Kitabı oku: «So sind wir», sayfa 3
„Ich war in diesem schwarzen Netzwerk ein Fremdkörper“
Der im Jahr 2018 amtierende Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) sagte sowohl im Untersuchungsausschuss, als auch in einem Interview in der FPÖ-TV-Sendung „Der schwarze Faden“, dass weder zu ihm noch in sein Kabinett irgendeine Information über das „Ibiza-Video“ durchgedrungen sei. Kickl weiter:
„Wenn es im schwarz eingefärbten BKA bekannt war, ist anzunehmen, dass Informationen auch an die ÖVP gingen. Für mich ist nicht vorstellbar, dass wenn man Kenntnis von einem Video hat, das den Vizekanzler der Republik betrifft, dieses brisante Video nicht auch der Spitze der ÖVP zur Kenntnis gebracht hat. Jahrelange Monokultur in zwei maßgeblichen Ressorts, Innen und Justiz, machte der ÖVP Gelegenheit. Ich war in diesem schwarzen Netzwerk ein Fremdkörper“.46
Kickl untermauerte diesen Eindruck, indem er aussagte, dass er sich gewundert habe, welche Abgeklärtheit ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz nach der Video-Veröffentlichung an den Tag legte.
In der Koalition änderte sich das Klima zwischen ÖVP und FPÖ Ende 2018 und Anfang 2019 spürbar. Immer mehr versuchte die Kanzlerpartei, ihren Koalitionspartner unter Druck zu setzen, und kritisierte die FPÖ öffentlich, beipielsweise im Zuge der „Liederbuch-Affäre“ oder des „Rattengedichtes“. Von einer partnerschaftlichen Arbeit auf Augenhöhe war nur noch wenig übrig geblieben.
Am 17. Mai 2019 um 18.00 Uhr veröffentlichen die beiden deutschen Medien „Der Spiegel“ und „Süddeutsche Zeitung“ einen siebenminütigen Zusammenschnitt des besagten Bildmaterials.
„Genug ist genug!“ – „So sind wir nicht!“
Danach überschlagen sich die Ereignisse. Strache tritt am 18. Mai 2019 um 12 Uhr zurück. Eine unmittelbar danach angekündigte Erklärung von Bundeskanzler Kurz wird immer wieder verschoben. Anstatt der, gegenüber der FPÖ versprochenen, Fortführung der türkis-blauen Koalition, lässt Kurz am Abend – zur besten Sendezeit um 19.45 Uhr – die Regierung platzen, denn: „Genug ist genug!“
Nur wenig später – um 20.30 Uhr – tritt auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen im ORF-Fernsehen auf und kritisiert ein Sittenbild, „das unserem Land nicht gerecht wird“. „So sind wir nicht“, wird er wenige Tage später betonen.
Abbildung 2: Rücktrittsrede von Vizekanzler H. C. Strache am Vormittag des 18. Mai 2019
FPÖ-Politiker haben in zahlreichen Interviews den Ablauf dieser Tage detailliert geschildert. Kurz und Van der Bellen hingegen geben sich bis heute sehr zugeknöpft. Sie wollen sichtlich den Eindruck vermitteln, von den Vorgängen überrascht, ja geradezu überrumpelt worden zu sein – und dann blitzschnell und staatsmännisch reagiert zu haben.
Rätselraten um Doppelgänger von Strache
Erstmals stürzen ausländische Journalisten eine österreichische Regierung
Als am Abend des 17. Mai 2019 das „Ibiza-Video“ zeitgleich um 18 Uhr von der „Süddeutschen Zeitung“ und vom „Spiegel“ auf ihren Webseiten veröffentlicht wird, passiert Einmaliges: Zum ersten Mal stürzen ausländische Journalisten eine österreichische Regierung, mit einem entsprechend zusammengeschnittenen Video. Aus einem Material von sieben Stunden werden sieben Minuten herausgepickt.
Einer der verantwortlichen Redakteure der Video-Veröffentlichung war der Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“, Oliver Das Gupta. Fragen zu Hintermännern, Personen, die die Aufnahmen übergaben, und ob für das Video Geld bezahlt wurde, wollte er nicht beantworten. Das Gupta teilte dem Online-Medium “Unzensuriert“ schriftlich mit:
„Wie schon telefonisch erwähnt, werde ich über redaktionelle Interna sowie die Quellen – und darauf zielen manche Ihrer Fragen ab – aus naheliegenden und oft kommunizierten Gründen nicht antworten. Etwa die Frage, ob wir Geld für den Erhalt des Materials gezahlt hätten, ist nun doch wirklich oft genug beantwortet worden.“
Von allen Seiten wurde stets bestritten, dass für die Bereitstellung des Videomaterials und diesbezügliche Informationen Geld geflossen sei. Diese Aussagen widersprechen aber einer Chat-Nachricht des Detektivs Julian Hessenthaler an seinen Bekannten, dem er Geld schuldete und dem er schrieb:
„Anfang März 19. Sollten v spiegel mitte jan ausgezahlt werden. Somit problemlos.“47
und weiter:
„laut spiegel ist mit 3 / 4 feb woche mit geld zu rechnen.“48
Wie soll man diese Chat-Nachricht interpretieren, die von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) auf dem Mobiltelefon eines der „Ibiza“-Drahtzieher gefunden und die dem „Ibiza“-Untersuchungsausschuss vorgelegt wurde?
„Spiegel“ und „Süddeutsche“ beharren dennoch darauf, kein Geld für das „Ibiza-Video“ bezahlt zu haben. Gegen anderslautende Meldungen wurde gerichtlich vorgegangen – so wurde eine diesbezügliche Behauptung des Nachrichtenportals „oe24.at“ in einem gerichtlichen Eilverfahren untersagt. Einen Revisionsrekurs der Beklagten wies der Oberste Gerichtshof (OGH) zurück, wie das Anwalts-Medium „juve.de“ am 17. Februar 2021 schrieb.49
Über Geld und Informanten spricht man nicht
So wird im Buch der beiden Autoren und „Süddeutsche“-Redakteure Frederik Obermaier und Bastian Obermayer mit dem Titel „Die Ibiza-Affäre“ immer nur von „Kontaktleuten“ gesprochen, ohne Namen zu nennen. „Das wollen wir in diesem Buch bewusst offen lassen, um unsere Quellen zu schützen“, heißt es da.50
Verraten wird lediglich, dass eine mysteriöse Verabredung mit den „Kontaktleuten“ stattgefunden habe. Man akzeptierte, schließlich sei „die Quelle der König“. Ausgemacht wurde, dass diese Kontaktleute einen Tag nennen würden, am Vorabend dieses Tages dann eine bestimmte Stadt in Deutschland und schließlich vor Ort angekommen, würde man den investigativen Journalisten der „Süddeutschen Zeitung“ den Treffpunkt mitteilen – ein gut erreichbares Hotel.51
Erst im Hotelzimmer wollen sie erfahren haben, dass es sich wirklich um eine „heiße Story“ handeln könnte und dass es dabei um den österreichischen Vizekanzler Heinz-Christian Strache geht, dem die „Kontaktleute“ (wie viele es waren, wird auch nicht verraten) eine Video-Falle gestellt hätten.52
Interessant: Im Buch der Journalisten Obermaier und Obermayer halten die beiden fest, dass sie selbst niemals zu solchen Mitteln greifen würden, wie es die Fallen-Steller auf „Ibiza“ getan haben. Wörtlich heißt es:
„Natürlich: Auch Journalisten setzen manchmal ähnliche Mittel ein, wenn sie undercover recherchieren. Allerdings ist die Haltung der SZ dazu sehr klar: Wir gehen nicht undercover. Wir filmen niemanden heimlich, wir legen niemanden herein und locken niemanden in eine Falle.“53
Aber eines Materials, bei dem andere jemanden in eine Falle locken, bedient man sich offenbar schon. Es sei ja nicht verwerflich, undercover zu recherchieren, betonen Obermaier und Obermayer beinahe entschuldigend in ihrem Buch.
In einem Hotel irgendwo in Deutschland bekommen die Journalisten im Sommer 2018 also erstmals das Video zu Gesicht. Der Ton ist miserabel, berichten sie. Und man zweifelt, ob es sich bei der gezeigten Person tatsächlich um Heinz-Christian Strache handeln würde. Es könnte ja auch ein Doppelgänger sein, und wer weiß, dachten sie sich, könnte das Video ja auch manipuliert worden sein. Aus diesem Grund war es auch notwendig, die gesamte, siebenstündige Aufzeichnung anzusehen.54
Im Herbst 2018 dann die alarmierende Nachricht für die „SZ“-Aufdecker. Auch ein anderes Medium hat Wind davon bekommen, die „Quelle“ sei offenbar auch im Gespräch mit dem „Spiegel“, einem der größten Konkurrenten der „Süddeutschen Zeitung“, wenn es um investigativen Journalismus geht. Schnell können sich die „SZ“-Journalisten mit dem „Spiegel“-Mann, Martin Knobbe, der früher selbst für die „Süddeutsche“ schrieb, über eine Zusammenarbeit einigen. Gemeinsam wird recherchiert, auch die vermeintliche reiche Russin wurde im Doppelpack (SZ und Spiegel) getroffen – und zwar an einem abgelegenen Ort, schwer erreichbar und mit einer nächtlichen Zugfahrt verbunden, wie es im Buch beschrieben wird.55
Am 15. Mai, also zwei Tage vor der Veröffentlichung des „Ibiza“-Videos, wandten sich die Redakteure per WhatsApp mit konkreten Fragen zu den Themen, die im „Ibiza-Video“ besprochen wurden, an Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus. Die Nachrichten wurden laut den Buchautoren um 14.31 Uhr abgeschickt. Normalerweise konfrontiere man die Gegenseite mit einer E-Mail, die man später den jeweiligen Pressesprechern der beiden Politiker „zur Sicherheit“ auch noch schicke, aber von „Falter“-Chefredakteur Florian Klenk habe man den Tipp bekommen, „dass man Strache über den Kurznachrichtendienst WhatsApp am besten erreicht.“56
Viel Alkohol und eine hohe Sprachbarriere
Strache antwortet am Donnerstag, dem 16. Mai, um 14:32 Uhr, also fast genau 24 Stunden nach der WhatsApp-Anfrage von „Spiegel“ und der „Süddeutschen Zeitung“. Über WhatsApp schrieb er:
„Das von Ihnen angesprochene rein private Treffen hat im Juli 2017 in einer Finca auf Spanien in lockerer, ungezwungener und feuchtfröhlicher Urlaubsatmosphäre stattgefunden. Eine vermeintlich lettische Staatsbürgerin mit ihrem deutschen Bekannten bzw. Vertrauten haben zu diesem Abendessen eingeladen. Die beiden Personen kannten Johann und Tajana Gudenus bereits seit Längerem und haben mich zusätzlich zu besagtem Abendessen eingeladen. Dabei wurde von der vermeintlich lettischen Staatsbürgerin (welche ich bis dato nicht persönlich kannte) mitgeteilt, dass sie mit ihrer Tochter nach Wien ziehen und in Österreich wirtschaftlich Fuß fassen und investieren wolle. Auf die relevanten gesetzlichen Bestimmungen und die Notwendigkeit der Einhaltung der österreichischen Rechtsordnung wurde von mir in diesem Gespräch bei allen Themen mehrmals hingewiesen. Das gilt auch für allenfalls in Aussicht gestellte Parteispenden bzw. Spenden an gemeinnützige Vereine im Sinne der jeweiligen Vereinsstatuten. Ein weiterer Kontakt zwischen mir und den von Ihnen zitierten Personen fand danach nicht mehr statt. Daran bestand von meiner Seite auch keinerlei Interesse. Auch habe ich oder die FPÖ niemals irgendwelche Vorteile von diesen Personen erhalten oder gewährt. Auch sind von den (von) Ihnen genannten Personen und Unternehmen keine Spenden an die FPÖ eingegangen. Im Übrigen gab es neben dem Umstand, dass viel Alkohol im Laufe des Abends gereicht wurde, auch eine hohe Sprachbarriere, wo ohne einen professionellen Übersetzer von Russisch, Englisch auf Deutsch übersetzt wurde. Mit freundlichen Grüßen Heinz-Christian Strache.“57
„Kann sein, dass morgen Österreich brennt“
Die Reaktion von Johann Gudenus ist ähnlich aufgebaut. Es gibt nur einen markanten Unterschied zur Strache-Äußerung, ein Postskriptum am Ende des Schreibens:
„Schöne Grüße an Herrn Böhmermann.“58
Gudenus nahm damit Bezug auf die Rede des deutschen TV-Satirikers Jan Böhmermann bei der Romy-Gala Mitte April 2019 in Wien und vermutete wahrscheinlich, dass Böhmermann hinter der Video-Falle stecken könnte. Eine durchaus denkbare Variante zu diesem Zeitpunkt, die nicht nur Gudenus für möglich gehalten hatte. Denn in seiner Videobotschaft sprach Böhmermann bei der Entgegennahme des „Kurier“-Fernsehpreises bereits Wochen vor den Ereignissen von einer „russischen Oligarchenvilla auf Ibiza“. Er verhandle dort gerade, meinte er scherzhaft, die Übernahme der „Kronen Zeitung“.
Böhmermann sagte, er hänge „gerade ziemlich zugekokst und Red-Bull-betankt mit ein paar FPÖ-Geschäftsfreunden in einer russischen Öligarchenvilla auf Ibiza“ rum.59
Zumal der Satiriker dann auch noch einen Tag vor der Veröffentlichung des „Ibiza-Videos“ in seiner Sendung „Neo Magazin Royal“ im ZDF einen Hinweis auf die innenpolitische Enthüllung lieferte, nämlich, „kann sein, dass morgen Österreich brennt“, war nach dem 17. Mai klar, dass Böhmermann zu einem Personenkreis zählt, der von der Existenz des Videos wusste, bevor es von den Medien veröffentlicht wurde.60
Auf dem Kurznachrichtendienst „Twitter“ hat Böhmermann jedenfalls zeitgleich mit der Veröffentlichung des „Ibiza-Videos“ um 18 Uhr folgende Nachricht hinterlassen:
Abbildung 3: Tweet von Jan Böhmermann am 17. Mai 2019
Der Link auf Twitter führt zu einem Video der Musikgruppe „Vengaboys“ und ihrem Hit „We’re going to Ibiza“ aus dem Jahr 1999.
Frederik Obermaier und Bastian Obermayer behaupten in ihrem Buch, dass die Information an Böhmermann nicht von der „Süddeutschen Zeitung“ kam. Woher Böhmermann Kenntnis vom „Ibiza-Video“ hatte, ist bis dato nicht bekannt.
Die Selbstjustiz des Julian Hessenthaler
„Es war eine notwendige Aktion, weil einer Anzeige nicht nachgegangen wurde.“
Mit großer Spannung wurde dem Auftritt des „Ibiza“-Drahtziehers, des Detektivs Julian Hessenthaler, vor dem U-Ausschuss entgegen gesehen. In der 43. Sitzung am 8. April 2021 war es soweit. Hessenthaler, der sich zu dieser Zeit wegen mutmaßlicher Drogendelikte und mutmaßlicher Erpressung in Untersuchungshaft befand, kam in Begleitung des Rechtsanwalts Alfred J. Noll, eines früheren Nationalratsabgeordneten von Jetzt - Liste Pilz.
Da sich Hessenthaler also in laufenden Verfahren befand, nahm er sein Entschlagungsrecht oft in Anspruch. Bereits in seiner einleitenden Stellungnahme schilderte er, dass er deshalb zur „Selbstjustiz“ gegriffen und Heinz-Christian Strache in die Video-Falle gelockt habe, weil die Polizei einer aufliegenden Anzeige nicht nachgegangen sei. Das Video, so Hessenthaler, hätte es nicht geben müssen, wäre die Exekutive aktiv geworden.61
Wörtlich sagte Hessenthaler vor dem U-Ausschuss:
„Wäre der Anzeige des befreundeten Anwalts, der den Strache-Leibwächter Oliver R. vertrat, pflichtgemäß nachgegangen worden, dann hätten Ermittlungen geführt werden müssen. Hätte es diese Ermittlungen gegeben, dann wäre das Ibizavideo überflüssig geworden. Nichts von dem, was nach dem Mai 2019 öffentlich wurde, wäre nicht auch schon vorher erkennbar gewesen – erkennbar zumindest für professionell agierende staatliche Stellen – aber es wurde bewusst weggesehen. Die Polizei hat nichts getan, sie hat sich Versäumnisse zuschulden kommen lassen. Es war daher erforderlich, die bekannten Vorwürfe des Strache-Leibwächters Oliver R. objektiv zu untermauern. Es ging mir darum, die Glaubwürdigkeit von Oliver R. in anschaulicher und bildlicher Weise zu bestätigen. Bereits beim ersten Treffen mit Johann Gudenus habe ich dessen deutliche Korruptionsbereitschaft wahrgenommen. Dieser Eindruck hat es umso mehr nahegelegt, für eine bildlich-objektive und unwiderlegliche Dokumentation zu sorgen. Es gab keine involvierten Nachrichtendienste, es gab keinen Auftraggeber, es gab auch keine Hintermänner. Ich hatte keine Absichten, irgendetwas zu verkaufen, schon gar nicht hatte ich vor, jemanden zu erpressen. […] Das Ibiza-Video sollte auch die seit jeher in der Luft liegenden Vorwürfe objektiv dokumentieren, um damit eine Auseinandersetzung mit der generellen Thematik von Einflussnahme und Käuflichkeit in dieser Republik zu fördern. Die jetzt vorliegenden Chatverläufe und das damit gebotene Sittenbild zeigen, wie notwendig dies in diesem Land ist. Im Rückblick muss man sagen, dieses Ziel scheint bestenfalls teilweise erreicht. […] Unmittelbar nach Bekanntwerden des Videos wurde versucht, das Bild einer kriminellen Verschwörung in die Welt zu setzen und dieses Bild durch gezielte Medienleaks und die damit einhergehenden Kampagnen zu stützen und aufrechtzuerhalten. Ganz gezielt wurden aus den Boten der schlechten Nachricht Täter fabriziert. Schon vor der Veröffentlichung des Ibiza-Videos im Mai 2019 wurden Drohungen und konstruierte Beschuldigungen an uns herangetragen. Sie alle wissen, dass ich mich nunmehr in Untersuchungshaft befinde. Ich sehe mich mit massiven Anschuldigungen konfrontiert, ich bitte daher um Ihr Verständnis, dass ich angesichts meiner bisherigen Erfahrungen und vor dem Hintergrund der anhängigen Ermittlungsverfahren bei der Befragung auch von meinem Entschlagungsrecht ausgiebig Gebrauch machen werde müssen.“62
Exkurs: Herbert Kickl zu den politischen Vorgängen rund um die Veröffentlichung des Ibiza-Videos
Als Kurz wegen seiner Oma keine Zeit hatte
FPÖ-Parteichef und Klubobmann Herbert Kickl war im Mai 2019, zur Zeit als das „Ibiza-Video“ auftauchte, Innenminister der Republik Österreich. Zwei Jahre danach erinnert er sich, dass Heinz-Christian Strache gewisse Zeit vorher schon „unrund“ gewesen sei und von Schwierigkeiten und Gerüchten, die im Raum stehen würden, erzählt habe. Das wäre sicherlich schon zwei, drei Wochen vorher gewesen. Er, Kickl, habe dem nicht sonderlich viel Bedeutung beigemessen, weil Strache sich permanent irgendwo beunruhigt oder gefährdet gefühlt hätte.
Einen Tag vor Veröffentlichung des „Ibiza-Videos“ – am Donnerstag, dem 16. Mai 2019 – ersuchte Strache, „dass wir ins Vizekanzleramt kommen sollen“, so Kickl. An diesem Donnerstag hatte Herbert Kickl eine Fragestunde im Parlament zu absolvieren, anschließend sei er dann ins Vizekanzleramt gefahren, wo er erfahren habe, dass eine Medienanfrage vorliege – und zwar von Journalisten der „Süddeutschen Zeitung“ und des „Spiegel“. Es sei die Rede davon gewesen, dass sowohl Strache diese Anfragen bekommen hätte als auch Johann Gudenus. Und es sei darüber diskutiert worden, wie man mit diesen Anfragen umgehen solle. Sollte man sie im Detail beantworten oder eine pauschale Antwort geben?
Zu diesem Zeitpunkt habe er, so Kickl, zum ersten Mal erfahren, dass etwas Konkretes im Raum stünde, wobei in den Fragen der Journalisten selbst von einem Video keine Rede gewesen sei. Vielmehr habe es sich um seltsame Formulierungen gehandelt, aus denen man selbst nicht schlau geworden sei. Kickl: „An ein Video habe ich damals nicht gedacht.“ Das sei zwar eine von vielen Möglichkeiten gewesen, aber nicht die wahrscheinlichste, sagt Kickl.
Strache selbst habe zwar davon gesprochen, dass es einen langen Abend auf Ibiza gegeben habe und dass diesen Abend vielleicht jemand aufgezeichnet haben könnte, „aber ich glaube nicht, dass er selbst damit gerechnet hat, dass da ein Video kommt“, ist Kickl überzeugt. Ziemlich aufgeregt sei bei dieser Besprechung im Vizekanzleramt Johann Gudenus gewesen: „Ich vermute, dass er zu diesem Zeitpunkt schon geahnt hat, dass da etwas Gröberes kommen wird.“
Am Vorabend der Video-Veröffentlichung habe Strache versucht, ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz zu erreichen. Er wollte, so Kickl, den Kanzler vorher informieren, dass etwas kommen könnte. Doch Kurz habe Strache nur ausgerichtet, dass er „wegen seiner Oma“ keine Zeit habe, mit ihm zu reden. Zur Verwunderung aller, denn Strache habe Kurz um ein dringendes Gespräch gebeten. Kickl meint dazu „Das ist in der Nachbetrachtung ein Indiz dafür, dass Sebastian Kurz zu diesem Zeitpunkt vom Video schon gewusst hat.“
Der Zweite, den Strache am Vorabend der Video-Veröffentlichung noch erreichen wollte, war Christoph Dichand, Herausgeber der „Kronen Zeitung“. Ihn zu informieren sei ihm ein Anliegen gewesen, so Kickl, da er sich wohl daran erinnert habe, dass er sich an diesem Abend auf Ibiza abschätzig über die „Kronen Zeitung“ geäußert hatte.
„Diese Bilder bringst du nicht mehr weg“
Kickl habe dann, wie viele andere Österreicher auch, das Video am nächsten Tag, Freitagabend, zu sehen bekommen. Er sei im Innenministerium gewesen, erinnert sich Kickl, und habe sich dort ein paar Sequenzen angeschaut. Seine Reaktion: „Das ist ja schrecklich. Diese Bilder bringst du nicht mehr weg“.
Danach sei er ins Vizekanzleramt zu Heinz-Christian Strache gegangen, wo sich schon eine größere Gruppe eingefunden hatte und versucht wurde, die Situation einzuschätzen. Rund zehn Personen dürften sich zu diesem Zeitpunkt im Vizekanzleramt aufgehalten haben.
Eine Gegenstrategie sei nicht entwickelt worden, „da alle von der Rolle waren“, erinnert sich Kickl. Es sei aber sehr rasch seine Überzeugung gewesen, dass er dem damaligen Vizekanzler Strache sagen müsse, „dass sich das alles nicht ausgeht“. Denn es wäre ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, mit dieser Geschichte im Gepäck in einer Regierung weiterzuarbeiten.
Schließlich sei man an diesem Freitagabend zu Sebastian Kurz ins Bundeskanzleramt gegangen, wo auch dessen Berater Stefan Steiner anwesend war. Dort sei darüber gesprochen worden, dass Strache Schritte setzen werde – dass er zurücktrete sowohl in der Funktion als Vizekanzler als auch als Parteiobmann der FPÖ und dass er Norbert Hofer als seinen Nachfolger vorschlagen werde. Mit der ÖVP sei darüber gesprochen worden, dass diese personellen Entscheidungen allein nicht ausreichen würden, sondern dass noch inhaltliche Dinge wie zum Beispiel ein Anti-Korruptionspaket notwendig seien. Laut Kickl habe die FPÖ die Bereitschaft signalisiert, selbstverständlich auch solche Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Es sei klar gewesen, dass man auch inhaltliche Signale setzen müsse.
Zu diesem Zeitpunkt habe es noch so ausgesehen, als ob Kanzler Kurz an einer Fortführung der Koalition interessiert gewesen sei. Kurz, so Kickl, habe ja auch einen Ablaufplan für den nächsten Tag vorbereitet. Zwei Dinge seien ihm wichtig gewesen: Kurz wollte auf keinen Fall, dass er, Kickl, Parteiobmann werde. Kickl erinnert sich: „Da habe ich noch einen Spaß gemacht und gesagt, wenn Hofer Vizekanzler wird, könnte ja jemand anderes Parteiobmann werden.“
Das Zweite, worauf Kurz bestand, war, dass Strache an seinen Ankündigungen festhalten und seine Funktionen tatsächlich niederlegen werde. Kickl habe das bekräftigt, indem er zu Kurz meinte, dass Strache ja nicht da wäre, würde es diese Bereitschaft von ihm nicht geben. Am nächsten Tag wollte man sich in der Früh nochmals zusammensetzen und die konkrete Vorgehensweise besprechen. Kickl kam die Atmosphäre an diesem Freitagabend jedenfalls merkwürdig vor: „Was mich am meisten überrascht hat, war, wie ruhig und gefasst Kurz und Steiner waren. Mit zeitlichem Abstand betrachtet, spricht es dafür, dass sie vorher informiert waren.“
An diesem Abend sei es kein Thema gewesen, dass er, Kickl, als Innenminister seinen Hut nehmen müsse. Es sei nur darum gegangen, dass Hofer Vizekanzler werde und dass man sich in der Früh des nächsten Tages treffen und einen Fahrplan machem wolle. Dass es zuerst eine Pressekonferenz mit Heinz-Christian Strache geben solle, bei der er seinen Rücktritt erklärt. Die zweite Pressekonferenz mit einer zeitlichen Verzögerung von ungefähr einer Stunde sollte Kanzler Sebastian Kurz geben. Wichtig sei Kurz auch gewesen, dass keiner die Nachfolge Straches im Vizelanzleramt durch Norbert Hofer ansprechen solle, denn dies falle unter das Vorschlagsrecht des Kanzlers an Bundespräsident Alexander Van der Bellen.
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