre dürren Beinchen.

Katrinchens Häuschen war eine Wucht. Die geheimnisvollen Fenster, aus denen es milchig blinkte, und die immer grinsende Haustür, hinter der in der Regel ein glucksendes Lachen zu hören war, brachten selbst einen Griesgram zum Schmunzeln.

Ohne Übertreibung, Katrinchen war eine ganz besondere Frau, denn sie besaß die Fähigkeit zu lachen, nicht einfach so: hahaha. Nein, eher: ha-ha-ha-ha-ha-ha-ha-ha.

Ich versichere dir, Finn, sie konnte lachen wie kein anderer Mensch. Und wenn das Lachen schallend aus ihrem Mund sprang, hörten es alle Leute im Dorf. Das Besondere daran war, es hatte eine ansteckende Wirkung. Sobald Katrinchen lachte, lachten alle Dorfbewohner mit. So blieb es denn nicht aus, dass die Siedlung nach einiger Zeit Lachhausen genannt und Katrinchen zum Lachkatrinchen wurde.

Nur im Winter, zur Schnupfenzeit, konnte es passieren, dass Katrinchen, anstatt zu lachen, lauthals niesen musste. Wenn das geschah, fingen auch die Dorfbewohner prompt zu niesen an. Das war vielleicht ein Gepruste und Geschnaube, straßauf, straßab, und aus Lachhausen wurde über Nacht Prusthausen.

Das passte der Frohnatur aber ganz und gar nicht, denn schließlich wollte die Frau nicht um alles in der Welt Prusttrinchen sein. So versuchte sie, jede Erkältung möglichst zu vermeiden, indem sie Sommer wie Winter heiße Schaummilch zu sich nahm. Ja, die Gute schlürfte das Zeug literweise. Denn ihr war seit Langem klar, in der schaumigen Milch musste das Geheimnis des Lachens liegen.

So beugte denn Katrinchen vor, stellte täglich einen großen Topf mit Milch auf den Herd, wartete, bis diese brodelnd hochstieg, und tat sich dann an dem weißen Schaum gütlich. Schon nach dem ersten Schluck der heißen Köstlichkeit kam ein glockenhelles Lachen über Katrinchens Lippen, und siehe da, das ganze Dorf mit Kind und Kegel lachte mit.

So ging das jahrelang, kein Schnupfen, Husten oder Prusten mehr, nur noch ein einziges Lachen. Ach, was war das doch damals für eine herrliche Zeit. Hätte das nicht für immer so bleiben können?

Doch eines Tages war es mit der Jubelei vorbei. Katrinchen hatte es mit der Milchkocherei mächtig übertrieben. Anstatt einem standen plötzlich fünf randvolle Milchtöpfe auf dem Herd. Das war vielleicht ein Gebrodel, wie sollte die Frau da noch die Übersicht behalten? Aus allen Töpfen schäumte die Milch gleichzeitig, wallte über den Fußboden, riss Katrinchen die Beine unter dem Bauch weg und schwemmte das wackere Frauchen aus der Küche zur grinsenden Haustür hinaus. Dann über den Hof, den Abhang hinunter, geradewegs hinein in eine Riesenpfütze, die still ergeben wie ein trübes Ochsenauge zum Himmel glotzte. Noch einmal erklang Katrinchens Lachen hell und schön und aus dem Dorf kam das Echo fröhlich zurück. Danach blieb alles still.

Katrinchen ward nie mehr gesehen und die Leute mussten von da an wieder mit blauroten Schnupfnasen herumlaufen. Das Lachen war ihnen mitsamt Katrinchen abhandengekommen. Schade.

Doch zum Trost muss gesagt werden: Wenn das mit der Lacherei so weitergegangen wäre, hätten sich die Leute womöglich eines Tages noch kaputt gelacht. Und was dann? Ich sage ja immer: „Was zu viel ist, ist zu viel.“

Jetzt macht Herr Stockelbeiner eine Verschnaufpause, holt tief Luft, und während er sie durch die Nase pfeifen lässt, sagt er: „So, Finn, das war die zu Herzen gehende Geschichte des Schaums von allen Pötten. Merk dir eins, Junge, lass es so weit nicht kommen, sonst ... na, du weißt schon.“

„Aber, aber, Herr Stockelbeiner“, stottert Finn aufgeregt, „was ist denn aus Katrinchen geworden?“

„Katrinchen“, pfeift Herr Stockelbeiner gedehnt durch die Nase, „die hat doch tatsächlich das Schnäppchen ihres Lebens gemacht. Was denkst denn du? Der verliebte Wasserheune hat sie bei Nacht und Nebel mit seiner Allerweltsharke aus der trüben Pfütze gefischt. Du weißt doch, Finn, der kennt sich aus mit Gewässern, auch mit den trüben. Seither sind sie nun ein Paar, der Wasserheune und das Katrinchen, und leben vergnügt in unserem Flüsschen, der Ruhr. Es muss Liebe auf den ersten Blick gewesen sein, so etwas kommt vor, da kann man nichts machen. Manchmal, an besonders hellen Tagen, wenn du dich auf leisen Sohlen zum Ufer schleichst, kannst du Katrinchen lachen hören, zwar nicht so schallend laut wie einst, nein, eher sanft, ganz lieblich. Man muss schon sensible Ohren am Kopf haben, um das Lachen zu erlauschen. Verstehst du, Junge?“

„Du, Herr Stockelbeiner, was meinst du“, fragt Finn, „ob Katrinchen wohl immer noch den Schaum von allen Pötten lecken muss, um lachen zu können?“

„Ich weiß nicht“, überlegt Herr Stockelbeiner. „Vielleicht schlürft sie jetzt den Schaum der grünen Wasseralgen. Denn ihr Lachen ist, seitdem sie im kalten Nass wohnt, so sanft und beruhigend wie das Grün dieser Pflanzen. Glaube mir, Finn, eine Frau ihres Schlages gibt es nur einmal auf dieser Welt.

Darum bleibt Katrinchen für immer und alle Zeit der Schaum von allen Pötten. Moment, fast hätte ich es vergessen. Seitdem sie in der Ruhr lebt, ist sie nun auch noch mit allen Wassern gewaschen. Ja, das kann auch der blonde Fleps von sich behaupten. Jedenfalls ist dem nach einer gefährlichen Wasserkur das Lachen restlos vergangen. Nun denn, Junge, wie ich dich kenne, möchtest du jetzt auf der Stelle auch noch diese Geschichte hören.“

„Oh ja, Herr Stockelbeiner, unbedingt, bitte, bitte, erzähl.“

„Du willst also wissen, Finn, ob die Geschichte echt ist. Dann stell deine Lauscher auf, mein Freund. Ich erzähle dir jetzt die grausliche Schnurre: Mit allen Wassern gewaschen.“

Die Zwillinge Tina und Timo waren begeisterte Angler, und wenn sie das Angelfieber überkam, mussten sie los zum Fluss. Eines Tages war’s mal wieder so weit, das Fieber kroch ihnen zum Hals hinauf und jagte die Kinder schließlich mit Schmackes über die Wiesen zum Ruhr-ufer. Da tauchte plötzlich das gewitzte Wasserfrauchen aus den Wellen auf. Wenn nicht gerade ein brodelnder Schaumstrudel dazwischengekommen wäre, dann ... ja ... dann hätten Timo und Tina Katrinchen tatsächlich zu Gesicht bekommen. So ein Pech aber auch. Wie gesagt, um ein Haar wäre es gelungen, um ein winziges Haar.

Ach, du dralle Nuss, was rede ich? Da war doch irgendetwas hochgeschwappt. Natürlich, das musste Katrinchens Hand gewesen sein. Doch, doch, Timo und Tina konnten deutlich erkennen, dass es eine Hand war, die mit Schwung eine Flaschenpost an Land schleuderte. Tina fing vor Aufregung zu stottern an und Timo blieb eine ganze Weile sprachlos. Dennoch wussten die Zwillinge, was sie gesehen hatten, nämlich die Flaschenpost in Katrinchens Hand.

In Windeseile erzählten sie es stolz den anderen Kindern. Die hasteten natürlich alle neugierig zum Ufer und starrten ins Wasser. Doch dort sah es aus wie immer, keine Hand, kein Fuß, keine Wasserfrau, kein Wassermann, keine Wasserratte, nicht einmal eine Forelle war zu erblicken. Das passte den Kindern ganz und gar nicht, schließlich wollten sie unbedingt das Wasserfrauchen sehen.

Nach einiger Zeit lief die gesamte Rasselbande mit roten Glubschaugen herum. Und rot macht wild, denk an den Stier, Finn, wenn du dem ein rotes Tuch vor die Nase hältst, rennt er sogleich kampflustig dagegen an. So auch die Kinder, sie gingen mit enttäuschten glutroten Augen aufeinander los, fingen an, zu streiten und zu raufen. Wütend wälzte sich die aufgebrachte Bande im Gras herum, und kam dabei dem Ufer bedenklich nahe. So blieb es denn nicht aus, dass einer der Rädelsführer, Fleps hieß er, kopfüber ins Wasser stürzte und von einem gurgelnden Sog in die Tiefe gerissen wurde.

Mit einem Schlag war aller Streit vorbei, und Tina rief entsetzt: „Der Wasserheune, der Wasserheune hat ihn geholt.“

Zunächst standen die übrigen Kinder wie gelähmt da. Doch dann fingen sie an, wild durcheinanderzuschreien und mit Stöcken im Wasser herumzustochern. Natürlich, sie wollten Fleps retten, er war doch ihr Freund. Aber was sie auch anstellen mochten in ihrer Not, Fleps blieb verschwunden und das Wehgeschrei wurde lauter.

Plötzlich sahen die unglücklichen Kinderaugen an einem Weidenbusch, dessen Äste tief ins Wasser ragten, ein blondes Haarbüschel, welches sich in einem strubbeligen Zweig verfangen hatte. Nun zeigten alle aufgeregt auf den Weidenbusch.

Schlagartig hält Herr Stockelbeiner im Erzählen inne und reibt sich seine lange Nase. „Schau mich an, Finn“, sagt er lachend. „Gleiche ich nicht dem adeligen Nasenbär von England, dem Prinzen? Ich glaube, unsere Nasen könnten es miteinander aufnehmen. Was meinst du?“

„Ich kenne den Prinzen von England nicht. Nasenbär hin oder her, warum erzählst du nicht weiter? Ist der Fleps gerettet worden oder hat ihn der Wasserheune mit seiner grässlichen Harke bis auf den Grund gezogen?“

„Ach, das war vielleicht ein Ding“, fährt Herr Stockelbeiner fort und nimmt die Finger von der Nase. „Stell dir vor, Junge, die gesamte Feuerwehr rückte mit Mann und Maus an. Das Wehgeschrei der Kinder hatte nämlich das ganze Dorf rebellisch gemacht. Die mutigen Feuerwehrleute haben sich auch gleich auf den Weidenbusch gestürzt, an dem das Haarbüschel hing. Menschenskind, haben die gezogen und gezerrt, das war vielleicht eine Murkserei. Du wirst es dir denken können, an dem Haarbüschel hing ein Kopf, daran wiederum ein Hals, es folgte ein T-Shirt mit Wolfskin-Pranke, aus dem zwei Arme baumelten. Und ganz zum Schluss kam eine Jeanshose mit zappelnden Beinen zum Vorschein. Es wurde allgemein als ein gutes Zeichen gesehen, dass die Beine strampelten. Denn wenn sie es nicht getan hätten, wäre das eine Katastrophe gewesen.“

„Wieso?“, fragt Finn.

„Aber, Junge, denk doch einmal nach“, poltert Herr Stockelbeiner, bevor er weitererzählt. „Schließlich, nach hektischem Hin und Her, hat der Spritzenfritze, der erste Mann an der Feuerwehrspritze, nicht den Löschsprinkler, sondern ein riesiges Messer herausgezogen und das Haarbüschel schnippschnapp durchgesäbelt.“

Jetzt greift sich Herr Stockelbeiner wiederum an die Nase und sagt nachdenklich: „Guck genau hin, Finn, so riesig wie die vom Prinzen ist meine nicht, oder?“

„Das ist doch egal“, ruft Finn aufgebracht. „Zwergnase bist du jedenfalls nicht. Solange du noch über deinen Riecher hinwegschauen kannst, ist alles halb so schlimm. Bitte erzähl jetzt weiter und lass die Nase Nase sein.“

„Na gut, Junge. Also, der Spritzenfritz ... Moment, Moment, wie war das denn noch? Richtig, der Spritzenfritz kam nach geraumer Zeit mit dem langen Messer in der linken Hand und einem nassen Lumpensack über der rechten Schulter am steilen Ufer hochgekrochen.

Entschuldige, Finn, es war kein Lumpensack, nein, es war Fleps, nur dass der aussah wie ein Lumpensack. In der Tat, der Junge war nass bis auf die Knochen. Der Spritzenfritz hat ihn dann recht väterlich auf den Kopf gestellt und das Wasser ist dem armen Tropf nur so aus Mund, Nase und Klamotten geflossen. Und als Fleps plötzlich wie ein junger Hund zu jaulen anfing, hat der Spritzenfritz aus Leibeskräften geschrien: Er lebt, der Bengel lebt, Gott sei Dank. Dann haben alle geweint.“

„Aber warum denn das, Herr Stockelbeiner? Die Leute hätten sich doch freuen müssen.“

„Es waren Freudentränen, Junge, reine Freudentränen, so dick wie Liebesperlen, vielleicht sogar noch dicker.“

„Und wie ging’s dann weiter?“, drängt Finn.

„Wie soll’s schon gegangen sein? Der dreimal dreiste Dorfprotz Großklappe hat natürlich seinen Senf dazugegeben. Ohne mich, Leute, wäre alles quergelaufen, mit Verstand und dem linken Daumen habe ich die Rettungsaktion geleitet, konnte man ihn grölen hören. Doch seine Prahlerei fand nicht die geringste Beachtung.“

„Du, Herr Stockelbeiner, wer ist denn der Dorfprotz Großklappe? Den kenne ich gar nicht. Und was hat so einer überhaupt in deiner Geschichte zu suchen?“

„Musst du denn alles bis aufs kleinste i-Tüpfelchen wissen? Das ist doch ganz allein meine Sache, Finn. Wenn ich dich nun frage, wie ein Traktor aufs Dach kommt, dann wirst du mir auch keine Antwort geben können. Nun lass mich mal zum Ende kommen, Plappermaul.“ Und so fährt Herr Stockelbeiner fort.

Die ganze Gesellschaft machte sich nun schleunigst auf den Heimweg. Denn wenn man nach einem Unfall zu lange dusselneugierig an der Unglücksstelle herumlungert, passiert garantiert noch ein Malheur, und zwei Katastrophen hintereinander hält selbst ein ausgewachsenes Rindvieh nicht aus. So waren denn in null Komma nix die Leute verschwunden. Fleps, der mit allen Wassern Gewaschene, wurde sogar mit dem Feuerwehrauto tatütata nach Hause kutschiert. Nur Tina und Timo, die Zwillinge, blieben noch ein Weilchen am Ufer stehen.

Plötzlich kramte Timo den Flaschenpostbrief aus der Hosentasche und reichte ihn Tina mit den Worten: „Lies doch bitte mal vor, Schwesterchen.“

Tina wusste, dass jetzt ein großer Augenblick gekommen war, zog die triefende Nase bedächtig hoch, schluckte zweimal und begann stockend zu lesen.

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