Hinter der Angst

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Frau Munk beschrieb die angeblichen Polizeibeamten:

a) Ca. 40 - 50 Jahre alt, mittelgroß, kräftig, vermutlich dunkler, kurzgeschnittener Schnurrbart, rundes fülliges Gesicht, bekleidet mit dunkelgrauem Mantel, Halstuch, langen Hosen, sprach Dänisch mit deutschem Akzent, zeigte Polizeimarke vor, viereckig mit der Krone obenauf und in einem breiten Lederriemen. (Möglicherweise kräftige, dunkle Augenbrauen).

b) 38 - 39 Jahre alt, mittelgroß, von mittlerem Körperbau, dunkler, kurzgeschnittener Schnurrbart, gelbliche, fahle Gesichtsfarbe, kleine stechende, vermutlich braune Augen, ausgeprägte, nach außen gewölbte Nase, ausschließlich deutschsprechend, bekleidet mit dunkelgrauem Mantel, braunem weichem Hut, langen Hosen, zeigte Polizeimarke von gleichem Aussehen wie bei a) vor.

c) 27 - 33 Jahre alt, sehr groß, schlank und gut gebaut, vermutlich bartlos, vermutlich dunkle Augen, sagte gar nichts, bekleidet mit dunklem Mantel, Halstuch, dunklem weichem Hut, dessen Krempe rundherum nach unten gebogen war, gut gekleidet, machte den Eindruck, untergeordnet zu sein, und passte genau auf, was geschah.

d) Wartete draußen, kann nicht näher beschrieben werden. Die Geheime Feldpolizei, die deutsche Sicherheitspolizei in Esbjerg und die Abwehrnebenstelle in Aarhus bestritten, etwas über die Angelegenheit zu wissen, sie hätten keine Verhaftungen angeordnet.


Sie erlaubte Sprosse, sie zu begleiten, so gingen sie zusammen hinter Aksel und Bente her. Bente wandte sich beim Gehen einmal mit dem verschwörerischen Lächeln einer Verbündeten nach ihr um, das Lea erwiderte, hundemüde und wach zugleich, sie hätte vielleicht Angst spüren sollen und merkte nicht einmal recht die frostige Kälte. Schließlich hängte sie sich bei Sprosse ein, was diesen ebenso verwirrte wie erfreute, sollte er doch an der Aufgabe wachsen, sie hier und jetzt vor sich selbst zu beschützen, die S-Bahn fuhr in den Bahnhof ein.

Sie blieb auch neben ihm sitzen. Eine Gruppe Studenten nach einer durchfeierten Nacht. Alle hatten sie Briefe in ihren Taschen und verteilten sie dort, wo sie ausstiegen, auf mehrere Briefkästen. Sie stieg allein in Østerbro aus, warf einige Briefe direkt am Osloplatz ein und andere auf ihrem Weg in die Eckersbergsgade, wo sie seit einigen Tagen bei einem älteren Ehepaar Unterschlupf gefunden hatte. Nur ein unschuldiges junges Mädchen und eine ordentliche, brave Studentin.

Sie würde das Häuschen später durch den Garteneingang verlassen und wünschte sich kurz, es wäre Frieden, und sie könne wirklich hier wohnen und weiterstudieren, Vesterlunds würden sie sofort aufnehmen, das wusste sie.


Was mache ich hier noch, fragte sich Taarnby wieder einmal. Mikkelberg hatte ihm Anfang September, kurz nach dem Ende der Zusammenarbeitspolitik, auf diese Frage ungerührt geantwortet: Bei der Kriminalpolizei bleiben, solange du uns dort nützlich sein kannst. Also war Taarnby geblieben und hoffte, dass er nützlich sein konnte.

Immerhin verfolgten sie keine Saboteure mehr. Nicht, dass das Taarnbys Verdienst gewesen wäre. Es war nicht einmal so, dass er die Zusammenarbeitspolitik der ersten drei Besatzungsjahre ganz abgelehnt hatte, so sehr er auch wie die meisten anderen auf der Polizeischule im April 1940 die Schmach der kampflosen Besetzung Dänemarks empfand, und es ging ihm dabei nicht nur um die Erleichterung der Lebensumstände, die noch schwer genug waren. Als Lea nach dem 29. August 1943 zufrieden meinte, nun bekämen sie endlich auch norwegische Verhältnisse und müssten sich nicht mehr vor der Welt verstecken, brauchte er sie nur an ihre norwegische Cousine zu erinnern, die im November des Vorjahres mit ihrer Familie deportiert worden war, doch als er die Tränen in ihren Augen sah, tat es ihm sofort leid. Er verstand sie und blieb dennoch davon überzeugt, dass ihnen in ihrem Musterprotektorat manches erspart geblieben war, was die Deutschen ja dann auch umgehend nachholten. Der Kanarienvogel war dem Gangster aus dem Käfig entwichen, die Jagd war eröffnet.

Doch jetzt. Der Mord an Munk änderte alles.

Die ganze Stadt war auf den Beinen, um ihm das letzte Geleit zu geben, als sie den Sarg abholten, weiß und mit vielen rot-weißen Blumen, die Fahnen überall auf Halbmast. Freilich war das verboten worden, aber die in der ganzen Stadt beliebte alte Hebamme wurde am selben Tag beerdigt, und die Beflaggung galt natürlich ihr. Im Übrigen ließen die Deutschen sich nicht sehen. Ein feste Burg ist unser Gott. Als der Leichenzug in der Vestergade ankam, waren es an die viertausend Menschen. Schweigend, doch wer konnte, sang die Choräle mit. Nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib: Lass fahren dahin, sie haben’s kein Gewinn, das Reich muss uns doch bleiben.

Die Zeitung druckte die Anzeige: Auto polizeilich gesucht. Die Kriminalpolizei in Silkeborg – Tlf. 45 – bitte jeden, sich mit ihr in Verbindung zu setzen, der in der Nacht zwischen 22 und 8.30 Uhr auf der Strecke Herning – Paarup – Paarup Bakker ein Auto mit der folgenden Beschreibung gesehen habe.

Sehr viel schwieriger gestaltete sich die Aufklärung der Explosion des Wasserturms am Bahnhof nächsten Montagabend. Überall zerstörte Scheiben und andere Schäden. Natürlich wusste Taarnby und wussten alle in der Polizei, dass Mikkelberg dahintersteckte, und man hatte weitere zwei, drei Namen, doch Bestimmteres würde man frühestens wissen, wenn Mikkelberg, den Zeugen gesehen hatten, sicher in Schweden war.

Himmelstrup kam mit zehn Leuten an und verlor keine Zeit, alle wussten, dass es eine Sache von Tagen war, bis sie die Morduntersuchung einstellen mussten.


Eine huschende Veränderung im Schatten von Hauseingang zu Hauseingang, mehr nicht. Im Übrigen war sie offiziell verschwunden. Das konnte heißen: tot. So wie Edith, höchstwahrscheinlich. Gott weiß, was sie mit ihr gemacht haben. Nein, das wusste vielleicht nicht einmal Gott. War dafür einfach nicht zuständig. Und Lea wusste nur von Lagern. Hatte Ortsnamen, im Osten, aber keine klare Vorstellung. Von dort kam man nicht zurück.

Und das, was sie jetzt fühlte, war normale Angst. Mit der sie allein war, da, in den tiefen Schatten der nächtlichen Hauseingänge. In lausiger, feuchter Kälte, die in der verdunkelten Stadt noch klammer wirkte. Nur wärmer angezogen als das Mädchen mit den Schwefelhölzern. Angst, die sie einen Moment lähmte. Du kannst ja nach Schweden, sie besorgen dir sofort eine Passage.

Sie klammerte sich an den Stoß illegaler Blätter. Sie hatte keine Ahnung vom Fliegen, aber sie hätte jetzt gerne einen Bomber geflogen. Sie führte das Geschwader an. Das verdunkelte Berlin kaum zu ahnen, aber sie hatten ja die Koordinaten. Das Feuermeer, das sie veranstalteten, wärmte sie ein wenig, und sie konnte wieder durchatmen, zum nächsten Hauseingang huschen.

Und hörte Jørgen – denn in Gedanken, wo schon nicht in Wirklichkeit, war er ihr ständiger Gesprächspartner: Sie hätten Kopenhagen bombardiert. Rasch schüttelte sie die Bomberpilotin ab. Wir haben beide recht, Jørgen. Die Zusammenarbeitspolitik hat mir wahrscheinlich bisher das Leben gerettet und mich studieren lassen. Aber wir haben auch dazu beigetragen, dass der Krieg einfach nicht aufhört. Obwohl Deutschland doch längst verloren hat.

Dann zwang sie ein plötzlicher stechender Schmerz, stehenzubleiben: Edith und Daniel und mein Onkel und meine Tante sind von norwegischen Polizisten abgeholt worden! Was hättest du getan, Jørgen? Hättest du uns abgeholt? Oder hättest du den Befehl verweigert? Ihr habt den Deutschen so oft die Arbeit abgenommen! Saboteure aufgespürt und übergeben. Die Regierung hat die Bevölkerung aufgefordert, alle zu denunzieren, die gegen die Deutschen arbeiten. Deswegen haben wir doch jetzt so viele Verräter! Deswegen leben unsere Leute so gefährlich!

Sie schloss die Augen. Frühe Passanten kamen vorbei. Durch das Klopfen in ihren Ohren hörte sie leise dänische Laute, aber das sagte nichts. Doch sie gingen vorbei, ohne Lea zu bemerken.

Weiter. Sie hatte eine Aufgabe. Schwäche wie eben konnte sie sich nicht leisten. Damit gefährdete sie sich selbst und andere.


Das Auto sei mit Benzin gefahren, also bestimmt ein deutsches, alle anderen führen ja mit Gasgeneratoren. Nein, klein eigentlich nicht, ein Opel Kapitän, soweit er habe erkennen können. Das sei schon ein ordentlicher Schlitten, und sie seien ja zu fünft darin gewesen, mit Pastor Munk dann sechs Männer. Kurz vor acht sei der Wagen auf den Hofplatz eingebogen, erzählte der Sohn des Pfarrhofpächters weiter. Die Eltern hätten gerade zu den Nachbarn gehen wollen, und er habe zu seinem Vater gesagt, drüben bei Pastor Munk, da stimme etwas nicht. Ja, das glaube er auch, habe sein Vater geantwortet und seinem Bruder und ihm befohlen, mit der Mutter im Haus zu bleiben, während er zu den Nachbarn gehen wolle, die hätten Telefon. Vier Männer seien rasch ausgestiegen, und drei seien sofort beim Pastor in der Haustür verschwunden, während der vierte draußen Wache gehalten habe. Einen Augenblick später fuhr der Wagen wieder an und hielt genau vor unserer Tür, von wo Bent und ich hinter einer Gardine versteckt das Ganze durch die Scheibe sehen konnten. Es war ganz hell auf dem Hofplatz, nachdem es ein paar Stunden vorher geschneit hatte. Ein paar Meter von mir entfernt konnte ich den fünften Mann sehen, der das Auto mit dem Kühler in Richtung Einfahrt anhielt – bereit abzuhauen. Er zündete sich eine Zigarette an. Es war so still, obwohl der Automotor schwach zu hören war.

 

Ja, etwas Neues: Munk sei weder in einem Feuergefecht gefallen, noch nach einem wie auch immer fragwürdigen Richterspruch verurteilt und hingerichtet worden, wie schon mehrere, er sei nicht einmal im engeren Sinn ein Widerstandskämpfer gewesen, er habe nur mit dem Wort gekämpft – das aber gründlich! – ja, gewiss, und das reiche ja im Nazireich schon, andere seien dafür ins KZ gekommen; aber mitnehmen und dann irgendwo am Straßenrand abknallen wie einen tollen Hund – oder der Mordversuch an Redakteur Christian Dam wenige Tage zuvor, in dessen Wohnung, vor den Augen seiner Frau und seines Kindes: In der Tat, das sei etwas Neues, die Deutschen hätten den offenen Terror begonnen, und wer könne nun noch sicher sein. Ob es wohl dieselben Täter gewesen seien?

Lea schwieg und ließ die anderen reden. Für jemanden, der eigentlich längst in Schweden sein sollte, war es schon genug, überhaupt dabei sein zu dürfen. Niemand wusste hier, dass sie die beste Schützin im Verein gewesen war, und sie fand es noch nicht an der Zeit, die anderen darauf aufmerksam zu machen. Zielen – und treffen: Das bereitete ihr tiefe Befriedigung. Wenn es das war, was sie konnte, dann war es das, was Dänemark von ihr erwarten durfte. Jetzt erst recht. Und bevor jemand wie Sprosse sich selbst gefährdete. Wer hatte etwas von ihren Skrupeln? Es war Krieg und sie längst ein Teil davon.

Worum es einzig ging: Personen auszuschalten, die anderen äußerst gefährlich werden konnten. All denen, die taten, was getan werden musste, damit Dänemark wieder ein freies Land und der Krieg endlich zu Ende wäre.

Sie schaute eins nach dem anderen in die entschlossenen Gesichter. Einige hatten schon mitgeholfen, die Juden in Fischerbooten über den Sund zu bringen. Auch Leas Familie. Kaum einer wusste hier, dass sie mit ihren hellen Haaren selbst hätte fortgeschafft werden müssen. Ihre Eltern konnten erst drüben erfahren haben, dass sie in Dänemark geblieben war. Um das zu tun, was Edith und Daniel nicht mehr tun konnten. Um sich nicht für ihre Freiheit schämen zu müssen. Für ihr Leben und für ihren unbedingten Wunsch, zu leben.

– Kannst du schießen, Frosch?

Sie schaute Sprosse lange und ruhig in die Augen, bevor sie nickte.

– Ja. Das kann ich.


Der Vizepolizeiinspektor war groß und schwer mit einem Kopf wie ein Poller, um den die Leine eines Bootes festgezurrt wird. Mitte sechzig, mit dem Vertrauen erweckenden Bauerndialekt der Gegend um Ringkøbing, die Haare kurz geschoren. Hinter der runden Brille ein Blick, der keinen Widerspruch duldete, jetzt jedoch wohlgefällig auf dem jungen Beamten ruhte, der alle gewünschten Auskünfte geben konnte und dies knapp, klar und sicher tat.

Pass auf. Himmelstrup hat auch unsere Leute rangekriegt. Unser bester Mann, ja, ganz gewiss. Aber im Dienst der Zusammenarbeitspolitik. Na, das ist ja jetzt wohl vorbei. Vielleicht.

Pol 198 - 935. Der Lehrling, der den silbergrauen Opel Kapitän in Herning betankt hatte, konnte sich genau an das Nummernschild erinnern. Himmelstrup brauchte nicht lange, um herauszubekommen, dass der Wagen den Deutschen gehörte. Direkt vom Dagmarhaus in Kopenhagen, dem Sitz des Reichsbevollmächtigten und der Gestapo. Und damit endeten die offiziellen Nachforschungen.

Taarnby protokollierte alles sorgfältig. Eines Tages würden sie es verwenden.


– He! Amazone!

Lea wandte sich zögernd und fragend um.

– Amazone! Schieß!

Der hochgewachsene, kampferprobt wirkende Mann warf eine Konservenbüchse in die Luft. Lea schoss. Er hob die sauber durchbohrte Dose auf und kam zu Lea hinüber.

– Du bist die Amazone. Mehr muss ich von dir nicht wissen. Ich bin K. C. Mehr musst du auch nicht wissen. Ich brauche dich.

Er streckte ihr die Hand hin. Nach kurzem Zögern schlug Lea ein. Amazone. Die hatte sie sich immer anders vorgestellt. K. C. drückte ihre Hand: Wir brauchen deine Schießkünste. Aber auch dieses Lachen. Damit wir nicht vergessen, wofür wir kämpfen.

Stolz, Verlegenheit, Freude. Es war sicher alles in ihrem Lächeln zu sehen.

Doch sie hatte noch etwas: Aber auf Menschen schieße ich nicht!

K. C. grinste und kniff ihr in die Wange.

– Darum brauchen wir ja welche, die wissen, was sie tun!


In der Kirche seines Vaters setzte Taarnby sich am liebsten in die letzte Reihe links, unter das Wandbild seines Namenspatrons, der dort den Drachen mit seiner Lanze durchbohrte. An welche Drachen mochten seine Eltern gedacht haben, als sie ihren Zweiten auf den Namen Jørgen tauften?

Er überlegte, ob ein heutiger Künstler dem Drachen vielleicht Hakenkreuze auf die Flügel gemalt hätte. Dann verwarf er den Gedanken, Drachen waren gänzlich aus der Mode geraten – und wer sie töten wollte, brauchte andere Waffen als Lanze und Schwert.

Das Wort. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder seinem Vater zu, der schräg gegenüber am anderen Ende des Kirchenschiffs auf der Kanzel stand. Warum er dort stehen müsse, wenn er predige, hatte er ihn als Junge einmal gefragt, und sein Vater hatte geantwortet, weil er hier nicht sein eigenes, sondern Gottes Wort auszurichten habe. Jeder könne ihn jederzeit von der Kanzel herunterholen, doch solange er da stehe, gelte das Wort, das genau unter dem Pult geschrieben stand: Gott von ganzem Herzen, ganzer Seele, allen Kräften und ganzem Gemüt zu lieben und den Nächsten wie sich selbst.

Diese Worte seien eine Verpflichtung für alle Pfarrer des Landes, und auch der Pastor von Vedersø habe nichts anderes im Sinn gehabt als ebendiese Richtschnur. Nun müsse man erst alle Pfarrer töten und Kanzeln wie diese verbrennen, doch dann werde Gott die Steine schreien lassen.

Ob die Gestapo sich berichten ließ, was in den Gottesdiensten gepredigt wurde? Von seinem Platz unter dem Drachentöter konnte er die Gemeinde überblicken. Wer notierte sich im Kopf oder gar heimlich auf einem Stück Papier, was Pastor Taarnby von sich gab? Mit blitzenden Brillengläsern, selbst der spanische Kragen schien sich extra zu sträuben, als der Prediger zum Evangelium des Sonntags zurückkehrte: Zachäus ist mitten unter uns und streicht sein unrechtes Geld ein. Er verkauft den Deutschen Korn und Fleisch und Milch und wohl auch einmal seine Landsleute. Und nun verstehen wir, dass es keine süßliche Glanzbildchengeschichte ist, wenn Jesus unter dem Baum Halt macht und ruft: Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muss heute in dein Haus einkehren. Eine Invasion sei das, wie die, die General von Hanneken durch die Alliierten befürchte, und hier hülfen die stärksten Wallanlagen nicht mehr, denn Jesu Stimme übermanne den Menschen von innen.

Ob er keine Angst habe, fragte er seinen Vater später beim Essen. Ich tue nur, was mir aufgetragen ist, antwortete der trocken und erwiderte den Blick seines Sohnes mit einem breiten und zuversichtlichen Lächeln.

Er schaute seine Eltern an. Er wusste nichts über ihre Aktivitäten und sie nichts über seine. Man konnte stattdessen über Kaj Munk sprechen. Ob er den Tod gesucht habe. Oder das Martyrium? Eigenartiger Begriff in der heutigen Zeit. Wie man’s nimmt, gelte es denn nicht gerade heute, Position zu beziehen? Man könne nicht ewig lavieren, müsse sich für kalt oder warm entscheiden, lau sei nicht mehr möglich. Aber was heißt es genau, Jesus zu folgen, heute zu folgen. Ja, gerade heute kann das heißen, sich gewaltigen Ärger einzuhandeln. Munk wusste, dass ihn sein offenes Wort gefährdete. Ein Märtyrer des offenen Wortes? Oder vertraute er auf seine Prominenz, ihm werde man schon nichts tun?

Taarnby versuchte, sich vorzustellen, was Munk auf dieser Fahrt gedacht hatte. Nach Hørbylunde Golgatha. Was betete man da. Mein Gott, warum hast du mich verlassen?


Morten, Nielsen, Ib, Grün, Jo, Hellerup, Klingel, Thorbjørn, Sprosse. Schüler, Studenten, Lehrlinge, Arbeiter, sie war die einzige Frau und mit ihren Zweiundzwanzig bereits unter den Älteren. K. C. übertrug ihr einen Teil der Schießausbildung, was Letzterem Rechnung trug und Ersteres wieder wettmachte. Er war in Spanien dabei gewesen. Und dass ich jetzt vor euch stehe, verdanke ich einem älteren Kumpel, der mir einschärfte: Spiel nicht den Helden! Ein guter Kämpfer wirft sich nicht todesmutig in die Schlacht und fällt so bald wie möglich, ein guter Kämpfer schützt sich und seine Kameraden und sorgt dafür, dass der Feind unschädlich gemacht wird. Und werde man festgenommen, womit man immer rechnen müsse, gehe der Kampf weiter. Schutz der anderen, wenn man sich selbst schon nicht mehr schützen könne, sei jetzt das Wichtigste. Keiner wisse, wie er Folter durchstehen werde. Ob er schweigen könne. Und es gelte, eine gute Geschichte parat zu haben.

Nachdenklich erwiderte sie sein aufmunterndes Lächeln. Einer, der gewohnt war, zwischen den Stühlen zu sitzen. Weder länger bereit, sich der strikten Linie der Kommunistischen Partei und damit letztlich Moskau zu unterwerfen – noch dazu, seinen Internationalismus für den Nationalstolz der Partisanengruppe Holger Danske aufzugeben. Erfahren. Unverdorben. Mit allen Wassern gewaschen. Unvoreingenommen. Ein Mann, dem sich all die jungen Hitzköpfe willig unterordneten und der es für das Natürlichste der Welt zu halten schien, dass Frauen und Männer Seite an Seite kämpften.

Ruhig wie er gab sie ihren Schießunterricht nach seiner Parole: Ihr müsst lernen zu treffen, damit wir unsere kostbare Munition sparen!

Ein großer Teil der Waffen und Munition war gestohlen, ein kleiner Teil illegal angefertigt, der Rest von den Engländern über Jütland abgeworfen. Seine Anweisungen bezog K. C. vom Freiheitsrat, den die Widerstandsbewegungen gebildet hatten, um die Aktionen zusammenzuführen und den Alliierten einen Ansprechpartner zu bieten, oder direkt von der Special Operations Executive. Auf Sabotage solle vorübergehend ganz verzichtet werden und nach Möglichkeit auch auf die Liquidierung von Denunzianten, um den Deutschen keinen Vorwand zu geben und in Ruhe ein geheimes Heer aufbauen zu können. Als ob die Deutschen da einfach mitspielten, meinte K. C. schulterzuckend, aber Befehl war Befehl, und doch. Den Kampf gewinnt nicht die SOE für uns. Den Kampf gewinnen wir, wenn wir durchhalten, obwohl sie überall und mit allen Mitteln Jagd auf uns machen.

Er gab Zyankalikapseln aus.

– Für den äußersten Notfall.

Mit einer Kaltblütigkeit, die sie selbst überraschte, befestigte Lea die Kapsel mit einem Pflaster an der Innenseite ihres Schenkels.


Am 6. Januar wurde der Arzt Willy Vigholt in Slagelse von zwei Männern in sein Sprechzimmer gerufen und auf der Treppe erschossen.

Am 13. Januar wurden der Zahntechniker Leo Kæraa und seine englische Frau in Aarhus von der Gestapo vermutlich als Rache für eine Liquidierung angeschossen, die Frau starb, Kæraa überlebte.

Am 31. Januar trat Graf Kjeld Brockenhuus-Schack, Hauptmann der Königlichen Leibgarde, spätabends aus seinem Haus in Hellerup und bemerkte zwei Männer, die sich ihm plötzlich näherten. Er konnte zurück ins Haus fliehen, bevor Maschinenpistolensalven durch die Tür brachen und ihn in der Lunge trafen, jedoch nicht töteten. Man vermutete eine Vergeltung für die Anschläge auf einen SS-Offizier und einen Marineleutnant zwei Tage zuvor. Brockenhuus-Schack und erst recht der 24-jährige Polizist John Christian Falkenaa schienen willkürlich ausgesuchte Opfer. Falkenaa fuhr nach dem Dienst mit dem Fahrrad zu seinen Eltern und wurde aus einem vorbeifahrenden schwarzen Mercedes mit 32 Schüssen aus zwei Maschinenpistolen tödlich getroffen.

 

Am 3. Februar wurde der Rechtsanwalt Holger Christensen in Aarhus vor seiner Haustür erschossen. Man sah zwei Männer in aller Seelenruhe den Tatort verlassen.

– Lasst euch jede Einzelheit geben. Gleicht alles ab. Sobald der Krieg vorbei ist, haben wir unsere Männer.

Sorgfältig legte Taarnby Akten an. In seinem Kopf speicherte er, dass es Menschen gab, die gezielt angegriffen wurden, und solche, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Ferner versuchte er, nicht an Lea zu denken.


Jemand hatte eine Jazzplatte aufgelegt. Jeder wollte mit Lea tanzen. Sie machte mit und war doch nicht bei der Sache, ihr ging nicht aus dem Kopf, was Ib über die Lager erzählt hatte. Sie wusste, dass Edith und Daniel und ihre Eltern und die anderen Juden, die Oslo mit der Donau verlassen hatten, in eines dieser Lager gekommen waren. Was dort geschah, darüber hatte die BBC mehrfach berichtet. Worte, für die sie keine Bilder fand. Die dänischen Juden, die es nicht geschafft hatten, waren vielleicht in einem besseren Lager. Daniel liebte Jazz.

Sprosse reichte sie an K. C. weiter. An seiner ruhigen Hand entspannte sie sich. K. C. summte leise mit, schließlich verstand sie Worte. Worte, die ihr Vater ihr beigebracht hatte: Adonoi roi, lo echsor.

– Was hast du zu ihr gesagt?

– Ach, nichts weiter.

– Was hat er zu dir gesagt?

– Komm, du hast ihr was gesagt, und dann sah es aus, als ob sie gleich weinen würde!

– Lasst mich einfach. Und ihn auch.

– So habe ich es ihr nicht gesagt, aber ich sage es jetzt euch: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.

– Was meinst du damit?

– Das kenne ich von der Kirche, aber was willst du damit jetzt sagen?

– Leute, vergesst es, ihr seht doch, dass er nichts sagen will. Lasst die beiden einfach in Ruhe.

Lea trat vor die Tür. Einen Moment lang gewannen die Tränen die Oberhand.

Edith. Der junge Polizist, den sie gestern erschossen hatten. Jørgen. Tränen halfen nichts.

Ihr fielen die Worte von Pastor Munk ein, man müsse mit Gottes Hilfe das Volk zum Aufruhr bringen, hatte er es nicht so gesagt. Sie fühlte sich klein und schwach und entschlossen. Denn du bist bei mir. Ki ato imodi. Dein Stecken und Stab


sinnlos. Sie würden hier nie herauskommen. Langsam ahnte er, dass es für Lea und ihn keine Zukunft gab. Oder eine so abstrakte, dass er gleich an Märchen glauben konnte. Und glauben konnte er überhaupt nicht mehr. Wie man feststellt, dass man seinen Schlüssel verloren hat oder ein Papier, das man nie hätte verlieren dürfen, oder wenn möglich etwas noch Wichtigeres. Gedankenloser Griff in die Tasche, und der Glaube war nicht mehr da. Auch der Glaube an Lea und ihn. Er fand keine Bilder mehr dafür. Konnte sich ihr Gesicht nicht mehr in der Schattenzeichnung sonnenbeschienenen Laubs vorstellen, fand keinen Platz mehr für ihr Lächeln und schon gar keinen für Zärtlichkeit. Erinnerte sich an die neue Härte in ihrem Gesicht und in ihrer Stimme, mit der sie sich selbst Kommandos zu geben schien, die sie dann befolgte. Er wusste, dass sie nicht nur schneller lief als er, sondern auch besser schoss und traf.

Es gibt Mitmenschen, denen man am besten einen Dienst erweist, indem man sie umbringt, hatte Kaj Munk gepredigt. In seiner Bibel hatte er das gewiss nicht gefunden. Und wurde es nicht schon dadurch falsch, dass auch die Nazis es unterschreiben würden? Doch was hatte Munk anderes damit gesagt, als dass es Situationen gab, in denen nicht mehr galt, was sonst vielleicht galt. Der Volksheld Niels Ebbesen gegen den kahlköpfigen Grafen von Holstein. Das war Jahrhunderte her. Auch die Besatzung würde einmal Jahrhunderte her sein.


die gerahmte Photographie von Frau Jellings Eltern, der Tannenzweig in der Vase, die dunkle Tapete mit dem noch dunkler gewordenen Blumenmuster, die schweren Vorhänge, das Deckchen auf dem Mahagonitisch.

Friedensalltag eines anderen Menschen, drei Tage hatte Frau Jelling ihn mit ihr geteilt und einen heißen süßen schwarzen Kaffee lang auch mit K. C. Wo sie den Kaffee nur herhatte, eiserne Vorräte für besondere Gelegenheiten, hatte Frau Jelling lächelnd gesagt und bei Lea ein Gefühl von Heimweh hinterlassen, sogar Waffeln hatte sie gebacken. Sie war eine alte Arbeitskollegin von K. C.s Mutter, und Lea hatte überrascht zur Kenntnis genommen, dass auch jemand wie K. C. natürlich eine Mutter hatte, nur seinen Vater hatte er kurz erwähnt.

Clausen, Carstensen, Carlsberg, Christensen – nein, das vielleicht weniger, zumindest der Vater war Jude und beide Eltern in Schweden, wie sie inzwischen wusste, und mehr hatte sie nicht fragen mögen. K. C. hatte Lea bei Frau Jelling untergebracht, schon ihre zweite Adresse nach Vesterlunds, und sie überlegte langsam, wie viele Heimaten sie noch streifen würde, streifen und wieder hinter sich lassen, auch bei Frau Jelling konnte sie nicht länger bleiben. Zudem hatte Frau Jelling nach dem frühen Tod ihres Mannes nicht viel Geld, Lea ahnte, dass der Widerstand für die Logiergäste bezahlte, sie war nicht die Erste.

Sie mochte den wehmütigen Ausdruck im Gesicht der älteren Frau nicht länger ertragen und machte den Abschied kurz. Schweigend und mit zügigem Schritt ging sie neben K. C. die Allee entlang. Er nahm sie zum ersten Mal zu diesem Treffen mit, sie kannte das Ziel nicht, vielleicht ein Café oder Restaurant.

Verwundert nahm sie wahr, dass er sehr plötzlich die Frederiksberg Allé verließ und in eine kleinere Straße wechselte; als sie zu ihm hochschaute, hatte sie den Eindruck, er versuche einen verstohlenen Blick über die Schulter.

– Schau dich nicht um. Schau auch mich nicht an. Nur geradeaus.

Sie versuchte, die Schritte hinter sich nicht zu hören, und warum sollte hier nicht noch jemand gehen. Auch jemand mit tief ins Gesicht gezogenem Hut, so stellte sie es sich vor. Gerne bogen sie doch die Krempe noch extra ein wenig herunter.

Sie erreichten den Carl Bernhards Vej. Wenn sie unbehelligt weiter bis zur Kingosgade kämen, konnten sie mit etwas Glück dort auf die Drei springen, Lea sah die Straßenbahn weit vorne vorbeifahren, leider auch die beiden Herren mit den langen Coats und den tief herabgezogenen Hüten.

– Wenn die Maus in die Falle geraten ist, kämpft sie, auch wenn es ihr nichts nützt.

Sie antwortete nicht, entsicherte aber ihren Revolver in der Manteltasche.

– Unauffällig und ruhig weitergehen. Dann du vorne und ich hinten.

Das konnte unmöglich gutgehen. Sie dachte an die Maus und ging ungerührt weiter.

– Dort an der Hofeinfahrt.

Die Herren vor ihnen waren auf Schussweite, die vermuteten hinter ihnen vielleicht ebenfalls. K. C. drehte sich plötzlich um, sie eröffnete im selben Augenblick wie er das Feuer, sah einen der Herren zusammensacken und folgte K. C. in die Hofeinfahrt. Sie liefen hinter die Ecke des Mietshauses, K. C. fiel im Laufen vornüber, Lea wandte sich ungeschützt um und feuerte die Trommel leer, sprang in die Deckung, in die K. C. seine Pistole warf, stutzte, blieb einen Moment hilflos stehen, als sie begriff, dass er nicht mehr aufstehen würde, verstand, dass der gezischte, gekeuchte Laut ein Befehl war, und rannte weiter, hob im Laufen seine Waffe auf, erwischte einen weiteren ihrer Verfolger und nutzte aus, dass der Letzte einen Augenblick zögerte, also hatte K. C. ebenfalls einen erwischt, wenn die hinter ihnen auch zu zweit gewesen waren. Als sich auf dem Pflaster nichts mehr regte, zögerte sie auch einen Lidschlag zu lang, weswegen sie ein letzter Schuss an der Schulter streifte. Sie schoss auf den Kopf, der sich etwas vom Boden erhoben hatte. Begriff immer noch nicht ganz, dass K. C. sich nicht mehr bewegte. Vergaß alle ihre Namen. Die Amazone rannte über den Hof, bemerkte niemanden, der ängstlich hinter den Fenstern stand, erreichte durch eine weitere Einfahrt den Engtoftevej und die Allee und sprang im Alhambravej auf einen gerade abfahrenden Dreier.


Taarnbys Protokoll der Ermittlungen hinsichtlich der Sprengung des Wasserturms war mit größter Sorgfalt abgefasst. Nur ein sehr aufmerksamer und des Dänischen kundiger Leser hätte bemerkt, dass es lediglich aus kunstvoll verknüpften losen Fäden bestand. Gewissenhaft verfolgte man jedoch alle Spuren nach dem Bombenanschlag auf das Bootshaus des Ruderklubs und verzeichnete die Hinweise auf dänische Mittäter. Die Bevölkerung lernte zwischen Sabotage und Schalburgtage zu unterscheiden und erwies damit dem gefallenen dänischen SS-Führer Schalburg posthume Ehre. Im Übrigen war niemand über die Notwendigkeit des Anschlags auf den Ruderklub im Zweifel, denn wie die Verhältnisse sich entwickelt hätten, könne man ja nicht mehr ausschließen, dass die Ruderboote für die deutsche Flotte eine Bedrohung bedeutet hätten.

Als Taarnby von zwei Gestapo-Leuten zu seinen Nachforschungen befragt wurde, antwortete er voller überzeugendem Eifer, die bisherigen Ermittlungen wiesen eindeutig auf den lokalen Widerstand. Vielleicht glaubte man ihm, nichtsdestoweniger wurde ihm nahegelegt, seine Befragungen zu beenden. Unter diesen Umständen hielt er es auch nicht für geboten, die bei den Aufräumarbeiten gefundenen und sorgsam wieder versteckten illegalen Waffen in seinem Bericht zu erwähnen.