Kitabı oku: «Gedanken zu A.T.Stills Philosophie der Osteopathie», sayfa 2

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DANKSAGUNG

Aufgrund des beschränkten Wissensumfangs war es in der Antike noch möglich, dass einzelne Menschen Detailwissen in vielen Feldern der Beobachtung erlangen und diese zugleich zusammenführen konnten, um auf diese Weise die sich daraus ergebenden holistischen Zusammenhänge in ihrer Bedeutung für das Wohl des Menschen zu ergründen. Diesen Menschen, die aufgrund ihrer Neugier auf die Welt und ihrer Liebe zum Wissen Philosophen genannt wurden, verdanken wir das gesamte Fundament unseres heutigen Denkens in der westlichen Welt und damit auch unsere Bewusstheit nicht nur für die Strukturen der physikalischen Welt und die sie verbindenden Mechanismen, sondern auch für die sich daraus ergebenden ethischen Fragen. Spätestens seit der enormen Wissensexplosion in der Folge der Renaissance kann diese Synthese von einzelnen Menschen nicht mehr geleistet werden, und entsprechend bemerkte der Gelehrte Emanuel Swedenborg (1688 – 1772) sinngemäß auch zu Recht, dass es zwei Arten von Philosophen geben müsse, um den eben beschriebenen Erkenntnisraum des Menschen zu erweitern: jene, die in einem bestimmten Bereich neue Detailerkenntnisse erlangen, und jene, die diese Detailerkenntnisse zusammenfügen.

Da die akribische Arbeit an Details nicht zu meinen Stärken zählt, ich mich aber schon immer für das Verständnis großer Zusammenhänge begeistern konnte, zähle ich mich selbst eher zur zweiten Gattung der Wissen-Wollenden. Insofern sind meine Erkenntnisse weniger durch tatsächliche Neuentdeckungen geprägt, sondern bauen zumeist auf dem synthetisierten Wissen anderer Menschen auf. So betrachte ich mich auch ganz im Sinne einer berühmten Metapher lediglich als ‚Zwerg auf den Schultern von Riesen‘. Mögen meine Geistesblitze dem einen oder anderen Leser an manchen Stellen noch so originär erscheinen, so bauen sie letztlich doch immer auf dem Vorwissen und den Errungenschaften anderer auf. Deshalb seien sie im Folgenden auch explizit benannt.

Im Bereich der Geschichte der Osteopathie sind vor allem Elmar Booth, Priscilla Brown, Ernest Tucker, Carol Trowbridge, Georgia Walters, Steve Paulus, Martin Collins, Max Girardin, Matvey Kipershtein, John O‘Brien, Michael Collins, David Fuller und Philippe Druelle zu erwähnen. Auch die Mitarbeiter von Institutionen wie dem Museum of Osteopathic Medicine (MOM, ehem. Still National Osteopathic Museum) in Kirksville, Missouri, das sich auf Initiative des ehemaligen Präsidenten der Andrew Taylor Still University James McGovern und unter der langjährigen Leitung von Jason Haxton zum Mekka der Forschung zur Osteopathiegeschichte entwickelt hat, dürfen hier ebenso wenig unerwähnt bleiben wie die Initiatoren und Mitarbeiter des erst vor wenigen Jahren gegründeten National Archive of Osteopathy in London.

Eine besondere Erwähnung in Bezug auf die Osteopathiegeschichte verdient die kanadische Osteopathin Jane Stark. Ohne ihre unermüdliche Jagd nach historischen Fakten, die großzügige und offene Verbreitung selbiger in zahlreichen weltweit hochgeschätzten Seminaren, Fachartikeln und in ihrer bemerkenswerte Arbeit Stills Faszienkonzepte hätte die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Wurzeln der Osteopathie nicht die zunehmende Dynamik und das hohe Niveau erreichen können, die sie gegenwärtig aufweist.

Wie schon erwähnt, bedarf es zum tieferen Verständnis von Stills Texten nicht nur der historischen Forschung, sondern auch einer Betrachtung vor allem durch Philosophen. Das organische Gesamtbild der Philosophischen Osteopathie und somit auch eine von ihr ausgehende mögliche Bestimmung der osteopathischen Identität sind ohne philosophische Beiträge undenkbar. Deshalb möchte ich mich in diesem Zusammenhang vor allem bei Robert Davis, Steve Tyreman, Walter McKone, Karl-Heinz Weber, Albrecht Kaiser und Martin Ingenfeld bedanken, die jeweils auf eigene Art und Weise versucht haben und noch immer versuchen, Stills Texte auch in Hinsicht auf philosophische Aspekte zu untersuchen.

In meinem Werdegang von herausragender Bedeutung als philosophische Ratgeber und Gesprächspartner waren Martin Pöttner und Andreas Grimm. Pöttner ließ mich freundlicherweise an seinem enormen Wissen über die Philosophie im Kontext Amerikas des 19. Jahrhunderts teilhaben. Erst durch ihn war ich überhaupt in der Lage, Still als ebenso originären wie auch typischen Denker seiner Zeit einigermaßen einordnen zu können. Jeder, der sein umfassendes, bemerkenswertes Vorwort aus Das große Still-Kompendium kennt, wird nicht wenige der darin bereits 2005 von ihm erschlossenen Zusammenhänge im vorliegenden Buch wiederentdecken. Tatsächlich war Pöttner der Erste, der die Behauptung, Still sei nicht nur ein Meister im Medizinhandwerk gewesen, sondern auch ein bedeutender Denker, ausführlich und stichhaltig begründete. Da er diesen philosophischen Aspekt auch erstmals in einigen Aspekten mit der therapeutischen Praxis der Osteopathie in Verbindung brachte, gilt er für mich als eigentlicher ‚Urvater‘ der Philosophischen Osteopathie.

Der intensive Austausch mit Andreas Grimm half mir, meine bestehenden Erkenntnisse zur Philosophischen Osteopathie einen entscheidenden Schritt voranzubringen, weil er mir ermöglichte, die noch etwas lose in meinem Kopf schwebenden Gedanken zu einem Gesamtbild zusammenzufügen. Zugleich verschob sich mein Fokus durch ihn endlich von der Osteopathie dorthin, wohin ihn Still auch ursprünglich gelegt hatte: auf den Osteopathen als eigenständig und kritisch denkenden Menschen.

Aber nicht nur die eben genannten Personen hatten Anteil an meinen in diesem Buch vorgebrachten Ideen, Erkenntnissen und Hypothesen zur Philosophischen Osteopathie. Inspirationen kamen auch durch die Teilnehmer meiner Seminare, die vielen Neugierigen an meinem Bücherstand während der Osteopathiekongresse, interessierte Gelehrte aus dem universitären Kontext, Familie und Freunde bis hin zum ‚einfachen‘ Bauern aus meinem Dorf (der Still oftmals besser versteht als ich selbst). Ihnen und allen jenen, die ich hier nicht erwähnt haben sollte, gebührt mein uneingeschränkter Dank.

Und schließlich gilt mein ganz besonderer Dank meiner Lebenspartnerin Theresa, für ihre Geduld und ihr Verständnis dafür, dass viele mögliche gemeinsame Stunden meiner Arbeit an diesem Buch geopfert wurden.

ZUM SCHLUSS

Seien Sie skeptisch wie Sokrates und Still es waren. Prüfen Sie Aussagen, die Ihnen zusagen, ebenso kritisch wie solche, die Ihnen nicht zusagen. Positive Skeptiker sind der Motor jeder Weiterentwicklung. Und da diese Eigenschaft vor allem eine Domäne der Jugend ist, widme ich das vorliegende Buch und das Projekt Philosophische Osteopathie ganz besonders den zukünftigen Generationen der Osteopathie. Die Osteopathie braucht Bewegung. Bewegen Sie sie!

Ich wünsche Ihnen jedenfalls viel innere Bewegung bei der Lektüre.

Christian Hartmann

Südafrika, März 2016

GEDANKEN ZU A. T. STILLS

PHILOSOPHIE DER OSTEOPATHIE

1. EINLEITUNG

Um gleich den Eindruck zu vermeiden, dass es sich bei Philosophische Osteopathie ausschließlich um ein steriles Wissenschaftsprojekt handelt, möchte ich in der Einführung dieses Buches zunächst mit meiner eigenen Geschichte beginnen. Dies mache ich nicht, um Sie mit persönlichen Geschichten oder Überzeugungen zu langweilen, sondern weil ich hoffe, dass gerade Therapeuten dadurch geeignete Einstiegspunkte auf ihrer individuellen osteopathischen Reise finden. Zudem habe ich im Zuge meiner Arbeit mit Still gelernt, dass Texte allein nur einen Teil des Ganzen darstellen. Kennt man den Verfasser als Mensch ein wenig besser, interpretieren sich manche Aussagen leichter, oder sie erscheinen plötzlich sogar in einem völlig neuen Licht. Selbstverständlich kann und soll jeder, dem das Lesen persönlicher Geschichten anderer Menschen eher ein Gräuel ist, dieses Kapitel jederzeit gerne überspringen.

Im Anschluss an meine persönliche ‚osteopathische‘ Reise stelle ich Ihnen dann die verschiedenen Hauptströmungen der Osteopathie vor, so wie man ihnen auf internationaler Ebene begegnet. Ich halte dies für notwendig, um auch Lesern, die mit der Materie der Osteopathie noch nicht so vertraut sind, ein realistisches Bild davon zu geben, von welch enormer Heterogenität die Osteopathie-Welt tatsächlich geprägt ist.

Alle diese Strömungen weisen zumindest eine Gemeinsamkeit auf: Sie alle versuchen mithilfe unterschiedlicher Argumente ihre Eigenständigkeit zu begründen. Auf die damit beschriebenen Alleinstellungsmerkmale vor allem gegenüber der orthodoxen Medizin möchte ich im dritten Unterkapitel der Einführung etwas genauer eingehen und sie einer kritischen Prüfung unterziehen. Dadurch wird verständlicher, warum eine Neubetrachtung der Osteopathie ausgehend von ihren Wurzeln notwendig erscheint.

Zum Schluss habe ich mir erlaubt, noch kurz auf das Thema Spiritualität einzugehen, um hier klarzustellen, warum seine Berücksichtigung für das vorliegende Werk und das Projekt Philosophische Osteopathie keine Relevanz besitzt.

1.1. EINE PERSÖNLICHE REISE

1994 erzählte mir ein guter Freund zum ersten Mal von der Möglichkeit, Osteopathie zu erlernen. Als frisch examinierter Physiotherapeut war ich offen für jegliche Form der Weiterentwicklung, und so entschloss ich mich umgehend, mit der Ausbildung zum Osteopathen anzufangen. Von Beginn an war ich von der Art und Weise begeistert, wie lebendig und funktionell uns die Anatomie erklärt und mit welcher Fülle an Techniken man ausgestattet wurde. Erst sehr viel später sollte ich verstehen, dass uns der bedeutendste Teil der Lehre des Begründers der Osteopathie nicht vermittelt wurde: die philosophische Haltung des Osteopathen zur Welt.

Da ich mich schon immer brennend für das interessiert habe, was hinter einer Sache stand, fragte ich im zweiten Ausbildungsjahr einen meiner Lehrer nach den Ursprüngen der Osteopathie. Darauf bekam ich ein schulterzuckendes „Von irgendeinem Arzt aus Amerika“ als Antwort. Meine Nachfrage, ob es Literatur von oder über diesen ominösen Arzt gebe, wurde beiläufig mit „Ein paar Fachartikel …“ beantwortet. Da ich nun das Glück hatte, bereits 1997 das Internet nutzen zu können, recherchierte ich daraufhin in einigen amerikanischen Portalen und wurde rasch fündig. Neben seinen vier Büchern Autobiografie, Die Philosophie der Osteopathie, Die Philosophie und mechanische Prinzipien der Osteopathie und Forschung und Praxis1 fand ich zudem mit Carol Trowbridges Andrew Taylor Still 1828 – 1917)2 eine Biografie über den Begründer der Osteopathie. Ich ließ mir jeweils ein Exemplar aller Titel zuschicken, begann zunächst die sehr dicht mit Informationen gespickte Biografie (nicht zu verwechseln mit Stills Autobiografie) zu lesen und recherchierte einige mir wichtig erscheinende Aspekte nach, wie etwa den Methodismus, den Amerikanischen Transzendentalismus, die juristischen Rahmenbedingungen für Ärzte jener Zeit. Besonders fiel mir aber eine kritische Bemerkung von Trowbridge aus ihrem Vorwort auf, in der sie bereits auf den erheblichen Unterschied zwischen Stills Ansatz und der modernen Osteopathie hinwies. Damals schenkte ich dieser Aussage aber keine weitere Beachtung und widmete mich zunächst Stills Autobiografie. Wie die meisten Therapeuten, die Stills Bücher zum ersten Mal in die Hand nehmen, war auch ich zu Beginn ziemlich verwundert über die für mich so ungewohnte, einfache und erzählerische Sprache, voll von militärischen, religiösen und mechanistischen Ausdrücken, die so gar nicht zu der ganzheitlichen, sanften und filigranen Osteopathie passte, die ich gerade selbst erlernte. Erst als ich mehr über den Amerikanischen Bürgerkrieg und die Einstellung der Menschen im Mittleren Westen zu jener Zeit, den Methodismus und die immense Bedeutung der Elektrizität und der Maschinen gerade im 19. Jahrhundert gelesen hatte, konnte ich dies besser nachvollziehen. In diesem Zusammenhang zeigte sich mir auch, wie unsere Sprache stets von der gerade aktuellen Wissenschaft geprägt wird. (Denken Sie nur einmal an die inzwischen inflationäre Verwendung des Begriffs Vernetzung in der modernen Medizin.) Mir wurde schnell klar, dass ich meinen bis dahin geprägten Anspruch und die damit verbundenen Erwartungen bezüglich medizinischer Literatur vollständig über Bord werfen musste, um zu erfahren, was Still uns eigentlich vermitteln wollte bzw. was er selbst unter Osteopathie verstand. Unabhängig von den Schwierigkeiten mit Stills ungewöhnlicher Sprache frustrierte mich aber ganz grundlegend, dass ich die mitunter äußerst langen und verschachtelten Sätze, in denen er zum Teil hochkomplexe Sachverhalte beschrieb, allein schon deshalb nicht verstand, weil meine Muttersprache nicht Englisch war.

Es gab also auch für mich gute Gründe, Stills Bücher rasch wieder beiseitezulegen. Andererseits jedoch ging von einigen seiner Ideen eine seltsame Faszination aus, die mich auf sehr sympathische Art und Weise berührte und mir das Gefühl gab, in den Texten schlummere etwas, das weit über praktische Erfahrung, Grundwissen und Techniken hinaus reichte und die Medizin dadurch in einem völlig neuen Kontext erhellte. Hier ging es auf einmal nicht mehr primär um Krankheiten, Konzepte oder Techniken, sondern um Philosophie, um den Menschen, das Leben und vor allem den Therapeuten selbst; nicht als Gesundmacher oder Heiler, sondern als aufmerksamen Beobachter mit einer bewussten inneren Haltung zur Welt. Erstmalig begegnete mir ein Text, der in Bezug auf seine medizinische Relevanz nicht durch seine von Gelehrten als allgemeingültig vorgegebene Form - in puncto Terminologie, Methodik und Systematik - bestach, sondern allein durch die Kraft origineller Gedankengänge. Erst sehr viel später sollte ich erkennen, dass Still auch ganz bewusst keine üblichen Sammel- oder Lehrwerke schaffen wollte, um die Leser nicht durch eine Fokussierung auf deskriptive Inhalte von der eigentlichen Bedeutung seiner Aussagen abzulenken.

Nun hielt ich also ein meines Erachtens für die Medizin ganz allgemein hochrelevantes Schriftgut in meinen Händen, war aber aufgrund meiner deutschen Muttersprache nur sehr bedingt in der Lage, wesentliche Tiefen darin wirklich befriedigend zu erfassen. Zu diesem Zeitpunkt, etwa 1999, arbeitete ich als Physiotherapeut im Süden von München, um mir mein inzwischen begonnenes Medizinstudium zu finanzieren. Ich hatte die Osteopathie-Ausbildung bereits im vierten Ausbildungsjahr abgebrochen, da sich Inhalte und Techniken zu wiederholen begannen und das bei Still Beschriebene und für mich Wesentliche weder an meiner noch an einer anderen Osteopathieschule unterrichtet wurde. Zwar kam es vor, dass man Osteopathie als eigene Medizinphilosophie bezeichnete, aber auf meine Nachfrage, was damit denn genau gemeint und wo dies anhand von Quellen nachzuprüfen sei, erhielt ich lediglich unbefriedigende Aussagen, die bis hin zu ‚Sammle erst einmal Praxiserfahrung, dann wirst du es schon verstehen.‘, ‚Die Philosophie der Osteopathie ist das, was man daraus macht.‘ oder gar ‚Still meint das mit der Philosophie nicht so. Osteopathie hat mit Philosophie nichts zu tun.‘ reichten. Heute weiß ich, dass diese Antworten auf Unkenntnis oder unwissenschaftliche Betrachtung in Bezug auf Stills Texte zurückzuführen sind.

Da mein Interesse an diesem Wesentlichen der Osteopathie aber nach wie vor ungebrochen war, fragte ich einige medizinische Verlage, ob sie nicht Interesse hätten, eine deutschsprachige Version der Bücher von Still zu veröffentlichen. Nun muss man wissen, dass es zu diesem Zeitpunkt kaum 200 geprüfte Osteopathen in Deutschland gab und den Verlagen die Investition in osteopathische Literatur, allem voran im historischen Bereich, nicht lukrativ erschien. So traf ich 2000 eine für mein weiteres Leben wichtige Entscheidung, gründete den Ein-Mann-Verlag JOLANDOS und begann mithilfe von Freunden das Übersetzungs-Projekt in die eigenen Hände zu nehmen. Als Das große Still-Kompendium mit der deutschsprachigen Fassung der vier Bücher von Still Ende 2002 zeitgleich mit dem Abschluss meines Medizinstudiums erschien, stand auch schon die nächste wichtige Entscheidung an. Osteopathie hatte in Deutschland inzwischen deutlich Fahrt aufgenommen und die Nachfrage nach Stills Texten wuchs. Dabei wurde schnell klar, dass den meisten Lesern bei der Lektüre jenes umfassendere Wissen rund um Still und die Gründerjahre bzw. die Geschichte der Osteopathie fehlte, das nötig ist, um sie besser verstehen und verorten zu können. So entschied ich mich, meine klinische Karriere zu bremsen, um mich ganz der Veröffentlichung deutschsprachiger Ausgaben der in meinen Augen relevanten Literatur rund um Geschichte und Philosophie der Osteopathie zu widmen. Zudem begann ich ab dem Jahr 2004 ein eintägiges Seminar über Geschichte und Philosophie der Osteopathie anzubieten. Der anhaltende Boom der Osteopathie und der damit zunehmende Aufwand für meinen kleinen Verlag, zunehmende Nachfragen nach Seminaren und Vorträgen zum Thema sowie ganz private Gründe führten schließlich dazu, dass ich 2012 meine klinische Tätigkeit vollständig beendete, um mich ganz dem Verlag und den Seminaren widmen zu können. Vorrangiges Ziel hierbei war es (und ist es immer noch), nicht ‚Wahrheiten‘ zu verbreiten, sondern Interessierten einen möglichst breiten Zugang zum Thema zu eröffnen, damit sie sich eigenständig anhand von Originaltexten ein persönliches Bild der Wurzeln der Osteopathie verschaffen konnten. Zudem hoffte ich natürlich, dass die daraus gewonnenen Einsichten zum kritischen Reflektieren über das eigene therapeutische Selbstverständnis anregen würden, wie es bei mir der Fall war und wie es mein Leben ungeahnt bereichert hatte.

Zu den großen Bereicherungen durch die Beschäftigung mit der Osteopathie-Geschichte gehört auch ein besseres Verständnis für die chaotische Situation der modernen Osteopathie. Und da die Kenntnis dieses Sachverhalts zudem leichter verständlich macht, warum mein Augenmerk ungebrochen und sogar noch viel intensiver als früher auf den Texten Stills liegt, möchte ich Ihnen das gegenwärtige Osteopathie-Chaos im nächsten Unterkapitel ein wenig näherbringen.

1.2. DAS OSTEOPATHIE-CHAOS

Osteopathie wird in der Öffentlichkeit als Methode zur Behandlung von Menschen beschrieben, die überwiegend auf manuellen Techniken basiert. Dabei finden sich abhängig von den einzelnen Strömungen Beschreibungen, die von sehenden Hände mit quantenmedizinischem Wirken zur Beseitigung so ziemlich aller denkbaren Beschwerden auf der einen Seite bis hin zur ausschließlichen Behandlung vorwiegend muskuloskelettaler Beschwerden vor allem des Rückens mittels rein strukturell-manipulativer Techniken auf der anderen Seite reichen. Von Wunderheilung bis Knocheneinrenken wird also alles geboten. Entsprechend angereichert ist die osteopathische Terminologie auch mit zum Teil unkritisch übernommenen Fantasiebegriffen. Interessierten begegnet beim ersten Versuch, sich ernsthaft mit der Osteopathie zu beschäftigen, daher eine Menge an Unklarheiten. Die Frage, was Osteopathie eigentlich genau sei, wird jedenfalls nicht allgemeingültig geklärt.

Kenner der Osteopathie-Geschichte verwundert dies nicht, denn die Osteopathie hat sich im Laufe ihres noch jungen Bestehens abhängig von kulturellen und juristischen Einflüssen und aufgrund eines bis vor Kurzem erheblichen Mangels an interner und internationaler Kooperation in ganz unterschiedliche Richtungen entwickelt. Die beiden einzigen gemeinsamen Kriterien scheinen zu sein, dass sie sich alle – zumindest aus historischer Sicht – auf Still und seinen Ansatz beziehen und dass sie auf eine gewissen Eigenständigkeit gegenüber der orthodoxen Medizin bestehen.

Da innerhalb des Projektes der Philosophischen Osteopathie ein transdisziplinärer Austausch von großer Bedeutung ist, halte ich es für angebracht, die wichtigsten Strömungen der Osteopathie kurz vorzustellen. Dies erleichtert es, die Position der Gesprächspartner aus dem Bereich der Osteopathie besser einschätzen und die eigene Position besser zuordnen zu können. Selbstverständlich existieren auch Mischformen und kleinere individuelle Ausnahmen, die ich hier aber unerwähnt lasse, da sie nur eine Randerscheinung innerhalb der internationalen Osteopathie darstellen.

STILLS PHILOSOPHIE DER OSTEOPATHIE

Sie repräsentiert die vom amerikanischen Landarzt Andrew Taylor Still (1828 - 1917) entdeckte Osteopathie, die er in mehreren Büchern, Artikeln und mündlicher Überlieferung der Nachwelt hinterließ. Eine ausführliche Darlegung des philosophischen Aspektes seines Ansatzes und eine kurze Zusammenstellung seiner praktischen Ideen erfolgt in den weiteren Abschnitten dieses Buches. Einfach ausgedrückt leitet Still aus einer eher philosophischen Haltung heraus Mechanismen der Natur ab und überführt diese in pragmatische und im medizinischen Kontext wirksame Hypothesen, aus denen er Handlungskonzepte ableitet, die mit den Händen am Patienten umgesetzt werden. Diese Techniken setzen bei Still noch ausschließlich am Bewegungsapparat an, wobei die Knochen (gr. osteo) als Haupthebel für die Kraftübertragung wirken. Mit diesen Techniken werden optimale, das heißt an die individuellen Bedürfnisse des Patientenorganismus angepasste anatomische Rahmenbedingungen geschaffen. Innerhalb dieser können sich dann nach Still die unentwegt im Sinne des Lebens wirkenden und durch eine vollkommene höhere Intelligenz bestimmten Selbstregulationskräfte bestmöglich entfalten, was wiederum den heilenden und lindernden Effekt auf Beschwerden bzw. Krankheiten oder Leiden (pathos) begründet. Auf dieser gesundheitsorientierten und menschenzentrierten Überzeugung basiert auch der von Still erstmals im funktionellen Kontext ausgelegte Begriff Osteopathie. Da Still die philosophische Haltung als entscheidenden Aspekt des Osteopathen betrachtete, bedeutete der an seiner Schule vergebene Titel D.O. (Doctor of Osteopathy) für Still ‚Dig on!‘ (Grabe weiter!) im Sinne eines Wissenwollens.

Still war weiterhin der Überzeugung, dass die Natur alle zur Heilung notwendigen Mittel zur Verfügung stellen könne, insofern es die anatomischen Rahmenbedingungen den physiologischen Prozessen erlauben, sich vermittelt durch das ungehinderte Fließen der Körperflüssigkeiten und Nervenströme im Körper auszubreiten. Folglich lehnte er jegliche Gabe von Medikamenten einschließlich homöopathischer Mittel ab, da er darin einen Mangel an Vertrauen in die natürlichen Selbstregulationskräfte sah.

Die Berücksichtigung der Individualität zwingt den Osteopathen zu einem prozesshaften Vorgehen, das nicht mehr streng an einem einzigen Konzept ausgerichtet wird, sondern durch eine Anpassung unterschiedlicher Techniken gekennzeichnet ist.

DIE AMERIKANISCHE OSTEOPATHIE

Bereits zu Lebzeiten Stills wurden in den Vereinigten Staaten diese philosophischen Aspekte von Stills Osteopathie aus berufspolitischen Gründen zunehmend ausgeklammert. Dies ermöglichte der Osteopathie die schrittweise Anerkennung als voll anerkannter Arztberuf in allen Bundesstaaten. Erheblich beschleunigt wurde dieser Prozess durch den 1910 vorgelegten Fletcher-Report, der eine Evaluation sämtlicher medizinischer Einrichtungen in den USA beinhaltete und letztlich dazu führte, dass die osteopathischen Hochschulen ihre Lehrpläne jenen Universitäten anglichen, an denen orthodoxe Medizin gelehrt wurde. Aufgrund der Tatsache, dass die Anerkennungsjahre nach dem Studium ausschließlich in orthodox ausgerichteten Krankenhäusern erfolgten, haben die manuellen Techniken (OMTs = Osteopathic Manipulative Techniques/​Therapy) nach und nach an Bedeutung verloren. Dieser Prozess erklärt, warum die heutige Osteopathie in den Vereinigten Staaten sehr stark der orthodoxen Medizin gleicht und manuelle Techniken im Praxisalltag – wenn überhaupt – nur noch rudimentär angewendet werden. Zudem gibt es immer wieder starke berufspolitische Bestrebungen, die Osteopathie gänzlich in die orthodoxe Medizin zu überführen. Demzufolge steht in der amerikanischen Osteopathie nicht mehr die Unterstützung der Selbstregulierungskräfte des Organismus, sondern das Auffinden von Krankheiten und deren Bekämpfung durch ausschließlich medizinisch bestätigte Konzepte im Vordergrund.

DIE COMMONWEALTH-OSTEOPATHIE

Nach dem Ersten Weltkrieg begann sich die Osteopathie langsam, vor allem aufgrund der Initiative John Martin Littlejohns (1866 - 1947), in England zu etablieren. Da hier anders als in den Vereinigten Staaten ein ärztliches Praktizieren der Osteopathie von Beginn an aus juristischen Gründen nicht möglich war, konnte der ursprünglich allgemeinärztlich, d. h. auf die Behandlung aller Beschwerdebilder ausgerichtete systemische Ansatz nicht mehr in vollem Umfang ausgeübt werden und entwickelte sich daher rasch zu einer nicht-ärztlichen und rein manuellen Behandlungsmethode, die sich vorwiegend auf Beschwerden des muskuloskelettalen Systems bezog.1 Durch den großen internationalen Einfluss der British School of Osteopathy verbreitete sich diese Strömung im Rahmen des Commonwealth vor allem in Australien und Neuseeland, aber auch in einigen spanischsprachigen Ländern. Eine Unterscheidung der Commonwealth-Osteopathie von der Chiropraktik bzw. der Manualmedzin (Chirotherapie) ist heutzutage kaum noch möglich.

DIE ZENTRALEUROPÄISCHE OSTEOPATHIE

William Garner Sutherland (1873 - 1954), wie Littlejohn ein Zeitgenosse und Schüler Stills, entwickelte in den 1930er bis 1950ern die sogenannte Kraniosakrale Osteopathie. Sie etablierte sich ab den 1950ern als eher unbedeutende Randerscheinung innerhalb der amerikanischen Osteopathie. Zu Beginn zeichnete sich Sutherlands Ansatz wie bei Still noch durch ausschließlich mechanisch orientierte Überlegungen aus. Dies änderte sich offensichtlich unter dem Einfluss bestimmter Schriften Emanuel Swedenborgs (1688 - 1772) und durch die Bekanntschaft mit dem Esoteriker Walter Russell (1871 - 1943). Ab den 1940ern finden sich zunehmend spirituelle Kontexte bei Sutherland, die er mit seinen mechanischen Ansätzen kombinierte und so ein neues ganzheitliches Konzept innerhalb der Osteopathie begründete. Da er ein großer Verehrer Stills war, floss dessen Gedankengut in Sutherlands Seminare ein, was zu einer Vermischung von Stills ursprünglichem Ansatz mit Sutherlands Interpretationen führte. Der ursprünglich philosophische Aspekt in Stills Ansatz wurde dadurch immer stärker in einen spirituellen Kontext überführt, was unter anderem auch dazu führte, dass innerhalb der Kraniosakralen und der daraus entspringenden Biodynamischen Osteopathie zunehmend eine Art geheimes Heilwissen zwischen die Zeilen der Texte von Still interpretiert wurde.

Auf Initiative einer Gruppe kraniosakral arbeitender Osteopathen kam es auf Umwegen zur Gründung der European School of Osteopathy (ESO), die ursprünglich in Paris lokalisiert war und sich nun in Maid-stone (England) befindet. An der ESO wurde Stills Gedankengut zwar nicht wirklich studiert und sein philosophischer Ansatz auch nicht unterrichtet, die spirituelle Ausdeutung seiner Gedanken führte aber dazu, dass erstmals wieder metaphysische Aspekte innerhalb der Osteopathie an Einfluss gewannen. Auch begann man nun wieder Still vermehrt im Original zu lesen und nicht nur tradierte Zitate ungeprüft zu übernehmen. Besonders ESO-Schüler aus Frankreich, Holland und Belgien, aber auch zunehmend deutsche Schulen sind seit den 1980ern dafür verantwortlich, dass sich diese Mischform aus Stills Osteopathie und Sutherlands Kraniosakraler Osteopathie nach und nach auch in Zentral- und inzwischen auch in osteuropäischen Ländern etablierte, wobei sie heute vor allem in Zentraleuropa die am schnellsten wachsende und zunehmend an Einfluss gewinnende Strömung der Osteopathie darstellt.

Diese Form der Osteopathie wird vor allem von (ehemaligen) Physiotherapeuten ausgeübt. Ärzte tendieren eher zu einer Mischung aus amerikanischer und Commonwealth-Osteopathie, wobei es hier gerade im deutschsprachigen Raum auch Ausnahmen gibt. In der Außendarstellung werden häufig drei Bereiche beschrieben: eine am Bewegungsapparat ansetzende, aber im systematischen Sinn verstandene parietale/​myofasziale Osteopathie, eine abhängig von der Schule mehr oder weniger stark spirituell geprägte Kraniosakrale Osteopathie und eine auf französische Osteopathen zurückgehende Viszerale Osteopathie (innere Organe). Es werden fast ausschließlich manuelle Techniken angewendet, wobei je nach Ausrichtung entsprechend ausgeprägte strukturelle, funktionelle oder energetische Aspekte einfließen.

Auch im zentraleuropäischen Ansatz der Osteopathie sucht man vergeblich nach ernsthaften Versuchen, sich wissenschaftlich mit dem philosophischen Aspekt von Stills Ansatz auseinanderzusetzen. Lediglich im deutschsprachigen Raum sind hier ernsthafte Ansätze auch auf breiterer Ebene zu erkennen.

OSTEOPATHIE IN DEUTSCHLAND

Die heute bekannte Osteopathie in Deutschland ist überwiegend der zentraleuropäischen Strömung zuzuschreiben (siehe dort), es finden sich aber auch immer mehr Vertreter der amerikanischen und der Commonwealth-Form. Daneben existiert eine insbesondere auf eine Initiative der Orthopäden und eines großen Physiotherapie-Verbandes zurückgehende, ebenfalls inzwischen dreigliedrige Osteopathie, die aber im Gegensatz zur zentraleuropäischen Osteopathie stärker krankheits- und symptombezogen ist und sich als Erweiterung der bestehenden Manualmedizin (Chirotherapie) versteht. Die ärztliche Osteopathie in Deutschland geht vor allem auf Kooperationen zwischen amerikanischen Ausbildungsstätten im Bereich Osteopathie und Chiropraktik und der British School of Osteopathy zurück, wobei der Einfluss zentraleuropäischer Schulen abhängig von der berufspolitischen Ausrichtung ebenfalls sichtbar ist. Die Osteopathie im gesamten deutschsprachigen Raum ist aufgrund ihrer heterogenen Entstehung nicht eindeutig zu verorten. Inwieweit eine krankheits- oder gesundheitsorientierte Vorgehensweise im Mittelpunkt steht, welche Techniken man anwendet und welche Philosophien man verfolgt, wird durch die Wahl der Schule bestimmt, an der man die Osteopathie erlernt bzw. welcher Ausrichtung man zuneigt. Die Anwendung der Hände im praktischen Kontext ist demnach ebenfalls unterschiedlich ausgeprägt.

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Yaş sınırı:
0+
Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
236 s. 11 illüstrasyon
ISBN:
9783941523586
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