Kitabı oku: «Morgoth Uncursed», sayfa 2
Kapitel 2
„Isolated“
Die Band in ihrer Urbesetzung hatte zunächst nicht viel mehr als den Wunsch, Musik zu machen. Sie waren eine Horde glühender Metalfans, die ihre Vorstellungen ohne geeigneten Ort und ohne geeignete Instrumente für geraume Zeit nur in ihren Köpfen wachsen lassen mussten. Der Einzug in den Proberaum bei ‚Westfleisch‘ im Jahr 1987 war so sicher der entscheidende Schritt in der frühen Phase von Morgoth. Marc, der gemeinhin als das Gedächtnis der Band gilt, erzählt:
Marc: „Der Proberaum war viel mehr als nur ein Ort, um Musik zu machen. Wir haben ihn uns richtig häuslich eingerichtet und wenn wir nicht geprobt haben, saßen wir da und haben Monty-Python-Videos geschaut. Es war fast so eine Art WG und fiel passenderweise in die Zeit, in der man sich gewöhnlich vom Elternhaus abnabelt.“
Nur wie man letztlich an dieses Schatzkästchen gekommen ist, darüber herrscht keine Einigkeit. Marcs Erinnerungen zufolge lief das so:
Marc: „Franz Stahlmecke, der damalige Bürgermeister von Meschede, hat uns unseren ersten Proberaum besorgt. Er war ein typischer Sauerländer, der für jeden ein offenes Ohr hatte. Er kam auch mal zu meinen Eltern oder Großeltern, wenn sie Geburtstag hatten.“
Rüdiger interveniert:
Rüdiger: „Ach, das wäre schön, wenn der konservative Bürgermeister von Meschede uns den ersten Proberaum besorgt hätte. Aber es war vielmehr der Stadtrat Herr Wacker. Er hatte irgendeine kulturelle Position inne. Carsten hat ihn sehr lange belatschert, bis wir endlich den Raum bekommen haben. Wir haben Herrn Wacker sogar auf unserem zweiten Demo gedankt, das ja dann letztlich nie erschienen ist, weil es unsere erste EP wurde. Nebenan haben die Short Romans mit Dirk Draeger geprobt und wenn das nicht gewesen wäre, wären die Dinge wohl nie so passiert.“
So muss man sich wohl eine Mischung beider Versionen vorstellen, wobei sicher ohne Carstens Hartnäckigkeit der Proberaum letztlich nicht an die Band gegangen wäre. Da war die Einrichtung und Renovierung die kleinere von beiden Herausforderungen, auch wenn das nicht ganz ohne Entbehrungen vonstatten ging.
Harry: „Unsere erste Handlung bestand darin, die Wände und Decken des Proberaums mühevoll mit Eierkartons akustisch zu ‚optimieren‘. Zu deren Beschaffung hatten wir im Vorfeld Eltern, Großeltern und Verwandte zum Sammeln von Eierkartons verdonnert und so hat der Eierkonsum in dieser Zeit gesundheitlich höchst bedenkliche Ausmaße angenommen. Aber sobald wir wussten, die Band wird Morgoth heißen, wussten wir auch genau, wohin wir wollen und haben uns durch nichts beirren lassen.“
Keine Band ohne Instrumente. Keine Instrumente ohne Geld. Bei allem Enthusiasmus sind Morgoth in den frühen Tagen gerade solche praktischen Probleme stets angegangen. Während viele andere Musiker sich langsam ihr Equipment ersparen, haben sie sich Ferienjobs genommen und so lange geackert, bis das Geld für einen kompletten Satz zusammen war. Und das ging im Sommer 1987 sehr schnell, wenn auch unter äußersten Entbehrungen. Daran können sie sich bis heute erinnern.
Carsten: „Die Eltern anzupumpen hat nicht funktioniert, aber mein Vater hat mir einen Job verschafft, wo richtig Geld verdient wird. Ich habe in einer Fabrik LKW-Motorgehäuse durch die Gegend gehievt. Jeden Tag nach der Arbeit war ich total fertig und nur noch froh, bis morgens um sechs im Bett liegen zu können. Es war nicht schlecht bezahlt, aber da habe ich auch verstanden, dass ich mein Geld in Zukunft lieber mit dem Kopf verdienen will.“
Marc: „Das war die Firma Honsel, in der habe ich auch mal gearbeitet. Insgesamt waren es immer Knochenjobs. Straßenbau, vier Wochen in den Sommerferien oder samstags, Steine schleppen, auch Straßenschilder an der Stanze abrunden. Man wusste immer, dass es hart wurde, aber hinterher konnte man sich eben die Gitarre auch kaufen.“
Rüdiger: „Mein Ferienjob war der beschissenste. Der Typ meinte zu mir: ‚Sie haben es besonders gut, denn sie haben tausend Leute unter sich. Sie arbeiten auf dem Friedhof‘. Das habe ich dann gemacht und wochenlang Hecken geschnitten und bei irgendwelchen Umbettungen knietief im brakigen Leichenwasser gestanden.“
Zu diesem Zeitpunkt wussten sie bereits, welches Equipment sie kaufen mussten, um den Sound zu haben, den sie sich vorstellten. Der Besuch bei Kreator im Proberaum hatte unter anderem darüber Aufschluss gegeben. Harry, der seinen Teil vom Azubigehalt abgespart hatte, erinnert sich an den erhebenden Moment noch gut, als die Instrumente endlich da waren.
Harry: „Wir wussten bei dem Equipment schon genau, was wir wollten. Für den Sound, den wir uns vorstellten, gab es damals auch wenig Alternativen. So haben wir uns unser Gespartes geschnappt und dann im Laden tatsächlich einige 1000 Mark auf den Tisch gelegt. Wir konnten zwar noch nicht richtig spielen, fanden uns aber wahnsinnig cool.“
Bei dem letzten Satz muss er lachen. Man möchte sagen, dass er der ruhigste der vier Morgoth-Urgesteine ist, weil er gemeinhin immer ein wenig länger über seine Antworten nachdenkt als Rüdiger oder Marc. Am deutlichsten merkt man ihm jedoch an, dass die Band seine absolute Wohlfühlzone ist, in der er für das geschätzt wird, was er am liebsten ist: ein akribischer Musiker.
Im Kauf des Equipments sehen alle den ultimativen Startschuss für die Band und Carsten versteht es in seiner Eigenart als praktisch veranlagter Visionär wie üblich, die Dinge auf einen einfach Nenner zur bringen:
Carsten: „Wir hatten das ganze Equipment gekauft, also mussten wir dann auch loslegen. Sonst hätten wir es ja nicht kaufen müssen.“
Im Rathaus in Meschede regiert seit den frühen 50er Jahren durchgängig die CDU. Franz Stahlmecke ist im Jahr 1987 bereits seit zwölf Jahren Bürgermeister und wird es bis zu seinem Tod, zehn Jahre später, auch weiterhin bleiben. Die Bürger der Stadt engagieren sich in Schützen- und Sportvereinen und in entsprechenden jährlichen Festen. Franz Stahlmecke, der selbst aus dem kleinen Nachbarort Wennemen stammt, hält guten Kontakt zu den Einwohnern, beehrt sie regelmäßig zu Geburtstagen und auf Festen. Er ist allenthalben recht beliebt, kommt sogar aus demselben Dorf wie Harry und kennt seine Großeltern.
Natürlich ist der ‚ewige‘ Franz als CDU-Mann keine Identifikationsfigur für Carsten, Rüdiger, Marc und Harry. Im schwarzen Sauerland reagieren die meisten Menschen nicht enthusiastisch, wenn ein langhaariger Teenager von seinen Ambitionen als Metalmusiker erzählt. So muss er irgendwann raus, der Frust, der sich anstaut; verursacht durch ewiges Hin- und Herwandeln in dem Freilichtgehege, das sich Heimat nennt. Mit der langen Mähne zu provozieren, das funktioniert im Sauerland leicht. Da wechselt das gesittete Bürgertum gerne schon einmal die Straßenseite. Amüsant. Weniger lustig ist es da schon, auf dem Schützenfest von besoffenen Jungschützen angemacht zu werden, man solle zum Friseur gehen. Ganz zu schweigen von den Abenden in der Disko, bei denen man mit dem Musikwunsch ‚Fast As A Shark‘ von Accept mit dem immer gleichen und nie eingehaltenen „Jaja, gleich“ hingehalten wird.
Eines der wenigen Rückzugsgebiete ist der Werkraum in der Schule, den sie weiterhin zu nutzen, um ihre Instrumente zu zersägen. Ein richtiger Proberaum ist in Meschede ein Ding der Unmöglichkeit. Jeder weiß das. Doch kommt man im Werkraum auf die Dauer nicht richtig in Stimmung, wenn nach drei Stunden die ersten Mitglieder des christlichen Schulchores vor der Türe stehen, die sie streng begutachten. Da könnte selbst Satan persönlich nicht im Stehen pinkeln.
So fristen die vier von „Minas Morgul“ von solcherlei Aktivitäten inspiriert ihren kleinstädtischen Alltag. Natürlich wird das Schulequipment, Federmäppchen, Rücksacke, reichlich mit den Namen und Zeichen ihrer Ikonen verziert. Metal in der Schule, Metal im sonstigen Leben. Wenn der Werkraum gerade nicht frei ist, gehen sie häufiger zum Karstadtplatz, wo sich zum Ärgernis der örtlichen Bürger und Behörden die Mescheder Punkszene breit gemacht hat. Klar, das Ding ist gerade neu, was haben die Penner da zu suchen? Mit dem Dutzend Punks und den vier Metallern fusionieren an diesem Ort gewissermaßen beide komplette Szenen. Man kennt sich aus der Schule. Und oft wird nur ein Thema diskutiert: Welche Musik ist die härtere? Natürlich gibt es keine Einigung. Selbst während des täglichen Bildungsmatyriums wird dieser Streit fortgesetzt. Zückt Rüdiger an einem Tag seinen Edding um das rustikal braune Tischdesign mit einem zünftigen „Slayer“ zu verzieren, ist es am nächsten Tag schon durchgestrichen und es steht „Negazione“ darunter. Gute Argumente bekommt die Thrash-Fraktion aus der Szene geliefert. Allein das von Chuck Schuldiner und Chris Reifert im Alleingang eingespielte Death-Debüt „Scream Bloody Goore“ haut den hartgesottenen Metaller die Matten nach hinten.
Von außen betrachtet kann man es zu dieser Zeit niemandem richtig verübeln, wenn er nicht sein ganzes Geld auf den durchschlagenden Erfolg von ‚Minas Morgul‘ setzt. Im Werkraum entsteht nichts Brauchbares. Das Equipment ist Mist, die Songideen unbrauchbar, denn nichts inspiriert mit Ausnahme der Vorstellung, dass daraus vielleicht irgendwann einmal eine Band werden könnte. Aber wie? Mit einer kleinen, aber einschneidenden Idee kommt Rüdiger eines Tages um die Ecke:
„Jungs, lasst uns den Bandnamen ändern. ‚Minas Morgul‘ ist scheiße, ich hab einen besseren: ‚Morgoth‘!“
Im Silmarillion, der Sagensammlung von J.R.R. Tolkien, die dem Hobbit und dem Herrn der Ringe als Vorgeschichte dient, ist Morgoth der große Antagonist. Er ist der mächtigste der von dem göttlichen Wesen Ilúvatar geschaffenen Ainu, die eine Art Götterzirkel in der Arda bilden. Das ist die Welt, in der sich sämtliche Geschichten abspielen. Sein ursprünglicher Name ist Melkor. Morgoth, was so viel bedeutet wie ‚der Dunkle‘, ‚der Schwarze‘ oder auch ‚Feind der Welt‘, wird er von dem Elb Feanor genannt, nachdem er die Silmiarilli gestohlen hatte. Die Silmarilli sind drei von Feanor geschaffene Edelsteine, die ein Überbleibsel göttlicher Macht enthielten und die Morgoth fortan in seiner Krone zu tragen pflegte. Die Geschichten des ‚Quenta Silmarillion‘, die des Hauptbuchs von Tolkins Sagensammlung, handeln letztlich immer um den Versuch der Elben, die Edelsteine von Melkor zurückzubekommen.
Morgoth – dieser Name ist der Startschuss. Minas Morgul dauert zu lang, ist zu verquer, klingt nach Teenagern, die irgendwie etwas versuchen. Morgoth ist brachial, bedrohlich, eine Urgewalt, auch für jene, die Herr der Ringe gar nicht kennen. Es ist der Name einer Band, die man sich auf jeden Fall anschauen wird, weil man wissen will, wie ‚Morgoth‘ klingt. Er fügt alles zusammen, was in den Köpfen herumspukt. Alles ergibt auf einmal einen Sinn und hat ein Ziel. Es ist der perfekte Bandname.
Ob es nun an dem neuen Bandnamen lag, weiß man nicht. Auf jeden Fall setzt er Energien frei und das Jahr 1987 wird nach langer Wartezeit das Jahr, in dem sich endlich etwas bewegt. Carsten quatscht regelmäßig seinen Nachbarn Dirk Draeger an und fragt, ob er einen guten Proberaum kennt. Er ist Profimusiker, einer der erfolgreichen Short Romans, und repräsentiert dementsprechend die musikalische Prominenz des Ortes. Ihre Proben absolviert die Band in der oberen Etage des örtlichen Schlachthofes, gewissermaßen die Crème der Proberäume in Meschede.
Natürlich hat Dirk keine brauchbaren Informationen, aber es ist ein Ansatz. Nun wird es auf ewig ein Geheimnis bleiben, ob Franz Stahlmecke oder Herr Wacker letztlich der Band den Raum besorgt hat. Klar ist, es bedarf wiederum eine gewisse Zeit und Carstens unermüdliches Überzeugungstalent bis jener Stadtrat endlich seine Kontakte zum Schlachthof spielen lässt, wo die Jungs schließlich ein kleines Kabuff in einer der oberen Etagen besichtigen können.
„Sieht gar nicht schlecht aus. Müssen wir aber noch eine Menge Arbeit reinstecken.“
„Guck Dir die Tapete an. Die ist wohl noch aus den Sechzigern.“
„Wir müssen das eh alles schalldicht machen.“
„Habt ihr das gehört? Dieses schrille Quieken. Was war das?“
„Da ist wohl gerade ein Schwein geschlachtet worden.“
„Da läuft‘s einem aber schon kalt den Rücken runter.“
„Um das schalldicht zu machen, brauchen wir Eierkartons. Also Leute, ihr wisst, was in Zukunft auf dem Speiseplan steht!“
In den folgenden Wochen steigt der Cholesterinspiegel bei Morgoth und Umgebung besorgniserregend an. Für die Karriere muss man eben ab und zu auch mal ein paar Dutzend Eier pro Woche verspeisen. Aber es lohnt sich und die Einrichtung des Proberaums schreitet voran. An alle vier Wände, plus Decke, werden Styroporplatten geklebt und dann mit Eierkartons versehen. Als alles fertig ist, geht es daran, das neue Domizil noch ein wenig heimisch zu gestalten. Ein Fernseher und ein Kühlschrank werden organisiert. Ein wunderschönes Blümchensofa rundet die Atmosphäre, in der der härteste Metal aller Zeiten entstehen sollte, perfekt ab. Allerdings haben sie es mit den Eierkartons an den Proberaumwänden etwas übertrieben. In dieser Gummizelle aus Weichpappe erstirbt jeder Ton und jeder Hall. Also reißen sie an einer Seite der Wand die Kartons wieder ab, malen die Wand schwarz an und pinselten das von Rüdiger entworfene, und seitdem nicht veränderte, Bandlogo darauf.
Im Sommer steht eine weitere Aufgabe an: Geld für richtiges Equipment verdienen. Sie haben sich Ferienjobs genommen, Sparkonten aufgelöst und das Geld zusammen gespart. Nach entbehrungsreichen Wochen des Schuftens ladensie an einem Spätsommerabend endlich zwei Marschalltürme, ein nagelneues Schlagzeug, Bass- und Gesangsanlage aus einem Hänger und schleppen alles in die obere Etage der Schlachterei. Dabei wird der ‚Grave Digger‘ Rüdiger an diesem Tag noch Pech erleiden müssen: Während die anderen drei selig vor ihren neuen Türmen posieren, hat er das falsche Drumkit geliefert bekommen. Dennoch, mit dem Equipment und einem Holzregal für Bierdosen, die Trophäen der Trinkerfolge, ist der Proberaum endlich fertig. Eine Coverversion von Black Sabbath‘s ‚Sign Of The Southern Cross‘ wird als Einweihungslied gespielt. Und natürlich wird an diesem Abend zünftig angestoßen.
So hört die Welt, oder besser die unmittelbare Umgebung, in diesen Tagen die ersten musikalischen Gehversuche von Morgoth. Es fehlt nur noch ein Name für die Musik. Zu dieser Zeit kennt man zwar die Band Death und den Song ‚Death Metal‘ von Possessed, doch als Genrebezeichnung ist er nicht geläufig. So nennen sie ihre Musik zunächst einmal ‚Ultra-Thrash‘.
Während der Arbeiten merken sie bereits, dass im Proberaum nebenan regelmäßig was los ist. Die Short Romans sind fast jeden Tag anwesend, Besuche und gelegentliche Parties inbegriffen. Als die Renovierungsarbeiten erledigt sind, schleppen die Jungs zuletzt das Equipment, das ihnen bereits zur Verfügung steht, in die oberen Etagen, Gitarrenverstärker und ein Schlagzeug, das aus Standtom, Snare und einigen Becken besteht. Das bleibt nebenan nicht unbemerkt und Dirk Draeger, der mit Thrash Metal eigentlich nichts anfangen kann, bekommt von einer Freundin gesteckt: „Das sind Eure neuen Nachbarn? Na dann, viel Spaß!“
Kapitel 3
„From Dusk To Dawn“
Als die ersten Würstchen und Steaks auf dem Rost brutzeln, steht plötzlich eine hagere, hoch gewachsene Gestalt im Zimmer. Obwohl das kurze Haar schon leicht angegraut ist, wirkt er nicht alt. Der Mann ist Dirk Draeger, seines Zeichens Produzent aller Morgoth-Alben bis 1996 und Proberaumnachbar aus alten Tagen. Schon bei den ersten Sätzen bemerkt man den Papa-Faktor von Dirk im Verhältnis zur Band. Er hatte bereits ein paar Jahre als Profimusiker auf dem Buckel, als sie sich kennen lernten. Natürlich will ich erst einmal etwas über seine eigene musikalische Vorgeschichte wissen:
„1983 habe ich mit zwei Freunden die Band ‚Short Romans‘ gegründet. Wir bekamen einen Plattenvertrag bei einem Wave-Indi-Label namens JA! Music in Hagen. Das war ein kleines Label und wir haben nach einem Auftritt auf einem Festival ein 8-Spur-Demo aufgenommen, das als Platte rauskam. Davon haben sich vielleicht 1000 Stück verkauft, aber trotzdem waren wir auf einmal im Fernsehen: Formel 1, Musikkonvoi, WDR. Das war so 1984/85. Der WDR hat uns ziemlich gefördert. Wir liefen im normalen Radio, waren mit den Toten Hosen auf Tour, die damals sehr jung waren. Daraus entstanden viele Kontakte. Das Interesse großer Plattenfirmen war da und so sind wir schließlich zu Teldec gewechselt. Unser Album hieß ‚Short Romans‘ und war wesentlich kommerzieller. Aber wir haben uns ohnehin nie als harte Band verstanden, strebten eher nach Perfektion, obwohl wir auch auf vielen echten Pogo-Events gespielt haben. Bei Teldec konnte ich dann mit vielen renommierten Leuten zusammen arbeiten.“
Dirk erzählt dies ohne rührige Nostalgie. Das ist wirklich spannend, denn Bands wie seine gab es viele in den 80ern. Also lasse ich ihn gerne fortfahren:
„Wir waren in den Rüssl Studios in Hamburg von Otto Waalkes. Als junge Leute haben wir mit den älteren zusammengearbeitet. Damals hattest du als junge Band eigentlich immer einen Mentor, das ist heute verloren gegangen. Es waren Leute, die von sich erzählten, sie hätten noch mit den Beatles auf der Bühne gestanden, Leute, die schon mehrere Riesenerfolge miterlebt hatten und entsprechend abgebrüht waren. Wir waren noch recht unbedarft, wir waren die, die produziert wurden, aber dennoch hat man mitbekommen, wie es so läuft. Außerdem gab es, verglichen mit heute, ein Riesenbudget. Promo-Leute der Plattenfirmen wurden eingeflogen, das war kein Problem. Das waren die goldenen Zeiten, die CD kam gerade auf, und es wurde viel Geld verpulvert, das war unglaublich. Unser Album war nicht der Riesenerfolg, aber wir waren mit dabei.“
Seine erste Bekanntschaft mit Morgoth schildert er so:
Dirk: „Wir hatten im Westfleisch-Gebäude den besten Proberaum, den man sich vorstellen konnte, von einer Jazzband geerbt. Er gehörte der Stadt und da gab es auch immer mal Probleme. Man flog so im Schnitt einmal im Jahr raus, aber wir haben es dann doch geschafft, zehn Jahre dort zu bleiben. Daneben gab es so ein kleines Kabuff, in dem ab und zu mal Leute waren. Meistens stand es jedoch leer. Dann kamen die vier und nahmen es in Beschlag. Carsten und Rüdiger waren totale Metalfans. Sie lebten das alles, es war ihre Religion. Sie saßen auf dem Sofa, lasen Musikzeitschriften und hatten diesen Plan. Das hat mich von Anfang an fasziniert. Diese Band existierte eigentlich nur im Kopf. Sie hatten noch kein vollständiges Equipment, konnten noch nicht richtig spielen, aber sie wussten schon genau, was sie machen wollten.“
An den Tag, als sie mit ihrem neuen Equipment vorfuhren, erinnert er sich besonders:
Dirk: „So etwas hatte ich noch nicht gesehen. Als Musiker kannte ich es so, dass man sich jedes Teil einzeln vom Teller abspart. Aber die haben das ganze Geld auf einmal organisiert und waren plötzlich fetter ausgerüstet als wir. Da, wo die meisten Musiker schwächeln, in der Organisation, war besonders Carsten ziemlich gut. Er war schon damals ein Typ, der unheimlich viel auf die Beine stellen konnte. Wir haben oft zusammen gesessen. Wir waren eben die großen, die auf Tour gingen. Sie haben uns viel gefragt, wie man dieses und jenes macht. Wir haben ihnen viele Tipps gegeben. Wir haben uns angefreundet, viele Parties gemacht bei denen und bei uns und wurden so eine Gang im Laufe der Zeit.“
Carsten: „Short Romans waren musikalisch um Längen besser als wir, aber davon haben wir eben auch viel gelernt.“
Es gab nicht den einen Tag, an dem es hieß: „Hey, ich bin ab heute Eurer Produzent.“ Vielmehr merkten Morgoth früh, dass sie einen Nachbarn hatten, der ihnen von der Profimusik gewissermaßen aus dem Auge des Sturms berichten konnte. Im täglichen Umgang war es dann irgendwann nur noch Formsache, als sie Dirk fragten, ob er sie bei der Produktion des ersten Demos unterstützen würde. So bekamen sie ihren Stammproduzenten, der seine Erfahrungen gerne an sie weitergab:
Dirk: „Jeder Produzent muss eine Mischung aus fünf Aspekten haben: Geschäftsmann, Techniker, Lehrer, Musiker und Kumpel. Aber die sind unterschiedlich verteilt, deswegen wählt man ja auch unterschiedliche aus. Ich habe schon mal einen etwas pädagogischen Ansatz, ich gebe gerne etwas weiter an die Bands.“
Das erste Demo ‚Pits Of Utumno‘ ist kürzlich neu aufgelegt worden und präsentiert Morgoth noch als reine Proberaum-Band, die ihren Idolen nacheifern. Die Bezeichnung ‚Ultra Thrash‘, die sie am Anfang noch für ihre Musik gewählt haben hört man deutlich heraus.
Carsten: „‚Pleasure To Kill‘ hatte definitiv einen großen Einfluss am Anfang, was man auch auf dem Demo hört. Danach war es dann nicht mehr so.“
Dirk Draeger half ihnen bei der Aufnahme der ersten musikalischen Gehversuche. Im Unterschied zur Band selbst, die sich als eher durchschnittlich talentiert beschreibt, hebt er die Qualitäten der damaligen Teenager hervor.
Dirk: „Sie hatten sich schon einige Songs ausgedacht, Carsten und Rüdiger vor allem. Harry schleppte permanent Sachen an, aber auch Carsten hat absolute Killerriffs geschrieben. Rüdiger hatte die Lieder im Kopf. Er ist ein super Drum-Komponist, war aber technisch noch nicht soweit. Ich finde seine Kompositionen bis heute irre. Er hatte ein sehr hohes Niveau, was die Ideen anging, aber sie waren fast unspielbar, das war für ihn die Herausforderung. Ich kenne kaum einen Drummer, der so kompositorisch veranlagt ist wie Rüdiger. Dann saßen sie gemeinsam vor dem Gettoblaster und hörten sich Metallica und Death und andere an. In dieser Phase kann man eigentlich sagen, dass man alle drei Monate eine neue Band gehabt hat, weil sie sich so schnell entwickelt haben.“
Eventuelle Gemeinsamkeiten im Musikgeschmack sind zunächst in der Tat kein Grund zum Brüderschaft trinken zwischen den Short Romans und Morgoth. Aber die Zielstrebigkeit dieser angeblichen Krawallmacher ist durchaus etwas, das Dirk schon zu Beginn beeindruckt. Immerhin haben sie es überhaupt geschafft, diesen Proberaum zu bekommen. Sie treffen sich täglich während der Proben, machen Party zusammen und tauschen sich aus. Die vier Jugendlichen wissen, dass Dirk bereits einige Erfahrungen im Musikgeschäft hat und so erzählen sie ihm von ihren Visionen, spielen ihm Musik vor und zeigen ihm in Metalzeitschriften, wie so etwas auszusehen hat.
Morgoth proben und proben und proben, fünfmal pro Woche, jeweils ab 7 Uhr abends, und so dauert es nicht lange, bis sich die Frage nach dem ersten Demo stellt. Carsten spricht daraufhin im örtlichen Musikgeschäft vor und organisiert tatsächlich ein Mischpult inklusive einer stattlichen Anzahl von Mikrofonen, denn die ersten Songs sollen im Proberaum aufgenommen werden. Der Sound ist etwas problematisch. Für ‚Ultra-Thrash‘, wie sich die Morgother ihn vorstellen, gibt es wenige Vorbilder, lediglich die Alben der bekannten Thrash-Bands und besonders die von allen verehrten ersten beiden Alben von Death, ‚Scream Bloody Gore‘ und ‚Leprosy‘. Natürlich beratschlagen sie sich mit Dirk über die Möglichkeit, den Sound möglichst gut auf ein Tape zu bannen und er zögert nicht lange, als man ihn zum Produzenten ernennt.
„Hey Dirk, hör Dir das an. So einen Sound brauchen wir. Randy Burns im Music Grinder in Hollywood und Scott Burns im Morrissound in Tampa. Das sind die Besten und so wollen wir klingen! Besonders wie der Sound von Leprosy.“
„Naja, so einen Sound, den werden wir in Eurem Proberaum nicht hinbekommen. Aber man kann es versuchen.“
„Super! Dann kriegst Du einen Turm Bierkästen und wir nennen Dich ab heute Produzent!“
„Gemacht, aber lasst mir auch was von dem Bier übrig.“
Dirk ist zu diesem Zeitpunkt zwar weit davon entfernt, sich als Produzent zu betrachten, aber immerhin verfügt er über die Erfahrung, für die Short Romans sämtliche Demos aufgenommen zu haben. Außerdem hat er bereits mit renommierten Produzenten zusammen gearbeitet, mit Leuten, die schon an mehreren kommerziellen Riesenerfolgen beteiligt waren. Er weiß, wie im Musikgeschäft Bands so produziert werden, dass ihre Stärken hervortreten und wie sie im Studio agieren müssen, damit sie hinterher auf dem Band richtig glänzen. Außerdem weiß er inzwischen, dank der unzähligen Gespräche, was die Band will, und genießt ihr Vertrauen.
Einige Tage später sind die Spuren für sechs Songs im Kasten: ‚From Dusk To Dawn‘, ‚Being Boiled‘, ‚Eternal Sanctity‘, ‚Pits Of Utumno‘, ‚The Beyond‘ und ‚Dance Their Dance‘. Während Dirk die Regler des Mischpults bedient, verfestigen sich zwei Eindrücke, die er bereits früh von der Band hatte: Zum einen werden sie in der Tat Woche für Woche besser an ihren Instrumenten und darüber hinaus verstehen sie es, ihre Songideen zu arrangieren. Die Musik ist im wahren Wortsinne noch ‚Ultra-Thrash‘, aber zwischen dem unvermeidlichen Geknüppel gibt es durchaus gedrosselte Passagen, die das Material dynamisieren. Marc ist, wohl in Erinnerung an seine ‚Flag Of Hate‘-Performance, in stimmlicher Hinsicht Mille noch sehr nahe. Die tieferen Gefilde hat er noch nicht entdeckt.
Die im Proberaum aufgenommenen Songs werden in Marcs Zimmer, also in seinem Elternhaus, gemischt. Sein Kumpel Jörg, der später bei der Combo Dark Millennium als Bassist einsteigen wird, zeichnet Gevatter Tod als Geiger auf das Cover; ‚Demo 88‘ steht als kleiner Hinweis darauf. Das ist das erste wirkliche Lebenszeichen von Morgoth. Dem Namen, der schließlich unter dem Bandnamen prangt, wird immer mehr Bedeutung zuteil: „Pits of Utumno“ – die Gruben von Utumno – die Festungsstadt Melkors, wo er unzählige Monster züchtete und sie auf die Völker der Arda losließ, und der finsterste Ort in der gesamten Tolkin-Saga. Ja, genau so sollte die Musik klingen!
Kurz darauf, als es sich alle mit Bier versorgt auf der Blümchencouch bequem gemacht haben und ‚From Dusk To Dawn‘ durch den Proberaum schallt, kommt Carsten herein und wedelt mit einem handgeschriebenen Zettel.
„Okay, ich habe die Liste der Firmen. Sind alle, die ich auftreiben konnte. Hab auch die Adressen. Da schickten wir das Teil hin!“
„Ja, würde mich wundern, wenn da keine Antwort drauf käme.“
„Leute, macht Euch mal keine Illusionen. Die meisten hören sich solche Tapes gar nicht erst an. Aber bei denen hier könnte es klappen.“
Carsten hält den Zettel hin und tippt auf die Stelle, auf der er ‚Noise‘ notiert hat.
‚Das ist das Label von Kreator. Die machen fast nur Metal. Deshalb werden wir da auch persönlich antanzen und ihnen das Tape in die Hand drücken.‘
„Die sind in Berlin! Da brauchen wir ein Transitvisum und eine Karre haben wir auch nicht.“
„Ja und?“
Einfach machen. Carsten organisiert alles und wenige Tage später rollt ein alter Mercedes über die Transitstrecke durch die DDR in Richtung Berlin, an Bord ein Pulk langhaarige Teenager, die den Argwohn der Beamten prompt auf sich ziehen. Am Checkpoint Alpha des Grenzübergangs Helmstedt-Marienborn geht noch alles glatt. Dann führt eine von dicken Betonmauern gesicherte Straße zur GÜSt, der Grenzübergangsstelle. Alle müssen ihre Reisepässe abgeben, dann lassen die Beamten sie aussteigen und filzen das Auto. Mit Argusaugen und Taschenlampen suchen sie nach Schmuggelware oder was sonst noch den Siegeszug des Sozialismus aufhalten könnte. Endlich bekommt jeder einen Transitvisumsstempel in seinen Reisepass und die Fahrt kann weitergehen. Pausen sind nur im Notfall gestattet, Umwege gar nicht. Der Stempel mit der Einreisezeit zeigt außerdem, ob man sich auch angemessen beeilt und diese Gastfreundschaft nicht über Gebühr genossen hat. Nach ungefähr 200 Kilometern haben sie es hinter sich: West-Berlin. Nun geht es zu Noise, das Demo abgeben.
„So, wie ist nochmal die Adresse? Wer hat sie aufgeschrieben?“
„Ich nicht.“
„Ich auch nicht.“
„Nö, ich dachte Du.“
„Das gibt’s doch nicht! Hat keiner die Adresse aufgeschrieben?“
„Nein, aber das war Kurfürsten irgendwas 100.“
„Ja, Kurfürstendamm wahrscheinlich. Also fahren wir dahin. So‘n Sitz von ner Plattenfirma wird man ja nicht übersehen können!“
So tuckert das 56 PS starke Mobil über die einstige Prachtmeile West-Berlins, die sich seit Jahren in stetigem Verfall befindet. Am Lehniner Platz gibt es eine Hausnummer 100, aber keine Spur von einer Plattenfirma. Also wenden an der Gedächtniskirche und zurückfahren, am Kaufhaus des Westens vorbei, nichts. Schließlich steigen sie aus und machen sich zu Fuß auf die Suche. Während die anderen spekulieren, wo sich die Firma dieses gewissen Karl Walterbach befinden könnte, erspäht Marc einen Rumänen, der die Passanten mit einem Hütchenspiel unterhält.
„Ey, guckt mal! Habt ihr den Typen mit der Kugel gesehen? Du musst nur raten, unter welchen Hütchen sie ist, dann verdoppelt er den Einsatz! Ist total einfach!“
„Marc, lass doch den Scheiß, wir müssen diese Firma finden.“
„Ach was, ich hab 100 Mark dabei für Platten. Wenn ich 200 habe, dann können wir wenigstens so richtig einen draufmachen!“
Es ist einer dieser jugendlichen Momente, an die man sich sein Leben lang erinnert. Wie in einer fremden Stadt in ein Striplokal zu gehen und zu erfahren, dass die kleine Flasche Picollo, die man gerade der leicht bekleideten Frau ausgeben hat, weil sie meinte, man sei süß, 100 Mark kostet. Oder dass auf dem Ziffernblatt der goldenen Uhr, die man gerade auf einem Basar für sagenhafte 100 Mark erstanden hat, ‚Rollex‘ statt ‚Rolex‘ steht. Oder dass die Typen, die um den Hütchenspieler herumstehen und ständig gewinnen, die Brüder des Spielleiters sind und sich unter dem Hütchen, an das man seine 100 Mark gelegt hat, eben nicht die Kugel befindet. Dumm, naiv, gutgläubig; ebenso, wie zu glauben, dass man einfach so nach West-Berlin fahren und sein Demo bei der Plattenfirma abgeben kann, abends in der Herberge ankommen und zwei weitere Tage in Berlin verweilen – ohne Geld – und zuletzt schließlich die Heimfahrt, das ganze Transitprozedere noch einmal, nur dieses Mal unter veränderten Vorzeichen. Zuhause angekommen, niedergeschlagen, denn man sieht jetzt, dass die Adresse die Kurfürstenstraße 100 war, nicht der Kurfürstendamm und natürlich ist der Briefkasten leer, keine Antwort von einer Plattenfirma. Der ungezügelte Ehrgeiz erhält zum ersten Mal einen richtigen Dämpfer. Es geht halt nicht von selbst.